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Der Garten.

Wird Ihnen da aber nicht doch manchmal ein bißchen zeitlang?« fragte die kleine Dame, indem sie etwas hochmütig über den Garten sah, der noch recht wüst war. Hier lag Erde ausgeworfen, dort ein Baum entwurzelt, daneben standen Karren mit Kies. Kaum, daß manchmal ein Strauch zaghaft an den Spitzen zu grünen begann. Sie wunderte sich, daß so wenig einem Manne genügen sollte. »Wird Ihnen wirklich nicht zuweilen ein bißchen zeitlang?«

Er lächelte bloß und sagte: »Niemals.«

Sie waren nun, die jungen Fichten entlang, zum Brunnen gekommen, der noch in Stroh gebunden stand. Indem er sie geleitete, versäumte er nicht, im Vorübergehen mit der Hand jetzt einen Zweig zu berühren, jetzt sich zu einer Primel am Wege zu bücken, wie man ein Kind streichelt. Da glitt sie aus, er ergriff sie, um ihr zu helfen; sie blieb stehen. »Und sehnen Sie sich denn nicht?« sagte sie leise, noch an ihn gelehnt. Er aber wiederholte: »Niemals.«

Jetzt ließ sie ihn los und sie gingen nun die Biegung des Weges hinauf und erblickten in der Ferne die Stadt. Türme, Dächer glänzten hervor, aber rings war Dunst und Dampf. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Und da fragen Sie, ob ich mich sehne! In der Früh, wenn ich das Fenster öffne, und hier ist alles Friede und Freude, da erschrecke ich, wie es da unten im Rauch liegt; man glaubt, die Stadt ächzen zu hören, und sie stößt schwarze Wolken aus, wie Seufzer. Hier aber ist es still und hell. Nein, ich sehne mich nicht. Ich habe alles in meinem Garten.«

Nach einer Weile sah sie ihn munter an und sagte mit leisem Spott: »Und die Liebe? Haben Sie die jetzt auch schon überwunden?«

Er blieb ernst und erwiderte: »Ich habe sie jetzt erst gelernt. Was Ihr da unten so nennt – mein Gott! Hier ist die Liebe überall. Hier lernt man erst kennen, was Baum und Busch, was Vogel und Stein ist. Und nur was man kennt, liebt man; wenn man es aber erst kennt, muß man alles lieben.«

Sie sah ihn wieder so hochmütig und spöttisch an. »Das ist etwas kühn«, sagte sie. »Ich würde eher das Gegenteil glauben.«

Er zeigte auf eine fette gelbe Blume. »Schauen Sie sich dieses Ungetüm an! Da ist Leontodon, der Löwenzahn. Den hab' ich immer nicht ausstehen können. Nun haben wir voriges Jahr da oben umgegraben und den Weg, der früher da war, zur Wiese geschlagen. Es hat aber nichts ordentlich wachsen wollen. Ich war schon ganz traurig. Plötzlich stand eines Tages der Löwenzahn da. Ich kann Ihnen gar nicht schildern, wie ich mich da über das Unkraut gefreut habe. Seitdem bin ich vorsichtig geworden; wenn ich jemanden nicht ausstehen kann, denke ich: Wer weiß, vielleicht kommt auch noch sein Tag. Man muß nur Geduld haben. Der Gärtner bringt mir manchmal Sträucher, die ich zuerst scheußlich finde. Aber dann suchen wir, und plötzlich ist ein Platz im Garten gefunden: da wirken sie auf einmal herrlich. Ich habe früher manche Farben nicht mögen. Jetzt weiß ich, daß es keine gibt, die, am rechten Orte, nicht schön wäre. Man muß nur verstehen, sie auf eine andere zu beziehen, die dann auch oft, neben jener, noch vieltausendmal schöner erscheint. Für sich allein taugt keine viel; eine braucht die andere. Man muß nur Geduld haben und suchen. Und sehen Sie, das ist die Liebe: Geduld haben und suchen.«

Da sie es nicht so gemeint hatte, wurde sie ungeduldig, und indem sie mit dem Schirm in den frischen Kies stach, sagte sie spitz: »Und die Frauen? Haben Sie uns ganz vergessen? Es gab eine Zeit …«

»Ja, es gab eine Zeit«, bestätigte er lächelnd. »Aber sind Sie nicht bös; jetzt habe ich halt auch meine eigenen Ideen. Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten, ich warne Sie vor den Männern: sie betrügen Euch alle! Darf ich Ihnen die Wahrheit sagen? Ich vermute, daß für die meisten Männer die Frauen nur wie der schwarze Kaffee oder der Tabak sind: Stimulantien, um in einen Zustand der Erregung und Bewegung zu geraten, der ihnen wohltut. Jeder Mensch erlebt Stunden, in welchen ihm plötzlich alles wie neu, alles bedeutender, sinnvoller, ja fast heilig vorkommt; er glaubt nun erst zu wissen, wozu er da ist, während er sich früher nur so herumgetrieben hat, und eine wunderbare Klarheit umgibt ihn. Plötzlich löscht das aber wieder aus, er sinkt in die Verwirrung zurück; und nun hat er nur den Gedanken, wie er sich wieder jener unvergeßlichen Erregung bemächtigen könnte, und möchte sie erzwingen. Er fängt zu trinken oder zu rauchen an, meistens zu lieben. Wer aber klug ist und ein bißchen achtgibt, kommt darauf, daß sich jene Erregungen nicht forcieren lassen; sie stellen sich entweder unwillkürlich ein, oder sie bleiben ganz aus; der Mensch hat keine Gewalt über sie. Manchmal genügt eine Rose, der Anblick des Himmels am Abend, eine Glocke, die in der Ferne tönt, um uns den Taumel, den heiligen Rausch zu geben; und dem armen Salomon haben zuletzt alle Herrlichkeiten der Welt nicht mehr genügt. Ist man so weit, dies zu erkennen, dann ergibt man sich. Man sagt sich dann: Du hast die Macht, dir durch die Pflege schöner Gedanken, guter Gefühle eine behagliche mittlere Temperatur des Lebens zu schaffen. Trachte nur, diese zu erhalten. Aber hüte dich! Glaube nicht, daß es Mittel gibt, Ekstasen zu erzwingen. Du wirst das sonst teuer bezahlen: mit Ermattungen und Erniedrigungen, die deiner Seele furchtbar sind. Nein, ergib dich und warte. Dann kommen sie von selber. Dann genügt eine Rose, die aufblüht, der Anblick des nächtlichen Himmels oder eine Glocke in der Ferne. Aber sonst wird's dir wie dem armen Salomon gehen.«

Die große Dogge schlich heran, er nahm sie am Ohr, sie rieb den langen Kopf. »Sehen Sie«, sagte er. »Die Menschen sind so dumm und glauben immer, man müsse sich nur recht viel von der Welt erwerben, um glücklich zu sein. Die Welt kann einem aber gar nichts geben, sondern jeder hat die ganze Welt in sich. Wenn ich meine Hunde erziehe, kann ich, den Aristoteles oder den Macchiavell in der Hand, kontrollieren, ob es richtig ist, was diese über die Einrichtung der Staatswesen meinen. Dem Erwachen der Natur im Frühling, ihrem Ende im Herbste zusehend, erfahre ich abgekürzt, was alle Bücher mir nicht sagen können. Die ganze Welt und alle Weisheit habe ich in meinem Garten.«

»Es wird kühl«, sagte sie, »ich will hinein.« Er brachte sie zum Wagen. Sie hielt ihm die Finger hin, er küßte sie. Sie sprach: »Ihnen ist nicht mehr zu helfen.« Er verneigte sich und erwiderte: »Nein, mir braucht man nicht mehr zu helfen!« Sie fuhr fort, er ging in seinen Garten.


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