Honoré de Balzac
Eine Evatochter
Honoré de Balzac

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Bei diesem schrecklichen Geständnis ergriff die Gräfin ihrerseits die Hand ihrer Schwester und küßte sie unter Tränen.

»Wie kann ich dir helfen?« fragte Eugenie leise. »Wenn er uns überraschte, schöpfte er Mißtrauen und verlangte zu wissen, was du mir seit einer Stunde erzählt hast. Dann müßte man lügen, und das ist bei einem schlauen und verschlagenen Mann schwer, er würde mir Fallen stellen. Aber lassen wir mein Unglück und denken wir an dich. Deine 40 000 Franken, Liebste, wären nichts für Ferdinand, der mit einem andern Großbankier, dem Baron von Nucingen, Millionen verdient. Manchmal bin ich bei Diners zugegen, wo sie sich Dinge sagen, bei denen man schaudert. Du Tillet kennt meine Verschwiegenheit, und so wird in meiner Gegenwart frei gesprochen; meines Schweigens ist man ja sicher. Nun, mir scheinen Morde auf der Landstraße noch Akte der Nächstenliebe im Vergleich mit gewissen Finanzplänen. Nucingen und er leben davon, daß sie andere zugrunde richten, wie ich von ihrer Verschwendung lebe. Bisweilen besuchen mich arme Opfer, von denen ich tags zuvor gehört habe, was ihnen bestimmt ist, und die sich zu Geschäften hergeben, in denen sie ihr Vermögen lassen sollen. Dann habe ich Lust, wie ein Leonardo in der Räuberhöhle zu ihnen zu sagen: ›Sehen Sie sich vor!‹ Aber was sollte dann aus mir werden? Ich schweige. Dies Prunkhaus ist eine Mördergrube. Und du Tillet und Nucingen werfen die Tausendfrankscheine zur Befriedigung ihrer Launen mit vollen Händen hinaus. Ferdinand kauft in Le Tillet die Stätte des alten Schlosses, um ein neues zu bauen. Er will einen Wald und herrliche Domänen dazu kaufen. Sein Sohn soll Graf werden und im dritten Geschlecht will er adlig sein. Nucingen ist seines Hauses in der Rue St. Lazare überdrüssig und baut sich einen Palast. Seine Frau ist mit mir befreundet . . . Ach!« rief sie aus, »sie kann uns von Nutzen sein. Sie ist ihrem Manne gegenüber dreist, sie hat freie Verfügung über sein Vermögen, sie wird dich retten.«

»Liebe Kleine, ich habe nur noch ein paar Stunden. Gehen wir heute abend zu ihr, sofort,« sagte Frau von Vandenesse, indem sie sich in die Arme ihrer Schwester warf und in Tränen ausbrach.

»Wie kann ich um elf Uhr abends ausgehen?«

»Ich habe meinen Wagen.«

»Was für ein Komplott schmiedet ihr da?« fragte du Tillet, die Tür des Boudoirs öffnend.

Er zeigte den beiden Schwestern ein harmloses Gesicht, das von falscher Liebenswürdigkeit strahlte. Die Teppiche hatten seine Schritte gedämpft, und die beiden Damen waren derart miteinander beschäftigt, daß sie das Vorfahren seines Wagens nicht gehört hatten. Bei der Gräfin waren Geist und Klugheit durch das Leben in der großen Welt und die Freiheit, die Felix ihr ließ, entwickelt worden, während sie bei ihrer Schwester durch die Tyrannei ihres Gatten, die der mütterlichen Tyrannei gefolgt war, unentwickelt geblieben waren. Sie sah, daß Eugenie sich durch ihr Erschrecken fast verriet, und rettete sie durch eine kecke Antwort.

»Ich hielt meine Schwester für reicher als sie ist,« antwortete sie, ihren Schwager anblickend. »Die Frauen befinden sich manchmal in Verlegenheiten, die sie ihren Männern nicht sagen mögen, wie Josefine bei Napoleon, und ich hatte sie um eine Gefälligkeit gebeten.«

»Die kann sie dir leicht erweisen, Schwägerin. Eugenie ist sehr reich,« antwortete du Tillet mit süßlicher Schärfe.

»Nur für dich, Schwager,« entgegnete die Gräfin mit bittrem Lächeln.

»Was brauchst du?« fragte du Tillet. Ihm war es nicht unlieb, seine Schwägerin in sein Garn zu ziehen.

»Dummkopf, sagte ich dir nicht, daß wir uns unsern Männern gegenüber nicht bloßstellen wollen?« erwiderte Frau von Vandenesse mit Bedacht. Sie begriff, daß sie sich dem Manne auslieferte, dessen Charakterbild ihre Schwester ihr zum Glück entworfen hatte. »Ich werde Eugenie morgen besuchen.«

»Morgen?« wiederholte der Bankier frech. »Nein, meine Frau speist morgen bei einem künftigen Pair von Frankreich, dem Baron von Nucingen, der mir seinen Platz in der Deputiertenkammer abtritt.«

»Erlaubst du ihr nicht, meine Loge in der Oper anzunehmen?« fragte die Gräfin, ohne einen Blick mit ihrer Schwester zu tauschen; so sehr fürchtete sie, daß diese ihr Geheimnis verriete.

»Sie hat ihre eigene,« versetzte du Tillet verletzt.

»Nun, dann sehe ich sie da wieder,« entgegnete die Gräfin.

»Das wäre das erstemal, daß du uns diese Ehre erweist,« bemerkte du Tillet.

Die Gräfin fühlte den Vorwurf und begann zu lachen.

»Beruhige dich,« sagte sie. »Diesmal soll es dich nichts kosten. Lebewohl, Liebste.«

»Unverschämtheit!« schrie du Tillet und las die Blumen auf, die aus dem Haarputz der Gräfin gefallen waren. »Du müßtest dir an Frau von Vandenesse ein Muster nehmen,« sagte er zu seiner Frau. »Ich wünschte, du wärest in Gesellschaft so dreist, wie deine Schwester es eben hier war. Du hast etwas Spießiges und Albernes an dir, das mich zur Verzweiflung bringt.«

Statt jeder Antwort blickte Eugenie gen Himmel.

»Nun, Madame, was habt ihr beiden denn hier getrieben?« fragte der Bankier nach einer Pause und zeigte ihr die Blumen. »Was geht vor, daß deine Schwester morgen in deine Loge kommen will?«

Die arme Sklavin brauchte die Ausrede, daß sie müde sei, und wollte hinaus, um sich auskleiden zu lassen, denn sie fürchtete ein Verhör. Da packte du Tillet seine Frau am Arme, stellte sie vor sich ins Licht der Kerzen, die in einem silbernen Armleuchter zwischen zwei köstlichen Blumensträußen brannten, und bohrte seine hellen Blicke in die seiner Frau.

»Deine Schwester war bei dir, um sich 40 000 Franken zu borgen, die ein Mann braucht, für den sie sich interessiert und der in drei Tagen wie ein Wertobjekt in der Rue Clichy hinter Schloß und Riegel sein wird,« sagte er kalt.

Die Ärmste unterdrückte ein nervöses Zittern, das sie befiel.

»Du hast mich erschreckt,« sagte sie. »Aber meine Schwester ist zu gut erzogen und liebt ihren Gatten zu sehr, um sich derart für einen Mann zu interessieren.«

»Im Gegenteil,« erwiderte er trocken. »Die Frauen, die wie ihr im Zwang und in den Pflichten der Religion erzogen sind, dürsten nach Freiheit, sehnen sich nach Glück, und das Glück, das sie wirklich haben, ist nie so groß und so schön wie das erträumte. Solche Mädchen werden schlechte Frauen.«

»Rede von mir,« sagte die arme Eugenie mit bittrem Spott, »aber laß meine Schwester aus dem Spiel. Gräfin Vandenesse ist zu glücklich und ihr Gatte läßt ihr zu viel Freiheit, als daß sie nicht an ihm hinge. Wenn dein Verdacht übrigens zuträfe, hätte sie es mir nicht gesagt.«

»Es ist so,« entschied du Tillet. »Ich verbiete dir, dich irgendwie an der Sache zu beteiligen. Mir liegt daran, daß der Mensch ins Gefängnis kommt. Das laß dir gesagt sein.«

Frau du Tillet ging hinaus.

»Sie wird mir sicherlich ungehorsam sein, und wenn ich auf sie aufpasse, kann ich alles herauskriegen, was sie tun werden,« sagte du Tillet bei sich, als er allein im Boudoir blieb. »Die armen Närrinnen wollen es mit uns aufnehmen!«

Er zuckte die Achseln und folgte seiner Frau, oder besser seiner Sklavin.

Die Anvertrauung, die Frau Felix von Vandenesse ihrer Schwester gemacht hatte, hing mit so vielen Einzelheiten ihres Lebens seit sechs Jahren zusammen, daß sie ohne eine kurze Darstellung seiner Hauptereignisse unverständlich wäre.

Zu den hervorragenden Menschen, die ihr Schicksal der Restaurationszeit verdankten, aber von den damaligen Machthabern zu ihrem eignen Unglück den Regierungsgeheimnissen ferngehalten wurden, gehörte neben Martignac auch Felix von Vandenesse, der mit mehreren anderen in den letzten Tagen Karls X. in die Pairskammer abgeschoben wurde. Diese Ungnade, die in seinen Augen freilich nur vorübergehend war, brachte ihn auf den Gedanken zu heiraten. Er tat es wie so viele aus Überdruß an galanten Abenteuern, den wilden Blüten der Jugend. Es kommt schließlich einmal ein Augenblick, da das menschliche Dasein in seinem ganzen Ernste erscheint. Felix von Vandenesse war abwechselnd glücklich und unglücklich gewesen, freilich öfter unglücklich als glücklich, wie alle, die die Liebe seit ihrem Eintritt in die große Welt in ihrer schönsten Gestalt kennengelernt haben. Solche bevorrechteten Wesen werden wählerisch. Wenn sie erst das Leben kennengelernt und Charakterstudien getrieben haben, begnügen sie sich mit einem Ungefähr und finden ihre Zuflucht in völliger Nachsicht. Man täuscht sie nicht mehr, denn sie lassen sich nicht mehr enttäuschen, aber sie hüllen ihre Resignation in Anmut. Da sie auf alles gefaßt sind, leiden sie weniger. Immerhin konnte Felix noch für einen der hübschesten und angenehmsten Männer in Paris gelten. Etwas besonders empfahl ihn bei den Damen; das war eins jener edlen Geschöpfe dieses Zeitalters, das aus Schmerz und Liebe zu ihm gestorben sein sollte; aber seine eigentliche Bildung hatte er durch die schöne Lady Dudley erhalten. In den Augen vieler Pariserinnen verdankte Felix, der eine Art Romanheld war, mehrere Eroberungen dem Bösen, das man ihm nachsagte. Frau von Manerville hatte die Reihe seiner Abenteuer beschlossen. Ohne ein Don Juan zu sein, brachte er aus der Welt der Liebe die gleiche Enttäuschung heim, wie aus der politischen Welt. Er war daran verzweifelt, das Ideal der Frau und der Leidenschaft je wiederzufinden, nachdem ihm dessen Urbild zu seinem Unglück gestrahlt hatte. Mit dreißig Jahren beschloß Graf Felix, den Kümmernissen, die ihm seine Eroberungen bereitet hatten, durch eine Heirat ein Ende zu machen.

Eins stand bei ihm fest. Er wollte ein junges Mädchen haben, das in den strengsten Lehren des Katholizismus erzogen war. Er brauchte nur zu hören, wie die Gräfin Granville ihre Töchter erzog, um die Hand der älteren zu erbitten. Auch er hatte die Tyrannei einer Mutter erfahren. Er entsann sich noch lebhaft genug seiner grausamen Jugend, um durch die Verhüllungen des weiblichen Schamgefühls hindurch zu erkennen, was unter diesem Joch aus dem Herzen eines jungen Mädchens geworden war, ob es verbittert, verhärmt, empört, oder ob es friedfertig und liebenswürdig geblieben und bereit war, sich schönen Gefühlen zu öffnen. Die Tyrannei hat ja zwei entgegengesetzte Wirkungen, die sich in zwei großen Gestalten des antiken Sklaventums symbolisieren: Epiktet und Spartakus, Haß und schlimme Gefühle einerseits, Entsagung und christliche Liebe andrerseits. Graf Vandenesse erkannte sich selbst in Maria Angelika von Granville wieder. Als er ein naives, unschuldiges und reines Mädchen freite, hatte er als junger Greis, der er war, im voraus beschlossen, die Gefühle eines Vaters mit denen eines Gatten zu verbinden. Sein Herz war, das fühlte er, von der Welt und von der Politik ausgedörrt; er wußte, daß er für ein junges Leben die Reste eines verbrauchten Lebens in Tausch gab. Den Blumen des Frühlings wollte er das Eis des Winters gesellen, die alternde Erfahrung mit der schmucken, sorglosen Unerfahrenheit gatten. Als er sich derart über seine Stellung völlig im klaren war, bezog er die Winterquartiere der Ehe mit reichlichen Vorräten. Nachsicht und Vertrauen waren die beiden Anker, die er auswarf. Die Hausmütter sollten sich solche Männer für ihre Töchter aussuchen! Der Geist gleicht einer Schutzgottheit, die Enttäuschung ist scharfblickend wie ein Chirurg, die Erfahrung vorausschauend wie eine Mutter. Diese drei Eigenschaften sind die Kardinaltugenden der Ehe. Der gewählte Geschmack, die feinen Genüsse, die Felix von Vandenesse als eleganter Mann und Liebling der Frauen gelernt hatte, die Erfahrungen der hohen Politik, die Beobachtungen seines Lebens, das abwechselnd in Arbeit, Nachsinnen und Lektüre bestand, alle seine Kräfte dienten dazu, seine Frau zu beglücken, und er bot seinen ganzen Geist dazu auf.

So gelangte Maria Angelika aus dem mütterlichen Fegefeuer stracks in das eheliche Paradies, das ihr Felix in der Rue du Rocher eingerichtet hatte. In diesem Hause hatten die geringsten Dinge einen aristokratischen Duft, ohne daß der Firnis der guten Gesellschaft das harmonische Sichgehenlassen hinderte, das sich junge liebende Menschen so wünschen. Maria Angelika genoß zunächst die Freuden des Wohlstandes bis auf die Neige. Ihr Gatte machte sich zwei Jahre lang zu ihrem Haushofmeister. Er erklärte seiner Frau langsam und mit großem Geschick alle Verhältnisse des Lebens, weihte sie Schritt für Schritt in die Geheimnisse der hohen Gesellschaft ein, brachte ihr die Genealogie aller adligen Häuser bei, lehrte sie die Welt kennen, war ihr Berater in der Kunst der Toilette und der Unterhaltung, führte sie von Theater zu Theater, ließ sie einen Literatur- und Geschichtskursus durchmachen. Diese Erziehung vollendete er mit der Sorgfalt des Liebhabers, des Vaters, des Herrn und Gatten. Doch hielt er in wohlverstandener Mäßigung mit den Freuden und Lehren Haus, ohne die religiösen Vorstellungen zu vernichten. Kurz, er führte sein Unternehmen mit vollendeter Meisterschaft durch.

Nach Verlauf von vier Jahren hatte er zu seiner Genugtuung die Gräfin von Vandenesse zu einer der liebenswürdigsten und hervorragendsten Frauen der Neuzeit gemacht. Maria Angelika hegte für Felix genau das Gefühl, das er ihr einzuflößen wünschte: wahre Freundschaft, vollempfundene Dankbarkeit und schwesterliche Liebe, die sich zur rechten Zeit mit edler und würdiger Zärtlichkeit mischte, wie sie zwischen Mann und Frau herrschen soll. Sie wurde Mutter und war eine gute Mutter. Felix fesselte seine Frau also durch alle möglichen Bande an sich, ohne daß er sie zu knebeln schien. Von den Reizen der Gewohnheit erhoffte er sich ein wolkenloses Glück. Solche Weisheit und ein solches Verfahren ist nur für Männer möglich, die das Leben von Grund aus kennen und den Zirkel der Enttäuschungen in der Politik wie in der Liebe durchmessen haben. Zudem hatte Felix an seinem Werk eine echte Künstlerfreude, genau wie ein Maler, ein Schriftsteller, ein Baumeister, der ein Denkmal aufrichtet. Ja, er genoß es doppelt, indem er sich seinem Werk widmete und den Erfolg sah, indem er seine erfahrene und naive, geistreiche und natürliche, liebenswürdige und keusche Frau bewunderte, die, junges Mädchen und Mutter zugleich, völlig frei und doch gefesselt war. Die Geschichte der glücklichen Ehen gleicht der Geschichte der glücklichen Völker. Sie läßt sich in zwei Zeilen schreiben und hat nichts von Literatur. Und da das Glück sich nur durch sich selber erklären läßt, so können diese vier Jahre nichts liefern, was nicht zart ist wie das Leingrau ewiger Liebe, fad wie Manna und nicht unterhaltender als ein Schäferroman.

Im Jahre 1833 drohte das Gebäude des Glückes, das Felix gezimmert hatte, einzustürzen. Es war in seinen Grundfesten erschüttert, ohne daß er es ahnte. Das Herz einer fünfundzwanzigjährigen Frau ist nicht mehr das gleiche, wie das eines achtzehnjährigen Mädchens, ebenso wie das Herz einer Vierzigjährigen nicht das der Dreißigjährigen ist. Es gibt vier Lebensalter im Frauenleben. Jedes Alter schafft eine neue Frau. Sicherlich kannte Vandenesse die Gesetze dieser Veränderungen, die Folgen unsrer heutigen Sitten, aber er vergaß sie bei sich selbst, wie der beste Grammatiker die Regeln vergessen kann, wenn er ein Buch schreibt, wie der größte Feldherr sich im Drange der Schlacht von den Zufällen der Kriegslage hinreißen läßt, ein unumstößliches Gesetz der Kriegskunst zu vergessen. Ein Mensch, der den Gedanken fortwährend in die Tat umsetzen kann, ist ein Genie, aber auch der genialste Mensch entwickelt nicht stets das gleiche Genie, sonst wäre er zu gottähnlich. Nach vier Jahren eines Lebens ohne seelische Erschütterungen, ohne ein Wort, das den geringsten Mißton in dies sanfte Gefühlskonzert gebracht hätte, als die Gräfin sich wie eine schöne Pflanze in gutem Boden voll entwickelt hatte und unter den Liebkosungen einer wohltätigen Sonne gedieh, die an einem ewig blauen Himmel strahlte, geschah es, daß sie sich sozusagen auf sich selbst besann. Diese Krisis ihres Lebens, der Gegenstand der vorhin geschilderten Szene, wäre ohne Erklärungen unbegreiflich. Nur durch sie läßt sich vielleicht in den Augen der Frauen das Unrecht der jungen Gräfin mildern, die ebenso glücklich als Gattin wie als Mutter war, ein Unrecht, das auf den ersten Blick unentschuldbar erscheinen muß.

Leben entsteht aus dem Gegenspiel zweier Grundtriebe; fehlt der eine, so leidet der andre. Indem Vandenesse alle Wünsche befriedigte, unterdrückte er das Verlangen, die Krone der Schöpfung, das eine ungeheuere Fülle von Seelenkräften ins Werk setzt. Die äußerste Glut, das tiefste Unglück, das vollkommene Glück, alles Unbedingte herrscht in unfruchtbaren Gebieten. Sie wollen allein sein und ersticken alles, was nicht wie sie ist. Vandenesse war keine Frau, und allein die Frauen verstehen die Kunst, Abwechslung in das Glück zu bringen. Daher ihre Gefallsucht, ihr Neinsagen, ihre Streitlust und die klugen, geistvollen Torheiten, mit denen sie heute etwas in Frage stellen, was gestern keinerlei Schwierigkeit bot. Männer können durch ihre Beständigkeit langweilen, Frauen nie. Vandenesse war ein zu grundgütiger Charakter, um eine geliebte Frau absichtlich zu quälen; er trug sie in die blaueste, wolkenloseste Unendlichkeit der Liebe. Das Problem der ewigen Seligkeit gehört zu denen, die Gott allein im nächsten Leben zu lösen vermag. Auf Erden haben die größten Dichter ihre Leser mit der Schilderung des Paradieses ewig gelangweilt. Dantes Klippe war auch die des Grafen Vandenesse: Ehre dem erfolglosen Mute! Seine Frau fand ein so trefflich geordnetes Eden schließlich etwas eintönig. Das vollkommene Glück, das die erste Frau im irdischen Paradies empfand, rief bei ihr jene Übelkeit hervor, die der Genuß alles Süßen auf die Dauer hervorruft. Es flößte der Gräfin den gleichen Wunsch ein, den Rivarol bei der Lektüre von Florian empfand: nämlich einem Wolf im Schafstall zu begegnen. Das galt wohl jederzeit als der Sinn der symbolischen Schlange, an die Eva sich wendet, wahrscheinlich aus Langeweile.

Diese Moral erscheint vielleicht gewagt in den Augen von Protestanten, die die Genesis ernster nehmen als selbst die Juden. Aber die seelische Verfassung der Frau von Vandenesse läßt sich auch ohne biblische Gleichnisse erklären. Sie fühlte gewaltige Kräfte ihrer Seele brach liegen. Ihr Glück brachte ihr kein Leid, es war ohne Sorgen und Ängste, sie zitterte nicht, es zu verlieren, es kehrte allmorgendlich wieder, mit dem gleichen Blau, dem gleichen Lächeln, den gleichen reizenden Worten. Dieser reine See war durch keine Brise gerunzelt, nicht einmal durch den Zephir; sie hätte seinen Spiegel gern bewegt gesehen. Ihr Verlangen hatte etwas Kindliches, das sie entschuldigen müßte, aber die Welt ist nicht nachsichtiger als der Gott der Genesis. Die Gräfin war geistreich geworden, sie begriff ausgezeichnet, wie verletzend ihr Gefühl sein mußte, und fand es entsetzlich, es ihrem »lieben Männchen« anzuvertrauen. In ihrer Einfalt hatte sie kein andres Liebeswort geprägt, denn die holde Sprache der Übertreibung, die die Liebesglut ihre Opfer lehrt, läßt sich nicht kalten Blutes erfinden. Vandenesse war über ihre bewundernswerte Zurückhaltung glücklich und hielt seine Gattin mit klugem Bedacht in der gemäßigten Zone der ehelichen Liebe. Überhaupt fand dieser Mustergatte die Hilfsmittel der Selbstanpreisung, das Sich-Herausstreichen, um Herzenslohn zu ernten, einer edlen Seele für unwürdig. Er wollte um seiner selbst willen gefallen, nichts den Kunstgriffen des Reichtums verdanken, Gräfin Marie lächelte, wenn sie im Bois eine mangelhaft oder schlecht angespannte Equipage sah. Ihre Augen wandten sich dann selbstgefällig ihrem eigenen Gefährt zu, dessen englisch gehaltene Pferde fast frei in ihren Geschirren trabten und ihren Abstand voneinander wahrten. Felix ließ sich nicht dazu herab, den Dank für die Mühe einzuernten, die er sich damit gab. Seiner Frau schien sein Luxus, sein guter Geschmack natürlich; sie wußte ihm keinen Dank dafür, daß ihre Eigenliebe gar nicht zu leiden hatte. So war es in allem. Güte ist nicht ohne Klippen: man schreibt sie dem Charakter zu und erkennt die stille Bemühung einer schönen Seele nur selten an. Die Bösen dagegen belohnt man für das Böse, das sie nicht tun.

Zu jener Zeit hatte Frau Felix von Vandenesse einen solchen Grad von Weltkenntnis erreicht, daß sie die ziemlich unscheinbare Rolle einer schüchternen Statistin, Beobachterin und Zuhörerin aufgeben konnte, wie sie Giulia Grisi eine Weile in den Chören des Scalatheaters gespielt haben soll. Die junge Gräfin fühlte das Zeug in sich, die Rolle der Primadonna zu übernehmen, und sie machte mehrere Versuche dazu. Zur großen Befriedigung ihres Gatten mischte sie sich in die Unterhaltung. Geistreiche Antworten und feine Beobachtungen, die sie dem Verkehr mit ihrem Gatten verdankte, verschafften ihr Beachtung, und der Erfolg machte sie kühner. Vandenesse, dem man zugestanden hatte, daß seine Frau hübsch sei, war entzückt, daß sie für geistreich galt. Nach der Heimkehr vom Ball, vom Konzert, vom Rout, wo Marie geglänzt hatte, setzte sie, wenn sie ihren Putz ablegte, eine fröhliche und selbstgewisse Miene auf und fragte ihren Gatten: »Warst du heute abend mit mir zufrieden?« Die Gräfin erregte sogar Eifersucht, unter anderm bei der Schwester ihres Gatten, der Marquise von Listomère, die sie bisher bemuttert hatte, in der Meinung, sich durch ein so unscheinbares Wesen eine Folie zu geben. Eine Gräfin Marie, schön, geistreich und tugendhaft, musikalisch und wenig gefallsüchtig, mußte zur Zielscheibe der Welt werden. Felix von Vandenesse kannte in der Gesellschaft mehrere Damen, mit denen er zwar gebrochen hatte oder die mit ihm gebrochen hatten, die aber seiner Heirat nicht gleichgültig gegenüber standen. Als diese Damen nun Frau von Vandenesse sahen, eine kleine Frau mit roten Händen, ziemlich verlegen, einsilbig und anscheinend geistig nicht sehr rege, hielten sie sich für hinreichend gerächt.

Dann kam die Katastrophe von 1830. Die Gesellschaft löste sich für zwei Jahre auf, die reichen Leute gingen während der Unruhen auf ihre Güter oder reisten in Europa, und die Salons taten sich erst 1833 wieder auf. Das Faubourg St. Germain schmollte, betrachtete aber einzelne Häuser, so das des österreichischen Botschafters, als neutralen Boden. Dort traf sich die legitimistische und die neue Gesellschaft in ihren elegantesten Spitzen. Vandenesse war durch tausend Bande des Herzens und der Dankbarkeit an die verbannte Dynastie gekettet, hielt sich aber im Vollgefühl seiner Überzeugung nicht für verpflichtet, die albernen Maßlosigkeiten seiner Partei mitzumachen. In den Zeiten der Gefahr hatte er seine Pflicht unter Lebensgefahr getan, indem er sich unter die Volksmassen mischte und sie zu Verhandlungen aufforderte. Er führte seine Frau also in eine Gesellschaft, in der seine Treue nie angefochten werden konnte.

Vandenesses alte Freundinnen hatten Mühe, die Jungvermählte in der eleganten, geistreichen, sanften Gräfin wieder zu erkennen, die sich selbst mit den feinsten Manieren der Aristokratin zur Geltung brachte. Frau von Espard und Frau von Manerville, Lady Dudley und ein paar andere, weniger bekannte, fühlten die Schlange des Neides in ihrem Busen erwachen. Sie hörten das flötende Zischen des gereizten Stolzes, waren auf das Glück von Felix eifersüchtig und hätten gern ihre schönsten Pantoffeln hingegeben, damit ihm ein Unglück zustieß. Anstatt aber der Gräfin feindlich zu sein, drängten sich diese guten Seelen an sie heran, bezeigten ihr übertriebene Freundschaft und lobten sie vor den Herren. Felix, der ihre Absichten hinreichend durchschaute, hatte ein Auge auf ihre Beziehungen zu Marie und riet ihr, ihnen zu mißtrauen. Alle errieten, daß ihr Verkehr mit der Gräfin ihrem Gatten unbequem war. Sie verziehen ihm sein Mißtrauen nicht, verdoppelten ihre Fürsorge und Zuvorkommenheit für ihre Nebenbuhlerin und verhalfen ihr zu einem Riesenerfolge – zum großen Mißfallen der Marquise von Listomère, die nichts davon begriff. Man rühmte die Gräfin Felix von Vandenesse als reizendste, geistreichste Frau in Paris. Maries zweite Schwägerin, die Marquise Charles von Vandenesse, empfand es als höchst peinlich, daß sogar ihr Name zu Verwechslungen führte und zu Vergleichen anregte. Obwohl die Marquise auch eine sehr schöne und sehr geistreiche Frau war, stellten ihre Nebenbuhlerinnen ihr ihre Schwägerin um so lieber entgegen, als die Gräfin zwölf Jahre jünger war. Die Damen wußten, wie sehr die Erfolge der Gräfin das Verhältnis zu ihren beiden Schwägerinnen trüben mußten. Diese wurden denn auch kalt und unhöflich gegen die siegreiche Marie Angelika. Das waren gefährliche Verwandte, geheime Feindinnen.

Wie jedermann weiß, kämpfte die Literatur damals gegen die allgemeine Gleichgültigkeit, die das politische Drama hervorgerufen hatte. Sie brachte mehr oder weniger an Byron gemahnende Werke hervor, die von nichts handelten als von »Eheirrungen«. Damals gaben die Verstöße gegen den Ehekontrakt den Stoff für die Zeitschriften, Bücher und Theaterstücke her. Dies ewige Thema war damals mehr denn je in Mode. Der Liebhaber, das Schreckgespenst der Ehemänner, war überall, außer vielleicht in den Ehen selbst, wo es in diesem Bourgeoiszeitalter weniger Liebhaber gab denn je. Wenn alles an die Fenster stürzt, Achtung schreit und die Straßen beleuchtet – zeigen sich dann die Diebe wohl? Gab es in jenen Jahren, die so reich an städtischen, politischen und moralischen Aufregungen waren, auch eheliche Katastrophen, so waren es doch nur Ausnahmen, die nicht so beachtet wurden, wie in der Restaurationszeit. Trotzdem sprachen die Damen untereinander viel von dem Thema, das damals die beiden Formen der Dichtung, Buch und Theaterstück, beherrschte. Oft war die Rede von dem Liebhaber, diesem seltnen und so erwünschten Wesen. Die bekannten Abenteuer bildeten den Gesprächsstoff, und diese Diskussionen wurden wie stets von makellosen Frauen geführt. Etwas verdient Beachtung, nämlich die Ablehnung derartiger Gespräche durch die Frauen, die ein unerlaubtes Glück genießen. Sie benehmen sich in der Gesellschaft prüde, zurückhaltend, ja fast schüchtern; sie scheinen jedermann um Schweigen oder um Vergebung für ihr Vergnügen zu bitten. Hört eine Frau dagegen gern von solchen Katastrophen reden, läßt sie sich die Wonnen erklären, die einen Fehltritt rechtfertigen, so kann man annehmen, daß sie am Kreuzweg der Unentschlossenheit steht und nicht weiß, welche Richtung sie einschlagen soll.

In jenem Winter hörte die Gräfin von Vandenesse die laute Stimme der Welt an ihr Ohr dröhnen, und der Sturmwind umpfiff sie. Ihre angeblichen Freundinnen, die ihren Ruf durch den Klang ihrer Namen und die Höhe ihrer Stellung in Händen hielten, malten ihr häufig die verführerische Gestalt des Liebhabers aus und warfen in ihre Seele Feuerworte über die Liebe, – des Rätsels Lösung, das den Frauen das Leben aufgibt, die große Leidenschaft, die nach dem Wort der Frau von Staël ein Beispiel gibt. Fragte die Gräfin in kleinem Kreise naiv, welcher Unterschied zwischen einem Liebhaber und einem Gatten bestände, so antwortete ihr jede der Damen, die Vandenesse ein Unglück wünschten, unfehlbar in einer Weise, die ihre Neugier stachelte, ihre Phantasie erregte, ihr Herz packte und ihre Seele fesselte.

»Mit seinem Gatten vegetiert man nur, meine Liebe, mit einem Liebhaber lebt man,« sagte ihre Schwägerin, die Marquise von Vandenesse.

»Die Ehe, mein Kind, ist unser Fegefeuer, die Liebe ist das Paradies,« sagte Lady Dudley.

»Glauben Sie es nicht!« rief Fräulein Destouches aus, »sie ist die Hölle!«

»Aber eine Hölle, in der man liebt,« bemerkte die Marquise von Rochefide. »Man hat oft mehr Freude am Leiden als am Glück, siehe die Märtyrer!«

»An der Seite eines Gatten, kleine Unschuld,« sagte die Marquise von Espard, »leben wir sozusagen unser eignes Leben. Aber lieben, das heißt das Leben eines andern leben.«

»Ein Liebhaber ist die verbotene Frucht, ein Wort, das für mich alles sagt,« lachte die hübsche Moïna von Saint-Hérem.

Ging die Gräfin nicht zu einem diplomatischen Rout oder zum Ball bei reichen Ausländerinnen, wie Lady Dudley oder die Gräfin Galathionne, so fuhr sie fast allabendlich in die Oper oder ins italienische Theater und nachher in eine Gesellschaft, sei es zur Marquise von Espard, zur Marquise von Listomère, Fräulein Destouches, der Gräfin Montcornet oder der Vicomtesse von Grandlieu, den einzigen offenen aristokratischen Häusern, und nie kehrte sie heim, ohne daß eine schlimme Saat in ihr Herz gesät ward. Man riet ihr, »sich auszuleben«, wie der damalige Modeausdruck lautete, und »verstanden zu werden«, auch ein Wort, dem die Frauen merkwürdige Bedeutung geben. Sie kehrte unruhig, erregt, neugierig und versonnen heim. Sie fand eine gewisse Leere in ihrem Leben, aber sie ging nicht so weit, es für völlig leer zu halten.

Die amüsanteste, aber auch die gemischteste Gesellschaft von all den Salons, in denen Frau Felix von Vandenesse verkehrte, fand sie bei der Gräfin von Montcornet, einer reizenden kleinen Dame, die berühmte Künstler, die Spitzen der Finanz und hervorragende Schriftsteller empfing, aber erst, nachdem sie sie einer strengen Prüfung unterworfen hatte, so daß auch die anspruchsvollsten Gesellschaftsmenschen nicht zu fürchten brauchten, irgendwen dort zu treffen, der zur zweiten Gesellschaft gehörte. Die größten Ansprüche fanden hier ihr Genüge. Während des Winters, wo die Gesellschaft sich wieder zusammenfand, hatten einige Salons, darunter die der Frau von Espard und von Listomère, des Fräuleins Destouches und der Herzogin von Grandlieu, neue Gäste unter den neuen Größen der Kunst, Wissenschaft, Literatur und Politik gewonnen. Die Gesellschaft verliert ihre Rechte nie, sie will stets unterhalten sein. Bei einem Konzert, das die Gräfin gegen Ende des Winters gab, erschien bei ihr eine der zeitgenössischen Berühmtheiten der Literatur und Politik, Raoul Nathan. Eingeführt hatte ihn einer der geistreichsten, aber trägsten Schriftsteller der Zeit, Emil Blondet, auch eine Berühmtheit, aber unter Ausschluß der Öffentlichkeit, von den Journalisten gerühmt, aber außerhalb des Faches unbekannt. Das wußte Blondet auch; überdies machte er sich keine Illusionen und sagte unter andern verächtlichen Worten, der Ruhm sei ein Gift, das man nur in kleinen Dosen nehmen dürfe.


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