Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiter Teil:
Was sich alte Herren die Liebe kosten lassen.


3. Das Geld einer schönen Dirne.

Alles falsch.

Dank Europas Gewandtheit wurde die drückendste Hälfte von den geschuldeten sechzigtausend Franken, die auf Esther und Lucien lasteten, abbezahlt, das Vertrauen der Gläubiger blieb unerschüttert und Lucien samt seinem Verführer konnte etwas aufatmen. An dem Tage nun, nachdem Esther in des Wildhüters Hause eingeschlossen war, erschien das ihr so problematische und furchtbare Wesen bei ihr und forderte die Unterschrift dreier gestempelter Papiere mit den Folterworten: »akzeptiert für 60 000 Franken«, »akzeptiert für 120 000 Franken«, und nochmals »akzeptiert für 120 000 Franken«. Im ganzen also für dreimal hunderttausend Franken Akzepte. Das Wort akzeptiert macht die Papiere zu Wechseln und unterwirft den Unterzeichneten der Schuldhaft. Der Spanier erklärte Esther: »Wir müssen Lucien aus einer Verlegenheit reißen und würden mit diesem Gelde vielleicht auskommen.«

Die Wechsel wurden von ihm um sechs Monate zurückdatiert und Carlos ließ sie auf Esther durch einen »von der Zuchtpolizei verkannten Menschen« ziehen. Es handelt sich um einen der verwegensten Industrieritter, Georg-Maria Destourny, der einmal ein paar Monate die Torpille begönnert hatte. Der hatte einen Mann unter seine Fittiche genommen, der in Paris dunkle Geschäfte machte: Herr Cérizet, der so eine Art Bank begründete und glücklich war, mit Georg zusammenzukommen. Esther konnte ganz gut als Bewahrerin von Georgs Habe gelten, nachdem dieser inzwischen unter Hinterlassung seiner Schulden geflüchtet war, und ein Blanko-Indossament mit der Unterschrift »Georg Destourny« machte Carlos zum Herrn der selbstgeschaffenen Werte: die Fälschung war gefahrlos, wenn Esther, oder ein anderer für sie, zahlte. Carlos begab sich also, als Engländer verkleidet, zu Cérizet, machte ihn auf einige dunkle Angelegenheiten aufmerksam, was ihn in tiefste Bestürzung versetzte, und hatte in wenigen Minuten einen Brief zur Bestätigung der empfangenen Werte und die Zustimmung erlangt, das Geld einzukassieren. Dann wurde beim Handelsgericht ein Prozeß angehängt, Esther durch einen Agenten vertreten, das Urteil vollstreckbar gemacht, und ein Gerichtsvollzieher begab sich nach der Taitboutstraße, wo er den Hausrat pfändete. Europa empfing ihn, und nun stand Esther scheinbar unter dem Druck von dreimalhundert und einigen tausend Franken. Ehe Carlos aber diese Frage der hunderttausend Taler anschnitt, beschloß er, Herrn von Nüßingen zunächst weitere hunderttausend Franken zahlen zu lassen.

Auf seine Anweisung spielte Asien vor dem verliebten Baron eine alte Frau, die mit den Angelegenheiten der schönen Unbekannten vertraut war. »Krieche wieder in die Haut der Frau von Saint-Estève,« wies Herrera sie an. Sie hüllte sich also in ein köstliches Gemisch einst prachtvoller, aber nun verschlissener, oder sonstwie unmöglicher Kleidungsstücke und brachte es fertig, daß der Baron sie geheimnisvoll in einem Zwischenstock in einer entlegenen Straße aufsuchte. Indem sie ihn zwischen blühender Hoffnung und vollkommener Verzweiflung hin- und herpendeln ließ, brachte sie es dahin, daß er »um jeden Preis« über alle Angelegenheiten der Unbekannten aufgeklärt werden wollte. Und unterdessen arbeitete der Gerichtsvollzieher.

Gemäß dem Geheiß seines Ratgebers besuchte Lucien das vereinsamte Ding fünf- oder sechsmal in Saint-Germain. Die Zusammenkünfte schienen dem Spanier notwendig, damit Esther nicht verfiel, denn ihre Schönheit war jetzt ein Kapital geworden. Als es soweit war, daß sie das Haus des Wildhüters verlassen sollte, führte Carlos das Pärchen an eine weltverlassene Stelle im Angesichte von Paris und sagte:

»Kinder, euer Traum ist aus. Du, Kleine, wirst Lucien nicht mehr sehen, oder siehst du ihn, dann hast du ihn nur vor fünf Jahren ein paar Tage lang gekannt.«

»Das ist mein Tod!« sagte sie, ohne eine Träne zu vergießen.

»Schön: fünf Jahre warst du krank, nun stirb, ohne uns mit Klagen zu langweilen. Aber du wirst sehen, du kannst noch recht nett leben. – Laß uns allein, Lucien, und pflücke dort abseits Sonette,« wies er den Dichter hinweg auf ein benachbartes Feld.

Lucien warf Esther einen der Bettelblicke zu, die schwachen, gierigen Menschen voll Zärtlichkeit und Feigheit eigen sind. Esther erwiderte mit einem Kopfnicken, als wollte sie sagen: »Ich will mir von dem Henker erklären lassen, wie ich den Kopf unter das Beil zu legen habe. Aber ich habe den Mut, ruhig zu sterben.«

Es war so anmutvoll und grauenhaft zugleich, daß der Dichter weinen mußte, und Esther lief zu ihm, umhalste und beruhigte ihn. Dann begann Carlos ihr ohne Umschweife Luciens kritische Lage zu schildern und den Zwang darzulegen, daß Esther sich seiner herrlichen Zukunft opfern müsse.

»Was muß ich tun?« rief sie voll taumelnder Begeisterung.

»Mir blind gehorchen, und vor allem schön bleiben. Sie stehen jetzt mit zweiundzwanzig und einem halben Jahre dank Ihrem Glücke auf dem Gipfel Ihrer Schönheit. Werden Sie wieder die Torpille, pfiffig, verschwenderisch, schelmisch, erbarmungslos gegen den Millionär, den ich Ihnen in die Hand liefere. Passen Sie auf: er ist ein Räuber großer Geldsäcke, ist gegen gar manchen erbarmungslos gewesen, hat sich an den Geldern der Witwen und Waisen gemästet. Denen werden Sie der Racheengel sein. Also Asien wird Sie in einem Wagen abholen und Sie sind heute abend in Paris. Lassen Sie erraten, daß Sie seit vier Jahren zu Lucien in Beziehungen stehen, so wäre das, als ob sie ihm eine Kugel in den Kopf jagen. Fragt man Sie also nach Ihren Erlebnissen, dann erzählen Sie, daß ein eifersüchtiger Engländer Sie auf seinen Reisen mitgeschleppt hat. Einst wußten Sie geistvoll zu schwindeln, – finden Sie diesen Geist wieder?«

Sahet ihr einmal einen bunten Papierdrachen von Golde strahlend in den Himmeln schweben? … Einen Augenblick vergessen die Kinder die Schnur, jemand schneidet sie durch und der Meteor stürzt mit entsetzlicher Geschwindigkeit kopfüber hinab. So ging es Esther, während sie Carlos zuhörte.

 

Hunderttausend Franken werden in Asien angelegt.

Seit acht Tagen handelte und feilschte Nüßingen fast täglich um das geliebte Wesen. In der Neuen Marcusstraße wohnte Asien, bald unter dem Namen Saint-Estève, bald unter dem ihres Werkzeugs, der Frau Päppelkind, als »Kleiderhändlerin.« In seinem Sturz von Aufregung zu Aufregung und von zehn- zu zehntausend Franken war der Bankier schließlich soweit gekommen, Frau von Saint-Estève sechzigtausend zu bieten, aber sie antwortete nur mit einer Grimasse, und nach einer weiteren verzweifelten Nacht und dem Eingange unerwarteter Börsengewinne war er endlich zu ihr in der Absicht gekommen, die verlangten hunderttausend Franken daran zu geben. Aber er wollte eine Menge von ihr wissen.

»Du entschließt dich also, fetter Spaßmacher?« meinte Asien und tatschte ihm auf die Schulter. Dieser Gipfel entehrender Vertraulichkeit ist der erste Zoll, den derartige Frauen von entzügelten Leidenschaften oder vertrauendem Elend fordern. Sie erheben sich nie zu Höhe der ›Kunden‹, sondern lassen sie neben ihnen im Kot Platz nehmen.

»Was hilft's? Muß ich doch!« seufzte Nüßingen.

»Bestohlen wirst du nicht,« meinte Asien, »denn für andere Frauen wird manchmal noch mehr bezahlt. Es kommt eben auf die Frau an. – Nur nicht ungeduldig! Du wirst sie schon sehen. Aber ich bin wie du: immer bar. Übrigens hat ›deine Leidenschaft‹ ein paar Torheiten gemacht; junge Mädels sind ja immer unvernünftig … Louchard ist ihr auf den Fersen. Ich selbst habe ihr fünfzigtausend geliehen.«

»Fünfzigtausend! Nu sag einer!« rief der Baron.

»Natürlich fünfundzwanzig auf fünfzig,« antwortete Asien. »Früher wohnte sie in der Taitboutstraße. Bevor sie auszog (dort sind ihre Möbel gepfändet) – hat sie die Wohnung an eine Engländerin vermietet, ein prachtvolles Frauenzimmer, die Liebste von dem Stöpsel … dem Rubempré. Da jetzt die Möbel verkauft werden sollen, hat sich die Engländerin davongemacht, zumal dem Kleinen die Sache zu teuer wurde.«

»Sie spielen die Bank?« staunte Nüßingen.

»In Naturalien: ich beleihe hübsche Frauen, das trägt doppelt.«

Sie spielte ihre Rolle so natürlich, – eine Frau, die alle Illusionen, fünf Liebhaber und ihre Kinder verloren hat, – zeigte bisweilen Pfandscheine, um ihr Mißgeschick zu beweisen, klagte über ihre Verlegenheiten und Schulden, bis der Baron auf ihre naive Widerlichkeit hineinfiel und an ihre Echtheit glaubte.

Scheen, also wenn ich geb' her die hunderttausend, wo werd ich se da sehen?« fragte er mit opferwilliger Miene.

»Du kommst heut abend im Wagen – sagen wir in die Nähe des Gymnase, das liegt auf dem Wege. Ich paß schon auf, und dann gehen wir, meine Hypothek mit den schwarzen Haaren aufzusuchen. Ach, sie hat wundervolle schwarze Haare, meine Hypothek! Löst sie den Kamm, dann steht sie wie unter einem Zelt. Aber ich rate dir, versteck die Kleine gut, denn sie sind ihr auf den Fersen und werden sie, wenn sie sie finden, ins Gefängnis stecken.«

»Kann man nicht zurückkaufen de Wechsel?« erkundigte sich der unverbesserliche Luchs.

»Nichts zu machen, der Gerichtsvollzieher hat sie in Händen … die Kleine hatte eine ›Leidenschaft‹ und hat ein Depot verzehrt, das man jetzt zurückverlangt. Irgend so ein Schelm von zweiundzwanzig Jahren.«

»Scheen, scheen, werden wer glattmachen,« meinte Nüßingen mit schlauem Gesicht. »Versteht sich doch, daß ich werd ihr Genner. – Also auf heit abend!«

Der Baron begann die schon einmal gemachte Hochzeitstoilette von neuem und in der Gewißheit des Erfolges verdoppelte er seine Anstrengungen. Um neun Uhr traf er das furchtbare Frauenzimmer am verabredeten Ort und nahm sie in den Wagen.

»Wohin?« erkundigte er sich.

»Perlstraße,« versetzte Asien. »Im Marais, eine Gelegenheitsadresse, denn deine Perle liegt im Dreck, aber du wirst sie ja waschen.«

Als sie ankamen, sagte die falsche Frau von Saint-Estève mit widerlichem Lächeln: »Noch ein paar Schritt zu Fuß, denn so dumm bin ich nicht, die richtige Adresse zu geben.«

»An alles denkst de doch,« meinte Nüßingen.

»Das ist mein Beruf,« erwiderte sie.

Asien führte also den Baron nach der Barbettestraße in ein Logierhaus zum vierten Stock empor. Als der Millionär Esther in einem jämmerlich ausgestatteten Raume im Arbeiterinnengewand beim Sticken sah, erblaßte er. Er konnte fast eine Viertelstunde lang nicht sprechen, während Asien so tat, als redete sie flüsternd auf Esther ein.

»Gnädiges Freilein,« sagte er schließlich zu dem armen Ding, »wären Se so gut, mich zu nehmen als Beschitzer?«

»Es muß doch nun einmal sein,« erwiderte Esther, und zwei dicke Tränen rannen ihr aus den Augen.

»Weinen Se nicht, ich will Se machen zur glicklichsten aller Frauen … Lassen Se sich nur von mir lieben. Denn werden Se schon sehen.«

»Kleinchen,« sagte Asien, »der Herr ist vernünftig. Er weiß, daß er schon über siebzig ist und er wird Nachsicht haben. Ja, mein Engelchen, da habe ich einen Vater für Dich gefunden … – Man muß so zu ihr sagen,« flüsterte sie dem mißvergnügten Bankier ins Ohr. »Mit Pistolenschüssen hascht man keine Schwalben.«

Sie führte Nüßingen ins Nebenzimmer: »Na, wie ist's mit unseren kleinen Abmachungen, mein Engel?«

Nüßingen zog eine Brieftasche hervor und zählte die hunderttausend Franken ab, auf die Carlos, der in einer Kammer steckte, ungeduldig wartete. Er bekam sie gleich von der Köchin gebracht.

»Das sind hunderttausend Franken, die unser Freund in Asien anlegt; jetzt soll er uns noch einiges in Europa anlegen,« meinte Carlos zu seiner Vertrauten und verschwand dann, nachdem er der Malayin noch seine Anweisungen gegeben hatte.

Als diese ins Zimmer zurückkam, fand sie Esther in Tränen gebadet. Das arme Kind hatte sich wie ein zum Tode Verurteilter einen Hoffnungsroman zurechtgelegt, und nun schlug die Stunde des Verhängnisses.

»Kinderchen,« meinte Asien, »wohin geht ihr nun aber? Denn der Baron von Nüßingen …«

Esther blickte den berühmten Bankier an und machte eine gutgespielte Bewegung des Staunens.

»Ja, Kind, der bin ich, der Baron von Nüßingen.«

»… Der Baron darf und kann nicht in diesem Stall bleiben. Also hören Sie mal. Ihr früheres Kammermädchen Eugenie …«

Eichenie?! Die in der Taitboutstrasse?« rief der Baron.

»Jawohl, die frühere Kammerzofe der gnädigen Frau, antwortete Asien, mit achtungsvollem Blick auf Esther, »wird Sie heut abend gut empfangen, und der Gerichtsvollzieher dürfte sie wohl kaum in der ehemaligen Wohnung suchen, die sie seit drei Monaten verlassen hat.«

»Kestlich, kestlich!« rief der Baron, »Ibrigens, ich hab so meine Papierchen, um Gerichtsvollzieher verschwinden zu lassen …«

»Eugenie wird Ihnen gute Dienste tun, sie ist schlau, meinte Asien.

»Kenn' ich, kenn' ich!« lachte der Millionär. »Eichenie hat mir dreißigtausend Franken abgeluchst.«

Esther machte ein so entsetztes Gesicht, daß ein herzbegabter Mann ihr sein Vermögen anvertraut hätte. Darum versetzte der Baron: »Ach, ich selbst bin gewesen daran schuld, ich bin Sie so nachgelaufen.«

Und er erzählte sein Erlebnis. Nun nahm ihn Asien beiseite.

»Sie müssen Eugenie monatlich fünfhundert Franken geben,« sagte sie. »Das ist eine nette runde Summe und dann wissen Sie immer, was die Gnädige tut. Behalten Sie sie ja als Zofe. Da Eugenie Sie schon gerupft hat, wird sie um so besser für Sie sorgen … Nichts macht eine Frau anhänglicher an einen Mann, als wenn sie ihn rupft. Aber halten Sie sie fest am Zügel: sie tut für Geld alles. Ein gräßliches Ding!«

Nüßingen, so ein tiefer Mensch, hatte eine Binde vor den Augen: er ließ sich wie ein Kind einwickeln. Vor diesem aufrichtigen, anbetungswürdigen Geschöpf, das sich die Augen trocknete, wurde er berauscht, wie im Walde von Vincennes. Er hätte ihr seinen Kassenschlüssel anvertraut! Er wurde wieder jung, hatte ein Herz voll Verehrung und wartete nur auf Asiens Verschwinden, um sich vor dieser Madonna auf die Knie zu werfen.

»Wollen Se mit in die Taitboutstraße?« fragte er.

»Wohin Sie wollen,« versetzte Esther und stand auf.

»Wohin Sie wollen! Ach, e Engel vom Himmel sind Se, lieben tu ich Se, wie wenn ich e klainer junger Mensch wär', und doch hab ich schon graue Haar' …«

»Sagen Sie nur ruhig weiße!« meinte Asien. »Denn für graue Haare sind sie zu schön schwarz …«

»Weg mit dir, ekliges Weib, du machst Geschäfte mit Menschenfleisch! Dein Geld hast de, nu spei mir nicht auf diese Liebesblite!« schrie der Baron und bezahlte durch diesen Zuruf alle ertragenen Frechheiten zurück.

»Warte nur, alter Schuft,« bedrohte Asien ihn mit einer Markthallenbewegung, die er mit Achselzucken beantwortete, »das wirst du mir ausbaden. Zwischen Bechersrand und Zecherlippe findet eine Natter Platz, und da sollst du mich finden!« zischte sie wütend über Nüßingens Verachtung.

Aber der Millionär braucht kein Unglück zu fürchten: er ist behütet. Daher sah der Baron sie kalt an wie ein Mann, der ihr eben hunderttausend Franken gegeben hatte, und diese Würde tat ihre Wirkung. Brummelnd verschwand sie die Treppe hinab; es klang recht revolutionär: sie sprach von Schafott.

»Was haben Sie ihr denn gesagt?« fragte die nähende Jungfrau. »Sie ist sonst eine gute Frau.«

»Verkauft hat se Sie, bestohlen …«

»Wenn wir im Elend sind,« versetzte die Ärmste mit einem Gesicht, darob einem Diplomten das Herz gebrochen wäre, »wer hat dann für uns Geld und Rücksicht übrig?«

»Arme Kleine,« sagte Nüßingen. »Nicht e Minute sollen Se mehr bleiben hier!«

 

Eine erste Nacht.

Als Esther nach der Taitboutstraße kam, konnte sie den Schauplatz ihres Glückes nicht ohne schmerzvolle Empfindungen wiedersehen. Sie blieb regungslos, die Tränen hemmend, auf einem Divan, ohne die Torheiten zu hören, die der Bankier stammelte. Er kniete vor ihr nieder, sie überließ ihm ihre Hände, wenn er sie nahm, aber gleichsam ohne zu wissen, welches Geschlechtes das Wesen war, das ihr die Füße wärmte, die Nüßingen kalt fand. Dieser Auftritt voll glühender Tränen, die über den Kopf des Barons strömten, und erwärmter, eiskalter Füße dauerte bis zwei Uhr morgens.

»Eichenie«, rief endlich der Baron Europa, »sehen Se doch zu, daß Se bringen Ihre Herrin ins Bett.«

»Nein!« rief Esther, und sprang wie ein scheues Pferd auf, »hier niemals!«

»Sehen Sie, gnädiger Herr, ich kenne die gnädige Frau«, sagte Europa. »Sie ist wie ein Lamm, aber man darf sie nicht vor den Kopf stoßen. Hier war sie immer unglücklich, – aber richten Sie ein nettes Haus ein, dann wird sie, unter neuen Eindrücken, Sie vielleicht besser finden, als Sie in Wirklichkeit sind. Sie wird dann engelhaft sanft sein. Und wie sie sich anzuziehen versteht! Gewiß ist es teuer, aber ein Mann soll doch dabei etwas für sein Geld haben, sagt man. Und hier, sehen Sie, sind alle ihre Kleider gepfändet und zudem seit drei Monaten unmodern. Solche Frau, – mitten unter gepfändeten Sachen! … Und für wen? Für einen Taugenichts, der sie gerädert hat … Die arme Frau!«

»Esther,« sagte der Baron, »gehn Se doch zu Bett, mein Engel! Ach, haben Se vor mir Angst, dann bleibe ich hier auf dem Kanapee.« Reinste Liebe entflammte ihn, da er Esther immer noch weinen sah.

»Also gut,« versetzte Esther, nahm seine Hand und küßte sie ihm dankbar. Ihm stieg etwas wie eine Träne ins Auge. »Ich werde Ihnen dafür erkenntlich sein.« Und sie rettete sich in ihr Zimmer, wo sie sich einschloß.

»Irgend was ist darin unerklärlich …« sagte sich Nüßingen. »Was werden se zu Hause sagen? Wie wird Frau von Nüßingen lachen!« Er legte das Ohr an die Tür, da er sich etwas zu lächerlich gebettet fand. »Gott der Gerechte, se weint immer noch!« sagte er und ging wieder auf sein Kanapee.

Etwa zehn Minuten nach Sonnenaufgang wurde der Baron aus schlechtem, unbequemem Schlummer und unbegreiflich wirren Träumen jählings von Europa geweckt: »Ach Gott, gnädige Frau!« rief sie, »Soldaten! Gendarmen! Polizei! Sie sollen verhaftet werden …«

Eben trat Esther, kaum in ihren Morgenrock gehüllt mit den bloßen Füßen in Pantoffeln, ungeordnetem Haar und schön genug, um einen Erzengel zu verführen, durch die Tür, als in den Salon ein Strom von Menschenauswurf zehnfüßig auf die Himmelstochter zustürzte. Einer trat vor: Contenson, der gräßliche Contenson, und legt seine Hand auf Esthers Schulter: »Sind Sie Fräulein Esther van …?

Europa warf ihn mit einer Ohrfeige um so leichter auf den Teppich, als sie ihm zugleich einen scharfen Hieb in die Beine versetzte, wie man ihn vom Boxen her kennt. »Zurück, man rührt meine Herrin nicht an!«

»Sie hat mir das Bein zerschlagen!« schrie Contenso und richtete sich auf. »Das wird man mir bezahlen.«

Aus der Schar widerlicher Gestalten trat Louchard hervor. Er war sauberer gekleidet als die anderen, hatte aber gleich ihnen den Hut auf dem Kopf und verzog sein Gesicht zu süßlichem Lächeln: »Gnädiges Fräulein, ich verhafte Sie,« sagte er zu Esther; und zu Europa: »Merken Sie sich, liebes Kind, jede Auflehnung wird bestraft und Widerstand ist nutzlos.«

Alles ging so schnell, daß der Baron keine Zeit gefunden hatte, einzugreifen. Aber nun warf er sich zwischen Esther und die Schar, die den Hut abnahm, als Contenson rief: »Der Herr Baron von Nüßingen.«

Auf einen Wink Louchards leerte sich das Zimmer von den respektvoll grüßenden Bütteln. Nur Contenson blieb. Mit dem Hute in der Hand fragte er: »Bezahlt der Herr Baron?«

Ilustration: Lutz Ehrenberger

»Ich bezahl, aber ich mecht' doch erst wissen, um was dreht sich's?«

»Dreihundertzwölftausend Franken und einige Centimes einschließlich Kosten, aber ausschließlich der Verhaftung.«

»Dreihunderttausend Franken!« rief der Baron. »En teires Erwachen für e Nacht auf'm Kanapee,« flüsterte er Europa ins Ohr. – »Ich sag' für se gut, aber lassen Se mich mit ihr e Wort reden.«

Der Baron trat mit Esther ins Schlafzimmer. Louchard hielt es für gut, zu lauschen. »Mehr als mein Leben hab ich Se lieb, Esther, aber wozu Geld geben an de Glaibiger, das in Ihrer Tasche besser am Platz wäre? Gehen Se ins Gefängnis, ich kauf de Schuld vor hunderttausend und de zweihunderttausend bleiben vor Sie …!«

»Das nützt nichts,« rief Louchard, »der Gläubiger ist in die Gnädige nicht verliebt und will mehr als alles, weil er Sie in sie vernarrt weiß.«

»Olwel!« rief der Baron ihm zu, riß die Tür auf und holte ihn ins Schlafzimmer.

»Heer doch: ich geb der für dich finf Perzent, wenn de de Sache machst glatt!!«

»Ausgeschlossen, Herr Baron.«

»Sie könnten das Herz haben, Herr Baron, meine Herrin ins Gefängnis gehen zu lassen?« rief Europa und trat ein. »Aber wenn Sie meine Ersparnisse wollen, gnädige Frau? Nehmen Sie nur, ich habe schon vierzigtausend Franken …«

»Ach, armes Ding, ich kannte dich nicht!« rief Esther und schloß Europa in ihre Arme. Und Europa brach in Tränen aus.

»Ich bezahl ja schon,« sagte der Baron kläglich, holte ein Heftchen hervor und riß einen der kleinen Zettel heraus, die nur mit Ziffern und Buchstaben ausgefüllt zu werden brauchen, um zu einer Anweisung zu werden.

»Bemühen Sie sich nicht, Herr Baron,« sagte Louchard, »ich bin angewiesen, nur in Gold oder Silber Zahlung entgegenzunehmen. Bei Ihnen freilich würde ich mich mit Banknoten begnügen.«

»Der Teifel!« rief der Baron, »zeigen se mer doch de Wechsel.« Contenson reichte ihm drei Aktenhefte, die der Baron nahm, während er dem anderen zuflüsterte: »Hätt'st de mich gewarnt, dann hätt'st de einen bessern Tag gehabt.«

»Wußt ich's denn, daß Sie hier sein würden? Ihr Pech ist, daß Sie mir Ihr Vertrauen entzogen. Sie werden gerupft.«

»Freilich,« sagte der Baron, und als er die Wechsel gesehen hatte, rief er Esther zu: »Sie sind einem argen Schwindler in die Händ' gefallen!«

»Sie verlieren den Kopf, Herr Baron,« sagte Louchard.

»Es gibt einen zweiten Indossanten!«

»Freilich! Ein zweiter Indossant. Contenson, mein Kassier wohnt um de Ecke herum. Gehen Se mit dem Brief zu ihm, und wenn unser Geld liegt auf der Bank, soll er die hunderttausend Taler holen bei Kellers!«

Louchard nahm die Papiere wieder an sich und blieb mit dem Baron im Salon, bis nach einer halben Stunde Contenson mit dem Kassier eintraf. Esther erschien in einer entzückenden Toilette, und als das Geld gezahlt war und der Baron die Papiere genau prüfen wollte, nahm sie sie mit katzenähnlicher Geschwindigkeit und verschloß sie in ihrem Sekretär.

Louchard ging und wurde unterwegs von Asien festgehalten: »Der Gerichtsvollzieher und der Gläubiger sitzen dort in einer Droschke und Sie haben Durst! Da gibt's was zu heben!«

Während Louchard das Geld aufzählte, besah sich Contenson die Kunden. Er bemerkte Carlos Augen, gewahrte die Gestalt der Stirn unter der Perücke, und die Perücke schien ihm mit Recht verdächtig. Er merkte sich die Nummer des Wagens und sagte sich, daß der Baron von recht geschickten Leuten geneppt werde, zumal Europas Beinhieb ihm aufgefallen war. Aber als Carlos den Gerichtsvollzieher wegschickte, ließ er sich zum Palais Royal fahren, und zwar so schnell, daß eine Verfolgung wohl nicht zu fürchten war, glitt durch die Gänge, nahm auf der anderen Seite einen anderen Wagen und gelangte in ähnlicher Weise schließlich in die Taitboutstraße, wo er rasch die Papiere vernichtete. Doch er war noch nicht zufrieden und entwarf sofort einen großen Plan, wie er durch Schneiderrechnungen, geliehene Pfandscheine und ähnliche Kunststücke schnell weitere hundertfünfzigtausend Franken aus dem Baron herauspressen konnte. Europa war ihm mit guten Ratschlägen behilflich, aber Carlos sagte: »Immer ruhig, denn ich brauche außer alledem immer noch fünfhunderttausend.«

»Die sind doch zu kriegen,« meinte Europa. »Läßt sich die gnädige Frau für sechsmalhunderttausend erweichen, dann kann sie immer noch vierhunderttausend verlangen, um ihn von Herzen zu lieben.«

»Nun, Töchterchen,« versetzte Carlos, »wenn ich die letzten hunderttausend in der Tasche habe, fallen zwanzigtausend für dich ab. Dann kannst du nach Valenciennes zurück, ein hübsches Geschäft kaufen und eine anständige Frau werden. Paccard denkt bisweilen daran, – auf dem Buckel hat er nichts und auf dem Gewissen nur wenig. Ihr würdet gut zueinander passen.«

»Nach Valenciennes?!?! Wie wäre das möglich?!!« rief Europa erschrocken. Sie war eine arme Weberstochter, Prudentia Servien, die in eine Mordangelegenheit hineingezogen worden war und durch ihre Aussage dem Angeklagten zwanzig Jahre Zwangsarbeit eintrug. Der Verbrecher hatte ihr daraufhin gedroht, sie kalt zu machen, und da das Gericht und die Polizei Verbrechen niemals hindern können, sondern nur die vollendeten Tatsachen hinnehmen müssen, so zog sie es vor, im Sumpfe von Paris zu verschwinden. Immer hing Durut, der Sträfling, als Damoklesschwert über ihrem Kopfe, und ihre Ergebenheit zu dem Meister war begreiflich: hatte er ihr doch versprochen, sie von dem Verbrecher zu befreien, wenn sie ihm wie einem Teufel dienen wollte. Aber wer kannte den Theaterkoup, den Carlos vorbereitete?!

»Ja, Töchterchen, du kannst nach Valenciennes zurückkehren … Lies nur!« Und er reichte ihr ein Zeitungsblatt vom Tage zuvor, wo folgende Ankündigung stand: »Toulon. Gestern war die Hinrichtung von Johann Franz Durut … Mit Tagesanbruch begann die Garnison … usw.«

Prudentia ließ die Zeitung fallen, ihre Beine knickten.

»Du siehst, ich habe Wort gehalten. Vier Jahre brauchte ich, um Duruts Kopf zu Fall zu bringen, indem ich ihn in eine Falle lockte. Also, – vollende mein Werk, dann wirst du mit zwanzigtausend Franken ein kleines Geschäft führen und die Frau Paccards werden, dem ich als Ruhegehalt die Tugend zubilligen will.«

Während Europa immer wieder den Artikel durchlas, der ausführlich den üblichen Verlauf der Hinrichtung schilderte, meinte Carlos: »Wir müssen Asien wieder ins Haus hineinbringen. Sie muß erzählen, daß sie ihr Geld im Spiel verloren hat und wieder Dienst nehmen muß. Paccard wird Kutscher, – oben auf dem Bock ist er nicht so leicht auszuspionieren …« und so gab er seine Anweisungen, wie das Personal zusammenzustellen sei. In diesem Augenblick kam Paccard und meldete, daß Leute auf der Straße seien. Diese beunruhigende Mitteilung veranlaßte Carlos, sich in Europas Zimmer zu verstecken, bis es ihm möglich war, unbemerkt in einem Mietswagen davonzufahren und so schnell, daß jede Verfolgung unmöglich sein mußte, zu Luciens Wohnung zu gelangen. Er zeigte dem Dichter vierhunderttausend Frankenscheine und setzte ihm auseinander, daß mit dieser Anzahlung durch einen geschickten Anwalt – er empfahl ihm einen gewissen Desroches – allmählich der Landsitz der Rubemprés aufgekauft werden könne.

»Wir sind gerettet!« rief Lucien geblendet.

»Du freilich,« meinte Carlos. »Aber ich habe Neugierige auf den Fersen. Ich muß jetzt einen wirklichen Priester spielen, und das ist recht langweilig. Mit dem Brevier unter dem Arm werde ich nicht mehr den Schutz des Teufels genießen.« –

 

Gewinne und Verluste.

In der Gewißheit, früher oder später Esther zu besitzen, wurde der Baron wieder der große Finanzmann von ehedem. Er nahm seine Geschäfte so energisch auf, daß sich sein Kassier am nächsten Tage bei Durchsicht der Werte vergnügt die Hände rieb und zu der Einsicht kam, daß der Baron in der gestrigen Nacht eine schöne Ersparnis gemacht hatte. Während des Gewimmels von Audienzen, Befehlen und kurzen Besprechungen wurde Nüßingen ein Wechselmakler gemeldet, der ihm das Verschwinden eines der reichsten Mitglieder der Gesellschaft, Jakob Falleix', berichtete. Der Baron hatte den Zusammenbruch dieses seines offiziellen Wechselmaklers im Einverständnis mit Du Tillet und den Kellers kalt berechnend heraufbeschworen. »Er hat sich nicht kännen halte,« meinte er ruhig. Darf man von einem Luchs Dankbarkeit für erwiesene Dienste erwarten?

»Der arme Kerl!« bemerkte der Wechselmakler. »Er hatte diese Wendung so wenig erwartet, daß er eben noch seiner Geliebten, der Du Val-Noble, in der Sankt-Georgstraße ein Häuschen eingerichtet und mit Gemälden und Möbeln für hundertfünfzigtausend Franken ausgestattet hatte. Alles ist noch unbezahlt und die Frau muß es nun stehen und liegen lassen.«

»Scheen, scheen,« überlegte sich Nüßingen, »da werden wer die Verluste der Nacht wieder einbringen.«

»Das Haus scheint einen erlesenen Keller zu haben, übrigens ist es zu verkaufen, er selbst wollte es erstehen. Jetzt kommt alles zur Masse, und was haben die Gläubiger davon?«

Der Baron ließ sofort einen Notar beauftragen. Er wußte von dem Haus, das höchstens sechzigtausend Franken wert war, und wollte es in Besitz bekommen, um durch die Mieten Pfandrecht zu erlangen. Sein Kassier erkundigte sich, ob er bei dem Bankerott etwas verlöre.

»Im Gegenteil, einspringen werd ich mit hunderttausend Franken. Ich kauf das kleine Haus und krieg' das ganze, wenn ich werd bieten den Gläubigern fünfzigtausend. Bald wird Esther ein klaines Palee bewohnen. Glatt geht mer das, ganz wie e Handschuh.«

Nun mußte er zur Börse, aber der Weg führte über die Taitboutstraße und er war beglückt, »sainem Engel« die Umsiedelung nach der Sankt-Georgstraße berichten zu können. Er ging wie ein Jüngling, träumte wie ein Jüngling, als er plötzlich Europa mit verstörtem Gesicht auf sich zustürzen sah: »Ach, gnädiger Herr, eben will ich zu Ihnen. Sie hatten gestern ja so recht. Ja, die arme gnädige Frau hätte für ein paar Tage ins Gefängnis gehen sollen. Aber was verstehen Frauen von Geldgeschäften? Die Gläubiger haben gehört, daß sie wieder in ihrer Wohnung ist und fallen nun wie die Raben über sie her. Die gnädige Frau ist eben ganz Herz und darum hat sie diesem Ungeheuer, den Destourny, einen Gefallen tun wollen.«

»Mit gezeichnete Karten hat er gespielt, der Kerl!«

»Na und was tun Sie?« meinte Europa. »Was machen Sie denn an der Börse? … Also hören Sie: damit sich Georg nicht eine Kugel durch den Kopf schoß, hat sie ihr ganzes Silberzeug und ihren Schmuck aufs Leihhaus getragen. Und dabei war beides nicht bezahlt. Jetzt kommen alle und drohen mit Polizei und Gericht! … Sie schwimmt in Tränen, will ins Wasser springen …«

»Komm' ich mit, denn ist's mit der Börse nix,« rief Nüßingen, »und da muß ich hin, um für sie zu gewinnen. Geh hin, sag ihr, ich werd kommen um vier Uhr, die Schulden zahlen … Aber sag ihr, daß sie mich soll e bißchen lieb haben!«

»Ein bißchen? Gehörig! Sehen Sie, nur mit Großmut kann man Frauenherzen gewinnen. Wissen Sie, was sie gesagt hat? Eugenie, er hat ein großes Herz, – er ist eine schöne Seele!«

»Hat se das wirklich gesagt?« rief der Baron.

»Aber gewiß, gnädiger Herr, zu mir selbst.«

»Hier nimm die zehn Louis …«

»Danke! Ach, sie weint, weint seit gestern soviel wie die heilige Magdalena in einem ganzen Monat. Und das nur für Schulden! Ach, die Männer! Die pressen die Frauen aus, genau wie Frauen alte Herrn beuteln … Wie?«

»Verbirgen! Wie kann mer sich verbirgen? Nie soll se mehr was unterschreiben. Ich bezahl, aber wenn se noch mal gibt e Unterschrift …«

»Was täten Sie dann?« reckte sich Europa.

»Gott der Gerechte, ich hab ja kaine Gewalt über sie … Ich werd in die Hand nehmen ihre klainen Geschäfte. Geh, tröste se, sag ihr, daß se wird bewohnen in einem Monat e klaines Palee!«

»Herr Baron, das Geld, das Sie in Frauenherzen angelegt haben, wird sich hoch verzinsen. Sie sind schon ganz jung geworden … Sie werden sehen, was Ihnen Ihre Auslagen einbringen werden. Und hat die Gnädige erst keine Sorgen mehr, dann werden Sie sie kennen lernen. Denken Sie nur, was sie heut Nacht wollte, als sie so schrecklich weinte: durchgehen wollte se!«

»Durchgehen!« rief der Baron entsetzt. »… aber nein, die Börse! Geh, geh, ich kann nicht zu ihr gehn, aber sehn möcht ich se gern am Fenster. Ihr Anblick wird mir Mut machen …«

Und als er am Hause vorbeikam, lächelte ihm Esther zu, und er schritt plump seines Wegs und sagte sich: »E Engel is se!«

Um diesen unmöglichen Erfolg zu erzielen, war Europa zu Esther, die auf Lucien wartete, in die Stube geeilt und hatte mit einem Blick durchs Fenster gesagt: »Da kommt der gnädige Herr!«

Sie glaubte Lucien zu erblicken, stürzte hin und sah Nüßingen. »Ach, wie quälst du mich,« seufzte sie.

»Es war dies das einzige Mittel, um den Eindruck zu erwecken, daß Sie einen armen alten Knacker beachten, der Ihre Schulden bezahlen wird,« versetzte Europa. »Denn jetzt werden sie alle bezahlt.« Und sie erzählte, daß Carlos schon beinahe vierhundertfünfzigtausend Franken eingeheimst und weitere hundertfünfzigtausend als Schulden in Bereitschaft habe, daß aber der Baron das sehr nett hingenommen habe und sie in ein »Klaines Palee« verpflanzen wolle. Esther hörte Europa, Eugenie, Prudentia Servien, nicht mehr zu. Der Wille eines Mannes, eines Genies der Verderbtheit, hatte sie also wieder mit derselben Kraft in den Kot zurückgeschleudert, mit der er sie herausgerettet harte. Sie hatte ihr früheres Leben völlig vergessen, hatte in vollkommenster Tugend gelebt und war nur dadurch in ihrer Ergebenheit zur Zustimmung irgend welcher Schufterei gebracht worden, daß sie sich vor vollendete Tatsachen gestellt sah. Man kann daraus ersehen, durch welche Schlauheit der Verführer sich Leute fügsam macht: Zwangslagen schaffen, Minen legen, mit Pulver füllen und im entscheidenden Augenblicke sagen: »Nur eine Regung und alles fliegt in die Luft!«

Einst hatte Esther, von der Sondermoral der Kurtisanen durchtränkt, solche Scherze sehr natürlich gefunden; Nebenbuhlerinnen wurden nur danach eingeschätzt, wie sehr sie einen Mann zu schröpfen wußten. Rechnete Carlos also auf Esthers Erinnerungen, so hatte er sich nicht getäuscht. Solche Kriegslisten beunruhigten ihren Sinn nicht: das einzige, was sie fühlte, war ihre Erniedrigung. Sie liebte Lucien und sollte die anerkannte Geliebte des Barons werden: darin lag für sie alles. Mochten die anderen dem verliebten alten Bankier Vermögen entlocken! Aber sie hatte sich fünf Jahre lang engelhaft weiß gesehen, hatte geliebt, war glücklich gewesen, hatte nicht den Schatten einer Untreue auf dem Gewissen. Und nun sollte diese schöne reine Liebe beschmutzt werden. Sie war weiß und wurde schwarz, war rein und wurde unrein, war edel und wurde unedel. Deshalb kam ihr nun, da der Baron ihr mit seiner Liebe drohte, der Gedanke, aus dem Fenster zu springen. Als sie jetzt Europa sagen hörte: »Wer in Paris ein Haus und Renten besitzt, braucht nicht mehr zu fürchten, daß er auf der Straße endet …« sprang sie jäh auf und rief: »Auf der Straße enden? Nein, lieber in der Seine …«

»In der Seine? Und Herr Lucien?« warf Europa ein. Dies eine Wort warf Esther in ihren Sessel zurück und dort blieb sie mit starren Augen, und die Glut ihres Schädels verzehrte ihre Tränen. So fand sie Nüßingen in einem Meer von Gedanken, als er um vier Uhr zu ihr kam.

»Machen Se de Stirn glatt, Scheenste,« tröstete er sie und setzte sich neben sie. »Schulden werden Se nich mehr haben und in einem Monat sind Se draußen aus der Wohnung und ziehn in e klaines Pallee. Ach die hibsche Hand … Lassen Se mich se kissen …« Esther überließ ihm die Hand. »Ach, Se geben mer zwar de Hand, aber nich das Herz … Gerade das Herz lieb ich doch …«

Er sagte das so wahrhaftig, daß Esther ihn mit einem Ausdruck des Mitleides betrachtete, der ihn fast närrisch machte. »Ach der arme Kerl!« sagte sie, »er liebt.«

Als der Baron dies Wort hörte, das er mißverstand, wurde er bleich, das Blut schoß ihm durch die Adern und er atmete Himmelsluft. In seinem Alter zahlt ein Millionär für derartige Empfindungen so viel Gold, als eine Frau ihm dafür abverlangt.

»Ach, lieb habe ich Se, wie meine Tochter,« seufzte er, »und ich spire hier,« er legte die Hand aufs Herz, »daß Se werden ganz und gar glicklich sein. E paar Dummheiten haben Se gemacht, wie alle hibschen Frauen, aber da ist nix bei. Reden wer nicht mehr davon. Es is ja unser Beruf, für euch zu verdienen Geld. Also sein Se glücklich: Fir e paar Tage will ich sein Ihr Vater, denn gewehnen müssen Se sich erst doch an mein Gestell.«

»Ganz wahr!« rief sie, sprang ihm auf die Knie, legte den Arm um seinen Hals, küßte ihn auf die Stirn und dachte an einen unmöglichen Ausgleich: rein bleiben und Lucien sehen. Die Torpille kam wieder zum Vorschein, die den Greis behexte, bis er versprach, vierzehn Tage lang ihr Vater zu bleiben. Bis dahin war das neue Haus fertig.

Als er auf der Straße stand, sagte sich der Baron: »E Stiefel bin ich!«

Wirklich, vor Esther wurde er ein Kind, aber außer ihrem Bannkreise schlüpfte er wieder in die Luchshaut.

»E halbe Million und nicht e mal wissen, was für e Bain se hat. Aber glücklicherweise weiß niemand e'was davon,« sagte er zwanzig Tage später. Und er beschloß, mit der Frau zu brechen, die so viel Geld kostete. Und als er dann wieder vor ihr stand, verbrauchte er seine ganze Zeit, um die Brutalität seiner ersten Worte wieder gut zu machen. Und am Ende des Monats kam er zu dem Schluß: »Ich kann doch nicht der ewige Vater sein!«

 

Zwei Liebesgefühle im Kampf.

Gegen Ende Dezember 1829 richtete der Baron, bevor er Esther in das kleine Haus der Sankt-Georgstraße übersiedeln ließ, an Du Tillet die Bitte, Florine mitzubringen: sie sollte nachschauen, ob alles zum Vermögen eines Nüßingen paßte und ob das Wort »E klaines Palee« durch die Künstler verwirklicht worden war, die beauftragt waren, den Vogelkäfig des Vogels würdig herzurichten. Tatsächlich erschufen alle Erfindungen des Luxus vor der Revolution von 1830 aus dem Häuschen ein Musterbeispiel des guten Geschmackes. Florine rief lachend aus: »Ja, das ist mein Traum! Das und die Tugend. Und für wen all diese Kosten? Hat sich eine Jungfrau vom Himmel herniedergelassen?«

»Aufstaigen tut se zum Himmel, diese Frau!« erwiderte der Baron.

»Das nennt man, den Jupiter spielen,« versetzte die Schauspielerin. »Und wann bekommt man sie zu sehen?«

»Sicher, wenn der Einweihschmaus gefeiert wird!« rief Du Tillet.

»Vorher nicht …« bestätigte der Baron.

»Und wann geschieht das?«

»Darüber kann ich nicht bestimmen.«

»Sieh einer, was für eine Frau!« rief Florine. »Ach, wie gern möchte ich sie sehen!«

»Ich auch,« versetzte der Baron naiv.

In den ersten Tagen des Jahres 1830 sprachen alle Leute in Paris von Nüßingens Leidenschaft und dem zügellosen Luxus in seinem Hause. Als sich der arme Baron derart verspottet und aufgezogen sah, packte ihn eine begreifliche Wut und er setzte sich den Willen eines Finanzmannes in den Kopf, der seiner Leidenschaft im Herzen entsprach. Er hatte den glühenden Wunsch, zugleich mit der Erledigung der Einweihungsfeier auch das Gewand des Heldenvaters an den Nagel zu hängen und den Lohn für so viele Opfer einzuheimsen. Da die Torpille ihn stets siegreich abschlug, entschloß er sich, diese Ehefrage schriftlich zu erledigen, um von ihr ein chirographisches Zugeständnis zu erlangen. Bankiers glauben nun einmal nur an Wechselbriefe. So erhob sich denn der Luchs an einem der ersten Jahrestage frühzeitig, schloß sich in sein Kabinett ein und baute einen Brief, der sprachlich fehlerlos war, denn konnte er auch nicht richtig sprechen, so verstand er doch vortrefflich zu schreiben:

 

»Teure Esther, Blüte meiner Gedanken und einziges Glück meines Lebens! Als ich Ihnen sagte, daß ich Sie wie eine Tochter liebe, betrog ich Sie und mich. Ich wollte damit nur die heilige Reinheit meiner Gefühle ausdrücken, die keinen von Menschen erlebten Empfindungen gleichen: vor allem, weil ich ein Greis bin, aber auch, weil ich nie geliebt habe. Ich liebe Sie so, daß ich selbst dann nicht weniger lieben würde, wenn Sie mir mein Vermögen kosten würden. Seien Sie gerecht! Die meisten Menschen hätten nicht, wie ich, einen Engel in Ihnen gesehen: ich aber warf nie einen Blick auf Ihre Vergangenheit. Ich liebe Sie zugleich wie meine Tochter Augusta, mein einziges Kind, und so, wie ich meine Frau lieben würde, wenn meine Frau mich geliebt hätte. Ist Glück die einzige Absolution für einen verliebten Greis, dann fragen Sie sich, ob ich nicht eine lächerliche Rolle spiele. Ich habe aus Ihnen den Trost, die Freude meiner alten Tage gemacht. Sie wissen recht gut, daß Sie bis zu meinem Tode so glücklich sein werden, als eine Frau nur sein kann, wissen auch, daß Sie nach meinem Tode reich genug sein werden, um von gar manchen Frauen ob Ihres Geschickes beneidet zu werden. In allen Unternehmungen, die ich seit dem glücklichen Augenblick unseres ersten Gesprächs anpacke, steht Ihr Anteil voran, und Sie besitzen im Hause Nüßingen Ihr Konto. In einigen Tagen betreten Sie ein Haus, das Ihnen früher oder später gehören wird, wenn es Ihnen gefällt. Aber werden Sie mich auch dort als Ihren Vater empfangen, oder werde ich endlich glücklich sein? …

»Verzeihen Sie diese nackte Frage – wenn ich bei Ihnen bin, fehlt mir ja der Mut und ich fühle zu sehr, daß Sie meine ›Herrin‹ sind! Ich will Sie nicht kränken, sondern nur sagen, wie sehr ich leide, wie grausam das Warten in meinem Alter ist, wo jeder Tag mir Hoffnungen und Freuden raubt. Meine zartfühlende Zurückhaltung ist übrigens eine Bürgschaft für die Aufrichtigkeit meiner Absichten. Habe ich je wie ein Gläubiger gehandelt? Sie gleichen einer Festung, und ich bin kein junger Mann mehr. Auf meine Klagen entgegnen Sie, daß es um Ihr Leben gehe, und höre ich Sie, dann überzeugen Sie mich; hier aber gerate ich in schwarzen Kummer, in Zweifel, die uns beide entwürdigen. Sie erschienen mir stets so gut und rein, wie schön; aber Sie tun alles, um meine Überzeugung zu zerstören. Urteilen Sie selbst! Sie behaupten, eine Leidenschaft, eine erbarmungslose Leidenschaft im Herzen zu tragen, aber Sie verweigern es, mir den Namen des Mannes anzuvertrauen, den Sie lieben … Ist das natürlich? Sie haben es fertig gebracht, aus einem Gewaltmenschen einen unerhörten Schwächling zu machen … Sehen Sie nur, wohin ich damit gekommen bin! Ich bin genötigt, Sie zu fragen, welche Zukunft meiner Stellung in fünf Monaten durch Sie blüht. Ja, ich müßte eigentlich wissen, welche Rolle ich bei der Einweihung Ihres Hauses spielen werde. Für Sie spielt Geld bei mir keine Rolle – ich bin nicht so dumm, diese Nichtachtung vor Ihnen herauszustreichen, aber ich will sagen: Ist meine Liebe unbegrenzt, so ist mein Reichtum beschränkt, und ich hänge nur um Ihretwillen daran. Könnte ich arm Ihre Zuneigung erringen, wenn ich Ihnen alles, was ich besitze, hingegeben hätte, dann wäre ich lieber arm und von Ihnen geliebt, als reich, aber mißachtet. Sie haben mich so verwandelt, meine teure Esther, daß mich niemand mehr erkennt: ich habe 10 000 Franken für ein Bild von Joseph Bridau bezahlt, weil Sie mir sagten, daß er begabt, aber verkannt sei. Jedem Armen, dem ich begegne, gebe ich in Ihrem Namen fünf Franken. Und was verlangt nun der arme Greis, der sich als Ihr Schuldner betrachtet, wenn Sie ihm die Ehre antun, irgend etwas anzunehmen? … Nur eine Hoffnung, und – großer Gott! – welch winzige Hoffnung? Ist's nicht einzig die Gewißheit, nur das von Ihnen zu erlangen, was meine Leidenschaft sich raubt? Aber die Glut meines Herzens wird Ihren grausamen Täuschungen behilflich sein. Sehen Sie: ich bin bereit, alle Bedingungen einzugehen, die Sie meinem Glücke, meinen seltnen Freuden auferlegen. Nur sagen Sie mir zu, daß Sie an dem Tage, der Sie zur Besitzerin Ihres Hauses macht, das Herz und die Knechtschaft eines Mannes annehmen, der sich für den Rest seiner Tage nennt

Ihr Sklave
Friedrich von Nüßingen.«

 

»Er langweilt mich, der Millionentopf!« rief Esther, die wieder Kurtisane geworden war. Und sie nahm einen Wisch und schrieb Scribes berühmten Satz darauf, so oft es ging: »Nehmen Sie meinen Bären!«

Eine Viertelstunde später bekam sie Gewissensbisse und schrieb folgenden Brief:

 

»Herr Baron, beachten Sie nicht den Brief, den Sie eben von mir erhielten, denn ich hatte einen Rückfall in tolle Jugendlaunen. Verzeihen Sie mir, ich bin ja nur ein armes Ding, das eine Sklavin zu sein hat. Niemals spürte ich deutlicher meine gedrückte Lage als an dem Tage, da ich daraus befreit wurde. Sie haben gezahlt, ich schulde Ihnen mich selbst. Es gibt nichts Geheiligteres, als Unehrenschulden. Ich habe nicht das Recht, die Sache zu ›liquidieren‹, indem ich mich in die Seine werfe. Solch häßliche Münze beim Schuldenzahlen hat nur für den einen Teil etwas Gutes. Sie finden mich also ganz zu Ihren Diensten. Ich will in einer einzigen Nacht all die Riesensummen zurückbezahlen, die mich seit jenem verhängnisvollen Augenblicke belasten, und ich habe die Gewißheit, daß eine Stunde bei mir um so mehr den Wert von Millionen hat, als es die einzige, die letzte sein wird. Dann bin ich quitt und kann aus dem Leben verschwinden. Eine anständige Frau hat Aussichten, sich nach einem Fall wieder zu erheben; aber wir, wir fallen zu tief. Mein Entschluß ist also gefaßt, und ich bitte Sie deshalb, diesen Brief als Zeugnis für die Todesursache der Frau aufzubewahren, die sich für einen Tag nennt

Ihre Sklavin
Esther.«

Als der Brief fort war, reute er Esther und zehn Minuten später schrieb sie einen dritten Brief:

»Verzeihen Sie, teurer Baron, ich bin es noch einmal. Ich wollte Sie weder narren noch verletzen, wollte Ihnen nur die einfache Überlegung vorhalten: bleiben wir in den Beziehungen wie Vater und Tochter, dann ist Ihre Freude kärglich, aber dauerhaft; fordern Sie aber die Durchführung des Vertrages, dann werden Sie mich beweinen. Ich will Sie nicht länger langweilen: Der Tag, an dem Sie statt des Glücks den Genuß erwählen, wird für mich ohne morgen sein.

Ihre Tochter
Esther.«

Beim ersten Brief kam der Baron in jenen kalten Zorn, der Millionäre töten kann, guckte in den Spiegel, klingelte und bestellte ein Fußbad. Während er es nahm, kam der zweite Brief. Er las ihn, fiel bewußtlos um und wurde auf sein Bett getragen. Als er wieder zu sich kam, saß Frau von Nüßingen zu Füßen des Bettes und sagte zu ihm: »Das Mädchen hat recht. Warum wollen Sie Liebe kaufen? Ist das Handelsware? Lassen Lie mich Ihren Brief sehen.«

Der Baron zeigte ihr verschiedene Entwürfe, die sie lächelnd las. Da kam der dritte Brief.

»Ein ganz erstaunliches Ding!« rief die Baronin, nachdem sie ihn gelesen hatte.

»Was tun?« fragte der Baron seine Frau.

»Warten.«

»Warten?!« wiederholte er. »Die Natur ist unerbittlich …«

»Hören Sie, mein Lieber, sie sind in letzter Zeit gut zu mir gewesen, ich will Ihnen also einen guten Rat geben.«

»Sehen Se, 'ne gute Frau sind Se doch! Machen Se ruhig Schulden, ich bezahl …«

»Was Ihnen beim Empfang dieser Briefe widerfahren ist, rührt eine Frau mehr als verschwendete Millionen oder selbst die schönsten Briefe. Lassen Sie sie hinten herum alles erfahren, vielleicht werden Sie sie dann besitzen! Und … haben Sie nur keine Angst, – sterben wird sie nicht daran.« Und sie maß ihren Mann mit dem Blicke.

 

Friedensvertrag zwischen Asien und dem Hause Nüßingen.

Freilich kannte sie die Dirnennatur durchaus nicht. Aber der Baron dachte sich, als er allein war: »Wieviel Gaist se doch hat!«

Doch je mehr er die Klugheit ihres Rates bewunderte, um so weniger wußte er damit etwas anzufangen. Die Beschränktheit des Geldmannes war beinahe sprichwörtlich geworden, wenn sie auch relativ war. Außerhalb seiner Berechnungen besaß er keine Erfindungsgabe, glaubte nur an sichere Worte und vertraute sich deshalb in Fragen der Kunst und Wissenschaft anerkannten Größen an. Aber in Liebesränken gibt es keine vereidigten Sachverständigen und so fiel ihm nichts Besseres ein, als zu tun, was er schon vordem getan hatte, einen Spitzel männlichen oder weiblichen Geschlechts zu bezahlen, damit er an seiner Stelle handelte oder dachte. Nur Frau von Saint-Estève konnte den von der Baronin gefundenen Gedanken zur Ausführung bringen. Nun bedauerte der Bankier bitter, sich mit der verhaßten Kleiderhändlerin verzankt zu haben. Immerhin vertraute er der Anziehungskraft seiner Kasse, ließ seinen neuen Kammerdiener kommen und schickte ihn nach der widerlichen Witwe aus.

Nach zwei Stunden kam der Jüngling zurück und berichtete: »Herr Baron, Frau von Saint-Estève ist zugrunde gerichtet.«

»Aha, um so besser!« strahlte der Baron. »Nu halt' ich se!«

»Sie scheint etwas Spielerin zu sein, steht auch unter dem Einfluß eines Vorstadtschauspielers, den sie anstandshalber als Neffen ausgibt, und nun scheint sie eine Stellung zu suchen, weil sie vortrefflich zu kochen versteht.«

Nüßingen schickte seinen Diener von neuem zu Frau von Saint-Estève, die erst am nächsten Tage erschien und zunächst den Kammerdiener ausfragte. Als er die Wirkung der Briefe berichtete, meinte sie: »Teufel! Hühner, die goldene Eier legen, darf man nicht schlachten.«

»Der Herr Baron setzt seine ganze Hoffnung auf Sie. Also treten Sie bitte ein,« sagte der Kammerdiener mit viel Demut vor dieser geheimnisvollen Macht.

»Also,« begann die falsche Saint-Estève, als sie mit unterwürfiger Miene bei dem Kranken eintrat, »der Herr Baron hat so seine Unannehmlichkeiten? Was wollen Sie! Jeder hat so seinen schwachen Punkt, auch mein Glücksrad hat sich gedreht … Wir waren eben beide unvernünftig. Wenn mich der Herr Baron als Köchin bei Frau Esther anstellen würde, hätte er in mir die ergebenste Dienerin, und ich könnte ihm durch die Überwachung der Gnädigen und Eugenies von Nutzen sein.«

»Darum dreht sich's gar nicht. Vorläufig werd' ich noch an der Nase herumgeführt …«

»Sie haben andere genasführt, Papa, der Himmel ist gerecht. Waren Sie großmütig? Haben Sie Schulden bezahlt …?«

»Ja,« sagte der Baron kläglich.

»Schön. Sie haben Sachen ausgelöst, noch besser! Aber nicht genug: Solche Mädchen wollen das Geld zum Fenster hinauswerfen.«

»Ich hab' ja e Iberraschung für se, in der Sankt-Georgstraße, das waiß se schon. Aber ich will kein Trottel sein.«

»Also, dann lassen Sie sie doch sitzen …«

»Ich fürchte, se wird mer gehen lassen!« rief der Baron.

»Und wir wollen etwas für unser Geld haben, lieber Sohn, nicht wahr? Also hören Sie mal: Wir haben das Publikum um Millionen geschröpft, Kleiner, man redet von fünfundzwanzig …« Der Baron mußte unwillkürlich lächeln. »Davon müssen Sie eine hergeben …«

»Geb' ich schon, aber dann wird mer e zweite verlangen …«

»Ich verstehe, Sie wollen nicht B sagen, damit es nicht bis Z so weiter geht. Esther ist ein anständiges Mädchen …«

»Sehr e anständiges Mädchen, nachgeben will se, aber wie mer e Schuld bezahlt.«

»Sie wird also nur mit Widerwillen Ihre Geliebte, versteh' schon. Gott, schön sind Sie ja nicht! Aber wenn's Ihnen auf sechshunderttausend Franken nicht ankommt, dann übernehme ich es, sie zu allem zu bringen, was Sie von ihr wünschen.«

»Sechshunderttausend!« Dem Baron gab das einen Stoß. »E Million kost' se mich schon!«

»Sechshunderttausend ist das Glück schon wert, du verderbter Wanst. Aber ich sehe, Sie sind bereits gehörig ausgespült worden. Hören Sie also: Wenn wir ins Geschäft gekommen sind, ergreife ich Ihre Partei, so wahr ich mich Saint-Estève nenne.«

»Scheen, ich werd' Se belohnen.«

»Ich glaub's, denn ich habe Ihnen gezeigt, daß ich mich zu rächen weiß. Im übrigen, Papa,« sie warf ihm einen schrecklichen Blick zu, »ich habe Mittel, Ihnen Esther wegzuschnappen. Ich kenne sie … Also ich will Ihnen einen Handel vorschlagen: stellen Sie mich als Köchin bei der gnädigen Frau an, gleich auf zehn Jahre, tausend Franken jährlich, die letzten fünf Jahre werden im voraus bezahlt. Bin ich erst bei der Gnädigen, dann schlage ich Nachgiebigkeiten heraus. Zum Beispiel Sie sorgen für eine entzückende Toilette, einen neuen Wagen und holen sie zu einer Spazierfahrt im Boulogner Wäldchen ab: damit verpflichtet sich Ihre Geliebte vor ganz Paris, … macht hunderttausend Franken. Sie essen mit ihr, führen sie in die verschiedenen Theater und ganz Paris bewundert sie: daß ist in der Summe mit inbegriffen … Und Sie haben in acht Tagen einen hübschen Weg geschafft.«

»Hunderttausend Franken hab' ich gezahlt …«

»In der zweiten Woche muß die Gnädige daraufhin in das neue Haus ziehen, und ist sie einmal in die Welt zurückgekehrt, dann wird sie auftreten, empfangen wollen … macht wieder hunderttausend. Sie sind in Ihrem Eigentum, Esther ist bloßgestellt … gehört Ihnen. Bleibt eine Kleinigkeit – Gott wie er die Augen aufreißt! – also die übernehme ich … macht vierhunderttausend. Ach, Dickerchen, du brauchst sie erst am nächsten Tag zu zahlen. Ist das nicht ehrlich; und schwer genug ist meine Arbeit … Also abgemacht?«

»Aufs Verderben verstehst de dich, wie ich mich auf die Bank!« sagte der Baron, der ihr in schweigender Bewunderung zugehört hatte. »Aber sagen wer fünfzig, statt hunderttausend, und am Tage nach dem Triumph werd ich dir geben fünfhunderttausend.«

»Schön, ich mach' mich jetzt an die Arbeit, und vielleicht findet der gnädige Herr die gnädige Frau nachher schon sanft, wie einen Katzenbuckel.«

»Geh, geh, gutes Kind,« sagte der Baron und rieb sich die Hände. Und als sie fort war, murmelte er: »Wie recht mer doch hat, viel Geld zu haben!« Dann sprang er aus dem Bett und nahm frohen Herzens wieder die Leitung seiner Geschäfte in die Hand.

 

Ein Verzicht.

Nichts konnte für Esther verhängnisvoller sein als Nüßingens Entschluß. Die arme Kurtisane verteidigte in dem Kampf gegen die Untreue ihr Leben. Carlos nannte das Ziererei, und als er durch Asien von der Unterredung gehört hatte, fuhr er in seinem Zorn, der furchtbar war, wie er selbst, in verhängtem Wagen zu Esther. Als er mit ihr allein war, sprach er zu ihr, die ihm aufrecht aber mit wankenden Beinen entgegen trat: »Wissen Sie, wohin Sie Lucien bringen werden? Dorthin, woher ich komme – auf die Galeeren!«

Esther schloß die Augen, ihre Beine streckten sich, ihre Arme sanken herab und sie wurde totenbleich. Carlos schellte, und als Prudentia erschien, sagte er kühl:

»Bring sie wieder zum Bewußtsein, ich bin noch nicht fertig.«

Aber es dauerte eine Stunde, bis das arme Ding seinen leibhaftigen Alp wieder anhören konnte. Er saß zu Füßen ihres Bettes, auf das er sie hatte tragen müssen, sein Blick war starr und blendend wie zwei Strahlen geschmolzenen Bleies.

»Herzchen,« begann er, »Lucien steht zwischen einem glanzvollen, geehrten, glücklichen, würdigen Leben und dem Wasserloch, in das er sich stürzen wollte, als ich ihn traf. Das Haus Grandlieu verlangt ein Landgut von einer Million, bevor er den Titel Marquis und die Bohnenstange Clotilde erhalten soll, an der er zur Macht emporklimmen wird. Dank uns beiden hat Lucien eben das Schloß seiner mütterlichen Familie billig, – für dreißigtausend, – erwerben können, und seinem Anwalt gelang es, für eine Million Land anzugliedern, auf die dreimalhundert angezahlt worden sind. Der Rest ist in Kosten, Zahlungen an Strohmänner und so weiter draufgegangen. Wir haben zwar hunderttausend Franken in Aktien, die in ein paar Monaten dreihundert wert sind, aber dann bleiben immer noch vierhunderttausend zu bezahlen. In drei Tagen kommt Lucien von seiner Schwester aus Angoulême zurück, – er mußte sich dorthin wenden, um nicht in den Verdacht zu kommen, daß er sein Geld aus Ihren Matratzen gekämmt hat. Ist das also der Augenblick, wo man den Baron erschrecken darf? Vorgestern haben Sie ihn fast getötet! Er fiel wie eine Frau in Ohnmacht, als er Ihren zweiten Brief las. Denken Sie doch etwas nach! Ist es nicht besser, statt zu sterben, sich täglich zu sagen: ›Welch glänzendes Los, welch glückliche Familie!‹ Denn er wird Kinder haben! Kinder! Haben Sie sich je das Vergnügen vorgestellt, mit der Hand durch das Haar seiner Kinder zu fahren?« Esther schloß sanft erschaudernd die Augen. »Nun also, vor solchem Glücksgebäude sagt man sich: ›Das ist mein Werk‹.«

Er machte eine Pause; beide sahen sich an und dann fuhr er fort: »Bin ich ein Egoist? So liebt man, opfert man sich Königen, und ich habe ihn zum König geweiht. Würde man im Gewande des Abbé Herrera den verurteilten Verbrecher erkennen, dann würde ich mich töten wie ein Neger, der seine Zunge hinunterschluckt – nur damit er durch mich nicht bloßgestellt wird. Aber Sie bringen die Leute mit Ihrem Getu auf meine Spur. Was verlangte ich? Daß Sie für sechs Monate, für sechs Wochen das Gewand der Torpille wieder anlegen, um eine Million zu schnappen. Lucien wird Sie nie vergessen. Haben Sie mich verstanden? Zwingen Sie mich nicht, mehr zu sagen … Geben Sie Papa einen Kuß. Leben Sie wohl.«

Eine halbe Stunde später fand Europa ihre Herrin vor einem Kruzifix hingegossen. Sie hatte das letzte Gebet gesprochen, nun sie auf ihr schönes Leben verzichtete, auf Ehre, Tugend, ihre Liebe. Und als sie sich erhob, wurde Prudentia von ihrer wunderbaren Schönheit geblendet.

»Ach, gnädige Frau, nie wieder werden Sie so aussehen!« rief sie und wandte ihr schnell den Spiegel zu, damit das arme Ding sich sehen konnte.

»Ach, ich wollte, Lucien sähe mich so,« sagte Esther mit einem unterdrückten Seufzer. »Und nun,« fuhr sie mit erzitternder Stimme fort, »wollen wir schwindeln …«

Europa wurde bei diesem Ausruf so blöd, als hätte sie einen Engel lästern hören.

»Was starrst du, als hätte ich Gewürznelken statt Zähnen im Mund? Jetzt bin ich nur noch ein gemeines, dreckiges Ding und erwarte Mylord. Also laß das Bad heizen, nach der Börse wird der Baron kommen, ich will ihm schreiben, daß ich ihn erwarte. Ich will ihn toll machen, den Menschen. Also flott, flott, jetzt heißt es lachen, das heißt, – wir wollen arbeiten.«

Dann setzte sie sich an den Tisch und schrieb:

»Lieber Freund, wäre die Köchin, die Sie mir schickten, nicht schon bei mir im Dienst gewesen, dann könnte ich glauben, daß Sie mich dadurch wissen lassen wollten, wie oft Sie vorgestern bei Empfang meiner Briefe ohnmächtig wurden. (Was wollen Sie? – ich war damals durch trübe Erinnerungen sehr zappelig!) Aber so sind wir armen, verachteten Dinger nun einmal: ich bedaure den verursachten Kummer nicht, denn er bewies mir, wie teuer ich Ihnen bin, und echte Liebe rührt uns mehr, als wahnwitzige Verschwendung. Ich fürchtete, nur der Kleiderhaken für Ihre Eitelkeit zu sein, – eine gekaufte Frau. Aber jetzt werden Sie ein gutes Ding finden, wenn Sie mir immer etwas gehorchen. Kann dieser Brief die ärztlichen Verordnungen ersetzen, dann beweisen Sie mir das durch einen Besuch nach der Börse, wo Sie mich in Waffen und Rahmen Ihrer Geschenke finden werden. Mein Lebelang

Ihre Freundin
Esther.«

Auf der Börse war der Baron so vergnügt und zufrieden, daß Du Tullet und die Kellers ihn nach der Ursache fragten.

»Geliebt werd' ich … nächstens gibt's den Einweihungsschmaus!«

»Was kostet Sie der Spaß?« fragte Keller jäh zurück.

»Se hat mich nie um zwei Heller gebeten. E Engel is se.«

»Das tut man auch nicht,« versetzte Du Tullet. »Dazu legt man sich Tanten oder Mütter zu.«

 

Esther erstrahlt wieder als die Blüte von Paris.

Auf dem Weg zur Taitboutstraße sagte der Baron siebenmal zum Kutscher: »Sie trödeln ja, nehme Se doch de Peitsche!«

Dann klomm er leichtfüßig hinauf und fand zum ersten Male seine Geliebte schön wie eine Dirne, die sich nur mit ihren Gewändern und ihrer Schönheit beschäftigt. Sie kam eben aus dem Bade, eine frische, duftige Blume. Und sie hatte eine entzückende Toilette angelegt, die zusammen mit der Haartracht den kleinen Nebeneindruck weckte, als sei sie nicht angezogen und kaum gekämmt.

»Ist es nicht gräßlich, wenn man die gnädige Frau so schön in diesem abgenutzten Salon sieht?« meinte Europa, als sie dem Baron die Salontür öffnete.

»Scheen! kommen Se mit in die Sankt-Georgstraße,« meinte der Baron und blieb versteinert, wie ein Jagdhund vor einem Rebhuhn, stehen. »Das Wetter ist prächtig, wir fahren durch die Champs-Elysées und Frau Saint-Estève wird hiniberschaffen mit Eichenie all Ihre Toaletten, de Wäsche und unser Essen.«

»Ich werde alles tun, was Sie wollen,« erwiderte Esther, »aber tun Sie mir den Gefallen und nennen Sie meine Köchin Asien und Eugenie Europa. Ich bin es gewöhnt, seit den ersten Dienstboten, die ich hatte, alle meine Mägde so zu nennen.«

»Asien … Europa …« wiederholte der Baron lachend. »Wie sind Se komisch. Einfälle haben Se …!«

»Das ist unser Beruf. Aber kann sich denn nicht ein armes Ding von Asien ernähren und von Europa kleiden lassen? Das ist wie ein Märchen. Manche Frauen könnten die ganze Welt auffressen, und ich brauche nur die Hälfte.«

»E Teifelsweib, die Frau Saint-Estève!« bewunderte der Baron innerlich Esthers Wandlung. Aber ihm blieb keine Zeit, denn schon wurde er mit Wünschen gehetzt. Ein Hut, Blumen, Kleider … in zwei Monaten hatte ja Nüßingen die kleinen Händler bereits mit zweihunderttausend Franken begossen.

Als der verliebte Alte bei Einbruch der Nacht zurückkam, war sein Strauß zwar überflüssig, aber er konnte wenigstens seinen Wagen anbieten, um Esther in die Sankt-Georgstraße zu fahren, wo sie von dem »klainen Palee« Besitz ergriff. Wir können ruhig sagen, daß sie überrascht wurde, denn noch nie war sie Gegenstand eines derartigen Kultes, einer solchen Verschwendung gewesen. Sie schritten von Zimmer zu Zimmer, und als sie alles beschaut hatte, meinte Esther: »Sie haben gut getan, mich hierher zu bringen, denn ich muß mich erst acht Tage an mein Haus gewöhnen, um nicht wie ein Emporkömmling zu wirken! …«

»Main Haus!« wiederholte der Baron strahlend. »Se nehmen also an?«

»Aber ja, tausendmal ja, dummes Tier,« antwortete sie lächelnd.

»Tier war auch schon genug …«

»Dumm ist eine Zärtlichkeit,« versetzte sie, und sah ihn an. Und der arme Luchs nahm Esthers Hand und legte sie auf sein Herz: er war Tier genug, um zu empfinden, aber zu dumm, um ein Wort zu finden.

»Sehen Se nur, wie es schlägt … für e einziges klaines zärtliches Wort!« Und er führte seine »Gettin« in das Schlafzimmer.

»Ach, gnädige Frau,« rief Eugenie, »hier kann ich nicht bleiben! Da bekommt man ja viel zu viel Lust, sich ins Bett zu legen.«

»Schön,« meinte Esther, »ich will den Zauberkünstler, der solche Wunder schafft, glücklich machen. Komm, dicker Elefant, nach dem Essen gehen wir zusammen ins Theater. Ich bin ganz versessen darauf.«

Vor genau fünf Jahren war Esther zum letztenmal im Theater gewesen. Nun wurde eben ein Modestück gegeben, in das sich ganz Paris drängte. Aber dank einer bezeichnenden Pariser Sitte konnte der Baron durch seinen Diener noch im letzten Augenblick eine Proszeniumsloge auftreiben.

Vom Tischgerät braucht man nicht erst zu reden: es gab dreierlei Gedecke, das kleine, mittlere und große, und alles für den Nachtisch des großen Gedecks, Teller und Schüsseln, war aus getriebenem vergoldetem Silber. Damit aber der Tisch nicht durch Gold- und Silberlasten zermalmt aussah, gehörte zu jedem Gedeck noch ein entzückend zerbrechliches Porzellan nach sächsicher Art, das mehr als das Silber kostete. Beim Essen konnte der Baron seine Überraschung über Asiens Kochkunst nicht zurückhalten:

»Ich versteh' jetzt, warum se die Frau Asien nennen: Des is ja asiatische Küche.«

»Ich fange an zu glauben, daß der Baron mich liebt,« sagte Esther zu Europa. »Er hat etwas gesagt, was wie ein Witz aussieht.«

Aber die Gerichte waren scharf gewürzt, um dem Baron eine Verdauungsstörung zu machen, so daß er sich genötigt sehen sollte, früh nach Hause zu gehen. Das war auch wirklich das einzige Vergnügen, was er von diesem ersten Beisammensein mit Esther erntete. Im Theater mußte er zahllose Gläser Zuckerwasser trinken und Esther in den Zwischenakten allein lassen.

Bei dem allgemeinen Zudrang war es schon kein Zufall mehr zu nennen, daß Tullia, Marietta und Frau von Du Val-Noble, die verlassene Geliebte von Falleix, im Theater anwesend waren. Das Stück hatte wieder einen närrischen Erfolg. Aber ein Geschöpf von der Schönheit Esthers und in Esthers Kleidung konnte nicht ungestraft in der Proszeniumsloge sitzen. Deshalb entstand auch nach dem zweiten Akt in der Loge der beiden Tänzerinnen eine Art Aufruhr, nachdem die Identität der schönen Unbekannten mit der Torpille festgestellt worden war.

»Donnerwetter, wo kommt die denn her?« erkundigte sich Marietta bei Frau Du Val-Noble.

»Ist sie es? Sie scheint mir siebenunddreißigmal jünger als vor sechs Jahren.«

»Vielleicht hat sie sich wie Frau D'Espard in Eis aufbewahren lassen,« meinte der Graf von Bramburg, der die drei Frauen ins Theater geführt hatte und mit ihnen in einer Parterreloge saß. »Das ist doch die Ratte, die Sie mir schicken wollten, um meinen Onkel einzubalsamieren?« wandte er sich an Tullia.

»Freilich,« versetzte die Sängerin. »Du Bruel, gehen Sie doch ins Orchester und sehen Sie zu, ob sie es wirklich ist.«

»Tut die sich aber dicke!« rief Frau Du Val-Noble, indem sie eine köstliche Dirnenredensart verwendete.

»Sie hat auch das Recht dazu,« meinte der Graf, »denn sie ist jetzt mit meinem Freund, dem Baron Nüßingen liiert. Ich geh' einmal hin.«

»Sollte das die angebliche Jungfrau von Orleans sein, die Nüßingen erobert hat und mit der wir seit drei Monaten gelangweilt werden?« erkundigte sich Marietta.

»Guten Abend, mein lieber Baron,« sagte Philipp Bridau, der in Nüßingens Loge eintrat. »Sie sind also mit Fräulein Esther verheiratet? Gnädiges Fräulein, ich bin ein armer Offizier, den Sie einst in Issoudun aus der Klemme ziehen sollten … Philipp Bridau …«

»Kenne ich nicht,« sagte Esther und richtete ihr Glas in den Saal.

»Das gnädige Frailein haißt nicht mehr kurz und gut Esther,« bemerkte der Baron. »Sie nennt sich jetzt Frau von Schambi. Das is e klaines Gut, das ich hab gekauft für se …«

»Bekommen Sie auch manches fertig, so finden die Damen doch, daß Frau von Chamby sich ›etwas dicke tut‹,« versetzte der Graf. »Wenn Sie sich meiner nicht mehr erinnern wollen, dann geruhen Sie vielleicht, Marietta, Tullia und Frau Du Val-Noble zu erkennen,« fügte der Emporkömmling hinzu, den der Herzog von Maufrigneuse beim Dauphin in Gunst gebracht hatte.

Ilustration: Lutz Ehrenberger

»Sind die Damen gut zu mir, dann bin ich geneigt, freundlich zu ihnen zu sein,« erwiderte Frau von Chamby trocken.

»Gut?« rief Philipp. »Sie sind ausgesucht gut! Sie nennen Sie die Jungfrau von Orleans.«

»Scheen, wenn die Damen ihr wollen laisten Gesellschaft,« meinte Nüßingen, »dann will ich Sie hier lassen allain, denn ich hab zu viel gegessen. Ihr Wagen wird Se nachher abholen … Verteifelte Asien!«

»Das erstemal wollen Sie mich allein lassen?!« rief Esther. »Nicht doch, Sie müssen an Bord zu sterben wissen. Ich brauche beim Hinausgehen einen Mann. Sollte ich vergeblich schreien, wenn ich beleidigt würde?«

Der Egoismus des alten Millionärs mußte also den Liebesverpflichtungen weichen. Der Baron litt und blieb. Esther hatte gute Gründe, »ihren Mann« bei sich zu behalten. Empfing sie alte Bekannte, dann konnte sie in seiner Gesellschaft nicht so ernstlich ausgefragt werden, wie wenn sie allein war. Philipp eilte in die Loge der Tänzerinnen zurück und erstattete Bericht.

»Ach so, sie ist es, die ›mein‹ Haus in der Sankt-Georgstraße geerbt hat,« sagte Frau Du Val-Noble bitter zu dem Obersten. Sie war jetzt, wie solche Frauen sagen, ›zu Fuß‹.

»Wir wollen sie sehen, kommt!« meinte Tullia.

»Ich nicht,« versetzte Marietta, »sie ist zu schön. Ich werde sie in ihrer Wohnung aufsuchen.«

»Ich finde mich hübsch genug, um es zu wagen,« meinte Tullia.

So fand der erste kühne Besuch im Zwischenakt statt und erneute die Bekanntschaft mit Esther, die sich mit allgemeinen Redensarten begnügte. Sie behauptete, von einem steinreichen Engländer aus Indien in einem Schloß auf den Alpen fünf Jahre lang eingesperrt gewesen zu sein, wo sie nach dessen Tode vor die Tür gesetzt worden wäre. »Ihr habt mich die Jungfrau von Orleans genannt, und ihr habt vielleicht recht: ich habe England zugrunde gerichtet, und vielleicht werde ich in Feuersflammen sterben …«

»Flammen der Liebe?« meinte Tullia.

»Und lebendigen Leibes!« erwiderte Esther, die bei diesem Worte nachdenklich wurde.

Wir leben alle in einem bestimmten Kreise und die Zugehörigen jedes Kreises besitzen die gleiche starke Neugier. Am nächsten Tage war die Geschichte von Esthers Rückkehr die Kulissenneuigkeit in der Oper, und zwischen zwei und vier hatte das ganze Paris der Champs-Elysées die Torpille wiedererkannt und endlich den Gegenstand von Nüßingens Leidenschaft kennen gelernt. Nicht ohne Grund hatte Carlos geahnt, wie gefährlich Luciens Lage vor und nach der Zeit in der Taitboutstraße war.

 

Eine Frau zu Fuß.

Es gibt keine gräßlichere Lage, wie die, in der sich Frau Du Val-Noble befand, und sie wird durch den Ausdruck ›zu Fuß‹ glänzend gekennzeichnet. Derartige Frauen lassen sich durch Gleichgültigkeit und Verschwendungssucht hindern, an die Zukunft zu denken. Legt eine Geld zurück, dann taucht die Frage auf: Du hast wohl Angst, häßlich zu werden? Bringt sich ein Spekulant um, erschöpft sich der Geldsack eines Verschwenders, dann stürzen diese Wesen erschreckend jäh aus schamlosem Wohlleben in tiefstes Elend und müssen sich der Kleiderhändlerin in die Arme werfen. Zieht ein Kenner von Paris eine Frau im Mietswagen auf den Champs-Elysées, die er noch kurz zuvor in einer Equipage erblicke hatte, dann weiß er, woran er sich zu halten hat. Übrigens besteht zwischen Dirnen untereinander die Ergebenheit, die sich geächtete Klassen bezeigen. Solche Hilfe kostet einer glücklichen Frau wenig, und innerlich sagt sie sich: »am Sonntag werde ich auch so sein.«

Da Frau Du Val-Noble den Zusammenbruch eines der reichsten und geschicktesten Wechselmakler nicht hatte voraussehen können, wurde sie von dem Zusammenbruch in vollster Unordnung überrascht. »Wie hätte man das von einem Menschen erwarten können, der ein so guter Junge zu sein schien!« sagte sie zu Marietta. Der ›gute Junge‹ gilt in fast allen Gesellschaftsklassen als ein Mensch, der nicht engherzig ist und sich außerhalb der landläufigen Moral nach gewissen Regeln des Zartgefühls richtet. Er ist von einer gewissen Anmut des Wesens, die nichts besagt, aber nach dem Sinn, den die Bezeichnung ›guter Junge‹ bei ausgehaltenen Frauen hat, hätte Falleix seine Geliebte vor seinem Zusammenbruch warnen und sie sicherstellen müssen. D'Estourny zum Beispiel hatte für eine Geliebte dreißigtausend Franken beiseitegeschafft. Frau Du Val-Noble dagegen hatte mit Mühe ein paar Juwelen aus dem Schiffbruch gerettet und erlag nun dem furchtbaren Vorwurf: sie hat Falleix zugrunde gerichtet. Damals war sie annähernd dreißig Jahre alt, konnte aber um so mehr, trotz ihrer vollentwickelten Schönheit, als alt gelten, weil in solchen Kreisen jede Frau all ihre Nebenbuhlerinnen gegen sich hat. Dagegen kannte sie Esther als zu großmütig, um nicht auf eine Begegnung zu sinnen, die rein zufällig aussah. Deshalb ging sie jetzt alltäglich im Gewande einer anständigen Frau am Arme von Theodor Gaillard, der sie später heiratete und in dieser Not zu seiner ehemaligen Geliebten sehr nett war, in den Champs-Elysées spazieren. Sie hoffte, bei schönem Wetter würde Esther auch einmal zu Fuß gehen und sich dann mit ihr treffen.

Auch Peyrade ließ sich aus Haß und Rachedurst, vor allem aber, um seine teure Lydia zu versorgen, zu Spaziergängen in den Champs-Elysées locken, wo Nüßingens Geliebte nunmehr erschien. Er verkleidete sich vollkommen als Engländer, weil er die Verhältnisse in England genau kannte und sowohl fließend Englisch, wie auch Französisch mit englischem Akzent einwandfrei sprach. Contenson, der als Mulatte verkleidet war, begleitete ihn. So war er denn auch richtig in jener Seitenallee, wo die Wagenbesitzer bei schönem, trocknem Wetter spazieren gehen, an dem Tage anwesend, wo Esther und Frau Du Val-Noble zusammentrafen. Während er wie ein echter Nabob ohne Ziererei den Spuren der beiden Frauen folgte, konnte er einige Worte auffangen.

»Besuchen Sie mich, Kindchen,« sagte Esther. »Nüßingen ist es sich schuldig, die Geliebte seines Maklers nicht ohne einen Heller sitzen zu lassen.«

»Es heißt ja auch, daß er ihn selbst zugrunde gerichtet hat,« warf Gaillard ein.

»Morgen speist er bei mir, – also komm, Liebe,« sagte Esther und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich mache mit ihm, was ich will … Das Elend habe ich kennen gelernt davon mag ich nichts mehr wissen.«

»Früher sagtest du: ›Das Glück bin ich!‹ Wie hast du dich verändert!« rief Susanne Du Val-Noble.

»Das macht die Schweizer Luft, da lernt man sparen. Geh auch dahin, Liebe, auf alle Fälle lernst du die Renten von Staatsschuldscheinen lieben, das ist ehrliche, zartfühlende Liebe. Leb' wohl.«

Esther stieg wieder in ihren prächtigen Wagen mit den schönsten Apfelschimmeln in ganz Paris.

»Die Frau, die in den Wagen steigt, ist recht schön«, sagte Peyrade auf Englisch zu Contenson, »aber die andere, die dort geht, gefällt mir besser. Geh ihr nach und stelle fest, wer sie ist.«

»Eben hat der Engländer dort folgendes gesagt,« sagte Gaillard und wiederholte Frau Du Val-Noble Payrades Worte. Der hatte vorher einen Satz auf englisch hingeworfen und aus Gaillards Gesicht entnommen, daß der Journalist englisch verstand. Daraufhin hatte er sich das Kunststück erlaubt.

Frau Du Val-Noble ging also ganz langsam in ihre Wohnung in der Ludwigstraße, wo sie in einem anständigen möblierten ›Hause‹ wohnte. Sie blickte dabei seitwärts, um sich zu überzeugen, daß der Mulatte ihr auch folge. In dem Logirhaus, das einer Frau Gerhard gehörte, war sie erträglich untergebracht. Ihre Wirtin war eine ehrenwerte, sogar fromme Bürgersfrau und nahm die Kurtisane wie ein höheres Wesen auf: sie sah sie immer im Luxus, betrachtete sie wie eine gefallene Königin und vertraute ihr sogar ihre Töchter an. Und – das ist natürlicher, als man glaubt: die Kurtisane war noch viel bedenklicher, als eine Mutter es gewesen wäre, wenn es galt, die beiden Fräulein Gerhard ins Theater zu führen. Und beide Mädchen hingen an ihr. Frau Gerhard bezahlte immer noch bereitwillig die Wagen, die eine Frau ›zu Fuß‹ braucht, wenn sie zum Theater oder einem Essen in die Stadt mußte. Jetzt also sagte sie zu der ehrenwerten Familienmutter: »Liebe Frau Gerhard, ich glaube, mein Schicksal wird sich wenden …«

»Desto bester, aber seien Sie vernünftig, denken Sie an die Zukunft … Vor allem machen Sie weiter keine Schulden. Ich habe so viel Mühe, all die Leute wegzuschicken, die nach Ihnen suchen.«

»Kümmern Sie sich um diese Hunde nicht, die ungeheures Geld an mir verdient haben. Hier, da sind zwei schöne Logenkarten für Ihre Töchter. Fragt heute Abend jemand nach mir, und ich sollte noch nicht zurück sein, so lassen Sie ihn trotzdem eintreten. Meine frühere Zofe Adele wird da sein.«

Da Frau Du Val-Noble weder eine Tante noch eine Mutter hatte, mußte sie für die Rolle einer Saint-Estève bei dem Unbekannten, dessen Eroberung sie wieder in die Höhe bringen sollte, zu ihrer Kammerzofe (die auch zu Fuß war!) ihre Zuflucht nehmen. Sie ging an diesem Abend mit Gaillard zu einem Essen, einer verlorenen Wette, die Nathan zu bezahlen hatte: solch einer Einladung, wo es heißt: »Es sind Frauen dabei«.

 

Peyrade als Nabob.

Peyrade war nicht ohne gewichtige Gründe entschlossen, persönlich in diese Intrige einzugreifen. War auf der einen Seite die Politik in tatenlosen Schlummer gesunken, so war andrerseits seine wie Corentins Neugier aufs lebhafteste aufgepeitscht. Als Zeuge von Esthers Verhaftung hatte Contenson mit dem scharfen Spürsinn des Spions die ganze Operation klar durchschaut. So war also die erste Frage, die sich beide Freunde vorlegten: »Zu wessen Gunsten wird die Leidenschaft des Bankiers ausgenutzt?«

Als Contenson in Asien eine Mitspielerin erkannte, hoffte er durch sie zu dem geistigen Urheber zu gelangen. Aber sie entglitt seinen Fingern, als sie sich für einige Zeit wie ein Aal im Pariser Schlamm verbarg, und als er sie als Esthers Köchin wiederfand, schien ihm die Mitarbeit der Mulattin unerklärlich. Zum erstenmal stießen die beiden Spähkünstler auf einen unentzifferbaren Text, obgleich sie den Kern der dunklen Angelegenheit ahnten. Bei drei verschiedenen kecken Angriffen auf das Haus in der Taitboutstraße prallte Contenson an hartnäckigem Schweigen ab. Solange Esther dort wohnte, schien der Pförtner durch tiefgreifende Angst beherrscht. Vielleicht hatte ihm Asien für den Fall von Plauderhaftigkeit ein giftiges Gericht angedroht. Aber schon am Tage nach Esthers Auszug fand Contenson den Pförtner etwas vernünftiger. Er war als Handelsmann gekleidet, feilschte um die Wohnung und lauschte auf die Klagen des Pförtners, den er durch Spottworte reizte. Auf jeden Satz erwiderte er zweifelnd: »Ist das möglich?«

»Ja, die kleine Dame hat fünf Jahre hier gewohnt, ohne je auszugehen. Ihr Liebster war eifersüchtig ohne jeden Grund. Aber er benutzte selbst die schärfsten Vorsichtsmaßregeln beim Kommen und Gehen. Übrigens war er ein hübscher junger Kerl.«

Damals war Lucien gerade bei seiner Schwester, Frau Séchard, in Marsac. Sobald er aber zurückkam, schickte Contenson den Pförtner zu ihm, um wegen Ankaufs der Möbel in Frau van Bogsecks leerer Wohnung zu verhandeln. Er erkannte in Lucien den geheimnisvollen Liebhaber wieder und weiter wollte Contenson nichts wissen. Man kann sich Luciens und Carlos Erstaunen vorstellen: die so taten, als ob sie den Pförtner für verrückt hielten, und versuchten, es ihm auch einzureden.

Vierundzwanzig Stunden später hatte Carlos die Gegenpolizei organisiert, die Contenson beim Spionieren abfaßte. Er war schon zweimal als Marktträger mit Einkäufen, die Asien gemacht hatte, in das Häuschen der Sankt-Georgstraße eingedrungen.

Nun regte sich auch Corentin. Aber die tatsächliche Existenz eines Carlos Herrera mit politischen Aufträgen gebot ihm Halt. Er mußte nur die Gründe erkunden, um derentwillen der Spanier für Lucien besorgt war. Er hatte bald heraus, daß Esther fünf Jahre lang Luciens Geliebte gewesen war. Ihr Ersatz durch die Engländerin hatte also in seinem Interesse stattgefunden. Nun besaß Lucien keinerlei Existenzmittel, durfte deshalb Fräulein von Grandlieu nicht heiraten und hatte dennoch eben für eine Million die Rubempréschen Güter gekauft. Durch einen geschickten Schritt beim Polizeipräfekten wurde festgestellt, daß Graf Sérizy und Lucien sich über Peyrade beschwert hatten, und nun konnten die beiden Freunde befriedigt rufen: »Wir haben es heraus!«

Der Schlachtplan war im Augenblick entworfen.

»Das Mädel hat Freundinnen und sicher ist eine von ihnen gerade in schlechter Lage. Also muß einer von uns die Rolle eines reichen Ausländers spielen, der sie unterhalten wird. Wir bringen sie zusammen, und da sich diese Frauen gegenseitig stets für das Trik-Trak der Liebhaber brauchen, stehen wir alsbald im Herzen der Festung.«

Natürlich dachte Peyrade gleich daran, seine Engländerrolle zu spielen. Ihm lachte die Aussicht, in der für die Abwicklung nötigen Zeit den ausschweifenden Wüstling zu spielen, während der stärker gealterte Corentin dazu wenig Lust hatte. Als Mulatte entging Contenson Herreras Gegenpolizei. Kurz, drei Tage vor jener Begegnung Peyrades mit Frau Du Val-Noble war der alte Agent mit einem einwandsfreien Paß im Hotel Mirabeau in der Friedensstraße abgestiegen.

Dagegen ließ Carlos Herrera seinen Paß auf der spanischen Gesandtschaft visieren und traf die Vorbereitungen zu einer Reise nach Madrid. Sein Grund war der: In einigen Tagen sollte Esther Besitzerin des Häuschens werden und Staatspapiere für dreißigtausend Franken Rente erhalten. Europa und Asien waren gerissen genug, um ihr den Verkauf anzuraten und den Erlös Lucien auszuliefern. Der konnte dann, angeblich dank der Freigebigkeit seiner Schwester zusammen mit dem Verkauf der Omnibusaktien die Restsumme auf das Gut bezahlen und nirgends war etwas nachzuweisen, wenn nicht Esther schwatzte. Und sie wäre eher gestorben, als daß sie sich auch nur eine Bewegung entschlüpfen ließ. Carlos verschwand für einige Tage, dann war jeder Argwohn getäuscht, menschliche Vorsicht hatte alle Fehler unmöglich gemacht.

Der falsche Spanier sollte am nächsten Tage nach Peyrades Begegnung mit Frau Du Val-Noble abreisen. Aber just in dieser Nacht um zwei Uhr kam Asien im Wagen angesaust und flüsterte ihrem Herrn ins Ohr: »Paccard hat gestern um zwei ein halb in den Champs-Elysées Contenson als Mulatten und Diener eines Engländers erkannt, der seit drei Tagen in den Champs-Elysées spaziert, um Esther zu beobachten. Paccard hat die Kleine so heimgefahren, daß er den Spaßvogel nicht aus dem Auge verlor. Er wohnt Hotel Mirabeau, hat aber mit dem Engländer derartige Verständigungszeichen ausgetauscht, daß der Engländer sicher kein Engländer ist.«

»Wir haben eine Bremse auf dem Rücken,« meinte Carlos. »Ich reise erst übermorgen. Sicher hat Contenson uns den Pförtner der Taitboutstraße auf den Hals geschickt. Man muß jetzt herausbekommen, ob der falsche Engländer unser Feind ist.«

Zu Mittag bediente der Mulatte sehr gravitätisch seinen Herrn Mr. Samuel Johnson, der aus Berechnung immer zu reichlich frühstückte. Er wollte sich auf den versoffenen Engländer herausspielen. In seiner Verkleidung war der einstige Stammgast des Café David nicht zu erkennen. Er sah aus wie ein richtiger englischer Millionär. Eben leerte er die zweite Flasche, als ein Diener des Hotels ohne Umstände einen Mann hineinführte, in dem Peyrade genau wie Contenson einen Polizisten in Zivil erkannte. Der trat zu dem Nabob und flüsterte ihm ins Ohr: »Herr Peyrade, ich habe Anweisung, Sie auf die Präfektur zu führen.«

Peyrade antwortete nicht einen Ton, stand auf und nahm seinen Hut. Auf der Treppe sagte der Polizist zu ihm: »Vor der Tür steht ein Wagen. Der Präfekt wollte Sie verhaften lassen, aber er begnügte sich, mich zu schicken, um Sie durch den Beamten ausfragen zu lassen, der im Wagen sitzt.«

»Soll ich dabei bleiben?« fragte der Polizist den Beamten, als Peyrade in den Wagen gestiegen war.

»Nein,« sagte der Beamte. »Sagen Sie leise dem Kutscher, daß er zur Präfektur fährt.«

So saßen Peyrade und Carlos zusammen im selben Wagen. Carlos hatte einen Dolch bereit, der Kutscher war mit ihm im Einverständnis und hätte Carlos aussteigen lassen, ohne etwas zu bemerken, würde dann irgendwo haltgemacht und den Leichnam im Wagen entdeckt haben. Wegen Spionen wird nie eine Untersuchung angestellt. Solche Dinge sind so unklar, daß die Justiz fast stets derartige Mordtaten unbestraft läßt.

 

Ein Duell in der Droschke.

Peyrade warf seinen Spionsblick auf den Beamten, den der Polizeipräfekt nach ihm entsandt hatte. Carlos hatte ein zufriedenstellendes Äußere: einen enthaarten, hinten faltigen Kopf, gepuderte Haare, auf zärtlichen, rotumränderten Augen eine sehr leicht vergoldete, sehr bureaukratische Brille mit doppelten grünen Gläsern. Diese Augen verrieten unreine Krankheiten. Das Hemd, der Rock, die billigen abgetragenen Handschuhe, die goldene Uhrkette, – alles mehr oder minder der Unterbeamte, den man Polizeioffizier nennt.

»Lieber Herr Peyrade, ich bedaure, daß ein Mann wie Sie einer Beobachtung unterstellt ist, und daß Sie Ursache geben, sich rechtfertigen zu müssen. Ihre Verkleidung gefällt dem Herrn Präfekten nicht. Glauben Sie derart der Überwachung zu entgehen, dann irren Sie sich. Sie sind wohl über Beaumont-sur-Oise aus England gekommen? … Oder über Saint-Denis?«

Peyrade kam in Verwirrung. Die zwei Fragen verlangten eine Antwort, und jede Antwort war gefährlich. Eine Bejahung wurde zum Hohn, eine Verneinung konnte ihn, wenn der Mann die Wahrheit wußte, ins Unglück stürzen. »Nun ist's aus,« dachte er. Er versuchte den Polizeioffizier lächelnd anzublicken und begnügte sich mit diesem Lächeln als Antwort. Es wurde ohne Widerspruch aufgenommen.

»Zu welchem Zweck haben Sie sich verkleidet, ein Zimmer im Hotel Mirabeau genommen und Contenson als Mulatten verkleidet?« fragte der Polizeioffizier.

»Der Herr Präfekt mag mit mir tun, was er will, – ich schulde nur meinen Vorgesetzten Verantwortung für meine Handlungen,« sagte Peyrade mit Würde.

»Wollen Sie damit zu verstehen geben, daß Sie für die Reichspolizei arbeiten?« bemerkte der falsche Beamte trocken. »Dann wollen wir einen andern Weg nehmen und dorthin fahren. Ich bin in bezug auf Sie sehr bestimmt angewiesen. Aber nehmen Sie sich in acht, Sie sind nicht übermäßig gut angeschrieben und verderben sich mit einem Griff Ihr Spiel. Ich will natürlich nichts Schlimmes von Ihnen … Aber los, sagen Sie mir die Wahrheit.«

»Die Wahrheit ist …« Peyrade warf einen Blick auf die geröteten Augen seines Wachthundes. Der Beamte sah stumm, teilnahmlos aus. Er übte seinen Beruf aus, alle Wahrheit schien ihm gleichgültig, er hielt die Sache für eine Laune des Präfekten. »Ich habe mich wie ein Narr in eine Frau verliebt …«

»Frau Du Val-Noble,« warf der Polizeioffizier dazwischen.

»Ja. Um sie einen Monat unterhalten zu können, was mich kaum mehr als tausend Taler kosten dürfte, habe ich mich als Nabob aufgespielt und Contenson als Diener genommen. Fragen Sie Contenson, er wird es Ihnen bestätigen. Sie können bei ihm jetzt auch Frau Du Val-Nobles Zofe treffen, die die Zusage oder die Bedingungen ihrer Herrin bringen soll. Ich verstehe mich als alter Affe auf Grimassen: ich bot ihr tausend Franken monatlich, einen Wagen, macht fünfzehnhundert; mit fünfhundert Franken für Geschenke und ebensoviel für sonstige Ausgaben kommt aufs Haar die Summe heraus. Ein alter Mann wie ich kann schon einmal tausend Taler für eine letzte Laune ausgeben.«

»Ei, ei, Papa Peyrade, Sie lieben die Frauen immer noch so sehr? Nun, für solche Laune brauchen Sie freilich die Rolle eines Fremden.«

»Sie verstehen also, daß Peyrade oder Vater Canquoëlle aus der Spatzengasse …«

»Freilich, keiner von beiden wäre Frau Du Val-Noble genehm gewesen,« unterbrach ihn Carlos, der entzückt war, Vater Canquoëlles Adresse zu erfahren. »Ich kenne Frau Du Val-Noble von der Oper her, sie ist recht hübsch. Also dann lassen Sie den Kutscher wieder zurückfahren, mein lieber Peyrade, ich werde zu Ihnen in Ihr Zimmer kommen und mir die Sache in der Nähe besehen. Ein mündlicher Bericht wird dem Herrn Präfekten sicher genügen.« Er zog eine Tabaksdose aus der Tasche, öffnete sie und bot sie Peyrade mit entzückender Gutmütigkeit an.

»Das sind nun eure Leute,« spottete dieser innerlich.

»Was hätten meine alten Vorgesetzten dazu gesagt?!«

»Natürlich ist das nur ein Teil der Wahrheit, aber nicht alles, lieber Freund,« fuhr der falsche Beamte fort, nachdem er geschnupft hatte. »Sie haben sich da in Herzensangelegenheiten des Barons Nüßingen gemischt und wollen ihn wahrscheinlich irgendwie einwickeln. Nachdem es mit der Pistole nichts war, versuchen Sie es mit der großen Kanone. Frau Du Val-Noble ist eine Freundin von Frau von Champy …«

»Teufel, wir wollen uns nicht fangen lassen,« sagte sich Peyrade. »Der ist stärker als ich glaubte. Er nasführt mich: erst spricht er von loslassen und dann bringt er mich weiter zum Plaudern.«

»Nun?« sagte Carlos mit Beamtenwürde.

»Ganz recht, ich beging das Unrecht, für Herrn von Nüßingen eine Frau zu suchen, in die er bis zur Kopflosigkeit verliebt war. Das ist der Grund meiner Ungnade, denn es scheint, daß ich unwissentlich gewichtige Interessen verletzt habe.« – Der Beamte blieb regungslos. – »Aber ich kenne die Polizei genug, um mich seit dem letzten Wischer, den mir der Herr Präfekt mit Recht gab, aus der Sache zurückzuziehen.«

»Sie verzichten also auf ihre Laune, wenn der Herr Präfekt es wünscht? Das wäre, scheint mir, der beste Beweis Ihrer Aufrichtigkeit.«

»Wie er stürmt!« wunderte sich Peyrade. »Verflixt, die Beamten heute haben auch etwas los.«

»Verzichten?« antwortete er laut. »Ich warte auf die Befehle des Herrn Präfekten. Aber hier ist ja das Hotel. Wenn Sie mit hinauf wollen …?«

»Wo haben Sie denn das Geld her?« fragte Carlos ganz unvermittelt und treffend.

»Ein Freund von mir …« meinte Peyrade.

»Das erzählen Sie einmal einem Untersuchungsrichter!«

Dieser kecke Auftritt war das Ergebnis von Verknüpfungen, die nur ein Kopf wie Carlos fertig bekommen konnte. Er hatte Lucien über Frau von Sérizy den Privatsekretär des Grafen eine Auskunft über den Agenten besorgen lassen, der für Herrn von Nüßingen gearbeitet hatte. Hieraus schloß er unmittelbar auf Peyrade als identisch mit dem Engländer, drei Stunden später hatte er bereits durch Paccard einen ahnungslosen Helfershelfer aufgetrieben, der die Rolle des Gendarmen spielte, und sich selbst als Polizeioffizier verkleidet. Dreimal war er bereit, Peyrade in der Droschke zu töten, aber er hatte den Grundsatz, Mordtaten niemals selbst auszuführen. Er nahm sich vor, Peyrade gelegentlich zu beseitigen, indem er entlassene Verbrecher auf den englischen Millionär aufmerksam machte.

Oben hörten Peyrade und sein Leithammel, wie Contenson mit dem Zimmermädchen von Frau Du Val-Noble verhandelte. Peyrade machte Carlos ein Zeichen, im ersten Zimmer zu bleiben, als wollte er sagen: ›Sie können sich so von meiner Aufrichtigkeit überzeugen.‹

»Die gnädige Frau ist mit allem einverstanden,« sagte Adele. »Sie ist eben bei einer Freundin, Frau von Champy, die noch ein Jahr lang eine ganze möblierte Wohnung in der Taitboutstraße gemietet hat und sie sicher hergeben wird. Dort wäre schon eher der Ort, Mr. Johnson zu empfangen, denn die Einrichtung ist noch gut und der gnädige Herr kann sich mit Frau von Champy darüber einigen, ob er sie der Gnädigen kaufen will.«

»Schön, Kindchen, das nennt man nicht rupfen, sondern höchstens die Haut abziehen,« sagte der Mulatte zu dem verdutzten Ding. »Aber teilen wir …«

»Sieh einer, der hat Farbe!« rief Adele. »Ist Ihr Nabob ein Nabob, dann kann er doch der Gnädigen Möbel schenken. Der Vertrag läuft bis zum April, und wenn es ihm paßt, kann er ihn erneuern.«

»Sähr zufrieden!« bemerkte Peyrade, indem er ins Zimmer trat und dem Mädchen auf die Schulter klopfte. Er machte Carlos ein Zeichen des Einverständnisses, der zustimmend nickte, als begriffe er, daß der Nabob nicht aus der Rolle fallen durfte. Aber nun änderte sich jäh das Bild durch das Auftreten einer Person, über die weder Carlos noch der Polizeipräfekt etwas vermochten: Corentin trat plötzlich ein. Er hatte die Tür offen gefunden und wollte im Vorübergehen einmal seinen alten Peyrade in der Rolle eines Nabob sehen.

 

Corentin macht den zweiten Stich..

»Der Präfekt ›piesakt‹ mich immer weiter!« flüsterte Peyrade Corentin ins Ohr. »Er hat mich als Nabob ausgekundschaftet.«

»Wir werden den Präfekten zu Fall bringen,« flüsterte Corentin zurück. Dann grüßte er kühl und besichtigte verstohlen und heimtückisch den Beamten.

»Bleiben Sie hier, bis ich wiederkomme, ich gehe zur Präfektur,« sagte Carlos. »Erscheine ich nicht mehr, dann laufen Sie ruhig Ihrer Laune weiter nach.«

Nachdem er das Peyrade ins Ohr gesagt hatte, um dessen Rolle vor dem Zimmermädchen zu verhüllen, verschwand Carlos, der wenig darauf versessen war, unter den Blicken der Neuerscheinung zu bleiben: er hatte in ihm eine der blauäugigen blonden Naturen erkannt, die in ihrer Kälte furchtbar sind.

»Diesen Polizeioffizier hat mir der Präfekt geschickt,« sagte Peyrade zu Corentin.

»Das da?« versetzte Corentin. »Du hast dich leimen lassen. Der Mann hat drei Kartenspiele in den Stiefeln. Das sieht man doch an der Fußstellung. Und ein Polizeioffizier braucht sich doch nicht zu verkleiden.«

Er jagte die Treppe hinab, um seinen Argwohn aufzuklären. Carlos stieg eben in den Wagen: »Heda! Herr Abbé? …« rief Corentin.

Carlos drehte den Kopf, sah Corentin, stieg ein, aber der andere hatte Zeit, durch den Wagenschlag zu rufen: »Das wollte ich nur wissen. – Quai Malaquais!« befahl er dem Kutscher mit wahrhaft höllischem Hohn in Stimme und Blick.

»Siehst du,« murmelte Jakob Collin, »jetzt ist's gar, ich bin erwischt und ich muß Vorsprung bekommen. Vor allem muß ich erfahren, was sie von uns wollen.«

Corentin hatte den Abbé fünf- oder sechsmal gesehen, und dessen Blick war unvergeßlich. Zudem erkannte er den Schulterbau, die Narben im Gesicht, die drei Zoll künstliche Schuhhöhe. Als er oben im Zimmer nur noch Peyrade und Contenson antraf, meinte er: »Ja, Alterchen, dich haben sie geneppt!«

»Wer?!« rief Peyrade mit metallischem Tone. »Meine letzten Lebenslage wende ich daran, um den Kerl aufs Röstfeuer zu bringen.«

»Es ist der Abbé Herrera, offenbar der Corentin Spaniens. Nun ist alles klar. Der Spanier ist ein Wüstling, der ein hübsches Mädel ausnutzt, um diesen jungen Mann in die Höhe zu bringen. Überlege dir, ob du dich mit solchem verteufelt gerissenen Diplomaten einlassen willst.«

»Ach,« rief Contenson, »der hat ja auch dreihunderttausend bei Esthers Verhaftung bekommen. Ich erinnere mich ganz gut der Augen, der Stirn und der Blatternarben.«

»Ach, die schöne Mitgift für die arme Lydia!« jammerte Peyrade.

»Du kannst Nabob bleiben,« meinte Corentin. »Um Esther im Auge zu behalten, muß man sie mit der Val-Noble zusammenbringen, denn sie war die richtige Geliebte Luciens. Fünfhunderttausend haben sie schon abgeschöpft, eine Million brauchen sie für das Landgut … Papachen,« er klopfte Peyrade auf die Schulter, »du kannst über hunderttausend schlucken, um Lydia zu verheiraten.«

»Sag' das nicht. Ginge dein Plan schief, – ich weiß nicht, wessen ich fähig wäre.«

»Vielleicht hast du das Geld schon morgen. Der Abbé ist schlau, wir müssen diesem Überteufel die Klaue küssen, aber da ich ihn in der Hand habe und er Verstand besitzt, wird er kapitulieren.«

Am selben Abend verbrachte Lucien einige Stunden im Hause Grandlieu. Es war große Gesellschaft und vor aller Augen beschäftigte sich die Herzogin besonders liebenswürdig mit ihm.

»Sie haben eine kleine Reise gemacht?«

»Ja, Frau Herzogin. Meine Schwester brachte große Opfer, um meine Ehe zu erleichtern. Ich habe jetzt dank der Hilfe eines geschickten Anwalts den ganzen Familienbesitz erwerben können.«

»Gibt es auch ein Schloß?« fragte Clotilde mit allzu sichtbarem Lächeln.

»So etwas ähnliches, aber es wird wohl neu gebaut werden müssen.«

Clotildes Augen warfen Glücksflammen: »Sie werden heut abend mit meinem Vater ein Spielchen machen,« sagte sie ganz leise. »In vierzehn Tagen denke ich, werden Sie zum Essen geladen.«

»Nun, mein Lieber,« sagte der Herzog, »Sie haben, höre ich, Ihren Besitz zurückerworben? Mein Kompliment. Eine schöne Antwort für Schwätzer, die Ihnen Schulden nachsagen. Übrigens, wir sind heute beim Whist nur drei, wollen Sie der Vierte sein?«

Lucien, d'Espards Partner, verlor zwanzig Louis.

»Teure Mutter,« berichtete Clotilde der Herzogin, »er war geistvoll genug, zu verlieren.«

Um elf Uhr legte sich Lucien ins Bett und träumte von dem sicheren, nahen Siege. Als er am nächsten Morgen nach dem Frühstück mit dem recht besorgten Carlos einige Zigaretten rauchte, wurde ein Herr von Saint-Estève (welch Witz!) gemeldet, der den Abbé Herrera oder Herrn von Rubempré sprechen wollte.

»Ist unten bestellt worden, daß ich verreist bin?!« rief der Abbé.

»Ja, gnädiger Herr,« antwortete der Diener.

»Schön, dann empfange den Kerl,« sagte er zu Lucien. »Aber sage kein verfängliches Wort, verrate kein Erstaunen: das ist der Feind!«

»Du wirst zuhören,« meinte Lucien.

Carlos verbarg sich im Nebenzimmer und sah durch die Türspalte Corentin eintreten, der wie ein alter Abteilungschef im Ministerium aussah und den er nur an der Stimme erkannte.

»Ich habe nicht die Ehre, Ihnen bekannt zu sein,« begann Corentin, »aber es handelt sich um Ihre Ehe mit Fräulein Clotilde, die nicht stattfinden wird.«

Lucien setzte sich und antwortete nichts.

»Irgend jemand hat Sie in der Hand, der die Macht und den Willen besitzt, dem Herzog zu beweisen, daß der Besitz der Rubemprés von dem Geld bezahlt wird, das ein Trottel Ihrer Geliebten, Fräulein Esther gibt,« fuhr Corentin fort. »Die Urteile jener Pfändungen und die Möglichkeit, D'Estourny zum Sprechen zu bringen, sind leicht zu finden. Die gerissenen Täuschungen, mit denen der Baron Nüßingen hineingelegt wurde, kommen an den Tag … Aber jetzt läßt sich noch alles ausgleichen. Bezahlen Sie hunderttausend Franken und Sie bleiben in Frieden. Mich geht die Sache nichts an, ich bin von den Erpressern beauftragt.«

Corentin hätte eine Stunde reden können, – Lucien rauchte vollkommen sorglos seine Zigarette und antwortete dann: »Ich will nicht wissen, wer Sie sind, denn Leute, die sich für solche Aufträge hergeben, haben, wenigstens für mich, keinen Namen. Ich ließ Sie ruhig sprechen, denn ich bin ja zu Hause. Sie scheinen nicht ganz verblödet, also lassen Sie sich meine Lage darlegen.« Er machte eine Pause und kreuzte Corentins Katzenblick mit Blicken von Eis. »Entweder Ihre Behauptungen sind von Grund auf falsch: dann brauche ich sie nicht zu beachten. Oder Sie haben recht: dann gebe ich Ihnen durch das Opfer von hunderttausend Franken die Handhabe, so viele hunderttausend Franken zu verlangen, wie Ihr Auftraggeber Zwischenhändler auftreibt. Aber kurz und gut, ich, Lucien von Rubempré, fürchte niemanden. Ich habe mit derartig schmutzigen Geschichten nichts zu tun. Macht das Haus Grandlieu Schwierigkeiten, dann gibt es andere vornehme Häuser mit heiratsfähigen Töchtern. Übrigens fürchte ich nicht, Junggeselle zu bleiben, zumal wenn ich, wie Sie glauben, so erfolgreich Menschenhandel treibe.«

»Wenn der Abbé Herrera …!«

Lucien unterbrach ihn: »Der Abbé Herrera ist eben auf dem Wege nach Spanien und hat weder mit meiner Ehe noch mit meinen Angelegenheiten etwas zu tun. Er ist ein Staatsmann, der mich wohl lange Zeit mit guten Ratschlägen freundlichst unterstützte, aber er hat seiner Majestät dem König von Spanien Rechnung abzulegen, und wenn Sie mit ihm reden wollen, fahren Sie am besten nach Madrid.«

»Lieber Herr,« erwiderte Corentin kurz, »Sie werden nie der Gatte von Fräulein Clotilde von Grandlieu.«

»Um so schlimmer für Sie,« versetzte Lucien und drängte ihn ungeduldig zur Tür.

»Haben Sie gut nachgedacht?« fragte Corentin kalt.

»Ich gestehe Ihnen das Recht nicht zu, sich in meine Sachen zu mischen, ja selbst mir meine Zigarette zu verderben«, sagte Lucien und warf die erloschene Zigarette fort.

»Ich empfehle mich. Wir sehen uns nicht wieder, aber sicher kommt ein Augenblick Ihres Lebens, wo Sie die Hälfte Ihres Vermögens dafür hingeben würden, daß Sie rechtzeitig den guten Gedanken gehabt hätten, mich auf der Treppe zurückzurufen.«

Als Antwort auf diese Drohung machte Carlos die Bewegung des Kopfabschneidens. »Und nun ans Werk!« rief er mit einem Blick auf Lucien, der nach dieser schrecklichen Besprechung totenbleich geworden war.


 << zurück weiter >>