Eduard v. Bauernfeld
Bürgerlich und Romantisch
Eduard v. Bauernfeld

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Zweiter Act.

Erste Scene.

(Der Garten.)

Baron Ringelstern (allein). Dann Samuel.

Baron. Sie wollte mich nicht sehen? Nicht sprechen? Es ist ganz begreiflich. Ich war sehr unartig. – Gibt es doch kein bängeres Gefühl, als in den Augen Derjenigen, denen wir Unrecht gethan, für schlimmer zu gelten als wir sind. Aber nun denkt sie wohl schon anders von mir. Mein Brief hat gewiß die erwünschte Wirkung gemacht.

Samuel (mit einem Brief). Gnädiger Herr, Frau von Rosen hat den Brief nicht angenommen.

Baron. Nicht angenommen? – Hast Du ihr gesagt, wer ich bin?

Samuel. Ich sprach nur mit dem Mädchen, sie war beauftragt, mir den Brief unerbrochen zurückzustellen; ich überredete sie zu einem zweiten Versuch, aber ohne besseren Erfolg. Man will durchaus von dem Herr im Park nichts mehr wissen.

Baron. War ich nicht ein Thor, mich so zu bemühen? Und für wen? Für eine jener prüden Schönen, jener kalten Tugendheldinnen, die des Himmels Einfall befürchten, wenn man auf eine Secunde den ihnen gebührenden Respekt vergißt. Gib nur den Brief her, ich will ihn in das Archiv meiner übrigen Thorheiten legen.

(Samuel ab.)

Zweite Scene.

Baron Ringelstern. Unruh.

Baron. Wohin so eilig?

Unruh. Zur gnädigen Frau, die keine Tänzerin ist.

Baron. Und was dort?

Unruh. Einpacken helfen.

Baron. Einpacken?

Unruh. Ich mußte Pferde bestellen.

Baron. Zur Spazierfahrt?

Unruh. Nein, zur Abreise.

Baron. Wie? Sie verreist?

Unruh. Augenblicklich.

Baron. Und meinetwegen?

Unruh. Sehr vermuthlich.

Baron. Das darf nicht sein!

Unruh. Wie wollen wir's hindern?

Baron. Sage, daß keine Pferde zu haben sind.

Unruh. Das wird sie nicht glauben.

Baron. Es sind keine zu haben. Ich miethe sie alle.

Unruh. Sie versprach mir einen Ducaten.

Baron. Ich verspreche Dir keinen, aber ich gebe Dir zwei.

Unruh. Wirklich?

Baron. Da sind sie.

Unruh. Sehr obligirt.

Baron. Sie darf nicht reisen. Halte sie zurück. Sei klug!

Unruh. Wenn ich aber ein Esel bin?

Baron. Kein Esel, aber auch keine Pferde! Nur kein falsches point d'honneur!

Unruh. Nun gut! Ich will meinen Witz anstrengen. – Still! Da kommt sie aus dem Hause.

Baron. Ich will in der Nähe bleiben. Mach' Deinem Verstand Ehre. (Zieht sich zurück).

Dritte Scene.

Baron Ringelstern (versteckt). Unruh. Katharine von Rosen. Ernestine.

Katharine. Wo bleibt er nur?

Ernestine. Beruhigen Sie sich doch!

Unruh (tritt vor). Da komm' ich außer Athem –

Katharine. Sind die Pferde besorgt?

Unruh. Ja, zwei prächtige Thiere. Sie rennen, daß es eine Freude ist.

Baron (tritt etwas vor). Ist er verrückt?

Katharine. Sind sie schon da?

Unruh. Noch nicht. Morgen Mittags, Punkt zwölf Uhr, werden sie ihre Aufwartung machen.

Baron (tritt zurück). Ach so –

Katharine. Morgen? Ich will heute fort.

Unruh. Verzeihen Euer Gnaden, das geht nicht.

Katharine. Warum nicht? Ich bezahle.

Unruh. Und wenn Sie ein Königreich für ein Pferd geben, es ist unmöglich. Es gibt nur zwanzig am Ort, zwölf bestellte der – Ding'sche Gesandte, vier Se. Excellenz der Herr Minister, sechs braucht die Post –

Katharine. Das sind ja schon mehr als zwanzig!

Unruh. Ebendarum! Wie gesagt, heute ist's unmöglich; aber bis morgen Mittag zweifle ich gar nicht –

Katharine. Er zweifelt nicht! – Gut, ich will morgen reisen. Aber am frühesten Morgen. Um vier Uhr, um drei Uhr, um zwei Uhr.

Unruh. Das geht wieder nicht an. Die armen Beste müssen ja auch schlafen. Und dann – wissen denn Euer Gnaden nicht? Morgen gibt der hohe Adel ein déjeuner im Rosenthal, zwei Stunden von hier. Dazu ist wieder von vier an alles Vierfüßige pränumerirt. Darum zweifle ich, ob selbst bis Mittag –

Katharine. Es ist zum Verzweifeln!

Baron (versteckt). Der Schurke lügt zum Küssen –

Katharine. Mein Freund, ich versprach ihm einen Ducaten, er hätte zwei, drei verdienen können; aber ich sehe, er ist ein Dummkopf!

Unruh (leise zum Baron). Drei Ducaten und ein Dummkopf! Bitte um Entschädigung.

Vierte Scene.

Vorige. Sittig.

Ernestine. Da kommt der Herr Commissär –

Katharine. Den schickt uns der Himmel!

Baron (für sich). Sehr ungelegen!

Katharine. Herr Commissär –

Sittig. Sieh da! Meine Gnädige –

Katharine. Darf ich Ihre Güte in Anspruch nehmen? Ich bin in großer Verlegenheit –

Sittig. Befehlen Sie über mich.

Katharine. Es liegt mir daran, heute noch abzureisen, jetzt, in dieser Stunde –

Sittig. Euer Gnaden kommen doch wieder?

Katharine. Schwerlich.

Sittig. Wie? Sie sind kaum ein Paar Tage hier? Welch ein Verlust für uns! Alles ist entzückt von Ihrer Gesellschaft –

Baron (für sich). Ei, ei, Herr Bräutigam!

Katharine. Sie sind sehr gütig. Aber können Sie mir Pferde verschaffen?

Sittig. Sehr ungern trag' ich bei, Sie von hier zu entfernen, aber da es Ihr Wunsch ist, erfüll' ich ihn mit Vergnügen.

Katharine. Es gibt also Pferde hier?

Sittig. So viel Sie befehlen.

Katharine (zu Unruh.) Seht Ihr nun? (Zu Sittig.) Wann kann ich sie haben?

Sittig. Jeden Augenblick.

Katharine. In einer halben Stunde denn –

Sittig. Werden Sie vor Ihrem Hause stehen.

Katharine. Sie verbinden mich unendlich!

Baron (versteckt). Der verdirbt uns den ganzen Spaß –

Sittig. Diese eilige Abreise –

Katharine. Wichtige Gründe – ich kann mich nicht näher erklären. Nun wollen wir sogleich Anstalt treffen, Ernestine.

Unruh. Soll ich helfen, oder soll ich indessen den Paß besorgen?

Katharine. Den Paß?

Ernestine. Himmel! Wir haben gar keinen mitgenommen.

Unruh (mit einem Blick auf Sittig). Keinen Paß?

Katharine. Wozu brauchen wir Pässe? Wir kommen aus der Residenz, die nur zwei Tagreisen von hier entfernt ist.

Sittig. Von Damen kann man keine Gesetzkenntniß verlangen; aber ich muß die Ehre haben, Euer Gnaden zu versichern, daß wir hier im Paßwesen etwas strengere Vorschriften haben, wegen der nahen Gränze. Es war eigentlich meine Pflicht, Euer Gnaden am zweiten Tage um Ihre Legitimation zu befragen, und ich wollte mir nächstens die Freiheit nehmen, Sie deßhalb zu besuchen.

Katharine. Was ist zu thun? Ich habe keine Papiere mitgenommen.

Sittig. Das thut nichts. Irgend ein Bekannter, in der Residenz ansäßiger Mann wird für Sie gut stehen. Es ist nur der Formalität wegen. Dann geb' ich Ihnen die Entlaß-Karte, ohne welche Sie unmöglich die Schranken passiren können.

Ernestine. Mein Gott! Wer soll für uns gutstehen?

Katharine. Sei ruhig! – Herr Commissär, meine Bekannten sind neu, aus der Residenz ist Niemand hier, der meine Verhältnisse kennt –

Unruh. Kein Paß und kein Bürge! Das ist sehr fatal.

Sittig. Das ist allerdings – etwas fatal – (fixirt sie) besonders, da Sie so plötzlich abreisen wollen.

Ernestine. Sehen Sie, Fräulein – gnädige Frau – in welche Verlegenheit uns ihre Unvorsichtigkeit stürzt.

Katharine. Laß Dein Geschwätz! – Herr Kommissär, ich bin aus gutem Hause. die Tochter des Generals –

Sittig (etwas kalt). Ich zweifle gar nicht, aber – (zuckt die Achseln).

Unruh. Wenn nur der Paß da wäre!

Baron (versteckt). Himmlischer Unruh! Ich lasse Dich vergolden.

Fünfte Scene.

Babette. Vorige.

Babette. Herr Kommissär –

Sittig. Babette! Was bringen Sie Gutes?

Babette. Fräulein Cäcilie schickt mich –

Baron (versteckt). Aha!

Babette. Sie dachte, es sei Ihnen Etwas zugestoßen. Sie hatten versprochen, Vormittag zu kommen –

Sittig. Es war mir unmöglich – ich wollte eben – jetzt – (Sieht auf die Uhr.) Gleich sechs Uhr! Da ich Abends gleichfalls verhindert bin –

Babette. So? – Na, das Fräulein wird Augen machen!

Baron (versteckt). Sieh doch!

Sittig. Augen – Mademoiselle?

Babette. Verzeihen Sie, Herr Kommissär – ich meinte nur –

Sittig. Schon gut. Sagen Sie dem Fräulein – oder sagen Sie ihr nichts – ich komme gleich nach.

Babette. Sehr wohl, Herr Kommissär. (Ab.)

Sittig (zu Katharinen). Meine Gnädige – Sie sehen, man ruft mich eben. In einer Viertelstunde werde ich Sie selbst besuchen, oder Jemand aus dem Amte senden. Ich hoffe, wir bringen die Sache in Ordnung. Machen Sie indessen keine Anstalten zur Abreise – Sie ersparen sich und mir Unannehmlichkeiten. Empfehle mich bestens. – Schon sechs Uhr! Cäcilie wartet – Karl wird warten. – Es thäte Noth, sich zu zerstückeln – (Eilt ab.)

Sechste Scene.

Baron Ringelstern (versteckt). Katharine. Ernestine. Unruh.

Baron (versteckt). Es geht ganz vortrefflich!

Unruh. Der fatale Paßmangel!

Ernestine. Der abscheuliche Kommissär!

Katharine. Er thut seine Pflicht.

Ernestine. Was sollen wir anfangen? Wir sind wie gefangen! O, die Schande!

Katharine. Ich will sogleich nach Hause schreiben. In vier, fünf Tagen kann Antwort kommen – bis dahin bleiben wir auf unserm Zimmer.

Ernestine. Ach, wenn man erst erfährt, daß Sie – man bringt uns am Ende wirklich in's Gefängniß!

Katharine. Sei keine Thörin! Komm'! (Beide ab.)

Siebente Scene.

Unruh. Baron.

Baron (kommt hervor). Unruh, laß Dich umarmen!

Unruh. Zu viel Ehre!

Baron. Du bist das Muster aller feinen Spitzbuben.

Unruh. Talente gibt der Himmel.

Baron. Aber die arme Frau dauert mich! Sie ist für ihre Prüderie doch zu hart bestraft. Ich will sie schützen. Komm', Unruh, Du mußt eine neue Rolle spielen.

Unruh. Bravo! Die Intriguen gehen an – nun soll man einen geistreichen Lohnlakei kennen lernen. (Beide ab.)

Achte Scene.

(Zimmer bei Rath Zabern.)

Die Räthin. Cäcilie. Babette.

Cäcilie (zu Babetten). Er wird Abends nicht kommen?

Babette. So sagte er. Der Herr Kommissär war überhaupt sehr pressirt. Ich fand ihn eben im Gespräch mit der fremden schönen Dame –

Cäcilie. Hab' ich darnach gefragt? Verlasse Sie uns.

(Babette ab).

Neunte Scene.

Räthin. Cäcilie (setzen sich schweigend zur Arbeit).

Räthin (nach einer Pause). Du scheinst verdrießlich, Cäcilie?

Cäcilie. Nicht doch, Mama. – Die englischen Nadeln werden immer schlechter. Da ist mir wieder eine abgebrochen. (Pause).

Räthin. Er wollte Babetten auf dem Fuße folgen – er könnte schon längst da sein.

Cäcilie. Ich glaube, es klingelt –

Räthin. Du kannst ihm immer ein Wörtchen sagen. Ich will Euch dann allein lassen.

Zehnte Scene.

Vorige. Sittig.

Sittig. Guten Abend, Frau Räthin – Fräulein –

Räthin (etwas gespannt). Guten Abend.

Cäcilie (neigt sich stumm und arbeitet).

Sittig (wischt sich die Stirn). Große Hitze heute –

Räthin. Sehr.

Sittig. Wissen Sie schon? Der Präsident ist so eben angekommen.

Räthin. So?

Sittig. Er wohnt im Badehause, etwas unbequem, mich wundert das –

Räthin (steht auf). Ich will doch sehen, ob der Vater noch schläft. Wann willst Du den Kaffee haben, Cäcilie?

Cäcilie. Wann Sie befehlen, Mama.

Räthin (mit Bedeutung). Da wir heute kein Spiel haben, nehmen wir den Kaffee etwas später. – Strenge die Augen nicht zuviel an, Cäcilie. Ich komme wieder. (Ab, indem sie ihr zuwinkt, und ihn kalt grüßt.)

Eilfte Scene.

Cäcilie. Sittig.

Sittig. Was hat die Mama?

Cäcilie. Ich weiß nicht –

Sittig. Auch Sie scheinen übler Laune, Cäcilie?

Cäcilie. O nicht doch –

Sittig (setzt sich zu ihr). Blicken Sie auf – sehen Sie mich doch an! (Will ihren Arm ergreifen.)

Cäcilie. Lassen Sie mich!

Sittig. Sie legen die Arbeit weg – Sie senken den Kopf – Cäcilie – Sie weinen! – Was soll nun das heißen?

Cäcilie. Freilich, meine Thränen bedeuten nichts!

Sittig. Wie können Sie so reden? Sie wissen, das ärgert mich.

Cäcilie (etwas frappirt). Aergert Sie? Ich denke, es sollte Sie schmerzen.

Sittig (etwas heftig). Grundlose Thränen sind nur ärgerlich. (Steht auf. Pause.) Ich konnte Vormittag nicht kommen. Den Abend bring' ich mit Ringelstern zu. Er erweist mir alle Freundschaft, ich hab' ihn seit Jahr und Tag nicht gesehen, ich denke, er kann mit Recht verlangen, daß ich ihm ein Paar Stunden widme, und wenn das der Grund Ihrer Thränen ist –

Cäcilie. Und wenn er es wäre? Der Baron ist kein Umgang für Sie.

Sittig. Warum nicht?

Cäcilie. Er ist ein Weltmann. Er hat keinen Sinn für Häuslichkeit, für Familienleben.

Sittig. Er hat Sinn für alles Gute.

Cäcilie. Ich weiß, er reizt Sie gegen mich auf.

Sittig. Im Gegentheil, er will für unser Glück wirken.

Cäcilie. Ich wünsche, daß wir unser Ziel erreichen, ohne fremde Einmischung.

Sittig. Sie sind ungerecht. Karl ist –

Cäcilie. Mag er sein, was er will. Er ist ein Spötter, ein Witzkopf. Er macht sich über unser Verhältniß lustig. Sie vertheidigen ihn, hab' ich nun nicht Grund, zu klagen?

Sittig. Hat Jemand Grund dazu, so bin ich's. Mir das Mädchen nachzuschicken! – Ich schämte mich vor den Leuten, vor dem Mädchen selbst – das heimlich kicherte – ich bemerkte es wohl –

Cäcilie. Was Sie Alles bemerken! – Wenn man um ihn besorgt ist – (Steht auf).

Sittig. Besorgt? Ich bin kein Kind!

Cäcilie. Ich bitte, sprechen Sie etwas leiser, der Vater schläft.

Sittig (sanft, dann heftiger, aber immer wieder leiser). Wahrhaftig, ich thue Alles, was ich Ihnen an den Augen absehe, ich denke und sinne, strebe und lebe nur für Sie; jede Viertelstunde, die ich meinen Geschäften abmüßige, bring' ich mit Ihnen und ihren Aeltern zu. Mein Malen, mein Zeichnen, ja, meine Lectüre hab' ich vernachlässigt. Sie wissen selbst, wie sehr die Langeweile im Hause Ihrer Eltern herrscht; ich habe die Tanten und Muhmen und Kaffeschwestern in der Residenz mit Geduld ertragen, ich wußte Ihr eigenes Unbehagen, Ihre Ungeduld mit diesen Verhältnissen zu beschwichtigen, wir litten und trugen mit einander, für einander, bauten in den wenigen glücklichen Stunden, wo uns der Schwarm verließ, schöne Plane für die Zukunft eines froheren, freieren Lebens – aber ich fürchte, es wird bei den Planen bleiben. Dieser Landaufenthalt, von dem ich mir so viel Vergnügen versprach, bringt nichts als Verdrüßlichkeiten. Die Aeltern fühlen sich hier unbequem, ich, der ich mich ohnedem aufopfere, soll Alles entgelten, und die Geliebte, die mich erheben und aufrecht erhalten sollte, quält und martert mich täglich, stündlich mit tausend Rücksichten und Ausstellungen, die der Sinn eines Mannes nur kleinlich finden kann.

Cäcilie. Diese Vorwürfe hab' ich längst erwartet. So manches spitze Wort, das Ihnen entschlüpfte, hat mich darauf vorbereitet. Die Bekanntschaft mit unserm Hause riß Sie aus einem etwas lustigen Freundschaftskreise, den Sie noch immer ungern entbehren. Ich dachte, meine Liebe sollte Sie für den Verlust jener munteren Gesellen entschädigen, aber es scheint nicht so. Kaum taucht Einer wieder auf, und schwatzt Ihnen den Kopf voll von Freiheit, Unabhängigkeit, was weiß ich, so stimmen Sie in das Lied ein.

Sittig. Ich weiß, worauf Sie zielen. Mein Zusammenhang mit Ringelstern ist Ihnen unangenehm. Aber Karl ist ein wackerer, ein ganzer Mensch, mir in vielen Stücken überlegen; er ist mein Freund, ich werd' ihn niemals aufgeben.

Cäcilie. Nach Belieben.

Sittig. Bleiben Sie, Cäcilie. Sie haben noch Etwas gegen mich. Sprechen Sie.

Cäcilie. Was hilft es? Sie erklären sich so bestimmt –

Sittig. Nicht diese erkünstelte Kälte, diese ärgerliche Zurückhaltung! Sagen Sie offen, was Sie auf dem Herzen haben.

Cäcilie. Nun denn – Sie sprachen heute wieder mit Frau von Rosen.

Sittig. Cäcilie –!

Cäcilie. Sie ist eine Frau von zweideutigem Rufe.

Sittig. Thörichte Eifersüchtelei!

Cäcilie. Leben Sie wohl. Ihre Unarten mag ich nicht anhören.

Sittig. Bleiben Sie! So geht es nicht länger. Ich traue Ihnen, Sie sollen mir trauen. Ich bin kein Kind. Ich bin ein Mann. Ich weiß, was ich mir, was ich Ihnen schuldig bin. Hatte ich Sie jemals mit einem Manne in Verdacht? Warum soll ich mit keinem Frauenzimmer sprechen? Ich will sprechen, ich muß sprechen, mein Geschäft erfordert es sogar. Uebrigens steht es einem Mädchen übel an, Personen ihres Geschlechtes zu verdammen.

Cäcilie. Vortrefflich! Sie sprechen jener Abenteuerin das Wort.

Sittig. Sie ist keine Abenteuerin.

Cäcilie. Was ist sie denn?

Sittig. Gleich viel! Ich weiß, was ich zu thun habe.

Cäcilie. Immer besser!

Sittig. Sie sollen mir nicht vorschreiben. Am wenigsten die Mama.

Cäcilie. Ich Unglückliche!

Sittig. Nun kommen wieder die Thränen!

Cäcilie. Ihre Grausamkeit erpreßt sie mir –

Sittig. Ich bin nicht grausam; ich bin sanft, geduldig, man kann mich um den Finger wickeln, aber ich lasse mich nicht gängeln, nicht hofmeistern, nicht wie einen Knaben behandeln –

Cäcilie. Stille doch! Die Mama!

Zwölfte Scene.

Vorige. Die Räthin.

Räthin. Kinder! Ihr werdet laut, der Vater schläft noch.

Sittig. Ich empfehle mich –

Räthin. Halt, Herr Sittig! – Was ist vorgefallen?

Cäcilie. Nichts –

Sittig. Etwas – aber Etwas, was nur für uns Beide gehört.

Räthin. Hoho! Herr Sittig!

Cäcilie. August!

Sittig. Verzeihen Sie, gnädige Frau, aber in gewissen Dingen ist das System der Nicht-Intervention das beste.

Räthin. Welche Sprache!

Sittig. Es muß einmal gesagt sein, was schon lange in mir gährt. Gnädige Frau, ich ehre, ich achte Sie, als Cäciliens Mutter, als eine Frau von vielen guten Eigenschaften; ich gehe für Sie durch's Feuer, wenn Sie es verlangen, ich lasse mir so manches Bittere gefallen, aber Sie sollen mir Cäciliens Herz nicht abwendig machen, sie nicht in ihrem Trotz, in ihren Launen bestärken.

Räthin. Trotz? Launen? Sie ist das beste Herz von der Welt!

Sittig. Das ist sie, wenn man ihr nichts in den Kopf setzt.

Räthin. In den Kopf setzt! Wer setzt? Das soll wohl ich sein? Mäßigen Sie sich, Herr Sittig.

Sittig. Ich bin ganz ruhig, ganz besonnen. Sie haben mich vorhin schnöde behandelt, und warum? Weil ich einmal von der L'hombre-Partie wegbleibe. Ich sagte kein Wort dazu. Aber nun schulmeistert mich Cäcilie. Ich sehe, es ist ein ganzes Komplott.

Räthin. Komplott! Was das für Ausdrücke sind! Cäcilie, Du sagst kein Wort.

Sittig. Sie sehen ja, sie weint. Das ist genug.

Räthin. Sie weint? Armes Kind! Sei ruhig! Ich will Dich schützen. – Herr Sittig, verlassen Sie uns.

Sittig. Sehr gerne.

Räthin. Kommen Sie wieder, wenn Sie in besserer Laune sind. – Das arme Kind!

Sittig. Gnädige Frau, ich kam mit dem besten, dem liebevollsten Herzen; aber wenn man es zurückstößt, so kann ich gehen – gehen für immer.

Räthin. Was war das?

Sittig. Ja, und wenn's mich mein Leben, mein Lebensglück kostet! Der ist kein Mann, der für das Weib seines Herzens nicht sein Alles gibt. aber der verdient keiner zu sein, der für eine Weibergrille sein besseres Ich aufopfert.

Räthin. Das versteh' ich nicht.

Sittig. Aber Cäcilie versteht mich. Sie denke nach, sie prüfe sich noch einmal genau; wenn sie mich wahrhaft liebt, so wird sie mir bei kälterem Blute Recht geben. (Bewegt.) War ihre Liebe nur eine Täuschung, so mag sie lieber jetzt zerrinnen, als später: jetzt wird nur ein Herz verbluten, später würden es vielleicht zwei. – Leben Sie wohl, Cäcilie, wir sehen uns wieder. (Ab.)

Dreizehnte Scene.

Räthin. Cäcilie.

Räthin. Der Mensch ist ausgewechselt. Da heißt es wohl: stille Wasser trügen. Aber er war immer exaltirt. – Hat er sich denn entschuldigt? Warum kommt er heut Abends nicht?

Cäcilie (trocknet die Augen, gefaßt). Ich habe ihn gereizt. Hätten Sie uns doch allein gelassen, Mama –

Räthin. Du konntest ja reden – aber Du sagtest kein Wort.

Cäcilie. Es war mir unmöglich. Auch hatte ich wirklich Unrecht.

Räthin. Ei was! – Man muß den Männern niemals das letzte Wort lassen. – Aber ich hätte mir nicht eingebildet, daß der sanfte, junge Mensch so heftig peroriren könnte.

Cäcilie. Er ist ein edler, ein vortrefflicher Mensch!

Räthin. Aber ein Trotzkopf. Du wirst noch Deine Noth mit ihm haben. – Der Vater räuspert sich. Thu' nichts dergleichen. Ich will ihm schon sagen, was er zu wissen braucht.

Vierzehnte Scene.

Vorige. Rath Zabern.

Räthin. Nun, Zabern, hast Du ausgeschlafen?

Rath. Vollkommen. Ist der Kaffee fertig?

Räthin. Bald, Alter.

Rath. Ich hörte, wie im Traume sprechen. War's nicht Sittig?

Räthin. Ja, mein Freund.

Rath. Er kommt doch später zum L'hombre?

Räthin. Heute nicht.

Rath. Nicht? Das ist Schade! Ich hatte mich so darauf gefreut.

Räthin. Heute muß Cäcilie herhalten.

Rath. Die spielt schlecht, wenn er da ist, und noch schlechter, wenn er nicht da ist. Warum kommt er denn nicht?

Räthin. Was weiß ich! Geschäfte –

Rath. So, so! – Du, Frau!

Räthin. Zaberchen –?

Rath. Haben sie gezankt?

Räthin. Es war nichts. Ein kleiner Liebeszwist.

Rath. Das hat man vom Lande! In der Stadt kommt dergleichen nicht auf. Vormittag und Nachmittag die Bureau-Stunden, Abends ein Spiel; Alles friedlich und ruhig. Aber hier hat man Zeit zu allen Thorheiten.

Räthin. Dazu finden junge Leute allenthalben Zeit. – Willst Du in den Garten gehen, Alter?

Rath. Meinetwegen. (Mit einem Seitenblick auf Cäcilien.) Ich kann das Zanken nicht leiden.

Räthin. Gehst Du mit, Cäcilie?

Cäcilie. Ich komme nach, Mama.

Rath. Nicht leiden kann ich's, das Zanken! – Sittig kommt doch morgen wieder?

Räthin. Das versteht sich.

Rath. Ich bin an den jungen Mann so gewöhnt, es geht mir was ab, wenn ich ihm nicht guten Abend sagen kann. – Cäcilie, was hat's denn gegeben?

Räthin. Laß sie doch! Du siehst ja – – Komm' in den Garten.

Rath. Höre! Meinem Sittig lass' ich nichts anthun –

Räthin (nimmt ihn beim Arm). Komm' nur!

Rath (im Gehen). Er ist sanft wie ein Lamm, bis auf die Politik. – Was ist denn eigentlich vorgefallen?

Räthin. Ich will Dir's hernach erzählen. Komm' nur! Komm'! (Beide ab.)

Cäcilie (allein). So ernst haben wir noch niemals gestritten. – Was liegt doch für ein Widerspruch in uns! Wie harte Worte hab' ich gesprochen, und wie ganz anders hab' ich dabei empfunden! Aber nicht um die Welt konnte ich so sprechen, wie ich fühlte. Das hätte er herausfinden sollen. Er war recht böse, recht aufgebracht. Aber sein Zorn ließ ihm gut. Er liebt mich gewiß; lieb' ich ihn nicht auch? – Wenn er doch heute noch ein Mal käme! Ich wollte ganz anders sprechen. – Ach, ich bin recht unzufrieden mit mir selbst. (Ab.)

Fünfzehnte Scene.

(Zimmer bei Katharine von Rosen. Ein offener Koffer im Hintergrunde.)

Katharine von Rosen. Ernestine.

Ernestine. Soll ich wieder auspacken?

Katharine. Allerdings.

Ernestine. Bleiben wir denn wirklich hier?

Katharine. Man läßt uns ja nicht fort –

Ernestine. Ich schwebe in einer wahren Todesangst –

Katharine. Du bist nicht klug!

Ernestine. Wie Sie nur so ruhig sein können!

Katharine. Ruhig? In mir tobt es und gährt es. Die Beleidigungen jenes Abscheulichen –

Ernestine. Ihr Scherz mit dem Lohnlakei gab ihm Veranlassung.

Katharine. Gleichviel! Er hätte sich anders benehmen sollen.

Ernestine. Die Männer sind alle gleich.

Katharine. Ach, diese Ohnmacht unsers Geschlechts –

Ernestine. Hab' ich Ihnen das nicht immer gesagt?

Katharine. Ich möchte alle Männer vergiften!

Ernestine. Besonders die, welche von uns Pässe verlangen.

(Man hört klopfen.)

Ernestine. Himmel, es klopft!

Katharine. Ueber Deine alberne Aengstlichkeit! (Mit erzwungenem Muthe.) Herein!

Sechzehnte Scene.

Vorige. Unruh.

Ernestine. Es ist der Lohnlakei.

Unruh. Verzeihen Euer Gnaden –

Katharine. Was bringt Ihr, mein Freund?

Unruh. Es ist Jemand draußen, der mit Ihnen sprechen möchte.

Katharine. Mit mir?

Unruh. Ein sehr feiner, artiger Herr.

Katharine. Ich will nicht hoffen –

Unruh. Es ist Jemand – vom Paß-Bureau.

Ernestine. Vom Paß-Bureau? Wir sind verloren!

Katharine. Willst Du schweigen! (Zu Unruh.) Was verlangt die Behörde von mir?

Unruh. Ich weiß nicht. Allein, wie gesagt, es ist ein sehr feiner Mann, und wenn Euer Gnaden ihn ein bischen zuvorkommend behandeln –

Ernestine (dazwischen). Nur ja recht zuvorkommend!

Katharine. Spart Eure Rathschläge, mein Freund! – Laßt den Herrn kommen.

Unruh. Er wartet im Vorzimmer. Ich will ihn sogleich bedeuten – (Oeffnet die Thür.)

Ernestine. Gestehen Sie nur Alles, Fräulein.

Katharine. Sei ruhig! Wenn das Amt sich melden läßt, ist's nicht so schlimm.

Unruh (hinaus sprechend). Gnädiger Herr, spazieren Sie nur herein. (Ab.)

Siebenzehnte Scene.

Katharine. Ernestine. Baron Ringelstern.

Ernestine. Der Herr von Vormittag!

Katharine. Ist's möglich!

Ernestine. Ich athme freier!

Baron (ernsthaft). Meine Gnädige, verzeihen Sie, daß ich Ihr Zimmer betrete, allein die Amtspflicht – Kommissär Sittig sendet mich –

Katharine. Ohne Entschuldigung! Was steht zu ihren Diensten?

Baron. Vorerst nur ein Paar Fragen. Doch wir müssen allein sein.

Katharine. Geh' hinaus, Ernestine.

Ernestine. Recht gerne. (Leise zu Katharine.) Ich denke, der wird mit sich handeln lassen. (Ab.)

Achtzehnte Scene.

Katharine. Baron.

Baron. Bevor ich amtlich auftrete, müssen Sie mir erlauben, mich über einen Irrthum erklären und entschuldigen zu dürfen. Ich weiß nicht, wodurch der Lohnlakei des Hauses veranlaßt wurde, Sie für eine Tänzerin zu halten, und Sie mir in dieser Eigenschaft zu bezeichnen. Daher mein um so freieres Benehmen, je mehr Sie darauf bestanden, als eine Dame behandelt zu werden. Diese Erklärung war auch beiläufig der Inhalt meines Briefes, den Sie zurückwiesen.

Katharine. Mein Herr, wenn ich wußte, daß – wenn Sie wußten – vergeben Sie!

Baron. Beschämen Sie mich nicht, meine Gnädige! Ich bin zufrieden, wenn Sie mir verzeihen. Doch genug davon. – Jetzt zu den Amtsgeschäften. (Setzt Stühle. Setzen sich.) Sie erlauben mir einiges zu notiren. (Zieht ein Portefeuille heraus.) Ihr Name ist Frau von Rosen?

Katharine (etwas kleinlaut). Katharine von Rosen.

Baron (als ob er schreiben wollte). Frau Katharine von Rosen.

Katharine. Ich bitte – Fräulein von Rosen.

Baron. Fräulein?

Katharine (beschämt). Ja.

Baron. Es hieß doch –

Katharine. Ein Zufall veranlaßte diesen Irrthum. Der Inhaber des Badehauses nannte mich gnädige Frau, und schrieb meinen Namen, ohne mein Wissen, mit dieser Bezeichnung in das Fremdenbuch. Die Badegäste machten mich gleich zur Witwe. Ich widersprach nicht geradezu –

Baron. Vergeben Sie, allein das ist unerlaubt.

Katharine. Was dachte ich daran! Was wußte ich von der Welt, von ihren Einrichtungen! – Meine Erziehung, mein Charakter bestärkten mich in mancher Sonderbarkeit. Sie müßten meine Lebensgeschichte wissen, wenn Sie mich ganz begreifen wollten.

Baron. Lassen Sie mich immer Einiges davon erfahren. Ich muß sogar von Amtswegen um die Mittheilung Ihrer Verhältnisse ersuchen.

Katharine. Nun denn! – Mein Vater war General von Rosen –

Baron. In unsern Diensten? Derselbe, der sich zuletzt in Hamburg niederließ?

Katharine. Derselbe. Die Mutter verlor ich früh. Mein Vater galt für einen Sonderling. Er gab mir die Erziehung eines Knaben. Ich lernte reiten, schwimmen, klettern. Als der Vater vor vier Jahren starb – ich zählte kaum fünfzehn –

Baron (für sich). Fünfzehn und vier macht neunzehn –

Katharine. War ich mir selbst überlassen, denn es gehörte auch zu den Eigenschaften des sonst vorzüglichen Mannes, daß er mit Niemanden vertrauteren Umgang pflog. Ein alter Diener brachte mich und das Mädchen, welches Sie sahen, in die Residenz dieses Landes zu einer alten Anverwandten, bei der wir jungen Kinder wie die Gefangenen lebten. Bücher waren unser einziger Trost. Zudem entwickelte sich bei mir ein geringes Talent für die Kunst, der ich mich mit Leidenschaft hingab. Ich zeichnete, ich malte, und vergaß die Welt um mich her. Mein Mädchen folgte ganz der Richtung meines Geistes. So bildete sich denn in unserm jungen Gehirne eine romantische, ideale Welt, an deren wirkliche Existenz vor den Eisengittern unserer dunklen Fenster wir thöricht glaubten. – Nun find' ich die Welt ganz anders! – Die Tante starb. Andere, böse Verwandte wollten mir mein Vermögen entreißen, allein mein Advocat und das Recht siegten. Der wackere Präsident von Stein, ein alter Freund meines Vaters, nahm sich meiner mit aller Wärme an –

Baron (bei Seite). Bravo, Herr Onkel!

Katharine. Ich gewann den Prozeß. Zugleich erklärte mich das Gericht für großjährig. Nun waren wir wieder uns selbst überlassen. Zu jenen Verwandten wollte ich nicht ziehen, so sehr sie sich darum bemühten; eine Heirath, die man mir vorschlug, verabscheute ich. Theils um allen diesen Verhältnissen zu entkommen, theils um die Welt zu sehen, die mir in Glanz und Schimmer vor der Seele schwebte, beschloß ich eine Jugendfreundin aufzusuchen, die sich mit ihrem Gatten an diesem Badeort befand. Ich wollte sie überraschen, allein sie war bereits abgereist. Im jugendlichen Uebermuth blieb ich mit meinem Mädchen hier allein, wo meine fantastischen Träume vor der kalten Wirklichkeit verfliegen und verflattern sollten. (Sie steht auf.)

Baron (gleichfalls). Ihr Betragen zeigte allerdings von Mangel an Weltkenntniß, mein Fräulein, allein Ihre Erzählung hat Sie in meinen Augen vollkommen gerechtfertigt. Ich erlaube Ihnen daher von Amtswegen, frei und ungehindert zu bleiben, oder zu reisen, wie es Ihnen gefällt.

Katharine. Ich danke Ihnen, mein Herr.

Baron. Beantworten Sie mir noch Eine Frage: weßhalb wollten Sie so plötzlich abreisen?

Katharine. Soll ich aufrichtig reden?

Baron. Ich bitte darum.

Katharine. Nun denn: es war Ihretwegen.

Baron. Meinetwegen?

Katharine. Ja. Ich fühlte mich durch Ihr Betragen gekränkt. Niemals hatte sich mir ein Mann auf diese Art genähert. Ich war auf's Tiefste gedemüthigt, hilflos, verlassen. Meine lustige Laune war weg, meine Possen verstummten. Die Wuth, mich zu rächen, und die Ohnmacht, es nicht zu können, kämpften in meiner Brust. Ich konnte nicht länger bleiben. Ich wollte fort, ich mußte fort.

Baron. Mein Fräulein, diese Erklärung beschämt und entzückt mich zugleich.

Katharine. Die Beschämung lass' ich gelten, die Entzückung seh' ich nicht ein.

Baron. Sie wollten vor mir fliehen. Was man flieht, das ist uns nicht gleichgültig. Ihre Flucht ist also eine versteckte Schmeichelei für mich.

Katharine. Eine sehr günstige Auslegung!

Baron. Es läßt sich noch mehr hinein legen. Zum Beispiel die Aehnlichkeit unserer Charaktere. Ich finde bei Ihnen dieselbe Neigung zum Sonderbaren, einen gewissen romantischen Anklang –

Katharine. Sind Sie auch romantisch?

Baron. Aufzuwarten.

Katharine. Das hätt' ich nicht vermuthet.

Baron. Warum? Weil ich ein Mann bin?

Katharine. Weil Sie – kein Jüngling mehr sind.

Baron. Das war boshaft! – Mein Fräulein, Sie vergessen, daß ich Ihr Richter bin.

Katharine. Sie, mein Richter? Wer sind Sie denn eigentlich?

Baron. Ich? Ein Stück Bade-Commissär – eine Art Paß-Director.

Katharine. Wirklich? – Sind ihre Geschäfte beendigt?

Baron. Beiläufig – ja.

Katharine. Nun denn, so danke ich für Ihre Gefälligkeiten, Herr Director.

Baron. Was? Sie wollen die Commission wegschaffen, die eigentlich bestimmt ist, andere Leute wegzuschaffen?

Katharine. Bleiben Sie, so lange es Ihnen gefällig ist. Ich will nur auf mein Zimmer gehen.

Baron. Halt, mein schönes, romantisches Fräulein! Nur noch zwei Worte! Ich kenne nun Ihre Lage, Sie brauchen eine Stütze, einen Schützer, nehmen Sie mich dazu an.

Katharine. Was soll das wieder?

Baron. Sie haben sich in mir getäuscht, ich mich in Ihnen. Sie hielten mich für einen Abenteurer, ich Sie für eine Tänzerin. Ich weiß jetzt, wer Sie sind, mögen Sie mich gleichfalls kennen lernen. Ich bin Baron Ringelstern, besitze ein Landgut und verschiedene Tanten, deren eine Jede Sie mit Vergnügen in ihr Haus aufnehmen, und mir das Vergnügen verschaffen wird, Sie näher kennen zu lernen.

Katharine. Baron? Gutsbesitzer? Erst waren Sie ja Paß-Director.

Baron. Das war Scherz. Ich bin gar kein Director; im Gegentheil, ich bin froh, wenn Sie mich dirigiren wollen.

Katharine. Sie hatten also kein Recht, mich auszuforschen?

Baron. Eigentlich nicht.

Katharine. Und ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen Alles zu erzählen!

Baron. Es war eine Kriegslist.

Katharine. Kriegslist? – Es ist abscheulich!

Baron. Nicht doch! Es ist romantisch.

Katharine. Was romantisch? Es ist die höchste Beleidigung. Verlassen Sie mich sogleich.

Baron. Mein Fräulein –

Katharine. Ich sage, verlassen Sie mich!

Baron. Hören Sie doch meine Entschuldigung –

Katharine. Es gibt keine. Mich zutraulich zu machen, Ihr Spiel mit mir zu treiben! Ich muß Genugthuung haben.

Baron. Ich bin bereit. Degen oder Pistolen? – Aber hören Sie mich jetzt ruhig an. Mein voriger Antrag war ernsthaft gemeint. Sie sind ohne Schutz, ohne Stütze, die Eine der besagten Tanten wird nächstens hier erscheinen –

Katharine. Was kümmern mich Ihre Tanten! Wer sagt Ihnen, daß ich schutzlos bin? Auch ich erwarte mit Nächstem –

Baron. Eine Tante?

Katharine. Nein!

Baron. Einen Onkel?

Katharine. Auch nicht. Ich erwarte einen Beschützer.

Baron. Einen Beschützer? Einen Beschützer? Doch nicht –?

Katharine. Und was, mein Herr?

Baron. Einen Bräutigam?

Katharine. Ja, ich erwarte einen Bräutigam.

Baron. Wie? Sie haben einen Bräutigam?

Katharine. Warum soll ich keinen haben?

Baron. Einen wirklichen, einen veritablen Bräutigam? Das ist ein Anderes. Warum sagten Sie das nicht gleich? Ich sehe schon, mein Antrag war vorschnell, meine Kriegslist ist unnütz; die Entzückung schwindet, und nur die Beschämung bleibt zurück.

Katharine. Sehen Sie nun?

Baron. Ich bekenne mich für besiegt, ja, für vernichtet, ich ziehe mich mit dem Verlust aller meiner Truppen zurück. Der Bräutigam hat meine ganze Armee in die Pfanne gehauen. Wie ein Cäsar, ein Alexander, wirkte dieser Bräutigam, dieser Bräutigam ohne Namen, dieser Bräutigam X. – Leben Sie wohl, mein Fräulein. Vergeben und vergessen Sie, was zwischen uns vorfiel. – Sollte aber dieser Bräutigam vielleicht nur das Spiel einer lebhaften Einbildungskraft sein, so, was man einen Popanz, eine Vogelscheuche nennt, fehlte ihm die Realität, wär' er nur eine Idee, »der Bräutigam, wie er sein soll«, etwa der Mann im Monde, – dann sind wir quitt: Maske für Maske, Kriegslist für Kriegslist – die Visire sind gefallen, und ein neuer, offener Kampf beginnt auf Tod und Leben! (Ab.)

Neunzehnte Scene.

Katharine (allein), dann Ernestine.

Katharine. Er verspottet, er verhöhnt mich – o, warum muß ich ein Mädchen sein! – Luft! Luft! Ich ersticke!

Ernestine (mit einem großen Schreiben). Nun, Alles ging gut, nicht wahr? Der Herr sah ganz munter aus.

Katharine. Ganz munter!

Ernestine. Er muß wohl was Großes sein.

Katharine. Was Großes? Er ist ein Baron – ein Bösewicht – ein Mann! – Was hast Du da?

Ernestine. Einen großen Brief für Sie, mein Fräulein. Aber sagen Sie mir nur –

Katharine. Gib her! – Aus der Residenz? (Bricht hastig das Siegel.) Von meinem Advocaten. Der Rechnungs-Abschluß. Sehr gelegen! (Liest.) »Se. Excellenz, der Herr Präsident, haben die Gnade, den Brief selbst mitzunehmen.«. – Der Präsident ist hier. Nun ist Alles gut.

Ernestine. Ich begreife nicht – da klopft es schon wieder.

Katharine. Lass' klopfen! – Herein! – (Zu Ernestinen.) Geh' hinaus.

Ernestine (für sich). Ich kenne sie gar nicht – (Ab.)

Zwanzigste Scene.

Katharine. Sittig.

Katharine (geht auf Sittig zu). Herr Commissär, lesen Sie – (gibt ihm das Schreiben.)

Sittig (durchsieht die Papiere). Diese Schriftzüge sollte ich kennen – »Doctor Klaproth« – »Fräulein von Rosen« – Fräulein?

Katharine. Das bin ich. (Geht auf und ab).

Sittig (liest). »Hauszins – Obligationen – halbjähriges Erträgniß: zweitausend Thaler – Seine Excellenz, der Herr Präsident –« Ah, Seine Excellenz! (Liest im Stillen.)

Katharine. Sind Sie nun über meine Person aufgeklärt?

Sittig. Vollkommen. Auf diese Papiere kann ich Ihnen mit gutem Gewissen den Entlaß-Schein ausfertigen. Auch stehen die Pferde bereit.

Katharine. Ich danke. Ich reise nicht – ich bleibe.

Sittig. Wie es Ihnen gefällig ist.

Katharine. Herr Commissär, sind Sie verheirathet?

Sittig. Ich? O nein!

Katharine. Das ist Schade! Zwar – Sie könnten – Wollten Sie sich einer Verlassenen annehmen?

Sittig. Mit Vergnügen.

Katharine. Wollen Sie –? (Sieht ihn an, geht auf und ab.)

Sittig. Was soll ich wollen?

Katharine. Wollen Sie mich heute auf die Promenade begleiten?

Sittig. Auf die Promenade? Erklären Sie mir nur –

Katharine. Ach ich bin schutzlos, beleidigt, verhöhnt von einem Grausamen, einem Spötter, einem Unwürdigen! (Bricht in Thränen aus.)

Sittig (wird warm). Wer hat Sie beleidigt? Nennen Sie den Mann. Ich schütze, ich räche Sie. Ich bin eben in der Laune, mit der ganzen Welt Händel anzufangen.

Katharine. Lassen wir das. – Sie sind ein guter Mensch. So sollten die Männer sein! Auch ich bin gut. Denken Sie nichts Arges von mir. Und nun führen Sie mich vor Allem zum Präsidenten.

Sittig. Recht gern, aber es wäre vergebene Mühe. Seine Excellenz haben sich umgekleidet, sind ausgefahren, sind heute nicht zu sprechen.

Katharine. Nun denn, morgen. Aber heute müssen Sie mich auf die Promenade begleiten. Sie werden den Präsidenten dadurch verbinden. Die Pferde stehen bereit, ich lasse meinen Wagen anspannen; ich hole meinen Hut, meinen Shawl. Sie sollen Alles erfahren. Erwarten Sie mich hier. (Ab.)

Sittig (allein). Sonderbares Mädchen! Kuriose Geschichte! Man wird nicht klug daraus. Was wird Cäcilie sagen? – Ich soll mit ihr spazieren fahren? Aber warum? Was hat sie davon? Ich begreif' es nicht.

Katharine (mit Hut und Shawl).

Katharine. Herr Commissär, ich bitte um Ihren Arm.

Sittig (zögernd). Mein Fräulein – wenn Sie befehlen –

Katharine (ergreift seinen Arm). Kommen Sie! Kommen Sie!

Sittig. Ich mit einem Frauenzimmer auf der Promenade! Das wird ein ganzes Stadt- und Land-Gespräch –

(Beide ab.)


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