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VI. Wissenschaftliche Entwickelung und Dichtkunst.

Die wissenschaftlich gebildeten Araber und Orientalen des Kalifenreichs unterschieden sich in einem wesentlichen Punkt von denen des Abendlandes. Es waren keine Fach- oder Brodgelehrten, die sich ausschließlich nur mit ihrer Wissenschaft beschäftigten, sondern Männer des praktischen Lebens: Kaufleute, Händler, Handwerker und Beamte. Das war kein Fehler. Diese Männer warfen sich aus innerem Antrieb auf das wissenschaftliche Studium und weil mitten im strömenden, praktischen Leben stehend, verfielen sie nicht den Einseitigkeiten des Stubengelehrtentums. Die gelehrten Araber studirten und verglichen das Studirte mit dem praktischen Leben und wandten, wo sie konnten, es darauf an. Dies gab den wissenschaftlichen Studien eine sehr populäre Richtung, Erfahrungen und Beobachtungen erlangten eine hohe Anerkennung, und so kamen namentlich verschiedene Zweige der Naturwissenschaft zu hoher Entwicklung.

Im Abendland besteht noch heute meist zwischen Gelehrten und Volk eine weite Kluft, als seien beide Wesen ganz verschiedener Gattung und gingen sich gegenseitig nichts an. Unsere Gelehrten verstehen vom praktischen Leben in der Regel blutwenig, sie laufen darin wie Fremde umher und haben darum auf das Volk sehr wenig Einfluß, gegen das sie im ganzen eine ziemliche Verachtung hegen; sie kennen seine Kräfte nicht und wissen es nicht zu schäzen. Anders der Araber. Um ein wissenschaftliches Werk zu schreiben genügte nicht dem arabischen Gelehrten vorhandene Werke zu studiren, er wollte auch möglichst selbst sehen und hören und darnach urteilen. So sehen wir denn viele dieser Männer, die sich mit Naturkunde, Geschichte, Geographie, Rechtskunde, Religion u. s. w. befaßten, den Wanderstab in die Hand nehmen, oft viele Jahre lang das weite Reich von einem Ende bis zum anderen, und zwar vornehmlich zu Fuß, durchwandern. Sie durchkosten alle Lebenslagen, sehen, hören, fragen, studiren und notiren das Wahrgenommene sorgfältig und gewissenhaft und verarbeiten, zu Hause angekommen, Studirtes und Erlebtes zu mächtigen Werken. Daher kommt es, daß, seitdem es in Europa Sitte wurde, die arabische Literatur zu studiren – leider haben mongolische Barbarei und christlicher Fanatismus während der Kreuzzüge in Vorderasien und Palästina und nach der Vertreibung der Araber aus Spanien hunderttausende arabischer Schriftwerke zerstört – wir über die Zustände im mohammedanischen Weltreich besser unterrichtet sind, als über diejenigen in unsern europäischen Kulturländern im Mittelalter.

Der Unterschied zwischen Mohammedanismus und Christentum war der. Die Araber sammelten bei ihren Eroberungen sorgfältig alle Werke, die ihnen zum Studium und zur Belehrung über die besiegten Völker und Länder dienen und Nuzen stiften konnten; die Christen zerstörten bei der Ausbreitung ihrer Lehre alle dergleichen Kulturdenkmäler als Werke des Satans und heidnische Greuel, die ein guter Christ so rasch als möglich vernichten müsse.

Von Mohammed wird ein Ausspruch inbezug auf die Wissenschaft mitgeteilt, welcher lautet: »Wer sein Haus verläßt, um der Wissenschaft nachzuforschen, der wandelt auf dem Pfade Gottes bis zu seiner Heimkunft.« Und in einem anderen seiner Aussprüche sagt er: »Wer eine Reise macht, um der Wissenschaft nachzugehen, dem erleichtert Gott auch den Weg zum Paradiese.« Der Kalife Aly äußerte: » Der größte Schmuck eines Mannes ist Bildung. Auszeichnung im Wissen ist die höchste aller Ehren. Derjenige stirbt nicht, welcher sein Leben der Wissenschaft weiht.« Mit anderen Worten, er lebt in seinen Werken unsterblich. Neunhundert Jahre später predigte der große Reformator Luther, von dessen Auftreten viele eine neue Aera für die Geistesfreiheit Europas ableiten, gegen » die verfluchte Hure Vernunft« und fordert die Censur für alle Schriften und die Verfolgung aller in religiösen Dingen von ihm Abweichenden.

Im christlichen Mittelalter wurde jeder Gelehrte, der wagte den leisesten Zweifel über die Wahrheit der Kirchendogmen zu äußern, als Kezer verfolgt und womöglich dem Scheiterhaufen überliefert; dagegen bot der Kalife Almaimon dem byzantinischen Kaiser Theophilus einen Zentner Gold und ein ewiges Bündnis zum Frieden, wenn er ihm den Philosophen Leo auf einige Zeit zur Belehrung senden wolle. Und er sezte diesem Anerbieten hinzu: »Laß nicht Verschiedenheit der Religion oder des Landes Dich bewegen, meine Bitte zu verweigern. Tue, was Freundschaft einem Freunde zugestehen würde.« Der hochmütige Byzantiner hatte auf dieses entgegenkommende und ehrende Anerbieten nur die feindselige Antwort: »Die Gelehrsamkeit, welche den römischen Namen verherrlicht, soll nie einem Barbaren mitgeteilt werden.« Noch einige andere Tatsachen seien angeführt, in denen der gewaltige Unterschied zwischen dem Mohammedanismus und dem christlichen Abendland in jener Zeit grell zu Tage tritt. Im siebenzehnten Jahrhundert verbot noch die französische hugenottische Geistlichkeit, also Protestanten, ihren Anhängern streng, ihre Kinder auf katolische Gymnasien zu senden oder sie von einem katolischen Lehrer unterrichten zu lassen, hingegen sezte schon im neunten Jahrhundert der Kalife Harun al Raschid das Oberhaupt der christlichen Sekte der Nestorianer zum obersten Leiter des gesammten Schul- und Bildungswesen seines Reichs ein und gab ihm seine Kinder zur Erziehung. So stark waren die Gegensäze zwischen Christentum und Mohammedanismus.

Während im christlichen Abendland der Wunder- und Reliquienschwindel bei Hoch und Niedrig in üppigster Blüte stand, niemand vom Wesen des menschlichen Körpers und der menschlichen Krankheiten und ihrer Heilung genauere Kenntnisse hatte, betrieben die Araber eifrig das Studium der Medizin, gab es hochgeschickte männliche und weibliche Aerzte bei ihnen und gestatteten sie jedem, ohne Unterschied des Glaubens, sich dieser nüzlichen Wissenschaft zu widmen und ihre Lehranstalten zu besuchen.

Diesen offenkundigen Tatsachen gegenüber ist es z. B. schwer begreiflich, daß noch bis heute zahlreiche europäische Schriftsteller behaupten, die große Bibliotek in Serapeum zu Alexandrien sei durch mohammedanische Barbarei, und zwar bei der Eroberung Alexandriens durch Omar, der seine Bäder mit den Schriftwerken beheizt habe, zerstört worden. Die Wahrheit ist, daß sie dem Fanatismus der Christen unter der Führung ihres Bischofs, des heiligen Theophilus, im Jahre 391 mit all ihren astronomischen, physikalischen und matematischen Instrumenten zum Opfer fiel und vernichtet ward. 410 folgte dann der heilige Cyrill dem Beispiel seines Vorgängers, daß er die lezte Vertretung alexandrinischer Gelehrsamkeit, die schöne aber heidnische Hypatia, aufs grausamste ermorden ließ. Mit der Vernichtung des Serapeums war die lezte Stätte antiker Gelehrsamkeit zerstört. Das Wissen floh in die Wüste und in die Einsamkeit, wo verfolgte Juden und Sektirer ihm heimlich eine Stätte bereiteten, bis nach mehr als zwei Jahrhunderten die Gründung des Araberreichs die Wissenschaft wieder aufatmen ließ und sie zu neuem und höherem Glanze gelangte.

In der Medizin waren es besonders die Juden, zu denen die Araber in die Lehre gingen. Ausgezeichnet als Arzt war Maser aljaivah, der die Stelle des Leibarztes bei dem Kalifen Moawija bekleidete und auch als Dichter und Philosoph einen großen Ruf besaß. Harun, ein jüdischer Arzt in Alexandrien, schrieb die erste Abhandlung über die Kinderblattern, die aber verloren ging. Der später lebende arabische Arzt Rhazes (Rhazy) verfaßte eine noch vorhandene wertvolle Abhandlung über die Menschenblattern. Mansur schrieb in zehn Büchern eine Abhandlung über das ganze Gebiet der Medizin, und bildete dieses Werk später auf europäischen Universitäten das Hauptlehrbuch für den medizinischen Unterricht. Aber der berühmteste von allen arabischen Aerzten war Avicenna, dessen System der Heilkunde während des ganzen Mittelalters Europa beherrschte.

Eine Anzahl Medikamente, die heute noch bei uns in Gebrauch sind, stammen von den Arabern. Es gab wohlausgerüstete Apoteken und große encyclopädische Werke, die das Studium der Medizin erleichterten.

Viele Kalifen wetteiferten teils aus wirklichem wissenschaftlichem Interesse, teils aus Ruhmbegier und Ehrgeiz in der Unterstüzung aller dieser Bestrebungen, namentlich beförderten sie die Uebersezung tausender von altägyptischen, indischen, persischen und griechischen Schriftwerken, die dadurch erst dem übrigen Europa zugänglich gemacht wurden. So wurden die Werke des Aristoteles dem Abendland erst durch die Araber bekannt und war der berühmte Averrhoës zu Cordova sein Hauptkommentator. Bekanntlich bildete Aristoteles die Hauptstüze für die scholastische Philosophie des Mittelalters.

Dieses ganze geistliche Leben konzentrirte sich in den großen Städten des Reichs. Hier wurden mächtige öffentliche Biblioteken gegründet, deren Bagdad zur Zeit seiner Eroberung durch die Mongolen allein zwanzig gehabt haben soll, und diese Biblioteken wurden mit Gelehrtenschulen verbunden. Den Wissensdurstigen wurde durch die Gründung von Herbergen, die für ein Billiges ein bequemes Unterkommen gewährten, unter die Arme gegriffen. Kalifen, hohe Würdenträger und reiche Private wetteiferten in solchen Hilfsleistungen, stifteten große Vermächtnisse und Stipendien. Auch legten Private sich häufig Büchersammlungen mit kostbaren Einbänden an, und erzielten seltene Bücher enorme Preise. Es sind Fälle bekannt, wo bis zu 1500 Dirham für ein Werk bezahlt wurden.

In den Naturwissenschaften waren die Araber in verschiedener Richtung bahnbrechend. Die Astronomie wurde schon der Astrologie halber stark gepflegt. Der Glaube an Sterndeutung ist ein uralter und es ist bekannt, daß selbst große Geister der Neuzeit ihr noch huldigen, so Wallenstein und Napoleon. Mit der Astronomie gehen Matematik und Physik Hand in Hand und in beiden Wissenschaften wurden ebenfalls namhafte Fortschritte erzielt. Auf dem Observatorium zu Bagdad wurde die Schiefe der Ekliptik (Sonnenbahn) festgestellt.

Diese ward innerhalb dreier Jahrhunderte fünfmal berechnet und stimmen die arabischen Berechnungen mit den unseren ziemlich genau überein, sie verhalten sich wie 23° 35' zu 23° 27' 30". Die Araber führten ferner die Messung eines Grades des Meridians aus, was die genaue Kenntnis der Kugelgestalt der Erde voraussezt, wahrscheinlich durch die Werke des Ptolemäus. Die indischen astronomischen Tafeln übersezten sie ins arabische, ebenso die Tafeln des Ptolemäus, die sie einer Revision und Berichtigung unterwarfen. Sie besaßen Fernrohre mit Okular- und Objektivdioptern von hoher Vollkommenheit und sollen sie bereits die Sonnenflecke bemerkt haben. Der Astronom Abderahman Sufis suchte die Lichtmessung der Sterne zu verbessern; der Matematiker Alhazan berechnete die Zeit durch Pendelschwingungen, wie denn bekanntlich der Kalife Harun al Raschid schon Karl dem Großen eine kostbar gearbeitete Wasseruhr verehrte, die als ein Wunder der Mechanik und künstlerischer Arbeit angestaunt wurde. Ueber das Apogäum – den Punkt in der Bahn des Mondes, in dem dieser am weitesten von der Sonne absteht – machte der Astronom Alzakal eine Menge Beobachtungen und berechnete dasselbe auf 49 ½ bis 50, während es jezt auf 50,1 berechnet worden ist.

Die Algebra verdankt Europa den Arabern, ebenso große Fortschritte in der Geometrie und Trigonometrie. Die Werke des Euklid und Archimedes wurden von ihnen übersezt. In der Optik stellte Alhazen eine Teorie des Sehens auf, von der noch heute vieles als richtig anerkannt wird, auch entwarf er Tabellen über die spezifische Schwere der Körper, die richtiger sind, als jene der im vorigen Jahrhundert bei uns berechneten. Alhazan stellte ferner bemerkenswerte Teorien über die Schwere der Luft und die Gleichgewichtslehre auf, auch versuchte er die Höhe der Erdatmosphäre zu messen. Der Gravitationsteorie, die später Newton entdeckte, kam er sehr nahe.

Unsere Zahlen sind arabischen Ursprungs, doch entnahmen sie die Araber den Indern. Die Chemie entwickelte sich bei den Arabern, wie später in Europa, aus der Alchemie. Man wollte die Kunst, Gold zu machen, lernen und das Lebenselexir erfinden, das alle Krankheiten heilen sollte. Man erfand weder das eine noch das andere, aber man machte Erfindungen, welche der Welt nüzlicher waren. So entdeckte der Chemiker Djafar schon gegen Ende des 8. Jahrhunderts die Salpetersäure und das Königswasser, also die Möglichkeit, Gold aufzulösen. Von ihm sind auch Beschreibungen über verschiedene chemische Prozesse und Apparate vorhanden. Der Arzt Rhazes beschreibt die Gewinnung des Alkohols und der Salpetersäure; Achilt Berhil entdeckte die Zubereitung des Phosphors. Das Pulver wurde schon gegen Ende des 8. Jahrhunderts bei den Arabern erfunden, das sie aus Schwefel, Holzkohle und Salpeter bereiteten, doch scheint es zu Kriegszwecken erst sehr viel später angewandt worden zu sein. Die künstliche Eisbereitung, die Europa erst im 16. Jahrhundert kennen lernte, war ihnen gleichfalls bekannt. Aus den Schriften Gebers (Gebert, eines christlichen Geistlichen, der bei den Arabern in Spanien seine Studien gemacht, später Erzbischof von Rheims und ums Jahr 1000 sogar den päbstlichen Stuhl als Sylvester II. bestieg) geht hervor, daß ihnen eine Menge von Chemikalien, als Vitriol, Alaun, Salmiak, Soda, Alkali u. s. w. bekannt waren.

Angeführt sei hier, daß Pabst Sylvester II. (Gebert) bereits 1004 an Gift starb, und noch lange nach seinem Tode in der Christenheit die schauerlichsten Gerüchte von seinen geheimnisvollen Künsten umgingen, die er bei den Ungläubigen, durch einen Pakt mit dem Teufel, der ihn auch schließlich geholt, erlernt habe.

In der Zoologie, Botanik und Mineralogie waren die Arbeiten der Araber nicht bedeutend.

In der Zoologie hielten sie sich ganz an Aristoteles, dagegen leisteten sie in der Botanik besseres. Die geschlechtliche Verschiedenheit der Pflanzen war ihnen bekannt, auch die Eigenschaften des Saftes und der Zeitperioden. In der Mineralogie war es hauptsächlich Byruny, der Untersuchungen über die Natur und Dichtigkeit der Minerale und Metalle anstellte und vermittelst einer von ihm konstruirten Wasserwage Wägungen vornahm, die fast ganz mit unseren heutigen Resultaten übereinstimmen. Für das Entstehen der Edelsteine hatten sie eine eigene Teorie, man suchte sie sich als aus den Metallen entstanden zu erklären und zwar vermittelst eines Prozesses, in dem Hize und Feuchtigkeit und ihre Gegensäze, Kälte und Trockenheit, wirkten.

Das Interesse der Araber von Alters her für die Geschichte ihrer Abstammung und Entwicklung und die Taten des Stammes, dem sie angehörten, mußte, sobald sie Herren eines großen mächtigen Reiches waren, den Wunsch bei ihnen erwecken, auch die Geschichte dieses Reiches genau niederzuschreiben und die Geschichte der einzelnen Provinzen und Länder ihres Reiches kennen zu lernen. Mit der Sammlung der Ueberlieferungen des Propheten und seiner nächsten Nachfolger begann auch eine genaue Aufzeichnung der geschichtlichen Taten und Ereignisse. Große umfängliche Geschichtswerke entstanden, in denen man, an die biblische Sage von der Entstehung der Welt anknüpfend, die ganze Entwicklungsgeschichte der Araber und der mit ihnen in Berührung gekommenen Völker darstellte. An den Kalifenhöfen selbst wurde einer genauen Aufzeichnung aller wichtigeren Vorgänge große Wichtigkeit beigelegt; es gab ständige Chronisten, die mit diesen Aufzeichnungen betraut wurden, deren Werke man herbeibrachte und nachschlug, wenn es galt irgendeine Tat eines früheren Kalifen oder ein geschichtliches Ereignis festzustellen. Auch wurden große Geschichtskompendien, alphabetisch wohlgeordnet, zusammengestellt, aus denen die Abstammung und Vergangenheit der hervorragenderen Familien und der einzelnen Stämme, die geschichtlichen Ereignisse und alles auf den Propheten und seine Familie bezughabende zu ersehen war.

Von einem der frühesten und berühmtesten Geschichtsschreiber, Handany, ist ein Werk vorhanden, das nicht blos eine Geschichte der südarabischen Stämme enthält, sondern auch wichtige Aufschlüsse über die Topographie des Landes, seine Altertümer, die alte Sprache und ihre Schriftdenkmale gibt. Von einem anderen Gelehrten, Masudy, liegt ein Werk vor, worin dieser in naturgetreuer Schilderung ein Bild von den Ländern und Völkern und ihren Zuständen entrollt, die er auf seinen langen und weiten Reisen in Persien, Indien, auf Ceylon und Madagaskar, ferner in den Ländern des Kalifenreichs vom Kaspischen bis zum Roten Meer kennen lernte. Von Byruny existirt ein wertvolles Werk über Chronologie und ein anderes über Indien, wie denn dieser Gelehrte sich auch durch seine sehr bedeutenden geographischen und astronomischen Kenntnisse und Berechnungen auszeichnete.

In der geographischen Literatur ist ein Werk Istachrys, das eine genaue Beschreibung Persiens mit Bezugnahme aus Handel, Produkte, Gewerbe und Bevölkerungs-Verhältnisse enthält, von höchstem Wert. Ein anderes großes geographisches Werk ist das Mokkadasy aus dem neunten Jahrhundert, welcher das ganze Kalifenreich mit Ausnahme von Sind und Spanien bereiste, überall sich aufhielt, studirte und die genaueste Beschreibung des Erlebten gibt. Doktor Sprenger, einer der eifrigsten Forscher in der arabischen Literatur, versichert, daß es nach seiner Ansicht nie einen Geographen gegeben, der so viel gereist, so scharf beobachtet und zugleich das Gesammelte so planmäßig verarbeitet habe. Solcher wandernder Gelehrter gab es viele, die sammelten und beobachteten und über das Erlebte in umfänglichen Werken berichteten.

Auch geologische Studien wurden von den Arabern ins Werk gesezt, und es ist namentlich der berühmte Avicenna, der schon die Ideen über Vulkanismus und Neptunismus entwickelte, Ideen, die unsere Naturforscher bis in die neueste Zeit in Atem und in zwei getrennte Lager gehalten haben.

Bei solcher geistiger Regsamkeit auf fast allen Gebieten menschlichen Wissens konnte auch die eigentliche spekulative Wissenschaft, die Philosophie, nicht zurückbleiben. Der semitische Geist ist seinem Wesen nach sehr zur Kritik und zum Zweifel geneigt, der Zweifel aber ist alles Wissens und Forschens notwendige Voraussezung. Es wurde schon berichtet, wie arabische Gelehrte bei den Untersuchungen über den Koran und die Sunna den Zweifel als unumgängliche Voraussezung für eine wahrheitsgemäße Feststellung bezeichneten, ferner wie die Anhänger der verschiedenen Religionen und Sekten sich zusammenfanden, um über die wichtigsten religiösen Streitfragen zu disputiren. Ergözlich zu lesen ist eine Schilderung, die ein ortodoxer Mohammedaner aus Spanien, von einer Reise nach Bagdad zurückgekehrt, über einige seiner Besuche solcher Disputationen seinen Bekannten gibt. Er erzählt: »Ich war zweimal bei ihren Zusammenkünften, aber ich hütete mich, zum dritten Male hinzugehen. Warum? – Stellt Euch vor, bei der ersten Versammlung waren nicht blos Mohammedaner von allen Sekten anwesend, Ortodoxe und Heterodoxe, sondern auch Feueranbeter (Parsen), Materialisten, Ateisten, Juden und Christen, kurzum Ungläubige jeder Art. Jede dieser Sekten hatten ihren Sprecher, der ihre Ansichten verteidigen mußte. Trat einer dieser Parteihäuptlinge in den Saal, so erhoben sich Alle ehrerbietig und Niemand sezte sich, ehe er Plaz genommen hatte. Als der Saal nahezu angefüllt war, nahm einer der Ungläubigen das Wort und sprach: »Wir haben und versammelt, um zu disputiren; Ihr Alle kennt die Vorbedingungen; Ihr Mohammedaner dürft uns nicht mit Beweisgründen bekämpfen, die aus Eurer Schrift geschöpft sind, oder auf die Reden Eures Propheten sich stüzen; denn wir glauben weder an dieses Buch noch an Euren Propheten. Jeder der Anwesenden darf sich nur auf Gründe berufen, die aus der menschlichen Vernunft entnommen sind.« Diese Worte wurden allgemein bejubelt und Ihr werdet begreifen, daß ich, nachdem ich solche Reden gehört hatte, keine Lust fühlte, diesen Versammlungen weiter beizuwohnen. Man beredete mich doch noch, eine andere Zusammenkunft zu besuchen und ich ging auch; es war aber derselbe Skandal.«

Welch ein gewaltiger Unterschied zwischen dieser Blütezeit des Islam und dem Christentum bis in unser Jahrhundert. Eine solche Sprache auf den Katedern unserer Universitäten geführt, wie sie in jenen Disputationen geführt wurde, würde vor nicht langer Zeit dem Sprecher Amt und Stellung gekostet haben, und noch heute findet kein Professor Anstellung, wenn man von vornherein von ihm weiß, daß er nicht gewillt ist, seine freigeistige Meinung möglichst zu verbergen. Die unverständliche Sprache unserer älteren deutschen Philosophen ist hauptsächlich dem Umstand geschuldet, daß sie den Regierungen gegenüber nicht wagen durften, offen mit der Sprache herauszugehen, ohne die sichere Aussicht gemaßregelt zu werden. Sie mußten, bevor noch Talleyrand seinen berühmten Ausspruch getan, die Sprache benuzen, um ihre Gedanken zu verbergen.

Es bildeten sich in Folge dieser philosophischen Kämpfe und Untersuchungen rationalistische Schulen, die schließlich in ihren Schlüssen kühn bis zu den lezten Konsequenzen gingen. Eine dieser rationalistischen Schulen waren die Motaziliten (Dissidenten), welche die Prädestination, die Lehre von der Vorherbestimmung und Gnadenwahl, wie sie im Koran in Uebereinstimmung mit der christlichen Lehre des heiligen Augustin und später Calvins gelehrt wurde – verwarfen und die menschliche Willensfreiheit vertraten. Die menschliche Vernunft sein allein entscheidend, der Koran als Menschenwerk enthalte nur die Lehren eines gottbegeisterten Mannes. Die mohammedanischen Ortodoxen bemühten sich nämlich später, ähnlich wie es die christlichen Eiferer mit der Bibel machten, den Koran als von Gott selbst kommend, als unerschaffenes Werk darzustellen, und in diesen Lehren fanden sie an den Motaziliten die heftigsten Gegner. Ihre dissidentischen Lehren herrschten lange Zeit auf dem Kalifentrone, einige Kalifen bekannten sich sogar zum vollkommensten Ateismus. Vom Dichter Abul Ala rührt der Ausspruch: »Die Menschen haben zwei Klassen: die Einen haben Verstand aber keinen Glauben, die Anderen haben den Glauben aber keinen Verstand.«

Maarry und Averroês lehrten einen vollkommenen Panteismus; sie bekämpften namentlich, aus auf Egoismus beruhend und auf Untergrabung wahrer Sittlichkeit ausgehend, die Ansicht, daß man das Gute tun und tugendhaft leben solle, um später als Belohnung die Glückseligkeit zu erlangen. Die Tugend, lehrten sie, müsse ihrer selbst wegen geübt werden, da dies allein das wahre Glück gebe. Nach ihrer Auffassung war die menschliche Seele ein Teil der Allseele, welche das Universum durchdringe, in welche die menschliche Seele nach dem Tode des Körpers zurückkehre.

Die Dahriten gingen noch weiter, sie waren reine Materialisten. Sie lehrten die Anfanglosigkeit und die Ewigkeit der Welt, behauptend, daß sie keine Anfangsursache und keinen Schöpfer habe. Nichts könne in der Welt zu Grunde gehen; die äußere Form der Körper und ihre Stoffe änderten sich und seien ewig Umgestaltungen und Mischungen unterworfen, aber die Materie selbst bleibe. Als Ursache aller Neugestaltungen betrachteten sie die Kreisschwingungen der Sphären; diese Kreisschwingung sei anfangslos und habe ihren Ursiz in dem anfanglosen Weltäter. Da haben wir den modernen Materialismus in seinem wesentlichsten Inhalt. Man kann sich wohl vorstellen, welchen Schrecken solche Lehren in den gläubigen Kreisen erweckten. Auch die weltliche Macht begriff allmälig, welche Gefahr für sie vorhanden sei, wenn diese Lehren, welche die Autorität und allen Glauben untergruben, im Volke Boden fänden. Die ortodoxe Richtung bekam Oberwasser und die strengsten Verbote erfolgten gegen die Veröffentlichung solcher Lehren. Eine Zeit lang wüteten auch im Orient die Kezerverfolgungen; man verbot den Verkauf von Büchern philosophischen und polemischen Inhalts, der fanatische Kalif Kâdir erließ sogar förmliche Proskriptions-Edikte gegen die Freidenker.

Doch mehr als diese Verfolgungen sorgte der unfreie soziale und geistige Zustand der Masse der Bevölkerung dafür, daß diese Ansichten und Lehren zu keiner ernsten Gefahr für den Bestand der Dinge wurden.

Für die geistige Entwickelung hatten diese Verfolgungen und die Neigung zum Wohlleben die Wirkung, daß die Studien mehr und mehr verflachten. Es bildete sich ein zahlreiches literarisches Proletariat – eine Art fahrender Geisteskünstler – die mit Citaten, Versen und Philologiewizen gut ausgestattet, von Ort zu Ort zogen und ihre Künste zum Besten gaben, wo ein schöngeistiger Kreis darnach Verlangen trug. Da dies eine andere Art des Sinnenkizels war und die Schmeichelkünste diesen literarischen Zigeunern nicht mangelten, welche sie bei den dafür sehr empfänglichen Großen und Reichen anwandten, so fehlte es ihnen nicht an Unterstüzung und Verdienst, bis Uebermaß und Ueberzahl von selbst die Abstumpfung und das endliche Aufhören dieser geistigen Akrobatenkünste herbeiführten.

Begünstigt wurde die Vermehrung dieser gänzlich mittellosen Literatoren aller Art hauptsächlich durch die zahlreichen Freistellen, Stipendien und sonstigen Unterstüzungen der höheren Schulen. In dieser Richtung bestand ein wahrer Wetteifer unter den Besizenden, der, wie der Erfolg zeigte, neben seinen guten auch seine schlimmen Seiten hatte.

Schon frühzeitig ward neben der rein wissenschaftlichen Literatur, auch das Fachschriftenwesen für Gewerbe und Kunstfertigkeiten entwickelt. Die Literatur über den Ackerbau ist bereits erwähnt worden. So entstanden auch Fachschriften über die Waffenproduktion und das Kriegswesen, über die Feuerwerkskunst, die verschiedenen Spezereien, die Porzellan- und Stahlfabrikation, Taschenspielerkunst und Gauklerei u. s. w. Dies in Kürze die Skizze von der wissenschaftlichen und literarischen Entwicklung der Araber. Wir kommen zur Dichtkunst.

Die arabische Dichtkunst ist von hohem poetischen und historischen Werte; sie spiegelt getreu in einfacher, aber äußerst ausdrucksvoller Sprache Stimmungen, Gesinnungen und Anschauungen des Volks in allen Lebenslagen und auf seinen verschiedenen Kulturstufen wider und gibt ein klares Bild seiner Entwickelung.

Die Empfänglichkeit des Arabers für sinnliche Eindrücke ist eine sehr große und eine Folge der hellen, heiteren Natur, in der er lebt. Am Tage genießt er die fast stetig strahlende Sonne mit ihrem Lichtermeer, die Reinheit der Luft, die dem Blick in die weiteste Ferne zu schweifen gestattet, die Abwechslung der Szenerie des Landes; in der Nacht wird seine Phantasie durch den glänzenden Sternenhimmel erregt und genährt. Im Ganzen begünstigt die Natur des Landes Gesundheit und körperliches Wohlbefinden, Freude am Lebensgenuß, Mut und Selbstvertrauen und eine poetische Sinnlichkeit. Daher liebt der Araber die Dichtung und die Erzählung von den frühesten Zeiten an, ja als das Kalifenreich schon in hoher Blüte stand und sich sein Wesen und sein Geschmack durch seine veränderte Lage wesentlich mit verändert hatte, blieb der Hang, den Dichtern und Märchenerzählern zu lauschen, ungeschwächt.

Die Dichtung der Araber durchlief wie ihre Kulturentwickelung drei Stufen. Die erste entspricht dem Zeitalter, wo noch die alten patriarchalischen Einrichtungen vorhanden waren oder überwogen; sie ist eine reine aber tiefempfundene Naturpoesie. Sie ergeht sich in Schilderungen des Wüsten-, Hirten- und Ackerbaulebens; sie schildert die Abenteuer der Jagd und den Raubzug und beschreibt mit Vorliebe die sinnlichen Reize schöner Frauen, die der Araber mit voller südlicher Glut zu schäzen wußte.

Die zweite Stufe der Dichtung wurde erreicht, als das große Reich sich konsolidirte und städtisches Leben den entscheidenden Einfluß errang. Sie schildert das Leben und die Gesellschaft in dem neuen Reich. Diese Periode umfaßt neben Kriegs- und Schlachtgesängen, das Lob kriegerischer Großtaten und die Lage in der Gefangenschaft, aber auch am Feind geübte ritterliche Großmut; sie umfaßt ferner die Schilderung prächtiger Wohnräume und Gärten, Zechgelage und Liebesabenteuer, städtisches Treiben und Gedränge; dann enthält sie Spott- und Schmähgedichte, die sich gegen hohe Beamte wie Private richten und Schwächen von Personen und Ständen bloßstellen und geißeln; ferner die Gedichte sinnlicher und frivoler Gattung, die dem Geschlechtsleben und dem Treiben der höheren Stände zur Reizung dienten.

Die dritte Dichtungsstufe endlich ward erreicht in der Blütezeit des Reichs und bei dem Beginn seines Verfalls; sie bezieht sich auf die höheren geistigen Bestrebungen, die im Liede besungen, kritisirt und angegriffen oder verherrlicht wurden. Sie betreffen hauptsächlich die Religion und Unsterblichkeit. Im Gedichte wird philosophirt über Welt- und Menschenwerden und -Vergehen, über das Wesen Gottes und den Zweck der Welt. Pantheismus, Atheismus und Materialismus, schließlich der Pessimismus finden im Gedichte ihre Vertreter und zwar Vertreter ersten Rangs.

So machte die arabische Dichtung alle Entwickelungsphasen durch, welche die ersten Kulturvölker Europas bis heute ebenfalls durchlaufen haben oder noch zu durchlaufen im Begriff stehen.

Einige Proben dieser verschiedenen Gedichtsgattungen, die dem vortrefflichen, auf Quellenstudium und genauer Kenntnis von Land und Leuten beruhenden Werk des Herrn v. Kremer Kulturgeschichte des Orients unter den Kalifen. Wien, 1875. Wilhelm Braumüller. entnommen sind, mögen hier ihre Stelle finden. Ein Gedicht, das einen Nachtzug durch die Wüste schildert, lautet:

Ein Durchstreifer unablässig bin ich der felsigen Schluchten,
Der von Straßen, dem Gezische der Ginnen und den Ghulen besuchten.
Es war eine Nacht von tiefster Schwärze gleich einem Rappen,
Bedeckt mit der pechschwarzen Schabrake weiten Lappen;
Ich durchwachte sie, doch meine Gefährten die nickten, besiegt
Vom Schlafe, wie die Chirwablume die Krone wiegt.
Und, wenn auch die Finsternis wie die Meerflut entgegen mir dräut,
Und eine Wüste, unendlich, mit Gefahren, die Jeder scheut,
Wo das Käuzchen schreit und der Führer sogar sich verirrt
Und dem Wand'rer die Angst den Blick verwirrt.

Dieses Gedicht gibt besser als Seiten lange prosaische Abhandlungen einen Begriff von der schauerlichen Großartigkeit der Nacht in der Wüste. Imra' alkais, einer der bedeutendsten der älteren Dichter, schildert einen Regenguß, wie er wolkenbruchartig plözlich hereinbricht in einem Lande, das selten Regen bekommt und nie genug davon hat. Dieses lautet:

Eine Wolke mit gedehnten Schooß,
Erdumfangend, stand sie still und groß,
Ließ den Zeltpflock sichtbar, wenn sie nachließ
Und bedeckt ihn, wenn sie reichlich floß.
Eidechsen sahst du, kund'ge, leichte,
Mit den Tazen rudern, bodenlos.
Büsche ragten aus der Flut wie Köpfe,
Abgehau'ne, die ein Schleier umfloß.

Zog der Wüstenaraber auf Raub, so hatte er die Gewohnheit, erst während der Nacht aufzubrechen und sich auf Um- und Schleichwegen in aller Stille dem Orte zu nähern, dem sein Besuch galt. Er brach dann in frühester Morgenstunde, wenn alles sich sorglos der Ruhe überließ, plözlich wie der Sturmwind aus seinem Hinterhalte hervor, raubte Pferde, Kameele, Heerden, Frauen und jagte mit der Beute so rasch, als er gekommen, davon. Diese Art Raub gehörte zu den Gepflogenheiten, deren jeder Stamm, der mit einem anderen in Feindschaft lebte, sich zu versehen hatte. Es war an ihm, den Räuber gebührend heimzuschicken oder Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Daher sang der Araber von sich selbst:

Ich komme am Morgen dann hervor nach einem kargen Mahle,
Als wie ein halber, hagerer Wolf, der streift von Tal zu Tale,
Der nüchtern ist am Morgen und dem Wind entgegenschnaubt,
Sich in der Berge Schluchten stürzt und suchet, was er raubt.

Ein anderer schildert seine Landwirtschaft und man sieht aus jeder Zeile die behagliche und doch so bescheidene Zufriedenheit. Einfach und nüchtern in der Lebensweise, bedurfte es keines großen Reichtums, um ihn glücklich und zufrieden zu machen, ihm waren noch das städtische Leben und seine Genüsse fremd. Hören wir, wie er sein Glück preist: »Wohlan, sind's nicht Kameele, die du hast, so sei mit Ziegen zufrieden, Ziegen, deren alte Böcke Hörner wie Stäbe haben; sie beziehen von Sitar bis nach Ghisl hin die Frühjahrsweide unter dem reichlichen Gusse des Landregens; kommt der Hirt sie zu melken, so meckern sie, als wäre in der Heerde einer, dem ihr Klaglied gilt; sie gehen mit ihren vollen Eutern so wacklig, daß man meint, sie hätten zur Trauerbezeigung an den Weichen sich volle Brunneneimer angehängt. Mir füllen sie das Haus mit Sahne und Butter und mit diesem Reichtum sei zufrieden, denn er genügt für Hunger und Durst.«

Die heitere, leichte Lebens- und Liebeslust des Arabers schildert das folgende Gedicht: »Genieße das Leben, denn du bist bestimmt zu vergehen; schwelge, sei es in heiteren Gelagen, sei es bei schönen Weibern, die weiß sind wie junge Antilopen oder bräunlich wie eherne Gözenbilder; gleichviel, ob sie nun von den Züchtigen seien oder den ausgelassenen Dirnen.« In den lezten Worten zeigt sich schon die Kenntnis von Zuständen, wie sie bereits zu Mohammeds Zeit in den Städten bestanden, die käufliche Liebe gewisser Schönen.

Gesänge, in denen Schlachten und Siege besungen wurden und der einzelne seine Taten wie die des ganzen Stammes verherrlichte, gab es unzählige und die zahlreichen Schlachten und Kämpfe, durch welche die Herrschaft des Islam immer weiter ausgedehnt wurde, gaben dazu reichliche Veranlassung. Aber die Heere wurden später auch mit Elementen gefüllt, die weniger Freude am Kriege hatten und das ruhige philistriöse Stillleben vorgezogen hätten und nur gezwungen den Marsch nach fremden, fernen Ländern machten, von denen man sich, wie z. B. von Indien, allerlei fabelhafte und ungeheuerliche Dinge erzählte. Solcher Stimmung gaben die Dichter in sehr ergözlicher Weise ebenfalls Ausdruck.

Die religiöse Dichtung ist in der patriarchalischen Periode nirgends zu finden, der alte Araber glaubte wenig; sie fand erst später Boden. Der alte Stolz und Troz der Araber wich in dem Maße, wie sie in der höheren Zivilisation der Städte verweichlichten. Auch in den Liebesliedern zeigt sich später mehr ein sentimentaler Zug, der gegen die früher kecke Sprache sehr absticht. So singt Waddah, der durch seine Liebeslieder berühmt wurde, als betrachte er seine eigenen Liebeslieder bei dem Gedanken an die Zukunft als Frevel:

O Waddah, warum nur Liebesgesänge läßt du erschallen,
Fürchtest du nicht den Tod, der bestimmt den Menschen allen?
Verehr' im Gebet den Höchsten und strebe den Schritt dir zu stärken,
Der retten dich soll am Tage, wo Gott urteilt nach den Werken.

Solchen Strömungen standen andere allerdings schnurstracks entgegen. Die höheren Kreise, die an maßloser Genußsucht, an ausgelassenen Zechgelagen, Liebesabenteuern und Orgien aller Art sich ergözten, welche die religiösen Gebräuche und den Glauben der Menge verlachten, von Vergnügen zu Vergnügen eilten und nicht beachteten, daß die von ihnen verschwelgten Summen Tausenden von Armen ausgepreßt waren, diese verlangten nach anderer poetischer Kost. Sie fanden in Abu Nowas, einem Vorläufer Heines, mit dem v. Kremer ihn vergleicht, ihren Dichter, der mit geistreichen Liedern und Versen, in denen er bis zur äußersten Grenze des Frivolen ging, die vornehme Welt ergözte und in diesen Kreisen der gefeiertste Mann war.

Gleichzeitig mit Abu Nowas und mit ihm befreundet lebte Abul-atahija in Kufa als Inhaber eines Töpferwaarenhandels – eine Art arabischer Hans Sachs – der als der dichterische Repräsentant der Stimmungen und Gesinnungen des Volkes, insbesondere des kleinen Mittelstandes, angesehen werden darf. Unter seinen vielen dichterischen Arbeiten befindet sich auch ein großes Lehrgedicht, in dessen Sinnsprüchen die moralischen Ansichten bei dem Volke jener Zeit Ausdruck erlangen. Da heißt es z. B.:

Mit dem täglichen Brod sei, Bruder, zufrieden:
Es genügt; denn es stirbt ein jeder hienieden.

Der Verstand gibt dem Menschen weisen Rat:
Der schönste Erwerb ist eine edle Tat.

Jugend, Müssiggang und Ueberfluß
Sind verderblich und wecken den Ueberdruß.

Am besten von Sünde schüzt der Verzichten,
Der Verstand muß sich nach dem Zweifel richten.

Rochst du je wie der Geiz riecht?
Einen häßlicheren Geruch kenne ich nicht.

In anderen Dichtern verkörperte sich die Opposition gegen das verschwenderische und leichtfertige Leben der höheren Stände. Ihre Gedichte und Sinnsprüche zeigen uns, wie auch im Kalifenreich der soziale Gegensaz anfing, den Massen zum Bewußtsein zu kommen, wenn sie auch eben so wenig wie ihre Leidgenossen im späteren christlichen Mittelalter eine klare Auffassung und Kenntnis besaßen, wie dem Treiben der höheren Stände Einhalt getan und ihre Lage gebessert werden könne. Die Wissenschaft von den ökonomischen Gesezen, welche die Gesellschaft beherrschen, war dem Arabertum ebenso fremd, wie dem christlichen Mittelalter; die ökonomische Wissenschaft ist ein Kind der Neuzeit, sie bedurfte ganz anderer sozialer Bedingungen, als jene, die das Araberreich bot, ehe sie ihre Geburt und Entwickelung feiern konnte.

Der im 10. Jahrhundert unserer zeit, im vierten der Hedschra, auftretende Abu Firas ist einer der bedeutendsten Dichter des arabischen Reichs. In fürstlichem Stande geboren, repräsentirte er den Idealismus jener Zeit; religiös, tapfer, moralisch, edel, fand er an den Schwelgereien und dem wüsten Leben der meisten Großen keinen Gefallen. Von ihm existiren Gedichte, die an Gefühlsinnigkeit und plastischem Ausdruck des Gedankens hinter der besten Dichtung keines Volks zurückstehen. Seinen Karakter zeigen gut folgende zwei kurze Gedichte:

Holde Freundin, laß die Klage,
Jedem sind ja gemessen die Lebenstage,
D'rum Geduld, o Geliebte, und mit Mut
Was den Freund dir raubt ertrage.
Der Vater, der starb, den beweine
Du immer in deines Schleiers Hülle,
Aber rufst du mich und ich bleibe stille,
Weil im Grab ich liege, dann sage:
Abu Firas, du Jüngling voll Ruhm und Tugend!
Nicht beschieden war dir der Genuß der Jugend!

Und das zweite, im Gegensaz zu dem ersten, in keckem Geiste:

Nimmer vergeß ich der Mädchen Rede:
Dieser Lanzenstich entstellt sein Gesicht!
Doch meine Holde sagt erzürnt:
Vergönnt ihr mir seine Liebe nicht?
Mir gefällt der Ritter erst recht,
Wenn er die Narbe trägt im Gesicht!

Der lezte wirkliche, aber auch bedeutendste Dichter des bereits im Verfall begriffenen Reiches war der 973 unserer Zeit geborene Maarry, eigentlich Abul' ala von Maarra. Maarry ist der König unter den arabischen Dichtern, wie Shakespeare unter den englischen, Goethe unter den deutschen; er hat vom gläubigen Deisten zum Atheisten und Materialisten sich durchgerungen und ward schließlich Pessimist. Er repräsentirt also die vorgeschrittenste Richtung, die der philosophische Geist erreichte. Maarry hatte seine Studien in Bagdad gemacht, das um das Jahr 1000 seine glänzendste Periode bergab gehen sah, und war dort mit allen Geistesströmungen im Mohammedanismus bekannt geworden.

Ueber Tod und Schlaf sagt er:

Der Tod ist ein langer Schlaf, der nicht endet,
Der Schlaf ist ein kurzer Tod, der aber wieder sich wendet.

Ueber die Auferstehung äußert er:

Wenn die Vernunft meine Seele begleitet
nachdem sie entwich,
Dann fürwahr hast du Recht
zu verwundern dich;
Doch wenn sie im weiten Luftmeer
der Himmelshöhe,
Wie in der Erde Körper vergeht,
ja dann: o weh!

Sein Pessimismus findet den stärksten Ausdruck in folgendem Gedicht:

Der Erzeuger trägt die Schuld dafür,
daß ins Leben treten die Kinder,
Und wären sie Gewalthaber in den Städten,
die Schuld sie trifft sie nicht minder.
Nur erhöhen kann's die die Entfremdung
von deinen Leibessprossen,
Und erhöhen ihren Groll gegen dich, wenn sie sind
von den Edlen und Geistesgroßen:
Denn sie sehen den Vater, der sie
schuldlos hinausgejagt
In das Wirrsal des Lebens, welches
kein Weiser zu lösen gewagt.

Dieser seiner Lehre gemäß starb der Dichter unverheiratet und ohne Kinder, auf seinem Grabstein verordnete er die Inschrift zu sezen:

Das hat mein Vater an mir gesündigt,
Ich aber versündige mich an niemand.

So hatte die Geistesentwicklung im Araberreich ihre lezte mögliche Phase erreicht. Der Pessimismus ist eine Geistesrichtung, die noch in allen geschichtlichen Epochen sich gezeigt, wo eine Kulturperiode ihrem Untergang entgegenging. Glaubt man nicht, in diesen lezten Aussprüchen Maarrys unsere modernen Pessimisten, die Schopenhauer, Hartmann, Mainländer zu hören? Hier ist wiederum bewisen, wie in gewissen ähnlichen Kulturzuständen, sich ähnliche Ideen erzeugen, ohne daß die Lebenden einer späteren Periode und in einem ganz anderen Lande, von jenen ihren gleichgestimmten und gleichgesinnten Vorgängern die mindeste Kenntnis zu haben brauchen. Uebersättigte, mit sich selbst fertig gewordene oder an dem weitern Fortschreiten der Menschheit verzweifelnde Geister suchen die Erlösung im – Nichts. Da haben wir das Nirwana des Buddha.


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