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Das heutige Spanien nimmt, obgleich es zu den schönsten und fruchtbarsten Ländern Europas gehört und frühzeitig kultivirt wurde, unter den modernen Kulturstaaten so ziemlich eine der lezten Stellen ein.
Dies war nicht immer so.
In der Zeit, wo Spanien Provinz des römischen Reichs war – es wurde von 206 vor Christo, wo ein Teil von ihm die Karthager besaßen, bis 19 vor Christo allmählig ganz durch die Römer erobert – gehörte es zu den reichsten und einträglichsten Provinzen des römischen Reichs. Zahlreiche Kolonien von Griechen und Römern brachten frühzeitig die Kultur jener Völker nach Spanien. Die römische Herrschaft war zu Anfang des 5. Jahrhunderts u. Z. durch Vandalen und Sueven verdrängt und das Land arg verwüstet. Dann folgten im Strom der Völkerwanderung die Westgothen, welche die Vandalen nach Nordafrika vertrieben und allmählig das ganze Land eroberten.
Im sechsten Jahrhundert traten die bis dahin christlich-arianischen Westgoten, von den Franken bedrängt, zum trinitatischen (atanasianischen) Glaubensbekenntnis über, wodurch sie die Franken als Feinde los wurden, nunmehr aber unter das geistliche Joch des Bischofs von Rom gerieten. Für die Bevölkerung war nichts gewonnen. Die Westgothen hatten nach ihrer Niederlassung zwei Drittel des Bodens in Besiz genommen, das lezte Drittel überließen sie den Eingeborenen, die sie in Sklaverei und Leibeigenschaft hielten und die so geknechtet wurden, wie es in jener Zeit allgemein üblich war.
Kaum hatte die Geistlichkeit sich eingenistet, so begann sie mit der fanatischen Verfolgung der dem arianischen Glaubensbekenntnis treugebliebenen Bekenner. Dann wandte sie sich in grimmiger Verfolgung gegen die zahlreichen, schon seit der Römerherrschaft im Lande wohnenden Juden, die man vielfach ihres Vermögens beraubte, ihnen die Kinder nahm, diese zwangsweise taufte und im Christentum erziehen ließ. Mit dem Wachsen der Macht des Adels und der Geistlichkeit stieg die Armut des Volkes. Die Könige, durch ewige Familienzwistigkeiten in ihrer Macht geschwächt und von dem übermächtigen Adel in ihrer Herrschaft bedroht, warfen sich der Geistlichkeit in die Arme. Diese nuzte die Lage aus; sie half mit ihrem Einfluß den Königen gegen den Adel, bekam dafür aber erstere auch ganz in ihre Gewalt. Buchstäblich lagen die Könige der Geistlichkeit als ihrer höheren Macht zu Füßen, so einer derselben im Jahre 633 vor den versammelten Bischöfen zu Toledo. Jahrhunderte vergingen, ehe die Päbste zu Rom einen ähnlichen Triumph errangen.
Zu Anfang des 8. Jahrhunderts ward der ungefügige König Witiza mit Hilfe der Geistlichkeit gestürzt und Roderich (Rodrigo) bestieg den Tron. Zum Dank dafür gab er der Geistlichkeit die Juden preis, von denen in wenigen Jahren 90 000 mit Gewalt zu Christen getauft wurden. Die Rache und Vergeltung blieb nicht aus.
Roderich, ein Wüstling, tat der Tochter des Gouverneurs von Ceuta, die in Toledo erzogen wurde, Gewalt an. Der Vater erfuhr diesen Schimpf und schwur sich zu rächen. Er sezte sich mit Tarik, dem Unterfeldherrn des Emirs Musa, der Namens des Kalifen die Provinz Nordafrika verwaltete, in Verbindung und lud diesen zum Einfall in Spanien ein. Tarik sezte, im Einverständnis mit Musa, im Jahre 711 an jener Stelle nach Spanien über, die nach ihm Dschebel al Tarik (verballhornt Gibraltar) benannt wurde. Bei Xeres de la Frontera kam es zwischen ihm und Roderich zu einer mehrtägigen Schlacht, in welcher die Araber, troz christlicher Ueberzahl, aber mit Hilfe von Verrat, Sieger blieben und Roderich selbst das Leben verlor. Tarik rückte im Fluge erobernd vor. Voll Eifersucht und Neid folgte ihm Musa, sezte sich an die Spize des Heeres und eroberte bis auf den gebirgigen nordwestlichen Teil: Cantabrien, Asturien und Galizien, ganz Spanien. So kam das christliche Spanien unter arabische Herrschaft. Musa, der Tarik eingekerkert und mißhandelt hatte, wurde dem Kalifen denunzirt, als strebe er nach Unabhängigkeit. Dieser ließ ihn im südlichen Frankreich, bis wohin er bereits gedrungen war, im Angesicht seines Heeres verhaften, auspeitschen, ins Gefängnis werfen und um 200 000 Dynar strafen. Arm ging der Eroberer Spaniens zu Grunde.
Die Araber oder Mauren (eine Ableitung von Mohren, deren sie viele in ihrem Heere hatten) begannen ihre Herrschaft damit, daß sie Christen und Juden die freieste Ausübung ihrer Religion gestatteten, so daß die Christen z. B. ihre Kirchenglocken behalten und ihre Prozessionen veranstalten durften. Der Grund und Boden verblieb unter den schon oben hervorgehobenen Bestimmungen im Besiz seiner früheren Eigentümer, somit er nicht herrenlos geworden war. Dagegen wurde arabische Sprache und arabische Staatsgesezgebung in Spanien eingeführt. Das Land atmete auf. In wenigen Jahrzehnten war es wie umgewandelt. Arabischer Ackerbau und arabische Gartenkultur hatten in Verbindung mit großartigen Bewässerungsanlagen, deren Reste teilweise noch heute vorhanden und im Gebrauch sind, ganze Provinzen in blühende Gärten verwandelt. Die Täler des Guadiana und des Guadalquivir prangten in einem Reichtum und einer Kultur, wie sie in Spanien seitdem nie wieder gesehen und im Vergleich zu dem heutigen Zustand des Landes märchenhaft klingt. Die Bevölkerung nahm gewaltig zu und es heißt, daß allein im Flußgebiet des Guadalquivir nicht weniger als 12 000 Städte und Ortschaften sich befanden, darunter große glänzende Städte wie Granada, Sevilla und Cordova, leztere damals die Hauptstadt des Landes. Gewerbe, Manufakturen, Handel und Verkehr, begünstigt durch vortreffliche Straßen und Häfen entwickelten sich großartig und soll Spanien, nach dem Zeugnis verschiedener arabischer Schriftsteller, in Künsten und Gewerben, sich sehr rühmlich selbst vor dem übrigen Reich ausgezeichnet haben. Die Städte wuchsen aus dem Boden und vorhandene vergrößerten sich in einer Weise, daß ihr heutiger Zustand nur ein Schatten ihrer ehemaligen Größe ist.
Cordova wetteiferte an Glanz und Größe mit Bagdad. Es besaß nicht weniger als achtundvierzig Vorstädte, über hunderttausend Häuser und mehr als eine Million Einwohner, von denen sich allein 130 000 von Seidenweberei nährten. Die Straßen waren gut gepflastert und Abends mit zahllosen Laternen erleuchtet und konnte man Stunden weit an den Ufern des Guadalquivir im Lampenschein spazieren gehen. Siebenhundert Jahre später gab es in London noch nicht eine Straßenlaterne und um dieselbe Zeit mußte man in Paris bei ungünstiger Witterung im tiefsten Kote waten, Berlin aber war zu jener Zeit ein kleines unansehnliches, schmuziges Landstädtchen.
Unter den zahlreichen Moscheen, meist prächtigen Bauwerken, befand ich eine, die nicht weniger als 19 Schiffe zählte; sie wird noch heute bewundert und dient als christliche Katedrale. Glänzende Paläste und Privathäuser mit orientalischen Glanz und Luxus erbaut und ausgestattet, gab es in allen größeren Städten in Menge. Auch von ihnen sind bis heute Reste erhalten; das großartigste Bauwerk von allen ist die Alhambra in Granada, ein noch heute angestaunter Bau.
Eine Sitte namentlich zeichnete die Araber vor ihren christlichen Zeitgenossen sehr vorteilhaft aus: der Sinn für Reinlichkeit. Wo Araber sich niederließen, war die Einrichtung öffentlicher Bäder eine ihrer ersten Handlungen, wohingegen damals im Christentum Schmuzigkeit und ekelhafte Ausschläge als Zeichen besonderer Gotteswohlgefälligkeit angesehen wurden, die christlichen Heiligen und Märtyrer durch Schmuz und Ungeziefer sich hervorzutun suchten, oft wie das Vieh lebten, auf allen Vieren krochen und sich von Gras nährten. Waschungen und Kleiderwechsel galten als weltliches Bestreben und darum als unheilig. War doch im ganzen Mittelalter den Nonnen streng verboten, sich anders als Gesicht und Hände zu waschen und nur mit einer Hand. War es doch ferner der besondere Ruf der heil. Silvania, bis zu ihrem 60. Lebensjahre weder Gesicht noch Hände, noch irgend einen anderen Teil des Körpers je gewaschen zu haben, ausgenommen die Fingerspizen, wenn sie zur Kommunion ging. Die »englische Regel« von Tabenna verbot das Waschen als heidnisch. Umgekehrt schrieb der Koran als Pflicht jedem Muselmann tägliche Waschungen und Reinlichkeit vor. Das ist ein sehr wichtiges Kulturmoment, das zu Gunsten der Araber spricht und demgemäß besaß Cordova 900 öffentliche Bäder, eine Zahl, die kaum je eine andere Großstadt erreichte.
Von den größeren Städten erlangten Granada und Sevilla je 400 000, Toledo 200 000 Einwohner, und gab es der Städte so viele, daß man, wie ein Reisender erzählt, in einem Tage bis zu drei erreichen konnte. Auch lebte man überall mit einer Bequemlichkeit und einem Luxus, der zu den gleichen Zuständen des übrigen Europas im stärksten Kontraste stand. In lezterem wohnten um jene Zeit selbst die Fürsten in elenden Holz- und Lehmbauten, ohne Fenster und Schornsteine, die eine in der Mitte des Daches gelassene Oeffnung ersezte.
Und während im übrigen Europa kaum eine Bibliotek bestand, die diesen Namen verdiente und es nur zwei Universitäten gab, die als solche angesehen werden durften, besaß Spanien nicht weniger als siebenzig große öffentliche Biblioteken, worunter die von Cordova über 600 000 Nummern aufwies, und bestanden nicht weniger als siebenzehn Hochschulen, auf denen Christen und Juden mit Arabern friedlich studirten und um die Wette lehrten und lernten. Sogar Volksschulen wurden in größerer Zahl gegründet und soll selten ein Araber zu treffen gewesen sein, der nicht hätte schreiben und lesen können.
Dieser geistige Aufschwung war insbesondere der hohen christlichen Geistlichkeit ein Dorn im Auge. Schon im neunten Jahrhundert beschwerten sie sich bitter, daß die jungen Christen die heiligen Schriften und die Kirchenväter verschmähten und die lateinische Sprache vernachlässigten, hingegen mit Begeisterung dem Studium des Arabischen sich zuwendeten und die arabische Literatur verschlangen. Die Reichen, klagten sie, legten sich mit großen Kosten Biblioteken an, in denen man nur arabische Bücher fände, wohingegen sie die christlichen als wert- und inhaltslos bei Seite legten; sie schrieben und sprächen nur arabisch und drückten sich mit Eleganz auch in der Dichtung aus, die jene der Araber noch überträfe.
Aus allen Ländern des Abendlandes strömten die jungen Leute nach Spanien, um dort Wissen und Bildung und ritterliche Galanterie sich anzueignen, denn auch in lezterem Punkte genoß der Hof von Cordova eines großen Rufs. Der Minnedienst, die Verherrlichung schöner Frauen durch Dichtkunst, Musik und Gesang erreichte dort seinen Gipfelpunkt und wurde erst von hier aus nach Frankreich, Deutschland u. s. w. übertragen. Die Frauen beteiligten sich an Studien und Künsten, sie genossen eine sehr freie Stellung und sie kamen wegen ihres allzufreien Benehmens teilweise sogar in Verruf.
Unter den Studien waren es besonders die medizinischen, durch die sich die Spanier besonders auszeichneten. Den zahlreichen Christen und Juden, die sich diesem Studium widmeten, standen nicht die religiösen Hindernisse im Weg, welche den Arabern die Anatomie verbot. Die spanischen Aerzte erlangten auch als geschickte Operateure einen großen Ruf und gab es zu jener Zeit auch weibliche Aerzte und Operateure. Als in 17. Jahrhundert ganz Spanien wieder dem Christentum unterworfen war, gehörten die spanischen Aerzte zu den unwissendsten, die man in Europa finden konnte.
Auch Astronomie und Chemie, Botanik und Mineralogie, die grammatikalischen, matematischen, geschichtlichen, philosophischen und juristischen Studien wurden an den spanischen Hochschulen gepflegt, wie irgendwo im Araberreich und nahm insbesondere das Bergwerks- und Schiffsbauwesen einen Aufschwung, wie er seither in Spanien nicht wieder erreicht ist.
Am wohlsten befanden sich in Spanien die Juden im Gegensaz zu den Zeiten ihrer Verfolgung und Unterdrückung durch die Christen; sie erwiesen sich den Arabern sehr dankbar und wurden die eifrigsten Verfechter der neuen Ordnung der Dinge. Ihre Zahl und ihr Reichtum nahm gewaltig zu, willkommene Beute der später wiederkehrenden Verfolgungen, als das christliche Kreuz wieder gesiegt hatte.
Dagegen konnte die christliche Geistlichkeit die alten guten Zeiten nicht vergessen und sie hezte und schürte den Fanatismus der unteren Klassen, wo sie nur konnte. Daß man mit Kezern denselben Boden teilen, neben der christlichen Kirche die Moschee und die Synagoge dulden sollte, das schien unerträglich. Dazu kam die entgegengesezte Auffassung des Lebens. Der Araber war heiter und lebenslustig, seiner Sinnlichkeit legte seine Religion nur geringe Zügel an, er liebte die Bildung und das Wissen, war in religiösen Dingen tolerant und steckte mit alledem die Christenjugend an.
Ganz entgegengesezt trat das Christentum auf, das die Verachtung der Welt, die Kreuzigung des Fleisches und die Unterdrückung der sinnlichen Begierden predigte. Daneben war es Feind der Bildungs- und Aufklärungsbetrebungen und intolerant. Nimmt man noch dazu, daß die Araber einer fremden Race angehörten und Eindringlinge und Eroberer waren, so ist ein schärferer Gegensaz nicht denkbar. Reibungen und Streitigkeiten hörten nicht auf, und sie wurden christlicherseits beständig provozirt.
Zunächst machte die christliche Geistlichkeit, an ihrer Spize der heilige Eulogius als einer der schlimmsten, alle möglichen Anstrengungen, unter den Mohammedanern Proseliten zu wecken, wobei sie den mohammedanischen Glauben angriff und herabsezte, und dadurch zu Feindseligkeiten aufstachelte. Ihr Haß und ihre Bekehrungswut wurden um so größer, da sie sah, daß Tausende von Christen infolge mohammedanischer Toleranz gegen ihren eigenen Glauben kälter wurden. Man hezte ferner die unwissenden Massen gegen die Mohammedaner auf und verhöhnte und verspottete ihre religiösen Gebräuche. Ja man ging noch weiter. Man drang in die Moscheen und Gerichtssäle ein und störte durch Beschimpfungen und Lästerungen die Handlungen. Auf einem solchen Verbrechen stand Todesstrafe. Aber die fanatisirten Christen ließen willig und standhaft die Strafen über sich ergehen, wurden sie doch Märtyrer ihres Glaubens. Als dieses wüste Treiben immer schlimmer wurde, drangen die Einsichtigen auf die Berufung einer bischöflichen Synode, um diesen Provokateuren Einhalt zu tun. Die Fanatiker schrien jezt über Verrat und Bestechung. Die Masse des niederen Volkes, vollständig in den Händen der Geistlichkeit, die sie als seinen wahren Interessenvertreter ansah, schenkte solchen Anklagen bereitwillig Glauben und fuhr in seinen Angriffen fort. Es kam zu blutigen Zusammenstößen, die an Erbitterung in dem Maße zunahmen, als es den aus dem Nordwesten des Landes vordringenden spanischen Herren und ihren Fürsten gelang, Schritt vor Schritt das Land wiederzuerobern und die Araber zurückzudrängen.
Allmälich hatten sich nämlich auch unter der Kalifen Herrschaft in Spanien die Dinge geändert. Das Streben mohammedanischer Großer, sich vom Kalifat zu Bagdad unabhängig zu machen, hatte auch Statthalter in Spanien ergriffen, und einer derselben erklärte sich um 756 für unabhängig und warf sich selbst zum Kalifen auf. Nun entstanden aber in Spanien, ganz wie im Orient Streitigkeiten unter den Großen um die Besezung des Kalifats. Dies führte zu inneren Bürgerkriegen, die damit endeten, daß sich nach und nach in Saragossa, Toledo, Valenzia und Sevilla unabhängige maurische Fürstentümer bildeten und das Kalifat auf Cordova und das obere Flußgebiet des Guadalquivir beschränkt ward. So wurde es den christlichen Spaniern möglich, die Araber zu besiegen; doch kam das 16. Jahrhundert heran, ehe sie das Land völlig in ihre Gewalt bekamen. Das prächtige Granada war das lezte maurische Bollwerk, das 1492 fiel. Toledo hatten sie zu Anfang des 12. Jahrhunderts, Badajoz und Merida 1231, Valenzia 1238, Murcia 1241, Jaen 1246, Carmona und Sevilla 1248, Malaga 1487 zurückerobert. Ein Einfall, den schon Karl der Große im Jahre 777 in Spanien gemacht hatte, brachte diesen so in die Klemme, daß er froh war, durch einen Aufstand der Sachsen abberufen zu werden.
Kaum waren die spanischen Christen wieder Herren eines zuvor arabischen Gebiets geworden, so begannen gegen Moriskos und Juden die blutigsten Verfolgungen. – Die Kapitulationsbedingungen wurden ihnen nicht gehalten, die Moscheen wurden zerstört, tausende wurden niedergemezelt oder durch Gewaltmittel jeder Art zum christlichen Glauben gezwungen. Millionen Einwohner wanderten nach Afrika aus, die volkreichsten Städte zerfielen; vorher dichtbevölkerte Gegenden wurden von Menschen leer; der Ackerbau und die Gartenkunst, Handel und Verkehr gingen rapid zurück, die Bevölkerung verfiel in Armut und Elend. Mit ganz besonderem Eifer richtete sich die Zerstörungswut gegen die Lehr- und Bildungsstätten. Die Hochschulen wurden aufgehoben, die Biblioteken mit ihren unschäzbaren Werken zerstört, indem man die Bücher den Flammen übergab und die wissenschaftlichen Instrumente zerschlug und vernichtete. Der Kardinal Ximenes rühmte sich, die Vernichtung einer Million Bände angeordnet zu haben. Dagegen erstand jezt eine christlichen Literatur, in welcher der wütendste Zelotismus gepredigt und hunderterlei Mittel angegeben wurden, wie man am raschesten den entweihten Boden Spaniens von den Ungläubigen reinigen, Juden und Mohammedaner in Christen verwandeln könnte. Mohammedaner und Juden, die sich nicht wollten taufen lassen, wurden ihres Vermögens beraubt und außer Landes verwiesen, tausende hingerichtet oder verbrannt. Wie groß die Zahl der Vertriebenen war, ist schwer festzustellen, da die Angaben zwischen 160 000 und 800 000 schwanken.
Diese Verfolgungen dauerten nicht blos Jahrzehnte, sie währten Jahrhunderte und wurden immer von neuem durch fanatische Herrscher oder Priester begonnen und stets mit den großartigsten Mitteln ins Werk gesezt. Durch die wiederholten Verordnungen, daß der heilige Boden Spaniens durch den Fuß keines Ungläubigen mehr entweiht werden dürfe und jeder sich taufen lassen müsse, bei Strafe des Verlustes seines Vermögens und der Austreibung aus dem Lande, wurde es endlich fertig gebracht, daß um 1526 kein Kezer mehr, soweit es sich um äußerliche Annahme des Glaubens handelte, auf spanischen Boden lebte. Philipp II., jenes königliche Scheusal, verordnete ferner, daß die Mauren auch äußerlich alles aufgeben sollten, was im Entferntesten an ihren Glauben und ihre Vergangenheit erinnere. Unter Androhung der härtesten Strafen wurde ihnen anbefohlen, Spanisch zu lernen, alle arabischen Bücher zu vernichten, in ihrer Muttersprache weder zu lesen, noch zu schreiben oder im Innern des Hauses darin zu sprechen. Maurische Kleidung, Soele und Vergnügungen und die alten Höflichkeitsformen wurden verboten, die Frauen sollten unverschleiert gehen, und, da Baden eine heidnische Sitte sei, angeordnet, daß alle öffentlichen Bäder zerstört werden sollten.
Durch solche Gewaltmittel zum Aeußersten gebracht, erhoben sich die Moriskos noch einmal 1568 mit Waffengewalt, und abermals wüteten Hinrichtungen, Scheiterhaufen, Konfiskationen und Austreibungen.
»So lange noch ein Morisko (Maure) auf spanischen Boden lebe, sei der Triumph des Christentums nicht vollkommen«, erklärten die spanischen Geistlichen. Philipp II. war ihnen noch zu milde. »Man müsse jedem Morisko die Kehle abschneiden, da man nicht wissen könne, ob seine Bekehrung aufrichtig sei, und es besser wäre, alle zu töten und es Gott zu überlassen, die Seinen ausfindig zu machen und zu belohnen«, rief der Dominikaner Bleda aus.
Das fanatische Geschrei fand Gehör. 1609 erließ Philipp III. das Edikt, daß alle Bewohner Spaniens von maurischer Abstammung sofort das Land zu verlassen hätten. Abermals wurden eine Million der fleißigsten, gebildetsten und betriebsamsten Bewohner wie Tiere gehezt, ihres Eigentums beraubt und des Landes vertrieben. Viele der Flüchtlinge wurden noch auf den Schiffen von der spanischen Besazung mit den greulichsten Gewalttätigkeiten verfolgt: Männer getödtet, Frauen entehrt, Kinder ins Meer geworfen. Cervantes, der berühmt gewordene Verfasser des Don Quixote, heulte diesen Maßregeln seinen Beifall zu, so fanatisch waren die Ersten unter den Spaniern geworden.
Und was waren die Folgen dieser unsinnigen Gewaltakte? Sevilla, das noch im 16. Jahrhundert 16 000 Webstühle beschäftigte, besaß im siebenzehnten nur noch 3000 und war bis auf den vierten Teil seiner früheren Einwohnerzahl gesunken. Toledo, das früher fünfzig große Wollmanufakturen besaß, die 40 000 Menschen ernährten, hatte im 17. Jahrhundert nur noch dreizehn; das Geschäft war durch die Mauren nach Tunis übergegangen. Aehnlich erging es allen Städten des Landes ohne Ausnahme. Auf dem Lande und in den Städten verfielen die Wasserleitungen, weite Landstrecken blieben unbebaut, die öffentlichen Straßen gingen zugrunde und in einer großen Zahl von Städten und Dörfern lagen jezt bis zu zwei Drittel und mehr der Häuser in Trümmer. Dagegen nahm die Zahl der Bettler, der Mönche und Nonnen enorm zu und große Räuberbanden sammelten sich in den Gebirgen und Wäldern.
Mit dem Verfall von Handel und Verkehr sanken auch die Schiffahrt und der Schiffsbau, die so hoch standen, gänzlich darnieder. Wie es den Bildungsstätten und den Wissenschaften erging, ist schon hervorgehoben worden. Noch im 18. Jahrhundert besaß Madrid, die Hauptstadt des Landes, nicht eine öffentliche Bibliotek, nirgends gab es Schulen noch Lehrer, keine Bücher wissenschaftlichen Inhalts, im ganzen Lande keine Professur des öffentlichen Rechts, der Botanik, Physik oder Anatomie. Die früher so hoch gestandenen matematischen Wissenschaften verkümmerten und der Universität Salamanka wurden die Entdeckungen Newtons und Harveys zu lehren verboten.
Um 1760 wurde in Madrid der Vorschlag gemacht, die Straßen von ihrem bergehohen Unrat zu reinigen, aber auf Befragen erklärten die madrider Aerzte sich gegen diesen Vorschlag. »Der Unrat solle da bleiben, da sein Geruch höchst wahrscheinlich gesund sei und der scharfen und schneidenden Luft der Hochebene ihre schädlichen Eigenschaften nehme«.
Dies sind, in Kürze dargelegt, die Wandlungen, die ein Land, das unter arabisch-mohammedanischer Herrschaft stand und unter christliche gelangte, erlebte; sie sind sehr lehrreich und bezeugen aufs neue, was es mit dem zivilisatorischen Einfluß des Christentums für eine Bewandtnis hat.
Die Darlegungen im Schlußabschnitt werden dies noch weiter dartun.