Alice Berend
Die Bräutigame der Babette Bomberling
Alice Berend

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Auch am Nachmittag, als Christian Sebold mit Schlittengeläut vorfuhr, hörte man kein Gezwitscher Napoleons in der stillen Wohnung, wohl aber das Schnarchen Hermanns.

Babette wollte nicht Schlitten fahren. Sie hatte auf alle Fensterbretter Vogelfutter gestreut und spähte hinaus.

Es wurde schon dunkel. Tränen tropften aus ihren Augen.

»Ich werde ihn noch einmal suchen gehen, Babette,« sagte Paul und ging leise hinaus.

Auch Bomberling mochte nicht zugucken, wie Babette weinte.

»Ich gehe ein wenig spazieren,« sagte er nach einer Weile.

Christian Sebold blieb sitzen und schlürfte heißen Kaffee.

»Ein Kanarienvogel ist doch keine Kostbarkeit,« sagte er. 108 »Ich wette, solch Tierchen wiegt mit allen Federn zusammen noch nicht ein viertel Pfund.«

Da klingelte es draußen. Das Mädchen meldete einen Herrn Kippenbach.

Ein junger Herr, nach der neuesten Mode gekleidet, kam herein, verbeugte sich, sagte, daß er gegenüber wohne und schon von Ansehen das blonde Fräulein kenne, dem er jetzt etwas überreichen möchte. Er holte eine Schachtel hervor, und als Babette sie öffnete, saß Napoleon darin.

Die Freude war groß.

Herr Kippenbach wurde an den Kaffeetisch gebeten und setzte sich.

Er sah sich um und sagte:

»Sie haben es hübsch hier.«

Dann erzählte er, daß er der Sohn von Kippenbach & Sohn sei, selbsttätige Klaviere.

»Hochinteressant,« sagte Frau Bomberling und fügte hinzu, daß sie einen Konzertflügel besäßen.

»Auch hübsch, aber nicht mehr modern,« antwortete Kippenbach lächelnd. – »Sehen Sie – wer will in unserer rastlosen Zeit noch jahrelang üben, um sich am Sonntag einen Augenblick lang Musik machen zu können? Das ist gar nicht mehr zu verlangen. So aber – wer Sehnsucht bekommt nach Musik – dieser edlen Kunst, die uns dem Alltag entrückt – setzt sich vor sein selbsttätiges Klavier – und hat, was er braucht.«

»Dann gehe ich in die Oper,« sagte Christian Sebold und spielte an seiner breiten Uhrkette. Dieser Herr Kippenbach war ihm unangenehm.

Frau Bomberling lächelte ein vermittelndes Lächeln 109 zwischen die beiden blonden Herren. Erst als Herr Kippenbach erwähnt hatte, daß er Leutnant der Reserve sei, lächelte sie einseitiger. Nichts ist unbeständiger als Frauengunst.

Babette lief ein und aus. Sie holte Badewasser für Napoleon und Zucker und Salatblättchen.

Da kam Paul zurück. Er merkte es gar nicht, daß ein Fremder am Tisch saß. Überglücklich lächelnd eilte er auf Babette zu.

»Wer sucht, der findet,« sagte er, knotete ein kleines Tuch auf und ließ Babette hineinsehen. Da drinnen saß Napoleon.

»Wie ist das aber möglich? Welcher ist denn nun der richtige?« fragte Babette und sah von Paul zu Herrn Kippenbach.

Da wurde die Wohnungstür aufgeschlossen. Bomberling kam zurück.

Lächelnd betrat er das Speisezimmer.

»Kippenbach,« sagte Herr Kippenbach mit einer tadellosen Verbeugung.

Bomberling merkte es nicht, denn er war zu Babette gegangen und sagte zärtlich:

»Man muß nur seinen Vater ausschicken, dann braucht man nicht zu weinen.«

Und er holte einen Pappdeckel mit einem Sieb hervor. Und da drunter saß Napoleon.

Ein Staunen ohne Ende. Ein Beteuern – ein Durcheinanderreden der glücklichen Finder.

Christian Sebold stand auf. Schließlich war er auch einer und zwar einer, der seinen Steuerzettel im 110 Knopfloch tragen konnte. Man konnte sich ein wenig mehr um ihn kümmern.

Darum sagte er jetzt mit lauter Stimme, daß es ihm leid täte, daß er der einzige hier sei, der keinen Vogel habe. Er wünschte dem Fräulein Babette weiter Glück im neuen Jahr und ging.

Kippenbach, Bomberling und Paul traten beratend zusammen. Jeder war bereit, seinen Vogel zurückzunehmen. Alle drei Vögel waren von dem nächsten Vogelhändler. Trotz der Sonntagsruhe hatte er sie verkauft. Allerdings zu erhöhtem Preis.

Babette fütterte sie alle drei und fand, daß jeder ihrem Napoleon sprechend ähnlich sähe.

Man versuchte, die Vögel selbst entscheiden zu lassen. Man hielt das Vogelbauer hoch und rief »piep« und »Napoleon«. Aber sie flatterten alle drei hinter das Büfett, wo sie nur mit Mühe wieder hervorzuholen waren.

So beschloß man den Morgen abzuwarten und über Nacht alle drei hier zu behalten.

Herr Kippenbach drückte einen langen Kuß auf Frau Bomberlings Rechte und einen noch längeren auf Babettes schmale Hand und empfahl sich dann für heute.

Auch Paul ging. Denn Frau Bomberling konnte sich nicht mehr aufrechthalten. Die Schrecken dieses unruhigen Tages begannen plötzlich zu wirken. Auch war sie trotz der Schokoladenstückchen immer hungrig. Sie brach in Tränen aus und schien vollständig erschöpft zu sein.

Behutsam brachte Babette die Mutter zu Bett.

Bomberling versprach nach Hermann zu sehen, der erwacht zu sein schien, denn sein Schnarchen war verstummt.

111 Erst als Frau Anna ihren müden Körper auf dem kühlen Leinen fühlte, lächelte sie wieder ihre Babette an.

»Wenn ich dich nur glücklich wüßte, mein Kind,« sagte sie.

Und nach einer Weile, schon mit geschlossenen Augen, murmelte sie schläfrig:

»Der junge Herr Kippenbach scheint ein reizender Mensch zu sein. Seine Weste gefällt mir beinah noch besser als die des Herrn Sebold.«

»Ich weiß nur, daß sie alle beide bunt waren,« sagte Babette und sah sich dabei lächelnd in dem großen Spiegel.

Wenn man weiß, daß man niemals heiraten wird, beunruhigt man sich nicht mehr über Männer und Westen.

Inzwischen hatte Bomberling das Zimmer seines Sohnes betreten.

Hermann saß am Tisch und las. Er sah nicht auf.

»Komm nur zum Abendbrot, Junge,« sagte Bomberling. »Mama ist schon schlafen gegangen, und Babette wird dir eine lustige Geschichte erzählen.«

Hermann dachte bei sich, daß sich sein Vater tadellos wie ein Couleurfuchs benahm. Er hätte ihm gern die Hand gedrückt. Aber er blieb stumm sitzen.

»Also komm, mein Junge. Wenn ich deine Mutter richtig kenne, wird auch ein Hering auf dem Tisch sein.«

Bomberling stand hinter Hermanns Stuhl. Er hätte dem Jungen ganz gern einmal über den dicken blonden Haarschopf gestrichen. Aber so ein Student, das ging wohl nicht mehr.

Hermann stand auf. Er sah zu Boden.

»Du hast mir wohl nicht meine Uhr heute 112 abgenommen, Papa?« sagte er. »Es ist merkwürdig. Sie ist nicht da. Auch die Schlipsnadel und die Brieftasche. Es ist merkwürdig. Nicht zu finden.«

Bomberling setzte sich und nahm Feder und Papier.

»Da werden wir wohl eine Anzeige in die Zeitung rücken müssen. Sage mir rasch, wo du gewesen bist.«

Aber so rasch war das nicht gesagt. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Anzeige zusammengestellt war.

Dem ehrlichen Finder war reichlich Gelegenheit gegeben, sich zu beweisen. Nicht nur in allen Bräus der Stadt, auch in den Varietés und in den roten Ballsälen, im schwarzen Kabarett, im Café Lustig und auch im Café Morgenrot konnte er Hermann Bomberlings Wertsachen begegnet sein.

 


 << zurück weiter >>