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»Mja – ich muß mich wohl ein bißchen aufs Bett legen. Ich habe ein so verflucht zappeliges Gefühl in den Beinen. – Na also, und wir nehmen uns einen Stuhl – So, auf dem Bettrand? Na ja, auch gut.
Und warum weinen wir denn?«
»Kannst du mir nicht dein Taschentuch leihen, Onkel?« fragte Blenda in jämmerlichem Ton. Sie zog ohne weiteres das Taschentuch aus seiner Tasche, wischte sich die Augen und schneuzte sich.
»So, jetzt werde ich nicht mehr weinen,« sagte sie.
»Na schön, das ist brav. Und möchten wir vielleicht sagen, warum wir eigentlich geweint haben?«
»Ach, das hat sehr viele Gründe,« seufzte Blenda und starrte traurig und tiefsinnig vor sich hin. »Weißt du, Onkel, ich bin schon so lange traurig – ich bin schon traurig – seit, ja, seit gestern abend,« präzisierte sie. »Und als dann Per noch anfing mit mir zu zanken, da mußte ich weinen, und seither –«
»Hat er dich ausgezankt? Da soll doch gleich ein Donnerwetter dreinschlagen.«
»Ja, das kannst du mir glauben! Er sagte, ich kokettiere mit diesen beiden abscheulichen Kerlen, denke nur! Und dann sagte er, daß ich auch mit ihm kokettiere, und daß ich nur hereingekommen wäre, um mich wichtig zu machen und ihn zum Narren zu halten. Und weil seine Mama mich geschickt hat.«
»Wa–was? Sie hat dich geschickt?«
Blenda überlegte einen Augenblick.
»Ja – mehr oder weniger. Aber ich wäre doch auf jeden Fall zu ihm hingegangen, um ihm ordentlich adieu zu sagen. Und dann wollte ich ihm danken, weil er so nett gegen mich war – heißt das kokettieren?«
»Kommt drauf an,« knurrte Se. Gnaden geärgert. »Aber was zum Kuckuck hattest du drinnen bei dem Kerl zu tun?«
»Das habe ich dir doch gesagt. Aber das Schlimmste war, daß mir nichts Niederschmetterndes einfiel, was ich ihm darauf sagen konnte. Sondern ich sagte nur: Abscheulicher Rawuzel! Ganz wie du immer sagst. Und das klang ja so gräßlich dumm. Und dann fing ich natürlich an zu weinen –«
»Aber was zum Kuckuck hattest du –«
»Das war das erste. Und dann machtest du doch so ein Geschrei – Ja, du lieber Gott! Und da weinte ich deshalb, und weil alle Menschen mich so anguckten. Und dann weinte ich, weil du so furchtbar zornig warst. Herrgott, dachte ich, jetzt trifft ihn der Schlag, und dann ist das wieder meine Schuld. – Ja, du kannst es schön treiben,« schluchzte sie auf.
»Sag – was habe ich eigentlich mit deinem abscheulichen Testament zu schaffen? Keinen Schritt kann ich machen, ohne daß die Leute es mir unter die Nase reiben. Aber ich verbitte mir das. Ich pfeife auf dein Testament, daß du es nur weißt.«
»Bist du lichterloh verrückt? Es kommt ja dir zugute, du dummes Göhr.«
»Ach, du meinst wegen dieser Heirat? Das ist doch nur wieder so eine Caprice von dir. Das hast du in – ja, in vierzehn Tagen hast du's vergessen. Und dann kommst du gewiß und fragst: Warum zum Teufel haben sich diese beiden Rawuzel geheiratet? Wer hat sie das geheißen? Oh, ich kenne dich, Onkel.
Und übrigens – es ist doch wirklich kein Vergnügen, zu heiraten! Du hattest es doch auch nicht angenehm, als du verheiratet warst? – Nein, ich heirate nicht früher, als bis ich fünfzig Jahre bin. Und dann nehme ich mir solch einen ganz alten Mann wie du. Und mit dem werde ich sehr nett sein und mit ihm Karten spielen und mit ihm einen Hund haben. Meinst du nicht auch? Aber Jakob, der soll ein steinreiches vornehmes Fräulein heiraten. Und sie sollen gräßlich viele Kinder bekommen. Und ich will Patin sein. Ja, hörst du?«
Se. Gnaden fühlte sich plötzlich furchtbar schläfrig. Die Anstrengungen des Tages wirkten. Die Gedanken verloren ihren Zusammenhang. Er wußte nicht mehr, was es war, woran er denken sollte, er verlor den Faden und ließ fünf gerade sein.
Damit sie nicht glaube, daß er schlafe, murmelte er: »Hör mal – es ist wirklich nett – sich so auszusprechen –«
»Ja,« sagte Blenda nachdenklich. »Es ist sehr nett, wenn man sich mit jemand aussprechen kann. Tante Enberg ist ja ganz gut, aber man kann nicht vernünftig mit ihr reden. Früher zankte sie, weil ich zuviel mit Jakob beisammen war. Und jetzt ist es beinahe umgekehrt. – Ach ja, ich verstehe schon ... Aber das Ganze kommt daher, weil sie glaubt, daß ich in Jakob verliebt bin.
Hörst du, Onkel,« flüsterte sie und legte ihre Hand weckend auf seinen großen Bauch. »Tante glaubt, daß ich in Jakob verliebt bin.«
»Ö–u–f – bist du das?«
Blendas Antwort ließ eine Weile auf sich warten, so lange, daß Se. Gnaden wieder einschlummern konnte.
Dann gab sie ihre Erklärung ab, langsam und feierlich:
Siehst du, Onkel, er gefällt mir ja riesig gut. Ich sehe ihn gern, und ich bin gern mit ihm zusammen, und ich mag es gern, wenn er mir Geschichten erzählt. Und ich mag es furchtbar gern, wenn er mich küßt.«
Se. Gnaden fuhr aus seinem Schlummer auf und riß die Augen auf.
»Wa–was – sagst du?«
Sie antwortete überaus nachdrücklich:
»Ich sage, daß ich ihn furchtbar gern küsse. Den Jakob, verstehst du? Ach, du verstehst aber auch gar nichts! Ich küsse ihn gern, sage ich.«
»Mja,« murmelte Se. Gnaden. »Dann ist ja alles gut. Übrigens – übrigens – sagt man, daß ihr zusammen badet?«
»Wer hat das gesagt? Tante Luise natürlich? Ja, hat man so etwas gehört! Ist das nun auch wieder nicht recht? Das haben wir doch immer getan. Ja, denke dir – und doch glaubt diese dumme Tante, daß ich in ihn verliebt bin. Hör mal, Onkel, möchtest du mit einem Menschen zusammenbaden, in den du verliebt wärest – so richtig verliebt – verstehst du? Was?«
»Das – weiß – der Geier –« schnarchte der Baron.
»Nein, das würdest du ganz gewiß nicht wollen. Per zum Beispiel –«
Sie verstummte, versank in tiefe Gedanken. Das Schnarchen des Barons begann regelmäßig und ruhig zu werden.
Aber als Blenda ihre Gedanken zu Ende gedacht hatte, sagte sie:
»Nicht, daß ich meine, daß ich in ihn verliebt bin.« – Und nach einer Pause fügte sie mißmutig hinzu: »Mir gefällt ja fast jeder neue Junge, den ich sehe. Aber so richtig verliebt, das werde ich nie sein. Nein, – nie,« konstatierte sie traurig und ärgerlich. Und in ihrem Ärger schüttelte sie Se. Gnaden, so daß sein Bauch förmlich tanzte.
»Wa–was – was zum Teufel treibst du, du verrückter Rawuzel?«
»Ja wenn du immer nur daliegst und schnarchst.«
»Hol mich der und jener, wenn ich schnarche –« gähnte Se. Gnaden. »Na, na, wir sollten doch eine seriöse Unterredung haben, he? Über das Heiraten, ja. Eigentlich ist es verflucht idiotisch, über so etwas zu sprechen. Die Frage ist zu früh aufgeworfen, Das ist es. Aber wir sind alle sterblich, und ich wollte gewissen Spekulationen zuvorkommen. Na, noch leben wir einige Jährchen. Und das kleine Fräulein kann Bedenkzeit haben. Wir schicken Jakob auf die Universität, dann wollen wir sehen, was aus dem Rawuzel wird. Und inzwischen sitzen wir hier in Rogershof und bilden unsere Talente aus und sehen uns um. Sind wir einig?« fragte er und streckte ihr die Hand hin.
»Ja – amüsant wird es gerade nicht sein, wenn Jakob nicht da ist. Aber von mir aus.«
Und um die Verabredung feierlicher und sozusagen geschäftsmäßiger zu machen, fügte sie hinzu:
»Topp, Onkel, darauf geben wir uns die Pfote.«
Und so gaben sie sich die Pfote.
»Hör mal, jetzt könntest du Vickberg holen.«
Sie nickte, aber rührte sich nicht vom Fleck.
»Hach, hach, jaja,« seufzte Se. Gnaden. »Willst du noch etwas?«
»Nein – ja das heißt – ich wollte nur wissen – ob du auf Per böse bist.«
Der Baron schnitt eine abscheuliche Fratze. Aber ehe er noch antworten konnte, sagte Blenda:
»Pst! Jemand klopft.«
»Das wird Vickberg sein. Geh und mache auf!« Blenda duckte sich zusammen.
»Ich traue mich nicht.«
Sie kroch so hoch aufs Bett hinauf, als sie nur konnte.
»Lieber, guter Onkel, ich traue mich nicht.«
»Was denn? Warum denn?«
»Denke dir, wenn es Jakob wäre –«
»Herein!« schrie Se. Gnaden.