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Fels genoß das Leben, wie es nur ein gesunder, reicher, unabhängiger Mensch tun kann, und entgegen den Behauptungen des Advokaten hatte er sich wahrlich nicht über Langeweile zu beklagen. Sein Morgenritt durch die schneebedeckte Hauptallee, ausgedehnte Spaziergänge zu Fuß, bei denen er das Automobil nach einem entfernten Ziel bestellte, füllten die Vormittagsstunden aus, das Wählen der Speisen und Getränke bei Sacher gestaltete sich zur feierlichen Handlung, und dann kamen Stunden, die er der Vervollkommnung seiner Wohnung und Bibliothek widmete; dies oder jenes Möbelstück wurde aus der Wohnung wieder entfernt, nach einem alten Bild gefahndet, oft eine Reise nach einer Provinzstadt unternommen, um einer Truhe, eines antiken Stuhles habhaft zu werden, und um bei seinen Teppicheinkäufen sachkundig vorzugehen, studierte Fels dickleibige Werke, bis er schließlich mit einem flüchtigen Blick das Alter, die Herkunft, den Wert eines Ispahans oder Täbris beurteilen konnte. Der Tag, da es ihm gelang, für hunderttausend Kronen einen dreihundert Jahre alten Sultanteppich an sich zu bringen, wurde ihm zum Feiertag. Die Abendstunden aber verbrachte er in lustiger, leichter, oft auch allzu leichter Gesellschaft, ohne daß ihn auch nur einen Augenblick der Gedanke an Grace verließ. Ihm, der die Höhe des Lebens unter tausend Liebeleien erreicht hatte, war nun das Dasein durch die große Liebe, an deren Möglichkeit er nie recht hatte glauben wollen, ausgefüllt. Fels, der durch seine besten Jahre hindurch mit Schreiben über Dinge, an denen er gewöhnlich kein innerliches Interesse gehabt, hatte verbringen müssen, liebte keinen ausführlichen Briefwechsel, und da auch Grace der schriftliche Gedankenaustausch nicht lag, so beschränkte sich ihre Korrespondenz fast ganz auf kurze Telegramme. Er kabelte ihr, so oft er Lust dazu hatte, über ein äußerliches Geschehnis, sie erwiderte in derselben Weise. So bekam sie eine Depesche mit den Worten: »Hurra. Soeben einen Täbristeppich von 1750 in leuchtenden Farben gekauft. Du mußt ihn einweihen, indem du als erste deinen Fuß auf ihn setzen sollst.« Oder er erhielt ein Kabeltelegramm, in dem ihm Grace mitteilte, daß Papa ihr zu Weihnachten eine Perlenschnur aus dem früheren Besitze der Erzherzogin Maria Augusta gekauft habe.
Oft führten Fels seine Spaziergänge in dem klaren Frostwetter ins Cottage an der »Villa Mabel« vorbei. Noch immer waren alle Jalousien herabgelassen, noch immer besagte eine Tafel vor dem Gartenportal, daß diese Villa verkäuflich sei und die Häuseragentur N. N. nähere Auskunft erteile. Aber Wien hatte durch den Zerfall des Reiches erheblich an Einwohnerzahl abgenommen, es standen viele Wohnungen und Villen leer, und das Grauen davor, in einem Hause zu leben, in dem zwei Frauen ermordet worden waren, hielt die kaufkräftigen Leute noch immer ab, die schöne, alte Villa zu erwerben. Sinnend pflegte Fels vor der »Villa Mabel« stehenzubleiben, deren düsteres Erlebnis mit der Zeit seines Aufschwunges zusammengefallen war.
Wie im Fluge verging die Zeit und in den ersten Februartagen hielt Fels ein in New-York aufgegebenes Telegramm in der Hand, durch das ihm Grace mitteilte, daß sie sich in zwei Tagen an Bord der »Germania« nach Bremen einschiffen werde. Zehn Tage noch, und er würde das schöne Weib in den Armen halten! Aber am selben Tag noch kam eine neue Depesche, deren kurioser Inhalt diese Hoffnung zerstörte. Sie lautete:
»Darling, ich kann nicht fahren. Papa hat sein Herz entdeckt und wird heiraten. Anstandshalber muß ich dabei sein, werde also nicht vor Ende März fahren können. Brief folgt.«
Fels empfand diese vorläufige Absage wie einen schweren Schlag. Alles in ihm schrie nach Grace, seine Sinne und seine Seele lechzten nach ihr, – und nun hieß es warten, warten. Er ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. »Die erste Widerwärtigkeit seit damals, als – –. Sollte meine Glücksserie abgerissen sein? – – –«
Acht Tage später kam der Brief, der die Depesche näher erklärte. In launiger Weise schilderte Grace, wie der Johannistrieb das Herz des »alten Herrn«, der übrigens erst in den Fünfzigern stand, ergriffen. Herr Kerens hatte eine Privatsekretärin, auf die er seit jeher große Stücke hielt. Eine hübsche, stattliche Blondine deutscher Abkunft und nach amerikanischen Begriffen überaus gebildet. Diese Dame machte nun ihrem Chef die Mitteilung, daß sie ihre Stellung aufgeben müsse, weil sie im Begriffe sei, sich zu verheiraten. »Papa war sehr ungehalten darüber, weil er sich an Miß Möller sehr, sehr gewöhnt und außerdem wahrscheinlich, weil er sie schon längst geliebt hat, ohne darüber nachzudenken. Es kam zu einer langen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Miß Möller weinte und Papa versicherte, daß sie ihren zukünftigen Gatten durchaus nicht besonders leiden möge, sondern ihn nur nehme, um anständig versorgt zu sein. Und das Ende vom Liede war, daß der liebe, gute Papa diese Versorgung in eigene Regie übernahm, indem er Miß Möller die Ehe mit ihm selbst vorschlug. Ende März findet in aller Stille die Hochzeit statt und ich muß natürlich dabei sein. Es würde sonst so aussehen, als wäre ich böse und nicht einverstanden. Das Gegenteil davon ist aber wahr, ich freue mich über Papas spätes Glück und bin auch deshalb froh darüber, weil ich nun ganz ohne Gewissensbisse meine eigenen Wege gehen kann, mich frei und ganz unabhängig fühle, was ich doch nicht so ganz war, solange Papa auf meine Gesellschaft Anspruch hatte. Also, mein Geliebter, nun heißt es für uns beide, Geduld haben! Ich habe mich schon für die ›Gigantic‹ nach Liverpool buchen lassen. Sie geht am 1. April von hier ab und so gegen den 9. April werde ich in deinem geliebten Wien sein und dann so lange mit dir zusammen bleiben, als es mir und dir paßt.«