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Aber wo bleibt die Frömmigkeit? Das antike Leben war in Gottesdienst getaucht, Religion das A und O, und wollten wir in unseren Schilderungen ganz getreu sein, wir müßten von ihr anheben, mit ihr enden und dürften nicht aufhören, von ihr zu reden. Wo sind die Millionen Rauchopfer, die Millionen Gebete, die alltäglich das Herz der Götter suchten, oft nur als anerzogene 73 Gewohnheit, die unverlierbar war wie die Treue zu Haus und Hof,Man liebt seine Penaten wie seine Eltern und Kinder, sagt Seneca. oft aber als bangender Schrei der gefolterten Seele, die einen Helfer braucht und ihn herniederzwingt aus den Wolken?! Je weniger verbreitet die Kenntnis der mechanischen Naturgesetze, je allgegenwärtiger war damals das Übernatürliche. Man bezog alles, jedes Kleinste in lebendigstem Gefühl auf Gott, das heißt auf einen jener Götter, die man mit Namen zu nennen wußte. So prangten auch die Tempel wie schimmernde, marmorne Gebete auf allen Stadtbergen. Denn Gott liebt die Höhe. Lag der Tempel im flachen Feld, so wurde er doch von einem hohen Sockel getragen. Die Säulen stehen wie schlanke versteinerte Gottesdiener und tragen frei balancierend das Tempeldach, und eine breite Freitreppe führte zum Allerheiligsten hinan: der Treppenbau großen Stils ist nicht für Profanbauten,Erst später hören wir von Freitreppen an Palästen: Seneca Epist. 84. Ein Bild davon gibt die Freitreppe der Bibliothek von Ephesus. er ist für die Andacht der Waller erfunden worden, als wären es Himmelsleitern. Auch im Mithrasdienst spielt die mystische Treppe eine Rolle.
Soll ich die Götter nun aufzählen? Es wird genügen daran zu erinnern, daß Jupiter, Diana, Merkur und so fort jetzt griechische Götter sind, auf die man die alten römischen Namen übertrug. Jupiter ist Zeus, Diana Artemis; Merkur ist Hermes. Der schöne griechische Olymp war siegreich eingezogen, und der Römer hatte seine alte Religion darüber fast ganz vergessen. Er war leichtgläubig und leicht zu bekehren, nach dem Grundsatz: Je mehr man glaubt, je besser.
Denn die griechisch-römische Volksreligion war noch immer eine Religion der Furcht. Eben daher die Vielheit der Götterwesen! Sie ist nur eine Vielheit von Versuchen, das Walten des übermenschlichen Schicksals zu erklären. Man war zu fromm, das heißt zu ängstlich gewissenhaft, um einen dieser Versuche zu bestreiten, und so ist der Grundzug der antiken Frömmigkeit Toleranz ohne Grenzen. Zeitweilig wurde durch den Kaiserhof die Apolloreligion, zugleich auch die Venusreligion, späterhin die Minervareligion begünstigt und mit neuen Kulten ausgestattet. Ebenso stand jeder Bürger durch Familienüberlieferung bald diesem, bald jenem Gott besonders nahe; aber man leugnete deshalb die Gültigkeit der übrigen nicht, und kein Gott nahm es übel, wenn man auch jedem andern Opfer brachte. Es gab wohl Priester, aber 74 nicht Theologen, das heißt es fehlte an jeder gültigen Dogmatik, die eine für die Gemeinde feste Glaubenslehre aufgestellt hätte. Wäre eine vergleichende Dogmatik zur Geltung gekommen, sie hätte unrettbar zum Monotheismus hingeführt. Für das aufkommende Christentum aber lag es nahe, die vielen Götterkulte durch den Kult der Heiligen abzulösen, die zwar nicht göttliche Verehrung genießen, sondern nur um Fürbitte angegangen werden, aber denen man doch als Schutzpatronen immerhin Kirchen weihen und vor deren Gebeinen man knien konnte. Auch dies war eine starke Dezentralisation der göttlichen Hilfe, durch deren Vergleichung wir die antike Anschauungsweise uns gut verdeutlichen können. Freilich erinnert uns wohl die Dogmatik der Kirche gelegentlich daran, daß man den einen Gott über Maria, Petrus, Damian, Agnes und Constanza nicht vergesse.
Die Idee Gottes ist so unendlich erhaben und unergründlich reich, daß sie sich für die lebhafte Phantasie des Südländers in viele Bilder zerspaltet, wie das Prisma den Sonnenstrahl in Farben zerlegt. Die meisten vertragen es eben nicht, in das reine Licht zu sehen; sie brauchen das gebrochene Licht, den Abglanz, die Farbe. Es ist der Trieb nach Greifbarkeit, nach Deutlichkeit. So phantasiereich war eben das Altertum, und seine wundervolle Kunst war imstande, jeden Gott als Idealgestalt in Bildern wirklich vorzuführen, die bis heute unvergeßlich herrlich sind; und die römischen Eroberer schleppten solche Bilder in Massen von Hellas nach Rom.
Das war die Blüte des naiven Glaubenslebens jener Zeiten. Krasser Unglaube, wie ihn Kaiser Caligula zeigte, war anscheinend selbst in der vornehmen, blasierten Männerwelt selten. Kaiser Caligula betrachtete sich selbst allein als Gott, dabei aber verkroch er sich unter das Bett, wenn es donnerte. Um so berechtigter war es, wenn sich der Hohn der Skeptiker und Epikureer gegen allerlei neu auftauchenden gottesdienstlichen Schwindel wendete, wie ihn die hochgespannte Religiosität des 2. Jahrhunderts erzeugte; man lese dafür den Alexandros des Lucian, wo es sich im Kapitel 24 sogar um Auferweckung der Toten handelt.Einen Skeptiker des 2. Jahrhunderts habe ich in meinem Roman »Menedem der Ungläubige« zu zeichnen versucht, wozu ich ein Vorbild bei Lucian in Alexandros c. 17 fand. Viele Freidenker dieser Zeit verfielen dagegen dem von Osten eingeschleppten chaldäischen Sternenglauben, jener fatalistischen 75 Astrologie, nach der alles, was geschieht, vorher bestimmt in den Sternen steht. Dafür ist Kaiser Tiberius ein berühmtes Beispiel; aber dieser Wahn hat Altertum und Mittelalter überdauert. Noch in der Renaissance des 15. bis 16. Jahrhunderts, noch im Wallenstein herrscht dieselbe gräßliche Astrologie unter den katholischen Christen:
»Zu wollen wähnt' ich. Doch es zerrt mit Lieb' und Haß
Uns durch das Leben gängelnd die Notwendigkeit.«
Das war Aberglaube, der aus dem Ausland stammte. Anderer Aberglaube dagegen war uralt und steckte tief in den Knochen des Volks. Ich denke an das Wunder. So wie heute die hl. Maria von Lourdes die Gläubigen heilt, so taten es die Götter allerorts, schon damals. Ich denke vor allem an die Inkubation, den Schlaf in den Tempeln. Der Gott erscheint da dem schlafenden Kranken und verkündet ihm das Heilmittel, oder der Schlafende ist schon durch die Erscheinung selbst genesen, wenn er erwacht. Mit demselben Erfolg erschienen später auch christliche Heilige, wie die Brüder Cosmas und Damianus, den Kranken im Schlaf. Das Wunder ist das Lieblingskind jeder Religion, aber nur das nützliche Wunder.
Schon diese Inkubation brauchte die Nacht als Gehilfin. Die Nacht half aber auch dem furchtbaren Spuk der Zauberei, und auch diese lebte seit Urzeiten im Volk weiter. Die Träger der krassen Superstition sind überall die Frauen. Nicht Zauberer: wir hören viel mehr von Zauberinnen. Medea blieb das Vorbild, Thessalien die Heimat dieser Kunst. Zauberpapyri, rollbare Bleitäfelchen mit Zaubersprüchen sind in großer Anzahl ausgegraben: den Feind soll die Pestilenz treffen; seine Rennpferde sollen lahm werden, damit sie nicht siegen, und das soll der Spruch bewirken. Das steht auf demselben Boden wie der Gebrauch der Amulette und wie das Besprechen der Krankheiten, das uns auch heute noch nicht fremd geworden ist. Auch eine Wünschelrute (virgula divina) gab es schon. Wer tot geglaubt ist und doch lebend aus der Fremde heimkommt, darf, wie ein Gespenst, nicht durch die Tür ins Haus, sondern muß übers Dach einsteigen.
So machte sich nun aber auch keine Römerin ein Gewissen daraus, sich des Liebeszaubers zu bedienen. Die römische Liebespoesie ist voll davon, und das war nicht immer ganz harmlos. Wie furchtbar ist nicht jene Canidia, die, um einen kräftigen 76 Zaubertrunk zu haben, sich nicht mit Froscheiern, Uhufedern und Zauberwurzeln begnügt, sondern einen halbwüchsigen Knaben halb in die Erde eingräbt und ihn allmählich Hungers sterben läßt, nur um, wenn er tot, seine ausgedörrte Leber in den Trank zu tun. Horaz läßt uns das sehen und das Jammern des Knaben hören, der da im Sterben droht, der Canidia als höllisches Gespenst mit krummen Krallen zu erscheinen, sie zu zerfleischen und in den Tod zu hetzen. Die Dichter tun meistens so, als glaubten sie nicht an die Kraft solchen Zaubers. Aber wir merken doch, wie beklommen ihnen dabei ums Herz ist.
Kehren wir indes zur reineren Religiosität, zum eigentlichen Gottesdienst zurück. So wie die Kunst damals fast nur Göttliches darstellte, so war das Leben von frommen Pflichthandlungen erfüllt. Je regelmäßiger aber solche Handlungen ausgeführt werden, je mechanischer geschehen sie. Bei uns ist das Tischgebet, wenn ich nicht irre, im starken Rückgang, vielleicht auch die täglichen Hausandachten. Bei den Römern blieb dies tägliche Pflicht; denn jedes Haus hatte seine Hauskapelle oder Götternische; da waren die alten Laren tanzend gemalt (es sind stets zwei) und zwischen ihnen der Genius des Hausherrn; außerdem wurden in der Nische oft auch noch sonstige Götter wie Apoll, Äskulap, Merkurius in kleinen Figuren aufgestellt. Das nannte man die Penaten. Die kleinen Figuren konnte man auch als Amulett mit auf die Reise nehmen, so wie heute die Heiligenbilder; denn sie bewahrten vor Unglück, und Händler, die solche Figuren verkauften, fanden sich auf allen Jahrmärkten; wer auswandern muß, trägt sie in der Tasche oder im Gewandbausch mit hinweg.Horaz Oden II 18, 27. Täglich wurde nun erstlich am Hausaltar morgens Opfer verrichtet, besonders von der Dienerschaft, ebenso aber auch täglich bei der Hauptmahlzeit dem Lar des Hauses Andacht bezeigt.
So waren ferner auch alle Familienfeste, so war jeder Abschnitt in der Berufsarbeit mit Andachtsbezeigung verbunden. Die Handwerkerinnungen feierten ihren Schutzgott, und beim Abreisen grüßte man seine Hausgötter, beim Heimkehren grüßte man sie wieder. Der Wanderer grüßte auch das Götterbild, das er am Wege fand; und zwar legte man dabei die Hand an den eigenen Mund. Das Wort »adorieren« heißtNicht überall, aber im Gottesdienst. buchstäblich: die Hand an den Mund legen. Diese Bewegung glich der Kußhand.
77 Aber das war das wenigste. Der Gottesdienst außer Hause kam hinzu und füllte ganze Tage aus. Zunächst der öffentliche. Es handelt sich hier um Staatsreligion. Der Staat oder die Stadt selber diente den Gottheiten. Man denke, daß der heilige, offizielle Festkalender Roms für Götterfeste nicht weniger als 109 Tage verzeichnet. An so viel Tagen mußte das Geschäft ruhen. Die Andacht füllte fast ein Drittel des Jahres. Das »heilige Recht«, wir würden sagen »das Kirchenrecht«, war eben darum ein Teil des Staatsrechts, und der Staat war es, der alle die Festspiele, Prozessionen, Speisungen und Opfer, die sich an jeden großen Tempel knüpften, bezahlte. Aber auch kein Staatsbeamter trat sein Amt ohne Opfer und Schenkungsgelübde (votum) an. Keine Senatssitzung wurde ohne Gebet eröffnet (was sind wir frommen Christen dagegen?). Der Kaiser selbst stand an der Spitze des Pontifikalkollegiums mit dem Titel Pontifex maximus; es ist der Titel, den später der Bischof Roms von ihm übernahm. Der Kaiser war somit der Papst der vorchristlichen Religion.
Niemand aber war etwa gezwungen, sich an diesen Gottesdiensten zu beteiligen, und man tat es nur aus innerem Trieb oder durch den Glanz des Festes angezogen. Dazu kamen nun aber noch die Privatdarbietungen in den Tempeln, die vom Staat immerhin begünstigt wurden.
Erst wo der Einzelmensch seinen Gott im Tempel aufsucht, erst da zeigt sich die Individualfrömmigkeit. Das Weib, das gebären soll, die Mutter, die um ihr krankes Kind bangt, der Sohn, der hinaus über See geht: hundert Fälle der Angst und Not, in den vertrauten Gottheiten, Diana, Äskulap, den Dioskuren ihr Opfer gebracht wird. Dies Opfer war zuvor gelobt worden; der Gott erhält es, sobald er geholfen hat; und er hilft so oft. Es waren Blumen, Früchte, von den Tieren besonders das Schwein (dies war das billigste und am leichtesten zu erschwingen). Auch Geld (stips) wurde in den Gotteskasten geschenkt, von den Reichen gar herrliche Kunstwerke aufgestellt. Unzählige Abbildungen von Rettungen und von geheilten Gliedmaßen hängte man an die Tempelwände (wie noch heut in Italien); der ausgediente Soldat hängt dankbar seine Waffen, der Fischer das ausgediente Netz, der müde Schiffer Anker und Ruder im Vorhof auf. So verheißt auch der spekulierende Großkaufmann dem Herkules den Zehnten vom Gewinn, und siehe da, das Geschäft glückt! Die verheißene Summe wird der Tempelkasse überwiesen. Ein üppiger 78 Schmaus, eine Volksspeisung größten Stils wird davon bestritten. So ist der Gott, das heißt seine Gemeinde, am Gewinn beteiligt.
Ruinen römischer Tempel gibt es genug. Betreten wir einmal ein Heiligtum. Der Tempel selbst ist nicht groß. Wie ein Marmorschrein steht er auf seinem Unterbau inmitten eines weiten, offenen Tempelhofes, den man von der Profanwelt gern durch eine hohe Mauer abschloß. Der Hof wird im Innern von einem ein-, auch zweistöckigen Säulengang umzogen, an dessen Wänden Gemälde prangen und zwischen dessen Säulen Weihgeschenke, glorreiche Werke griechischer Meister, aufgestellt sind. Die Gemeinde versammelt sich lediglich in diesem Vorhof, nicht im Tempel, und wollen wir den christlichen Kirchenbau vergleichen, so entspricht der offene Vorhof dem Hauptschiff der Kirche, der Tempel selbst dem erhöhten Chor. Denn der Tempel ist, wie der Chor, immer nur dem Priester zugänglich. Das Tempelinnere ist meistens nur ein ungeteilter Raum (eine Erinnerung an das einfache zeltartige Urwohnhaus der Menschheit). Nur an der Hinterwand des Raumes steht auf einem breiten schrankartigen Postament das Gottesbild. In dem Postament werden Tempelgerätschaften aufbewahrt. An seiner Seite führt ein Treppchen zur Statue empor; denn die Tempeldiener müssen hinan können, um das Bildwerk zu säubern, zu bekränzen, ja, zur Prozession hinauszutragen. Auch im Tempelinnern fehlt es nicht an Wandschmuck und Ziergegenständen (mensae) doch ist der Tempel bestimmt, vor allem durch sein Äußeres zu wirken: seine Marmorsäulen flimmern und gleißen im Sonnenlicht; sein Fries, seine Giebel, seine Akroterien strahlen in Farben. Er kann nie schön genug sein. Denn die Gemeinde im Vorhof schaut andächtig zu ihm auf.
Man betritt das Heiligtum »das Haupt gesenkt, die Toga zurecht gezogen, in bescheidener Haltung«. Vor der Tempelfront steht der große Brandaltar. Die Opferhandlung beginnt. Dazu öffnen sich die schweren Flügeltüren des Tempels, auf denen im Reliefbild allerlei sinnige Legenden dargestellt sind, und der Opfernde kann nun ins Innere schauen und den Gott, den er anruft, selbst gewahren. Es war beliebt, die Front des Baus nach Osten zu richten, so daß der erste Lichtstrahl des Sonnenaufgangs bei aufgetanen Türen auf das Gottesbild fiel.
Die Zeremonie selbst folgt strengstem Ritus. Tiefste Stille; denn vom Ausrufer wird Schweigen geboten. Die Flöten setzen 79 ein; Wein und Weihrauch ist schon gespendet: da wird das Opfertier, bei reicherem Opfer ein Rind mit vergoldeten Hörnern, herangeführt. Der Priester liest mit erhobener Stimme ein Gebet aus einer Buchrolle ab, indem er dabei den Altar anfaßt, und besprengt das Tier mit Wein. Die Opferdiener schlachten es. Auf einem beweglichen Herd, der neben dem Altar aufgestellt ist, werden zunächst die Eingeweide, die der Mensch nicht ißt, gekocht. Nur sie sind es, die auf dem Brandaltar dem Gott dargebracht und feierlich verbrannt werden. Das übrige Fleisch verspeisen die Opfernden selbst: ein gewiß nicht unwillkommenes Gericht, da das Volk sonst stark vegetarisch lebte. War bei der Handlung irgend etwas versehen, so mußte sie ganz von vorne wiederholt werden. Auch der Wortlaut der Gebete wurde genau fixiert, da eine einzige fehlerhafte Silbe den Gott verletzt und alle Wirkung aufhebt.
Ob solche Handlung auch Schauer der Andacht auslöste, wie sie etwa ein deutsches Gemüt beim Gottesdienst empfindet? Gewiß nicht. Die römischen Schriftsteller reden von solchen Stimmungen nie. Was sie ergreift und zur Andacht stimmt, ist immer nur die Schönheit des Gotteshauses und seines heiligen Bezirks, die Schönheit der Weihegaben, die ihn zieren. Die Schönheit einer durchgeistigten Kunst! Durch sie wurde das Herz des griechisch empfindenden Menschen Gott nahegebracht. Sie ist die erlösende Predigt des Altertums gewesen, und zwar nicht die Schönheit des Gesanges, sondern jener Künste, die für das Auge wirken.Schon das Betreten eines Heiligtums ändert das Herz, sagt Pythagoras bei Seneca Epist. 94, 42; bonus intra, melior exi: C. I. L. VIII, 2584
Was aber suchte und fand der Römer bei seinen Göttern? Es ist klar: er fand und suchte nur Hilfe in den Sorgen des irdischen Lebens. Weiter nichts. Es fehlt die Sündenvergebung. Es fehlt das »Vergib uns«. Es fehlt auch jede Besorgnis um ein seliges Jenseits. Um solche Gedankenreihen zu wecken, dazu mußten erst andere Religionen aus dem Osten heranziehen. Dabei war die Sorge für den Toten selbst, das Bestattungswesen von ungewöhnlicher Sorgfalt, ob man die Leichen verbrannte, ob nicht; die Verbrennung war das Zweckmäßigere und behielt lange den Vorrang. Die Friedhöfe Italiens sind ja noch heut berühmt; denn auch heute noch liebt es der Italiener, den Dahingegangenen, wie wir es in Genua, Mailand, Neapel sehen, prunkvolle Monumente, ja ganze Häuser, in denen die Überlebenden sich versammeln können, aufzubauen. Ganz derselbe Geist hat auch schon die alten 80 Gräberstraßen geschaffen. Via Appia, Via Latina, die hinaus in die verträumte Campagna führen: unvergänglich schön das Grab der Metella, großmächtiger als alle die Engelsburg. Solche Grabmäler faßten die Landstraßen ein, auf Grundstücken, die man vom Staat erwarb, und sie waren der Pietät des Publikums empfohlen (loca religiosa, nicht sacra). Verwünschungen gegen die, die sie verletzten, fanden sich oft daran geschrieben, und damit ist gesagt, daß der Staat für ihren Schutz nicht genügend aufkam, während der Staat die Tempel schützte: der sacrilegus und Tempelräuber wird verbrannt.Palatinische Anthologie XI, 184. Die Götter der Unterwelt nannte man schmeichelnd die »Manen«, das heißt die Guten, ein Begriff, der nur pluralisch auftritt. Diesen Manen wurde jedes neue Grab geweiht. Durch Grabesehren und jährliche Spenden wurden sie beschwichtigt. Dann aber heißen auch die Verstorbenen selbst Manen. Daß die Seele nach dem Tode weiterlebt, war also selbstverständlich. Ja, diese Manen werden göttlich genannt! Wenn in der Kaiserzeit dis Manibus regelmäßig auf den Grabsteinen steht, so war das eine Art Seligsprechung, so unbestimmt die Vorstellungen von Seligkeit auch sein mochten. Etwa seit dem Jahr 100 n. Chr. aber kommt dann die Beisetzung in Marmorsärgen auf, jenen Sarkophagen, von denen unser deutsches Wort »Sarg« sich herleitet; und diese Särge finden wir vielfach mit Bildern im Relief bedeckt, die leise und wie in Gleichnissen auf ein seliges Jenseits hindeuten.
Trefflich stimmen dazu die Grabinschriften, die anfangs immer nur rührende Trauer, bittere Klagen und liebendes Gedenken zeigen. Seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. aber beginnt auf ihnen ab und zu die Hoffnung auf ein Elysium, wie sie die Orphiker und Vergil seit langem lehrten, sich zu äußern. Die Seele ist im Körper nur zeitweilig wie ein gefangener Vogel: sie fliegt wieder davon.Plutarch, Consol. ad uxorem 10. Die deutliche Erwartung des persönlichen Wiederbegegnens wird freilich recht selten ausgesprochen.Martial 5, 34 setzt solches persönliches Wiedersehen voraus, auch Cicero De rep. 6, 14. Auch von einem Gericht nach dem Tode hatte man Vorstellung; Cicero sagt von ihm: da wird kein Advokat für dich reden; du wirst dich selbst verteidigen müssen! Und die verstorbene Cornelia redet so wirklich vor dem Richter der Unterwelt; wir hören bei Properz ihre 81 freimütige Selbstrechtfertigung. Es ist wunderbar und denkwürdig zu lesen. Sie nennt diesen Gott und Richter »Vater«; aber stolz steht sie vor Gott; fern ist ihr das Gefühl, daß wir allzumal Sünder; bestimmt erwartet sie einen Lohn für ihr Leben; der Himmel steht offen für den Gutgearteten.
Schön war auch die Sitte, das Grab mit Rosen und Veilchen zu bepflanzen. Denn die Pflanzen wachsen aus der Erddecke des Grabes, und sie machen also dem Toten die Erde leicht. »Sei dir die Erde leicht«, das war der ständige Grabeswunsch. Das Allerheiligenfest aber fiel in den Februar; es hieß Parentalia und dauerte 9 Tage: viele Familien begingen da Gedächtnis und Opfermahl auf der Grabesstätte. Während dieser Tage wurden alle Tempel geschlossen, und keine Heirat durfte stattfinden.
Inzwischen aber kam aus Ägypten der Isisdienst, aus Palästina das Christentum, aus Persien der Mithrasdienst. Alle drei konkurrierenden Religionen öffneten nun den Himmel; sie verhießen ewiges seliges Leben und verlegten sogar den Schwerpunkt der menschlichen Existenz energisch aus dem Diesseits ins Jenseits. Alle drei sind Religionen der Inbrunst, nicht der Schönheit, und Seele und Leib treten in schroffen Gegensatz. Im Isisglauben ist es Osiris, der da stirbt, um aufzuerstehen. Ein Gottessohn, der ein Mittler zwischen Gott und Menschen ist, scheint im Mithrasdienst aufzutreten; eben derselbe beging auch, wie es scheint, ein dem Abendmahl ähnliches Sakrament. Vor allem handelt es sich in allen drei Religionen um Buße oder um Reinigung durch Fasten und um Erlösung der Seele aus dem Irdischen. Es handelt sich um ein Gottsuchen, um die Idee, daß Gott in uns sein soll und wir in ihm. Das alles war unrömisch und war orientalisch, und für die Propaganda waren nun die Millionen orientalischer Sklaven und Freigelassenen, die in Italien lebten, zunächst das empfänglichste Publikum. Der kleine dürftige Isistempel in Pompeji, der noch heute steht und in Bulwers Roman eine so phantastische Rolle spielt, ist von einer Freigelassenenfamilie erbaut worden. Den Mithrasglauben brachten die Soldaten aus dem Osten mit.
Daher blieben auch alle drei Religionen trotz des Zudrangs lange Zeit Sache privater Gemeindebildung, und der Staat lehnte sie ab. Erst Caligula hat den ersten Isistempel in Rom bauen lassen, erst Caracalla (211–217), der syrisch-afrikanische Mischling, erhob den Isisdienst zur kaiserlichen Religion. Der Kaiser 82 als Oberpontifex hatte die Entscheidung. Später geschah dasselbe mit dem Mithrasdienst und bald danach mit dem Christentum. Das war ein dreifacher Sieg des Orients über das alte griechisch-römische Empfinden.
Das Christentum verbreitete sich in der Verborgenheit, und die Welt erfuhr nichts über seinen Kultus. Auch der Mithraskult liebte das Geheimnis; unterirdische Grotten, wie sie in Heddernheim oder auf Capri erhalten sind, waren seine Stätten. Sensationell dagegen, und mit fremdartigem Glanz, trat der Isisdienst früh vor die Öffentlichkeit. Osiris-Serapis, der Gemahl der großen Allgöttin Isis, ist verschwunden, er ist gestorben; aber siehe, er wird wiedergefunden, und er lebt! Das war der Inhalt des großen Haupt- und Freudenfestes im November. So ist es denn auch derselbe Osiris, der das ewige Leben gibt; Osiris reicht dem Toten im Jenseits den Becher voll Wasser des Lebens. Isis war aber auch Herrin der See, und so wurde im März die Eröffnung der Schiffahrt gefeiert. Da zieht eine Prozession mit Fackeln und Musik und Götterbildern ans Gestade. Das seltsame Sistrum klingelt; die Priester gehen ganz in Weiß, sie haben glatte Tonsuren und tragen Symbole des Glaubens, eine offene Hand sowie ein goldenes Gefäß in Form einer Frauenbrust, aus dem Milch träufelt. Ein Schiff liegt am Ufer. Das Schiff wird mit Milch besprengt und dem weiten Meer übergeben. Man wartet am Strande, bis es auf der Höhe der See verschwindet, dann kehrt der Zug zum Tempel zurück: der Priester betet für Kaiser und Volk, und das Volk, das Blumen und Kränze trägt, darf endlich im Heiligtum selbst dem silbernen Isisbildnis die Füße küssen.
Aber das merkwürdigste religionsgeschichtliche Phänomen der Zeit fehlt noch. Das ist das Gottmenschentum, das ist der Kaiserkult. Auch er war im Orient entstanden, und Rom entlehnte ihn vom Hellenismus. Die Könige Persiens waren göttlich gewesen, dann Alexander der Große, der als Sohn des Gottes Zeus Ammon galt, dann alle griechischen Könige in Syrien und Ägypten. Das übernahm in Rom schon Julius Cäsar. Kaiser Augustus wollte zwar vom römischen Publikum solche Ehrungen nicht annehmen; aber die griechischen Städte Asiens warfen sich ihm zu Füßen und beteten ihn mit der Göttin Roma vereint in Tempeln an. So wurde es sogleich zum Glaubenssatz, daß der Kaiser, der starb und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, aus der Flamme zum Himmel auffährt und thront zur Rechten des 83 allmächtigen Jupiter.Plinius in seiner Naturgeschichte VII, 35 belächelt freilich solche Apotheosen. Aber nicht nur das: schon bei Lebzeiten gestattet oder begünstigt es der Kaiser, daß die Untertanen ihn als Gott verehren – das Volk drängte sich selbst dazu heran –, und das geschah im Interesse der Staatsidee. Denn zwar nicht der Mensch war göttlich, aber das Amt machte ihn dazu. Wie des Zeus Wille im Himmel, so war der persönliche Wille des Kaisers das Zentrum der sichtbaren Welt; deshalb mußte er unantastbar, unfehlbar sein. Ohne das fiel das Reich auseinander,»Der Fürst ist sterblich, der Staat ewig«, sagt Tacitus Ann. III, 6. er war die einzige Verkörperung göttlicher, unbedingter Machtfülle auf Erden. Aurelian betitelt sich selbst »Herr und Gott«, dominus et deus. Natürlich muß der Herrscher dann auch in sittlicher Beziehung, so wird gefordert, möglichst gottähnlich sein.Man lese z. B. Plutarch Ad principem ineruditum c. 3. Und so entstanden nun Kaisertempel in allen Groß- und Kleinstädten der Welt – berühmt und einflußreich war der Augustusaltar in Lyon – mit Kollegien, denen dieser Kultus oblag, und die sich aus Freigelassenen zusammenzusetzen pflegten; und da fanden nicht nur die verewigten, sondern auch die lebenden Kaiser ständige Verehrung. Die Dichter setzten sie gar mit Jupiter, mit Phoebus gleich. Die Christenverfolgungen hätten nie so ernsten Charakter angenommen, wenn die Gläubigen nur dem Jupiter oder der Venus das Opfer verweigert hätten; denn die antike Religion verlangt das Opfer gar nicht unbedingt, und jeder mochte dem Gott dienen, an den er glaubte. Daß sie den Kaiserkult ablehnten, das machte die Christen staatsgefährlich und geradezu zu Verbrechern, schuldig des Sakrilegs, so daß man sie mit Räubern gleichsetzte, und ihnen wurde der Prozeß gemacht.
Inzwischen geschah das Größte gleichsam hinter der Bühne der Weltgeschichte. Die Philosophen gingen ihren stillen Weg und schufen eine neue und reine Gottesauffassung. Eine Theologie begann. Varro schrieb auf stoischer Grundlage sein großes kritisches Werk »über die überlieferten göttlichen Dinge«, in dem er die Götter in den Dichterfabeln, aber auch die Staatsgötter verwarf und nur die Naturgötter allein, die physikalischen Mächten entsprachen, noch gelten ließ und zu begreifen suchte. Ciceros Werk »über die Natur der Götter« schlug denselben aufklärerischen Ton an. Eine große Sekte von Stoikern entstand unter den Gebildeten Roms. Was blieb ihnen? Es blieb in Wirklichkeit nur ein 84 Gott, der eine Gott der Stoa, der das unerschaffene All in sich schließt, in dem das All lebt. Das war Monismus, Monotheismus und Pantheismus. Diesen Gott predigte Seneca zu Neros Zeiten. Und zwar wird hier endlich gründlich und grundsätzlich, später als mancher vielleicht erwartet hätte, aber doch schon lange bevor das Christentum dies lehrte, die Sittlichkeit auf Gott gegründet. Das war das wichtigste. Für jede Tat soll jeder sich der Verantwortlichkeit vor Gott bewußt sein. Gott gehorchen, das ist die menschliche Freiheit.Seneca, de vita beata 15. Wozu Tempel und Opfer? Deine Seele, das sei Gottes Tempel; das Gutsein, das ist der Opferduft, der ihm angenehm. Der Glaube an Gott ist der vornehmste Gottesdienst.Seneca Epist. 95, 47. Gott ist dein Vater; suche ihm gleich zu werden. Die Tugend um Gottes willen, das ist Religion. Es war in der Tat die Religion Kaiser Mark Aurels.
Als Vorbild aber für solche Erlösung durch die Tugend galt dem Seneca Herkules, der Held, der sich wie eine Parallelfigur zu Christus ausnimmt. Auch Herkules ist Gottessohn, auch er kämpft und leidet für die Menschheit; durch den Schmerzenstod der Verbrennung wird er zu Gott, seinem Vater, erhöht, und seine Mutter muß, von Schmerz durchbohrt, als mater dolorosa seinem Tode zusehen; aber sie zeigt der Welt, wie eine Mutter Schmerzen tragen soll.Seneca, Herkules, Ötaeus V. 1848 ff.
Allein diese Weisheit der Stoa war zu unsinnlich streng und schwer, um volkstümlich zu werden. Denn das Volk will nicht grübeln; es will auch nicht sittlich erzogen sein; es will nur Vergebung für seine Sünden. So wurde denn jene fromme Lehre im Kampf der Religionen anscheinend spurlos hinweggeschwemmt, um erst in späteren Jahrhunderten wieder junge Kraft zu gewinnen.
Und die alten schönen Götter der Fabel? Sie verblaßten schließlich von selbst, wie ein Fresko unter der Witterung; aus den Tempeln wurden sie hinausgejagt.Dies schildert uns einmal Ausonius, Epigramm 70. Aber sie starben nicht. Ja, wir können sagen, sie leben noch heute. Jedenfalls haben die Väter der christlichen Kirche wie Augustinus niemals die Existenz des Jupiter oder der Venus bestritten, sondern sie nur für böse Geister erklärt, die denn also doch, wenn sie böse sind, auch 85 vorhanden sind. Und in der Tat, wer kann heut ohne sie denken? Als Traumgebilde der Phantasie schmücken und beeinflussen sie noch immer unser Dasein und Kunstleben. Es ist ja Rom, wo Rafael in der Farnesina Amor und Psyche, es sind die Stanzen des Papstes, wo Rafael den Parnaß gemalt hat; es ist der Vatikan, wo der Apoll von Belvedere steht. Und in diesem Sinne ist doch bemerkenswert, daß die Götter auch schon von den alten christlichen Dichtern des 4. und 5. Jahrhunderts ohne alle Bedenken beibehalten wurden. Wer den Claudian, den Nonnos oder Sidonius gelesen hat, weiß das. So glaubte auch noch der brave Ausonius um das Jahr 370 an unserer Mosel, wo er den Weinbau beschreibt, die alten, ewig jungen Satyrn und Najaden leibhaftig zu sehen und schildert sie, wie sie die Trauben im Weinberg naschen, wie der bocksfüßige Pan ins Wasser plumpst und wie um die Mittagsstunde die Wasserfrauen heimlich ihren Reigen in den Fluten führen und die lüsternen Faune foppen, die statt ihrer glitschrigen Leiber nur zerfließende Wellen erhaschen. Welch reizende Böcklinsche Staffage! Wer kann an der Mosel wandern, ohne daran zu denken? Auson nennt diese Gestalten paganica numina, »heidnische Götter«; aber sie waren voll Leben für ihn, voll Wirklichkeit.