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Wie göttlich schön ist die griechische Landschaft! wie schön aber auch Italien! Welches Land sollen wir mehr preisen? Vergil und Properz schwankten nicht; sie erheben in inniger Heimatliebe die Stimme laut zum Lobe Italiens, dessen Wonnereiz von Griechenland nimmermehr übertroffen werde. Ein Sinn für Landschaft, ein Natursinn war in ihnen lebendig, der im Grunde nichts anderes als Kunstsinn ist. Denn der Eindruck einer Landschaft wird nur dann aufgefaßt, wenn er sich im Auge zum Bild gestaltet, und solches bildmäßiges Schauen hat nur der Kunstsinnige oder Kunstfähige. Daher pflegt der Natursinn gleichzeitig mit dem Kunstsinn zu wachsen. Natürlich entzückte aber den Großstädter damals zugleich der Stimmungskontrast, der Kontrast der Waldesstille, der Duft und der Reichtum der Vegetation. »Amön« ist das Wort, das der Römer erfand; es bezeichnet insonderheit nur das Naturschöne. Und das war alt. Der Römer ist ohne Landsitz und Landliebe nicht vorstellbar. Dabei hat er jedoch für die Wildheit der Hochgebirge, die Erhabenheit der Einöde keinen Sinn. Auch kennt er keinen Wechsel traumhafter Dämmerstimmungen, nicht das Ahnen, das Erschauern, nicht die Andacht im Ungewitter. Ihn erquickt immer nur die heitere, helle Ruhe, das Amönliebliche. Zugleich aber will er viel sehen. Weitblick, Panorama, Prospekt! Wer daher eine Landschaft beschreibt, zählt auf, was er sieht. So finden wir es auch beim jüngeren Plinius, in dessen hochgelegenen Villen die Fenster mit Aussicht bisweilen so groß wie Türen waren; und die vielen Landschaftsgemälde Pompejis stimmen auffällig dazu, da sie fast alle aus der Vogelperspektive gemalt sind.Eine Schilderung aus der Vogelperspektive gibt auch Lucian im Charon 6.
Zugleich aber ist an diesen Gemälden noch ein anderes charakteristisch: daß sie die Natur nie einsam zeigen. Es stehen stets Häuser darin oder stets Staffage, und fehlt der Mensch, so ist eine Nymphe da. Der Römer liebt nur die bewohnte Natur. Aber 111 auch das kann als Ausfluß seines eigenartigen Kunstsinns gelten; denn so wie ein Kunstwerk – ein Harnisch, ein Wohnraum – nur dann als schön galt, wenn es zweckmäßig schien (καλὸν πρός τι), so war auch nur die Natur schön, die Zwecken dient.
Landleben und otium war dasselbe für den Römer der Kaiserzeit. Otium aber bedeutet nicht Muße, sondern geschäftige Muße. Das Nichtstun heißt nil agere, und das kann man in der Großstadt lernen.Plinius, Epist. 1, 9 fin. Trotzdem ist der Römer niemals ein leidenschaftlicher Jäger oder Fischer gewesen. Denn diese Tätigkeiten setzen jene vollständige Vereinsamung in der Natur voraus, die ihm widerstrebte; und es sind nur Paradoxa, wenn gewisse Kaiser und nach ihrem Beispiel auch Zenobia fischen und jagen gehen. Lächerlich wirkt es, wenn Plinius seine Schreibtafel auf die Jagd mitnimmt und Verse macht; aus Versehen fängt er dabei ein paar Eber im Netze.
Villa des Marius am Kap Misen! Cicerovillen! Capri – Posilipp – Bajä – Tivoli – Gardasee: all diese Plätze sind von den Römern genußsüchtig entdeckt worden. An abschüssigen Hängen des Gebirgs bauten sie ihre Villen, oder auch schroff direkt ins brandende Meer hinaus, so daß man steil abwärts aus dem Fenster die Angelschnur ins Wasser werfen konnte. Jeder Bau konstruktiv ein Sieg über die Natur! jeder Bau zugleich eine Jagd nach großartigen Prospekten! Solche Villen waren ausgedehnte Gruppen von Sälen und Hallen, eine vollständige Welt für sich, die für eine Zeitlang Geist und Körper allein ernähren soll, etwa wie ein moderner Weltpostdampfer das heut auch versucht. Freilich kam es auch vor, daß auf solchem römischen Landgut nichts wuchs und daß, wer hinauszog, Körbe voll Eier und sonstigen Proviant sich aus der Hauptstadt mitnehmen mußte.
Der trotzig eigensinnige Kunstgeschmack des Römers zeigt sich in diesem und in allem. Man nehme auch ihre Gärten. Die berühmten Gärten des Mäcen, des Sallust, Pompejus, Cäsar und anderer waren ausgedehnte Landstrecken, und sie lagen auf den Höhen um Rom, die Riesenstadt eng umgürtend, die sie zu ihren Füßen sahen, über dem Monte Pincio oder gleich am Janiculus, Gärten, die uns an Villa Borghese und Villa Pamfili gemahnen. Die Römer spielen eine der ersten Rollen in der Geschichte der Gartenkunst, aber nicht im romantischen Sinn. Denn es werden 112 wohl auch einmal Walddickichte, ein ganzer Kaukasus, der künstlich hergestellt wurde, erwähnt.Properz 1, 14, 6. Sonst aber erinnerte nichts an den englischen Park; denn Italien selbst glich ja schon solchem Park mit seinen dunkelen Wäldern und weiten Weideflächen und hochpittoresk aufgebautem Gelände. In den Gärten selbst herrscht deshalb, dazu im Gegensatz, die gerade Linie; der Buchs wird in tausend eckigen Formen geschoren, die Platanen in steife Ordnung gestellt, während mächtiger Epheu von Wipfel zu Wipfel hängt; alles aber übersät mit rieselnden Wasserkünsten und altkostbaren Bronzen und Marmorwerken, die zwischen Lorbeer und Zypressen schimmern. Gestutzte Natur! stilisierte Natur! Barockstil! In solchen Gärten pflag Messalina der Liebe, in solchen Gärten wurden die sommerlichen Trinkgelage gehalten, die Horaz besingt. Das ist römische Kunst.
Und nun die eigentliche Kunst! Die Kunst eines Volkes ist der sicherste Gradmesser seiner inneren Verfeinerung. Wir fragen: wie weit war der Römer an ihr beteiligt? und antworten: er war nicht nur ihr mächtiger Auftraggeber, er ist zum Teil auch selbst in großartigem Stil Produzent gewesen. Aber seine praktische Veranlagung war dabei entscheidend, und er hat sich nur an Literatur und Architektur beteiligt. Die Literatur schien ihm fürs praktische Leben verwendbarer als die Musik; denn sie war die Trägerin der römischen Sprache. Daher dichtete der Römer und musizierte nicht. Ebenso war es die Architektur, die das städtische Leben gestaltete, viel mehr als die nur dekorativen Künste; darum hat es viele Architekten römischer Herkunft, aber keinen einzigen Bildhauer und nur wenige Maler gegeben. Dazu kam allerdings der fanatische Reinlichkeitstrieb. Der Römer schrieb nicht gern mit Tinte und Feder, sondern nur mit dem sauberen Metallstift auf Wachs. Ebenso beschmutzte er sich die Hände nicht gern mit Farbenklecksen und Tonkneten. Dagegen war es schon im 2. Jahrhundert v. Chr. ein Römer Cossutius, der im Auftrag des syrischen Königs Antiochos Epiphanes den Bau des Zeustempels in Athen leitete.
Der Römer trat unter die Griechen wie ein Riese unter Zwerge. Er brauchte Häuser nach seinem Maß. Wir reden vom Raumbau, dem bedeckten und unbedeckten.
Die unbedeckten Raumbauten waren Rennbahn, Theater, 113 Amphitheater. Erdwälle genügten nicht; es galt die Sitzreihe für das Riesenpublikum monumental in Quadern aufzumauern. Das geschah bis zu drei oder vier Stockwerken – wie im Marcellustheater und Kolosseum –, welche Stockwerke, nach außen architektonisch feingegliedert, die Muster geworden sind für die profane Außenarchitektur und den durchbrochenen Fassadenbau der neueren Zeiten. Zugleich wurden eine Anzahl numerierter Eingänge, wurden Gänge und Treppenwerk in wundervoller mathematischer Simplizität und Übersichtlichkeit hergestellt, die das Finden der Plätze, auf die die Eintrittsmarken lauteten, erleichterte.
Großartiger und folgenreicher noch die gedeckten Basiliken und Thermen! Die Flachdecke, mit der man gelegentlich sogar ein offenes Theater zu decken versuchte, wich der Wölbung, die sich selber trug. Schon die Griechen kannten das Prinzip des Wölbens, aber ihr Kleinleben bot keinen dringenden Anlaß, es auszubeuten und seine Tragweite zu bemerken: »Tragweite« im eigentlichsten Sinne des Wortes. Hoch auf die Wände gestellte Tonnengewölbe, Kreuzgewölbe und Kuppeln! Ihre Spannungen wurden in Rom kühner und kühner. Mit Backsteinringen, oft auch nur mit hohlen Töpfen wurden die gewaltigen Wölbungen aufgemauert. Die hängende Kuppel über dem Steinzylinder des Pantheon erreicht einen Durchmesser von 43 Meter, und sie ist weit genug, daß die fünf Schiffe des Kölner Doms unter ihr Platz finden könnten. Das ist es, worauf der ganze Gewölbebau des Mittelalters und der Neuzeit fußt, und erst unsere Gegenwart sieht sich durch Glas und Eisen in den Stand gesetzt, Rom wirklich zu schlagen, in Brückenbau, Wolkenkratzern, Bahnhofshallen und Kristallpalästen, siegreich, elastisch und doch oft so unschön, wenn wir nichts gewahren als splitternackte Stahlgerippe.
Mit der großartigen Monumentalität und betäubenden Wucht der Römerbauten ließen sich höchstens die Bauwerke Ägyptens vergleichen. Eine herrische Bezwingung der Massen, hier und dort; und dennoch, welcher Unterschied! Welche Ungeheuer, jene Pyramiden, deren Zeltform gar keinen Zweck ausdrückt! Wie hilflos unfrei jene Wälder schwerleibiger, enggestellter Tempelsäulen in Karnak und Theben, die kaum ausreichen, die lastenden Steindecken zu tragen! Vor allem ist die ägyptische Kunst nur sterile Königskunst. Sie diente nicht dem Verkehr. Sie versetzte Berge, nur um den König und Bauherrn als Gott zu verherrlichen. 114 Wie anders Rom! Roms Bauwunder sind für das Volksgetriebe ersonnen, sie dienten der Menschheit. Nur Nero macht eine Ausnahme; er hat in Rom den Pharao gespielt. Denn mitten in die niedergebrannte Stadt stellte er sein »goldenes Haus«, das etwa von da, wo man heute die Meta Sudans sieht, ausging und den ganzen Esquilin überdeckte und Weingärten und Tierparks, ja Säulenhallen von einer Meile Länge in sich barg, während vor dem Palast Nero selbst im Kolossalbild ragte. Aber gleich nach Neros Tod zerstörte Vespasian das Ganze und setzte einen Volksbau an die Stelle, und die märchenhaft in Gold und echten Perlen schimmernden Prunksäle verschwanden wie ein flüchtiger Traum: der Traum sultanischen Größenwahns. Übrigens läßt sich mit diesem Monstrebau der Palast des gealterten Kaisers Diokletian vergleichen, in dessen ausgedehnten Ruinen heute die Stadt Spalato steht.
Technisches können wir hier nur streifen. Das römische Theater weicht im Grundplan vom griechischen ab; trotzdem aber erreichte auch der Römer wie der Grieche in diesen Räumen eine Sicherheit der Akustik, um die wir ihn nicht genug beneiden können. Man hörte jeden Hauch, jedes spöttelnde Geflüster des Mimen im fernsten Winkel. Nicht minder erstaunlich sodann der Luxus drehbarer Zimmerdecken: während der Mahlzeiten schob sich die rollbare Decke, und bei jedem neuen Eßgericht sah man über sich ein neues Gemälde erscheinen. In Neros goldenem Haus befand sich ein Saal mit Kuppel, der sich beständig um seine Achse drehte; und dem entsprechen, ins Riesenhafte ausgedehnt, die zwei hölzernen Theater des Curio, deren Zuschauerräume der Konstrukteur mit den Rücken gegeneinander stellte. Diese Zuschauerräume standen aber drehbar auf Zapfen, und wenn man sie gleichzeitig drehte und einander zukehrte, so stellte sich aus den zwei Theatern ein Amphitheater her. Es fehlt an hinreichendem Grund, diese Nachricht zu bezweifeln.
Noch bedeutsamer aber für das Volksleben und nicht minder originell und großartig waren die römischen Katakomben des zweiten und dritten Jahrhunderts! Eine Gräberstadt unter der Stadt, ganze Straßennetze von Galerien, in Stockwerken untereinander; in den Wänden Fächer für Leichen; dazwischen Grabkammern, wohnlich ausgemalt wie die Häuser Pompejis. Vorher hatte man in Rom überirdische Begräbnishallen mit Wandnischen für die Aschenkrüge gebaut, die sogenannten Kolumbarien. Diese 115 Idee hat die Christenheit, besonders die Christenheit Roms, die größte Begräbnisgenossenschaft des Altertums, in den Katakomben nach ihrem Bedürfnis umgewandelt.
Aber derselbe Römer, sagt man, der so baute, war doch zugleich ein Kunstbarbar! Das ist gewiß nicht richtig.Ich polemisiere hier gegen meine eigene Schrift: »Laienurteil über bildende Kunst bei den Alten«, S. 19. War es doch das römische Volk, das wegen des Schabers des Lysipp gegen Kaiser Tiberius sie erhob (oben Seite 65); und der erste, von dem wir hören, daß er durch den Zeus des Phidias innerlich ergriffen war, war ein Römer, Ämilius Paulus. Schmählich haben allerdings die römischen Soldaten, ja auch die Feldherrn, in Alt-Hellas, in Makedonien, Asien den brutalsten Kunstraub betrieben. Aber sie wußten doch sehr bald die besten Sachen herauszufinden. Schon Verres, der Plünderer Siziliens, verriet einen ganz echten Kunstinstinkt. Luculls Kunstsammlungen, Luculls Förderung griechischer Künstler zeugt für dasselbe. So wie für die großen griechischen Dichter, so reifte in Rom auch für die griechischen Künstler das volle Verständnis erst allmählich.
Aber welche barbarische Anhäufung von erlesenen Meisterwerken auf allen Märkten und Promenaden! Es kam mit Rom dahin, daß es so viel Statuen wie Einwohner hatte. Was ist Berlin dagegen und die Siegesallee? Welche sinnlose Vergeudung, wenn Markus Scaurus im Jahre 58 vor Christo in dem Theater, das er für 80 000 Zuschauer aus Holz aufbauen ließ, den hohen Bühnenhintergrund mit Glasmosaik und Goldplatten überdeckte, übrigens aber zum Aufputz 360 Marmorsäulen, unzählige Gemälde, 3000 Erzstatuen und noch anderes mehr verwandte, um schon nach wenigen Festtagen das Ganze wieder abzureißen? Aber ich glaube doch, die Sache wirkte gewiß nicht übel; für einen festlichen Raum ist das Prangendste und Reichste gerade gut genug; und die Überfüllung mit Statuen lernte Rom ja doch von Delos, Rhodos, Athen. Das war gut griechisch. Sehr verständig bemerkt jedoch der ältere Plinius, daß diese Vielheit auf die Dauer abstumpfe und daß niemand in der Hauptstadt mehr Zeit finde, das Einzelne wirklich zu würdigen. Dieser Plinius wußte also ganz gut, daß der echte Kunstgenuß ruhige Versenkung braucht, und er urteilte aus Erfahrung. Denn der wirkliche Liebhaber gestaltete sich in Rom den Kunstgenuß allerdings intim und sammelte Malereien und Skulpturen beschaulich abgesondert in Villen und Gärten.
116 Denn auch Gemäldegalerien oder Pinakotheken waren dem Römer etwas Geläufiges, aber nur im Privatbesitz. Sie lagen in den Palästen nach Norden. Dabei lernen wir noch Folgendes. Der Römer ordnete die Werke gern räumlich in strenger Symmetrie, aber er hielt darauf, daß jedes isoliert stand, und zwar möglichst in Vorderansicht.Vgl. Anthol. Palat. XII, 223. Jedes sollte nur ganz für sich wirken. Absurd wären für ihn unsere Museen, wo man die Statuen wie Rekruten in Reih und Glied stellt: ein Rekrut beeinträchtigt da den anderen, und die Reihe verschlingt den einzelnen. So dürfen aber auch Gemälde nicht in Reihen hängen, es sei denn, daß sie Friese bilden. Das ist antike Auffassung. Wenn wir, seit Kaiser Trajan, die Triumphbögen der Römer mit Reliefbildern überladen sehen, so ist das eben Barbarei der späteren Zeiten.
Aber wie oft haben Römer Originale zu besitzen geglaubt, und sind mit Kopien betrogen worden! Gewiß, und das geschah den Protzen ganz recht. Wie viele Kopien nach Böcklin sind nicht als echte Böcklins bei uns verhandelt! Wie täuschend waren die aberhundert Fälschungen nach Leibl, Uhde u. a., mit denen uns im Jahre 1908 München überraschte! Und wie viele unechte Tizians, Rubens usf. sind nicht von den fürstlichen Galerien des 17. und 18. Jahrhunderts urteilslos zusammengehandelt worden! Was beweist das? Kunstgeschichtliche Bildung wird eben, solange eine hinlängliche orientierende Literatur dem Publikum noch fehlt, sehr schwer erworben, und sie ist zum Glück ebensowenig für den Geschmack unentbehrlich, wie für die Produktion selbst. – Übrigens dachten die Römer oftmals da, wo sie sich berühmen, einen Myron und Skopas zu besitzen, ohne Zweifel selbst nur an Kopien nach solchen Meistern (zum Beispiel Horaz, Carm. 48). Denn sie waren nicht so dumm, nicht einzusehen, daß nicht jeder jedem zum Geburtstag einen echten Skopas schenken konnte. Und die Kopien selbst, die man damals fertigte, zeigten immer noch einen hohen Grad von Meisterschaft. Es sind ja eben dieselben Exemplare, die auch noch Winckelmann zur Bewunderung hinrissen: der Apoll von Belvedere, nicht in Rom, nein, bei Grottaferrata gefunden, die Niobiden in Florenz, der Zeus von Otricoli usf. In Otricoli, diesem Nest, befand sich also dieser Kopf, der heute vollständig unsere Phantasie beherrscht; der Apoll von Belvedere schmückte irgendeines der vielen Landhäuser. Die Römer 117 waren klug, wenn sie auch schon damals an solchen herrlichen Repliken ihre Kunstfreude übten, wie wir es tun; aber sie wußten dabei sehr wohl, daß die Vollkommenheit des Originals beim Kopieren oft nicht erreicht wird.Plinius, Epist. V, 15.
Schlimm dagegen das Prahlen mit altem Silbergeschirr, von dem wir so oft hören, das Prahlen mit ziselierten Originalbechern (archetypi) des alten Mentor! Es genügte also nicht, daß die Exemplare schön waren, sie mußten auch nach Mentor, dem Benvenuto des Altertums, heißen. Darin lag aber wiederum nicht etwa ein Mangel an Schönheitssinn, sondern nur ein Mangel an historischer Erziehung, die ja in Wirklichkeit erst seit dem 19. Jahrhundert weitere Volkskreise durchdringt.
Dennoch weiß ich von einer Barbarei, die nicht ihresgleichen hat. Am 27. November 1900 wurde vor der nördlichen Stadtmauer Pompejis eine Jünglingsgestalt in Bronze ausgegraben, im Stil des Idolino, wundervoll erhalten, ein Original etwa des Jahres 400 vor Christi. Sogliano, der den Fund veröffentlichte, schrieb begeistert: »O du schönstes Produkt der griechischen Plastik, gehe jetzt und tritt nach einer Nacht von 18 Jahrhunderten wieder ein in die große Welt der Kunst und erwarte in Ruhe das Urteil der Gegenwart und Zukunft. So lange es Augen gibt zu sehen, wird deine Schönheit immer hochgehalten werden.« Fremdartig fesselnd, mit großen Antilopenaugen starrt dieser griechische Jüngling in unsere Welt, ein Musterbild seiner Rasse. Was aber machte dereinst der pompejanische Besitzer daraus? Einen Lampenhalter. Dazu übersilberte er die ganze Figur, damit sie das Licht reflektierte; die großen Augen aber aus weißem Marmor mit Pupillen von schwarzer Glaspasta stieß er ein, so daß sie im Bauch der hohlen Figur gefunden worden sind, und setzte dafür andere Augen ein, die schielten.
Das war allerdings eine brutale Schändung, und gewiß mag derartiges in der alten Welt hundertmal vorgekommen sein. Aber was beweist es für den Durchschnitt? Ganz Pompeji zeugt ja schon laut dagegen. Denn man gehe nur in dieser kleinen Kreisstadt von Haus zu Haus: wie ist da alles durchdrungen von Anteilnahme an der Kunst! Kein Haus, wo sie fehlte. Welche Fülle, welche Treffsicherheit des Netten, Artigen und Schönen, und wie selten ist der Ungeschmack! Pompejis Vorzüge sind nun 118 aber das Verdienst seiner Hausbesitzer, und diese Hausbesitzer waren nicht etwa Griechen, sondern Römer. Dem Bauherrn selbst gereicht ohne Zweifel sein Haus zum Ruhm, sowie wir, wenn jemand sich geschmackvoll kleidet, doch nicht nur seinen Schneider loben. Darum rühmen wir den Kunstgeschmack des Römers, der nicht nur mit genialem Raumsinn den Platz für seine Villen selbst bestimmte, sondern auch die Bilder selbst wählte, die Statuen selbst aufstellte in Haus und Garten. Sagt uns doch Cicero ausdrücklich: wie Gott Schöpfer der Natur, so ist der Hausherr Schöpfer der Schönheit seines Hauses!Cicero, de deorum nat. II, 17. Derselbe Cicero bestellt sich aus Griechenland Reliefs für sein Atrium; ganz bestimmte Wandplätze hat er dafür im Auge, und die Reliefs müssen an die Plätze passen. Statuen werden ihm angeboten, aber die lehnt er ab, weil sie ihm für den betreffenden Raum ungeeignet scheinen. Wer einen Kunstmaler in seiner Sklavenschaft besaß und ihn freiließ, bedang sich aus, daß er gegen Vergütung auch fernerhin für sein Haus arbeite. Ohne persönlichste Anteilnahme ist alles das nicht denkbar. Daher sagt Lactanz (im Anschluß an Seneca) mit Recht, daß der Römer mit Statuen spiele wie die Kinder mit Puppen. Mit Recht; denn aller Kunstbetrieb ist Spiel; wer aber mit der Puppe spielt, der liebt sie auch, der hegt sie mit Innigkeit wie ein lebendes Wesen. Aus der Spätzeit Roms hören wir endlich, wie auch der Staat selbst die Kunstmaler begünstigt hat: ihnen wurden Werkstätten ohne Mietzins eingeräumt, und zwar in allen Städten.
Für das Altertum wäre das Schlagwort gewisser »Moderner« der Vorkriegsjahre »l'art pour l'art« eine Halbheit gewesen. Vielmehr ist der Zweck des Kunstschaffens ein doppelter: Befriedigung des Künstlers selbst und der Beifall der Menge.Seneca, de benef. II, 33. Tatsächlich aber beabsichtigt die ganze antike Kunst nichts, als für und auf den Laien zu wirken. Und der Laie schaute und bewunderte, aber der Laie urteilte nicht. Dies ist wiederum merkenswert. So hielt es die ganze ältere griechische Literatur bis auf Aristoteles, die uns kein einziges Kunsturteil gibt, ebenso hält es aber auch die römische. Denn der stumme Genuß ist oft der tiefste, und Zurückhaltung im Urteil ist eine Klugheit, die wir heute nur zu oft vergessen. Wenn aber die Römer zur Plastik einmal das Wort nehmen, so führen sie das mit den 119 bescheidensten Wendungen ein, wie Plinius in dem schönen Brief III, 6, und zwar bewußt und in der verständigen Voraussetzung, daß für Kunstdinge nur der Ausübende maßgebend und urteilsfähig ist. Nach Plinius gibt es auf diesen Gebieten tatsächlich nur zweierlei: Künstler (artifices) und Nichtsachverständige (imperiti), kein Drittes.Anders dachte freilich Aristoteles, der eine Erziehung des Laien zum Kunstgenuß und Kunsturteil anstrebte. Daher wird jedes Kunstgeschwätz grundsätzlich vermieden.
Nur aus echtem Kunstgefühl erklären sich aber auch die Vorzüge der römischen Architektur. Jede Kolossalität läuft sonst Gefahr, klotzig, erdrückend, barbarisch wie die ägyptische zu werden. Der Römer aber hat, griechischen Geistes voll, die Massen überall durch die Proportion bezwungen und erreicht, daß auch noch das Übergroße harmonisch wirkt: gewiß eine Leistung außerordentlichen Kunstvermögens. Und dabei hat er die herkömmlichen Schmuckformen nicht etwa beibehalten und nur vergrößert, sondern mit kühner Phantasie sie weitergebildet. Es gab auch Dichter in Stein in Rom. Je mehr der Stuckbewurf und die Bemalung der Schmuckformen zurücktrat und bei den Bauten der kostbare Stein als Stein wirkte, desto reicher wurden die Schmuckformen selbst: Kolonnaden mit Rundbogen; üppige Kompositkapitelle; vortretende Schmucksäulen, die nichts tragen; Gebälk und Friese, die vor- und zurückspringen; Verkröpfungen; Nischenbildungen; Zerlegung der Wandflächen in reich umrahmte Felder. Das gab Ausdruck, belebtes Schattenspiel. Dazu der farbige Marmor, Porphyr, Syenit, Giallo antico! Welche feierliche Pracht, Glanz und Würde! Bis Hadrian geht diese stolze römische Kunst im großen Zug aufwärts. Aber wenn man auch noch das Späteste nimmt und in das Innere von St. Vitale in Ravenna eintritt: ist denn dies entzückende Wunderwerk von Innenarchitektur nicht auch noch ein Geschenk des römischen Kunstgenies?
Wie aber steht es mit der Malerei und Plastik? – Männer von Verdienst mit Porträtstatuen zu ehren, das war längst griechische Sitte gewesen. Der Römer setzte das fort, aber er vertausendfachte den Betrieb; zugleich stellte er der Porträtkunst die lohnendsten neuen Typen, und sie bereicherte und steigerte sich immer noch erstaunlich. Dabei sind es die Auftraggeber selbst, die den Künstler beaufsichtigen und über der Ähnlichkeit wachen. Denn es ist schwer ein Gesicht zu treffen, noch schwerer aber, von 120 solchem Porträt Kopie zu nehmen; man soll dabei das Idealisieren (in melius aberrare) vermeiden.Plinius, Epist. III, 10, 6 und IV, 28. Kaiser Wilhelm, Moltke, Bismarck standen bei uns früher in Gips in allen Schränken. Das ist aber nichts gegen die Hochflut von Kaiserbildern jener antiken Zeiten, und dabei fertigt man alles nur in Marmor und Erz. Nur in den Schulstuben standen Horaz und Vergil in Gips und wurden von den qualmenden Öllampen kläglich verräuchert. Wollte eine Kleinstadt einen Mitbürger ehren, so ließ sie gegebenenfalls gleich fünf Statuen von ihm aufstellen, alle an verschiedenen Plätzen, und das war ja allerdings das beste Verfahren: man konnte an dem Mann nicht vorbeisehen. Speziell römisch aber ist dabei erstlich die Liebe zur Kolossalstatue, zu der die großen Raumbauten Anlaß gaben, sodann aber die Erfindung der versetzbaren Büste; und diese Erfindung war äußerst praktisch, zum Beispiel gleich im Dienst des Kaisertums. Denn kam einer der oft so kurzlebigen Kaiser neu zur Regierung, so konnten von ihm rasch Büstenbilder zu Hunderten, noch ehe er ermordet war, in alle Provinzen gehen; und die Welt wußte doch wenigstens, wie er ausgesehen hatte.
In der Malerei herrschte der sogenannte schöne Stil der Griechen. Auch die entzückende Phantastik der Satyrn und Mänaden, Amoretten und Centauren sah der Römer an seinen Wänden gern; ebenso die elegant gemalten griechischen Legenden von Io, Phädra, Ariadne, Adonis oder Endymion. Ja, seit dem zweiten Jahrhundert begann er mit solchen elegischen Szenen sogar seine Marmorsärge zu schmücken. Besonders aber hat der Römer die Kunst des Mosaiks gefördert, welches Mosaik anfangs die Fußböden bedeckte, dann gleichsam die Wände emporklomm und schließlich großfigurig und strahlend in Gold und farbigem Glas die Decken und hohen Apsiden krönte. Für übergroße Räume erschien nur dies Mosaik monumental genug. Anders dagegen in kleineren Räumen; für ihren Wandschmuck wurde jener bezaubernd duftige Dekorationsstil geschaffen, der in virtuoser Weise fast körperlos die Körper nur andeutet, nur Lichter aufsetzt, nur Ausblicke vortäuscht und den Raum ausweitet und lichtet, statt ihn durch konkrete Gegenständlichkeit von Bildern zu verengen. Es ist wohl kein Zufall, daß diese raffinierte Dekorationsart, die Pompeji uns zeigt, jung und erst in der römischen Kaiserzeit 121 entstanden ist: nur ein an weite Räume gewöhntes Geschlecht von entwickeltstem Raumsinn hat sie erfinden können.
Aber auch der grobnaive Wirklichkeitssinn des echten alten Römertums suchte und fand in der Kunst seinen Weg. Gewisse, schlagend realistische Statuen nach Volkstypen, alten Bauern und Fischern, die wir besitzen, sind ohne Zweifel Erzeugnisse des römischen Kunstgeschmacks. In derselben Richtung geht die Moselkunst des zweiten und dritten Jahrhunderts, die wir im Trierer Museum bewundern; und es ist ganz ihres Geistes, wenn in Rom schon der Bäckermeister Vergilius Eurysakes großspurig seinen ganzen Geschäftsbetrieb in Stein aushauen ließ, oder wenn wir in Pompeji Schulszenen gemalt sehen, wo u. a. ein freches Bübchen hübsch übergelegt und mit der Rute gestrichen wird. Drastischer war es freilich und echt südländisch, wenn bei den Gerichtsverhandlungen den Richtern vom Kläger die Schandtat des Verklagten sichtbar in Bildplakaten vorgeführt wurde, gewiß möglichst abschreckend gemalt, ein wahres ad oculos-Demonstrieren! Zum Beispiel ein Spieler steht unter Anklage; man sieht gemalt, wie er würfelt, dann wie er alles verspielt, bis aufs Hemd entblößt ist, ins Gefängnis kommt usf. Das war Bilderbogenstil, Jahrmarktstil.
So liebte der Römer aber auch sonst das Bilderbuch nach Art der uns erhaltenen Josuarolle, d. h. ganze Kriegshistorien, nur in Bildern vorgeführt, die eng aneinander hingen und als Papierrolle sich zusammenrollen ließen. Ganz so hatten es schon die alten Ägypter gemacht. Die Ausführung realistisch, ohne viel Perspektive: die Eroberung Sardiniens oder die Einnahme von Karthago, mit Gefechten, mit Sturmlauf, Szene an Szene. Der beteiligte Feldherr kam mit solchen Bildern, die er zu seinem Ruhm anfertigen ließ, persönlich aufs Forum gegangen und erklärte sie dem Volk: in der Tat das wirksamste Kriegsbulletin! Als Kaiser Titus Jerusalem erobert hatte, wurden die Sachen sogar auf hohem Gestell durch die Straßen gefahren, und da sah man Palästina verwüstet, die Juden, wie sie kämpfen, fliehen, fallen und gefangen werden; Tempelbrand, Einstürzen der Häuser usf. Alles das war auf vergänglichem Material ausgeführt und ist rasch dem Untergang verfallen. Besäßen wir es noch, wie viel könnte der Kulturhistoriker daraus lernen! Aber wir haben einen Ersatz. Ich meine eins der stolzesten Denkmäler Roms, das wichtigste Monument römisch-nationaler Kunst, die 122 Trajanssäule. Denn sie ist mit solchem rollbaren Bilderbuch ansteigend umwickelt, das die Kriege Trajans sorgfältig mit allen Einzelheiten erzählt. Das Bilderbuch ist hier versteinert; es ist an der Säule im Marmorrelief nachgeahmt, aber dies Relief war zugleich bunt angemalt und wirkte als Malerei weithin strahlend. Weil aber die Trajanssäule der Mittelpunkt des Trajanischen Bibliothekbaues war, so mußte an ihr das Buch um so sinnvoller erscheinen.
So sehr wir dies Werk Trajans bewundern – und Mark Aurel ahmte es nach –, so gröblich ist dagegen, wie ich schon andeutete, die Geschmacksverirrung, wenn gewisse römische Triumphbögen, anders als der edle Titusbogen, mit eben solchen aktuell historischen Schildereien überladen sind. Sie wirken marktschreierisch wie eine Litfaßsäule. Die Vornehmheit war verlorengegangen und jedes Stilgefühl. Man spürt an ihnen das Nahen barbarischer Zeiten.
Das aufkommende Christentum hat jede Kunstschöpfung zunächst abgelehnt; es verfolgte die Künstler selbst mit Haß und Grauen, und als Kunstform galt ihm eigentlich nur das Kreuz. Hören wir indes, wie ein Kirchenschriftsteller für das Kreuz bei den Heiden wirbt; die Stelle ist lehrreich. Das Kreuz, sagt Tertullian, ist euch heidnischen Bildhauern selbst nicht fremd, ja, es ist euch unentbehrlich; denn für eure Tonmodelle verwendet ihr jedesmal ein Kreuz als Gerippe, einen Balken, der im Bildwerk aufrecht steht, und einen zweiten in der Richtung von Schulter zu Schulter. Dies Holzkreuz wird nun mit feuchter Töpfererde umkleidet, und so wie in der Bibel Gott den Menschen aus einem Erdenkloß macht, ganz so tut es auch der Plastiker (wir bemerken, daß die Bibelstelle selbst nicht ohne Kenntnis der Bildnerkunst geschrieben ist). Ist die Figur in Ton fertig geknetet, so dient sie selbst als Modell oder »Proplasma« und kann in Gips abgegossen werden, oder es werden auch danach gleich Abbilder in Marmor und Erz hergestellt, worauf das Tonmodell im Atelier verbleibt, die Abbilder aber in den Handel kommen. Wer nun also ein heidnisches Götterbild verehrt, so argumentiert Tertullian, der verehrt auch schon das Kreuz, das im Modell steckt. Also bekehrt euch zu unserm Glauben!
Bald genug hat sich das Christentum vielmehr selbst zur Kunst bekehrt, wobei es sich nicht nur der heidnischen Technik, sondern oft auch heidnischer Motive bediente. Schon im 4. Jahrhundert 123 sah man in den Vorräumen der Kirchen die Martyrien der Heiligen gemalt, also Kirchenkunst. Allein das Christentum kam zu spät; alles Schönste, was die Kunst besaß, hatte sie vorher an die anderen Religionen verausgabt. Und diese Verweltlichung der Kirche war dabei zugleich eine Entweltlichung des Kunstgefühls, das immer doch offnen Weltsinns und voller, gesunder Sinnesfreude bedarf. Kein gewaltiger Christustyp, wie die Menschheit ihn brauchte, ist damals geschaffen worden, und weltgeschichtlich Denkwürdiges kam nicht zustande.