Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Groß und geräumig war das Atelier in Alex Hause; durch ein mächtiges, hohes Nordlichtfenster strömte reichliche Lichtfülle herein.
Der Raum war in zwei Abteilungen abgetrennt, der eine für den Besuch von Bekannten und Freunden bestimmt, zum Empfang von Fremden, zum Aufenthalt, wenn die Arbeit ruhte, zur Zerstreuung oder für eine Plauderstunde; hier hingen an den Wänden wertvolle Knüpfteppiche aus Johore, kupferne Becken, alte Waffen und Streitäxte aus Indien und China. Da standen ein Rauchtischchen aus glänzendem Ebenholz mit Intarsien aus Schildpatt und Elfenbein und eine Wasserpfeife, deren Rohr mit Silbereinlagen verziert war; Kissen aus schwerer Seide, Schlummerrollen aus Japan, Teppiche aus Kaschmir und Bhopal lagen malerisch gruppiert in der Ecke um das Rauchtischchen. Indien und Chinas grotesk bizarre Kunst füllte den Raum; alte Bronzen dickbauchiger Götter, grotesker Fratzen, kleine Türme aus Elfenbein geschnitzt, behangen mit goldenen Glöckchen, winzige Tierstücke aus Chinaporzellan und Japanarbeiten waren da und dort, in einem Schränkchen aus Lack, auf einem Sims und auf niederen Bänken zu entdecken. Nur die Kissen und Rollen und eine niedere Ottomane mit einem leuchtenden Teppich aus Afghanistan luden zum Sitzen ein. Japanische Holzschnitte in den zartesten Farben aus der Blütezeit dieser Kunst sah man da und dort gerahmt in schmale, schwarze Leisten an den Wänden. Ampeln in Kupfer hingen nieder.
Ein Vorhang, ein alter Gobelin von riesiger Größe, einer aus den Pariser Werkstätten aus der Zeit von Watteau, dessen gedämpfte Farben aber nicht zu sehr im Gegensatz zu dem Raum standen, wenn auch die dargestellten Schäferszenen seltsam genug gegen die übrigen Schmuckstücke abstachen, trennte den Raum vom eigentlichen Atelier. Dort waren kahle Wände in abgetöntem hellem Ocker, die mit einer Fülle von Originalbildern behangen waren; alle waren in leuchtenden Farben ausgeführt und schwelgten im Sonnenlichte; Gärten im Sonnenschein, alte Hofwinkel in der Glut des Mittags. Schneelandschaften von Sonne bestrahlt, immer nur Darstellungen in leuchtender Farbe. Es waren Werke von Alex.
Nur da und dort konnte man die Arbeit eines anderen Künstlers entdecken; in einer Ecke lehnten große Mappen und Blendrahmen, die aber dem Besucher des Raumes den Rücken zukehrten und so nicht erkennen ließen, ob sie Fertiges oder Unfertiges enthielten. Auf einem großen Tische lagen alle Werkzeuge zu Radierungen, die Kupferplatte, die Nadeln und die Fläschchen mit den ätzenden Säuren. Auf der Staffelei lehnte in dem Blendrahmen eingerahmt eine frische Leinwand, die nur in flüchtigen Kohlenstrichen das Motiv eines neuen Bildes andeutete.
Das war Alex Grabers Atelier; der Reichtum, der ihm zugefallen war, hatte ihn so verschwenden lassen können.
Setzt kauerte er auf der Ottomane, den Kopf auf die geballten Fäuste aufgestützt.
Drei Jahre waren nun verstrichen, seit er als Rosenkönig neben Marga in der Kapelle von Lankwitz getraut worden war; drei Jahre waren darüber hingegangen, im Fluge vorübergerauscht, so rasch durchlebt, daß er jenen Tag von Lankwitz wie gestern erlebt vor sich sah. Sein aschblondes Haar trug er nicht mehr in langen Locken, sondern in kurzem Schnitt und rechts gescheitelt; sein Gesicht war fahler als damals, und die tiefblauen Augen, die allein noch das Leuchten und den Glanz aus jener Zeit hatten, waren von Schatten umrändert. In den Augenwinkeln zeigten sich kleine, unscheinbare Fältchen.
Seine Augen glitten nach dem Gobelin hin, der das eigentliche Atelier abschloß; dabei war es, als flammte in den Augen ein Haß, etwas Feindliches, das jenem abgetrennten Raum gelten mußte.
Vor kaum einer Viertelstunde hatte er drüben gestanden, vor der Staffelei, die Kohle in der Hand; ein paar Striche nur hatte er flüchtig skizziert, dann warf er die Kohle fort.
Und nun lag er hier und starrte in ohnmächtigem Haß nach dem Atelier. Als er tags vorher nach der Radiernadel gegriffen hatte, war es ihm ebenso ergangen. Er hatte nicht arbeiten können. Seine Kraft, sein Arbeitswille, seine Phantasie waren erschlafft, abgestumpft und träge. Er haßte jetzt die Arbeit, wie er sie doch einst mit ebenso brennendem Eifer gesucht hatte.
Das Ziel hatte er allerdings erreicht; er hatte verschwenden dürfen. Was ihm schön, was ihm begehrenswert erschienen war, er hatte danach verlangen dürfen; er war in Holland gewesen, in Schweden und in Ägypten; er hatte sich dieses Atelier so eingerichtet, wie seine Phantasie es ersehnt hatte. Die goldene Krone, wie sein Streben von Sascha Zychlinsky genannt worden war, hatte ihm alles gegeben, was Reichtum schaffen konnte. Feste auf Feste waren gefolgt, ein Schwelgen im Genuß und in Schönheit. Die Zeitschriften brachten seinen Namen und seine Bilder, er wurde verlangt und beneidet, er besaß, was ihm einst unerreichbar wie ein Traum erschien: Reichtum.
Und trotzdem der Haß in seinen Augen!
In der ersten Zeit hatte er mit einer fast hungrigem unersättlichen Gier vor seiner Staffelei gestanden und hatte mit fiebernder Hast gearbeitet, als könnte er nicht genug ausführen. Die Zeitungen meldeten davon, schrieben über ihn, feierten ihn, die Kritiker waren fast tägliche Gäste in seiner Villa. Er spürte den Zauber Ruhm. Bald aber fühlte er eine Erschlaffung; er sah, daß ein Werk wie das andere war, daß er nicht vorwärts kam, daß er immer nur einen Abklatsch des gleichen Motivs erreichte.
Er fühlte dies zuerst; die Kritik selbst erkannte es nicht; für die Menge blieb er der bewunderte Künstler.
Er machte im Schaffen eine Pause; er glaubte, daß eine lange Ruhe neue Ideen und neue Ziele geben würde.
Da war er Tag um Tag bei Festen, bei Einladungen, in Theatern und Konzerten. Immer war es Frau Marga, die ihn von neuem in den Strudel dieser Feste riß; immer galten bei solchen die Huldigungen ihr, der schönen, gefeierten Gattin des großen Künstlers. Dieser Name blieb ihm: er war der »große Künstler«.
Niemand mehr fragte nach seinen neuen Arbeiten; man wußte ja, daß er die »Lebensfreude« gemalt hatte, die in der Galerie in L*** hing, man besaß selbst sein Mappenwerk »Sonnenleben«. Immer waren es die beiden Namen, die geflüstert wurden, wenn er erschien; und nach diesen Namen sprach man von seiner schönen, eigenartig verführerischen Frau.
Er ließ sich von den Festen tragen; er ließ sich berauschen, er hörte auf die Bewunderungen, er glaubte an die Worte, die schmeichelnd an sein Ohr drangen.
Er betrat sein Atelier lange nicht mehr.
Wozu auch? Nun konnte er Lebensgenuß verlangen, nun wurde er von dem Taumel Lebensfreude berauscht, nun besaß er, was ihm als Glück erschienen war. Er spürte kein Verlangen mehr zum Schaffen. Wozu auch? fragte er wieder. Seinen Ruhm hielten »Lebensfreude« und »Sonnenleben«. Diese genügten, um ihn immer noch als großen Künstler zu verehren; die Pause, die er zuerst gesucht hatte, um neue Schaffenskraft zu gewinnen, war ihm jetzt ein bequemes Genießen geworden.
Erst als anfangs in einigen Zeitschriften mahnende Stimmen kamen, die das Fehlen von Werken Grabers betonten, die von ihm ein neues Werk erhofften, die einmal von der Pflicht schrieben, die der Künstler der »Lebensfreude« hätte – als auch Frau Marga zu spüren begann, daß der Klang der Bewunderung immer leiser nachtönte, und als sie dann leidenschaftlich den Ehrgeiz ihres Gatten aufpeitschte, da erst hatte er wieder zu arbeiten begonnen.
Aber nur Halbfertiges entstand; immer wieder sah er sich dem gleichen gegenüber, was er früher schon geschaffen hatte.
Die Feste hatten ihn erschlafft; die Schaffensfreude war ihm verloren gegangen.
Über Versuche kam kein Werk mehr hinaus.
Und jetzt haßte er die Arbeit, haßte seine Bilder und Radierungen. Seine Kraft war gelähmt und gebrochen.
Das Geld hatte ihm wohl Genuß und Feste gebracht. Luxus und Verschwendung aber hatten ihm die Kraft genommen.
Er hatte Furcht vor den Bildern drüben und vor der leeren Leinwand; er fühlte sich wie Simson, dem die Stärke geraubt worden war.
Durch Delila, sagt die Bibel. Durch das Weib.
War er nicht auch ein Simson?
Aber wer zwang ihn denn zur Arbeit? Konnte er nicht wie bisher nur den Festen leben, nur im Taumel dieser Abende, unter Gästen und bei fröhlichem Lachen? Immer hatten seine großen Werke »Lebensfreude« und »Sonnenleben« noch den alten Klang; sie genügten, um ihm den Ruhm als Künstler zu geben. Er wollte nichts Neues.
Wozu auch?
Aber sein Sinn blieb trübe, denn von dem Gefühl der Ohnmacht konnte er nicht frei werden; er hatte die Schaffenskraft verloren, im Genuß der rauschenden Feste war sie erschlafft, im Luxus erstickt.
Das waren seine bohrenden, grübelnden Gedanken, während er nach dem Gobelin hinstarrte, der ihn von dem eigentlichen Atelier wie von einer feindlichen Macht trennte.
Wenigstens wußte niemand, daß er die Kraft im Schaffen verloren hatte, daß er nicht mehr konnte, was nach außen hin nur in seinem fehlenden Willen gesucht wurde. Wer sollte auch wissen, wie er hier in Ohnmacht lag und vergebens nach Kraft suchte?
Wer wußte das?
»Allein? Ich störe dich doch hoffentlich nicht bei der Arbeit?«
In der Stimme, die fragend von der Tür her kam, klang ein Unterton von Spott mit, nur für ein empfindsames Ohr fühlbar; in dieser Stimmung aber hatte ihn Alex gefühlt. Er sprang erregt auf und blickte auf Frau Marga, während sich seine rechte Hand zur Faust geballt auf das Kissen der Ottomane aufstemmte.
»Nein, niemand stört mich bei der Arbeit. Du willst wohl nachsehen, wie weit mein neues Werk ist? Gestern, vorgestern und vorvorgestern, immer war dies ja der Zweck deiner Besuche.«
So leise war die schlanke Gestalt von Frau Marga in das Atelier gekommen, daß Alex erst durch ihre Stimme aufgeschreckt worden war. Sie trug ein einfaches, loses Jackenkleid, das durch den zartgrauen Ton der weichmattschimmernden Seide in vornehmer Kontrastwirkung zu der in dunkler, glänzender Seide ausgeführten Stickerei war, die von einem Künstler entworfen und in den Vorderteilen der Jäckchentaille eingearbeitet war; ihre schmale Hand hielt ein Heft, mit dem sie während des Gesprächs wie zufällig spielte.
»Verzeih, ich ahnte nicht, daß dir meine Atelierbesuche unerwünscht sein könnten.«
»Ich habe nicht gearbeitet, heute nicht wie gestern nicht, und ich werde morgen auch nichts arbeiten. Hast du das nicht wissen wollen?«
»Nein! Gewiß nicht. Deshalb würde ich dich bei deiner Beschäftigung kaum gestört haben.«
Wieder sprach sie das Wort Beschäftigung nach einer kurzen Pause aus, durch die es einen abfälligen, einen fast bewußt verletzenden Ton erhielt.
»Aber du hast mich ja doch angetrieben, daß ich endlich wieder ein neues Werk schaffen müßte für meinen Ruhm; doch nein, nicht für den meinen, für den deinen, damit du wieder genannt wirst, damit dir die neuen Bewunderungen zufallen, wie du allein auch den Erfolg meiner ersten Arbeiten für dich genommen hast. Weil mein Ruhm jetzt matt zu werden beginnt, nun soll ich dir neue Erfolge schaffen, so als wirksame Rampenlichter, die dich bestrahlen. Deshalb hast du mich gehetzt, deshalb mußte ich ein großes Werk ankündigen; aber ich habe nichts getan, nichts.«
Seine Stimme war gereizt, wie einer spricht, der sich einem Feinde gegenüber weiß, den er sich überlegen fühlt.
Die graugrünen Augen von Frau Marga glitten ruhig an seiner Gestalt nieder, und die dünnen Lippen zeigten ein unmerkliches Lächeln; ihre Antwort blieb gleich ruhig:
»Ich erwartete auch nicht mehr. Für dich übrigens gab ich den Rat, etwas mehr zu zeigen, für dich, den man trotzdem noch den »großen Künstler« nennt. Wenn dies nicht mit einem mokanten Lächeln geschehen soll, dann mußt du schon einen neuen Beweis dafür erbringen. Was du noch gearbeitet hast, verzeih, das ist –«
»Still! Ich weiß es; das ist immer nur eine auf einen anderen Ton gestimmte Kopie von ›Blütenträume‹, ›Sternschnuppen‹ und ›Lebensfreude‹. Verwässerte Kopien!«
»Es ist nicht nur meine Ansicht, daß du zu der großen Internationalen ein neues, großes Werk herausbringen solltest, sondern Loslie ist der gleichen Meinung«
»Ah, Loslie! Ist er auch für meinen Ruhm besorgt? Oder für meine Schwäche?«
»Loslie hat Fühlung mit der Berliner Kritik. Dort fragt man immer nach einem neuen Alex Graber.«
»Sie sollen fragen.«
»Und du wirst nichts tun?«
»Nein!«
»Warum nicht?«
»Weil ich keine Lust habe, weil – weil mir die Kraft fehlt, weil mir der Ehrgeiz, die Freude, der Wille gelähmt wurden.«
»Willst du mir die Schuld hieran zusprechen?«
»Nein! Aber du hast mich immer gehetzt, gejagt. Du hast meinen Namen hinausposaunt, daß alle auf neue Wunderwerke rechnen mußten. Die lassen sich nicht erzwingen, so nicht.«
»Loslie meint –«
»Ich will nicht wissen, was Loslie meint. Ich sage ihm auch nicht, was ich von seiner Komödie denke. Loslie, die neue Größe dieses Jahres.«
»Er hat Erfolg, und seine Komödie wurde bereits von sechzig Bühnen erworben; auch Paris, Wien und selbst London bewerben sich um das Aufführungsrecht.«
»Ja, ja! Ich gönne es ihm, aber ich will Ruhe –« da hielt er inne; wiederholt schon waren seine blauen Augen auf das Heft geirrt, mit dem die Hände von Frau Marga zu spielen schienen; aber dies Spiel war ein so berechnetes, das es seine Augen immer wieder auf sich zwang. Auch jetzt starrten sie wieder darauf hin: »Was hast du da? Dieses Klopfen, dieses Spielen macht mich nervös.«
»Dies Heft? Deshalb bin ich gekommen. Hier – es ist die dir doch wohlbekannte Zeitschrift ›Kunst im Leben‹. Sie bringt einen Bericht über die Ausstellung in München. Lies!«
Sie reichte es ihm.
Alex nahm das Heft; ein flüchtiger Blick, der lauernd schien, in dem Mißtrauen war, streifte Frau Marga nochmals. Dann ließ er sich auf die Ottomane zurückfallen und begann die rotvermerkte Stelle zu lesen.
»Alex Graber bringt abermals dieses seltsam bekannte Motiv, das verdünnt und verwässert ein Abklatsch seiner ›Blütenträume‹ ist; als sehr bedauerlich muß es bezeichnet werden, daß dieser junge Künstler nach einer hervorragendem glänzenden Talentprobe, die eine eigene Meisterschaft erwarten ließ, so sehr verflachte. Von einer Weiterentwicklung kann bei ihm nicht die Rede sein, man müßte da eher von einer Rückentwicklung sprechen. Derartige Kopien mögen schließlich in die gute Stube eines privatisierenden Handwerkermeisters passen, doch niemals in eine ernst zu nehmende Ausstellung. Ob Alex Graber noch eines neuen Aufschwunges fähig ist, wissen wir nicht. Das Beweisen liegt an ihm. Wie ganz anders ist das Werk Sascha Zychlinsky, die ganz aus Unbekanntem wie ein heller Stern auftauchte. Wir nennen sie deshalb unmittelbar nach Alex Graber, weil die Technik der Durchführung in Einzelheiten Ähnlichkeit mit der Technik Grabers aufweist. Aber wie eigenwillig stolz erhebt sich ihre Arbeit gegenüber der Flachheit in Grabers Bild; der Name Zychlinsky muß gemerkt werden, denn ihre Arbeit verrät den Ernst echter Kunst und dabei die heilige Schaffensfreude eines Genies. Die Menge, die schöne Bilder will, wird vielleicht überrascht oder gar erschreckt sein an der Kühnheit ihres Werkes; aber für den Kenner, für den, der die erhabene Kunst sucht, bedeutet Sascha Zychlinsky eine Entdeckung«
Da zerdrückten die Hände Alex Grabers das Heft zu einem Ballen und schleuderten diesen weit in eine Ecke, daß durch die Wucht eine alte Bronze umgestoßen wurde, die mit glockenähnlichem Aufschlag zu Boden fiel.
»Weshalb brachtest du mir das? Um mich zu kränken? Oder warum?«
»Glaubst du, daß es ein Vergnügen ist, die Erschlaffung in deinen Arbeiten feststellen zu müssen? Nein! Nur der eine Satz trieb mich zu dir: ›Das Beweisen liegt an ihm.‹ So die Kritik! Beweise, daß alle unrecht haben. Nur ein einziges Werk. Auch Loslie –«
»Ich will nicht wissen, was Loslie auch meint.«
»Aber für die Internationale ist eine neue Arbeit von dir schon angemeldet.«
»Ja, weil du mich immer und immer gedrängt hast, das zu tun, weil du es wolltest, weil es dir genügte, wenn in den Zeitungen davon geschrieben wurde. Es mag angemeldet bleiben!«
»Und –?«
»Ich weiß nicht, was ich tun werde. Aber das vergiß nicht, daß zu einem Kunstwerke mehr gehört, als nur die Absicht, mehr als eine Hetzpeitsche.«
»Was fehlt dir denn?«
»Die Kraft! Nein, die Schaffensfreude, so hat es einmal jemand genannt. Die Schaffensfreude!«
»Und die fehlt dir?«
»Ja, ja, ich besaß sie einmal, ich Tor, ich hatte einmal die Kraft, die alles hätte erzwingen können, den Ehrgeiz und die Schaffensfreude. Doch dann verlor ich sie, warf sie fort, für einen anderen Götzen; dann verlor ich den Glauben daran.«
»Durch mich?«
»Nein! Du bist schuldlos! Durch eine goldene Krone – ja – durch die goldene Krone, so hat dies jemand genannt. Die betrog! Diese goldene Krone erlahmte und stahl mir die Schaffensfreude. Ein Irrlicht wurde sie wie die anderen Kronen –«
»Ich verstehe dich nicht, wovon du sprichst.«
»Nein, das wirst du nie verstehen, weil du nichts von Märchen weißt.«
»Du phantasierst. Willst du unter die Dichter gehen?«
»Dazu fehlt mir der Glaube; der starb, als ich nach der goldenen Krone faßte, die ich mit dem Rosenkranz im Haar gewonnen hatte.«
»Verzeihe, wenn ich auf solche verworrene Reden nicht antworten kann. Ich will dich nicht länger stören.«
Und so stolz, so leise, mit dem gleichen, überlegenen Spott auf den Lippen ging Frau Marga hinaus.
Alex blieb ein paar Augenblicke regungslos stehen; dann aber hob er beide Fäuste drohend nach der Richtung der Entschwundenen und stieß zischend die Worte zwischen den Lippen hervor:
»Du – du und dein Gold – Glanz und Flimmer habt ihr mir gegeben, aber die Kraft, die Schaffensfreude habt ihr mir genommen. Meine Kunst war für dich nur ein Schmuck, den du verlangtest, um damit bewundert zu werden, meine Kunst war dir nur eine Treppenstufe, auf der du selbst erhöht sein wolltest. Nun kann ich dich nicht höher tragen, nun versagt die Kraft. Und doch habt ihr – du und dein Gold – alle Kraft in mir erlahmt. Und ich kann – ich kann sie nicht mehr finden – ich muß hassen, was einst mein Ehrgeiz war –«
Da sank er nieder auf die Ottomane und schlug wie ein jähzorniges Kind mit beiden Fäusten auf die Kissen.
*
Das war in dem kleinen, stillen Häuschen in Spaar schon eine liebgewordene Gewohnheit geworden, daß Doktor Arnold Anwander die Sonntage dort verbrachte; er erschien bereits um neun Uhr zum Frühstück. Und immer war für ihn schon gedeckt.
Lotte Rödern tat dies gerne, denn immer waren es schöne Tage.
Sie beide waren sich ja Freunde geworden, die sich in allem verstanden. War schönes Wetter, dann wurde der Garten besichtigt, im Frühjahr blickten sie danach aus, ob die Blumen schon hervorkriechen wollten, später prüften sie den Blütenansatz der Obstbäume, das Gedeihen des Gemüses, im Sommer fand das Reifen Bewunderung, und im Herbste wurde dann die Ernte eingeholt: bei schlechtem Wetter jedoch und im Winter saßen sie in der bescheidenen, aber peinlich sauberen Wohnstube beisammen. Doktor Anwander las dann aus einem Buche vor oder berichtete über irgendeine interessante Neuerscheinung. Und diese Stunden dann, bei Büchern und Träumen erschienen Lotte Rödern noch schöner als die im Garten.
Frau Sabine aber saß dann neben den zweien im Lehnstuhle und hörte zu. Manchmal grübelte dabei Frau Sabine, deren Haar immer dünner und weißer geworden war, darüber nach, weshalb Doktor Anwander immer wieder kam und doch nicht von Liebe sprach, warum er von ihr Lotte nicht forderte, die sie ihm so gern als seine Frau anvertraut hätte. Er schien ihr alt genug und seine Stellung war eine so angesehene, daß er eine Frau wie Lotte begehren konnte. Und nach der Ansicht der Frau Sabine mußte ein Mann doch heiraten und ein Heim gründen. So gerne hätte sie den beiden ihren Segen gegeben, denn sie selbst fühlte sich immer müder, und die Lähmung der beiden Füße schien sich weiter ausdehnen zu wollen, nach dem Herzen zu; einige Male schon hatte sie gegen ein Aussetzen des Herzschlages ankämpfen müssen. Sie hatte gespürt, daß eine plötzliche Lähmung unerwartet das schwach gewordene Herz zum völligen Stillstand bringen werde; aber Lotte hatte sie von diesen immer öfter auftretenden Herzkämpfen nichts verraten. Diese sollte nicht in Angst leben.
Deshalb hätte sie so gerne ein solches Wort von Doktor Anwander gehört, daß sie noch dies schöne Fest einer Hochzeit ihres einzigen Kindes hätte erleben lassen. Aber Doktor Anwander sprach ein solches Wort nie aus, und Lotte schien froh darüber, schien kein solches zu erwarten, noch zu erhoffen. Wenn Frau Sabine dann einmal verwundert davon zu sprechen suchte, hatte Lotte stets die gleiche Antwort:
»Laß das, Muttchen! Wir sind uns Freunde, die allerbesten. Und mehr wünschen wir beide nicht. Laß alles so!«
Und kopfschüttelnd mußte sich Frau Sabine fügen, die das alles nicht verstehen konnte.
Wieder einmal war Lotte Rödern dabei, den Tisch zu decken. Sie tat dies draußen im Gartenhäuschen, denn der Morgen war so schön; sie blickte nochmals über die getane Arbeit hin und nickte dann zufrieden; da waren alle Tassen an dem gewohnten Platze, die Zuckerdose stand da, die Zuckerstange lag daneben, in der Kristalldose leuchtete der Bienenhonig wie dunkler, glänzender Topas und in dem Brotkörbchen ruhten golden und frisch die Mürbbrötchen.
Jetzt wollte sie die Mutter holen.
Als sie eben in das Haus zurückkehren wollte, bemerkte sie am Gartentor die Gestalt von Doktor Anwander, der mit seinem schwerfällig humpelnden Gang eben in den Garten trat. Lotte ging ihm grüßend entgegen. Mit einem Lachen in ihrem Gesicht reichte sie ihm die Hand, die er mit festem Griff drückte. Herzlich klang der Gruß, wie zwei Freunde sich willkommen heißen.
»Im Gartenhäuschen wartet schon der gedeckte Tisch auf Sie. Alles ist bereit. Ich werde nur Muttchen noch herausfahren.«
»Bitte, Fräulein Lotte, wollen Sie damit nicht noch warten? Ich möchte erst mit ihnen sprechen, über Ernstes, das Sie zuerst wissen sollen.«
Sofort schwand das Rot der Wangen, die mit einem Male blaß wurden; selbst ihre Stimme wurde unsicher:
»Aber gewiß! Warum sollte ich nicht?«
Ihr Herz pochte dabei so laut, daß sie es selbst durch das Mieder zu spüren vermeinte. So ernst und gemessen hatte er sein Verlangen gestellt, daß in Lotte wieder nur eine Furcht rege wurde: Sollte er jetzt noch fordern, worüber er nun so lange geschwiegen hatte? Sollte er jetzt noch begehren, was sie dann erfüllen mußte, wenn sie nicht dem letzten Versprechen, das sie dem sterbenden Vater gegeben hatte, treulos werden sollte, das auch die Sehnsucht der Mutter war? Im Spätwinter waren es ja schon drei Jahre, seit ihr Vater als ein Sterbender in das Haus gebracht worden war.
Sie führte ihn nach der Rotdornhecke, die eine kleine Laube bildete, in der eine Bank aus geflochtenem Rohr zum Plaudern einlud; dort wurden sie auch nicht gestört und gesehen.
Langsam setzte sich Lotte; ihre Gedanken hasteten. Was sollte sie antworten, wenn er jetzt verlangte, was sie schon vergessen hatte, was ihr nicht mehr wie eine drohende Furcht war?
Mit etwas leiser Stimme, stiller als er sonst sprach, begann Doktor Anwander, während er nicht aufschaute, sondern nur auf seine Hände blickte:
»Es wurde mir dieser Tage eine Professur in Halle angetragen. Es bedeutet dies für mich nicht nur eine besondere Anerkennung und Ehre, sondern auch eine sehr bedeutsame Verbesserung meines Einkommens, so daß damit ein doppelter Gewinn verbunden ist. Morgen muß ich nun meine Entscheidung melden. Und diese fällt mir so schwer, daß ich erst mit Ihnen darüber beraten wollte.«
»Sie müßten dann fort?«
»Ja, ich müßte dann fort, ich würde diese schönen Tage hier verlieren.«
Dann schwieg er; aber Lotte wußte keine Antwort. Schön waren ihr die Tage auch gewesen, und ihr war es wohl, als könnte sie den Freund nicht für immer vermissen. Sie spürte es schmerzlich, daß er Abschied für immer nehmen sollte. Aber durfte sie ihn zurückhalten? Hatte sie ein Recht dazu? Ein Verlust würde es für ihn sein, wenn er ablehnte, ein Verlust an ehrenvoller Anerkennung und an Verdienst. Könnte sie ihm dafür einen Ersatz bieten?
Als die Stille länger anhielt, fühlte Lotte, daß sie etwas antworten mußte:
»Wir werden Sie dann schmerzlich vermissen, Muttchen und ich. Sie sind uns beiden so unentbehrlich geworden.«
»Noch habe ich die Entscheidung nicht gefällt. Ich – ich möchte mir sie bei Ihnen holen.«
»Bei mir? Wie könnte ich mich vermessen, Sie von dem zurückzuhalten, was für Sie einen so hohen Gewinn bedeutet?«
»Fräulein Lotte, Sie heißen mich gehen?«
»Nein, nein, das wollte ich nicht sagen. Aber wir dürfen von Ihnen doch kein so großes Opfer nehmen«
»Es würde das kein Opfer sein. Sie allein könnten mich halten, wenn ich hoffen dürfte, was trotz des Schweigens durch fast fünf Jahre nicht still werden wollte. Damals ließen Sie erraten, daß Ihr Herz nicht frei war. Diese Jahre sind verstrichen, ich hatte das Glück, als Freund in Ihrem Hause zu leben. Doch nie sah ich den anderen, nie hörte ich von dem anderen, der glücklicher sein sollte. Und so wage ich es nochmals: Fräulein Lotte, so kann ich es nicht immer ertragen; und wenn es gar keine Hoffnung geben sollte, dann wird es besser sein, dem Ruf nach Halle zu folgen. Wenn aber – dann – dann möchte ich glücklich ein Heim für drei begründen, für Sie und mich – und Ihre Mutter, die ja dazu gehören müßte. Verzeihen Sie, daß ich mein Versprechen brach. Aber dafür werde ich gestraft, wenn Sie mich gehen heißen. Zum Abschied durfte ich das doch noch, denn alles wird dann vorbei sein. Sie schweigen, Sie sind so still, Fräulein Lotte! Ist es immer noch die gleiche Antwort die Sie mir geben müssen, und die ich nicht begreifen kann? Ich suchte den, dem Ihr Herz gehören könnte, und habe ihn nie gefunden. Lebt er noch? Fräulein Lotte – was ist Ihnen?«
So fahl sah das Gesicht mit den dunklen Träumeraugen aus, als wäre daraus der letzte Blutstropfen gewichen; ihre Hände schlangen sich ineinander, und ihre Lippen zuckten erst wie in Krämpfen, ehe sie mit ganz erstickter Stimme antworten konnte:
»So fragten Sie doch noch!«
»Und ich konnte nichts anderes erreichen, als dies tödliche Erschrecken? Ich lese es in ihren Augen! Nein! – nein, Fräulein Lotte, ich will Sie nicht quälen. Nun weiß ich die Antwort nach Halle.«
Dabei stand er auf, um dieses Gespräch zu beenden.
»Noch nicht! Ich – ich will ja – ich muß ja – ich werde ja tun, was Sie begehren –«
Mit hastender, aber ebenso gequälter Stimme hatte Lotte diese Antwort gegeben!
»Fräulein Lotte! Dieses Ja, es könnte mich zum glücklichsten Menschen machen. Aber es klingt nicht froh – ich spüre doch, wie Sie unter dem Ja leiden. Ihr Herz ist nicht dabei.«
»Aber – ich – ich wehre mich doch –– nicht.«
»Lotte – Fräulein Lotte – ich zwinge Sie nicht. Und wie in Qual erzwungen höre ich Ihr Ja! Nein – nein – ich begreife es nicht, wer Sie zwingt. Aber das soll nicht sein! Ich gehe! Nur die Hand noch!«
»Nein – nein, ich muß doch – ich muß doch!«
»Müssen? Nein! Vertrauen Sie sich mir an. Will es Ihre Mutter? Hat diese eine solche Antwort, einen solchen Zwang verlangt?«
»Nein, nein, sie nicht.«
»Wer? Lassen Sie mich ihnen helfen, damit Ihr Herz von einer Last frei wird. Erleichtern will ich Sie von einer Qual.«
»Der tote – Vati – er nahm mir im Sterben das Wort ab, daß – daß ich Sie jene Frage nicht vergebens stellen lassen dürfe.«
»Und nur deshalb zwingen Sie Ihr Herz?«
»Ich darf dem Toten mein Wort nicht brechen.«
So leise hatte Lotte Rödern die letzten Antworten gegeben, als redete sie mit sich selbst, als könnte nur sie allein die Worte hören.
Nun schüttelte Doktor Anwander den Kopf:
»Nein, Sie brechen Ihr Wort nicht! Doppelt nicht! Ein solches Versprechen, durch den Zwang der gewaltigen Majestät des Todes gegeben, verpflichtet Sie zu nichts! Sie sind damit nicht gebunden.«
»Doch!«
»Und dann, Fräulein Lotte, bitte ich um die Hand zum Abschied. Ich nehme die Professur in Halle.«
»Herr Doktor, Sie haben gefragt.«
»Nein, ich habe nichts gesagt! Nichts! Sie haben auf keine Frage zu antworten. Ihre Hand, damit wir noch wie Freunde voneinander gehen.«
»Herr Doktor –.«
»Still!«
Er stand hochaufgerichtet, und die herbe Entschlossenheit in seinem Gesichte sprach dafür, daß er sein Wort halten werde, daß er nie mehr fordern würde, was ihm nicht aus freiem Entschlusse des Herzens gehören konnte.
Er würde ihr Ja nie mehr nehmen! Das sagte sein Blick.
Da hatte Lotte Rödern nicht den Mut, seine Hand zu nehmen.
»Ich – komme mir so schlecht, so unwert vor, solche Freundeshand zu drücken.«
»Nein, das nicht! Ich spüre doch, daß Sie jemandem über den Tod hinaus treu sein werden. Ich kenne ihn nicht, aber wie glücklich muß der sein. Ihre Hand!«
Da erst reichte sie ihm diese hin.
Ein fester Druck, ein Pressen, als wollte er für lange die Wärme dieser Hand spüren.
»Nun geh' ich, von Ihrer Mutter Abschied zu nehmen.«
Und so ruhig, als wäre nichts vorgefallen, schritt er dem Hause zu, um Frau Sabine aufzusuchen.
Einen Augenblick blieb Lotte Rödern stehen.
Jetzt hatte sie den besten, den treuesten Freund verloren, den, der sie mit all seiner Güte und Herzenswärme liebte. Sollte sie ihn noch rufen?
Konnte sie das?
War er nicht süßer Liebe wert?
Doch ihr Herz schwieg.
Und als sie still so stand, als sie wie in sich hineinzulauschen schien, da war es ihr, als klinge von fern ein Märchenton auf, eine ferne Weise, die von der verwunschenen Krone sang, die von einem erzählte, der den Weg noch zurückfinden müsse – – – – –
Die Liebe über den Tod hinaus. Dies Wort hatte Doktor Anwander gesprochen, wie sie es auch von ihrer Mutter gehört hatte.
Diese Liebe trug sie in sich, ob der eine, dem sie gehörte, nun tot oder verschollen oder verloren war. Ihr Herz war nur einer Liebe fähig und konnte keine zweite finden.
Langsam folgte sie nun in das Haus, in dem Doktor Anwander seinen Abschied nahm.
*
An diesem Tage fühlte Alex Graber die Gäste wie eine Last.
Was wollten diese auch in seinem Hause? Sie kamen, sie aßen an seinem Tisch, sie tranken seinen Wein, dann redeten sie irgend etwas Gleichgültiges und wenn sie sein Haus verließen, dann tuschelten sie leise, über ihn; oder sie sagten das auch laut.
Warum kamen sie überhaupt? Aber sie waren schon so oft geladen und waren auch diesmal wieder aufgefordert worden.
Frau Marga hatte es immer so bestimmt.
Früher hatte er sich berauschen lassen, wenn er gesucht wurde, wenn er inmitten des Stimmengewirrs stand, wenn dann eine Stimme ihn traf: Meister!
Wie oft hatte er dies Wort gehört, Meister! Er hatte daran geglaubt, herablassend und abwehrend dazu gelächelt, aber dann wie gierig darauf gehört. Meister! Er hatte es hellklingend und gläubig von rosigen, jungen Mädchenlippen gehört, die von ihm ein Autogramm erbettelten, ihm klang es von schönen Frauen zu, er vernahm es von jungen Künstlern, die erst ein Ziel erstreben und dann seine Schüler werden wollten, er erlauschte es von bärtigen Männerlippen. Meister!
Ja! In der ersten Zeit hatte er gläubig auf dies Wort gehört. Er war ja noch so jung! Und schon Meister! Das war ein Rausch. Meister! Und da klang es: »Lebensfreude«, »Blütenträume«, »Sonnenleben«.
Alle kannten die Werke, die ihn zum Meister gemacht hatten. An diese Werke mußte er selbst glauben.
Aber jetzt, wenn dies Wort an sein Ohr drang, da hörte er nur mißtrauisch darauf, da klang ihm in dem Worte immer ein Unterton mit, der ihn wie ein Spott traf. Höhnten sie ihn wirklich, oder hörte nur sein Mißtrauen diesen Spott?
Jetzt haßte er dies Wort, seit die Kupferplatten und die Radiernadel in seinem Atelier verstaubten, seit die Leinwand leer in dem Blendrahmen gespannt auf der Staffelei stand.
Er haßte dies Wort und die Gäste.
Und Feste hatte er diese Abende einmal genannt.
Alex war froh, wenn er ihnen entfliehen konnte.
Nun waren sie alle nach dem großen Musikzimmer gedrängt, in dem ein bekannter Musiker auf dem Flügel spielen sollte.
Dies benützte Alex, um den Ausweg zu gewinnen. Unbemerkt sollte es geschehen.
Doch da traf ihn schon eine Stimme:
»Sie wollen sich Ihren Gästen entziehen, Meister?«
Vor ihm stand die hagere Gestalt des Doktor Wandsbeck, der als Kunstkritiker in der Stadt einen vielbekannten Namen hatte. Wie Alex von diesen schmalen, vertrockneten Lippen dies Wort traf, während die feinen, vielen Fältchen um die Augen des gelblichen, knochigen Gesichts zuckten! Und er mußte es hören, er mußte den Glauben daran vortäuschen, er durfte nicht aufschreien, denn die Worte klangen höflich, und den Spott ließ ihn vielleicht doch nur sein Mißtrauen hören.
»Nicht ganz, Herr Doktor. Nur eine Erledigung, eine Vergeßlichkeit, die ich ausgleichen will.«
»Man würde Sie wohl vermissen. Ist es denn wahr, daß wir auf der bevorstehenden ›Internationalen‹ einen neuen Alex Graber sehen werden? Ein neues Werk nach ›Lebensfreude‹? Wieder etwas Großes? Wenigstens wurde ein neues Werk angemeldet.«
»Ja, ja! Allerdings.«
»Ist es denn nicht erlaubt, das werdende Bild jetzt schon zu sehen? Sie begreifen doch das Verlangen eines Kritikers. Schließlich möchte man der Öffentlichkeit über ihr neues Schaffen Genaueres verraten.«
»Nein – noch ist es nicht so weit.«
»Schade, Meister.«
Und wieder traf ihn das Wort wie ein Schlag.
Alex Graber atmete auf, als er allein war, allein in dem halbdunklen Salon, weit fort, daß er nur ferne durch hellbeleuchtete Räume noch silhouettengleich die Gestalten der Gäste vorüberhuschen sah und ebenso ferne die Klänge des Flügels hörte.
Er haßte diese Feste.
Er kam sich nun wie der Narr darin vor, der seiner selbst spottet und es nicht weiß.
Doch nein! Nun wußte er es!
Er konnte nicht mehr arbeiten! Aber warum vergnügte er sich deshalb nicht in lärmender Fröhlichkeit? Ließ sich das alles nicht trotzdem genießen?
Was fehlte ihm? Besaß er nicht Reichtum?
Sah er nicht Luxus um sich? Konnte er sich nicht jeden Wunsch erfüllen?
Jeden! Nur den einen nicht – den der Arbeit.
Besaß er aber nicht alles andere? Wie konnte er klagen?
In sein Grübeln klang ein Geräusch kommender Schritte. Er hob lauschend den Kopf, sprang von dem Ledersessel auf und trat auf den Zehen in den entgegengesetzten Raum. Es war die Bibliothek, die an dem Abende ganz im Dunkeln lag. Er selbst konnte dort nicht gesehen werden, schaute aber in den verlassenen Salon durch die offengelassene Türe wie in eine halbdunkel beleuchtete Bühne.
Und in diesen so dämmerig erhellten Raum traten zwei Gestalten, die ebenfalls mit Absicht die Verlassenheit dieses Raumes ausgesucht haben mußten.
Die beobachtenden Augen von Alex erkannten zuerst die schlanke, hohe Gestalt von Frau Marga.
Und dicht neben ihr, ihren Arm führend und sich dabei mehr anschmiegend, als es die Förmlichkeit erforderte, als es die Höflichkeit gebot, eine gleichfalls schlanke Männergestalt mit fahlem Gesicht, dessen Blässe die schwarzen, stechenden Augen und das schwarze Haar noch auffälliger machte.
Loslie!
Alex hatte den Begleiter erkannt.
Und eine kurze Szene spielte sich ab, wie in einer Pantomime, wie bei einem Puppenspiel ohne Worte. Alex konnte nichts hören, es drang kein zwischen den beiden gesprochenes Wort zu ihm; er sah nur das Vorbeigehen der beiden in dem wie eine Bühne geöffneten Türrahmen.
So nahe aneinander waren sie gekommen, als Frau Marga stehen blieb. Ihr Blick war dabei der Richtung zugewandt, in der das Musikzimmer mit seinen Gästen war; sie sprach etwas, während Loslie dabei ihren Arm freigegeben hatte. Alex Graber sah ein Hochziehen ihrer Schultern, worauf Loslie erregt antwortete. Doch was sprach er?
Er kehrte Frau Marga das Gesicht zu, daß er mit dem Rücken gegen Alex stand, der so nicht einmal aus den Zügen erraten konnte, was er redete. Doch um so mehr beleuchtete das zwar gedämpfte Licht das Gesicht von Frau Marga; in ihrem hageren Antlitz war ein Aufleuchten wie eine Befriedigung, wie eine Genugtuung über etwas Erreichtes. Ihr Lächeln war nicht jenes leicht spöttische, das Alex so oft sehen mußte, sondern ein stolz überlegenes; und in ihren graugrünen Augen leuchtete es wie in Leidenschaft. Ihre schmalen Lippen bewegten sich; ein paar Worte nur konnten es sein, wie eine Antwort. Und da beugte sich Loslie in ungestümer Hast nach den Händen von Frau Marga und bedeckte sie mit stürmischen Küssen. Und wie er so niedergebeugt vor ihr stand, verstärkte sich das sieghafte Lächeln in dem schmalen Gesicht von Frau Marga noch mehr.
Sie war wie eine Schenkende, und Loslie bekundete seinen Dank. So war die Szene.
In diesem Augenblick war es Alex, als müßte er aus seinem Zimmer hervorstürmen, um Rechenschaft zu fordern; seine Hände hatten sich schon geballt. Aber sie lösten sich wieder, und der Fuß, der schon einen Schritt getan hatte, zog sich zurück.
Wozu? klang es in ihm auch diesmal wieder.
Auch diese Szene erweckte in ihm zuletzt diese Frage: Wozu?
Wurde er betrogen? Konnte er überhaupt betrogen werden? Liebte er Frau Marga noch? Hatte er sie damals geliebt, als er um sie geworben hatte? Nur ihren Reichtum, die goldene Krone war es, die er gewollt hatte.
Aber nicht Liebe!
Und da er nicht geliebt hatte, so konnte ihm auch die Liebe nicht genommen werden.
Oder hatte Frau Marga ihn geliebt?
Die Frage regte sich in ihm, aber ehe er sich selbst darauf noch eine Antwort geben konnte, fand die Szene im Türrahmen ein Ende: mit beiden Händen zog Frau Marga die gebückte Gestalt empor und führte sie nach rechts, daß beide seinen Blicken entschwanden.
Was aber geschah nun?
Alex Graber folgte ihnen nicht. Wieder antworteten seine Gedanken: Wozu?
Hatte ihn Frau Marga damals geliebt? Nein! Nur ihr Ehrgeiz, ihre Leidenschaft hatten ihn begehrt; mit seinem Ruhm hatte sie selbst sich schmücken wollen, wie sie es auch getan hatte. Und nun war der Ruhm verblaßt wie matte, falsche Steine.
Und da war es Loslie, der junge, erfolgreiche Dramatiker; ein neuer Schmuck, dessen Glanz sie für sich entlehnen konnte.
Alex spürte keine Eifersucht, keine Regung, den beiden nachzufolgen.
Im Salon war niemand mehr.
Aber als er in den Saal kam, da sah er neben Frau Marga deren Bruder Winfried Elmshorn; beide standen in einer Fensternische. Winfried Elmshorn sprach so lebhaft, daß sein sonst so blasses Gesicht in fieberhafter Röte erglühte. Selbst mit den Händen unterstützte er seine Worte. Dabei sprach er flüsternd, und seine Blicke huschten wie scheu zu den Gästen hin, die um sie in Gruppen standen und plauderten.
Alex sah, wie Frau Marga abwehrend den Kopf schüttelte, wie sie mit dem Fuße erregt aufstampfte, und wie ihre dünnen Lippen sich aufeinander preßten. Nochmals verneinte sie, was Winfried Elmshorn von ihr zu fordern schien.
So heftig war ihr Widerspruch, daß ihre Hände den Fächer, den sie vorher wie spielend in der Hand gehalten hatte, zerbrach.
Was mochte es sein, was Winfried Elmshorn so erregte, was er forderte, und was von Frau Marga mit solchem Trotz und Eigenwillen verweigert wurde?
Alex zog seine Schultern hoch.
Er fühlte sich teilnahmlos und trat gleichgültig unter die Gäste.
*
Am nächsten Morgen ließ sich Alex das Frühstück in sein Zimmer bringen. Er wollte allein sein; auch zweifelte er nicht, daß Frau Marga noch schlief.
Als das Mädchen den Tisch deckte, stellte er sich an das Fenster und schaute auf den parkähnlichen Garten hinaus. Er wollte auch nicht nach Frau Marga fragen und kein Dienstbotengespräch hören.
So vernahm er nichts als ein Klirren von Porzellan, ein Klingen von Glas, ein Klappern des Bestecks.
Das Mädchen aber schaute wiederholt auf ihn, als wollte es etwas erklären, als wollte es etwas mitteilen; aber die Haltung war so schroff abweisend, daß es auf den Zehen wieder aus dem Zimmer schlich.
Erst als Alex das Zudrücken der Türe hörte, trat er vom Fenster an den Frühstückstisch.
Flüchtig schaute er auf die Uhr. Zehn! Das war immer noch früh genug, denn um drei Uhr hatten die letzten Gäste die Villa verlassen. Vor zwölf würde Frau Marga kaum frühstücken.
Die Lippen von Alex waren ärgerlich zusammengekniffen.
Aber trotzdem er allein bleiben wollte, wurde er sehr rasch aufgestört.
Hastig wurde mit einem Male die Tür aufgerissen, und es stürmte Winfried Elmshorn mit den Gebärden höchster Erregung herein, wobei er die Tür zu schließen vergaß. Unruhig und verstört irrten die graubraunen Augen umher; das sonst sorgsam gescheitelte Haar war ungepflegt und hing in die Stirne.
Ohne sich erst anmelden zu lassen, war er in Grabers Zimmer geeilt. Atemlos blieb er dicht vor dem Tische stehen.
Alex stand nicht auf und wies gleichgültig auf einen Stuhl, wobei er lächelnd bemerkte:
»Wolltest du noch an meinem Frühstück teilnehmen? Bitte, bediene dich!«
»Alex, wo ist Marga?«
»Marga? Sie wird noch schlafen!«
»Nein! Sie ist nicht in ihrem Zimmer. Sogar ihr Bett ist unberührt. Ich habe das nicht glauben wollen, aber das Mädchen ließ mich selbst in Margas Zimmer. Sie hat diese Nacht gar nicht im Hause geschlafen.«
So hastig hatte Winfried Elmshorn gesprochen, daß die Worte sich fast überstürzten.
Klirrend stellte Alex Graber die Tasse zurück.
In seinen blauen Augen flackerte es; er mußte an die Szene denken, die er in dieser Nacht unter einem beleuchteten Türrahmen beobachtet hatte.
Aber er machte sonst keine Bewegung und erklärte mit beherrschter Ruhe:
»Ich weiß nichts. Sie wird dem Mädchen wohl etwas erklärt haben.«
»Nein! Niemand konnte mir irgendwelche Auskunft geben. Sie ist nirgends. Hat sie dir nichts gesagt?«
»Mir?« Da brach Alex Graber in ein schrilles, mißtönendes Lachen aus: »Mir? Nein! Wenn Marga nicht mehr im Hause ist, dann bin ich sicherlich die letzte Person, der sie über ihre Absichten etwas verriet. Nein! Du bist zu dem ungeeignetsten Menschen für solche Überraschungen gekommen. Also fort?«
»Ja! Es ist auch keine Nachricht von ihr da. Sie hat nichts hinterlassen. Nur der Gärtner meinte, es habe gegen sechs Uhr jemand die Villa verlassen. Er konnte mir aber nicht sagen, wer dies war.«
»Marga wohl.«
Die Stimme von Alex hatte einen heiseren Ton bekommen.
Winfried Elmshorn aber achtete nicht darauf; seine Erregung war zu groß:
»Hat sie dir nicht erzählt, was vorgefallen ist? Ich brachte ihr in der Nacht noch eine Mitteilung.«
»Nein, ich weiß nichts.«
»Sie selbst wollte es dir sagen.«
»Sie hat es nicht getan. Was ist es?«
»Ich bin in der Nacht noch hergeeilt; ich sagte es ihr und wollte auch dich gleich noch aufsuchen, um dich zu verständigen. Aber sie wollte es nicht, sie verwehrte es mir, um unter die Gäste keine Unruhe zu bringen. Sie muß es dir doch mitgeteilt haben.«
»Nein! Aber so sag' doch endlich, was es ist.«
»Unser Vater – gestern – gestern abend hat er sich erschossen.«
Da sprang auch Alex so heftig von seinem Stuhle auf, daß dieser umkippte und krachend zu Boden stürzte.
»Erschossen – und gestern abend? Ja, warum denn?«
»Das ist ja das Furchtbare! Falsche Spekulationen, Verluste, dann noch ein Arbeiten mit fremden Geldern. Ein völliger Zusammenbruch. Es wird wohl gar nichts zu retten sein, sonst hätte unser Vater das nicht getan. Aber dir – dir muß sie es doch mitgeteilt haben!«
»Mir? Ich sagte dir schon, daß ich der letzte bin, dem sie etwas anvertraut.« Und wieder auf das eben Gehörte übergleitend, fragte er: »Tot also?«
»Ja!«
»Ist es denn so sicher, daß – daß die Verluste so bedeutend sind?«
»Ja! Alles verloren! Dabei sollen noch gegen eine Million Mark Schulden vorhanden sein. Du weißt ja, daß er uns beiden, Marga und mir kein eigenes Vermögen, sondern nur die allerdings ganz bedeutenden Zinsen eines Vermögens gab. Er wollte sein Verfügungsrecht behalten.«
»Ja, ja, ich weiß.«
»Nun ist alles – alles verloren. Aber Marga – Marga, wo mag sie sein? Sie hat doch in der Nacht noch erfahren, was geschehen ist. Was mag sie bestimmt haben, da sie nun verschwunden ist und auch dir nichts sagte? Sie wird – sie wird doch nicht getan haben, was – was der Vater tat?«
Winfried geriet in immer größerer Unruhe.
Aber die Gestalt von Alex straffte sich mit einem Male, als wäre er zu einem plötzlichen Entschlusse gekommen; dann ging er nach dem neben anliegenden Herrenzimmer und gab Winfried Elmshorn durch einen Wink zu verstehen, ihm zu folgen.
Mit raschen Schritten trat er dann an den Schreibtisch und griff zuerst nach dem Telephonbuch, das neben dem Tischhörer bereit lag. Hastig blätterte er und suchte nach einer Nummer.
»Was willst du?« fragte Winfried Elmshorn.
»Geduld!«
Und da faßte Alex den Hörer:
»Nummer 97 602.«
Bald war die Verbindung hergestellt; mit dem Ausdruck erregter Spannung lauschte er. Da kam auch schon von ferne die Antwort:
»Hier Loslie – Arthur Loslie.«
»Ist Herr Loslie selbst am Telephon?«
»Nein! Sein Diener.«
»Ich will Herrn Loslie selbst.«
»Das ist nicht möglich. Herr Loslie ist diesen Morgen abgereist. Nach Paris. Es ist auch ganz unbestimmt, wann er zurückkommt.«
»Ist Herr Loslie allein gereist?«
»Darüber kann ich nichts sagen.« Diese Antwort klang in einem Tone, daß Alex Graber das lächelnde Hochziehen der Schultern zu sehen vermeinte.
Da stieß er das Hörrohr wieder in den Ständer zurück und sagte zu dem überrascht dastehenden Winfried:
»Suche Arthur Loslie in Paris auf und frage ihn. Schau' nach der Schmuckschatulle Margas, was sie zurückließ, und erkundige dich bei ihrem Bankier, wieviel sie diesen Morgen erhoben und wieviel sie noch auf ihrem Konto stehengelassen hat. Es wird nicht viel sein!«
*
Der Kommissionsrat Alwin Steinbeck, ein kleiner Mann mit weißem, kurzgeschorenem Haar und ebenso kleinem, weißem Vollbart, mit goldener Brille und zwinkernden Augen blätterte in der ausgelegten Mappe. Langsam und bedachtsam tat er dies, wobei sich seine Schultern immer wieder in die Höhe zogen.
Ihm gegenüber, in einem Lehnstuhle saß Alex Graber; er war etwas nachlässig gekleidet, zwar elegant und nach der Mode, aber dabei doch in einer Weise, die erkennen ließ, wie gleichgültig er sich solchen Äußerlichkeiten gegenüber fühlte. In den tiefblauen Augen von Alex war ein unstetes, unruhiges Flackern, das wie gespenstig war, wie einen Ausbruch von langverhaltner Leidenschaft androhend. Wieder hing die eine blonde Haarlocke in die Stirne. Die Hände lagen rechts und links auf den Stuhllehnen und spielten in nervöser Hast mit der Trottel an der Lehne.
Seine Lippen waren zusammengekniffen.
Der Kommissionsrat nahm immer noch prüfend Blatt um Blatt.
Wie lauernd folgten ihm die Augen Alex Grabers, dessen Oberkörper sich dabei weit vorbeugte.
Noch war kein Wort der Entscheidung gefallen.
Alex Graber aber wußte, wieviel ihm gerade dieses Urteil bedeuten mußte.
Er hatte die Wahrheit sofort erraten, als er sie Winfried Elmshorn erklärt hatte. Frau Marga war an dem Vormittage, der jener Nacht gefolgt war, in der sie den Selbstmord ihres Vaters, dessen völligen finanziellen Ruin und seine Verfehlungen noch erfahren hatte, mit Arthur Loslie nach Paris gereist. Sie hatte dabei aber nicht nur allen Schmuck mitgenommen, sondern auch noch alles Geld erhoben, das ihr gehörte, das der Bankier in Verwaltung hatte.
So stand Alex seit jenem Vormittage selbst einer Katastrophe gegenüber; er verfügte über keine eigenen Gelder, die immer nur Frau Marga verwaltet hatte, durch die er jeden Monat eine bestimmte Summe angewiesen erhielt. Was der Haushalt, die Feste kosteten, das ging stets durch Frau Margas Hand.
So war es gekommen, daß er nun nichts besaß; bei den Nachforschungen ergab sich sogar, daß unbezahlte Rechnungen und ein paar Wechsel im Betrage von 18 000 Mark angemeldet worden waren.
Noch am gleichen Tage war die Nachricht von dem Tode des Großindustriellen Elmshorn und dessen völligem Ruin wie ein Lauffeuer durch die Stadt gelaufen. Die Sensation, der Skandal war überall aufgegriffen worden. Und schon mit dem nächsten Morgen kam eine Pfändung der Villa und der gesamten Einrichtung.
Immer weiteren Umfang nahmen die Summen an, die jetzt gefordert wurden. Frau Marga hatte in sofortigem Entschluß ihren Bruder zum Schweigen gezwungen, um ihr eigenes Geld noch zu retten, um damit fliehen zu können; und Arthur Loslie war dabei ihr Begleiter gewesen. Alex mußte sich damit abfinden, daß sie nicht mehr zurückkehren würde; aber er mußte auch bald erkennen, daß an der Villa und an dem darin angesammelten Luxus nichts mehr sein Eigentum bleiben würde, da sich Gläubiger in immer größerer Zahl meldeten.
Mit aufeinander gebissenen Zähnen hatte er alles ertragen. Mit einem Schulterzucken hatte er die Nachrichten angehört.
Alles verloren!
Frau Marga! Aber ihr Betrug, ihre Untreue schmerzte ihn nicht. Er sah in seinen Erinnerungen und Gedanken wohl immer die hagere und stolze Gestalt, die graugrünen, bannenden Augen und den herben Mund, der ihm in der letzten Zeit nur immer das seltsame Lächeln gezeigt hatte, die doch in Wirklichkeit ihn selbst an sich gezwungen hatte, um sich wie ein Schmarotzer von seinem Ruhm zu schmücken. Und so hatte sie nun die Jugendkraft, den neuen Ruhm Loslies an sich gerissen. Stolz war er einmal – auf Frau Marga – nein! auf die Rosenkrone, die er getragen, die ihm die goldene, die ihm Reichtum war. Aber geliebt? Liebe?
Nein! Geliebt hatte er nicht! Liebe – das – das war etwas anderes – es wollte der Name Sascha Zychlinsky in ihm aufsteigen, aber er tauchte sofort wieder unter, und er glaubte zwei dunkle, braune Träumeraugen zu sehen –
Da schüttelte Alex den Kopf.
Er durfte kein neues Märchen mehr aufkommen lassen, an kein altes mehr denken, denn auch die Rosenkrone hatte ihn betrogen.
Frau Margas Untreue schmerzte ihn nicht; auch damit hatte er sich abgefunden, daß die goldene Krone verloren war, daß der Reichtum der Elmshorn zerronnen war.
Mochte alles verloren sein.
Eins blieb – eines – der alte Ruhm der »Lebensfreude«, der seines »Sonnenlebens«!
Dieser Ruhm war echt, der wurzelte in seiner Kraft. Und dies Bewußtsein wußte von ihm die Trägheit und Unlust zu nehmen, die nur durch den Reichtum so lähmend über ihn gekommen war.
Sein alter Ruhm – er mußte ihm im Zwange neuen Lebenskampfes neue Kraft geben.
Noch war es ja kein neues Werk, das er vorlegte, nur solche, aus jener alten Zeit, aber schon das Bewußtsein dieser Kraft, dieses Erfolges gab ihm Mut.
Mochte ihm alles genommen sein – dieser Ruhm, dies Bewußtsein selbsterrungener Größe hatte ihm nicht geraubt werden können. Dieser Ruhm mußte ihm auch noch so viel Geld schaffen, daß er wieder den Weg zurück zur Arbeit finden würde – zur Schaffensfreude.
Dies Wort hatte wieder den lockenden Ruf.
Da legte der Kommissionsrat Alwin Steinbeck das letzte Blatt in die Mappe zurück, die er langsam und nachdenklich zuschloß.
Alex hob den Kopf!
»Was wollen sie tun? Kaufen?«
Steinbeck zog die Schultern hoch:
»Ich bin bereits zu stark engagiert, leider. Ich kann es nicht übernehmen. Und dann – im Vertrauen gesagt, die Blätter sind in den Sujets ja nur leicht variierende Wiederholungen des ›Sonnenlebens‹. Ich kann es nicht riskieren.«
»Aber gerade ›Sonnenleben‹ war ein Schlager: Ich glaube, daß gerade damit der Erfolg gemacht wurde.«
»Gewiß! Es wurde aber auch eine ganz außergewöhnliche Reklame dafür entfaltet; ich möchte fast sagen, ein sensationeller Trick. Verzeihen Sie, Herr Graber, wenn ich das sage, aber Sie wissen das ja selbst.«
»Aber Sie wagten doch den Einsatz dafür! Sie besannen sich damals nicht und haben es wohl auch nicht bereut.«
Da spielte um das gelblichbraune, hagere Gesicht mit dem weißen, kleinen Vollbart ein Lächeln; der Kommissionsrat rückte mit der rechten Hand an seiner goldenen Brille:
»Verzeihung, ich habe nichts gewagt, ich nicht.«
»Sie nicht? Aber – aber Sie wiesen mir doch das Geld nach Paris an. Sie kauften die Mappe, Sie verlegten diese.«
»Herr Graber, Sie sollten dies doch wissen.«
»Ich – ich? Was soll ich wissen? Sie müssen hier deutlicher werden. Ich verstehe Sie nicht«
»Es war Fräulein Elmshorns Geld. Sie setzte das ein, nachdem Sie sich mit mir beraten hatte. Ihre spätere Frau gab alles und übernahm die Kosten der Auflage. Ich dachte, daß Sie das wissen würden, wenigstens später. Sie führte doch auch nach meinem Rat die so wirksame Reklame durch, die für Ihren Ruhm die gesamte Presse gewann.«
Alex Graber war aufgestanden; seine Hände umspannten wie Krallen die Stuhllehne; er zitterte in den Knien. Aber noch konnte er in scheinbarer Ruhe weiterfragen:
»Welche Reklame?«
Wiederum lächelte der alte Kommissionsrat:
»Aber Herr Graber. Sie werden doch nicht behaupten, daß Sie das nicht wissen?«
»Was? Was? Ich will es hören, von Ihnen hören!«
»Nun das mit –«
»Der Galerieankauf? War das – war das auch ein solches – ein solches Spiel – ein –«
Er konnte nicht weitersprechen, seine Stimme erstickte.
Alwin Steinbeck machte eine bedauernde Geste mit den Händen:
»Es tut mir leid, wenn ich Ihnen eine Enttäuschung zufügen muß.«
»Was war es? Das will ich wissen. Ich will nun alles hören, alles – verstehen Sie –«
Und mit geballten Fäusten stand Alex vor dem Kommissionsrat, der entsetzt zurückwich:
»Ja – ja – ich kann es Ihnen ja sagen. Fräulein Elmshorn hat der *** Galerie den genauen Geldbetrag als Schenkung vermacht, unter der Bedingung, Ihr Werk dafür anzukaufen. Dieser Ankauf natürlich war die beste Reklame.«
Da taumelte Alex Graber wie durch einen Schlag getroffen nach rückwärts; die Füße trugen ihn nicht mehr. Die Hände griffen ins Leere und suchten nach einem Halt; dann stieß er an einen Stuhl, in dem er zusammenbrach.
Kraftlos fiel sein Kopf auf die Brust – seine Arme hingen schlaff hernieder – seine Lippen bewegten sich – aber kein Laut, kein Wort kam über sie.
Wie ein vom Schlag Getroffener saß er da.
Dies machte den Kommissionsrat ängstlich, der an eine solche Wirkung nicht gedacht hatte; er rieb sich unruhig die knochigen Hände und sagte dabei verlegen:
»Wenn ich das gewußt, ja nur geahnt hätte –«
Da reckte sich Alex Graber; mit übermenschlicher Kraft richtete er sich auf, alle Schwäche mit eisernem Willen niederdrückend, und sagte, während nur das Flackern in seinen Augen immer ruheloser wurde:
»Ich verstehe Sie, Herr Kommissionsrat, ich verstehe Sie. Die Reklame von damals wirkt nicht mehr. Da können Sie selbst nichts riskieren, denn der Name Alex Graber hat keinen vertrauenerweckenden Klang mehr.«
Alwin Steinbeck antwortete nichts; nur eine leichte Bewegung seiner Hände deutete sein Bedauern an.
Und aufgerichtet, dem Zurückbleibenden noch trotzigen Stolz verratend, ging Alex Graber.
Aber durch die Straßen ging er dann wie im Fieber; seine Stirne glühte wie Feuer, die Schläfen hämmerten, sein Herz pochte in rasenden Schlägen –
Betrogen war er – betrogen um alles –
Auch der Ruhm, das Letzte, das Kümmerlichste, das Einzige, an das er sich wie ein Schiffbrüchiger hatte anklammern wollen, war Lüge gewesen, eine Komödie, etwas Erkauftes.
So blieb ihm denn nichts – nichts Alles verloren!
Rosenkrone – Rosenkrone.
Mit ihr hatte er zu gewinnen geglaubt – mit ihr hatte er sich als Sieger gesehen.
Wo waren die Rosen? Abgefallem entblättert – und nichts blieb ihm von der Krone als die Dornen.
Wie die Schläfen hämmerten, wie das stach und schmerzte!
Hastend – jagend wurde sein Schritt; er stürmte wie gehetzt an Bekannten vorbei, die er nicht sah und die ihm kopfschüttelnd nachschauten.
Alex Graber sah nichts mehr.
Betrogen war er – um das Letzte betrogen.
Sein Werk – nichts als Lüge – Betrug –
Er – der große Meister! Meister!
Und er brach in ein gellendes Lachen aus.
Lüge – und die Dornen nur drückten.
So kam er halb im Fieber in sein Atelier zurück.
*
Ein Schreien und ein Lärmen rief die Diener und die Mädchen nach dem Atelier.
Dort saß inmitten von Trümmern zerschlagener Blendrahmen, von zerschnittenen Bildern, zerrissenen Blättern und zertrümmerten Kupferplatten Alex Graber auf dem Boden wie ein Kind unter seinem zerbrochenem Spielzeug.
Bald lachte er, daß vor dem schrillen Ton die Dienerschaft zurückwich; dann schrie er heulend auf und riß sich mit den Händen an den Haaren, und schrie immer wieder, daß an dem Weh ein Herzschlag stocken konnte:
»Die Dornen – nehmt mir die Dornenkrone ab – die Dornen – reißt sie mir aus dem Fleisch –die Rosen – sind fort – die Dornen –«