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Die redende Sau

Da du, mein Leser, die Geschichte kennst, welche sich vor etwa dreitausend Jahren im Lahde Moab mit der redenden Eselin zugetragen, so musst du auch die Geschichte von der redenden Sau erfahren.

Diese, nämlich die Geschichte, ereignete sich im großen Kriegsjahre 1870 in einem geheimen Winkel Livlands, allwo das Licht der Bildung und Aufklärung die Köpfe der Bauern noch nicht erleuchtet hatte und uralter Aberglaube, trotz des vielhundertjährigen Christentums, noch in voller Blüte stand.

Der reiche Koklap-Wirt machte unter diesen Bauern keine Ausnahme. Er wusste ebenso wenig etwas von dem Ruhm der Deutschen als den Niederlagen der Franzosen, und während Prinz Friedrich Karl, Bazaine und Millionen anderer an Schlachten dachten und um Metz herum Menschenblut vergossen, dachte Koklap ans Schlachten und wollte seine Sau abstechen. Die Metz-Tage sind nun allerdings für einen livländischen Bauern höchst ungeeignet zum Metzgern, denn die Hitze ist dann noch groß, die Schweine sind noch nicht fett und alle Hände hat er voll anderer Arbeiten. Darum schlachtet auch niemand um diese Zeit, und Koklap hätte es auch nicht getan, falls er nicht zwingende Gründe dazu gehabt hätte. Trotz der wirksamsten Zauberformeln und sonstigem Hokuspokus erwies es sich nämlich als notwendig, dass seine Tochter Eda Hochzeit hielt mit dem Nachbarssohn Spriz Mizit. Die Eltern der beiden hatten es ja freilich längst schon unter sich ausgemacht, dass sie ein Paar werden sollten, aber nun kam das Zusammentun desselben dennoch etwas plötzlich. Koklap hatte daher auch während all des Wirrwarrs erst vor einigen Tagen daran gedacht, seine größte Sau in den Stall zu sperren, um sie ein wenig aufzumästen. Und jetzt stand er am Schleifstein, den ein kleiner Junge aus Leibeskräften drehte, und schliff das Messer, unter dem die Sau am nächsten Morgen verbluten sollte.

»Dreh!«, schrie der Wirt, denn er war wütend. Der Roggen wurde gesät, der Flachs geweicht, die Gerste geschnitten, und nirgends konnte er dabei sein! Das wird ein schönes Jahr werden! Der Nachbar Bamban wird dem Roggen mit seinem bösen Blick schaden, der Flachs wird in der Weiche fuchsrot werden und die Gerste na, die wird von den Ratten gefressen werden, denn die Kerls, die Knechte, verrichten alles ganz einfach, ohne den notwendigen geheimen Segen. Natürlich, was geht sie fremdes Gut än, sie erleiden ja nicht den Schaden, wenn's verdirbt!

»Dreh!« sehne Koklap nochmals, krebsrot im Gesicht und tat, als ob er den Jungen stechen wollte.

»Wirt!« kreischte der Junge auf und wäre sicherlich davongelaufen, wenn seiner Mutter für die Beihilfe, die er beim Schlachten leisten sollte, nicht ein Viertel der Gedärme nebst Lunge und Leber versprochen worden wären.

So drehte er denn, dass das Wasser aus dem Tröglein unter dem Schleifstein in die Höhe spritzte, und der Wirt drückte das Messer fest gegen den Stein, und beide bemerkten es nicht, dass ein städtisch gekleideter Mann mit einer Reisetasche unterm Arm und einem zusammengerollten Plaid über der Schuber das Gehöft betrat und sich ihnen näherte.

Erst als der Fremde grüßte, blickte Koklap,auf, erwiderte jedoch die Höflichkeit nicht.

»Nu?«, sagte er, mit dem dicken Daumen der Rechten die Schärfe des Messers eine Weile sorgfältig prüfend. »Viehhändler?«

»Nein.«

»So … Hab auch kein Vieh zu verkaufen. Sie gehen also hier nur so durch. Oder wollen Sie etwas von mir?«

»Allerdings … ja … etwas …, ich … ich … ich möchte Sie um Nachtquartier bitten, Wirt. Ich bin von ungefähr von der Landstraße abgewichen, habe mich verirrt und nun bricht der Abend herein und wird wahrscheinlich außer der Dunkelheit auch noch Regen bringen«, sagte der Fremde in nicht sehr fließendem Lettisch, die Unhöflichkeit des Bauern nicht beachtend.

Dieser sah den Fremden von oben bis unten an, strich dann noch ein paarmal mit dem Daumen über das Messer und wies dann mit diesem Mordinstrument nach der Tür des Wohnhauses.

Der Blick des Fremden folgte der Bewegung.

»Was sehen Sie da? … Über der Tür, mein' ich!« fragte der Wirt.

»Nichts.«

»Ich auch nicht. Mein Haus ist kein Krug. Wandergesellen werden hier nicht beherbergt.«

»Aber mein lieber Wirt … der Abend … der Regen … ich bitte Sie, seien Sie doch so freundlich … Die Gegend hier herum ist mir völlig unbekannt … ich will ja auch nichts umsonst«, stammelte der Fremde verwirrt und bittenden Tones.

»Ah – nichts umsonst? … Können Sie Schweine schlachten?«

»Nein.«

»Flachs weichen?«

»Was ist das?«

»Roggen säen?«

»Nein.«

»Gerste mähen?«

»Auch nicht. Aber ich kann –«

»Stehlen, was dir unter die Hände kommt!«, brüllte der Wirt, diesmal pflaumenblau werdend. »Ja, das weiß ich! Das weiß ich! Wo ist mein kupfernes Stofmaß geblieben? Solch ein Wanderkerl, wie du, hat es mir fortgeschleppt! Und nun hoffst auch du, bei mir etwas zu holen! Wo hast du denn,schon erfahren, dass ich meine Tochter verheirate und Vorbereitungen für die Hochzeit treffe?«

»Aber mein Lieber, davon weiß ich ja gar nichts …«

»So! Und kommst dennoch, um hier auszuspähen, wo ich das Fleisch hintun und die Pferde der Gäste abstellen werde! Feine Nasen habt ihr, das ist wahr! Aber ich bjn auch nicht einer von gestern. Fort, hinaus aus dem Gesinde, fort aus meiner Grenze, bevor es Nacht wird!«

Die blassen Wangen des Fremden überflog ein kaum merkliches Rot. Angesichts der im Westen immer höher aussteigenden Wetterwolken beherrschte ersieh jedoch und sagte:

»Du irrst, Bauer, wenn du glaubst einen Landstreicher vor dir zu sehen. Ich habe es nicht nötig zu stehlen. Sieh her!« Damit näherte er sich dem Knaben am Schleifstein, griff an dessen.Nase – und ein Silberrubel fiel aufleuchtend zur Erde. Noch ein Griff und noch einer und aber- und abermals fielen ähnliche Geldmünzen dem Jungen vor die Füße.

Der Fremde hob das Geld auf, ließ es in der Hand klingen und sah den Wirt lächelnd an.

Wie zur Salzsäule verwandelt stand dieser eine Weile da.

»Ah – also einer von jenem Schlage bist du!«, donnerte er dann zurückweichend und schlug ein Kreuz in der Luft gegen den Fremden. »Ein Seelenkäufer bist du! … Aber denke nur nicht, Herrchen, dass ich vor dir Angst habe. Nichts kannst du mir antun, wenn ich mich mit dir nicht einlasse, – darum fort, Teufelsknecht, fort aus dem Gesinde!«

Der Fremde, welcher eine ganz andere Wirkung von seiner Zauberei erwartet haben mochte, stand noch einen Augenblick unschlüssig da und wandte sich dann zum Gehen, denn Koklap schickte sich an, handgreiflich zu werden.

»So lass mir wenigstens den Weg zum Nachbargesinde weisen«, sagte er.

Aber auch dieser geringe Dienst wurde ihm verweigert, und so schritt er denn auf gut Glück zum Hof hinaus, den Weg nach der entgegengesetzten Richtung einschlagend, aus der er gekommen.

Dieser Weg führte einen Berg hinunter, an dessen Fuße eine große Heuscheune stand. Die Tür war aus den Angeln gehoben, und man sah, dass bereits einiges Heu eingeführt war. Das übrige stand noch auf der Wiese in Haufen. Die Dringlichkeit der Hochzeit mochte auch diese Arbeit unterbrochen und verschoben haben.

Der Fremde warf besorgte Blicke gen Himmel, der mit jeder Minute ein drohenderes Aussehen gewann und schritt auf die Scheune zu. Ein besseres Nachtquartier als irgendeinen Heuboden hätte er ja auch in dem Gesinde nicht erhalten. Er wälzte den herausgenommenen Schwelleriblock in die Türöffnung, setzte sich auf denselben, schloss seine Tasche auf und entnahm ihr ein Ei. Nachdem er die Schale desselben an beiden Enden geöffnet und daran prüfend gerochen hatte, saugte er es aus und warf die Schale beiseite. Dann aß er ein Stück Schwarzbrot, das er glücklicherweise in einer Rocktasche gefunden, und trank aus einer kleinen Feldflasche einen Schluck Branntwein. Endlich, nachdem er ein paar Zigaretten geraucht, wickelte er sich in seinen Plaid und legte sich im Hintergrunde der Scheune schlafen.

Der Koklap jedoch begab sich nicht eher zur Ruhe, bevor er nicht ein neues Pentagramma über die Tür zum Vieh- und Pferdestall mit einer Kohle gezeichnet und sonstige höchst wirksame Schutzmaßregeln gegen das Behexen ergriffen hatte.

Der nächste Morgen dämmerte kaum, als der Bauer bereits wieder auf den Beinen war. Gefolgt von dem Jungen und einem Knecht, begab er sich, ein Beil in der Rechten, das Messer hinterm Schürzenbande, nach dem Schweihekoben, wo die Sau grässlich tobte, denn sie war aus wohlbegreiflichen Gründen gestern Abend nicht gefüttert worden. Verstimmt durch die schlecht verbrachte Nacht – ein heftiges Gewitter und Träume von riesigen Nasen, aus denen Silberrubel gequollen waren, hatten ihn nicht ruhig schlafen lassen –, ärgerlich über das Mark und Bein durchdringende Gequiek der Sau, stieß der Wirt die Tür heftig auf und hob das Beil, um das hervorstürzende Tier mit einem betäubenden Schlage zu Boden zu strecken.

Die Tür prallte jedoch von der Wand zurück und traf dabei den Bauer so stark in die Seite, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte und der Schlag auf den Kopf der tatsächlich hervorstürzenden Sau fehlging. Der Knecht und der Junge griffen zu, der Knecht erwischte ein Ohr, der Junge einen viel weniger edlen Körperteil des Schlachtopfers – aber mit einem wütenden Uch-uch befreite sich dieses von seinen Mördern und sprang davon.

Nun begann eine fürchterliche Jagd. Das hungrige, erschreckte, bloß kurze Zeit der Freiheit beraubte Tier raste wie besessen im Viehhof umher, durchbrach dessen Pforte und versteckte sich in Koklaps herrlichem mannshohen Hanf. Nachdem derselbe kreuz und quer niedergetreten war, lief die Sau über den Kohlgarten in das Weizenfeld und nahm endlich, nach halbstündigem Aufenthalt in diesem, ihren Weg den Berg hinunter zur Wiese. Schweißtriefend, fast schwarz vor Wut; von Zeit zu Zeit die entsetzlichsten Flüche ausstoßend und die Luft mit dem Schlachtmesser zerschneidend, keuchte der Wirt hinter ihr her und hinter ihm wiederum ein halbes Dutzend seiner Leute, die auf den Lärm herbeigelaufen waren und redlich das Weizenfeld hatten niederwqlzen helfen.

Die Sau ließ sich auch auf der Wiese von rechts nach links und von links nach rechts hetzen und lief dann auf die Scheune zu. Das arme Tier war endlich ermüdet und hatte kaum die Vorderfüße auf die Schwelle gesetzt, als Koklap, der sich heimtückischerweise hinter einem Heuhaufen verborgen gehalten, hervorstürzte, sich über die Sau warf und ihr sein Mordmesser zweimal bis ans Heft in den Hals stieß.

Als die übrigen Fänger und Treiber sich ebenfalls bei der Scheune eingefunden hatten; war das Tier bereits tot und hing mit dem Kopf im Heu quer über der Schwelle.

»Das war aber eine Hetze!«, jappte einer und wischte sich die nasse Stirn. »Bei Gott, so was hab ich noch nicht erlebt!«

»Ja«, pflichtete ein anderer bei, »man sollt's nicht glauben, was solch ein Tier für flinke Beine haben kann! Der reine Hase! Gut, dass sie endlich tot ist.«

»Nur schade ums Blut«, bemerkte ein Dritter. »Nun wird's auf der Hochzeit keine Blutwurst geben.«

»Man muss nichts bedauern«, sagte ein altes Weib weise. »Alles geschieht mit Zweck. Wer weiß, ob nicht irgendein Neider ihr etwas angetan hatte, dass sie so raste. Wer kann's wissen! Nun ist mit dem Blut auch alles Schlechte aus ihr gefahren.«

»So ist es«, mischte sich jetzt, der Wirt mit kräftiger Stimme ins Gespräch und schlug befriedigt mit dem flachen Messer der Sau auf den Rücken. »Behext ist sie gewesen. Ich habe sie gestern Abend zu besprechen vergessen. Der fremde Augenverblender hat's getan.«

»Hier herum scheint auch jemand sein Wesen getrieben zu haben«, bemerkte jetzt wieder ein Knecht. »Seht, da liegt ein Ei.«

»Ah!«, machte der Wirt, die Eierschale erblickend. »Das hat der Strolch oder der Bamban hier hingelegt, um mein Heu zu verderben. Aber nun soll es euch schlecht ergehen, denn ich bin nicht einer von gestern! Das Ei stecke ich in,eine Nabe.«

Und er hob die Schale auf, um daheim seine Drohung auszuführen.

War nämlich das vermeintliche Ei in eine alte Wagennabe gesteckt, diese an beiden Enden mit Ebereschenpflöcken verstopft und in einen Sumpf versenkt worden, dann hörte die Wirksamkeit des Zaubers auf, sein Urheber aber musste sterben, falls ihm Koklap nicht zu trinken gab.

»Nach Hause und einen Wagen her!«, befahl jetzt der Wirt, und die Schar wandte sich zum Gehen.

Da jedoch geschah etwas Unglaubliches, das aller Füße lähmte und aller Blut fast gerinnen machte.

Die tote Sau begann zu reden.

»Weh, weh, weh, Bauer«, klang es dumpf in gemessenen feierlichen Pausen aus dem blutigen Haupte derselben hervor. »Deine Tochter darf erst dann heiraten …, wenn mein Fleisch ein einziger Mann aufgegessen hat … Ein einziger Mann … Weh, weh, weh, Bauer … sonst kommt Unglück über dein Haus … mit der Schnelligkeit, die in meinen Füßen war.«

Erdfahl starrte Koklap die Sau an. »Hört ihr's auch?«, wollte er fragen, allein über seine Lippen kam kein Laut. Stumm stand er da.

Aber die gemordete Sau hub an zum andern Mal zu reden und sprach dieselben Worte. Diesmal jedoch schienen sie aus dem Magen zu kommen.

Und noch immer stand der Bauer stumm und starr da, und noch immer wagten die Übrigen kein Glied zu rühren.

Die Sau jedoch begann zum dritten Mal zu reden und sprach wieder dieselben feierlichen Worte, welche jetzt aus dem Körperteil des Tieres kamen, der draußen lag.

Dann entstand zum dritten Mal eine Pause, welche zum dritten Mal niemand zu brechen wagte.

Auf einmal schien eine ganze Schar Höllengeister in der Scheune losgelassen worden zu sein. Denn plötzlich ertönte aus einer Ecke ganz deutlich der Ruf des Kuckucks, dann aus einer anderen Nachtigallenschlag, dann fing in einer dritten Ecke ein Hund an zu bellen, dann schien jemand hinter der Scheune Bretter zu sägen und zuletzt summte es in dem Räume wie in einem Bienenkorbe.

Mit gesträubten Haaren vernahmen die Leute den Spektakel. Endlich bekreuzigte sich der Ängstlichste von ihnen und wandte sich zur Flucht. Dieses löste den Bann auch von den übrigen Schreckerstarrten. In wilden Sätzen sausten sie den Berg hinan und kamen, wie Fische im Trockenen nach Atem schnappend, mit blauen Lippen und unterlaufenen Augen im Gesinde an.

Als sich dann die erste an Wahnsinn grenzende Aufregung gelegt und die Leute einandernach Bauernart das, was sie soeben gemeinschaftlich erlebt, aber- und abermals erzählt und ihre Gefühle und Gedanken, die sie dabei gehabt, geschildert hatten, fragten sie sich, was nun zu tun sei. Klar war allen bloß das eine: Wenn es nicht nach den Worten der Sau geschah, dann war der Koklap ein verlorener Mann und das ganze Gesinde in kurzem ausgestorben und leer wie zur Zeit der großen Cholera. Gegen einen solchen Zauber ließ sich gar nichts machen, und das Ei sollte auch nicht in die Nabe gesteckt, sondern einfach vergraben werden, damit der mächtige Augenverblender nicht noch mehr erzürnt werde.

Wer jedoch sollte und wollte das Fleisch der Sau essen?

Kaltes Grauen fasste bereits jeden bloß bei diesem schrecklichen Gedanken.

Oder sollte die Eda unverheiratet bleiben?

Das ging auch nicht mehr an.

Da erhob die Wirtin ihre Stimme und sagte, sie wüsste wohl Rat, allein der hülfe nichts, falls das Wunder außerhalb des Hauses bekannt werde. Ob man schweigen wolle?

Das müsse man, wenn er befehle, sagte der Wirt und warf Blicke umher, die jedem Munde das Gelöbnis tiefsten Schweigens aufzwangen. Die Bäuerin möge also reden.

Man wisse, sagte diese, dass der Adam Roga in den Morästen des Gutes Gräben ziehe, und was das für ein Kerl sei. Eine Schaufel hätte er, dreißig Pfund schwer, einen halben Laib Brot esse er täglich auf und habe dennoch ihr selbst gestanden, er sei noch niemals so recht satt gewesen. Das wäre nach ihrer Meinung der richtige Mann. In kürzester Zeit würde er die Sau aufessen, wenn er nichts wüsste. Den sollte man holen.

»Ja, was aber sagt man ihm, weshalb man ihn herholt und ihm all das Gute antut?«, fragte jemand.

»Eine Wette«, versetzte der Wirt kurz. »Die Welt nennt mich einen rechthaberischen Mann, gut, ich habe gewettet, dass der Adam die Sau in drei Wochen aufessen kann …«

Und nachdem der Spriz Mizit von der Verzögerung der Hochzeit verständigt, die Sau unter Angst und Beben und manchem stillen Stoßgebet abgebrüht, zerlegt und eingesalzen worden war, holte Koklap den Adam Roga aus den Morästen und setzte ihn an die Saufleischtöpfe seines Gesindes. Der Adam war tatsächlich ein Mann von riesenhaftem Körperbau. Er hatte ein hübsches, von glattem, flachsblondem Haar umrahmtes Knabengesicht, dessen hauptsächlichster Zug die Gutmütigkeit war. Ohne weiteres ließ er sich das Märchen von der Wette aufbinden und das Fleisch, das ihm meistenteils die Eda vorsetzte, trefflich munden. Wie es sich erwies, hatte die Wirtin bei der Schilderung seiner Esslust nicht übertrieben und Koklap wäre vor derselben zu jeder anderen Zeit entsetzt gewesen und hätte sie mittels seiner kräftigsten Sprüche zu hemmen und dämmen gesucht. Nun aber freute er sich derselben höchlich und wachte darüber, dass dem Burschen mindestens dreimal täglich bald gesotten, bald gebraten, bald kalt, bald warm das unselige Saufleisch aufgetragen wurde. Das ging so etwa acht Tage lang. Dann schien des Riesen Magen des ewigen Einerlei überdrüssig geworden zu sein: Die Schüsseln leerten sich nicht mehr so schnell und so gründlich. Da wusste aber Koklap Rat. Er zapfte ein Tönnchen des für die Hochzeit gebrauten Bieres an und machte aus dem für das Fest gekauften Spiritus einen köstlichen Kräuterschnaps zurecht. Diese Mittel halfen, die frühere Esslust stellte sich wieder ein, und der arme Tagelöhner führte nun nach seinen Begriffen ein Götterleben.

Dieses Leben blieb jedoch nicht ohne Folgen für ihn.

Die harten Formen seines muskulösen Körpers bekamen nach und nach eine angenehme Rundung, seine Hände wurden weiß und weich, seine breiten Schultern noch breiter, so dass er nur noch mit Mühe seinen Rock über dieselben zwängen konnte. Und als er eines Tages zufällig, denn er war durchaus nicht eitel, in den Spiegelscherben der Eda blickte, lachte ihm ein Gesicht entgegen, das er kaum mehr als das seine erkannte, so zart, so rosig und vollwangig war es geworden.

Und wie mit seinem Äußeren, vollzog sich auch mit seinem Inneren eine merkliche Wandlung.

Bisher war er ein stiller, schüchterner Bursche gewesen, der an nichts anderes als an Moräste und Gräben, Essen, Trinken und Schlafen gedacht hatte. Es war ihm ja auch zu nichts anderem Zeit geblieben. Nun aber wurde er allmählich lebhafter und dreister und fing an zu philosophieren, wenn er, auf die in jetziger Zeit kaum mehr gekannte Halbtür gestützt, sein Pfeifchen schmauchte oder am Feldrande im Grase liegend den Schnittern zuschaute … Hm … Der Herrgott muss doch ein mächtig kluger und guter Mann sein, dass er den Menschen so geschaffen hat, wie er ist. Er hat ihn so gemacht, dass er in jedem Augenblick eine Freude haben kann – wenn man's recht bedenkt. Isst und trinkt man, so haben Mund und Magen eine Freude, spricht man, so hat die Zunge, hört man, so hat das Ohr ein Vergnügen. Und wenn man sieht, so kann sich das Auge freuen … Das Auge ist anders als der Magen, denn es kann sich nicht satt sehen an dem, woran es Freude hat. An breiten, langen, schnurgeraden Gräben, in denen zwischen schwarzen Rändern das Wasser glänzend und gleichmäßig dahinzieht, sieht es sich niemals satt und – an hübschen Mädchen auch nicht … Nein, daran sieht's sich auch nicht satt … Wie sonderbar, dass dieses dem Adam nicht schon früher aufgefallen war! Er kannte doch die Lihse und die Eewa, Koklaps Mägde, und die Eda, dessen Tochter, bereits seit Jahren, es schien ihm aber, dass ihr Anblick sein Auge bisher niemals ergötzt hatte. Und nun mochte er es von ihren Gesichtern gar nicht mehr abwenden und hätte gern was darum gegeben, wenn er besonders die Eda vierundzwanzig Stunden lang ununterbrochen hätte anschauen dürfen. Das war aber auch ein Mädchen! Wie eine Linde in der Blütezeit! Und was für Kräfte sie besaß! Und was sie tragen konnte! Mit drei Spännen zugleich ging sie zum Brunnen und kam zurück – leicht wie eine Bachstelze. Wahrhaftig, es gab wenig Mannspersonen, die es ihr gleichtun konnten – am wenigsten vermochte dies der Spriz Mizit, ihr Bräutigam!

Und Adam aß und trank und faulenzte und sah die Eda an, so oft und so lange er es nur konnte. Plötzlich erfasste er sie eines Tages, als sie ihm wieder eine Schüssel Gebratenes vorsetzte, am Arm.

»Was gibt's?«, fragte das Mädchen und sah den Riesen an.

»Nichts«, erwiderte dieser und zog seine Hand zurück.

»Nichts? Weshalb hast du mich denn angefasst?«

Der Bursche ließ den Blick nicht von ihr. Sein Herz begann stärker zu pochen.

»Ich möchte dir immer in die Augen sehen«, sagte er. »Du gefällst mir. Ich möchte dich an der Hand halten, damit du nicht fortgehst.«

Das Mädchen wurde rot.

»Wie du sprichst«, sagte sie kurz.

»Du bist ein Mädchen, wie ich noch keins gesehen habe«, führ Adam fort. »Du bist so … so … Gib mir deine Hand.«

Er ergriff ihre Rechte, hielt sie in seinen Riesenhänden und seufzte kaum hörbar auf.

»Geh, lass …«, flüsterte Eda.

Der Bursche fuhr fort, die Hand zwischen seinen heißen Fingern zu halten.

»Du wirst nun bald heiraten.«

»Ja«

»Bald … Wie merkwürdig … Es wird mir leid tun, dass du heiratest«, stotterte er nach einer Weile. »Aber du musst.«

»Lass mich«, versetzte das Mädchen.

Und sie befreite sich und ging hinaus.

Und Adam aß und trank, faulenzte, sah die Eda an und ergriff sie dann wieder eines Tages, als sie allein waren, am Arm.

»Gefällt er dir?« fragte er.

»Wer?«

»Ach … nun … du weißt doch – der Spriz … Gefällt er dir?«

»Der? … Ja, der … wie soll ich dir das sagen? … Ich kenn' ihn von klein auf, die Eltern wollten ihn haben, er kam immer zu uns und war so dreist und wild. Keiner sagte etwas, ich wusste, dass wir heiraten müssen und da –«

»Gefällt er dir?«, unterbrach sie der Riese.

»Ich weiß nicht.«

»Ah, du willst es nicht sagen! So sag' es doch!«

Eine kleine Pause entstand.

»Er ist so hässlich, so schwach und klein gegen dich«, flüsterte kaum vernehmbar das Mädchen.

*

Seit dieser Unterredung war es mit dem Appetit des Bursehen vorbei, und weder Bier noch Schnaps, weder Wermut noch Sumpfklee konnten ihn wieder heben und anregen. Koklap wurde über diese höchst unerwünschte Wendung der Dinge beinahe krank vor Ärger. Nach alter Gewohnheit ließ er denselben an seinen Dienstboten aus und wurde sogar einmal handgreiflich, indem er einen Knecht blau und braun prügelte. Die Rache des Geschlagenen ereilte ihn dafür auch schon am selben Tage. Der Knecht ging nämlich zu Adam und erzählte ihm haarklein, weshalb er »wie ein Prinz« gehalten werde.

Der Goliath riss die Augen auf und saß dann eine halbe Stunde, den Kopf in die Hände gestützt, da. So konnte er nämlich am besten denken.

Dann suchte er den Bauer auf.

»Lump!«, fuhr er ihn an, »ich weiß jetzt die ganze Saugeschichte. Der Reinis hat sie mir verraten. Jetzt hab ich dich! Fest hab ich dich jetzt! Ich sag dir: Entweder du gibst mir deine Tochter zum Weibe, oder ich rühre keinen Bissen mehr von dem verfluchten Fleisch an! Ah! Meine Seligkeit hätte ich damit verfressen können! Aber ich will's tun – um der Eda willen!«

Unter jedweden anderen Umständen hätte der Wirt nach diesen Worten seine Knechte zusammengeschrien, hätte den Burschen binden, auf einen Wagen heben, in die gutsherrlichen Moräste fahren und ihn dort wie ein Fuder Kehricht abladen und liegen lassen. Nun aber begnügte er sich damit, abwechselnd blass und rot, grau und violett zu werden, die Hände überm Kopf zusammenzuschlagen und nach Luft zu jappen.

»Mensch, bedenke doch! … Bedenke doch, Mensch!«, kam es endlich über seine Lippen. »Bist du denn auf einmal verrückt geworden! Weißt du denn nicht, dass der Spriz … dass die Eda – –«

»Alles weiß ich – an nichts kehr ich mich!« schrie Adam wütend. »Deine Tochter … ich kann ohne sie nicht mehr leben! Gibst du sie mir zum Weibe oder tust du's nicht?«

»Aber Liebster, sei doch vernünftig«, antwortete der Bauer händeringend. »Was wird denn der Spriz sagen, wenn ich sie dir gebe!«

»Der Heuhüpfer, was der sagen wird?« hohnlachte der Riese. »Wag er es, zu mucksen, so werde ich ihm –!« Damit ergriff er den stämmigen Koklap, hob ihn hoch empor, schüttelte ihn heftig zusammen und setzte ihn dann wieder zur Erde. »Keinen Knochen im Leibe lass ich ihm ganz.«

»Äch«, prustete der Wirt, »äch, äch … aber die Mitgift! Erbarm dich, – die Lade hat der Spriz bereits abgeholt.«

»Ich hole sie zurück.«

»Er wird sie nicht herausgeben.«

»Warum? … Meint er, dass ihm deine Tochter für seine Freundschaft etwas schuldig ist? Na, lass, dann nehme ich die Schuld auf meinen Kopf. Sobald er heiratet, zahl ich sie, wenn er will, seiner Braut doppelt heim!«

»Adam, du redest ärger denn ein Türke! Hätt' ich nur gewusst, was für ein schlechter Kerl du bist! … Ich bin nicht einer von gestern, aber so etwas erleb ich zum ersten Mal … Will dich denn auch meine Tochter?«

»Sie will.«

»Will sie? So? … Nun, dann werde ich mich noch ein paar Tage bedenken. Ach, diese Sau … Das Unglück fängt schon an …«

Es vergingen einige Tage, während welcher Zeit sich Koklap bedachte, Adam fastete und die Bäuerin in ihrer Ungewissheit nach einer alten Frau sandte, welche in mancherlei Zufälligkeiten des Lebens mit Rat und Tat zu helfen wusste.

Endlich sah Koklap ein, dass er verspielt habe und nachgeben müsse. Und daher gab er nach.

Infolgedessen ließ Adam sich wieder das Fleisch austragen, aß und fuhr zu Spriz Mizit, um Edas Lade zurückzuholen.

Der Spriz war ein leichtsinniger Bursche von jenem rohen Menschenschlage, der die Liebe nur dem Namen nach kennt. Ihm war daher ein Mädchen fast genauso gut wie das andere, und es hatte bloß die zufällige Nachbarschaft der Alten so gefügt, dass er eben die Eda und keine Lihse heiraten sollte. Er begann daher unbändig zu lachen, als ihm Adam in ernstem Tone seine Absicht auseinandersetzte und dabei ein paar kräftige Drohungen mit unterlaufen ließ.

»Wenn du … du es so haben willst – meinetwegen! Nimm sie, aber mach mir später keine Vorwürfe!«, rief er aus.

Die Eltern waren zwar nicht sogleich bereit, die schwere Lade herzugeben, taten es aber doch, als ihnen Spriz zuraunte, Bambans Tochter habe ihm die untrüglichsten Zeichen ihrer Neigung gegeben. Die sei doch noch reicher als Eda. Wenn sie wollten, werde er sie heiraten.

So fuhr denn der Adam vergnügt mit der Lade ab, aß die Sau mit dem besten Appetit bis zum letzten Bissen auf, hielt dann glückselig Hochzeit – und feierte mit den Resten derselben noch ein kleines Familienfest.

Ja, der Mann musste früh mit dem Sparen beginnen, denn diesem Schmaus folgten im Laufe der Jahre noch zwölf andere, deren Ursachen seine Ehe zu einer fröhlichen und niemals bereuten machten.


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