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siehe Bildunterschrift

Alexander von Villers.
Nach einem Gemälde von Bertha Nako

Alexander von Villers

»Malen ist eine Kunst, Dichten auch, und gar Musik! Die größte Kunst aber ist leben. Am eigenen Leben ein Künstler werden ist allein wert, Zahnschmerzen zu dulden, und Geld zu entbehren. Wenn die Finger erstarren, soll ein Kunstwerk aus der Hand fallen; der eine bekam Gold zu einem Geschmeide, der Elfenbein zu einem Götterbilde; aber war's auch nur eine Handvoll Dreck, ein Modell ließe sich daraus kneten. Wenig oder viel, groß oder klein ist gleichgültig, etwas ist alles.«

Das schrieb im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts ein Mann Mitte der Fünfzig an einen Freund. Aber er war nicht das, was man weise und abgeklärt nennt, weil ihn die Leidenschaften samt ihren Voraussetzungen verließen. Er fand sich nicht mit den Resten seines Lebens ab, so gut es eben ging. Er schlug nicht mit sich selber eine Volte. Er ließ sich nicht vom armseligen Floß einer aus letzten Balken gezimmerten sogenannten Weltanschauung den Strom abwärts treiben mit der Behauptung, er rudere aufwärts, den Sternen zu. Er war nie ein Schauspieler gewesen, der den Abschied nimmt, bevor man ihn auspfeift. Und nie ein Ehrgeiziger, der sich eine Krone hat entschlüpfen lassen. Nie einer, der das Leben nur betrunken erträglich fand. Hatte nie zu Giften destilliert, was die andern Menschen erfreut und ernährt. Und hat nie zu jenen Reichen gehört, die sich wie Seneca einmal in der Woche aus ihrem Palaste in eine Hütte begeben, um hier schwarzes Brot und weißen Käse zu essen und sich so das Salz ihres Lebens holen, indem sie den Armen spielen, um ihren Reichtum besser zu genießen. Die Götter waren zu glücklich und wurden neurasthenisch. Zur Kur nahmen sie Menschengestalt an und klopften als Wanderer an die Türen der Irdischen. Sie fanden ein bißchen Glück darin, Hunger zu spüren und Durst und die Qualen der Liebe. Aber dachten sie an ihre Macht, dann wußten sie, das alles sei nur ein Spiel. Aber das Glück braucht eine Messerspitze Salz, um genießbar zu bleiben. Das entzückende Hindernis! Wer spielt, will den Verlust riskieren. Mit sich selber veranstaltet niemand ein Wettrennen.

Als Alexander von Villers als ein Sechzigjähriger im Jahre 1880 starb, konnte keiner seiner erlesenen Freunde, die er, ein Genie der Freundschaft, mit eben diesem Gefühle auszeichnete, von ihm sagen, daß er etwas geleistet habe in jenem objektiven Sinne dieses Wortes Leistung, den wir Europäer ihm geben. Und hätte sie das bißchen Kammermusik, das er, ohne recht Noten zu können, verfertigte, dazu bestimmt, er selber hätte solche Anerkennung durchaus desavouiert und von seinem Dilettantismus gesprochen oder geschwiegen. Wie von den paar Aufsätzen, die er an einem Eckchen seines Schreibtisches zuweilen anfing, selten beendete. Er erlag nicht der selbstgefälligen Täuschung, originelle Lösungen der Welträtsel zu besitzen. Und es konnte ihn nicht gelüsten, Schlüssel zu komplizierten Schlössern zu liefern, denn es waren ihm keine solchen gezeigt worden. Der Mensch, den wir den »Schaffenden« nennen, verliert ja immer mehr sich selber, um Effekt seines Effektes auf Zahllose zu werden, die ihn sich eigensinnig nach einem Bilde fingieren, das der davon Betroffene auch schließlich selber wird.

Da sich dieser Alexander von Villers mit keinerlei Leistung in die Öffentlichkeit begab und ihr durchaus ein Unbekannter blieb, konnte ihn die Menge auch nicht annehmen, und es blieb ihm erspart, sich so zu sehen, wie ihn die immer klischierende Menge sah. Er wurde nicht der Effekt eines, seines Effektes und konnte sich aufführen, wie er wollte. Ja, er brauchte sich überhaupt nicht aufzuführen. Und das bedeutete für einen so originalen Mann wie ihn das Glück schlechthin, denn es war die Freiheit.

Die Familie ist lothringisch. Der Großvater war als königlicher Rat in einer kleinen Stadt zwischen Metz und Saarbrücken ansässig gewesen. Er hatte eine Frau aus dem Languedoc geehelicht, die Tochter eines adeligen Offiziers. Unter den neun Kindern war jener Charles der älteste, der als Vermittler zwischen französischer und deutscher Kultur und Bildung als erster jene große Rolle spielte, die ihm von Goethe den Namen eines literarischen Janus Bifrons eintrug zusamt des Dichters hoher Schätzung. Royalistischer Offizier, wie sein anderer Bruder Friedrich, unseres Alexanders Vater, ging er mit diesem zur Armee Condés nach Koblenz. Nach deren Niederlage ließ sich dieser Friedrich mit seiner Frau, einer Bassenge aus Dresden, in Moskau nieder, begründete ein Pensionat für adelige Söhne und unterrichtete sie in den Sprachen. Hier in Moskau wurde Alexander im Jahre 1812 geboren. Napoleons russische Niederlage bedeutete für die Familie Villers, daß sie alles verlor und gänzlich verarmt nach Leipzig kam. Hier starb die Mutter. Erst durch eine zweite Heirat und die Berufung als Professor des Französischen nach Dresden kam die Familie wieder zu Wohlstand.

Alexander war ein schwieriges Kind. Oder es hatte einen schwierigen Vater; es kommt auf den Standpunkt an. Aber weder das Gymnasium noch private Lehrer kamen mit dem Jungen zurecht, der wohl also schwieriger als der Vater gewesen sein dürfte, der den Sohn zum Drucker Tauchnitz in die Lehre gab. Bei Tag am Setzerkasten, des Nachts ein junger Weltmann etwas schiefer Position durch seine Tagesarbeit, das verführte zu Streichen, von denen die Stadt klatschte, zu Auseinandersetzungen mit dem nur Geldes wegen aufgesuchten Vater, und zur Entwicklung eines scharfen Witzes als abwehrender Waffe. Den achtzehnjährigen Teufel, wie ihn der Vater nennt, loszuwerden, schickt er ihn mit hundert Frank Monatswechsel nach Paris in Didots Druckerei, die er selten und bald gar nicht mehr besucht. Dafür zuweilen die Sorbonne. Öfter die Salons. In einer Gesellschaft lernt er Liszt kennen, und sie begleiten einander eine ganze Nacht lang nach Hause. Das endet vor Liszts Haus, denn nun rückt der junge Mann damit heraus, daß er eigentlich gar kein Zuhause augenblicklich habe und in einem der noch offenen Cafés hätte übernachten wollen. Er blieb für Wochen Gast in Liszts Haus. Er wird Erzieher der beiden Kinder einer klugen rheinländischen Frau, die in Paris verheiratet ist, und der tolle Herumtreiber kommt etwas zur Ruhe. Nicht so sehr, als daß er nicht mit einer hübschen Person für eine Weile nach London durchbrennt. Dann geht er nach Offenbach, beim alten André ein bißchen Kontrapunkt zu lernen und beim Grammatiker Becker Sprache, bei Seebach aber die Meisterschaft im Whist. Dieser Seebach, später Koburgischer Minister, oder eine Dame dieses Kreises leiht ihm die 2000 Taler, damit er seine Gymnasialstudien vollende. In Leipzig macht der Dreißigjährige sein Abitur, zu Ostern; und Weihnachten desselben Jahres sein juristisches Staatsexamen, bekommt eine Beschäftigung im Ministerium für Auswärtiges in Dresden, wird also eine amtliche Person, was ihn nicht hindert, die Dresdner Bürger mit ungewöhnlichen Liebesaffären zu skandalisieren. Auch seinen späteren Chef, den Grafen Beust, und den besonders damit, daß Villers jede Protektion ablehnt, 1853 kam er als Legationsrat der sächsischen Gesandtschaft nach Wien, und in dieser Stadt hat dieser Mann europäischen Blutes seine Wahlheimat gefunden, die er liebte: aus dem deutschen Franzosen wurde ein Wiener. Mit seinem ganz und gar nur sächsischen Chef verkrachte er sich und nahm – auch der Krieg gefiel ihm gar nicht – 1870 seinen Abschied. Er bezog sein Landhaus in der Nähe von Neulengbach: da war man rasch in Wien, ein Theater zu besuchen, ein Konzert, mit den Freunden zu plaudern.

Villers trieb vieles und nichts. Er war zu lebendig, um sich zu konsolidieren. Seine Freunde hatte er in jenem kleinen Kreis österreichischen Adels, der sich durch geistige Interessen mehr auszeichnete als durch Rennställe und Spielschulden. Da war der Graf Rudolf Hoyos, der gebildete Gedichte machte, wie man das in den siebziger Jahren eben trieb. Da war Alexander von Warsberg, der Mittelmeerfahrer, der die »Odysseischen Landschaften« schrieb, eines unserer schönsten Prosabücher. Da war die ungarisch-rumänische Gräfin Nako, die mit nicht geringem Talent ihre Freunde porträtierte. Da waren noch zwei oder drei, deren Gespräch er liebte, lieber aber noch ihnen zu schreiben, weil wir Deutsche nicht so gute Talker sind wie die Engländer. Zwei umfangreiche Bände solcher Briefe an seine Freunde hat man nach seinem Tode in Druck gegeben: sie geben das innere Bild dieses Mannes, der nun im Alter dem Bilde des Machiavell von Bronzino gleichsieht mit seiner höchst spirituellen Nase und den sich anpürschenden Augen; der bei der Mode der siebziger Jahre auch in den achtziger Jahren bleibt und im Winter statt eines Paletots zwei oder drei Paar Hosen trägt, die er, kommt er zu Besuch, sich von einem Diener in der Antichambre bis auf eine ausziehen läßt.

Er schreibt einmal: »Ich habe Livingstones Tagebuch seiner letzten siebenjährigen Afrikareise gelesen. Sie besteht wesentlich aus Kamelgeschwüren, Schlamm, Zehrfieber, gestohlenem Kattun, verlorenen Briefen, undurchdringlichem Gebüsch mit Stacheln und mangelt ebenso an Komfort wie Fortkommen. Wenn Sie mich je auf dem Wege treffen sollten, Afrika zu entdecken, ermächtige ich Sie, sich auf meine Kosten einen Revolver zu kaufen, und mich niederzuschießen.« Der von deutschem Humor temperierte gallische Esprit dieses nunmehr und aus solcher Mischung wienerischen Mannes verrät keine pathetische Natur, und auch die vielen Frauengeschichten der Jugend dieses geborenen Junggesellen dürften den Satz bestätigen, daß selbst in der Liebe der Kopf es ist, der die Männer führt, nicht das sogenannte Herz. Alles, was sie da zusammenbringen, ist, daß sie sich die Liebe einbilden. »Aber lieben können sie nicht«, ergänzen die erfahrenen, das heißt enttäuschten Frauen. Männer von der Art Villers sind mit zwanzig Jahren vierzig und bleiben es, so alt sie auch kalendarisch werden mögen. Und Humoristen sind nie das, was man jugendlich nennt, gewesen.

Villers wird noch mehr solcher Sonderlichkeiten gehabt haben wie die Überziehhosen im Winter. Die Bequemlichkeit der Männer bildet derlei aus, wenn ihnen Frauen nicht dreinreden. Und da auch sonst Frauen ihn nicht bestimmen und nie bestimmt haben, bleibt Villers in der hellen Sauberkeit seiner Welt, darin vagierend nach Laune, aufmerksam, hingebend, lebhaft. »Tonfall, Rhythmus und Stimme beherrschen oft den Gedanken und verdrängen ihn«, schreibt er.

Er liest, schaut, hört, teilt mit in Briefen, im Gespräch. Er forciert sich zu nichts, hat das nicht nötig. Denn immer ist das Leben da, dieser außerordentliche Stoff. Das Wort ist ja vernützt, aber angewandt auf Villers zeigt dieses Wort »Lebenskünstler« auf der Spitze eines jeden seiner Buchstaben einen glitzernden Tropfen Tau. Daß dieses Wort nicht einen Weisen bedeutet, sagt er selber: »Balthasar Gracian spricht so weise, daß ich überzeugt bin, er hat sehr dumm gelebt.«

Er liest und schreibt dazu: »In Spielhagens ›Plattland‹ kommt ein junger Mann als landwirtschaftlicher Volontär auf ein pommersches Gut. Er ist noch keine halbe Stunde da, so schluchzen schon zwei Jungfrauen an seiner Brust und sagen: ›Du wilder Mann!« Oder er liest einen andern Autor der Zeit und bemerkt: »In Meißners ›Feindliche Pole‹ hat ein Minister Audienz beim König. Das wird sehr imposant geschildert. Und wie Seine Majestät sagt: ›Ich nehme Ihr Programm an‹, da reibt sich der Minister die Hände. Mich wundert, daß er nicht ein Rad schlägt, oder einen Juchzer tut. Glauben Sie, daß sich schon irgend jemand vor irgendeinem König die Hände gerieben hat? Vielleicht vor Viktor Emanuel, aber der prügelte sich ja auch mit Fähnrichen.«

Ohne Gott, in einem Kirchensinn schreibt er: »Gott ist ohne Zweifel gerecht, nur daß man's nicht immer einsieht; und so, daß man's nicht immer einsieht, so treffen wir's auch noch.«

»Nichts ist affektierter als die Natur«, schreibt er. Und dann: »Hühner, Enten, Gänse, Schweine, laßt mich rufen: Gott erhalte! Groß denk' ich von Gänsen; der Gang, Hals, Auge, Stimme, wie sie auf Ordnung halten; wenn die Zeit kommt, wo sie gewohnt sind, in ihren Stall zu gehen, so halten sie das für ein göttliches Gesetz und schreien Zeter über die ungetreue Magd, die nicht erscheint, um sie zu führen, gehen dann selbst, aber fortwährend laut entrüstet, kommen vor die verschlossene Türe, strecken die Hälse weit vor und eifern über die schlechte Zucht, kehren wieder zurück, dringen bis ins Haus, suchen, sehen Licht im Keller und schreien ihre Not die Treppe hinab. Bis ich dazukomme und rufe: ›Aber Pepi, hören Sie denn nicht, wie die Herrschaft fragt, was das für eine Wirtschaft ist?‹ Dann traben sie befriedigt nach Hause, und das halblaute, kurze Geschnatter ist voll Genugtuung über die gerettete Gesellschaft ... Daß sie mir gerade von einer Pfütze mit Enten schreiben mußten, da ich zuweilen den Umweg über Sievering mache, nur um hinterm Steinbruch die Büsche auseinanderzubiegen, wo in einem grünen Tümpel, grün vom Schleim, kaum größer als ein Sitzbad, fünf schneeweiße Enten Seephantasie haben.«

Der Lebenskünstler muß keineswegs ein ruchloser Optimist sein. »Muß ich noch einmal geboren werden, sei es als Baum. Das nenne ich Leben; ich will meinen stärksten Ast hergeben, daß sich der letzte Mensch daran hänge und sage, ich habe ihn erlöst. Die Qual war's, die sich den Menschen erschuf, nicht er hat sie erfunden, nicht einmal das vermöcht' er ... Alle unsere Tugenden sind im Grunde eine Not, aus der sie gemacht werden. Wer sich selbst nachliefe, würde sich auf seltsam krummen Wegen ertappen.«

Den sublimen Egoismus des Lebenskünstlers faßt eine Brief stelle in die endgültige Form. Sie lautet: »Weiß die Schwalbe, daß sie fliegt? Wir fliegen nicht, empfinden aber den Flug von tausend Flügeln. Ich sah einen Holzhauer trinken; Schweiß rann ihm über die haarige Brust, und das dünne Bier floß durch seine heiße Gurgel, daß ich die Wellen rinnen sah wie in einem engen Bach. Er oder ich, wer trank?«

In diesen letzten zehn Jahren seines auf dem Lande verbrachten Lebens hatte Villers gleichzeitig immer Blüte, Frucht und Ernte. »... Ich habe auch Zeitungen, lese aber keine. Es leidet mich nicht. Ich gehe bei meinen Leuten herum, sehe so gern Kalk löschen und umrühren, Schotter sieben, Walter die Leiter hinaufsteigen, schaue meine sechs Rauchfänge an, als wären's Provinzen. Dem Rauch scheint's so wohl zu tun, daß er oben herauskam; wie ein vornehmer Herr mit einer vollgepuderten Perücke steigt er langsam heraus, schaut ein wenig herab und geht weiter. Ich wünsche jedem alten Mann ein kleines Haus.«

Das ist nicht bequemer Abgesang eines bequemen Lebens, das immer nur den Kohl Candides gebaut hat und sich auch im Alter dessen freut. Einmal nur spricht Villers ganz von sich und so: »Wie alle Menschen, die das Gefühl ihrer Schwäche kennen, habe ich einen unbeugsamen Eigenwillen. Noch ein Kind, und bis zum Blödsinn geschlagen, wurde der nie unterworfen. Von Jugend auf, und mit den Jahren wachsend, geht meine Sehnsucht über alle Grenzen; ich lebe ein ganz anderes Leben, als das Sie sehen, und bin ein solcher Künstler in dieser Narrheit, daß ich zwei Gespräche nebeneinander führe, eines, das Sie hören, und noch eines. Mein Leben hat mich verbittert und beschämt ... Ich liege nicht auf Rosen, das wissen Sie. Abhängig aus Not, ist mein Freiheitsgefühl unbändig. Genuß und Verzweiflung weiß ich nicht zu unterscheiden ... Was ich Schönheit nenne? Ich weiß es nicht. Ich weiß, daß ich in die Einsamkeit muß. Einzeln bin ich geboren, einzeln will ich leben und werde auch einzeln sterben ... Kein Baum will Wald sein, wollte er's, es gäbe keinen Wald. Seine Wurzeln, nicht des Waldes Wurzeln nähren ihn. Pereat mundus! Damit werfe ich mein Korn in die Mühle des Sozialismus, sie möge es zermalmen.«

Alexander Villers war, was Goethe eine Natur nannte.


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