Clara Blüthgen
Götzendienst
Clara Blüthgen

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Holger Asmussen hatte sich, als er den Kuß des Direktors auf Astrid Börgesens nackten Arm abschätzte, als ein sehr zuverlässiger Rechenmeister bewiesen. Das Stück machte Abend für Abend volle Häuser; die fünfundzwanzigste Vorstellung war nahezu erreicht und der Direktor Mortens dachte nicht daran, es vom Spielplan abzusetzen.

Alle Welt war zufrieden, die Schauspieler, die es mit den einmal eingelernten Rollen bequem hatten und ohne Proben auskamen; Valdemar Ohlsen, der seine Kritik in den höchsten Tönen geschrieben hatte, wobei er auch Astrids Beteiligung durchblicken ließ und der nun, bei den fortlaufenden Aufführungen für eine ganze Zeit entlastet war, Asmussen, dessen zarte Nerven sofort nach dem sicheren Erfolg zusammengebrochen waren und ihn untauglich für ernsthafte Arbeit machten. Selbst Finna Almind war zufrieden. Wenn sie auch der verhaßten Frau Börgesen den Erfolg aus tiefster Seele mißgönnte, so stand dagegen die Erwägung, daß der Tantiemenanteil ihres Zimmerherrn versprach, ihre bedenklich geleerte Kasse mit zu füllen. Gierig dachte sie an die Quartalsabrechnung.

146 Am zufriedensten war Astrid. Sie ging umher wie eine Königin. Obgleich sie zu Börgesens Lebzeiten nie etwas für sich selbst hatte erreichen dürfen, verwirrte sie der Erfolg keinen Augenblick, sondern erschien ihr als ein gutes Recht, als ein gerechter Ausgleich des Schicksals. Mit geradezu abergläubischer Zähigkeit hielt sie an dem Wahn fest, daß Holger Asmussens Nachgeben nach der Vorstellung, daß die Weichheit jener einen Stunde kurz zuvor, ihr als der bedeutenden Frau galten. Jene schreckliche Wahrheit, daß, solange die Welt steht, noch nie eine Frau ihres Geistes wegen von einem Manne geliebt wurde, war ihr fremd. Sie trug sein Amulett, die »Reliquie«, die er ihr höflicherweise nicht hatte versagen können, wie einen wirklichen Talisman auf der Brust, glaubte sich dadurch heimlicher mit ihm verbunden. Wie bei den meisten mit Phantasie begabten Menschen war auch bei ihr ein leichter Einschlag von Mystik vorhanden. Sie glaubte an telepathische Strömungen, an Willensbeeinflussung. War es nicht ihr Gebet gewesen, das den kranken Jüngling von seinem qualvollen Leiden und Asmussen von der Krankenpflege erlöst hatte? Würde ihr starker Wille es nicht fertig bringen, den seinen wie am Gängelbande zu leiten?

Zur rechten Zeit erinnerte sie sich Lily Jordans Lehre von der Wichtigkeit des Körpers und seiner Hüllen. Sie beschäftigte sich nun viel mit sich selbst, schlief nachts in Handschuhen, und ihre schmalen Füße 147 steckten wieder wie in früheren Zeiten in den feinsten Stiefelchen. Ihrem Haar, das immer ihr Stolz gewesen, in seiner Massigkeit das Zeichen ihrer unverminderten Kraft, wendete sie eine besondere Sorgfalt zu. Sie hatte einmal von Maria von Burgund gelesen, die ihr schönes Haar täglich neun Stunden von ihren Mägden bürsten ließ, um es weich und glänzend zu erhalten. Wenn nun hierfür ihre Zeit nicht reichte, so machte sie sich doch lange damit zu schaffen, und oft, wenn ihr der Arm lahm wurde, mußten Karin oder Malve sie ablösen.

Sie rauschte in seidenen Röcken und eleganten Kleidern, bei deren Auswahl Lily Jordan wertvolle Ratschläge gab, wenn Astrid auch nicht wagte, eingedenk Holgers Warnung, sie bei ihren Einkäufen mitzunehmen.

Sie verstand nicht das geringste von Mode, hatte keine Warenkenntnisse, kannte nicht einmal die richtige Bewertung des Geldes. Jeder kleinen Verkäuferin wäre ein leichtes gewesen, ihr irgend einen abscheulichen Ladenhüter für eine Unsumme aufzuhängen. Aber man hütete sich dessen wohl, um nicht mal durch irgendeinen Zufall ihre wertvolle Kundschaft zu verscherzen, und verkaufte ihr lieber die kostspieligsten Kleider, die anderen zu teuer waren, und für die sie ohne jedes Handeln den verlangten Preis bezahlte.

Denn nichts war ihr zu kostbar, wenn sie glaubte, daß es Holger Asmussen Freude machen könne. Es 148 war ihr gerade eine Genugtuung, recht viel für eine Sache, ein Kleid, ein schönes Gerät, eine besondere Blume auszugeben. Für ihn erhielt sie einen Flor von Blumen, Hyazinthen, Krokus, Tulpen zwischen den Doppelfenstern und überließ es niemand, sie zu begießen. Ihr Tisch war jederzeit so besetzt, daß Holger hätte mitessen können, mit seinen Lieblingsgerichten, seinen Lieblingsweinen, die schließlich auch zu ihren eigenen Lieblingen wurden. Holger hatte einmal verraten, daß er etwas magenschwach sei, und sofort wurden alle fremdländischen Gewürze, wurden Essig und Zwiebeln zu verbotenen Zutaten. Er hatte eine Vorliebe für Schokolade – und fortan stand immer eine Kanne voll davon für ihn bereit.

Sie versetzte sich in seine Gedankengänge, sie dachte in seinen Wortfügungen, betonte beim Sprechen in der Art, die ihm eigen war. Ihre warme, dunkle Stimme, ihr größter Reiz, machte die Hebungen und Senkungen der seinen nach. Unbewußt hatte sie ihm das weiche Lächeln beim Vortrag abgesehen und benutzte es nun auch bei der Alltagssprache.

Sie entsann sich vergessener Künste ihrer kurzen Mädchenzeit, fing wieder an zu malen und nahm bei einem ersten Gesangsmeister Unterricht. Ihre Stimme war außer Übung gekommen, aber das Metall war geblieben, und da Intelligenz und Ehrgeiz sich bei ihrem Studium die Wage hielten, machte sie erstaunliche Fortschritte.

149 Dabei trieben phantastische Gedanken ihr Spiel: ganz heimlich sollte alles vor sich gehen, nichts sollte er davon erfahren, bis sie mit einer fertigen Leistung vor ihn treten könne. Im Dom, oben neben der Orgel stehend, sollte ihre Stimme durch das halbdunkle Schiff schweben, in dem nur ein paar Kerzen trübe funkelten: Etwas ganz Unerwartetes, ein Wunder. Wie er dann staunend aufhorchen würde, wenn er ihre Stimme erkannte, wie er sie mit den Augen von unten her suchen würde in der halben Beleuchtung – ein weißes Kleid würde sie tragen – zum ersten Male wieder nach wieviel Jahren? Und einen Strauß weißer Nelken in der Hand – –

Dann wieder war sie bei sich zu Hause, saß am Flügel in einem violetten Kleide, und nun waren es ihre Augen, die über der schwarzpolierten Platte Holger suchten, und sie sang ein ganz einfaches kleines Lied, eines von jenen schwermütigen Liedern von Leid und Liebe, wie das Volk sie singt, und wie sie ungeschrieben fortklingen, bis endlich einmal einer kommt, der sie einfängt und aufschreibt.

Alle die freundlichen Gedanken glätteten ihr Gesicht, verwischten die kleinen Ahnungen von Fältchen um Auge und Mund, machten sie hübscher und jünger, während die Zuversicht auf endlichen Sieg und Vollbesitz ihr einen Zug stolzer Sicherheit aufprägte. Sie war immer liebenswürdig und eine gute Herrin gewesen – jetzt verwöhnte sie alle, die in ihre Nähe 150 kamen. Ihre Freigebigkeit, die sie sonst unter der Kontrolle eines genauen Rechnens gehalten hatten ging nun bis an die Grenze dessen, was sie sich erlauben durfte. Sie dachte auch an ihren Bruder, den entgleisten Offizier, der im Verein mit seiner tüchtigen Frau ein Stück Ödland urbar machte, um eine Schafzucht zu betreiben. Sie hatte ihm schon oft ausgeholfen, jetzt schickte sie ihm plötzlich von selbst ein paar hundert Kronen, damit er gute Zuchthammel anschaffen könne. Sie bezahlte einer armen Lehrerin spanische Sprachstunden auf ein halbes Jahr im voraus, obgleich sie sie niemals zu nehmen gedachte. Einen mittellosen Sänger, den Asmussen gelegentlich gerühmt hatte, schickte sie zur Ausbildung nach Deutschland, wo er Freunde hatte, bezahlte für ihn Reise und Unterricht. Jede Post brachte ihr Bittbriefe, und bei den meisten half sie, wahllos, unüberlegt, nur aus dem inneren Glücksgefühl heraus, nun auch anderen etwas Gutes antun zu wollen.

An Finna Almind dachte sie nur selten, und wenn es geschah, mit der lächelnden Überhebung der Frau, die auf der Höhe des Erfolges steht, über irgend etwas Dunkles, Übersehenes. Ihre frühere Eifersucht kam ihr wie eine undenkbare Torheit vor.

Dadurch wurde sie durch das häufige Zusammensein mit Asmussen bestärkt.

Ein paarmal war sie noch mit ihm zusammen im Theater gewesen. Dann war ihr das Drama etwas 151 innerlich Überwundenes, es interessierte sie nicht mehr, sie mochte es nicht mehr sehen.

Dafür kam Asmussen häufig zu ihr in die Villa, ließ es sich in den gutdurchwärmten Zimmern wohl sein, wo zwei Frauen so stark um seine Behaglichkeit besorgt waren und die Dienerschaft ihn wie den Hausherrn behandelte.

Das schönste für Astrid waren aber die Vortragsstunden. Zuerst las Holger ihr aus den Schriften ihres Gatten vor, und ließ es sie nachsprechen. Dann kamen die beiden anderen Großen ihres Landes heran, zuletzt Goethe. Sie kannte ihn längst, aber erst durch Holger lernte sie ihn wirklich kennen. Sie waren auf keine Übersetzung angewiesen, denn wie die meisten ihrer gebildeten Landsleute verstanden sie beide Deutsch. So ging ihnen von dem heißen Zaubertrank seiner Worte kein Atom verloren.

In noch höherem Grade als bei ihrem Gesang halfen Astrid die Intelligenz und Begabung, drängender Ehrgeiz, von Asmussen gelobt zu werden, zu raschem Erfolg. Sie war seine begabteste Schülerin, niemals durfte sie sich ihm näher fühlen als bei diesem Unterricht. Sie banden sich dabei nicht an die eine Stunde, er wurde fortgesetzt, solange Kraft und Stimmung vorhielten.

Zwischendurch nahmen sie, das Buch noch in der Hand, eine Erfrischung, meist war es Malve, die sie 152 im rechten Augenblick brachte, wenn der Unterricht ihr überlange zu dauern schien.

Leise wie ein Kätzchen glitt sie auf weichen Sohlen durch das Zimmer, ohne zu sprechen, ein liebes Lächeln um den blassen Kindermund.

Sie hustete noch immer. Astrids Hausarzt fand es unbedenklich, verordnete ihr allerhand Mittelchen, versprach sich am meisten von Ruhe und Pflege und befürwortete eine Liegekur.

Astrid in ihrer Barmherzigkeit war entzückt davon, Malve widersprach.

»Hat ihre Mutter nun nicht wirklich recht, ist sie nicht ein ganz bockbeiniges kleines Geschöpf, das nicht tun will, was ihm gut ist?« fragte Astrid Asmussen.

»So nimmt ein Kind nicht willig gleich der Mutter Brust«, zitierte Holger, eingedenk ihrer eben beendeten »Faust«-Lektüre. »Fräulein Malve wird schon vernünftig sein und sich fügen. Ich bin überzeugt, daß Frau Astrid es ihr so behaglich wie möglich machen und daß Fräulein Malve dann schon rasch gesund werden wird. Freilich, was haben wir davon – dann flattert sie natürlich eiligst wieder davon, zur Bühne zurück.«

»Sie wissen, daß ich das nicht tue. Ich kann mir nichts Schöneres denken, als hier zu sein«, sagte Malve fast feierlich. »Übrigens bin ich dort schon so gut wie ersetzt. Bei der Bühne darf keiner krank sein, am wenigsten von uns jungen Anfängerinnen. Nein, 153 ich will nur deshalb nicht, weil ich nicht allein sein mag. Ich würde doch dann Tante Astrid nur wenig sehen – und Sie gar nicht.«

»Unsinn. Wir besuchen Sie natürlich, und Sie nehmen weiter an allem teil.«

»Während ich im Bett liege?« rief Malve ganz entsetzt. Der Gedanke, sich im Bett liegend vor jemandem zu zeigen, erschien ihr unfaßbar.

»Denk doch an die französischen Königinnen des siebzehnten Jahrhunderts, die im Bette liegend ihre Audienzen erteilten.«

»Das war doch nur, weil es damals um die Heizung so schlecht bestellt war. Sie mochten nicht frieren. Aber bei deiner Zentralheizung ist's so mollig, Tante Astrid.«

Doch Malve gab nach, begann ihre Liegekur, und es war in der Tat sehr »mollig« und behaglich.

Sie lag in einem großen hellen Zimmer, in einem breiten Bett mit seidener Daunendecke und vielen Spitzen, das wie ein wirkliches Prunkbett in Zimmermitte gerückt war.

Das eine ganz breite Fenster ging auf den Park in seiner weißen Winterpracht. Glatt und weich lagen die weiten Rasenflächen, nur hier und dort unterbrochen durch eine flache ovale oder runde Erhebung, ein Beet, aus dem Stangen, von weißen Kugeln gekrönt, aufwuchsen, die hochstämmigen Rosen, deren Kronen man in Bastmatten eingenäht hatte, über 154 denen nun der Schnee rund auslud. In phantastischen Formen standen die Douglasfichten und Weimutskiefern unter ihrem Schneebehang.

Malves kleiner Kopf lag dunkelumrahmt auf den weißen Kissen, ihr schmales Figürchen verschwand fast in dem breiten Bett. Astrid besorgte sie mit hundert Beweisen ihrer Zärtlichkeit – und erzählte dabei von Asmussen.

Naiv wie ein ganz junges Mädchen, das zum ersten Male liebt, sprach sie zu jedermann von dem Manne ihrer Neigung, im Glauben, daß es für jeden sehr wichtig sein müßte, in der vollen Sicherheit, daß keiner sie durchschaue. Alle Aussprüche Asmussens hatte sie in ihrem Gedächtnis aufbewahrt, sie prüfte sie auf ihre Bedeutung, vertiefte sie, und wenn sie sie wiedererzählte, hatten sie an Größe und Eigenart gewonnen. Alle Situationen, die sie mit ihm erlebt, waren wie auf einem Film festgehalten, den sie jederzeit nach Belieben vor sich aufrollen konnte. Sie machte ihn sich zum Fetisch, den sie anbetete. Die Gewalt ihrer Leidenschaft, die die erste ihres Lebens war, brachte es zustande, daß die holde Täuschung dieses Götzendienstes dauerte.

Als Holger Asmussen das nächste Mal, an einem Nachmittag, kam, freute er sich über Malves Entschluß.

Astrid hatte ihn zuerst allein empfangen, dann gingen sie zusammen zu Malve.

155 Sie lag fröhlich da, das elektrische Licht, das durch eine flache Alabasterschale fiel, wie eine matte Wintersonne über sich. Vor ihrem Bett saß die Dogge Palle, die starke Schnauze auf die seidene Decke gelegt. Malve hatte einen Handspiegel mit silbernem Rande in der Hand, fing mit der geschliffenen Fläche den Lichtschein der Ampel auf und ließ ihn in kindischem Spiel über das Gesicht des Hundes gehen. Der wendete den Kopf und schnappte nach dem Schein.

Holger war geärgert, wie immer, wenn er dem Hunde begegnete.

»Nehmen Sie sich in acht, er wird auch nach Ihnen schnappen, Fräulein Malve. Diesen Tieren ist nie zu trauen, und besonders nicht, wenn sie alt werden.«

»Oh, mir tut kein Tier etwas – und nun gar Palle! Wir sind so gut Freund«, lachte Malve, während Astrid Palles erprobte Gutmütigkeit betonte.

»Gemütlicher macht er Ihre Häuslichkeit gewiß nicht, an der sonst nichts auszusetzen ist. Jedesmal muß ich mich zusammennehmen, um dem Köter nicht einen Fußtritt zu geben«, grollte Asmussen weiter.

»Nun, so wird mir nichts anderes übrigbleiben, als ihn zu erschießen. Nicht wahr, mein guter Palle, du stirbst doch willig, wenn es gilt, Holger Asmussen einen Gefallen zu tun?«

Sie kraute dem Hunde die Stirn, war ein bißchen geärgert, daß Asmussen so gar nichts tat, um seiner Abneigung Herr zu werden.

156 »Wirklich? Ich muß gestehen, ich glaube nicht so recht an die Opfer, die man vorher bespricht.«

Astrid hatte den Hund beim Halsband gefaßt und durch die Tür abgeschoben.

»Habe ich Ihnen nicht die drei anderen geopfert? Habe ich nicht das Opfer gebracht, den »Rebellen« unter dem Namen meines Gatten gehen zu lassen? Was wollen Sie denn noch mehr? Soll ich Ihnen etwa praktisch H. C. Andersens Märchen zu der »Mutter« illustrieren: Zuerst mir das Haar abschneiden, dann die Augen hergeben und blind weiterleben?«

Andersens Märchen von der »Mutter« gehörte zum eisernen Bestand in Holger Asmussens Vorträgen. Es war das Stück, das ihm sicher den rauschendsten Beifall brachte und das er deshalb stets für den Schluß des Abends aufsparte. Es schien ihm wie eine Entweihung, daß Astrid daran rührte – und noch dazu in Verbindung mit der verhaßten Dogge. Ein Mißton schwang zwischen beiden, wie seit langem nicht mehr.

Er setzte sich an das Bett, nahm die Hand des Mädchens: »Nun, wie schmeckt uns das Stilliegen, Fräulein Malve?«

»Es gibt nichts Schöneres, als so ein bißchen krank sein, das heißt nicht krank, nur matt und immer müde, und sich dann so recht pflegen zu lassen. Sie glauben nicht, wie Tante Astrid mich verwöhnt. Alle Ihre 157 guten Schokoladen soll ich Ihnen aufessen. Bald werde ich dick und ungeschickt wie ein Mehlsack sein.«

Lächelnd verfolgte Asmussen die feinen Linien des schmächtigen Körperchens, die sich unter der dünnen Decke abzeichneten.

»Damit hat's noch gute Weile, Fräulein Malve. Aber langweilen werden Sie sich mitunter wohl sehr?«

»Langweilen? O nein, ich langweile mich gar nicht. Es ist gar so schön, so ganz still zu liegen und das Rosenmuster auf der Tapete zu verfolgen, diese ganz offenen Blüten und dann alle die Knospen, die sich darum scharen, wie die Küchlein um die Henne. Und wenn ich dann durchs Fenster sehe, all den Schnee da draußen, dann freue ich mich doppelt, daß ich es hier so gut habe in meinem »Rosengarten« und nicht den albernen »Knaben« zu tanzen brauche. Und sehen Sie nur mal, was es draußen alles zu sehen gibt, wenn man zu sehen versteht. Sehen Sie den Tannenzweig da rechts?«

Sie drückte sanft gegen seinen Arm, daß er sich zum Fenster wenden mußte.

»Sieht er nicht aus wie eine große täppische Hand im Handschuh von weißem Schafsfell, wie ihn die Bauern in den Bergen tragen? Man fürchtet sich, daß sie nach einem greifen könnte. Wenn dann aber die Sonne daran leckt, so wird das Ungetüm gleich ganz manierlich, schlank und elegant wie eine Hand im 158 Ballhandschuh. Und dort, der dicke Schneekloß, ein bißchen höher, der ist ein Gesicht. Sie können deutlich die Nase und die Augen unterscheiden, und die wollige Pudelmütze über der niedrigen Stirn. Da stelle ich mir vor, was hinter diesem Schädel vorgeht, was dieser Kopf wohl denken mag. Sehe ich ihn mit ganz offenen Augen an, so guckt er mich grimmig an, als wolle er mir eins auswischen; wenn ich dann aber den Kopf zur Seite lege und die Augen halb zumache, so schaut er zärtlich und lächelt. Ich bin überzeugt, daß er in mich verliebt ist, dieser dumme, rumpflose Kopf. Und dann –«

»Nun, und dann?«

»Dann kommt Tante Astrid und zwingt mich, eine herrliche Tasse Fleischbrühe zu trinken. Danach habe ich dann meine Sprechstunde mit den Vögeln draußen. Da sind die Sperlinge, die Gassenjungen, die mit allem zufrieden sind, was man ihnen auf den Fenstersims streut, und die nie genug kriegen können. Da sind die Meisen schon vornehmer; die bestehen auf ihrer Speckschwarte, und Karin bewilligt sie ihnen, jeden zweiten Tag eine frische. Die eine Meise kennt mich – jeden Tag nach der Mahlzeit steigt sie auf den Zweig da und bringt mir ein Dankesständchen. Und im Handumdrehen ist wieder eine Stunde vorüber und nun ist's Karin in weißer Schürze, die mir ein Kaviarbrötchen bringt. Und dann denke ich, wie unverschämt es von mir ist, daß ich nicht allein mich 159 selbst hier ernähren lasse, sondern noch meinen Gästen da draußen den Tisch decken lasse.«

Mit einem Male hatte sie nasse Augen, griff nach einer Kleiderfalte von Astrid, die an der anderen Seite des Bettes stand, zog Astrid zu sich hernieder, warf ihr die Arme um den Hals und küßte sie stürmisch.

»Ich bin so glücklich, daß ich jemanden habe, den ich liebhaben darf.«

Es klopfte. Astrid machte sich aus Malves Armen frei; die legte sich wieder in den Kissen zurecht, ordnete an ihrem Haar.

»Nun, Anton, was gibt's denn schon wieder?« fragte Astrid ein bißchen ungnädig. Sie kämpfte mit einer Gereiztheit, die Malve galt, sich aber gegen den Diener entlud.

»Sie wissen doch, daß ich jetzt keine Besuche annehme.« Ohne sie recht anzusehen, warf sie die Karte auf das Brettchen zurück.

»Verzeihung, Frau Staatsrätin, der Herr bittet nur um fünf Minuten. Er ist eigens deshalb herausgekommen.«

»Das müssen sie doch alle. Wie sieht er aus? Alt? Jung? Elegant oder schäbig?«

»Es ist ein sehr alter und einfacher Mann, wohl schon über die Siebzig.«

Da siegte Astrids Gutmütigkeit über ein dunkles Bedenken. Sie ging mit Anton hinaus.

160 Als sich die Tür geschlossen, sah Asmussen Malve an, sie ihn.

Eine schwere Pause stand zwischen beiden.

Niemals hatte Holger deutlicher empfunden, daß Astrid ihn umwarb, auf ihn eifersüchtig war, und ein starker Zug seiner Natur drängte ihn von der Leidenschaft der reifen Frau fort zu dieser unberührten Jugend, die noch nichts von der Liebe wußte.

»Malve, süße Geisha, kleine heilige Priesterin aus dem Blumentempel«, sagte er zärtlich und küßte sie.

Malve nahm diesen ersten Kuß hin mit zitternden Lippen, blaß werdend, als wenn sie auslösche.

»Nicht – nicht – Sie dürfen das nicht«, hauchte sie. Aber sie ließ sich weiter küssen. Ihre Arme lagen gestreckt zu beiden Seiten des Körpers, als ob sie sich nicht bewegen könnten.

»Geliebte Malve – du wolltest doch jemand haben, den du liebhaben könntest?«

Da richtete sie sich in den Kissen halb auf, indem sie beide Arme aufstemmte, und hielt ihm den Mund hin. Und der alternde Mann küßte ihn mit jugendlicher Inbrunst, seine grauen Locken vermischten sich mit ihren dunklen.

Ein Geräusch im Flur warnte Holger. Er ließ Malve los und saß auf seinem Stuhl sehr gerade.

Gleich darauf trat Astrid ein, laut, froh, strahlend, wie immer, wenn sie eine gute Tat hinter sich hatte.

»Einer von der Zunft, wenigstens behauptet er es, 161 ein kümmerliches, altes Herrchen. Mit zwei Minuten Zeit und einem Zwanzig-Kronen-Schein war's abgemacht. Nun ist er wieder fröhlich abgeschwommen«, sagte sie. Und dann, als sie Malve blaß, wie leblos daliegen sah, in plötzlich wiederaufspringendem Mißtrauen: »Nun bist du abgespannt. Das hätte ich dir voraussagen können, als du so unruhig sprachest. Du weißt doch, daß der Doktor Ruhe für dich verlangt.«

»Es ist meine Schuld, ich hätte sie unterbrechen sollen«, antwortete Asmussen an ihrer Stelle. Auch er war so verstört, daß es Astrid auffallen mußte, und so beugte er lieber selbst vor.

»Ich brauchte gerade eine solche leichte Ablenkung. Sie ist das beste Gegengift gegen allerlei kleine Widerwärtigkeiten des Lebens.«

»Ach – ich dachte, Sie ständen mit Ihrer Lebensauffassung ganz darüber.«

»Vielleicht über einem großen Unglück, aber nicht über den winzigen alltäglichen Ärgernissen. Ich bin gezwungen, mir eine andere Wohnung zu suchen. Sie mit Ihrer raschen Art werden natürlich über dieses Nationalunglück lachen, mir bedeutet es eine lange Zeit der Ungemütlichkeit. Ich bin so schwer von Entschluß, glaube, auf mich selbst viel Rücksichten nehmen zu müssen. Meine Geräuschempfindlichkeit, meine Angst vor jedem Zwang –«

»Kommen Sie zu mir, als mein Gast, solange es 162 Ihnen gefällt. Hier finden Sie alles, was Sie brauchen«, rief Astrid ungestüm, aufdringlich.

Ihr war zu Sinne, als wenn ein goldenes Tor vor ihr aufspränge. Die Aufgabe seiner Wohnung bedeutete soviel wie einen vollkommenen Bruch mit den Alminds, mit Finna. Astrid zweifelte keinen Augenblick daran, daß bei Finna der wahre Grund lag. Hatte Holger erst eine andere Wohnung genommen – und Astrid sah sie schon am entgegengesetzten Ende der Stadt –, so war er für immer aus den Banden der »Schlange« entschlüpft. Daß sie ihn dann ganz für sich gewann, konnte nur eine Frage der Zeit sein – vermutlich mit dem Ende des Trauerjahres.

»Nun, was sagen Sie zu meinem Vorschlag?«

»Daß Sie zu jung sind, um ihn wagen zu dürfen. In zwanzig Jahren wollen wir darauf zurückkommen«, erwiderte Asmussen und schämte sich der plumpen Schmeichelei. »Wenn eine Frau unvorsichtig ist, haben wir die Pflicht, klüger zu sein als sie.«

Astrid verwünschte diese Klugheit und die zwanzig Jahre wollten ihr wenig gefallen. Jedoch war sie zu klug, um im Augenblick davon abhandeln zu wollen.

»Es war ein Scherz«, sagte sie leichthin. »Ich selbst weiß ja nicht, wie lange ich hier seßhaft bleibe, ob nicht plötzlich wieder einmal die alte Reiselust über mich kommt. Nach meinem Bruder in der Heide hätte ich mich längst schon umsehen müssen. – Wie, Sie wollen schon gehen? So plötzlich?«

163 Asmussen war aufgestanden und sprach allerlei von dringenden Arbeiten. Dann ging er, ohne Malve nur die Hand zu reichen.

Er schämte sich – fast zum ersten Male. Er war es gewöhnt, Küsse zu nehmen, wie man im Vorübergehen reife Himbeeren von den Hecken pflückt, ohne jedes Bedenken, voll Freude über den kurzen, süßen Nachgeschmack. Als nach einer üppig genossenen Jugend, nach dem Tasten von einem künstlerischen Beruf zum andern, nach langen Reisen, die sein Vermögen aufgezehrt hatten, sein Weg mit dem Finna Alminds zusammengegangen war, hatte er sich das Wort gegeben, ihr Treue zu halten. Treue nicht in dem Sinne, daß er gut bürgerlich auf jede Liebesfreude verzichtet hätte, die nicht von ihr kam, aber doch mit dem starken Gefühl einer Verpflichtung, sie niemals ganz im Stich zu lassen.

Unter den vielen, die sich an ihn herangedrängt, hatte er sparsam die ausgezeichnet, die seinem ästhetischen Bedürfnis am meisten boten; die ihm keine Verpflichtung und keine Reue auferlegten. Es würde ihm nichts ausgemacht haben, Malve an jedem anderen Orte der Welt für sich zu nehmen – jene Küsse in dem Hause der Frau, von der er plötzlich mit tödlicher Sicherheit wußte, daß sie ihn liebte, erschienen ihm als einen Bruch des Gastrechts, als eine unehrliche Tat, deren er sich schämen mußte.

Er liebte Astrid Börgesen nicht, aber er hätte sich 164 recht gut ein Leben an ihrer Seite, in dem reichen, weitläufigen Besitz, wo einer dem anderen nicht zur Last zu sein brauchte, erhaben über jeder häßlichen Not des Lebens, denken können.

Nun aber stand in Finnas Leben eine Veränderung bevor, die ihn nur noch fester an sie schließen mußte.

Am liebsten hätte er zwischen Astrid und sich reinen Tisch gemacht. Seine Ehrenhaftigkeit drängte ihn dazu, aber seine unsicheren materiellen Verhältnisse, die sich noch verschärfen würden, wenn Finnas ganzes Dasein erst mit auf ihm lastete, verpflichteten ihn zu einer Geschäftsklugheit, die ihn wiederum an Astrid band und unter der er schmerzlich litt. Sie durch eine leichte Liebesspielerei zu versöhnen, der Geschäftsverbindung dadurch den Stachel zu nehmen – dafür war sie ihm zu schade.

Wenigstens schränkte er nun seine Besuche in der Börgesen-Villa möglichst ein, kam nur noch zu den einmal festgesetzten Unterrichtsstunden, und war über diese hinaus nie zu halten. Er hatte eine Wohnung gefunden und bereitete mit der dem verwöhnten Junggesellen eigenen Umständlichkeit die Übersiedlung vor.

Astrid und Malve waren gleichermaßen unzufrieden und unruhig. Beide horchten auf die Klingel, auf Telephon und Briefträger und wurden rot, wenn sie sich gegenseitig dabei ertappten. Dabei glaubte eine vor der anderen ihr Geheimnis völlig gewahrt.

Malve meinte, diese dumme Liegekur nicht mehr 165 ertragen zu können, sie mache sie nur kränker, und sie wagte hinter Astrids Rücken Aufstehversuche, worauf Astrid sie wieder energisch ins Bett steckte. Schließlich behauptete Astrid, mit einem eigenwilligen Geschöpfchen, das gegen alle Vernunft handele, nicht länger allein fertig werden zu können, und bat Lily Jordan zu sich heraus, ein Selbstbetrug, den sie kaum vor sich selbst zu beschönigen versuchte, denn sie wußte recht gut, daß nur ihre eigene Herzensruhe es war, die nach der Freundin verlangte.

Lily Jordan erschien denn auch umgehend in einem neuen Kostüm, das der verfrühte Vorbote der Frühjahrsmode war.

Astrid mußte ihr die ganze Villa zeigen; sie fand alles über jedes Erwarten großartig, herrlich und »feudal«, und wenn Astrid sie nicht an Malve erinnert hätte, würde sie sich schwerlich auf den Zweck ihres Besuches besonnen haben.

»Was muß ich hören? – Selbst einer so hervorragenden Persönlichkeit wie der Frau Professor Börgesen gegenüber leistet das unartige Kind Widerstand? Verleugnet alle meine Erziehungskünste? Laß dich mal ansehen. – Prachtvoll siehst du aus, förmlich aufgeblüht –, da muß sich die Mama zusammennehmen, damit du sie nicht ganz in den Schatten stellst. Sag', Astrid, ist sie wenigstens sonst nett gewesen?«

»Immer. Sie hat so etwas Reines, Vorfrühlinghaftes, wie der keusche Duft der Schlehdornhecken«, 166 sagte Astrid und nickte Malve zärtlich zu. Es lag eine ernste Mahnung in ihrem Ton.

»Das freut mich, daß sie dir gefällt. Hoffentlich wird sie dir nicht lästig. Ich könnte mir keinen Ort denken, wo sie besser aufgehoben wäre, als bei dir, da es einstweilen nun doch nichts mit dem Ballett zu sein scheint. Weißt du, ich werde sie dir vermachen, wenn ich mal sterben sollte.«

»Nun, dazu scheint einstweilen keine Aussicht, du bist ja das Leben selbst, sozusagen das Über-Leben, das Leben in gesteigerter Form.«

»Will ich auch sein, denn nur so verlohnt's. Aber nun wollen wir die Kleine nicht weiter aufregen, du sagst ja, daß der Arzt Ruhe für das wichtigste hält. Leb' wohl, mein Liebling, mach's gut, sei artig und laß mich nicht wieder eine Klage über dich hören, verstehst du?«

Sie küßte das Töchterchen leicht auf die Stirn, umfaßte Astrid, zog sie zur Tür, winkte von dort noch mal mit dem duftenden Handschuh, den sie während des Sprechens ausgezogen hatte, und sah noch, wie Malve sich erlöst wieder in den Kissen zurechtlegte. Der ganze Krankenbesuch hatte keine fünf Minuten gedauert.

Astrid hatte ein Mahl herrichten lassen, das Lilys Beifall fand. Ein guter alter Rheinwein, den Malthe Börgesen noch gekauft, duftete aus den Gläsern.

Lily trank ihn langsam mit Kennermiene.

167 »Der Wein ist doch die Marke des ganzen Haushaltes, dieser ist aber prima. Wie lieb von dir, daß du mich mit dem dummen Sekt verschont hast, man trinkt ihn sich über, wenn man ihn alle Tage kriegt.«

»Neulich sagtest du mal, er sei das einzige, was den Geist frisch erhalte.«

»Den Geist! Sie wollen ja keinen Geist. Glaube nur, es ist ganz verfehlt, wenn wir uns für sie ins Zeug legen. Wenn ich im passenden Augenblick meinen Rassefuß vorschnellen lasse, erreiche ich damit mehr, als mit irgendeinem geistreichen Witzwort. Weißt du, es herrscht eine Art von Brotneid zwischen den Geschlechtern. Wir mögen ja auch die »schönen Männer« nicht, weil wir allein schön sein wollen. Sie aber mögen die geistreichen Frauen nicht, weil sie sich damit auf ihrem eigensten Gebiet geschlagen fühlen.«

»Einzelne vielleicht. Gerade deine Freunde. Aber doch nicht alle. Nein, ganz gewiß nicht alle.« Astrids Stimme klang zuversichtlich, als wenn sie sich selbst Mut zusprechen wolle.

»Alle, ohne Ausnahme. Dein heiliger Antonius mit einbegriffen. Mache die Probe darauf. Du bist doch keine üble Frau, und jetzt am wenigsten, da du anfängst ›schick‹ zu werden. Versuche es.«

Da übermannte es Astrid, die zwar fortwährend von Asmussen gesprochen, aber nie gegen jemand ihr Herz erleichtert hatte.

»Ich fürchte, ich liebe ihn. Da ist man waffenlos«, 168 hauchte sie und schlug in tiefer Beschämung die Hände vors Gesicht.

Lily sah zwischen den Fingern hindurch, wie rot sie geworden war.

»Freilich. Aber so was muß man nicht tun. Was sagte ich dir: Damit räumen wir den andern nur das Recht ein, uns leiden zu machen.«

»Es ist so spät über mich gekommen. Dagegen ist nun nichts zu tun.«

»Dagegen ist zweierlei zu tun. Entweder man verzichtet, bescheidet sich. Möchtest du das, Astrid?«

»Auf keinen Fall. Das ginge mir ans Leben.«

»Oder man gewinnt sich den Mann, gewinnt sich ihn rücksichtslos, mit allen Mitteln. Gewinnt ihn sich, indem man über Leichen geht, jedenfalls über die Frau, die einem im Wege steht.«

»Was weißt du denn von dieser Frau?«

»Kindchen! Das, was alle wissen. Unsere famose Hauptstadt ist ein Dorf. Einer sieht dem anderen in die Tasche und ins Herz. Ich werde doch Finna Almind kennen.«

»Wirklich? daran habe ich nicht gedacht. Sie ist ein armes verbrauchtes Geschöpf; wie ich glaube, hat sie die Schwindsucht. Er gibt auch jetzt die Wohnung bei ihr auf.«

»Sie war nicht immer alt, sondern ein rassiges Weib mit stärkstem Temperament. Sie ist mir früher schon mal über den Weg gelaufen. Und daß Asmussen 169 die Wohnung bei den Alminds aufgibt – na, Astrid, ich weiß nicht, ob ich dir dazu gerade gratulieren soll.«

»Nun wird er doch endlich von der ›Schlange‹ frei!«

»Das ist sehr die Frage. Vielleicht schlingt sie nun ihre Ringe so fest um ihn, daß es gar kein Entrinnen gibt. Es heißt, daß Almind sich von ihr trennen will, weil er bei dem Tode des »Neffen« hinter gewisse Beziehungen gekommen ist.«

»Das ist nicht wahr, daran glaube ich nun und nimmer!« rief Astrid triumphierend, und faßte nach ihrer Brust, wo Holgers Amulett sich bei ihren Atemzügen leise bewegte. »Mag er sich immerhin von ihr trennen oder sich von ihr scheiden lassen – meinetwegen. Verdenken kann man's ihm ja nicht. Mit Asmussen hat das nichts zu tun, dafür verbürge ich mich.«

»Du mußt es ja wissen. Ich traue keinem Mann. Und wenn ich du wäre und mit Holger, dem Schönen, diesen Götzendienst triebe, so wüßte ich schon, was ich täte.«

»Und das wäre?«

»Auf Reisen ginge ich mit ihm, wo die ›Schlange‹ nicht mitkönnte. Denk doch nur, solch neuer Hintergrund für dich: Italien, Ägypten –, Bergwälder, Myrtenhaine, Luxushotels, entzückende Ausflüge im Wagen oder auf dem Rücken eines Dromedars – leichte Kleider, Sonnenschleier – wäre ich du, ich führe gleich zur Stadt zu Lindtners Reisebüro.«

170 »Malthe würde sich in seinem Bleisarg umdrehen.«

»Gönne ihm doch das bißchen Bewegung. Ach, ich beneide dich schon im voraus. Jetzt sind's fast schon zwei Jahre, daß ich nicht gereist bin. Aber wer weiß, was kommt. Höre, ich habe da jetzt« – und sie schob den Obstteller mit dem kleinen Perlmutterbesteck und der aufgebrochenen Mandarine zurück, rückte näher an Astrid und erzählte ihr von ihrer neuesten Freundschaft. Er fabrizierte Pneumatiks, war sehr reich und lag mit seiner Frau schon seit anderthalb Jahren in Scheidung. Es war möglich, daß sich mit der Zeit etwas Ehrbares daraus entwickeln könne – aber vorzeitig mit ihren anderen Freunden brechen wolle sie natürlich nicht.

Astrid schauderte. Je mehr ihre eigene Leidenschaft für Holger sich vertiefte, um so energischer war sie grundsätzlich gegen jegliche Abirrung.

»Und das macht dich nun wirklich glücklich?« fragte sie wieder, schon zum zweiten Male.

Lilys Gesicht verschattete sich. Für einen Augenblick sah sie älter aus als Astrid.

»Einer ist wie der andere. Der gute Homer hatte nicht so unrecht, wenn er Kirke die Gefährten des Odysseus gerade in Schweine verwandeln ließ«, sagte sie. »Es liegt eine ganz böse Symbolik in dieser Mythe.«

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