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Ein deutscher Dichter, einer von denen, die man kennen muß – wenigstens wenn man zu der Berliner Gesellschaft gehört. Ohne Kampf, ja ohne besondere Mühe ist er mit einemmale nach oben gekommen, und nun steht er da: Ihr kennt mich, ihr müßt von mir wissen.
Schon die ersten Gedichte Alfred Beyers, die verstreut in verschiedenen Zeitschriften moderner Richtung erschienen waren, hatten auf ihn aufmerksam gemacht. Stoffe, die gleichsam auf der Straße lagen, waren hier aufgegriffen und dichterisch ausgemünzt worden. Der junge Dichter verstand es, aus seinen Motiven etwas zu machen, sie in eine Stimmung voller Tragik, in einen düsteren Zauber des Wortes zu hüllen. Diese schweren Rhythmen hafteten im Ohr, man wurde sie nicht wieder los, mitten im Geräusch des Alltags klangen sie an wie schwermütige Glockenklänge.
Eine vornehme Verlagshandlung hatte die Gedichte Beyer-Waldaus – seine aufsteigende 96 Berühmtheit machte jetzt einen Doppelnamen an Stelle des etwas farblosen »Beyer« notwendig – erworben, obgleich sie wie die Faust aufs Auge in die sonstige Richtung des Verlags paßten. Die »Lieder eines Verkommenen« wurden in allen Zeitungen, die etwas bedeuteten, glänzend besprochen, und der Dichter gehörte für die Dauer einer Saison zu jenen, mit denen man seinen Salon aufputzt, die man als »unser Dichter« vorstellt.
Dem ersten Bändchen war kein zweites gefolgt, die Chance verpaßt, die aus der Tagesberühmtheit eine dauernde hätte machen können, und auch das beträchtliche Honorar, das die erste Auflage gebracht, schien durch des Verfassers Tasche wie durch ein Sieb geronnen zu sein. Ein wenig verlor des Dichters Name schon an Glanz, und damit sank auch sein gesellschaftliches Begehrtsein. Die tonangebenden Salons traten ihn an jene zweiten und dritten, und noch tieferen Ranges ab. In letzter Zeit hatte er zudem noch angefangen zu kränkeln. – –
Es ging von ihm die Sage wilder und abenteuerlicher Zigeunerfahrten, er sollte sich nach Paris durchgebettelt, in Ungarn die Nächte unter freiem Himmel verbracht und jeder Ausschweifung im Schoße gelegen haben. Er that weder etwas, um diesen Legendenkreis zu verstärken, noch um ihn aufzuhellen, aber er ließ ihn sich gern gefallen, denn er gab ihm Relief, sowohl in den Salons der Finanzaristokratie, wie in seiner späteren Dürftigkeit.
97 In der Parterrewohnung eines Hinterhauses im Südwesten hatte Beyer-Waldau schon seit längerer Zeit ein möbliertes Zimmer inne, eines jener Logis niedrigster Art, bei denen allerhand ausrangierter Hausrat das Mobiliar ergiebt, bei denen die Farbe der Tapeten durch Schmutz unkenntlich geworden ist, der Fußboden nur noch Reste von Farbe aufweist. Beständig hallten die Schritte der Aus- und Eingehenden auf dem Hofpflaster, glitten die Gestalten verdunkelnd an dem ungeputzten, von einem zerschlissenen Gardinenrest verschleierten Fenstern vorüber. Die Frauen hielten hier wortreich ihren Klatsch ab, und die zahlreichen Kinder des Hinterhauses balgten sich und gröhlten.
Es war eine Umgebung von so gänzlich poesieloser, banaler Dürftigkeit, daß dagegen das »Leben und Sterben in der Gosse«, wie Beyer-Waldau es in den »Liedern eines Verkommenen« geschildert hatte, zum wenigsten noch den Reiz des tragischen Elends hatte.
Anfangs, als des Schriftstellers sinkende Verhältnisse dieses Niedersteigen notwendig machten, war ihm das Milieu auf die Nerven gefallen; sein ästhetisches Empfinden hatte sich ein Weilchen gegen den Schmutz und die Häßlichkeit aufgebäumt – dann hatte er sich gewöhnt. Verhältnismäßig hatte er es ja noch gut. Seine Wirtin quälte ihn weder mit Aufräumen, noch mit fruchtlosen Versuchen, die Defekte des Sofaüberzuges mit gehäkelten Schutzdecken 98 zu verhüllen, sie besserte seine Röcke und Beinkleider aus, so weit das überhaupt noch möglich war, sie stundete ihm monatelang die Miete, ja sie half ihm mit kaltem Abendbrot aus, ohne es zu berechnen, wenn es um seine Kasse gerade einmal allzu übel bestellt war.
An die Fensterscheibe drückte es sich verdunkelnd, ein großer farbiger Fleck. Ein breitausladender Hut mit rotvioletten Bandschleifen, und darunter ein rosiges Gesicht, und dabei trommelte eine kräftige Hand an die Scheiben: »Schon aus den Federn, Langschläfer? darf man kommen?«
Ohne eine Antwort abgewartet zu haben, stand das Mädchen im nächsten Augenblick in der Stube, dessen Bewohner auf dem kurzen Sofa lag, die Füße über die eine Lehne herniederbaumelnd.
»'n Morgen, Alfred – na – in schweren Dichterträumen?«
»Inspirationen, natürlich«, versetzte er gallig, »du weißt es doch, wenn die Muse einmal ihre Küsse spendet, so heißt es still halten.«
Das Mädchen sah sich im Zimmer um, und begann, im angeborenen hausfrauenhaften Gefühl, Ordnung zu schaffen. Sie war ein hübsches Geschöpf, in der Mitte der Zwanziger stehend, groß und stattlich gewachsen, aber mit einer vorzeitigen Anlage zur Korpulenz, die die Hüften weit über die moderne Schönheitslinie hinaus in die Breite gedehnt, und am Halse ein recht behagliches Unterkinn angesetzt 99 hatte. Von diesem Ueberfluß abgesehen, war das Gesichtchen allerliebst in seinem regelmäßigen Schnitt, mit dem im Amorsbogen geschwungenen Munde und den Lachfältchen um die Augen, die nur auf die Veranlassung zu lauern schienen, um sich im bewegten Spiel noch mehr zu vertiefen. Sie trug ein anliegendes, offenbar schon früher, in Zeiten größerer Schlankheit angeschafftes Jackett, das sich in der Taille nur widerwillig schloß, ein enges schwarzes Röckchen und ehemals braune Sommerschuhe, die, nachdem sie ihre Frische eingebüßt, schwarz überwichst worden waren, wobei hier und da noch der braune Bronceton durchleuchtete.
Trude Knorr hatte früher in einer großen Modezeitung die gut honorierte Stellung eines Modells inne gehabt, die Wunderwerke Berliner und Pariser Schneiderkunst waren über ihrer damals noch so vornehmen schlanken Gestalt photographiert, oder durch die Künstlerinnen der Redaktion aquarelliert worden. Aus dieser Zeit war ihr noch die weltdamenhafte Haltung, das effektvolle Posieren zurückgeblieben.
Später war sie dann vorübergehend als Empfangsdame in einem photographischen Atelier, als Buchhalterin in der Fabrik eines neuen Klebemittels, als Korrektorin in einer kleinen Zeitung, die bald wieder einging, thätig gewesen. Jetzt war sie bei einer Hausfrauenzeitung mittleren Ranges angestellt als »Mädchen für alles«, wie sie sagte, für alle jene untergeordneten kleinen Arbeiten, für die die 100 beiden Redaktionsdamen sich zu vornehm dünkten. Mit Alfred Beyer war sie vor ein paar Jahren, als beide noch bessere Zeiten sahen, in der Pension, in der sie beide wohnten, bekannt geworden; es hatte sich zwischen ihnen ein Verhältnis entwickelt, das man als eine »Verlobung« bezeichnet haben würde, wenn die geringste Aussicht auf eine endliche Heirat vorhanden gewesen wäre, das aber bei beider Mittellosigkeit in der Luft schwebte. Mit dem Niedergang ihrer Verhältnisse hatten sich auch ihre Schicklichkeitsbegriffe gemodelt. Noch vor zwei Jahren würde ihr damenhaftes Gefühl sich dagegen gesträubt haben, die Wohnung eines Herrn zu betreten – jetzt besuchte sie Beyer-Waldau, so häufig es sich einrichten ließ, und ohne das geringste darin zu finden. Es machte ihr Spaß, hier ein bischen die Hausfrau zu spielen – ein Surrogat für das, was ihr versagt war, und worauf doch ihre eigentliche Natur sie hinwies. So lange es etwas zu teilen gab, hatten die beiden sich redlich ausgeholfen, in der letzten Zeit war dies nur noch Trude zuteil gefallen. Einmal, als dem Freunde gerade das Wasser bis zur Kehle gestiegen war, hatte sie für ihn ihren Silberschatz versetzt, ein paar Kannen und Kuchenteller, die aus dem Nachlaß ihrer Mutter, der Tochter eines leidlich wohlhabenden Kaufmanns stammten.
Trude hatte, im Zimmer umhergehend, notdürftig aufgeräumt, wobei sie beständig plauderte. Jetzt nahm sie von einem Stuhl einen schwarzen 101 Tuchrock und begann einen Fleck mit Benzin auszureiben; schon für frühere Fälle hatte sie das Fläschchen hier deponiert.
»Du, Kerlchen, lange macht der's aber nicht mehr, das sage ich dir. Ich reibe mir die Hände lahm, aber der Speckglanz bleibt.«
Beyer-Waldau sprang vom Sofa auf und zertrat seinen Cigarrenrest auf dem Teppichfetzen unter dem Tische. »Er macht's nicht lange mehr? Mädchen, weißt du auch, was du damit sagst? Mit diesem schwarzen Rocke nimmst du mir mein Betriebskapital, meine Sättigung. So lange dieses Festgewand noch in den Nähten zusammenhängt, so lange kann ich doch die Welt noch an mich erinnern, mich an fremden Tischen doch wenigstens einmal kostenlos durchessen. Nimm mir diesen Rock, und der große Dichter Beyer-Waldau hat aufgehört zu existieren!«
Trude lachte. »Du bist verdreht!« sagte sie. »Und uninteressiert dazu. Nicht mal, daß du fragst, wo ich in dieser frühen Morgenstunde, so um zwölfe herum, herkomme. Mitten in der Redaktionszeit.«
»Na, da wirst du den zwei alten Schrauben da irgend etwas vorgeschwindelt haben?«
»Nein. In amtlicher Mission. Denk dir, ich soll in einem Geschäft Wirtschaftsgegenstände aussuchen, für die Veröffentlichung in unserer Zeitung! Ist das nicht zum Schießen! Stell dir das doch nur vor, ich und Wirtschaftsgeräte! Das ist doch wie ein Elefant, der Seil tanzt, oder ein Igel als 102 Taschentuch. Na, ich habe ihnen denn einen Eierkocher ausgesucht, bei dem das gekochte Ei ›selbstthätig‹ aus dem Wasser steigt – es wäre ein diebischer Spaß, wenn's den beiden Alten an die Nase flöge!« Sie lachte, daß sie sich schüttelte und warf sich dabei aufs Sofa. So burschikos auch ihr ganzes Wesen war, ein Rest von berechneter Grazie wirkte mildernd.
Beyer-Waldau lachte mit, aber es kam nicht natürlich heraus. »Du, ich finde es unvorsichtig, daß du so lange aus der Redaktion fortbleibst; daß dieser garstige Eierkocher dich nicht stundenlang in Anspruch genommen haben kann, werden sich die beiden Chefinnen ausrechnen. Denk doch an deine Stellung.«
Zur Antwort nahm Trude den Hut vom Kopfe, knöpfte ihr Jackett zur Hälfte auf und sah den andern herausfordernd an. »Damit wird's so wie so bald ein Ende haben. Jede Wette: in spätestens fünf Wochen bin ich Freifräulein, ich habe monatliche Kündigung.«
»Aber Mädel, Mädel, was soll dann aus dir werden?«
»Weiß ich's? – –« Sie zuckte trotzig mit den Achseln, dann streckte sie die Hand aus, zog den Freund zu sich aufs Sofa und wühlte ihren Blondkopf an seinem Halse fest, daß die kühne Sezessionswelle ihres Haares sich auf ihre und seine Wange legte.
103 »Alfred – hübsch ist die Sache nicht, natürlich steckt der Alte dahinter – aber nicht böse werden, Alfred. Daß bei mir nichts zu holen ist, hatte ich ihm ja deutlich genug gesagt, und er scheint's auch verstanden zu haben, so'n alter halbjähriger Ehekrüppel, dem der Kopf durch die Haare gewachsen ist! Na, seit ein paar Tagen fing dann die Geschichte von Neuem an, immer wollte er Privatkonferenzen mit mir haben – als wenn ich seine dumme Zeitung allein machte, und gestern wurde er frech, der Herr Chef.«
»Er wurde frech?«
»Mächtig frech. Denke dir, er wollte mir eins von den fertigen ›Lagerkleidern‹ von Rosenthal schenken – herausfordernd schäbig sehe ich ja wirklich aus – und als ich nicht wollte, zog er mich an sich und faselte etwas, er könne nicht ohne mich leben, worauf ich ihm dann sagte, er habe mich doch schon in seiner Junggesellenzeit gekannt, warum er dann nicht lieber mich, als die Witwe Werkmeister geheiratet habe? Ne, das war doch logisch, nicht wahr? Der Alte aber nahm's krumm – na, und nun ist's eben aus.«
Sie lachte wieder, es war das für sie die angemessenste Aeußerung ihres Temperaments, zugleich ihre Rettung in jeder Situation, die anfing, fatal zu werden.
Dann nahm sie plötzlich eine ernste Miene an und stellte sich aufrecht, die Arme hinter dem Rücken 104 verschränkt, so daß ihre üppige Figur zu vollster Geltung kam, vor dem Schriftsteller auf.
»Sieh mich an. Wie kommt es eigentlich, daß mich keiner heiratet? Ich bin doch nicht übel, ich gefalle den meisten sogar, warum will mich keiner ganz fürs Leben? Nun, ja, es ist wahr, ich habe nichts, aber andere arme Mädchen heiraten doch auch, und ich kann so mancherlei, könnte mit verdienen helfen – und dann meine ich, wenn ich einmal verheiratet wäre und wirklich für einen Mann und womöglich noch für ein paar Krabben zu sorgen hätte, so würde ich so gut und so tüchtig wie irgend eine. Ein Mann würde es bei mir gut haben – manchmal fühle ich es im Grunde meines Herzens so recht deutlich, daß ich zur Familienmutter geboren bin.«
»Das ist doch eben die allgemeine Tragödie, Kleine. Wir alle fühlen, daß wir für etwas anderes geboren sind, als für das, was das Leben uns freundlichst zuerteilt. Ein liebes Geschöpf von unverwüstlicher Gutmütigkeit bist du wirklich, und es ist schade um dich.« Er war neben sie getreten, und bog ihren Kopf zu sich hernieder, um sie zu küssen; sie überragte ihn fast um eines halben Hauptes Länge.
»Alfred, warum heiratest du mich eigentlich nicht?« Sie mußte sich einen kleinen Ruck geben, um es nun doch herauszubringen.
»Fange doch nicht wieder mit der Albernheit an. Ich dächte, hierüber hätten wir uns häufig genug ausgesprochen. Das ist ungefähr so, als wenn 105 du einem Tertianer zureden wolltest, eine Familie zu gründen«, sagte er gereizt.
»Aber ich bin auch da«, wandte sie fast schüchtern ein. »Ein bischen leiste ich doch auch, du weißt noch gar nicht, wie geschickt und vielseitig ich bin, und wenn wir erst zu zweien – – –«
»Es hat sich ja erst wieder gezeigt, von welchen Zufälligkeiten die Verwertung deiner Talente abhängt.«
»Aber, Alfred, du könntest doch auch arbeiten.«
Er lachte bitter auf, dann nahm er die Hand des Mädchens. »Sieh, Kleine, wenn du in deinem Loch von Redaktion sitzest, und zwei Druckbogen voll Korrekturen herunterrasselst, oder ein Register ausarbeitest, wie viel Kochrezepte und wie viel Häkelmuster ihr im Jahre gebracht habt, so ist das in deinem Sinne eine Arbeit. Wir sind nun aber mal verschieden: von einer Viktoria Regia, die nur einmal im Jahre ihre Wunderblüte entfaltet, kannst du nicht verlangen, daß sie wie ein gemeiner Apfelbaum so und so viele Schock rotbäckiger Früchte bringen soll. Das siehst du ein? Meine Produktion ist nun einmal nicht auf ein Arbeiten nach der Elle geaicht, sie drängt dazu, mit einemmal etwas Großes, Glühendes herauszuschleudern, das ist dann ein Talentausbruch, den man nicht alle Vierteljahre wiederholen kann – vielleicht überhaupt nicht mehr im Leben. Du sagst das so selbstverständlich hin: Du kannst ja arbeiten! – Nein, das kann ich eben nicht, 106 und wenn ich meine ganze Energie zusammennehme, um aus meinem Gehirn allerlei leichte Tagesware herauszupressen – es geht einfach nicht. Ich habe ja doch den Versuch gemacht. Meinst du denn, Kind, daß ich es nicht selbst gern möchte? Und wenn es wirklich nur wäre, um einmal ein Dutzend Austern zu essen, die ich selbst bezahlt hätte. Denke dir einmal, wie das sein müßte! Das könnte einem doch von neuem Rückgrat geben!«
Trude Knorr schüttelte den Kopf, jetzt lachte sie nicht mehr. »So bist du nun einmal«, sagte sie.
»Ja, Mädchen, so bin ich. Da es für ein ganzes Leben voll biedermännischer Moral doch nun einmal nicht reicht, nun dann wenigstens mal einen halben Tag lang aus dem Vollen. Ist diese Philosophie so dumm? Waren unsere kleinen Bachanale zu zweien nicht allerliebst? Geben sie uns nicht noch einen angenehmen Erinnerungskitzel, wenn uns das Messer an der Kehle sitzt?«
»Alfred – ist es wieder einmal so weit?«
»Wieder einmal ist gut«, lachte er auf. »Ja, es ist so weit. Ist dir das besonders überraschend?«
Da merkte er, wie Trude nach der Kleidertasche tastete, und wie ihm dann etwas längliches, hartes in die Hand gedrückt wurde. Instinktiv zog er die Hand zurück, dann nahm er es dennoch – es war ja nicht das erstemal. »Das ist echt von dir, die demnächst Freifräulein sein wird!«
»Was thut das? Aber es ist nur ein Tropfen. 107 Laß uns aber wenigstens überlegen, was werden soll. So kann das doch unmöglich weiter gehen.«
»Gut, überlegen wir also«, antwortete er ironisch, und zog das Mädchen neben sich auf den Rand des Bettes nieder. »Jetzt kommt es also wahrscheinlich wieder: Ich soll in das Bureau eines Rechtsanwalts eintreten als Schreiber, oder in eine Redaktion als Scheerenkuli. Nicht wahr, das war es doch wohl, was du mir vorschlagen wolltest?«
Ihre Augen füllten sich mit Thränen. »Nein, das schlage ich dir nicht vor, schon seit langem nicht mehr«, sagte sie leise.
»Glaub mir, es würde auch nichts helfen. Sie setzten mich an die Luft, nach zweimal vierundzwanzig Stunden sicher. Ich bin nun einmal kein Arbeitstier, das seinen Achtstundentag geduldig arbeitet. Warum bringt auch der Schuft, der Meyer, keine zweite Auflage von meinen Gedichten heraus! Es ist zum Verzweifeln!«
»Du hast doch Beziehungen – giebt es niemanden, an den du dich wenden könntest?«
»Liebe Seele, sie kennen mich nachgerade alle: mir etwas borgen, heißt etwas schenken. Wer hat dazu Lust?«
Sie saßen trübselig nebeneinander auf dem schmalen Eisenbett, das bei jeder Bewegung leise quietschte.
»Wie wäre es mit Dr. Jentsch?« schlug Trude 108 zaghaft vor. »Solchem reichen Mann kann's doch nicht drauf ankommen.«
Beyer-Waldau überlegt. »Er hat schon oft genug bluten müssen, das letztemal hat er mir überhaupt nicht mehr geantwortet. Du weißt, wie gern ich mich immer auf den Anarchisten hinausspiele: siehst du, Kleine, wäre ich nun ein Genie des Lasters, ein Verbrecher von Gottes Gnaden, so würde ich bei irgend einer passenden Gelegenheit deinen Dr. Jentsch einfach abmurksen. Da ich aber nur ein Maulheld bin, ein elender Dilettant, so begnüge ich mich, ihn anzupumpen und daneben noch zu hassen, weil er Geld hat und ich nicht.«
»Aber er steht sich jetzt so brillant«, drängte sie. »Er hat wirklich angefangen, seine neue Klinik zu bauen, ich hab's von Fräulein Ihring, der Kunststickerin, weißt du, die manchmal mit unserer Redaktion zu thun hat – ach, richtig, du kennst sie ja selbst, man findet sich bei deinen vielen Bekanntschaften nicht so leicht durch. Na, also – einem solchen Manne wird es doch nicht auf ein paar Mark ankommen!«
»Bätest du ihn darum, Trude?«
Nun lachte sie doch schon wieder durch die Thränen. »Ach, ich! Ich! Mir borgt ja doch kein Mensch einen Pfennig. Wenigstens nicht, ohne doch an eine so kleine ›Gegenleistung‹ zu denken, wie diese.«
Sie stützte sich mit den Händen auf die Bettkante und bog sich weit hinten über, so daß ihr 109 Gesicht unter das des jungen Mannes zu liegen kam. Ihre Augen lachten, ihre Lippen wölbten sich ihm entgegen. »Da!«
Er umfaßte sie und drückte ihren Oberkörper an seine Brust, daß ihr fast der Atem verging, seine Zähne schlugen sich in ihre Lippen. »Ach, Trude, was ist das ganze dumme Leben! Nehmen sollte man sich, was man haben möchte – noch einmal aus dem Vollen, und dann einen Strich darunter. – Meinetwegen ein Ende mit Schrecken. Trude, Mädchen – warum bist du nicht vernünftig?«
Seine Augen glitten über ihren Körper, er ließ sie einen Augenblick locker, und den benutzte sie, um ihre beiden Hände kräftig gegen seine Brust zu stemmen, so daß er nach hinten über taumelte. Nun stand sie vor ihm und versuchte ihr Haar zu ordnen: »Pfui, du bist brutal – du weißt es ja doch, daß das nichts für mich ist, ein für allemal nicht. – Schäme dich – –«
»Einmal kommt's dir doch, Trude, das ist dein Schicksal. Du bist die geborene Geliebte. Einen Tag bei Kempinsky Sekt und Austern, den andern zwei Aschingerbrödchen – und den dritten womöglich nichts. Es kommt dir, Trude, glaube mir's.«
Sie schüttelte den Kopf: »Ich will rechtschaffen geheiratet werden – –«
»Das wollt ihr alle – aber schließlich – –«
»Es ist besser, daß ich gehe«, sagte sie kühl, als sie ihn aber abgespannt und zusammengesunken 110 auf dem Bette sitzen sah, siegte ihre natürliche Gutherzigkeit über das Verletztsein. Sie strich ihm über die Stirn: »Adieu, mein Kerlchen – und nicht wahr, du wendest dich an Dr. Jentsch?«
»Dann kann ich es ja gleich in doppelter Weise thun, einmal als Bettler, das andere Mal als Patient«, versetzte er bitter. »Vielleicht habe ich Glück und ergebe einen interessanten Fall für die Poliklinik. Es ist mir in der letzten Zeit wahrhaftig oft genug recht schlecht zu Sinne. Daß diese plötzlichen, schießenden und brennenden Schmerzen nichts anderes als das Wehgeschrei eines gemißhandelten Magens sein sollte, der sich anstatt mit Kaviar und Rebhühnerpüree mit Bockwurst und Rotkohl behelfen muß, glaube ich denn doch nicht.«
Das junge Mädchen sah den Dichter besorgt an, aber ihrer kerngesunden Natur war jedes Nachfühlen von Krankheit unmöglich – er war ja doch auf den Füßen, er ging aus, kneipte auch wohl mal die Nacht hindurch, wenn ein guter Freund ihm ein paar Mark geliehen hatte – wie konnte er ernsthaft krank sein? Er hatte schon verschiedentlich geklagt, aber immer hatte sie es leicht genommen. »Thut es sehr weh, du Armer?« fragte sie dann leichthin.
»Zu Zeiten rasend, dann setzt es wieder auf Tage ganz aus – aber ihr Weiber glaubt ja immer nur an die Schmerzen, die ihr selbst habt.«
»Na, siehst du, wenn du manchmal gar nichts 111 davon fühlst, wird es ja wohl wieder besser werden«, warf sie begütigend hin und klopfte ihm die Wangen. »Nun aber wirklich Adieu.«
An der Thür wandte sie sich noch einmal um und lachte. »Das ist aber wirklich köstlich! Jetzt muß ich dich noch anpumpen. Gieb mir wenigstens schnell mal einen Nickel für die Elektrische – –«