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Bekenntnisse eines Scheidenden

Also, meine Lieben, es ist so weit! Schon morgen werde ich endlich erleichtert aufatmen dürfen, und schwere Lasten sinken von meinem wund gedrückten Schultern. Die Gesundheitsrücksichten, die jedem scheidenden Minister den Weg in den Ruhestand so gefällig einsäumen, werden von der höchsten Autorität im Staate morgen endgültig anerkannt werden. Ich bin Minister gewesen – Aber laßt deshalb um des Himmels willen nicht einen so mitleidigen Blick auf mir ruhen! Kranzspenden und Kondolenzbesuche werden nachdrücklichst verbeten. Denn auch die Ministerlaufbahn hat, ihr dürft es mir glauben, zwei glückliche Tage. Und den glücklicheren von beiden werde ich morgen in seiner ganzen Freudenfülle ausschlürfen.

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Bei Hieronymus Lorm habe ich einmal ein schwermütiges Gedicht gelesen, das mit den Worten endigt: »Das Leben hat einen schönen Augenblick – den letzten –« Das ist ein melodischer Seufzer, der aus der Stimmung eines einzelnen aufgeklungen ist und sich gewiß nicht verallgemeinern läßt. Aber für das Leben eines Ministers hat er seine bedingungslose Geltung, und schon das Frohgefühl der ersten Erlösungsstunde predigt mir eine weise Lehre. Erst dem Abschied von der Macht folgt das Wiedersehen mit der Unabhängigkeit.

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Wie sich nur die Menschen unfrei nennen mögen, die zu gehorchen haben! Viel unfreier sind die andern, die zu befehlen haben. Denn unsere Untergebenen sind in Wirklichkeit unsere Vorgesetzten. Die Herrschaft über diesen vielgegliederten Organismus Unterjocht uns selbst am meisten. Wenn ich erwäge, welchen Beamtenkörper ich an jedem Tage beweglich zu machen hatte – wenn ich mir das schwere Gefühl der Verantwortung bei jeder raschen Augenblicksentschließung, bei jeder dringlich geforderten Unterschrift wieder vergegenwärtige – wenn ich mich an die Verlegenheiten erinnere, die mir ein oft allzu geschäftiger Gehorsam, eine bisweilen boshafte Unterwürfigkeit bereitet haben, so möchte ich es mit einem übermütigen Jubelruf in die Welt hinausschmettern: Beglückwünscht mich alle, die ihr es gut mit mir meint, denn von morgen an habe ich nichts mehr zu sagen!

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Ich habe einen Augenblick daran gedacht, die Tatsache meines Rücktrittes allen meinen Freunden durch ein Rundschreiben anzuzeigen, das folgenden Wortlaut haben sollte: »Ich bitte ergebenst, davon Notiz zu nehmen, daß ich von morgen an nicht mehr Staatsminister bin und nunmehr in den Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte wieder eintrete –« Wäre nicht die anscheinend so paradoxe Form der Mitteilung sachlich gerechtfertigt? Und wird nicht bei der immer wachsenden Verrohung unserer politischen Kampfmittel in der Tat einem Minister jedes Recht versagt, das die gute Erziehung keinem andern Staatsbürger vorenthalten würde? Wenn ein Ministerpräsident nicht in jeder Woche wenigstens einmal im Parlament entweder ein Gauner oder ein Idiot genannt wird, so muß er falsch wie Galgenholz oder von trostloser Unbedeutendheit sein. Die parlamentarischen Waffen, die man heute für erlaubt hält, werden von Tag zu Tag noch geschärft. In Ungarn stürzt man die Ministersessel, wenn man die Minister nicht stürzen kann. An die Stelle der parlamentarischen Tätigkeit, die man vergebens wieder anstrebt, ist die parlamentarische Tätlichkeit getreten. Ja, es genügt nicht mehr, wenn man einem rebellischen Abgeordneten das Wort entzieht; man muß ihm auch den Pultdeckel entziehen, um die politische Holzhauerarbeit unmöglich zu machen, welche so oft schon die Entschließungen der Mächtigen beeinflussen durfte. Wie hat meine Selbstachtung unter den Ungezogenheiten bluten müssen, die mir aus den Reihen politischer Gegner ins Gesicht geworfen wurden! Von morgen ab wird man mir die Rücksichten nicht versagen, die der Umgangston der guten Gesellschaft zur Voraussetzung hat. Ich bin nicht mehr der Sturmbock und Kugelfang im Parteistreit. Endlich darf ich die Hornhaut abstreifen, die ich amtlich mir habe aufstülpen müssen – ich habe das schöne Menschenrecht der Empfindlichkeit wieder gewonnen.

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Zu den Freiheiten und Freuden, die ich nun wieder erobert habe, gehört auch das unvermißbarste Vergnügen aller Staatsbürger, auf die Regierung zu schimpfen! Ich habe das Recht auf Unzufriedenheit zurückerworben! So lange ich selbst regierte, durfte ich mir nur in den verschämtesten Stunden der Selbstschau, und zwar in einem der wenigen Zimmer meines Ministerhotels, die keine Ohren hatten, diese Freude gönnen. Der Widerspruchsgeist, der im menschlichen Organismus die gleiche Bedeutung hat wie die Hemmung im Uhrwerk, war bei mir jahrelang auf die schmälste Ration gesetzt. Ich durfte nur gegen die Opposition opponieren – und das ist schließlich, genau betrachtet, nur der Widerspruchsgeist in der Quadratwurzel. Von morgen ab darf ich mich wieder, wie alle andern Staatsbürger, für erheblich klüger halten als die Männer, die das Ruder führen, und ich darf meiner überlegenen Weisheit in ungefesselter Rede Ausdruck geben. Ob ich diese Freiheit benützen werde, um nach der Sitte aller aus ihrem Amt geschiedenen Staatsmänner meine Memoiren zu schreiben? Ich glaube kaum. Ohne Zweifel ist ein entlassener Minister der Berufenste, um die Geheimgeschichte des Tages festzuhalten. Nur er kennt die winzigen Motive, die hinter so vielen glänzenden Taten stehen. Nur er kennt die kleinen Sorgen, die so oft als große Fragen verkleidet und im Festtagsputz schöner Worte vor die Öffentlichkeit geführt werden. Aber leider gilt von den Ministern im Ruhestande, die uns die Werkstattsgeheimnisse der Tagespolitik anvertrauen könnten, das Wort Mephistos: »Das Beste, was du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen –« Und ich möchte nicht gern wie Fürst Bismarck in die Lage kommen, vor einem dritten Bande meiner Gedanken und Erinnerungen Halt machen zu müssen –

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Auch eine andre Freude werde ich erst jetzt wieder kennen lernen. In allen den langen Jahren meiner Ausführung hat niemand meine Schwelle überschritten, der nicht etwas von mir haben wollte. Bei jedem Besuche fühlte ich verlangende Blicke auf meine Hände gerichtet, und oft hat man mir einen größeren Einfluß zugeschrieben, als mein Gewissen ihn mir gestattet hat. Mir ging es mit den Gästen in meinem Amtszimmer wie jenem mißtrauischen Millionär, der eines Vormittags dem einzigen wunschlosen Besucher kopfschüttelnd nachrief: »Der Mann wollte nichts von mir? Das ist ein Hochstapler!« – Von morgen ab werde ich endlich wieder um meiner selbst willen besucht werden! Vielleicht auch um meiner selbst willen gemieden – Ich werde meine wirklichen Freunde kennen lernen; und wenn ich sie eines Sonntags zu Tisch einlade, so wird das ganz kleine Speisezimmer in meiner Junggesellenwohnung schon viel zu geräumig für sie sein.

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Oben zu stehen – die Hand an das große Räderwerk legen zu dürfen, um es vorwärts zu bewegen . .. wirken und schaffen – wen hat nicht schon dieser Traum der Macht berauscht? Heute in der Abschiedsstunde, wo ich mit rückwärts gewandtem Kopf den durchmessenen Weg überblicke und mit zögernder Scham mein Wollen an meinem Vollbringen, das Erreichte am Erreichbaren messe, habe ich recht pessimistische Anschauungen über Staat und Gesellschaft. Es versetzt mir den Atem, wenn ich in der Staubwelt meiner Aktenzimmer mich umschaue und auf die Papierberge sehe, die sich während meiner Amtszeit Blatt auf Blatt und Faszikel auf Faszikel emporgetürmt haben. Alle diese wichtigtuenden Aufzeichnungen – waren sie überhaupt das Papier und die Tinte wert? Und die Frage erdrückt mich, ob nicht vielleicht ein flatterndes Blättchen, auf das ein Poet acht klingende Zeilen geschrieben hat, zu einem reicheren Segensborn für die Menschheit werden kann, als alle Aktenweisheit unserer Staatsarchive – Ich weiß nicht, ob ich die Dinge zu groß sah, als ich noch unten stand, oder ob ich sie jetzt zu klein sehe, nun ich vom Gipfel wieder zur Talsohle niedersteige? Aber ich glaube, erst jetzt ist mein Auge auf die richtige Sehlinie eingestellt. Wem Gott ein Amt nimmt, dem gibt er auch den Verstand wieder.

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Welche Lehren ich aus meinen politischen Beobachtungen schöpfen werde, um sie strebsamen Beamten als ein Vermächtnis zu hinterlassen? Nur eine einzige, und sie braucht den klugen Herren kaum erst empfohlen zu werden. Denn sie besteht nur in der Wahrnehmung, daß alle politischen Rechte und Freiheiten, die wir besitzen, einer Beamtenlaufbahn niemals so förderlich sein können, wie die Bereitwilligkeit, darauf zu verzichten – Und diese Lehre steht ja längst in Goldbuchstaben in dem Merkbuch jedes Regierungsassessors, der an der modischen Krankheit des Karrierenfiebers leidet. Bisweilen erlischt dieses Fieber auch nach dem Auszug aus dem Ministerhotel noch nicht – denn wer heute geht, kann schließlich morgen oder übermorgen wiederkommen – Ich weise diesen Gedanken weit von mir ab! Denn die Erfahrung hat mich gelehrt, daß man zwar dem kommenden Mann mit zärtlichem Vertrauen, aber dem wiederkommenden Mann mit gesteigerter Bitterkeit entgegentritt – Nein, mein Ruhestand ist ein endgültiger. Meine Entlassung als Minister wird morgen amtlich bekannt werden; meine Wiederernennung zum Menschen kann nur eine Frage der Zeit sein.


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