Friedrich Bodenstedt
Tausend und Ein Tag im Orient
Friedrich Bodenstedt

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Achtes Kapitel.

Uebergänge. Keschisch-Oglu. Allahwerdy. Volkslieder der Kurden.

Mit unserm Abschiede von der Tscherkessenküste beginnt ein Uebergangskapitel, worin ich die schwierige Entscheidung treffen muß: entweder durch den thrakischen Bosporus, das Marmorameer und den griechischen Archipelagus die Rückreise in die Heimath anzutreten, wie es der wirkliche Gang der Dinge mit sich bringt – oder noch einmal zurückzukehren nach Tiflis, in die Schule der Weisheit des Mirza-Schaffy.

Ich entscheide mich nach reiflicher Ueberlegung für das Letztere, und will hier kurz die Gründe anführen, welche mich dazu bewegen.

Es ist mir von verschiedenen Seiten der Vorwurf gemacht worden, daß ich mich in den Reiseskizzen des ersten Bandes von »Tausend und Ein Tag« zu großer Kürze befleißigt und mehr angeregt als ausgeführt hätte. Jedenfalls der angenehmste Vorwurf den ich hören konnte! aber doch immer ein Vorwurf, der Beachtung verdient, und dem ich ein noch größeres Gewicht beilegen würde, als wirklich der Fall ist, 144 wenn ich nicht schon früher ein besonderes, mehr wissenschaftlich angelegtes Werk über die Völker des Kaukasus geschrieben hätte, welches über viele, in diesen Skizzen nur kurz angedeutete Punkte nähere Auskunft geben wird Jedem der es liest. Ebenso habe ich den verschiedenen Kosakenstämmen der donischen Steppe und der Ukraine bereits vor fünf Jahren eine besondere Schrift gewidmet, welche außer historischen und geographischen Notizen eine ansehnliche Sammlung chronologisch geordneter Volkslieder enthält, so daß der wißbegierige Leser auch in diesem Punkte sich nicht auf die Mittheilungen von »Tausend und Ein Tag« zu beschränken braucht.

Ueber die Länder und Völker hingegen, welche ich auf meiner Rückkehr berührte, habe ich noch Nichts veröffentlicht, und hier dürfte es allerdings nicht rathsam sein, die Beobachtungen eines halbjährigen Aufenthalts in Kertsch, Theodosia, Jalta, unter den Tataren der Krimm, in Odessa, Konstantinopel, Kleinasien &c. in ein paar flüchtig skizzirte Kapitel zusammenzudrängen. Es bleibt deshalb die Schilderung meiner Rückkehr in die Heimath einem besonderen Buche, von mehr politischer Färbung, vorbehalten, während ich hier die versprochene Fortsetzung der Lieder und Sprüche der Weisheit des Mirza-Schaffy, nebst einigen anderen poetischen Fragmenten aus dem Orient folgen lasse.

Ich glaube damit den Wünschen der meisten meiner Leser zu begegnen, denn Mirza-Schaffy hat weit über die Grenzen Deutschlands hinaus Freunde und Gönner gefunden, und in Journalen wie in brieflichen Mittheilungen ist mir mehrfach der Wunsch ausgedrückt worden, mein Versprechen, eine Fortsetzung der Lieder und Sprüche des Weisen von Gjändsha erscheinen zu lassen, bald in Erfüllung zu bringen.

Ein anderes, zu gleicher Zeit gegebenes Versprechen, die 145 Gedichte des blinden armenischen Sängers Keschisch-Oglu, nebst einer größeren Sammlung kurdischer Volkslieder in der Uebersetzung mitzutheilen, kann ich leider nur theilweise erfüllen, da durch den plötzlichen Tod meines Freundes Abowian in Eriwan, die Quelle versiegt ist, aus welcher ich weiteren Mittheilungen entgegensah.

Ich werde später Gelegenheit nehmen, einige Einzelheiten aus dem Leben dieses trefflichen Mannes hervorzuheben, der unter Kämpfen und Entbehrungen aller Art es sich zur Aufgabe gemacht hatte, deutsche Sitte und Sprache unter seinen Landsleuten am Ararat zu verbreiten, und der seit einer Reihe von Jahren jedem deutschen Reisenden in Armenien ein freundlicher und vielfach nützlicher Führer war . . . Hier möge zunächst als poetischer Uebergang zur Wiedereröffnung des Divans der Weisheit des Mirza-Schaffy, eine kleine Auswahl der Gedichte Keschisch-Oglu's folgen, der sich einige, ebenfalls im Hochlande des Ararat gewachsene, kurdische Volkslieder anreihen werden

Keschisch-Oglu

(oder nach der Aussprache des Volks: Keschisch-Ogli) wurde in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts geboren zu Schulawery, einem etwa 60 Werst von Tiflis gelegenen armenischen Dorfe.

Er war der Sohn eines armen Priesters und erhielt als Kind eine Art Unterricht im Armenischen und Tatarischen, hatte aber das Unglück, schon im zwölften Lebensjahre sein Gesicht durch die Pocken zu verlieren, ein Verlust, welcher nur 146 dadurch einigermaßen ersetzt wurde, daß ein inneres Licht in ihm aufging: das Licht der Poesie. Seine dichterischen Anlagen entwickelten sich so früh, daß er schon im zwanzigsten Lebensjahre eine gewisse Berühmtheit im Lande erlangt hatte. Um diese Zeit verließ er seine Heimath, wo es ihm trotz seines Dichterruhms sehr kümmerlich ergangen war, um in der Ferne sein Glück zu suchen. Die Saß in der Hand pilgerte er von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, hatte sich am Hofe von Teheran einer glänzenden Aufnahme zu erfreuen, durchzog später ganz Kleinasien und kam nach Konstantinopel, wo er als Hofdichter des Sultans angestellt wurde und auf seine alten Tage ein sorgloses und ruhiges Unterkommen fand.

Die Wanderungen des Keschisch-Oglu wurden durch eine Menge kleiner Triumphe verherrlicht, da er aus den Gesangswettkämpfen, die er überall anstellte, wohin er kam, fast immer als Sieger hervorging.

Noch heut zu Tage ist es Sitte bei den Persern, Armeniern, Tataren &c., daß die Barden des Landes einander öffentlich zum Kampfe herausfordern und, gewöhnlich im Beisein einer großen Menschenmenge, förmliche Gesangturniere halten. Der Eine singt aus dem Stegreife ein paar Verse her und zwingt den Andern, in demselben Versmaaße darauf zu antworten. Bei den Armeniern ist es gewöhnlich die Bibel, bei den Tataren der Koran, woraus der Stoff zu den ersten Angriffen geschöpft wird. Uebrigens bestehen in dieser Beziehung keine Vorschriften und Jeder kann seine Stoffe nehmen woher er will, nur muß der Angegriffene gleich auf den angeregten Gegenstand eingehen, und erst dann, wenn er dies mit 147 Glück gethan, steht es ihm frei, seinerseits ein neues Thema zu behandeln.

Der Wettkampf dauert in dieser Weise oft stundenlang fort und die Umstehenden folgen dem Gesange mit gespannter Aufmerksamkeit; jeder Fehler auf der einen oder der andern Seite veranlaßt eine lärmende Unterbrechung. Aber erst wenn einer der Beiden förmlich in's Stocken geräth, und seinem Gegner nicht mehr zu folgen vermag, wird er als besiegt erklärt und der Andere unter lauten Beifallsbezeugungen als Sieger ausgerufen.

Dem Sieger steht das Recht zu, das Saitenspiel des Besiegten zu zerschlagen, was jedoch höchst selten geschieht. Gewöhnlich reicht er dem Gegner die durch Gesang eroberte Saß großmüthig zurück, wodurch das Ansehn des Letztern einigermaßen hergestellt wird, denn ohne diese Großmuth des Siegers würde der unterlegene Sänger sein Saitenspiel nie wieder zur Hand nehmen dürfen.

Die Schriftkundigen unter den Umstehenden lassen es sich angelegen sein, die gewöhnlich sehr langsam und mit öftern Wiederholungen abgesungenen Verse niederzuschreiben; doch kommt es, soweit meine Erfahrung reicht, nur selten vor, daß sich unter diesen Stegreifgedichten Sachen von Bedeutung befinden. Ich lasse hier als eine kleine Probe solcher Improvisatorenkünste ein Fragment aus einem Wettkampfe folgen, welchen Keschisch-Oglu einst mit einem andern armenischen Sänger, Namens Allahwerdy, zu bestehen hatte. Ich habe dieses Fragment, wie alle auf Keschisch-Oglu bezüglichen Mittheilungen, meinem trefflichen Freunde Abowian von Eriwan zu verdanken, der durch seinen zu frühen Tod leider verhindert wurde, mir eine Fortsetzung seiner interessanten Berichte zu liefern. 148

 
Fragment aus dem Sängerkampfe zwischen Keschisch-Oglu und Allahwerdy.

Allahwerdy, als der Herausforderer, geht auf seinen Gegner zu, greift in die Saß und hebt an zu singen:

        »Möge Gruß Dir und Heil sein, o Keschisch-Oglu!
Bald wird Wehe Dein Theil sein, o Keschisch-Oglu!
Jedes Wort meiner Lieder auf Dich gezielt
Soll wie ein tödtender Pfeil sein, o Keschisch-Oglu!«

Keschisch-Oglu erwiedert:

        »Deinen Gruß geb' ich Dir wieder, o Allahwerdy!
Bald stürzt die Wucht meiner Lieder, o Allahwerdy!
Wie die Gewitterwolke aus schwüler Luft
Verderbend auf Dich nieder, o Allahwerdy!«

Wiederum greift Allahwerdy in die Saiten und singt:

        »An dem Helden prallt ab die Beleidigung,
Er findet Mittel zu seiner Vertheidigung –
An dem Ohre werd' ich Dich in die Dreschtenne führen,Zur Erklärung dieser Stelle muß bemerkt werden, daß in Armenien die Ochsen zum Dreschen des Korns, wie überhaupt zum Pflügen &c. gebraucht werden. Ein großes, unten schachbrettartig zugerichtetes Stück Holz wird über das in der Tenne ausgebreitete Korn gezogen und die vorgespannten Ochsen werden dabei an den Ohren gezogen, um sie anzutreiben. Allahwerdy konnte seine Verachtung des Keschisch-Oglu nicht kräftiger ausdrücken als durch dieses Bild.
Zum stummen Viehe Dich machen, o Keschisch-Oglu!«

149 Keschisch-Oglu entgegnet:

        »Dem Helden steht die Stimme des Muthes gut,
Doch der Muth ist verschieden von Uebermuth –
Nicht ruhe ich, bis Deine Zunge ruht,
Und zur Wittwe Dein Weib wird, o Allahwerdy!

 

In dieser Weise wird der Streit nun fortgeführt bis einer der Sänger erschöpft ist. Zur Abwechselung werden auch Räthsel aufgegeben, Sprüchwörter in Verse gebracht, Lieder zum Preise des Weines und der Liebe gesungen u. s. f.

Die meisten der tatarischen und armenischen Lieder welche mir zu Händen gekommen, tragen unzweifelhafte Spuren des großen Einflusses, welchen die persische Poesie und besonders Hafis hier ausgeübt hat, ohne daß die modernen Naturdichter Armeniens vielleicht eine Ahnung davon haben. Die Hafisischen Lieder haben unter dem Volke in Persien so tief Wurzel geschlagen und so unendlich viele Nachahmungen hervorgerufen, daß die meisten darin vorkommenden Bilder und Wendungen sinnlicher Natur längst in die Volkssprache übergegangen sind. Nun konnte es, bei der langjährigen Herrschaft der Perser über Armenien, nicht ausbleiben, daß die Unterdrückten von den Unterdrückern Manches annahmen, und so erklärt sich's, daß wir in fast allen tatarischen und armenischen Liedern hafisische Bilder und Ausdrücke wiederfinden, obgleich ein eigentliches Studium Hafisens von der christlichen Bevölkerung Armeniens niemals getrieben wurde.

Das Haar der Geliebten ist ein Fangnetz für Männer-Herzen, die Augenbrauen sind Bogen womit auf das verliebte Opfer geschossen wird, der Schoß ist ein Blumengarten, 150 die Brüste sind Granatäpfel, und wie die Nachtigall um das Aufblühen der Rose, so wehklagt der Sänger um das Aufblühen der Liebe in der Brust grausamer Schönen . . .

Ich habe es mir angelegen sein lassen, von den Liedern Keschisch-Oglu's hier nur diejenigen mitzutheilen, in welchen das eigenthümliche Gepräge des Dichters am meisten hervortritt. Leider ist ihre Zahl sehr gering. Doch dürften sie vielleicht späteren Reisenden Anlaß geben, weitere Nachforschungen in Armenien anzustellen, wo in Gegenden, die ich nicht besucht habe, noch hunderte von den Liedern des blinden Barden im Munde des Volks fortleben sollen.

 
1.

        Ein Weib, das voller Treue ist,
Sich gern und willig fügt mir,
Ich brauche keine Andere,
    Ein solches Weib genügt mir!

Die spiegelschöne AnahidAnahid – die armenische Venus. Einige armenische Gelehrte, u. a. Cirbied und Martin, wollen diese Namen in Verbindung bringen mit der griechischen Diana, da Anaïd rückwärts gelesen Diana heißt.
Die immer nur sich selber sieht,
Ich lasse sie für Andere,
    Ein treues Weib genügt mir!

Das Auge klar und liebereich,
Der Busen süß, Melonen gleich,
Die Stirne wie der Himmel rein:
    Ein solches Weib genügt mir! 151

Die Glück und Kummer mit mir theilt,
Wie LokmanLokman ist zu einer mythischen Person geworden, welche in einigen Theilen des Orients als der Inbegriff aller Weisheit, in andern Theilen als der Inbegriff aller Heilkraft, im Munde des Volks fortlebt. Ich habe mich durch eigene Erfahrung überzeugt, daß man in den christlichen Ländern des Kaukasus, unter den Armeniern und Georgiern, wo jedes Kind den Namen Lokman im Munde führt, von der arabischen Sage des Lokman Abu Anam nichts weiß, sondern den Namen von einem angeblich deutschen Arzte herleitet, der vor Jahrhunderten im Kaukasus gelebt und durch seine Wunderkuren weit und breit berühmt geworden sein soll.

Abowian von Erivan, ein in der armenischen und tatarischen Sprache tüchtig geschulter, der arabischen Literatur aber ganz unkundiger Armenier, schrieb mir bezüglich der in den Liedern des Keschischoglu vorkommenden Anspielungen auf Lokman wörtlich was folgt:

»Der Name Lokman spielt in den asiatischen Sprachen dieselbe Rolle wie der des Hypokrates in den europäischen. Hat ein Arzt eine glückliche Kur vollbracht: das ist ein wahrer Lokman! heißt es von ihm. Liegt Jemand an einer schweren Krankheit danieder: da vermag nur ein Lokman zu heilen! sagen die Leute. Solchergestalt hören sie diesen Namen, sowohl unter der islamitischen wie unter der christlichen Bevölkerung des Landes, täglich aussprechen, und zwar bis in die untersten Volksschichten herab, ohne daß Jemand ehrlich Rechenschaft zu geben wüßte, woher der Name gekommen. Das Kind hat ihn von der Mutter gehört und die Mutter von der Großmutter. Was ich Ihnen davon sagen kann ist dieses: Wahrscheinlich ist ein deutscher Arzt Hoffmann damit gemeint, dessen Namen die Tataren und Armenier nach der ihnen bequemeren Aussprache in Lokman umgewandelt haben. Dieser Hoffmann soll – Gott weiß wann? aber doch nicht vor zu langer Zeit – im Kaukasus gelebt und große Wunderkuren vollbracht haben, also daß sein Ruhm durch ganz Asien erscholl und er weit umherpilgern mußte, um die Kranken zu heilen. Man erzählt sich in Tiflis noch heutzutage folgende Anekdote von ihm: Als Lokman in dieser Stadt angekommen war und auf den Basar gehen wollte, wurde ihm der Weg versperrt durch eine endlose Reihe hochbeladener Araba's (zweirädrige Fuhrwagen). Lokman fragte, was in diesen Araba's enthalten sei? Man antwortete ihm: Fische. »Dann – sagte er – wird es viel für mich hier zu thun geben.« Und also sprechend bog er in eine andere Straße ein. Aber auch hier wurde ihm der Weg versperrt durch eine endlose Reihe von Araba's, hochbeladen mit gefüllten Schläuchen. Lokman fragte was in diesen Schläuchen enthalten sei? Man antwortete ihm: Wein. »Dann – sagte er – ist hier meines Bleibens nicht! Wo so gute Arzenei in solcher Fülle vorhanden ist, da ist die Kunst des Arztes überflüssig.« Und also sprechend verließ er die Stadt, trauernden Antlitzes.«

Ich habe diese Geschichte, genau wie sie hier erzählt ist, später öfter in Tiflis gehört. Sie ist dort so in's Volk gedrungen, wie kaum eine andere Sage des Orients. Unter den Tifliser Weintrinkern ist es gäng und gebe zu sagen: »Wenn Lokmani Hekim (Arzt Lokman) den Wein das beste Heilmittel für Fischkrankheiten genannt hat, wie soll man da nicht die Klugheit der Georgier rühmen, die ihre Kinder schon von Jugend auf an den Genuß des Weines gewöhnen.«

Thatsache ist es – nebenbei bemerkt – daß in Georgien die Kinder oft schon in der Wiege Wein zu trinken bekommen.

* * *

Nach Darlegung dieser georgisch-armenischen Version der Lokman-Sage (denn Geschichte kann man nichts von alle dem nennen, was über Lokman bekannt geworden) bin ich es der großen Mehrzahl meiner Leser schuldig, auf die arabische Sage von Lokman zurückzukommen, derzufolge Lokman Abu Anam, mit dem Beinamen al Hakim (nach der türkischen Aussprache Hekim) d. i. der Weise (was zugleich den Begriff der Arzneikunde in sich schließt), als der einzige Fromme aus dem Stamme Ad, als dieser von Gott vertilgt wurde, am Leben blieb. Es wurde ihm von Gott die Wahl gelassen, ob er so lange leben wolle als der Dunst von sieben Gazellen in einer Gebirgshöhle dauern würde, oder als sieben nach einander folgende Geier lebten. Lokman Abu Anam wählte das Letztere und lebte darauf bis zur Zeit Davids, ja – nach andern Berichten – bis zur Zeit des Propheten Jonas. Und er hatte seine Wohnung zu Ramah bei Jerusalem, wo er auch begraben liegt.

Nach andern arabischen Schriftstellern war Lokman ein Weiser, hocherfahren in der Rechtskunde und als Richter im Lande lebend bis zu den Zeiten Davids, des Sänger-Königs. Noch andere Sagen lassen ihn einen Zimmermann, und wieder andere einen aus Egypten entlaufenen Sklaven gewesen sein, von schwarzer Farbe, mit dicken Lippen und Säbelbeinen. In ähnlicher Weise gehen die Vermuthungen fort bis in's Unendliche.

Bekannt ist, daß Lokman als Dichter der orientalischen Thierfabel von einigen Gelehrten (u. A. Ch. A. Neumann) für identisch gehalten wird mit Aesop, da die meisten arabischen Fabeln den griechischen sehr ähnlich sind. Ob nun die Griechen ihre Fabeln von den Arabern entlehnt haben, oder die Araber von den Griechen? Ob Aesop vor Lokman gelebt oder Lokman vor Aesop? Ob der Lokman der Sage identisch sei mit dem Lokman des Koran? &c. &c. Ueber alle diese zweifelhaften Punkte sind eine Menge gelehrter Abhandlungen geschrieben worden, auf welche wir hier nicht näher eingehen können.

Wir bemerken hier nur zum Schluß, daß die 31. Sure des Koran den Namen Lokman als Ueberschrift trägt und daß hierdurch allerdings die Vermuthung einige Wahrscheinlichkeit erhält, es habe lange vor Muhammed ein Mann Namens Lokman gelebt, der durch seine Weisheit sich einen Namen im Lande zu machen wußte.

alle Wunden heilt,
Und Segen spendet wo sie weilt,
    Ein solches Weib genügt mir!

Des Mundes Frühlingshauch vergeht,
Es welkt des Schoßes Blumenbeet,
Das treue Aug' und Herz besteht:
    Ein treues Weib genügt mir!

Keschisch-Ogln, der Sänger, spricht:
Was nützt das schönste Angesicht?
Ich armer Blinder seh' es nicht:
    Ein treues Weib genügt mir!

 
2.

            Du wunderschöne, süße Maid!
    Was soll ich für die Seligkeit
Die Du gewährt, Dir wieder geben?
    Ich armer, blinder Sänger kann
    Für Alles was mein Herz gewann,
Dir Nichts als meine Lieder geben!

 
3.

        Schön ist das Mädchen das ich meine,
    Das mich so hoch beseligt hat,
Von allen Dirnen gleicht ihr keine
    Im Hochgebirg des Ararat! 152

O, daß ihr Gott das Glück vergelte,
    Das mir ihr Mund gegeben hat!
Schwarz ist ihr Auge, wie die Zelte
    Im Hochgebirg des Ararat!

Es gleicht ihr Gang dem jungen Rehe
    Auf einsamstillem Waldespfad –
Die Brust dem frischgefall'nen Schnee
    Im Hochgebirg des Ararat!

Der Busen fest wie Apfelsinen,
    Der Mund ein rosig Wonnebad,
Süß wie der Honig von den Bienen
    Im Hochgebirg des Ararat!

Dem Lockenhaar entsteigen Düfte,
    Frisch wie der Duft vom Rosenblatt,
Beim Hauch der warmen Frühlingslüfte
    Im Hochgebirg des Ararat!

O, keine Andere erkiese,
    Keschisch-Oglu! an ihrer Statt –
Sie macht das Land zum Paradiese
    Im Hochgebirg des Ararat!

 
4.

        Eine Taube such' ich die mir entflogen ist,
Schön ist die Maid die ich erkoren habe!
Euch ein Zeichen sag' ich, daran Ihr sie kennen sollt,
Helfet mir suchen die ich verloren habe! 153

Schlank ist ihr Wuchs und schwarz ihr Haar,
Schwarz sind ihre Locken und Augenbrauen –
Bezaubert hat mich die schönste der Frauen,
Helfet mir suchen die ich verloren habe!

Verlassen hab' ich Haus und Land,
Hinaus in die weite Fremde zu wandern,
Von einem Ort irrt' ich zum andern,
Um zu suchen die ich verloren habe!

Ich irre umher und finde sie nicht,
Sie verspottet den armen, blinden Mann,
Der ihre Spuren nicht finden kann –
Helfet mir suchen die ich verloren habe!

O kehre zurück! Alles trag' ich von Dir,
Gern will ich verspottet von Dir und verlacht sein,
Du sollst der Stern in meiner Nacht sein –
Kehre mir wieder, die ich verloren habe!

Du stehe auf, o Keschisch-Oglu!
Noch einmal zum Wanderstabe greife,
Umher durch Iran's Lande schweife,
Sprechend: Wo bist Du die ich verloren habe? 154

 

Lieder aus Kurdistan.

1.
Liebeslied.

        Sieh mich lieb, Du schwarzäugige Dirne an!
Deine Wimpern stehn wohl Deiner Stirne an.
Deine Augen, wie die Beeren der Reben schwarz,
Sie machen mein ganzes Leben schwarz,
O, wende, Du Schöne, mein Herzeleid!
Komm zu uns zu Gaste, nach Hause komm!
Mit den Gästen der Feier zum Schmause komm!
Vor allen andern sollst Du beachtet werden,
Der erste Schafbock soll Dir geschlachtet werden!Ein Beweis besonderer Auszeichnung bei den Gebirgsvölkern sowohl des Ararat wie des Kaukasus.

 
2.
Liebeslied.

        Es ist Dein Wuchs dem Alef gleich,
Die Brust an schwarzen Flecken reich, 155
Wohl an dreihundert zähl' ich!
Es soll die Brust mein Heil'genschrein,
Soll Kirche mir und Kloster sein,
Kein andres Bethaus wähl' ich!
Mag Erzerum zu Grunde geh'n,
Darf ich zu Deinem Munde geh'n,
So bin ich überselig!

 
3.
Frühlingslied.

        Ueber Alles hoch und über Alles schön,
    Und im Mund des Volkes vielgepriesen,
Sind die grünen Flecke auf den Bergeshöh'n,
    Sind die duftenden Nomadenwiesen!

Wo der Schnee die Berge nicht bekleidet,
    Wo der Kurden schwarze Zelte stehn,
Wo der Hirt die fette Heerde weidet,
    Kecke Bursche, schmucke Dirnen gehn –

Ueber Alles hoch und über Alles schön,
    Und im Mund des Volkes vielgepriesen,
Sind die grünen Flecke auf den Bergeshöh'n,
    Sind die duftenden Nomadenwiesen! 156

 
4.
Trauerlied.

        Mir gegenüber steht des Reiters Grab,
Noch gestern strotzt' er in der Jugend Prangen:
Mit seiner Lanze brach sein Leben ab.
Getroffen stürzt' er und gebrochen hin.
Jetzt ziehen schon die Würmer und die Schlangen
Ueber die fleischentblößten Knochen hin . . .
        Es schwang sich der Reiter auf sein schwarzes Roß,
Es versammelt sich um ihn der Knechte Troß.
Er ist zu den Zelten der Feinde geritten,
Und hat dem Samam-Chan den Kopf abgeschnitten.

 
6.
Klagelied.

        Ich war auf's Feld hinausgegangen,
Da sah ich zwei schöne Mädchen wandern,
    Es schwoll das Herz vor Lust mir.
Ich ging von Einer zu der Andern,
Ich konnte Keine von Beiden erlangen,
    Da quoll schwarzes Blut in der Brust mir.
*   *   *
Es wollte keinem schönen Kind
Meine starke Liebe gefallen –
Die Köpfe zweier Kurden sind
Durch meine Hiebe gefallen.

Es war das Gras vom Thaue naß
Als sie getödtet wurden;
Die grünen Halme im Wiesengras
Vom Blute geröthet wurden.

*   *   *
Um zweier Schönen Augen willen
Hat sich mein Herz empört,
Um zweier Schönen Augen willen
Ist mir das Herz zerstört.
*   *   *
Ich bin alt geworden, schwach und alt,
Habe mein siebzigstes Jahr erreicht,
Vor Schwäche gebrochen ist meine Gestalt,
Vor Alter und Gram das Haar erbleicht.

Vor Gram sind meine Wangen erblichen,
In den Augen flimmert es roth mir –
Und Ruhe wie Schlaf ist von mir gewichen,
Vor den Augen flimmert der Tod mir! 158

 
6.
Trauerlied.

        Stieg der Frühling in die Lande nieder,
Flur und Hain mit frischem Grün zu färben,
Alles weckte er zum Leben wieder,
Nur der Wittwe Sohn rief er zum Sterben.

Im Gebirge scholl ein Klaggestöhn,
Weint die Mutter den verlornen Sohn,
Ach, er war so schön, so jung und schön!
Und nun deckt das kalte Grab ihn schon!

Weithin schimmerte sein roth Gewand,
Wenn er, hoch die Lanze in der Hand,
Sich zu Rosse in den Bügel schwang,
Und den Schild gleich einem Flügel schwang.

Kommt das Roß gesattelt, kommt von fern,
Wiehert laut um den verlornen Herrn,
Scharrt den Boden auf mit wundem Huf,
Doch er hört nicht seines Rosses Ruf.

Weithin tönt der Klageweiber Schrei'n –
Nimmer weilt er in der Krieger Reih'n!
Würmer fressen seine Leiche schon,
Kalte Erde, kalter Grabesstein,
Deckt das Angesicht, das bleiche, schon! 159

 


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