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»Tue la!« (Alex. Dumas fils.)
Es war an einem Juniabend, als sie sich kennen lernten. Das Ereignis ging auf dem Hofe vor sich, in den der Student vom vierten Stock soeben den Knochen einer Kalbskotelette geschleudert und just dieser Knochen war's, der die Bekanntschaft herbeiführte.
Schripps hatte bis dahin ein zurückgezogenes Dasein geführt. Einer Familie entstammend, die durch unzählige Kreuzungen jeden Anspruch auf Rasse verscherzt hatte, war er seit Eintritt in die verständigen Jahre wenigstens immer bestrebt gewesen, in Schnurrbart und Schwanzquaste den Charakter eines Pintschers zu wahren, ein Charakter, auf den ihn die Natur noch am ehesten hinwies. Freilich gelang ihm dies bei den bescheidenen Mitteln, die ihm das Geschick verliehen, nur höchst mangelhaft. Und überhaupt, um es gleich zu gestehen: Schripps war nicht schön. Er hatte einen auffallend dicken, viereckigen Kopf, ein sehr großes und ein sehr kleines Auge; ein rötlich-borstiges Fell und lahmte auf der linken Hinterpfote. Triumphe über weibliche Wesen waren ihm deshalb von früh an versagt geblieben, wodurch sich indessen, wie natürlich, eine schöne Innerlichkeit bei ihm ausgebildet hatte. Edle Resignation leuchtete aus seinem großen linken Auge; das rechte, ohnehin sehr kleine, war durch einen widerspenstigen Haarbüschel den Blicken des Beschauers entrückt und auch Schripps wußte nicht viel damit anzufangen.
Als Gefährte eines alten Junggesellen lebte er selbst gleich einem solchen: von der Gesellschaft gänzlich zurückgezogen. Kühl und teilnahmslos humpelte er an den Stammesgenossen vorüber, die Treppen hinauf und hinab, Annäherungsversuche wohl duldend, aber nie erwidernd. Allerdings gab es auch für Schripps, einen Mann in den besten Jahren, Stunden, wo ein dumpfes Gefühl von Leere ihn an das Fehlen einer Seelengefährtin erinnerte. In einer solchen Stunde hatte er einst »Sie« bemerkt. Sie lag auf dem Fensterbrett in der ersten Etage, die ihre Herrschaft erst gestern bezogen, und blickte gelangweilt in den Hof hinab, wo Schripps in der geschilderten trostlosen Stimmung eben sein einsames Junggesellenmahl einnahm.
So erschaute er sie und ein gewisser melancholischer Zug um ihre inneren Augenwinkel hatte zur Folge, daß sein altes verprömmeltes Junggesellenherz in eine nie vorher empfundene Aufregung geriet. Mit dem Instinkt der Unglücklichen erkannte er, daß auch sie unglücklich sein müsse. Und in der That verhielt es sich so. Ein, sagen wir: ungewöhnlicher Mangel an äußeren Reizen hatte sie – in dieser Hinsicht Schrippsen ähnlich – freundlos durchs Leben wallen lassen. Dieser Mangel lastete gleich einem Alp auf der in den reiferen Jahren befindlichen Dachsjungfrau. Ihre Figur, wenn sie sonst einmal eine gehabt hatte, war in erschreckender Weise aus der Façon gegangen und das in Falten sie umschlotternde Fell machte den betrüblichen Eindruck, als wenn die Motten drin gehaust hätten. Ja, Iduna – bei allem Respekt vor der Galanterie muß es gesagt werden – war noch häßlicher wie Schripps und der Scharfsinn des letzteren sagte ihm, daß, wenn irgendwo, hier etwas zu machen sein würde.
Seit jenem Augenblicke trug Schripps den Gedanken einer Annäherung mit sich herum, aber sein scheues Junggesellenwesen ließ ihn immer wieder vor der Ausführung dieses Gedankens zurückschrecken.
Da kam der Juniabend und Schripps, der mit heimlicher Wonne beim Betreten des Hofes die Anwesenheit der Geliebten wahrgenommen, schwor sich, heute oder nie das längst ersehnte zu wagen.
Er war schon drei-, viermal im Hofe ringsherum gehinkt, immer den Blick seines guten Auges auf die Dachsjungfrau gerichtet, die mit unsäglich wehmütigem Ausdruck in der Mitte des Hofes lagerte – als der Koteletteknochen, in heftigem Schwung sein Ohr berührend, neben ihm herniedersauste.
Instinktiv hatte Schripps zugeschnappt, sogleich aber den Knochen wieder freigegeben, als er bemerkte, daß Iduna auf ihren kurzen Beinchen langsam und schweifwedelnd sich demselben näherte. Schripps humpelte rücksichtsvoll etwas weiter von dem Knochen ab, was Iduna, nicht ohne freundlichen Seitenblick auf Schripps, veranlaßte, sich des Leckerbissens nunmehr zu bemächtigen. Aber erst als die Dachshündin eine geraume Zeit knirschend und knackend über dem Knochen geweilt und sich wiederholt behaglich die Mundwinkel geleckt hatte, wagte Schripps jene Begrüßung vorzunehmen, die unter gebildeten Hunden unter dem Namen »Beschnüffeln« allgemein gebräuchlich ist. Schripps entledigte sich dieser gesellschaftlichen Form mit einer Decenz, die ihm ein verächtliches Geknurr eines Fleischerhundes, der eben zum Hofe hereinschaute, eintrug.
Aber die Bekanntschaft war gemacht.
Iduna und Schripps durften sich seitdem als verlobt und nach halbstündigem Brautstande als vermählt betrachten.
Ein neues Leben ging für beide auf. Er trug jetzt Schnauzbart und Schwanzquaste mit sichtlicher Koketterie nach den berühmten Mustern eleganter Rassepintscher und sein Benehmen gegen zwei- und vierfüßige Hausbewohner war von einer früher an ihm nie beobachteten Bonhomie.
Iduna aber verlor zusehends das verschrumpfte, altjüngferliche Äußere, ihre Gestalt erhielt eine wohlthuende Rundung, das Fell glättete sich und wurde gleichmäßig glänzend und Schrippsens gutes Auge leuchtete, wenn er zur traulichen Dämmerstunde diese Reize wahrnahm.
Der Unglückliche ahnte nicht, daß gerade die günstige äußere Veränderung der Geliebten, die er selbst durch seine Liebe hervorgerufen, ihm noch verhängnisvoll werden sollte.
Da fand er eines Abends Iduna vor der Hausthür in Gesellschaft eines weißen Windspiels, das in verdächtiger Vertraulichkeit um sie herumschnüffelte. Der Weiße floh zwar augenblicklich vor dem unwilligen Geknurr des Ehegatten, aber böse Ahnungen wollten seitdem das nun einmal mißtrauisch gewordene Gemüt Schrippsens nicht mehr verlassen.
Und eines Nachmittags ereignete sich das Ungeheuerliche, von Schripps längst Befürchtete! Von einem Spaziergange, den er aus Gesundheitsrücksichten unternommen, heimkehrend, fand er an dem Prellstein des Hauses – das Haus war ein Eckhaus – die nur einem Mitglied seines Geschlechts erkenntlichen Spuren Idunas und jenes weißen Nebenbuhlers, die, wie er augenblicklich konstatierte, nach der Hausthür zu verliefen, nach der Hausthür, die leider – geschlossen war! Iduna und der Weiße – das sagte ihm auf das Unzweifelhafteste sein Geruchssinn – im Hofe! Vermutlich allein im Hofe!! Und keine Möglichkeit in diesen Hof zu kommen! – Die Thüre, welche von der Straße ins Haus, wie auch die, welche vom Haus in den Hof führte, hatte jenen jetzt fast allgemein üblichen pneumatischen Verschluß, eine Erfindung, die von allen Hunden aufs tiefste gehaßt wird. Macht sie es doch diesen unmöglich, selbst wenn die Thüre angelehnt ist, ohne menschliche Hilfe hinein oder hinaus zu gelangen! Und augenblicklich war die Hausthür noch dazu fest geschlossen! Schripps geriet in eine unglaubliche Aufregung. Vergebens sah er sich überall nach einem helfenden Menschenkind um. In fiebernder Hast hüpfte er auf seinen drei Beinen ums Eck nach dem zweiten Eingang, den das Haus dort besaß; auch dieser war geschlossen! Schripps jagte wieder zurück und wieder nach der andern Thüre. So trieb er's wohl eine Viertelstunde lang. Endlich klinkte jemand auf der einen Hausthür und Schripps, der sich gerade auf der entgegengesetzten Seite des Hauses befand, dessen Gehör aber in diesem Augenblick für den leisesten Laut sich empfänglich zeigte, flog heulend dahin. Er achtete nicht darauf, daß es der Quartaner aus dem dritten Stock war, dem er sonst vorsichtig auszuweichen pflegte, von wegen der Fußtritte, mit denen dieser junge Mann ihm gegenüber ungemein freigebig zu sein pflegte, heute kümmerte ihn das nicht, er rannte wie toll hinterdrein, machte aber sogleich wieder Kehrt, als er nach wenigen Sprüngen erkannt, daß auch die Hofthür fest geschlossen war. Fiebernd nahm er sein ruheloses Wandern von Hausthür zu Hausthür wieder auf und setzte sich endlich, ermattet und zugleich furchtbar erregt, das gute Auge starr nach dem Hofe gerichtet, vor den gewohnten Hauseingang, in kurzen Intervallen dumpfe Knurrlaute ausstoßend.
So mochte beinahe eine Stunde vergangen sein, als die Hausthür von innen geöffnet ward. Schripps stimmte ein fürchterliches Freudengebell an, flog, wie aus der Pistole geschossen, durch die Öffnung nach der Hofthüre zu, als er aber diese immer noch geschlossen fand, sprang er in tollen Sätzen, laut kläffend die Treppen hinauf bis in das zweite Geschoß vors Logis seines Herrn, kratzte dort wütend an die Thür und jagte an der ihm öffnenden erschreckten Haushälterin vorüber, den Flur entlang nach der Küche, wo er auf den Küchentisch und von da auf das Brett des nach dem Hof führenden, offenstehenden Fensters sprang.
Was Schripps von da oben erschaut hat, ist nie recht ermittelt worden; es muß aber etwas Fürchterliches gewesen sein, denn im nächsten Augenblick ist er mit einem mark- und beinerschütterndem Klagegeheul in den Hof hinabgesprungen, wobei ein eiserner Topf voll heißer Milch, der dort zum Abkühlen stand, mit hinunterging.
Der Hausmann und der alte Schlosser Lampe, die beide auf den Lärm hin in den Hof eilten, bemerkten ein entsetzt flüchtendes weißes Windspiel und fanden Schripps, jämmerlich von dem Fall und der kochenden Milch zugerichtet, winselnd neben der toten Dachshündin liegen, der der eiserne Topf das Rückgrat zerschmettert hatte.
Schripps erholte sich wieder und noch heute wandelt er unter den Lebenden. Aber er ist ein anderer geworden. Mürrisch und abweisend knurrend humpelt er seines Wegs unter gänzlicher Vernachlässigung seines durch den Fall und die Brandwunden noch reizloser gewordenen Äußern. Sein Herzensleben ist erstorben: Damenbekanntschaften meidet er wie die Pest. Ach, in seiner ethischen Weltanschauung ist ein grauenhafter Umschwung erfolgt! Der schlimme Ausgang der einzigen Liebesangelegenheit seines Lebens hat ihn zum Cyniker umgewandelt. An die Stelle edler Entsagung ist eine fast verbrecherische Wertschätzung materieller Genüsse getreten: Die Fleischer der Nachbarschaft wissen davon zu erzählen!