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Ich war Tertianer und saß an einem schönen Maimittag in meinem Zimmer, damit beschäftigt, einige Arbeiten noch vor dem Essen zu erledigen, als mein Freund und Stubengenosse, der Sekundaner Fritz Blume aufgeregt hereinstürzte.
»Ich bin ihr wieder begegnet, Herzer!« rief er atemlos, Mütze und Bücher in die Sofaecke schleudernd. »Wie sie mich ansah beim Grüßen – so von unten herauf! – o Gott, mir war, als müßte ich vor dem Blick auf Flügeln der Morgenröte in die Gefilde der Seligen enteilen! – Aber höre, was mir passiert ist! Gerade wie ich an ihr vorbeigehe, läßt der Engel seinen Sonnenschirm fallen. Ich, wie ein Sperber darauf! Schon hatt' ich ihn beim Griff, als das freche Subjekt, der Salomon ihn mir pöbelhafterweise entriß und ihr überreichte! Höll' und Teufel! Und sie dankte dem Elenden noch mit himmlischer Freundlichkeit! Das kann ich dir aber sagen, Herzer: wenn Salomon sie noch einmal vor der Klasse eine »reizende Kröte« nennt, so hau ich ihm eine 'runter und wenn's mir das Leben kostet!«
»Siehst du, Herzer,« fuhr er tiefaufatmend fort: »daß dieser Mensch ihr die Cour macht und daß sie's duldet – ja sie duldet's, widersprich mir nicht! – das bringt mich außer mir! Das kann auch nicht so bleiben: ich will keine Teilung der Seligkeit! Sie kennt mich hinlänglich – es ist wahr, ich habe sie erst einmal gesprochen, aber seit vierzehn Tagen fast täglich gesehen – sie kann also wissen, ob ihr Herz für mich spricht! Und ich muß Gewißheit haben und dazu sollst du mir verhelfen. Du kennst ihren Bruder. Thu mir den Gefallen, such ihn auf und sieh, daß du sie unter vier Augen sprichst. Dann frage sie in meinem Namen geradheraus – ich ermächtige dich hiermit dazu: wen sie lieber hätte, mich oder Salomon. Willst du das?!«
Ob ich das wollte! Meine Tertianerbrust hob sich vor Stolz in dem Gefühl, mit solch einer Mission betraut zu werden; ich muß vor Vergnügen ganz rot geworden sein. »Auf Handschlag!« sagte ich feierlich, ihm die Rechte bietend. »Ich gehe noch heute hin und frage sie. Sei um acht zu Haus, da bring' ich Nachricht.«
Blume schüttelte mir in mächtiger Bewegung die Hand. »Diesen Freundschaftsdienst vergesse ich dir nie! – Aber jetzt zu Tisch: es giebt heute Bratwurst und Salomon ist jeder Gemeinheit fähig.«
Der Räuber von meines Freundes Ruhe wohnte nämlich im gleichen Logis und speiste mit uns gemeinschaftlich.
Wider Erwarten fanden wir ihn indessen in der Wohnstube unserer Wirtsleute noch nicht vor. Jedoch nach wenigen Minuten trat er herein und nahm unter finstern Seitenblicken seines Nebenbuhlers am Tische Platz.
Im Genuß der leckern Lieblingsspeise, die von einem Berg milchweißen Kartoffelbrei's begleitet war, legte sich nach und nach der Groll Blumes bis zu dem Grade, daß er einen winzigen Restzipfel von Salomos Bratwurst, den dieser nicht mehr bewältigen zu können erklärte, ohne Anstand von dem Verhaßten annahm – was ich einigermaßen befremdlich und meines Freundes unwürdig fand.
Sogleich nach Schluß der nachmittäglichen Schulstunden rannte ich zu Bergrat Kellers und traf es so glücklich, daß mir Lieschen, Blumes Ideal, öffnete. Auf meine hervorgestammelte Bitte, sie in Angelegenheiten meines Freundes sprechen zu dürfen, zog sie mich hastig über den dunklen Gang in eine Art Verschlag, der sich bei näherer Betrachtung als die Besenkammer herausstellte, aber nach ihrer Versicherung hervorragend geeignet für vertrauliche Mitteilungen war.
Ich gestehe, daß ich mir die Zusammenkunft hinsichtlich des Lokals etwas anders vorgestellt hatte, und daß meine Stimmung unter dem Gedanken litt: zwischen Borstwischen und Schaufeln eine so delikate Angelegenheit vortragen zu sollen.
Indessen entledigte ich mich meines Auftrags noch ganz leidlich und stellte die Hauptfrage: »Ob Blume, ob Salomon?« in einem der Wichtigkeit der Sache entsprechenden feierlichen Ton.
Der Gegenstand von Blumes Schmerzen spielte währenddem mit den blonden Zöpfen, stellte sich bald auf das eine, bald auf das andere Füßchen und brach zuletzt in ein – wie mir deuchte – recht unpassendes Gelächter aus: »Ich finde die Frage zu komisch von Ihrem Freund! Mein Gott – ich habe Herrn Blume gern, Herrn Salomon aber auch. Sie sind mir beide recht angenehm.«
»Gut, mein Fräulein,« entgegnete ich steif, denn ich fühlte mich bei dieser kühlen diplomatischen Erklärung in meines Freundes Seele gekränkt. »Ich werde es genau ausrichten. Darf ich meinen Freund von Ihnen grüßen?«
»Gewiß!«
»Ich danke Ihnen. Leben Sie wohl.«
Ohne erst ihren Bruder aufzusuchen, eilte ich nach Hause.
Als ich ins Zimmer trat, sprang Blume vom Sofa in die Höhe, faßte mich bei den Schultern und rief: »Verhehle mir nichts! Bin ich geliebt oder nicht?!«
»Du bist geliebt, aber Salomon auch. Sie liebt euch alle beide und hat mich beauftragt, dich zu grüßen.«
»Oooh! – Ich hab's geahnt!« rief Blume, wandte sich nach dem Tisch um und ergriff ein rosafarbenes Papier, das er langsam und mit schmerzlichem Genuß in dünne Streifen zerriß. »So sei denn vernichtet, Unterpfand meines zertrümmerten Glücks!«
Es war das einzige Billet, das er von ihr besaß. Ich kannte es, denn er hatte es mir oft vorgelesen. Von Liebe war eigentlich nicht darin die Rede. Sie ersuchte ihn einfach um Rückgabe ihre Bleistifts, den er auf dem Schülerball – jenes einzige Mal, da er sie gesprochen! – beim Ausfüllen ihrer Tanzkarte in der Verwirrung eingesteckt hatte.
Ich wußte nichts zu seinem Schmerz zu sagen und dachte nur voll Bewunderung, wie Blume sich so ganz den Verhältnissen angemessen benähme und wie schön und poetisch er sich ausdrücke.
Als er ruhiger geworden war, mußte ich ihm alle Einzelheiten der denkwürdigen Unterredung erzählen.
»So – also in der Besenkammer ist mein Schicksal besiegelt worden?!« warf er bitter lächelnd ein. Einige Male lachte er höhnisch auf und dann wieder, als ich den Namen »Salomon« aussprach, rief er heftig: »Nenne den Menschen nicht! Er hat mir meinen Himmel gestohlen! – Ja Herzer, für mich ist jetzt – Götterdämmerung!«
Ich verstand diesen Ausdruck nicht, aber er imponierte mir ungeheuer. Eine Weile saß er noch düster vor sich hinbrütend, dann holte er eine lange Pfeife hervor, stopfte sie mit einem gewissen großblättrigen Knaster, den ich nie und selbst er nur selten gut vertragen konnte, steckte sie mit einem der rosa Streifen in Brand und hüllte sich in ungeheure Wolken, die ihm etwas Ossianisches, Nebelhaftes gaben, was mir nicht schlecht zu der Situation zu passen schien.
Ich hatte währenddem mein bereitstehendes Abendbrot verzehrt, (was heute nur in Butterbroten bestand) und mich alsdann in meine lateinischen Exercitien vertieft, die meine ganze Aufmerksamkeit erforderten, so daß ich wenig auf meinen Freund achten konnte. Nur gelegentlich sah ich, daß er einen Band »Lederstrumpf« vorgenommen hatte und zwischendrein mächtig der Wasserflasche zusprach, die er im Laufe des Abends noch zweimal füllen ließ. Auf eine daraus bezügliche Bemerkung meinerseits, deutete er mir an, daß die »verzehrende Glut seiner Leidenschaft« dies erforderte. Ich glaube aber, daß es von den Bratwürsten kam, von denen er – wie ich hinterher erfuhr – heut Abend noch zwei (darunter schnöderweise auch die für mich bestimmte!) verspeist hatte. –
In den nächstfolgenden Tagen sprach Blume kein Wort über seine Liebe. Was Salomon betrifft, so begnügte er sich damit, als dieser ihn bei einer der gemeinschaftlichen Mahlzeiten anredete, demselben kalt lächelnd zu erklären, daß er fortan für ihn »Luft« sei. Zu diesen Mahlzeiten kam er jetzt meistens spät, weil er, um der Treulosen nicht zu begegnen, den weiteren Weg um die Promenade wählte. Im übrigen zeigte er vielen Gleichmut, ja einen gewissen Humor, was mich alles glauben ließ, er habe die Sache verwunden.
Wie sehr ich mich darin getäuscht, sollte ich eines Morgens erfahren, als ich, ins Gymnasium tretend, ein ohrenzerreißendes Geheul und Gejohle vernahm und aus dem geöffneten Sekundazimmer, unter den Zurufen der Komilitonen, sich einen lebendigen Knäuel wälzen sah, in dem ich mit Schrecken meine Tischgenossen, Blume und Salomon, in wildem Kampf verwachsen, erkannte! Blumen fehlte beinah ein ganzer Rockflügel und Salomon hatte einen ansehnlichen Teil von meines Freundes blondem Haupthaar in seiner geballten Linken – der unglückliche Liebhaber war also auch bei diesem zweiten Versuch einer Rehabilitierung seiner Ehre seinem Widersacher schmählich unterlegen.
Er fehlte an diesem Tag beim Mittagstisch und abends saß er mit schrecklich verschwollenem Gesicht und fürchterlich gesträubtem Haar in unserem Zimmer, fortwährend ingrimmig die Phrase wiederholend: »Mit Salomon bin ich fertig! Der hat seinen Denkzettel.« –
Nach dieser Katastrophe trat eine entschiedene Wendung in dem Benehmen meines Freundes ein. Zu meiner nicht geringen Überraschung hielt er am dritten Tage danach dem sieghaften Feinde Salomon mit einigen versöhnlichen Worten seine Rechte hin und fand ein lächelndes, wenn auch etwas kühles Entgegenkommen. Sein Groll warf sich jetzt ausschließlich auf die Ungetreue, wenn auch dieser Groll sich nicht offen äußerte, sondern gewissermaßen innerlich festsetzte. Er vermied sie nach wie vor, sprach aber nie über sie und nur einmal, als wir beide auf einem Sonntagsnachmittagsspaziergang unvermutet mit ihr zusammentrafen, hielt er plötzlich mit eisernem Griff meine rechte Hand fest, mir grimmig zuraunend: »Wir grüßen keinesfalls!«
Er verhinderte dadurch wirklich meinen Gruß und als ich ihn darüber zur Rede setzte und ärgerlich fragte, wie ich dazu käme, seiner Angelegenheiten halber dem Fräulein unhöflich zu begegnen, sagte er finster: »Ich dächte, das wärst du meiner Ehre schuldig!« –
So kam der Johannistag heran, für uns Schüler der wichtigste Tag des Jahres. Alljährlich an diesem Tage pflegte nämlich das Direktorium des Gymnasiums ein großartiges Fest zu veranstalten, wozu an sämtliche Honoratioren-Familien Einladung erging.
Als Zeuge von Blumes unfreundlicher Gesinnung gegen seine ehemalige Flamme war ich nicht wenig erstaunt, als mein Freund am Morgen des bedeutungsvollen Tages mir seine Absicht mitteilte, Lieschen Keller zum heutigen Ball ein Bouquet zusenden zu wollen. Meine Bedenken und Einwände schlug er mit der entschiedenen Bemerkung nieder, daß er das Bouquet absenden müsse, wolle und werde. Wirklich ließ er nachmittags gegen 2 Uhr durch das Mädchen unserer Logiswirtin einen ungeheuren Rosenstrauß nach dem Hause des Bergrats schaffen. Der Erfolg war der vorausgesagte: das Mädchen kehrte mit dem Strauße zurück. Das gnädige Fräulein hatte ihn mit den Worten zurückgewiesen: sie danke verbindlich, sie sei bereits mit einem Bouquet versehen.
Blume nahm Strauß und Antwort schweigend entgegen; doch als das Mädchen hinaus war, schleuderte er das Bouquet in die Stubenecke, daß es förmlich Rosen regnete. Ich tröstete ihn, so gut ich konnte und schlug, um ihn zu zerstreuen, vor, sogleich nach der Festwiese hinauszubummeln. Unterwegs war er ausfallend einsilbig; wenn er einmal eine Bemerkung machte, war sie bissiger Natur. Auf dem Festplatz wimmelte es bereits von Menschen. Es war das prachtvollste Juniwetter; die Sonne brannte mächtig, aber es ging ein Luftzug und im Schatten der hohen Eichbäume war es erquickend kühl. Die rauschenden Klänge eines Straußschen Walzers von der Kapelle im Mittelpavillon, der Anblick der bunt bewimpelten Zelte, des Lebens und Treibens einer festlich geputzten Menge, die Berge von Kräpfeln und Kirschkuchen auf den Zelttischen und das Gemisch vom Dufte frischgebrannten Kaffees und würziger Waldluft – all dies versetzte uns sehr bald in die gehobenste Feststimmung. Ich sage uns, denn Freund Blumes Lustigkeit schien mehr und mehr zu wachsen; er war unerschöpflich in drolligen Bemerkungen über die uns Begegnenden, wenngleich diese Bemerkungen sämtlich einen Stich ins Satyrische hatten.
Einen Moment nur staute sich der Strom seiner witzigen Rede, als nämlich gegen 5 Uhr Lieschen Keller in einem entzückenden weißen Kleide, in der Hand ein Kamelienbouquet, an der Seite ihrer Eltern erschien. Sie wurde sofort von Freundinnen umringt, dann aber – vor Blumes Augen – ehrerbietig von Salomon begrüßt, der ihr nach einigen Komplimenten den Arm reichte und sie in eins der großen Zelte entführte. Eine Anzahl ihrer Freundinnen in Gesellschaft von Sekundanern schlossen sich dem Heere an.
Blumen sah ich die Zähne aufeinander beißen, als er mich schweigend nach dem Zelte mit fortriß. Wir nahmen nicht weit von der Gesellschaft Platz und bald drang die laute Stimme Salomons und das helle Gelächter der Mädchen zu uns herüber. Salomon schien seinen glücklichen Tag zu haben und die Umsitzenden in der That aufs Köstlichste zu unterhalten. Aber auch Blume schien das Bedürfnis zu empfinden, sich bemerklich zu machen. Er bestellte mit Stentorstimme eine Flasche Meißner Landwein und zwei Gläser und stieß auffällig oft mit mir an, wobei er Gesten und Worte weniger an mich, als nach dem Tische Salomons richtete. Einige Komilitonen von ihm traten zu uns heran; es gab Anspielungen und derbe Witze. »Die ist reine weg in den Schwarzen!« – »Schaff dir eine andere an, Blume. Die ist dir verloren!«
Blume wollte eine verächtliche Gebärde machen, warf aber die noch halbvolle Flasche um, die ihren Inhalt auf seine Hosen ergoß. Er reinigte sich unter dem Gelächter der Komilitonen und rief mit forciert lauter Stimme nach einer zweiten Flasche.
Die Anstifterin dieses Unheils hatte jetzt, nicht ohne einen Blick nach uns herüberzuwerfen, ihrem unterhaltenden Gesellschafter einige Blüten aus ihrem Strauß an den Rock befestigt, bei welcher Manipulation sie sich genötigt sah – da er ihr gegenübersaß, – sich angestrengt über den Tisch zu ihm zu beugen, ein Anblick, der bei Blume einen solchen Wutanfall hervorrief, daß ich ernstlich für unsern Tisch besorgte. Er bearbeitete diesen mit der rechten Faust, stieß ein schreckliches Hohngelächter aus und stürzte ein Glas Wein nach dem andern hinunter. Dann fing er an alle in der Nähe befindlichen Kräpfel und Kirschkuchen aufzuessen – Gemütsbewegungen schienen bei ihm immer einen auffallenden Appetit zu erzeugen – und hörte nur noch zerstreut, was ich oder andere auf ihn einsprachen. Seine ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf den Tisch der Feinde, die zu beobachten er ein grausames Vergnügen empfand, ohne alle Rücksicht darauf, daß diese sein Benehmen offenbar bemerkten und sich wahrscheinlich darüber belustigten.
Es war nahe an sechs Uhr, der Ball mußte gleich beginnen, die Tanzkarten der jungen Damen bedeckten sich mit Einzeichnungen tanzlustiger Gymnasiasten. Salomon hatte soeben, so laut, daß es Blume hören konnte, Lieschen Keller um die Polonaise und den Cotillon gebeten und auf ihre Zusage hin, den Vermerk in ihr Kärtchen eingetragen. Jetzt gab er ihr dieses mit verbindlichem Dank zurück. »Warum haben Sie sich eigentlich so weit von mir weggesetzt?« hörte ich ihn zärtlich neckend fragen.
»Es ist wahr, ihr gehört nebeneinander!« – »Er ist doch dein Ballherr!« – »Er hat dich an den Platz geführt – du mußt an seine Seite!« So schwirrten die Mädchenstimmen lachend durcheinander.
Ich sah, wie sich Lieschen errötend und verlegen lächelnd erhob, um den Platz zu wechseln. Unwillkürlich blickte ich mich nach meinem Freund um, mit Bangen, was er bei dieser neuen Gunstbezeugung anfangen werde. Aber Blume war verschwunden. Ein Glück, dachte ich, daß er gerade jetzt hinausgegangen ist. Auf ihrem Gange nach dem Platze Salomons mußte die kleine Keller an mir vorüber; ich grüßte aufstehend, sie dankte verwirrt weiterschreitend und ließ sich dann, bei dem strahlenden Salomon angelangt, in ihren duftigen weißen Kleidern wie eine Wolke neben ihm nieder.
In diesem Augenblicke sah ich mit Erstaunen dicht hinter ihrem Platze Blume aus gebückter Stellung auftauchen und hinter der Zeltwand verschwinden.
Ein durchdringender Schrei, ein Aufspringen Lieschens und der Umsitzenden, Ausrufe des Entsetzens! – Lieschen wirft sich weinend einer Freundin an die Brust, während Salomon mit einem Messer eine schwärzliche Masse von der Bank zu entfernen bemüht ist . . . Etwas Schreckliches muß vorgegangen sein: Lieschen tritt thränenüberströmt aus der Bank heraus – vier, fünf ihrer Freundinnen umgeben sie dicht, aber in vorsichtiger Haltung, und so sie deckend, als wenn sie etwas Ungeheuerliches den Blicken der Menge entziehen wollten, geleiten sie das arme, laut schluchzende Kind aus dem Zelte. Aber es ist trotz aller Vorsicht bemerkt worden. »Das schöne Kleid!« höre ich von allen Seiten. »Sie muß den Ball aufstecken!« – »So kann sie doch nicht mittanzen!« – »Und zum Umziehen ist es zu spät« . . .
Die Kunde von dem Vorfall dringt in alle Zelte, bald weiß sie der ganze Festplatz. Auch daß es kein Zufall ist! Man nennt die Namen und den Anlaß zu der unseligen That! Ein in den Annalen der Johannisfestbälle unerhörter Skandal:
Fritz Blume hat aus Rache für verschmähte Liebe Lieschen Keller, als diese sich neben seinem Nebenbuhler niederlassen wollte, ein Stück Kirschkuchen unter das weiße Ballkleid gelegt!
Vier Wochen Karcer sind ihm gewiß – wenn er nicht relegiert wird. Unglückliches Lieschen! Unglücklicherer Freund Blume!