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Es würde schwer halten, mit Sicherheit über den Zeitraum zu berichten, der zwischen den inneren Erlebnissen dieser Nacht lag, in welcher ich dem Tier begegnete, und der Morgenstunde, in welcher bald nachher Panjas helle jubelnde Stimme mir aus dem Buschwerk entgegendrang. Beim Klang seiner lauten Worte überkam mich nach seinen vielerlei Vertröstungen zum erstenmal die ganze Zuversicht unserer Befreiung. Ich verstand anfänglich immer nur ein Wort, und da er es im Rufen mehr sang als sprach, so unterschied ich den Sinn nicht, bis er lachend vor mir stand und zitternd vor Freude erklärte, sie seien bis an die Ufer des Kumardary vorgedrungen, des großen Stroms von Süd-Kanara, dessen Wasser aus den Bergen von Kurg und Maisur zusammenströmen und der bei Upanangadi in den Netrawati einmündet, an dessen Ausfluß in das Meer Mangalore liegt, die Stadt, die unser Ziel war.
»Der Fluß hat noch Wasser genug für die größten Kanus,« rief Panja glücklich, »wenn wir Boote aufgetrieben haben, so brauchst du keinen Schritt mehr zu machen, bis die Palmen von Mangalore dich beschatten, und der Regen mag kommen. Der Fluß trägt uns schnell hinab.«
Seine frohe Gewißheit teilte sich mir anfänglich mit. Nach seinen Schilderungen näherten wir uns dem rechten Ufer des Flusses, in einem Abstieg genau von Norden nach Süden, hatten sein Bett also im Laufe der zurückliegenden Wochen bereits einmal überschritten, wahrscheinlich in den heißen Tagen des glücklichen Wanderlebens vor meinem Fieber. Eine merkwürdige Ernüchterung überkam mich plötzlich, sie stellte sich in Gemeinschaft mit einer neuen Lebenskraft ein, aber zugleich mit einer tiefen Verstimmung. Eine veränderte Wirklichkeit rückte heran, mit den grauen Bildern der gewohnten Lebensweise, und die tiefere Wirklichkeit des Traums wurde darüber schadhaft und unwahr. Ach, gewißlich würde ich die Erlebnisse der zurückliegenden Zeit niemals vergessen, aber irgend etwas an ihnen schien mir plötzlich seine Inbrunst einbüßen zu müssen; was einst dem Ernst meiner Seele heilig war, das würde nun im Schein eines feinen Lächelns zurückbleiben. Gewiß, jener schöne Zustand der Vergangenheit war einmal groß und wichtig gewesen, aber es war nun nicht mehr der einzige, denn die neue Welt würde aufs neue meine Hingabe, wiederum meinen Ernst und meine Andacht einfordern.
Damals war es, als ich mir vornahm, niemals über die große Welt meines Erlebens zu schreiben oder zu erzählen, sondern mich bei beiden an die äußeren Ereignisse zu halten. Ich wandte mich um und sah hinter mich, als könnten meine Augen noch einmal alles übersehen, was mich bedrängt und erhoben hatte. Aber nur die undurchdringlichen grünen Wände, deren Palmengefieder in der Sonne glitzerte, boten sich meinen Augen, keine Spur unserer Füße war mehr kenntlich, ich war vergessen in dem Bereich, das ich flüchtig durchmessen, nur in der Ahnung begriffen und im eingeschüchterten Gemüt geliebt hatte.
Heute, nach Jahren, über die weißen Blätter gebeugt, die meine Gedanken, meine Freuden und die Bilder und Farben meiner Erinnerung tragen sollen, begreife ich jene Trauer besser. Damals schlug in meiner Brust die Stunde der Umkehr, damals fühlte ich, daß ich hätte bleiben sollen, denn es gibt keine Berührungen und Umarmungen in der Welt, die an Glück denen der Natur zu vergleichen sind, welche unschuldig und großzügig bleiben, und in keinen weiß sich die besondere Art unseres Lebensbewußtseins geborgener. Auch mögen damals heimliche Erinnerungen an die Hast und Willkür des europäischen Treibens in mir erwacht sein, die alles in Begleitschaft und zum Ziel haben, was immer Menschenaufgabe sein mag, Glück führen sie nicht herbei. Der Zustand des Glücks ist nicht ohne die Ruhe zur Selbstbesinnung möglich, denn Selbstbetäubung führt zur Verarmung.
Und doch ergriff mich daneben der Taumel des Neuen, das mich erwartete, und ich weiß deutlich, daß mich damals schon eine Ahnung streifte, welcher Art meine Erlebnisse sein würden. Lichtwelten und Stürme der Geisteswelt künden sich begierigen Seelen so deutlich an, wie Gewitter oder Sonnentage sich in der Natur vor ihrem Herannahen zu offenbaren pflegen. Mir war damals für einen Augenblick zumut, als sähe ich durch das Buschwerk der Dschungelwildnis nieder auf das Meer, erblickte den bläulichen Rauch der Hindustadt über dem unruhigen Beet der großen und kleinen, bald geneigten, bald kerzengeraden Palmen, und hier und dort das Schimmern einer weißen Mauer. Ich sah eine braune, hölzerne Tempelpagode zackig aus dem Grün steigen und hinter ihr den blauen Streifen des Ozeans. So sah die Wohnung des alten Geistes in meiner Vorstellung aus, und mich verlangte nach keiner Begegnung inniger, als nach der mit einem der Söhne dieses Geistes. Wohl war ich hier und dort auf meiner Reise mit Brahminen zusammengetroffen, aber niemals war ich einem nahe getreten, da die heute zugängigen unter diesen Leuten meist in Gewohnheit und Bildung von der Tradition ihres Geschlechts gelassen haben, sie sind nicht mehr Priester oder Gelehrte, sondern Händler geworden.
Mangalore aber, soviel wußte ich gut, war ein alter und von der neuen Welt nur wenig berührter Platz, eine der wenigen größeren Meerstädte der Westküste, die weder von der Eisenbahn noch vom Dampfschiffverkehr berührt werden und in denen, wie sonst nur tief im Lande, die Herrschaft der Priesterkaste noch große Macht ausübte. Es kam hinzu, daß sowohl die Jesuiten als auch die Protestanten dort Niederlassungen ihrer kirchlichen Einwirkung unterhielten, so daß der Kampf der Geister belebt und heimlich in der Stadt wogte.
In solch geteiltem Zustand meines Empfindens durchmaß ich mit den braunen Gefährten meinen letzten Tag im Urwald. Wir erreichten gegen Mittag ein kleines Dorf, das nah am Fluß auf einem sanften Hügel lag, und auf das wir nur durch das Trompeten eines Elefanten aufmerksam wurden. Den Fluß hatte ich den Tag über noch nicht zu Gesicht bekommen, obgleich wir uns an seinem sumpfigen Ufer dahinbewegten, nur das Gurgeln und Schnattern von Wasservögeln verriet ihn und der morastige Dunst der Luft.
Wir kamen bald auf einen ausgetretenen Pfad, der wie ein braunes Band in mancherlei Verschlingungen, tief in Schilfwände eingebettet, dahinführte, und trafen dort nach langer Zeit einmal wieder einen Menschen an. Es war eine alte Frau, die an einem Stab einen Kupferkessel über der Schulter trug, und die bis auf einen Lendenschurz nackt war. Ihre Augenbrauen waren mit Henna gefärbt, und sie trug ein dunkles Abzeichen auf die Stirn gemalt, das in der Form einer großen Spinne glich.
Als ich ihr winkte, kam sie schüchtern näher, eigentlich blieb sie eher stehen und ließ nur zu, daß ich an sie herantrat, dann hob sie die Arme und verneigte sich, ihre Gebärde schien anzudeuten, daß sie sich zu jeder Dienstleistung bereit erklärte, aber im schlimmsten Fall auch zur Flucht.
Panja schaute in ihren Topf.
»Pfui Teufel,« sagte er würdig, »es hockt eine Kröte darin.«
Er konnte sich nur schwer mit der Alten verständigen, die kein Wort hindustani und nur sehr wenig kanaresisch verstand, aber wir erfuhren, daß der Ort Schamaji hieß, und daß der König den weißen Herren gnädig gesinnt sei und zwei Elefanten besäße, beide männlichen Geschlechts.
»Weiß Gott, was das für ein König ist«, sagte Panja ohne Respekt und sah mich mit einer Grimasse an, die mindestens Fragwürdigkeit ausdrückte. Es gibt in Malabar und Süd-Kanara eine ganze Reihe kleiner Hindukönige, die sich aus ihren städtischen Sitzen, langsam der Macht der Mohammedaner oder der Engländer weichend, in die Provinz zurückgezogen haben, um ganz ihrem Volke leben zu können, oder besser von ihrem Volke. Es geht ihnen mit ihrer Macht ähnlich wie manchem angeblich verkannten Dichter mit seinem Genie, beide entwickeln sich in der Ausgeschlossenheit ins Ungeheuerliche, aber nur in den Augen ihrer wenig glücklichen Träger. Diese Despoten geistiger oder weltlicher Macht haben etwas ungemein Rührendes, und es gehört geradezu Hartherzigkeit dazu, sie ihrer Illusion zu berauben. Es verbirgt sich soviel Gutmütigkeit hinter der meisten Eitelkeit, daß man lernen sollte, sie mit weniger Verachtung zu ertragen, denn der wahrhaft Böse ist selten eitel. Diese vereinsamten Gewaltigen ihrer verkannten Herrlichkeit sind oft durch einen unvermuteten fremden Glauben an ihre Bedeutung so heftig zu erschüttern, daß ihre Hoheit sich in bittere Anklage verwandelt, sobald sie einmal nicht bestritten wird.
Trotz dieser Kenntnis beschloß ich, den König von Schamaji so ernst zu nehmen, als sei er der Maharadscha von Maisur; die kleinen Geschenke, die ich ihm hätte zum Empfang senden können, würden wahrscheinlich keinen großen Eindruck auf ihn gemacht haben, denn diese vergessenen Fürsten sind oft noch vermögend genug, um sich mit allem erreichbaren Tand zu umgeben, den der Handel aus dem Westen einführt. Ich beschloß deshalb, zuerst seine Bekanntschaft zu machen, und schickte Pascha mit der Alten, um um eine Audienz einzukommen und um die Erlaubnis, mein Zelt bis zum Morgen in der Nähe seines Throns aufschlagen zu dürfen. Pascha ging, ernst wie immer und ohne erkennen zu lassen, was er von meinem Vorhaben hielt, die Alte quietschte vergnügt und schloß sich ihm an, in merkwürdigen Sprüngen, die eher auf ihre Rüstigkeit, als auf ihre Würde schließen ließen und die sicherlich ihre erbeutete Kröte auf das unangenehmste berührten. Panja dagegen erhob Einspruch:
»So darfst du keinen König behandeln, Sahib«, sagte er nachdenklich und ohne Eifer. Er schien wirklich besorgt, und ich hatte alles andere erwartet, als er fortfuhr: »Er wird sich auf seinen lahmen Elefanten hocken und auf dich herabsehen wie auf einen Bettler. Wenn du ihm aber erlaubt hättest, dich zu sehen, so würde er dir seinen Elefanten geschickt und sich zur Erde geworfen haben, wenn du in seine Residenz eingeritten wärst.«
»Panja, ich will nicht, daß der König mich sieht, sondern ich möchte ihn sehen, und zwar so, wie er gesehen sein will und wie er zu leben pflegt. Glaubst du, der gebeugte Nacken eines Menschen sei unterhaltsamer, als sein erhobenes Gesicht?«
»Das ist der Kummer,« sagte Panja, »du hältst nichts auf deine Würde. Du könntest wie ein Fürst durch den Dschungel ziehen und kommst wie ein Wandermönch, der überall bitten muß. Es ist schwer, solchem Herrn dienen zu müssen. Dies wäre nun wirklich einmal ein König für uns gewesen. Bei anderen Königen, die noch Macht und Reichtümer haben, wäre dir ohnehin nichts anderes übriggeblieben.«
Er hockte sich bekümmert auf einen Gepäckballen und betrachtete die Ameisen, die ihn zu erobern suchten. Im Grunde dachte er gewiß nicht so, und er wäre leicht vom Gegenteil zu überzeugen gewesen, es lag ihm nur daran, mein Ansehen zu heben und seines in Szene zu setzen, und da sich für das letzte gewiß noch Gelegenheit bieten würde, ließ ich ihn in seinem Kummer allein.
Sein Schmerz brach noch einmal durch:
»Glaubst du, ich hielte dich für arm oder machtlos, Sahib? Ich weiß alles. Aber was hilft ein goldgesticktes Kleid, wenn man es verkehrt anzieht und zuknöpft? Wer ehrlich ist, zeigt was er ist.« »Panja, es ist zu heiß zum Reden, wir wollen ein wenig ruhen, bis der König kommt.«
»Nein, du sollst sprechen!«
Als ich schwieg, stampfte er mit dem Fuß.
»Glaubst du, ich sei glücklich, wenn ich recht behalte?« fragte er böse.
»So geht es auch mir,« antwortete ich ihm, »und so ist es mit dem goldgestickten Kleid, von dem du gesprochen hast.«
Er schüttelte eifrig den Kopf.
»So kann es nicht sein, denn ich bin dein Diener, du aber bist der Herr und mußt recht behalten. Bist du ein Diener des Königs, daß es dich quälen könnte, wenn er schweigt, und du fühlst, daß er doch im Grunde recht hat? Du läßt ihn sitzen und gehst. Aber ich kann nicht fortgehen.«
»In dem Reiche, in welchem es mir gefällt, gibt es keine Herren und Knechte, Panja, sondern nur lebendige Wesen, und das Ziel aller Lebendigen ist die Freiheit. Der Wunsch nach rechter Freiheit aber richtet seine Augen nicht auf andere, sondern zuerst in die eigene Brust. Auf diese Art braucht niemand um sein Recht besorgt zu sein, es fällt jedem sein Teil zu, wenn jeder sein Teil erkennt und bewacht.«
»Wenn dein Gott dich das lehrt,« sagte Panja, »so kennt er die Welt nicht und weiß nicht, wie es in ihr zugeht.«
»Vielleicht weiß er nicht, wie sie ist, aber er weiß, wie sie sein sollte.«
»So sage mir, was du Freiheit nennst? Wie soll ich dich verstehen?«
»Freiheit beginnt mit der Erkenntnis und dem Willen, daß man sein Handeln nicht mehr danach richtet, was man anderen damit antut, sondern danach, was man sich selbst zufügt, oder was man um seiner selbst willen unterläßt. Nimm an, du schlägst einen Menschen oder ein Tier, das mag zuweilen notwendig sein. Du und das fremde Wesen, ihr beide werdet etwas dabei empfinden. Es wird dir solange gleichgültig sein, was ein anderer dabei fühlt, bis du gelernt hast, zu beachten, was dir selbst dabei durch die Seele geht. Hierauf achtzuhaben und sein Handeln danach einzustellen, ist der erste Schritt zur Freiheit.«
»Und der letzte?« fragte Panja.
»Der letzte ist der Wille, alles Böse deines Herzens in Liebe zu verkehren.«
»Ich weiß nicht, was gut ist und was böse. Alle Menschen denken darüber verschieden. Die Brahminen denken anders als ich, du denkst anders als die Fakire, die aus den Bergen niedersteigen, und wenn du gar einem Missionar begegnest, so denkt er so darüber, daß sich deine Haare sträuben.«
»Das ist nicht wahr, du weißt doch, was böse ist, und du brauchst es nur für dich selbst zu wissen. Es ist nicht deine Aufgabe, dem Bösen zu begegnen, das dir bei anderen entgegentritt. Für dich selbst aber wirst du es wissen.«
»Gut, wenn ich aber keine Liebe habe, Sahib?«
»Dann bist du verloren, Panja, dann kann kein Gott dir zur Freiheit verhelfen, der meine nicht und der deine nicht, keiner. Solche Menschen sind wahrhaft arm und verloren.«
Panja schien sich mit diesem Resultat einer bescheidenen Reflexion zufrieden zu geben, er lächelte vor sich hin, als käme er selbst bei einer solchen Lage der Dinge nicht eben schlecht weg. Aber dann begann er sich zu kratzen, und ich erkannte, durch den Sonnenschein blinzelnd, daß kein äußerlicher Grund für diesen Kraftaufwand vorlag. Er meinte vorsichtig:
»Was du in deinem Kopf ausdenkst, Sahib, ist gar nicht übel, aber wenn es herauskommt und man will etwas damit anfangen, so geht es einem ähnlich, als wollte man sich Sonnenlicht für die Nacht aufheben. Das Leben ist doch anders, das ist die Sache.«
»Es ist dunkel, Panja. Dadurch unterscheidet sich unser Herz von unseren Händen, in ihm läßt sich Licht aufheben und bewahren.«
Wäre nicht eine trippelnde Schar kleiner Wilder am Ende des Pfades vom Dorf her erschienen, so hätte sich Panja sicher noch einen Einwand ausgedacht, jedenfalls behielt er insofern auch ohne Entgegnung recht, als die greifbaren Tatsachen des Lebens gebieterisch die Oberhand forderten. Es waren vielleicht zwanzig oder dreißig Hindukinder, die in einiger Entfernung auf dem schmalen Weg den Versuch machten, immer eins vor dem andern zu stehen, da jedes die Absicht mit sich trug, am besten glotzen zu können. Dies Bestreben bewirkte, daß das belebte Knäuel sich immer mehr näherte, bis endlich die stärksten Knaben vorn waren und die Beine in den Boden stemmten, um nicht weiter an uns herangedrängt zu werden. Einige kletterten in die Pfefferranken, und die schwarzen Augen sahen über den braunen Pausbacken durch die grünen Blätter.
»Eine Botschaft im Kopf einer alten Frau ist wie Reis in einem groben Sieb«, sagte Panja und lachte.
»Es war keine junge da, Panja.«
Er sah mich neugierig an und meinte dann:
»Dir ist es gleichgültig, Sahib. Du siehst auf die Frauen meines Landes wie ich auf die Gedanken deiner Stirn.«
Ich wunderte mich in der letzten Zeit oft über Panjas Freimut und über den vergnügten Eifer, mit dem er vertrauensvoll im Element unserer Beziehung umherzuschwimmen begann. Ich empfand darüber große Freude, denn meine Art, mich mit ihm einzulassen, hätte bei den meisten Männern seines Volkes und seines Standes zu Enttäuschungen geführt.
Panja trat gebieterisch vor die lebenden Resultate der erfolgreichsten Bemühung der Einwohner der Königsstadt, aber der Eindruck, den er machte, war nicht so groß, als er erwartet hatte. Da kehrte er um, nahm mein Gewehr und ging wieder zurück. Jetzt wichen ihm die Kleinen scheu aus, und er lächelte befriedigt und hielt eine Ansprache in hindustani, die einen um so stärkeren Eindruck machte, als sie nicht verstanden wurde. Er wurde durch ein fernes Klirren und Flöten unterbrochen und kam rasch zu mir zurück.
»Der König kommt,« rief er, »wenn er nicht zu neugierig wäre, würde er dich wahrscheinlich länger haben warten lassen.«
Die lärmende Musik kam näher, sie spannte seltsam die Erwartung, wie sie hinter den grünen Vorhängen des Dickichts heranrückte, und ihr Rhythmus erschütterte das Blut geheimnisvoll. Das erste, was ich bald darauf erblickte, war der graue Schädel eines riesigen Elefanten und über ihm das bunte Kattundach eines etwas schiefen Baldachins, der von drei vergoldeten Stangen gehalten wurde und von einer eisernen. Unter dem hellen Dach war ein geflochtener Verdeckstuhl aus Rohr kunstvoll befestigt, und auf ihm saß der König von Schamaji und spähte mit eifrig bewegtem Kopf nach seinem Besuch aus. Acht Diener zur Rechten und Linken des Elefanten trugen Fächer aus Pfauenfedern, die an dünnen Bambusstangen befestigt und etwas schadhaft waren, ihre vielfarbigen Augen waren zum Teil erblindet, wie auch die Gewänder der Gefolgschaft in etwas den Eindruck einer raschen Zusammengesuchtheit erweckten. Immerhin entbehrte der Anblick des Zuges keineswegs einer gewissen Pracht, besonders die Decken des Elefanten gefielen mir wohl und waren, bis auf die faustgroßen, gläsernen Edelsteine, wertvoll, von reicher Stickerei und schönem Stoff. Die Musikanten schritten, entgegen der gewohnten Art solcher Festzüge, hinter dem Elefanten, wahrscheinlich hatte der König ihnen den Vortritt nicht gegönnt, und so gruppierten sie sich auch eher neugierig, als eben feierlich, und suchten zur Rechten und zur Linken des dicken Ungeheuers soviel als möglich von dem Fremden zu erspähen. Hinter ihnen zog in ungeordneten Haufen das ganze Dorf heran.
Wir waren bis zu einer Lichtung vorangeschritten, und der König nickte mir huldvoll zu, nachdem er den Aufstieg der Musik durch eine Bewegung seiner braunen Hand beschwichtigt hatte. Er hieß mich auf englisch in seinem Reich willkommen, nachdem er zuvor einen prüfenden Blick auf mein Gepäck geworfen hatte. Ich antwortete ihm englisch, und Panja übersetzte meine Worte, denn er traute dem König keine weiteren Kenntnisse dieser Sprache zu, und er behielt darin recht.
Der König kletterte hierauf mit großem Geschick von seinem Elefanten, wobei er so selbstverständlich auf die Schultern seiner Würdenträger trat, als bildeten sie eine natürliche Treppe. Durch den Abstand, in welchem er sich von mir hielt, deutete er mir an, daß er die abendländische Sitte eines Händedrucks zu vermeiden gedächte, und ich sagte ihm einige Höflichkeiten über sein Ansehen und über seine Macht, von welchen beiden der Dschungel widerklänge. Das gefiel ihm wohl, und so erfuhr ich von ihm, daß er noch einen zweiten Elefanten besäße, der aber nicht mitgewollt hätte, daß mir der Zutritt in seine Stadt offen stünde, und daß ich mein Zelt im Garten seines Schlosses aufschlagen dürfte. Wir standen in einem braun-weißen Ring von staunenden Menschen, im Schatten des Elefanten, und sagten uns noch eine ganze Weile angenehme Dinge. Endlich fragte der König, was mein Begehr sei.
Panja riet mir rasch, eine Regierungspflicht vorzuschützen, aber es widerstand mir, und so antwortete ich, daß ich gekommen sei, sein Land und seine Stadt zu sehen, von der ich im Abendland gehört hätte. Ich glaube nicht, daß Panja dies richtig weitergegeben hat, jedenfalls minderte seine Auskunft die Gunst des Königs nicht herab, und er begleitete uns ins Dorf zurück, immer bemüht, mir nicht zu nahe zu treten, und außerordentlich unhöflich gegen sein Volk.
»Bist du ein Engländer?« fragte der König zögernd, und Panja antwortete, bevor ich etwas entgegnen konnte:
»Der Sahib läßt fragen, ob du ein König seist?«
Das wurde verstanden, ich wunderte mich sehr darüber auf wie freundliche Art, aber man muß die Kälte und Sicherheit der englischen Beamten im Innern Indiens gesehen haben, um zu begreifen, daß diese Gegenfrage keinesfalls das gewohnte Maß der englischen Arroganz überschritt. So war ich also ein Engländer. Wahrscheinlich hätte die Verkündigung meiner deutschen Nationalität keinen größeren Eindruck auf diesen Fürsten gemacht, als wenn sich in Berlin ein Neger mit Stolz als zum Stamme der Aschanti gehörig ausgibt.
Wir kamen über den Dorfplatz, der, wie mit großen graugrünen Zelten, mit wilden Feigenbäumen umstellt war, deren hängende Wurzeln, wie das Gitterwerk eines Käfigs, den Ausblick auf die fast ganz im Grün verborgenen Hütten anfänglich verdeckten. Das Schloß lag am Ende des Dorfs in einem Hain von wilden Zitronenbäumen und Arekapalmen, es war zweistöckig und weiß getüncht, von einem hohen Kakteenzaun umgeben, zwischen dem Termitenbauten natürliche Befestigungstürmchen bildeten. Die mit Bambusgitterwerk verhangenen Fenster schwiegen geheimnisvoll in dem abendlichen Sonnenschein, der schräg durch die Palmen drang, nur zuweilen klirrten die blanken Stäbchen leise, als rührte sich hinter ihnen die Hand einer Neugierigen.
Ich habe nur den Hof des Hauses betreten dürfen und hätte nach dieser kurzen Begrüßung den König wahrscheinlich nicht mehr zu Gesicht bekommen, wenn nicht ein aufregender Vorfall mein Interesse aufs höchste gespannt und meine zur Stunde nicht sonderlich auf äußere Abenteuer gestimmte Seele in ein gefahrvolles Ereignis verwickelt hätte.
Als der rasche Abend niedersank und wir vor unserem Zelt unsere Mahlzeit beendet hatten, vernahm ich aus dem Dunkel des Gartens einen klagenden Sington von merkwürdig einschmeichelnder und zugleich wehmütiger Verlorenheit. So singen zuweilen im Einsamen beschäftigte Menschen vor sich hin, die sich für unbeobachtet und unbelauscht halten. Es waren langgezogene, wie mit dem schweren Atem hervorgehauchte Töne, nur wenig voneinander unterschieden und tierhaft traurig. Sie wiederholten sich immer wieder und bemächtigten sich meiner auf eine geradezu dämonisch zwingende Art, so daß ich mich getrieben sah, ihnen wider meinen Willen nachzugehen. Panja ließ mich auf diesem Streifzug durch den nächtlichen Garten nicht allein. Die Sterne schienen hell, und die riesigen Blätter der Bananenstauden zur Rechten und zur Linken der schmalen Wege erhoben sich wie gestürzte und sinkende Säulen eines heidnischen Bollwerks gegen die Macht böser Götter, oder sie hingen zerrissen im Sternenschein nieder, wie die Häute zerfetzter Ungeheuer.
»Der König gibt uns Boote,« sagte Panja leise, »aber er erwartet eine Bezahlung, die seiner Würde entspricht. Er hat auch Ruderer ausgewählt, sogar Bananen, Papaya und Gewürze für den Reis.«
Ich nickte schweigend, wir sprachen nicht über die Töne, die uns lockten. Vielleicht setzte Panja voraus, daß ich wußte, um was es sich handelte, vielleicht hielt ihn eine ähnliche Scheu von seinen Mitteilungen ab wie mich vom Fragen.
Dicht am Kakteenzaun des Gartens erhob sich nach einer Weile schwarz und mächtig die hölzerne Pagode eines Tempels, wir sahen in den Hof hinüber, was vom königlichen Garten aus möglich war, und erblickten die heilige Ziege zwischen den braunen Pfählen des Vorplatzes zum Heiligsten. Es rührte sich nichts an der geweihten Stätte, nur ein schwacher, rötlicher Lichtschein glomm hinter dem niedrigen dunkeln Türrahmen, als wäre ein Vorhang aus zartroter Seide vor dem geheimnisvollen Raum ausgespannt.
Als unsere Schritte sich einem Bambusdickicht näherten, hinter dessen leise sirrendem Gefieder der Umriß eines niedrigen Gebäudes sichtbar wurde, verstummte der trübe Singsang, ähnlich wie der Grillengesang im hohen Gras erlischt, wenn ein nächtlicher Späher herantritt. Wir drangen in die hohen Stauden ein, auf einem schmalen, kaum sichtbaren Pfad, über uns hingen die Sterne im dünnen Bambusblätterwerk, wie stechende, kleine Ampeln. Hinter einer vergitterten Tür, im Schwarzen, erklang ein schwaches Stöhnen, dicht an den hölzernen Stäben.
»Wir müssen Licht haben«, sagte ich leise zu Panja.
Dies wäre nur durch eine Fackel möglich gewesen, und ihr Schein hätte uns verraten. Wir wären unserem königlichen Gastgeber wohl kaum als sonderlich höflich erschienen, wenn er uns darüber ertappt hätte, wie wir sein häusliches Bereich nächtlicherweile durchforschten.
»Wenn wir warten, so werden wir sehen lernen«, meinte Panja. Die Sterne schienen sehr hell, ich hörte mein Herz klopfen und stand unentschlossen.
»Ist es ein Tier?« fragte ich Panja.
Er sah mich überrascht an, als hätte er mich für unterrichtet gehalten und wundere sich nun über meine Frage.
»Ein Tier? Es ist ein Weib, das klagt«, sagte er. »Vielleicht hat die Liebe sie verwundet, vielleicht erleidet sie eine Strafe.«
Ein trüber Dunst, der den Atem benahm, schlug mir entgegen, als ich nun nahe an das Holzgitter herantrat. Meine Furcht war jenem gedankenlosen Mut der Empörung gewichen, der mit Panjas Worten in mir erwachen mußte. Ich hielt mich seitlich, um den schwachen Lichtschein auf die dunkle Öffnung fallen zu lassen. Das niedrige Häuschen war gemauert und glich einem vernachlässigten Stall.
»Wer ist dort?« fragte ich auf kanaresisch. Panja stand dicht hinter mir. Da sah ich nach einer kurzen Weile bedrängten Wartens ein schmales Menschengesicht, merkwürdig farblos und von kranker Blässe, zwischen zwei Stäben des Gitters erscheinen. Rechts und links von dem schwarzen Haar, das gelöst niedersank, erblickte ich die erschreckend mageren Finger der Hände, die in der Höhe der Augen je einen Stab umklammerten. Diese Erscheinung war im nächtlichen Licht so grauenhaft in ihrer Verdammnis, als tauchte das Gesicht einer längst Verstorbenen aus der Gruft empor. Die großen dunklen Augen saugten die Nacht auf und gaben sie in lähmender Stille zurück. Mir war, als erlösche mein Herz, und ich taumelte und ergriff Panjas Arm.
»Komm, Sahib,« sagte er, »wenn sie krank ist, so schleicht die Seuche in deine Glieder.«
»Ist sie krank?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er zögernd.
»Du weißt es doch«, schrie ich, die Zähne aufeinander gepreßt.
Panja erschrak.
»Ich weiß nur, Herr, daß untreue Frauen in diesem Lande auf solche Art bestraft werden, aber es ist möglich, daß sie erkrankt ist.«
Mich verließ der Rest meiner natürlichen Besinnung, ich packte einen der Holzstäbe des Gitters mit beiden Fäusten, stemmte den Fuß gegen die Bodenmauer und setzte jenen großen Aufwand entfesselter Kraft ein, den die höchste Empörung uns verleihen kann, aber meine Bemühung war vergebens, da die Stäbe aus Bambus waren.
Panja zog mich zurück. Ich entsinne mich nicht, daß er mich jemals vorher berührt hat, und mehr diese Kühnheit als seine Absicht brachten mich zur einsichtvolleren Betrachtung der Lage, die zweifellos recht schwierig war, wenn ich erwog, daß ich auf jeden Fall alles einsetzen wollte, dieser Unglücklichen ihr Geschick zu erleichtern, und mich zum andern die Angelegenheit durchaus nichts anging. Der König würde mir einen eigenmächtigen Eingriff in seine Rechte niemals verzeihen, und wenn seine Machtbefugnisse auch keinesfalls so groß waren, wie er wähnte und vorgab, so hatte ich andererseits nicht den Rückhalt, den er bei mir vermutete. Die Engländer pflegen die Gebräuche und die persönlichen Gewohnheiten der vornehmen Hindus, wie auch die der Brahminen auf das zurückhaltendste zu respektieren, weil sie erkannt haben, daß sie durch die Unterschiede der Sitten, welche die einzelnen Kasten auszeichnen, das Land um so leichter beherrschen. So gering ihre Zahl im Vergleich zu den Eingeborenen ist, so groß ist sie als eine einzige geschlossene Gesellschaft, selbst der mächtigsten Kaste gegenüber.
So mußte ich wohl bedenken, daß ich keinen Schutz bei einer Regierung finden würde, deren Verwaltungstendenz einen Eingriff, wie den von mir geplanten, verurteilte, am wenigsten vielleicht als Deutscher. Gerade damals war England noch nicht über Deutschlands Kräfte und Rechte unterrichtet, und man hielt in London das erste energische Vorgehen der Deutschen in überseeischen Ländern nur für anmaßend.
Trotzdem stand mein Entschluß fest, meinen Wunsch zur Geltung zu bringen, und ich nahm mir vor, Panja in der Morgenfrühe zum König zu senden und ihn um eine besondere Unterredung zu bitten. Es ist seltsam, wieviel leichter wir grausame oder ungerechte Handlungen begehen, als bei anderen dulden können. Der Gedanke an das Elend dieser eingekerkerten Frau überschüttete mich in einer schlaflosen Nacht in der Schwüle unter dem Moskitovorhang mit einem heißen Schauer der Empörung nach dem andern. Im kurzen Eindämmern eines qualvollen Halbschlafs erschien das wächserne braune Frauengesicht vor mir in glühendem Nebel, und die klagenden Singtöne ihrer ersterbenden Stimme füllten die von Unheil und nahenden Ungewittern schwangere Nachtluft.
Ich erhob mich mit dem ersten Morgengrauen in einem ins Schmerzhafte gesteigerten Verlangen danach, endlich das Meer, die Weite, den Widerschein der Befreitheit zu erblicken. Mir war, als hätten die grünen Wände meine Augen, ja alle Sinne abgestumpft und bis zur äußersten Gereiztheit eingezwängt, ich fühlte mich schuldig und am Ersticken. In diesem Zustand mag der Eigensinn eines Gedankens um so ausschweifender und zäher Gewalt gewinnen, es war zweifellos eine gesteigerte Wut, in der ich bald darauf dem König gegenübertrat. Es kam mir wenig auf die Folgen meiner Handlungsweise an, und dieser Verfassung mag ich mehr an Erfolg verdankt haben, als ich vielleicht einem überlegten Vorgehen zu danken gehabt hätte.
»Du hältst ein Weib in deinem Garten gefangen«, sagte ich barsch. »Es ist eines mächtigen Fürsten unwürdig, so gegen ein hilfloses Wesen vorzugehen. Ich verlange, daß du ihr sogleich ihre Freiheit zurückgibst. Mehr nicht, aber das. Tu es gleich!«
Nach einem betroffenen Aufblick kam eine große Geschmeidigkeit in das Wesen des Hindufürsten, eigensinnig und zugleich unterwürfig und von einer Ausdauer im Umständlichen, die auch den größten Langmut ermüdet hätte. Panja war sehr ernst und übersetzte jedes Wort aufs genaueste, ich fühlte, daß er nicht wagte, in dieser Situation eine Verantwortlichkeit zu übernehmen.
»Ich sehe, daß du mir nicht zu Willen bist,« ließ ich dem König antworten, »so erinnere ich dich an das Gesetz der Regierung, das verbietet zu töten und das den Mord mit Tod bestraft.«
Der König erblaßte und seine Lippen zitterten leicht, aber er blieb freundlich und herbeilassend und versuchte mich zu überzeugen, daß es sich um eine leichte Strafe handelte, die zu verhängen sein gutes Recht sei. Auch sei mir das Vergehen dieser Frau unbekannt. Er wüßte von der Strenge der Engländer, aber zugleich habe er bisher niemals Grund gehabt, an ihrer Gerechtigkeit zu zweifeln, und er würde eher glauben, daß ein ungerechter Mann kein Engländer sei, als er einem Engländer eine Ungerechtigkeit zutraue. Ich begriff aufs neue die Schlauheit und Zähigkeit dieser Menschen, ihre Beharrlichkeit und die List, mit der sie ihre kleinsten Zweifel zu Waffen machen, ohne eine nachweisbare Kränkung damit zu verbinden. Billigerweise blieb mir kein anderer Ausweg, als nachzugeben, bevor ich nicht die Rechte zu einer Prüfung erbracht, oder die Gründe für die Bestrafung der Eingekerkerten angehört hatte. Aber die kleine Enge, in die ich getrieben worden war, machte mich nicht vorsichtig, sondern zornig, und so rief ich böse: »Wenn die Engländer ihre Gerechtigkeit von den indischen Königen gelernt hätten, so säßest du hinter jenen Stäben, noch ehe ich nach Bombay zurückgekehrt wäre.«
Es ist sonst nicht meine Art, Königen auf so unhöfliche Weise zu begegnen, aber nach dem Anfang, den ich gemacht hatte, blieb mir nur dieser Weg übrig, denn mir ist die Klugheit fremd, die ihre Zelte auf der Walstatt errichtet, auf welcher ein hochherziger Vorsatz von Furcht überwältigt worden ist. Ich sah Panja an, daß er meine Antwort für richtig hielt, er trat vor und sagte ruhig:
»Die Beine der Gefangenen sind bis an die Knie hinauf von den Ameisen zerfressen.«
Der König gab ihm keine Antwort, er sah vor sich nieder, als ginge ihn dies alles plötzlich nichts mehr an, und zum erstenmal schlich, über dieser neuen Gebärde meines Gegners, eine graue Furcht in mein Herz. Ich fühlte, daß er den Gebrauch von Waffen erwog, denen keine Gesinnung gewachsen ist; dies war die Stille, in der das Böse, zum äußersten getrieben, das Niedrige beschwört.
»Ich werde die Gefangene freigeben, Sahib Kollektor«, sagte er ruhig und trat zurück.
Dieser Titel war mir gewiß nicht aufrichtigen Herzens zugelegt, denn der englische Kollektor ist der höchste Regierungsbeamte des Bezirks und würde sicherlich nicht in meinem Aufzug durch die vergessene Wildnis des Dschungels von Kanara reisen. Ich wußte dies wohl, und nicht nur der lauernde Blick des Königs unterrichtete mich über die Tücke dieses Angriffs.
»Wenn der Kollektor hätte kommen wollen, so wäre ich nicht selbst gegangen«, sagte ich frech. Es kam mir nun durchaus nicht mehr darauf an, etwas anderes zu geben, als gute Antworten. Ich forderte die Entgegnung des Königs mit ruhigen Augen heraus, und sicherlich hat ihre Farbe ihn mehr bedrängt als meine Anmaßung. Er sah mich nur einmal rasch und voll unterdrückten Hasses an. Das dunkle Gift der Dschungelnacht blinkte in seinen müden Samtaugen auf, die Bosheit der Fremde und der ganze Rassenhaß eines unterdrückten Volks.
Ich hielt es für angebracht, mich vorderhand mit diesem Zugeständnis zu begnügen und abzuwarten, welche weitere Wirkung meine Forderung haben würde. So verabschiedete ich mich vom König, wobei wir uns beide beflissen zeigten, so gnädig als möglich zu erscheinen. Ich ließ das Zelt abbrechen und alles zur Abfahrt vorbereiten, nahm mir aber fest vor, das Boot nicht eher zu betreten, als bis ich das Resultat meiner Bemühung gesehen hatte. Es blieb mir kaum recht Zeit zu überlegen, ob ein Erfolg oder ein Mißerfolg größere Schwierigkeiten für mich mit sich bringen würde, denn noch ehe die letzten Eisenkoffer geschlossen waren, brachten zwei Diener des Königs seine Gefangene zu uns. Die junge Frau war in ein weißes Tuch gehüllt und schritt langsam und mühselig dahin, ich sah kaum mehr als ihre Augen, als sie vor mir stand, und die flackernde Furcht darin machte mich ratlos.
Panja versuchte mit ihr zu sprechen, und nach langer Mühe gelang es ihm, ihr verständlich zu machen, daß sie uns ihre Befreiung aus ihrer Lage verdankte, und daß es ihr anheimgestellt sei, zu gehen, wohin es ihr beliebte.
Sie ließ sich stumm am Boden nieder, wahrscheinlich aus Erschöpfung, und schloß immer wieder für lange ihre Augen, die des Lichts entwöhnt waren. Kein Zeichen von Dank oder Freude belohnte uns, bis sie endlich, nachdem ich mich zurückgezogen hatte, Panja fragte, ob sie den fremden Sahib begleiten müsse. Panja will ihr gesagt haben, daß wir nichts von ihr forderten oder erwarteten, er hat ihr die Freiheit so verlockend geschildert, als sie ihm nur immer erschienen sein mag. Nach einer kleinen Weile kam er zu mir und sagte ohne Triumph oder Parteinahme, aber ehrlich bestürzt:
»Sahib, die junge Frau bittet dich, sie zurückkehren zu lassen.«
»In ihr Gefängnis?«
»Ja, Herr. Sie hat die Hände auf ihr Herz gelegt und den Namen des Königs genannt.« –
Eine Stunde darauf stießen unsere Boote vom Landungsplatz des Dorfes Schamaji aus in die lauen Strudel des Kumardary, der uns träge und still nach Westen trug, auf das Meer zu. Der Liebe lassen sich keine Liebesdienste erweisen, sie ist in ihrem Fortgang selbständiger und beharrlicher als jedes andere menschliche Gefühl, und ihre Sicherheit ist höheren Ursprungs als die Vernunft.