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Der 8. Juni 1743 war der Tag, an welchem unser Held das Licht der Welt erblickte und zwar gebührt der Stadt Palermo das unbestrittene Vorrecht, ihn ihr eigen nennen zu dürfen. Seine Eltern waren Peter Balsamo, ein ehrsamer Krämer, und dessen Frau Felicie, geborene Bankonieri, beide von mittelmäßigem Herkommen, beide nicht eben in Wohlhabenheit lebend. Es läßt sich daher annehmen, daß der Vater durch die Geburt seines Söhnchens, das den schönen Namen Giuseppe erhielt, nicht sonderlich erfreut gewesen sein mag, denn keine Nachricht weist darauf hin, daß ein Heiligenschein ihn schon in der Wiege gezielt und seinem Erzeuger seinen einstigen Weltruhm verraten hätte. Im Gegenteil, er war ein verzweifelt gewöhnlicher Bengel, und entwickelte sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit zu einem ebenso dicken, wie faulen und schmutzigen Straßenjungen.
Die Straße, in der er geboren war, und die an sie anstoßenden waren das erste Wirkungsfeld des jungen Balsamo, und es läßt sich annehmen, wenn anders der Satz: Was ein Häkchen werden will, krümmt sich bei Zeiten, berechtigt ist, unser Freund Balsamo sich stark gekrümmt haben muß, denn er wurde nicht nur ein Häkchen, sondern der Haken, an dem sich der gesunde Menschenverstand seiner Zeit, an sich selbst verzweifelnd, aufhing. Er krümmte sich also bedeutend, und wir werden ihm kein Unrecht antun, wenn wir behaupten, daß schon mit frühester Uebung der Sprache die Verstellung in ihm rege zu werden begann. Dennoch konnte er die Wahrheit sagen, er sagte sie auch mitunter, nämlich wenn er Vorteil davon hatte, sonst sagte er sie aber lieber nicht. Hungrig war er oft, wenn auch damals noch nicht nach Ruhm. Eine tüchtige Verdauungskraft und eine magere Speisekammer daheim – diese beiden Umstände wiesen ihn auf seine eigene Erfindungsgabe an.
Was die sogenannte Moral und Erkenntnis des Rechts und Unrechts betrifft, so scheint es ziemlich gewiß zu sein, daß eine solche Kenntnis, die traurige Frucht des menschlichen Sündenfalls, ihm größtenteils erspart worden war, und wenn er auch jemals das Gebot: »Du sollst nicht stehlen« gehört hatte, so hatte er es höchst wahrscheinlich doch nicht glauben und ihm daher auch nicht gehorchen können.
Wenn er Streit hatte, so prügelte er sicherlich seinen Gegner durch, denn wo er fürchten mußte, seinerseits Prügel zu bekommen, da hatte er nie Streit. – Auch glauben wir versichern zu dürfen, daß er schon damals eine beneidenswerte Unverschämtheit besessen hat, denn es wäre unbegreiflich, wie selbige in späteren Zeiten sich zu einer solchen Riesengröße entfalten konnte, wenn nicht damals bereits der Keim dazu in ihm gelegen hätte. Ja, ja, es bildet ein Talent sich in der Stille.
Damals starb sein Vater, der biedere Peter, und der Ernst des Lebens begann nun an unsern lieben Joseph heranzutreten, denn die Mutter, welcher von ihrem Gemahl außer ihrem Kinde nichts hinterlassen war, war beim besten Willen nicht in der Lage, dem gefräßigen Sohne länger Genüge zu tun. Schon vor dieser Zeit nämlich war Joseph auf das Seminar des heiligen Rochus gebracht worden, um hier in die Tiefen der Gelehrsamkeit eingefühlt zu werden, allein schon damals tief davon durchdrungen, daß Menschenwissen eitel und nur Stückwerk sei, lehnte er es entschieden ab, irgend etwas zu lernen. Natürlich wurden ihm dann die nötigen Unterweisungen auf dem Hosenboden gegeben, und da er für solche Unterrichtsmethode durchaus nicht inklinierte, so faßte er einen mannhaften Entschluß, riß aus und langte denn auch wohlbehalten, wie man sich denken kann, zur heillosen Freude der Seinen wieder zu Hause an.
Irgend etwas muß aber der Mensch werden, und selbst wenn er Gauner werden will, bedarf er der Vorbereitung. – Die Frage war nun für unsern Joseph die, wo er sich die Vorkenntnisse zu seinem künftigen Berufe wohl am besten holen könnte, und siehe da, mit feinem Verständnis traf er das Rechte, indem er sich nunmehr auf Andringen seines Onkels kurzweg für den geistlichen Stand entschied und demgemäß als Novize in das Kloster zu Cartagirone eintritt. Er hofft zuversichtlich, sich dort wenigstens satt essen zu können.
Das Schicksal hielt über dieser vielversprechenden Blüte die schirmende Hand, denn durch wunderbare Schickung geschah es, daß er der Obhut des Klosterapothekers anvertraut ward, und in dessen Laboratorium lernte er nun zum ersten Male die Elemente der Kunst und die Instrumente kennen, mit denen er einst die Welt zu erobern bestimmt war.
Das wäre nun zwar ganz gut, wenn sich nur nicht die sonnigen Illusionen hinsichtlich des Essens – und Beppo aß so gern – als trügerisch erwiesen hätten, sintemalen im Kloster, wie überall in der Welt, die Meinung herrschte, daß, wer da essen wolle, auch arbeiten müsse, und letzteres wollte unser Freund eben nicht. Er war der Ansicht, ein Kloster sei nur zu beschaulicher Muße im, und zum Arbeiten war er nicht hergekommen.
Kurz und gut, er erhielt auch hier leider mehr Schläge, als zu essen. Besonders humoristisch ist folgender von ihm berichteter Streich:
Er hatte zur Abwechselung wieder einmal Strafe d.h. er bekam nichts zu essen. Wohl aber durfte er dabei sein, wie die Mönchlein es sich vortrefflich munden ließen, und ihnen zu besserer Verdauung aus dem Leben irgend eines modrigen Heiligen vorlesen. Er fügte sich in das Unvermeidliche und las, allein mitten in der Lektüre ging ihm seine leider bereits sehr unreine Phantasie durch, und die tugendsamen Mönche bekamen nun statt der erschrecklichen Qualen, so ihr Heiliger gelitten, zu hören – – die Namen beinahe sämtlicher berüchtigter Frauenzimmer, die Palermo zur Zeit in sich barg.
Man denke sich die Wirkung! Er bekam natürlich abermals schreckliche Prügel, und keine mitfühlende Seele wird ihm verdenken können, daß er das Klosterleben und die Geistlichkeit ziemlich über hatte. Er riß also wieder aus und kam nun zum zweiten Male wohlbehalten, bis auf einige blaue Flecke, und mit ungemindertem Appetit zu Hause an.
Was tun? – so fragte die Mutter kummervoll und der Onkel zornig.
Joseph wollte Maler werden. – Schön, sagte der Onkel, denn etwas mußte er doch sagen. – Joseph erhielt Geld und kaufte sich wirklich Pinsel, Palette und Farben dafür, allein das Handwerk hatte für ihn nicht den üblichen goldenen Boden, er fühlte sich durch den Impuls seines Genies zu größerem berufen, er lernte fechten. – In ganz Palermo gab es von nun an keine Schlägerei, bei der er nicht beteiligt gewesen wäre, und sein unschuldiges Hauptvergnügen bestand darin, den Polizeidienern eine tüchtige Nase zu drehen und deren Arrestanten zu befreien.
Daneben führte er das lockerste Leben in der denkbar schlechtesten Gesellschaft; er hatte vertrauten Verkehr mit allen Schwindlern, Spielern, faulen Lehrlingen und unmoralischen Frauenzimmern, kurz, er war im Studium und der Praxis des Hallunkentums fleißiger, als irgend ein anderer.
Doch hatte er die Kunst des Malens nicht aufgegeben, im Gegenteil er malte fleißig – nämlich nach, zunächst im bescheidenen Maßstäbe, Theaterbillets, Urlaubscheine u.s.w. u.s.w., nur der Uebung wegen, denn auch auf diesem Gebiete sollte er bald Größeres leisten.
Unter seinen Verwandten nämlich befand sich ein Notar, bei welchem er sich einzuschmeicheln verstand; bei diesem lag ein zu Gunsten eines gewissen Marquis Maurizi ausgefertigtes Testament, welches er nach langen Bemühungen in die Hände bekam und fälschte, wodurch eine fromme Stiftung beträchtlich zu Schaden kam. Der Betrug wurde später entdeckt, aber unser Freund war längst über alle Berge. Nun pfeift ihm nach!
So begannen denn seine Hilfsquellen allmählich reichlicher zu fließen, um so mehr, als sich ihm zufällig auch die des Kuppelns erschlossen hatte. Er hatte eine schöne Cousine, die Tochter jenes Oheims, der sich seiner so warm angenommen hatte, und er fühlte sich verpflichtet, die Dankbarkeit, welche er dem Vater schuldete, der Tochter abzutragen. Schöne Cousinen haben gewöhnlich Liebhaber und jene machte keine Ausnahme. Beppo wirft sich zum Vermittler auf, besorgt Briefchen, verfehlt nicht, Andeutungen zu machen, daß eine Dame, die man zu gewinnen oder zu behalten wünscht, freigebig behandelt werden müsse, daß ein Paar Ohrringe, eine Uhr, ein Halsband Wunder wirken würden. Natürlich bekam die Cousine von all den schönen Sachen nichts zu sehen, sondern der biedere Vermittler versetzt sie und steckt triumphierend das Geld in die Tasche, in welcher es indessen sicherlich niemals lange blieb.
Natürlich kam auch er, wie so viele seines Gleichen, in Konflikt mit dem Auge des Gesetzes; allein das Gesetz mußte das Auge zudrücken, denn Joseph verstand es immer so einzurichten, daß man ihn wegen mangelnder Beweise laufen lassen mußte, und man kann sicher annehmen, daß dies zur Verminderung seiner Unverschämtheit nicht beigetragen haben wird.
Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht!
Joseph hatte einem Goldschmied Namens Marrano, als er mit ihm auf einem Spaziergang an einer Felskluft vorüberkam, weis gemacht, daß hier bedeutende Schätze vergraben lägen, die nur gehoben zu werden brauchten. Er vermöge dies sehr wohl, nur müßte er aber zur Beschaffung der nötigen magischen Instrumente um einen kleinen oder auch großen Vorschuß bitten. Der Dummkopf beißt an, und nachdem Joseph bei irgend einem Trödler ein Paar alte, unqualifizierbare chemische Instrumente gekauft, nachdem er tüchtig Hokuspokus getrieben und jenen wacker an der Nase herumgezogen hat, macht er sich eines Nachts mit ihm ans Werk. Sie beginnen zu graben und der gute Mann arbeitet im Schweiße seines Angesichts für drei, als plötzlich ein schreckliches Geheul ertönt, mehrere Teufel hervorstürzen und den armen, dämlichen Goldschmied halbtot schlagen. Marrano wußte nunmehr, so dumm er auch sonst war, sogleich, wer ihm das Süppchen eingebrockt hatte. Geld zahlen, sich halb tot arbeiten und dann noch Schläge obendrein, Tod und Teufel, das war denn doch zu viel! Marrano tobte und fluchte, und schwur sowohl per Bacco als por Dio, daß er unserem Joseph das Lebenslicht ausblasen werde.
Beppo hörte dies und überlegte. – Palermo – hm, was war groß daran, man hatte da nur Not und Mühe und doch nichts Rechtes davon. Zudem sein Leben, sein kostbares Leben aufs Spiel setzen, womöglich sterben vor der Zeit und ohne die Menschheit beglückt zu haben – niemals, das ging nicht an! Addio Palermo, unser Beppo geht und niemals kehrt er wieder. Sein Biograph sagt: er floh aus Palermo und durchwanderte die ganze Erde.
Hier schließt der erste Akt im Lebensdrama des Grafen Alessandro di Cagliostro.
Nunmehr breitet sich mystisches Dunkel über unseren Helden aus, welches keine der uns vorliegenden Quellen zu lichten weiß, und so werden wir uns denn schon bei dem beruhigen müssen, was er selbst späterhin über sich aussagte und was wir natürlich nur bis zu einem sehr geringen Grade glauben dürfen. Immerhin scheint es sicher, daß er sein Ziel, sich weiter auszubilden in den Anfangsgründen der höheren Gaunerei, mit bewundernswerter Hartnäckigkeit im Auge behalten haben wird, wenigstens behauptet sein Biograph, der Peter Marcellus, daß er damals bereits Zauberei und Wahrsagerei getrieben habe.
Balsamo erzählt uns etwa folgendes, was wir, nachdem wir seine Aussagen alles schwindelhaften Beiwerks entkleidet haben, denn auch ohne Schwierigkeit glauben können. Nachdem er von Palermo flüchtig geworden, habe er sich nach Messina gewendet und dort die Bekanntschaft eines gewissen Althotes gemacht, von dem man nicht weiß, ob er ein Spanier oder Grieche gewesen, von dem aber feststeht, daß er sich viel im Orient herumgetrieben hatte und im Gaunerhandwerk bereits eine ziemliche Routine besaß.– Mit diesem gemeinsam will er dann verschiedene Reisen gemacht haben, so unter anderen nach Alexandrien, Rhodus und Malta, wo sie überall alchemistische Operationen vollführten und die Leichtgläubigkeit wohlhabender Gimpel im ausgedehntesten Maße ausnutzten. Auf Malta soll Balsamo nach seiner Aussage längere Zeit verweilt und zusammen mit dem dortigen Ordens-Großmeister Pinto Alchemie getrieben haben. Indessen weiß man, wie gesagt, über diese Periode nur, was er selbst zu verraten für angemessen erachtet. Nachdem sein Genosse Althotes auf Malta gestorben war und der Großmeister sich vielleicht von der Unfruchtbarkeit seiner alchemistischen Versuche sattsam überzeugt hatte, begab sich Balsamo in Gesellschaft eines Maltheserritters und auf Kosten des Großmeisters nach Neapel, wo er die Gunst eines Fürsten zu erschleichen wußte, der auch dem Phantom der Goldmacherkunst nachhing. Balsamo hielt es indessen nicht lange bei diesem neuen Gönner aus, sondern verließ denselben, nachdem er auf Sizilien, wo Letzterer ausgedehnte Ländereien besaß, einen ehemaligen Kumpan seiner Jugendstreiche wiedergefunden, mit dem er einen gemeinsamen Streifzug auf das Festland unternahm. Was er dabei zur Ausführung gebracht, ist nicht bekannt geworden. Genaue Mitteilungen über sein Treiben erhalten wir erst von seiner nun folgenden Anwesenheit in Rom ab.
Wovon Joseph Balsamo in Rom eigentlich gelebt haben mag, das ist wieder einmal eine Sache, über die man nicht genügend unterrichtet ist, indessen sicherlich nicht von Luft, und alles andere kostet Geld, und das hatte er nicht. Wohl aber glaubte er, es sich schuldig zu sein, nunmehr nicht ohne eine gewisse Vornehmheit aufzutreten, um so mehr, als ihm einige Empfehlungsbriefe geprellter Freunde Eintritt in einige vornehme Häuser verschafft hatten. Er selbst behauptet, sich von Federzeichnungen genährt zu haben, wobei natürlich wieder etwas Lüge ist; denn es waren gar keine Federzeichnungen, was er verkaufte, sondern ganz gemeine Kupferstiche, denen er mit etwas Tusche auf die Beine half und denen er so das Aussehen von Handzeichnungen zu geben verstanden hatte.
Allein was warfen denn wohl solche Zeichnungen ab? – Lange nicht genug, um Beppos noble Passionen zu befriedigen, und er dachte nach, wie er wohl seine Einkünfte vermehren könnte, und da verfiel er auf den Gedanken, zu heiraten. – Heiraten, um seine Einkünfte zu vermehren? fragt staunend der Leser. Männer pflegen doch sonst dann erst zu heiraten, wenn sie beim besten Willen nicht mehr wissen, wo sie ihr Geld lassen sollen. Ja, bei Cagliostro war das etwas Anderes. Er brauchte eine hübsche Frau, eine, die nicht allzu skrupulös war, kurz, eine, welche ihm etwas einbrachte.
So geht denn Beppo auf die Freite, und siehe, das Glück begünstigt ihn auch hier, bald hat er gefunden, was er braucht. Er bewarb sich um die Hand der schönen Lorenze Feliciani, eine junge Römerin, die bis dahin schon in manchen vornehmen Häusern verkehrt haben mochte, wenn auch zunächst nur als Aufwartemädchen oder zur Verrichtung von allerhand Küchenarbeit. Skrupulös war sie keineswegs, wohl aber sehr hübsch und kräftig – was Wunder, wenn Beppo bei ihrem Anblick sich in sie glühend verliebte. Er hatte in ihr sein Ideal gefunden. Eine neue Geldquelle begann ihm zu fließen.
Beppo, der zu dieser Zeit seinen Wohnsitz in der Wohnung seiner Schwiegereltern genommen hatte, und zum Teil von den Reizen seiner Frau lebte, war auch seinerseits nicht müßig, wenn er auch das Federzeichnen als nicht lukrativ genug und viel zu ehrlich an den Nagel gehängt hatte. – Er malte zwar auch jetzt noch, aber nicht mehr Zeichnungen, sondern Unterschriften, Staatspapiere, Wechsel und ähnliche Urkunden. Zu diesem Zwecke hatte er sich mit zwei gleichgestimmten Seelen verbunden, Namens Agliate und Hicastro. Hicastro, der nur vornehm als preußischer Oberster auftrat, wollte einen Schein seines Glanzes auch seinem Freunde Joseph gönnen, und so fertigte er ihm denn ein Offizierspatent aus mit eigenhändiger (?) Unterschrift Friedrichs des Großen, auf Grund dessen Beppo sich nunmehr in einen preußischen Offizier metamorphosiert.
Pack schlägt sich und Pack verträgt sich, und wenn zwei Gauner sich entzweien, bekommen die Gerichte zu tun. So auch hier. – Die innigen Freunde, Giuseppe und Hicastro zankten sich, die Freundschaft bekam einen Krach und Hicastro, der übrigens später als Dieb und Fälscher gehängt wurde, verriet seinen Freund den Behörden wegen des verfälschten Offizierspatents, das er ihm selbst gefertigt. – Die Polizei kam ihm auf die Spur.
Allein schneller, als die römischen Polizeisoldaten, war Freund Beppo, der von der heiklen Sache Wind bekommen, nebst Frau Gemahlin und Freund Agliate aus Rom verschwunden, um eine Woche später in Bergamo aufzutauchen. Sie fertigten auch dort teils gefälschte Wertpapiere, teils Empfehlungsbriefe an, durch die sie sich Eingang in vermögende Familien verschafften, in welchen sie entweder ihre alchemistischen Komödien aufführten oder auf andere Weise verschmitzte Betrügereien verübten und manches hübsche Sümmchen verdienten.
Freund Agliate, der während dieser Zeit mit Balsamo in völliger Gütergemeinschaft gelebt hatte, die sich sogar auf dessen Frau erstreckte, fand, es sei nunmehr an der Zeit, sich selbst zu etablieren und an sein eigenes Fortkommen zu denken, und er kam denn auch fort, nämlich unser lieber Giuseppe, will sagen, er riß aus und nahm aus Versehen auch alles mit, was dieser besaß, und es scheint uns sehr anerkennenswert, daß er ihm wenigstens die Frau gelassen hat.
So steht denn unser Ehepaar aufs neue ganz ohne Existenzmittel in der Welt, und Balsamos Hallunkenscharfsinn ist gezwungen, nach neuen Gaunereien zu tüfteln. Allein nur Mut, die Welt ist weit, Dumme giebt es überall und Unkraut vergeht nicht.
Nachdem wir nunmehr das Leben unseres Helden, so gut es ging, erzählt haben, wollen wir dem Leser ein kleines Vergnügen bereiten, und ihm nunmehr zum Vergleich das anführen, was Giuseppe selbst über sein Leben erzählt. – Wir bemerken gleich, daß diese Angaben auch vor einem hochwohlweisen Richterkollegium gemacht sind. Er erzählt:
»Ich kenne weder meinen Geburtsort, noch meine Eltern. (!) Alle Nachforschungen nach ihnen, obwohl sie mir eine sehr hohe Meinung von meiner Geburt verschafften, waren vergebens. Meine ersten Kinderjahre habe ich in Medina in Arabien verlebt, wo ich im Palaste des Mufti Solohaym gewohnt. Ich erinnere mich sehr wohl, daß ich etwa vier Personen um mich hatte: einen etwa 55-60jährigen Hofmeister, Namens Althotes, einen Weißen als meinen Kammerdiener und zwei Neger, davon einer Tag und Nacht um mich war. Mein Hofmeister sagte mir beständig, daß ich schon im dritten Monate meines Lebens zur Waise geworden, und daß meine Eltern von gutem Stande und Christen waren. Ihren Namen und Geburtsort aber hat er mir beständig verschwiegen. Einige unbestimmte Aeußerungen ließen mich vermuten, daß ich auf der Insel Malta geboren ward, ich konnte aber nie eine Gewißheit über diesen Umstand erlangen. Althotas, an den ich stets mit Rührung denke, liebte mich, wie seinen Sohn. Er fand ein Vergnügen darin, meine Anlagen auszubilden, welche ich für die Wissenschaften zeigte. Ich kann sagen, daß Althotes sie alle besaß: von den abstraktesten an bis auf jene, die zum bloßen Vergnügen dienen. Althotes lehrte mich, Gott anzubeten, den Nächsten zu lieben und ihm zu dienen und allenthalben die Religion und die Gesetze zu respektieren. Ich trug, so wie er, die türkische Kleidung, dem äußeren Schein nach bekannten wir uns zur Sache Muhameds, aber die wahre Religion lag in unseren Herzen. Der Mufti besuchte mich sehr oft, zeigte sich sehr gütig gegen mich und schien viele Hochachtung vor meinem Hofmeister zu haben. Dieser letztere lehrte mich die meisten orientalischen Sprachen. Er sprach mit mir oft von den ägyptischen Pyramiden, von jenen ungeheuren, unterirdischen Labyrinthen, welche die alten Aegypter in der Absicht gegraben haben, um darin den Schatz menschlicher Kenntnisse zu verwahren und gegen die Verwüstung der Zeit zu schützen. Ich war nun 12 Jahre alt; die Begierde, zu reisen und mit eigenen Augen die Wunderdinge zu sehen, von denen man mir erzählt hatte, bemächtigte sich meiner so sehr, daß Medina und meine Jugendspiele allen ihren Reiz in meinen Augen verloren. Eines Tages kündigte mir Althotes an, daß wir endlich Medina verlassen und unsere Reisen anfangen würden. Er veranstaltete eine Karawane und wir reisten wirklich ab, nachdem wir von dem Mufti Abschied genommen, der uns aufs freundlichste entließ. Wir kamen nach Mekka und stiegen im Palaste des Scherif ab. Man gab mir prächtigere Kleider, als meine vorigen gewesen waren. Am dritten Tage nach unserer Ankunft stellte mich mein Hofmeister dem Fürsten vor, der mir die größten Liebkosungen erwies. Beim Anblicke dieses Fürsten wurden alle meine Sinne verwirrt; ich vergoß Tränen der Freude und sah, daß der Scherif die seinigen nur mit Mühe zurückhielt. An diesen Augenblick erinnere ich mich nie ohne Rührung. Ich blieb drei Jahre zu Mekka. Täglich kam ich zu dem Scherif, und täglich wuchs seine Zuneigung und meine Dankbarkeit; oft belauerte ich ihn, wie er die Augen auf mich geheftet hielt und sie dann voll Mitleid gegen den Himmel richtete. Ich ward darüber nachdenkend und von einer, wiewohl stets vergeblichen Neugierde gequält. Ich wagte es nicht, meinen Hofmeister darüber zu befragen, der es mir mit Schärfe verwies, gleichsam als wäre es ein Verbrechen, die Urheber und den Ort meiner Geburt zu kennen. Zur Nachtzeit unterhielt ich mich mit dem Neger, der in meinem Zimmer schlief, aber ich bemühte mich vergebens, das Geheimnis von ihm herauszulocken. Sobald ich von meinen Eltern sprach, ward er gegen alle meine Fragen taub. In einer Nacht, da ich mehr als gewöhnlich in ihn drang, sagte er mir, daß, wenn ich jemals Mekka verließ, ich mich großem Unglück aussetzen würde, und daß ich mich besonders vor der Stadt Trebisonde hüten sollte.
Meine Lust zu reisen, überwog seine Drohungen. Ich ward des einförmigen Lebens am Hofe des Scherifs müde. Dieser kam eines Tages ganz allein in mein Zimmer. Ich erstaunte über diese sonderbare Gnade. Er umarmte mich feuriger, als jemals, empfahl mir, stets den Allerhöchsten anzubeten, und versicherte mir, daß, wenn ich demselben getreu diente, ich glücklich sein und mein Schicksal erfahren würde. Darauf sagte er mit Tränen in den Augen: »Lebe wohl, unglücklicher Sohn der Natur!« (!) Ich werde diese Worte nie vergessen. Von diesem Augenblicke an sah ich ihn nie wieder. Eine eigens für mich veranstaltete Karawane erwartete mich. Ich reiste aus Mekka ab, um nie wieder dorthin zurückzukehren. Meine erste Reise ging nach Aegypten. Ich besuchte die berühmten Pyramiden, welche in den Augen unaufmerksamer Reisender weiter nichts, als große Steinhaufen sind. Ich machte Bekanntschaft mit den Priestern mancher Tempel, und diese führten mich in geheime Orte hinein, welche die gewöhnlichen Reisenden nie betreten haben. Nachher reiste ich während dreier Jahre durch die vornehmsten Länder von Asien und Afrika. Es ist hier der Ort nicht, dem Publikum meine Bemerkungen und sehr sonderbaren Begebenheiten mitzuteilen, welche mir auf meinen Reisen aufstießen. Diesen Teil meiner Lebensgeschichte verspare ich auf einen günstigeren Zeitpunkt. – Da ich gegenwärtig blos mit meiner Rechtfertigung beschäftigt bin, so will ich nur von meinen europäischen Reisen sprechen. Ich will die Personen nennen, welche mich kennen gelernt haben, und es wird mir nicht schwer fallen, denjenigen, welche sich für mein Schicksal interessieren, den größten Teil der Tatsachen, welche ich anführe, mit Beweisen zu belegen.
Im Jahre 1766 kam ich mit meinem Hofmeister und meinen drei Bedienten auf der Insel Rhodus an und bestieg dort ein französisches Schiff, welches nach Malta ging. Ungeachtet des Gebrauches, daß die aus der Levante kommenden Schiffe Quarantäne halten müssen, erhielt ich doch nach zwei Tagen die Erlaubnis, ans Land zu gehen. Der Großmeister Pinto gab mir und meinem Hofmeister eine Wohnung in seinem Palast. Ich erinnere mich, daß mein Zimmer nahe beim Laboratorium war. Das erste, was der Großmeister tat, war, daß er dem Ritter Aquino aus dem Hause der Fürsten von Karamanira den Auftrag gab, mich allenthalben zu begleiten und mir die Ehre der Gastfreundschaft zu erweisen. Damals zog ich zum ersten Mal europäische Kleider an, nahm den Namen des Grafen Cagliostro an und sah zu meinem Erstaunen, daß Althotes ein geistliches Gewand anlegte und das große Malteserkreuz trug. Der Ritter Aquino machte mich mit allen Großkreuzen des Ordens bekannt. Ich erinnere mich noch, daß ich an der Tafel des heutigen Großmeisters, damals Bailli von Rohan speiste. Ich glaube zuverlässig, daß der Großmeister Pinto von meiner Herkunft wußte. Er sprach öfters von dem Scherif und Trebisonde, erklärte sich aber nie deutlicher über diese Sache. Uebrigens behandelte er mich mit größter Hochachtung und versprach mir die schnellste Beförderung, wenn ich die Ordensgelübde ablegen würde. Aber meine Lust, zu reisen und die Heilkunst zu treiben, machte, daß ich diese Anträge ausschlug. Noch auf der Insel Malta verlor ich meinen besten Freund, den würdigen Althotes. Einige Augenblicke vor seinem Tode drückte er mir die Hände und sprach: »Mein Sohn! Habt die Furcht des Allerhöchsten und die Liebe des Nächsten beständig vor Augen; bald werdet ihr die Wahrheit alles dessen einsehen, was ich euch gelehrt habe.«
Die Insel, wo ich meinen besten Freund verloren hatte, wurde mir bald widerwärtig; ich begehrte vom Großmeister die Erlaubnis, wegzugehen, um Europa zu durchreisen. Er willigte ungern ein und forderte mir das Versprechen ab, daß ich wieder nach Malta zurückkommen wollte. Der Ritter Aquino nahm es auf sich, mich auf meinen Reisen zu begleiten und für meine Bedürfnisse zu sorgen. Wirklich reiste ich mit ihm. Wir gingen zuerst nach Sizilien, wo mich der Ritter mit dem Adel bekannt machte. Von dort aus gingen wir nach verschiedenen Inseln im Archipelagus, schifften wieder durch das Mittelländische Meer zurück und landeten wieder zu Neapel, der Heimat des Ritters Aquino. Da er seiner Geschäfte wegen verschiedene Reisen machen mußte, so ging ich mit Kreditbriefen an den Wechsler Bellona allein nach Rom.
In dieser Stadt entschloß ich mich, das genaueste Inkognito zu beobachten. Eines Morgens, da ich allein in meinem Zimmer saß und mich mit Erlernung der italienischen Sprache beschäftigte, kündete mir mein Kammerdiener einen Besuch von dem Sekretär des Kardinals Orsini an. Dieser Sekretär lud mich zu Sr. Eminenz, wohin ich mich auch begab. Der Kardinal bezeugte mir alle möglichen Höflichkeiten, lud mich oft zur Tafel und machte mich mit den meisten Kardinälen und römischen Prinzen bekannt, besonders mit dem Kardinal von York, dem Kardinal Ganganelli, nachherigem Papst Klemens XIV. Da mich der zur selbigen Zeit regierende Papst Razzonico kennen lernen wollte, so hatte ich die Ehre, in einigen besonderen Konferenzen bei Sr. Heiligkeit zu sein. Dazumal 1770 war ich in meinem zweiundzwanzigsten Jahre. Zufälliger Weise lernte ich das Fräulein Seraphine Felichiani kennen, welches kaum in die Jahre der Reife eingetreten war und durch ihre Reize eine Leidenschaft in mir erweckte, die durch eine nunmehr sechzehnjährige Ehe noch immer gewachsen ist.«
So weit und genug des Manuskripts Giuseppes, auf welches wir später noch zurückkommen werden. Bestimmt war dies Mémoire für das Publikum, aber, wie gesagt, er genierte sich durchaus nicht, den gleichen Humbug späterhin auch dem Richterkollegium vorzumachen, und – o sancta simplicitas – die unsägliche Frechheit, mit der Beppo log, imponierte den wohlweisen Herrn und schlug durch. – Glückselige Zeit, in der die Männer des Gesetzes das glaubten, was heute die Kinder belächeln.