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Das letzte Abenteuer

Es war in der Nacht der Sonnenwende, frisch gefallener Schnee bedeckte die Erde.

Die weichen, still und unablässig in leichten Wirbeln von dem düstern Himmel herabsinkenden Flocken deckten die weite Ebene mit jungfräulichem Weiß.

Die einsame, an beiden Seiten von Fichten umgrenzte Straße entlang zog ein bewaffneter Reiter auf seinem ermüdeten Pferde dahin, beide ganz überdeckt von den weißen Flocken, die wie ein schweres Gewand auf ihnen lasteten.

Ganz allein und von der magischen Stille dieser Nacht umgeben, die durch den vom schneebedeckten Boden ausgehenden unbestimmten hellen Schein noch unheimlicher erschien, wurde der Reisende von einer tiefen Traurigkeit erfaßt. Er kam aus Ägypten, wo er jahrelang ein von Abenteuern und Gefahren erfülltes Leben geführt hatte. Ein Fremder, kehrte er in sein eigenes Vaterland zurück, arm, müde und krank. Das Gottvertrauen, das ihn so lange aufrecht erhalten, war allmählich aus seiner Seele entschwunden, die kaum noch von etwas anderem als von Verzweiflung und Reue erfüllt war.

Das Pferd verlangsamte seine Schritte mehr und mehr; der Reiter ließ endlich die Zügel hängen; von Müdigkeit erfaßt, ließ er sich durch die langsame rhythmische Fortbewegung seines Rosses, sowie durch den weißen schmeichelnden Regen, der ihn umgab und wie mit einem feinen endlosen Netze von allen Seiten umhüllte, langsam einwiegen. Der ein so seltsames, bläuliches Licht ausströmende, unter den Tritten seines Pferdes leise knisternde Schnee, sowie die Kälte berauschten ihn. Übermüdet, matt und entnervt gab er ohne Widerstreben einer ihn plötzlich überwältigenden Macht nach, die ihn in Schlummer wiegte, wobei er sich, jedoch ohne jedes Gefühl des Grauens, voll bewußt war, daß dieser Schlaf ihm den Tod bringen würde.

Da sah er plötzlich, wie in der Ferne hoch über den Fichten sich ein strahlend helles Licht entflammte, das von einem Leuchtturme auszugehen schien.

Dieser Anblick erweckte ihn aus seiner Empfindungslosigkeit. Der Instinkt des Lebens erwachte in ihm und er gab seinem Pferde die Sporen und eilte dem jedenfalls die Nähe von Menschen verkündenden Licht entgegen, um sich ein Asyl zu erbitten.

Er erreichte ein Schloß, dessen gewaltige Umrisse sich scharf von dem Nachthimmel abhoben. Ganz oben auf dem mittelsten Turme des Gebäudes befand sich ein enges Fenster, von dem der intensive Lichtschein ausging, der ihn hierher geleitet. Als er das Schloß erreicht hatte, erlosch dieses Licht plötzlich.

In der mächtigen Umwallungsmauer, zu der sehr breite, bequeme Stufen führten, die das Pferd langsam herauf schritt, befand sich ein Tor von Eisen. Der Ritter zog seinen Dolch aus dem Gürtel und klopfte mit dem Knaufe desselben an die Pforte. Das Geräusch seiner wuchtigen Schläge tönte laut durch die eiskalte Luft, um sich nur langsam in der Ferne zu verlieren.

Dann öffneten sich die schweren metallenen Flügel des Tores und der Ankömmling wurde beinahe geblendet durch das die roten Mauern des steinernen Vorhofes erhellende Licht von zwanzig Fackeln, die von ebensoviel Dienern getragen wurden. Auf der Schwelle des Schlosses, vor einer Reihe von Kopf bis zu Füßen bewaffneten Knappen stand ein hoher Greis. Er trug ein vorne offnes, voneinander fallendes, schwarzes Gewand, unter dem ein Panzer sichtbar wurde. Die durch das geöffnete Tor hereindringende kalte Nachtluft und die Schneeflocken bewegten sein weißes Haar. Als er den Ritter sah, ließ er sich ehrerbietig auf ein Knie nieder. Er sagte:

»Mein Herr und Gebieter, sei mir gegrüßt. Bis zu der Stunde, wo die Winterblumen sich in Frühlingsblumen wandeln werden, gehört die Zeit dir. Bis zu der Stunde, wo die Hoffnung zu Schnee wird, dauert dein Glück. Aber wenn sie sich umdüstert wie die Nacht, dann ist die Stunde deines Unterganges gekommen.«

Er ergriff die Zügel des Pferdes und sich umwendend, die Arme weit ausstreckend, und den Kopf zurückwerfend, rief er mit laut schallender Stimme in die Hallen des Schlosses hinein:

»Der Gebieter ist hier! Der Herr und Gebieter ist hier! Unser Herr ist gekommen!«

Seine mächtige Stimme schien das ganze Schloß zu erfüllen. Von den Türmen und Zinnen erscholl freudiges Glockengeläute. Die in dem Vorhofe stehenden Pagen schwenkten ihre Fackeln, die Knappen rissen ihre Degen aus den Scheiden und kreuzten sie in der Luft; alle aber riefen:

»Der Herr ist hier!«

Sie umdrängten den jungen Mann, der vor Erstaunen sprachlos war. Er stieg von seinem Pferde ab und von sieben fackeltragenden Pagen geleitet, führte der Greis ihn durch eine steinerne Galerie bis zu einer großen Türe von Ebenholz, die sich bei ihrem Nahen weit öffnete. Sie betraten einen ungeheuer großen Saal, der einen pomphaften feierlichen Charakter hatte. Die hohen Wände sowie die domförmige Decke waren ganz mit karmoisinrotem Sammet bekleidet. Von der Kuppel herab und sich scharf von dem Hintergrunde abhebend, schimmerten in rotem Gold ziselierte Sterne und Mondsicheln, während die Wände mit den Figuren des Tierkreises und köstlich gezeichneten Arabesken dekoriert waren. All dieser Zierrat war aus schwerem roten Golde ziseliert und auch die Krampen, die den in tiefen Falten bis auf das Parkett von Zedernholz niederwallenden Sammet zurückhielten, waren aus diesem Metall hergestellt. Im Hintergrunde erhob sich eine Estrade, zu der breite Treppenstufen führten und über der sich ein prächtiger Baldachin wölbte, von dem ganze Fluten köstlich golddurchstickten Purpursammets herabwallten. Rechts befand sich ein reich mit Skulpturen geschmückter riesiger Kamin, auf dessen mit vergoldeten Schlangenköpfen gezierten Feuerböcken ein gewaltiges Holzfeuer brannte, das behagliche Wärme verbreitete, und ein flackerndes Licht warf helle Reflexe auf die Sterne des Vorsaales und auf die große Weltkugel von bräunlichem Golde, die wie eine mit Nebel umgebene Sonne den Mittelpunkt derselben bildete.

Mitten in dem Saale stand eine große ovale Tafel, die mit einem gestickten Tafeltuch von blendender Weiße bedeckt war. Das Licht der in schweren Silberleuchtern brennenden dicken Wachskerzen spiegelte sich in den goldenen und silbernen Trinkgefäßen und Bechern, in den feinen Schalen von Kristall und venezianischem Glas und in den reich mit den köstlichsten Leckerbissen gefüllten Schüsseln.

Da gab es saftige, blutige Braten, Wildbret und fettes Geflügel, köstlich zubereitete und geschmückte Fischschüsseln, feine Saucen, mit auserlesenem gewürzten Frikassee gefüllte Pasteten. Zarte, beinahe durchsichtige Porzellangefäße waren mit parfümierten Cremes und aromatischen Konfitüren gefüllt; reizend arrangierte Fruchtkörbe voll edelsten Obstes und Blutorangen ergötzten das Auge. Dazwischen standen überall herrlich geschliffene Kristallflaschen, in denen rubin- und topasfarbene Weine leuchteten. Der herrliche Duft all dieser guten Dinge erregte den Appetit des Ankömmlings.

Vor der Tafel, von Pagen und Dienern umgeben, stand eine junge Frau von wunderbarer Schönheit.

Ihr üppiges schwarzes Haar, das mit Goldbändern und Perlschnüren durchflochten war, fiel in weichen welligen Scheiteln an ihrer weißen Stirn herab und war am Hinterkopf zu einem dicken Knoten zusammengebunden. An einem doppelten platten Goldkettchen, das sich aus ihrem Haar hervorstahl, hing ein durchsichtiger Smaragd, der mitten auf ihrer Stirn und über den großen Augen hing, die ebenso grün und leuchtend waren wie der Edelstein. Ein ebensolcher Stein schloß den ihre Taille umgebenden Goldgürtel. Eine Tunika von leuchtend rotem Sammet fiel in graziösen Falten über ein schweres wasserfarbenes Seidengewand, das reich mit Blumen bestickt war, die bei jeder Bewegung in wechselnden Farben schillerten. Die Taille war von derselben wasserfarbenen Seide, sie schmiegte sich eng an, war vorne offen, spitz und tief ausgeschnitten und mit einer Wolke köstlichster Spitzen garniert, die die weiße halbentblößte Brust umspielten, und denen ein verwirrender Duft entstieg, frisch wie der der Felder, und wollüstig wie die Düfte des Orients. Tief an einer Kette von Goldperlen herabhängend schimmerte ein dritter großer Smaragd auf ihrer Brust. Die weiten roten Sammetärmel ihrer Tunika wurden auf den Schultern von Diamantagraffen gerafft und fielen, die Arme freilassend, tief herab; durchsichtige weiße Seidenpuffen umhüllten die Arme bis zum Ellenbogen und endeten in einer Flut von Spitzen, die bis über die zierlichen, mit köstlichen Armbändern gezierten Handgelenke wogten, und aus der die schönen mit Ringen geschmückten Hände wie Blumen aus ihren Kelchen auftauchten.

Der Greis stand mitten in dem Saale und rief mit lauter Stimme:

»Der Gebieter ist gekommen! Unser Herr und Meister ist hier!«

Die junge Frau trat ihm einen Schritt entgegen und sagte mit lieblichem, ihre weißen Zähne enthüllenden Lächeln:

»Sei mir willkommen, mein lieber Herr und Gebieter! Du bist lange, sehr lange von mir ferngeblieben.«

Der Ritter sagte kein Wort, denn er erkannte sie, die er doch niemals gesehen, und er glaubte sich von einem höllischen Spuk genarrt.

»Soll ich glauben, daß du mich vergessen hättest, oder gar, daß eine andere mich aus deinem Herzen verdrängt haben könnte? Aber nein, nein, ich weiß es doch, daß das unmöglich ist,« fügte sie mit einer neckischen Bewegung des Kopfes hinzu, die die Seele des jungen Mannes völlig gefangen nahm. Der süße Schmeichelton ihrer Stimme und der Blick ihrer Augen wirkten wie ein stark narkotisches Mittel, das ihn sein Erstaunen und seine Furcht vergessen machte.

Er legte seine Hand in die der Schloßherrin und ließ sich von ihr führen. In einem angrenzenden mit hellem Stoff und ebensolchen Möbeln ausgestatteten Raume wurde er von Dienern erwartet, die ihm seine Rüstung abnahmen, ihn badeten, mit wohlriechendem Wasser wuschen, sein Haar ordneten und endlich mit einem köstlichen schwarzen Seidengewand bekleideten, das reich mit Purpur-, Gold- und Silberstickereien geschmückt war.

»Sieh, lieber Herr,« sagte die junge Frau, die seiner gewartet hatte, »ich selbst habe die Muster dieses Gewandes gewählt und es für dich gestickt – ach, es sind große und geheimnisvolle Muster! Sehr geheimnisvoll – und doch – nicht so geheimnisvoll wie meine Seele. Gefällt dir dieses Gewand nicht?«

»Doch,« sagte er, der sich nun ganz in seine seltsame Lage gefunden hatte und sich über nichts mehr wunderte, »es gefällt mir sehr gut. Aber hat diese mühsame Arbeit deine Augen nicht ermüdet?«

»Meine Augen ermüden nicht,« sagte sie, ihm zulächelnd und unter den langen Wimpern her einen strahlenden Blick auf ihn werfend.

Dann führte sie ihn zu Tische, und er setzte sich. Ein Knappe schleppte auf weit ausgebreiteten Armen eine große goldene Schüssel herbei, auf der ein gebratener Pfau lag, der kunstreich mit seinem eigenen Gefieder aufgeputzt war.

Das Mahl war sehr üppig und der Ritter vergaß alles, was ihn an die Vergangenheit hätte erinnern können, bei dem berauschenden Aroma des alten herrlichen Weines, dem Genuß des saftigen Fleisches und der die Sinneslust anregenden unbekannten Getränke, deren seltsam köstlicher Duft sein Gehirn umnebelte.

Nach dem Mahle wurde das Paar über eine Treppe geführt, die durch auf hohen bronzenen Leuchtern brennende Fackeln erhellt war. Nachdem sie eine Reihe ernst und feierlich ausgestatteter Zimmer durchschritten hatten, erreichten sie endlich ein fensterloses Gemach, das nur matt durch mit grünen Schleiern verhangene Lampen erhellt war.

Die ganze Ausstattung dieses Raumes war in grünen mehr oder weniger lebhaft changierenden Tönen gehalten. Die mit kostbaren grünlich schimmernden Seidenstoffen bekleideten Wände spiegelten sich in kolossalen Spiegeln und erweckten die Vorstellung von großen Teichen. Tief herabfallende Portieren aus Plüsch und gestreifter jaspisfarbener Seide wurden von Knöpfen aus Chrysopras und meergrünem Beryll gehalten. In überall umherstehenden Vasen aus Beilstein hauchten welkende Rosen ihre süßen Düfte aus.

Das junge schöne Weib hatte die Kleider abgeworfen und ruhte nackt und wollüstig ausgestreckt in der weichen schmeichelnden Seide des üppigen Bettes, ihr dunkles Haar war aufgelöst und umgab das süße Antlitz in großen Wellen, die geheimnisvolle, mattgrüne Beleuchtung erhöhte ihre Schönheit.

Und in dieser Liebesnacht genoß der junge Ritter übermenschliche Freuden. Er lernte die entzückendsten Liebkosungen kennen, deren Geheimnis nur ihr bekannt war. Er gab sich ihren glühenden Küssen hin, in denen sie sein Leben aufzusaugen schien, und dem Zauber ihrer zärtlichen Umarmungen, die so innig waren, daß er darin zu sterben wünschte.

Wunderbarer Weise jedoch hatte er dabei eine Art von Erinnerung, ein gewisses Empfinden, als habe er all dieses schon einmal erlebt, und als würde ihm nur wieder geschenkt, was er schon einmal besessen. –

Dann war es plötzlich, als folge er an einem Frühlingsabend dem Laufe einer durch ein Wäldchen rieselnden Quelle und er atmete den frischen Duft der an ihrem Rande wachsenden Blumen und Kräuter ein. Zurückversetzt in die ersten Tage seiner Jugend, fühlte er, wie neues Leben seine Muskeln schwellen und seine Brust sich dehnen machte. Ein unbeschreibliches Bedürfnis nach Liebe erfüllte sein Herz mit einem zugleich quälenden und köstlichen Verlangen. Er warf sich schluchzend auf den Rasen: ohne sich Rechenschaft über die in ihm streitenden Gefühle geben zu können, empfand er einen gewissen seltsamen Stolz darauf, ein Mann zu sein, und gab sich ganz dem Zauber hin, den die werbende Kraft des Frühlings auf ihn ausübte. –

Nun wieder glaubte er, auf dem weichen Sande eines Meeresgestades in Ägypten zu liegen. Es war am Ende einer Nacht von wundervollem Reiz, die, vereint mit der tiefen über dem Meere ruhenden Stille, ihn allmählich mit dem tollen Wunsche erfüllte, sein irdisches Leben abzuwerfen und sich mit dem strahlenden Nichts zu vereinigen, dessen Majestät ihn erdrückte ... Er war bereit, zu sterben, als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne ihn zum Leben zurücklockten. Er war tief erschrocken darüber, daß er den Tod herbeigewünscht, und verzweifelt, daß er nicht gewagt hatte, den entscheidenden Schritt zu tun.

Darauf war es das Schiff einer römischen Kathedrale, das ihn umgab. Weihrauchwolken erfüllten sie und fromme Gesänge stiegen himmelwärts. Er empfing gläubigen Herzens die Hostie und versenkte sich in fromme tiefe Andachtsübungen, berauschte sich in dem Dufte des Weihrauchs und den von der Orgel herabtönenden Hymnen.

Dann kamen Bilder jener Zeit, da er sich der Wollust und einem ausschweifenden Lebenswandel ergeben.

Er befand sich in einem orientalischen Zimmer bei einer prostituierten Jüdin, mit der er in Jerusalem sieben Tage und Nächte lang gelebt, um dann in einer Stunde der Übersättigung von ihr zu fliehen. Sie hatte ihm ein geheimnisvolles, aus aromatischen Kräutern hergestelltes berauschendes Getränk gereicht, dessen Geschmack er immer noch auf der Zunge zu spüren wähnte, und das ihn völlig trunken gemacht hatte. Er dehnte sich auf dem mit parfümierten Tigerfellen bedeckten Diwan. Die Kurtisane liebkoste ihn und die Vision kaum verschleierter üppiger Tänzerinnen stieg vor ihm auf; sie tanzten nach dem Rhythmus einer eintönigen Musik, während umherkniende nackte ganz junge Mädchen goldene Räuchergeschirre schwangen, die den ganzen Raum mit berauschendem Dufte erfüllten.

Jetzt waren es Bilder aus den Tagen seiner Kindheit, die an ihm vorüberzogen, Träume längst vergangener Zeiten und mehr als dieses ...

Seine Seele zögerte an der Schwelle dieser geheimnisvollen Welt, in die die Liebe dieser geheimnisvollen Frau ihn lockte und deren Schleier ihre wunderbaren Hände lüfteten, Hände, deren schmeichelnde Berührung zarter und sanfter war, wie die von Blumenblättern.

Seine Geliebte überflutete ihn mit ihrem üppigen Haar; sie zog sein müdes Haupt auf ihre zitternde Brust, sie wiegte ihn mit Liebesworten ein. Sie blickte ihn mit ihren magnetischen von heißen Wünschen und Verlangen erfüllten Augen zärtlich an. Ihr Lächeln hatte einen sinnlichen Reiz. Sie neigte sich über ihren Geliebten und bezauberte ihn durch die Liebkosungen ihrer seidenen Lippen, ihrer schneeweißen Hände, ihres nackten schmiegsamen Körpers – sie erfüllte ihn mit dem göttlichen Dufte der unwiderstehlichen Wollust, der triumphierenden Liebe, die, von ihr und ihren Umarmungen ausgehend, sein ganzes Sein erfüllte.

Endlich aber entschlummerte er tief, und er wußte nicht, wie lange er geschlafen hatte. Bei seinem Erwachen befand er sich wieder in dem großen Festsaale, der jedoch jetzt ein völlig verändertes Aussehen gewonnen hatte. Die Wände waren mit rosa Moireeseide bekleidet. Statt des Feuers prangte eine Fülle köstlich duftender Blumen in dem Kamin.

Die Schloßherrin stand lächelnd und an den Kamin gestützt vor dem Ritter. Ihr mit weißen Rosen geschmücktes Haar hing in aufgelösten Locken über die Schultern. Ihr Körper war nur mit einem weißseidenen, mit Spitzen und Schwanenpelz gefütterten Gewand bekleidet. Es hatte einen tiefen viereckigen Ausschnitt, der die Brust frei ließ, schmiegte sich eng um die Taille und die Hüften an und fiel von da wie eine umgekehrte Tulpe in geraden tiefen Falten zur Erde.

Auf ihrer Stirn leuchtete ein milchweißer Opal; ein zweiter Opal war an ihrer Halskette von Perlen befestigt, und ein dritter schloß ihren silbernen Gürtel.

Ganz im Hintergrunde des Saales befanden sich zwei große Fenster, die weit offen standen und durch die eine köstlich milde Luft hereinströmte. Draußen prangte die Natur in heller Frühlingspracht.

Der Ritter wurde plötzlich von einer unbeschreiblichen Sehnsucht erfaßt, den schönen Tag draußen zu genießen. Er sagte es seiner Geliebten. Sie seufzte, lächelte und antwortete:

»Ja, jetzt mußt du wohl in das Tal herabsteigen, in das Tal, wo die Sonne scheint und die Blumen blühen. Ich aber werde hier bleiben und mich für dich schmücken, mein Vielgeliebter.«

Er bestieg sein Pferd, obgleich es ihm schwer wurde, sich selbst für einen kurzen Spazierritt von der zu trennen, die er über alles in der Welt liebte. Langsam ritt er dahin und blickte um sich – aber der Anblick des zarten sprossenden Frühlingslaubs betrübte ihn, ohne daß er sich Rechenschaft darüber geben konnte, weshalb dies so war.

Er sah ein tiefes Tal vor sich. Er betrachtete die dahinter liegenden hohen Hügel, deren Umrisse sich von dem klaren Himmel abhoben. Übrigens wunderte er sich jetzt über nichts mehr und die Erinnerung an sein früheres Leben schien völlig ausgelöscht.

Er irrte lange umher und befand sich endlich am Fuße eines der Hügel, nicht weit von einem Wasserfalle, der brausend aus einer Felsschlucht hervorstürzte.

Der Ritter versuchte, den Gipfel dieses Hügels zu erreichen. Er ritt eine Weile zwischen öden, kaum mit einigen Fichten bestandenen Felsen, deren fratzenähnliche Gebilde ihn mit Furcht erfüllten, langsam dahin. Je höher er kam, um so mehr verblaßte die Erinnerung an seine wunderbare Geliebte und er fing an, sich der Wirklichkeit wieder bewußt zu werden. Aber der Aufstieg fing an, unmöglich zu werden, die nackten Felsen stiegen beinahe senkrecht vor ihm auf. Er wandte also sein Pferd und versuchte einen anderen Durchgang zu gewinnen, denn er war von Grauen erfüllt und fest entschlossen, von einem Orte zu fliehen, der den Untergang seiner Seele bedeutete.

Er ritt also den Hügel herab. Je mehr er sich aber dem Tale näherte, um so mehr erwachte das Bewußtsein seiner Liebe in ihm, es wuchs mit jedem Schritte und er verlor die Willenskraft, zu fliehen. Als er endlich das Tal erreicht hatte, versuchte er keinen weiteren Fluchtversuch. Denn er würde jetzt lieber das Heil seiner Seele verloren haben, als die, die seine Gottheit war.

Die Nacht sank herab; sie lagerte schon über den Abgründen und Ausläufern des Gebirges und breitete langsam ihre Schleier über den Himmel. Der Ritter beeilte sich, um so schnell wie möglich wieder mit seiner Geliebten vereint zu sein. Die von blühenden Gesträuchen und Bäumen eingefaßten Wege waren mit Duft erfüllt und als sich nun eine leichte Brise erhob und die blütenbeladenen Äste schüttelte, wogte ein ganzer Regen zarter weißer Blütenblättchen auf die Erde und den Ritter herab. Bei den letzten Strahlen eines an den Herbst erinnernden prächtigen Sonnenuntergangs erreichte der Ritter endlich das Schloß. Vor der Schwelle des hohen Eingangstores angekommen, sprang er vom Pferde. Der Vorhof war von Dienern und Mägden, von Pagen und Knappen erfüllt. Sie alle weinten, klagten und riefen: »Der Herr ist tot! Unser Herr und Gebieter ist gestorben.«

Der Ritter sprach zu ihnen, aber niemand antwortete ihm oder achtete seiner, es war, als ob man ihn überhaupt gar nicht sähe. Er durchschritt ganz allein die Marmorgalerie, deren hohe Mauern eine tödliche Kälte ausstrahlten. Eine tiefe Melancholie, die er nicht abzuschütteln vermochte, hatte sich seiner bemächtigt. Er erreichte den großen Saal, der jetzt mit dunkel violettem Sammet ausgeschlagen war, dessen einziger in Silber ausgeführter Schmuck sein eigenes Wappenschild und seine Devise war. Das Parkett aus Ebenholz wurde von keinem Teppich bedeckt. Mitten in dem Saale erhob sich ein großer Katafalk, auf dem ein durch eine tiefviolette Draperie verhangener Sarg stand.

Rings um den Katafalk standen zwölf Pagen, die riesige, in unheimlich rötlichem Licht glühende Fackeln in den Händen trugen. Ihr düsterer Schein vermochte jedoch nicht den weiten Saal zu erhellen und erhöhte vielmehr die darüber lagernde trostlose Dunkelheit. Zwanzig geharnischte und Kürasse tragende Knappen, die Schild und Degen in der mit Eisenhandschuhen bekleideten Faust trugen, standen hinter den Fackelträgern, vor ihnen der Greis, der einst den Ritter am Eingang des Schlosses begrüßt, in Harnisch und schwarzem Gewande.

Neben ihm stand die junge Schloßherrin. Eine vom Hals bis auf die Füße frei herabwallende Tunika umhüllte ihre Gestalt. Ihr schönes Gesicht war hinter einem violetten Schleier verborgen, sie trug als einzigen Schmuck drei kranke Edelsteine, große runde blasse Amethysten, die an schwarzen Perlenketten befestigt waren.

Der in regelmäßigen Zwischenräumen erschallende Ton einer Glocke unterbrach die über dem Saale lagernde tiefe Stille, tönte in den Gewölben wieder und erstarb darin, um dann von neuem zu erklingen. Als der Ritter näher trat, bemerkte er einen ihm entgegenwehenden seltenen starken Duft und er erkannte, daß es der Duft der Gräber war. Im selben Augenblick rief der Greis mit lauter schrecklicher Stimme: »Der Herr ist tot! Unser Herr und Gebieter ist tot! Hier ruht der, der unser Herr und Gebieter gewesen, nun liegt er in sein Leichentuch gehüllt und ist tot.«

Die Pagen schwenkten ihre Fackeln. Die Knappen schlugen mit ihrem Schwert auf die bronzenen Schilder und erhoben ein großes Geräusch. Alle aber riefen:

»Der Herr ist tot! Der Herr ist tot!«

Als der Ritter all dies sah, fühlte er seine Seele von einer seltsamen Erregung bewegt und er erkannte, daß er einem unentrinnbaren Geschicke entgegenging. Zum ersten Male erinnerte er sich der Worte, mit denen der Greis ihn einst begrüßt und er verstand nun, daß es prophetische Worte gewesen waren.

Er erkannte die Vorbedeutung des weißen Blütenregens, der ihn umweht und wußte, weshalb seine Geliebte Opale getragen. Er blickte sie an und er verstand die Sprache der blassen Amethysten, dieser Sinnbilder der Trauer, die sie trug. Er betrachtete den Saal, die Knappen, die Fackelträger. Er sah den Greis an. Dann aber ruhte sein Auge lange auf dem bleichen verschleierten Gesichte derjenigen, die er anbetete. Ein seltsames beklemmendes Angstgefühl zerriß sein Herz, denn die Lippen der Geliebten waren wie in bitterem Schmerz aufeinander gepreßt und ihre wundervollen Augen, die sie bis jetzt gesenkt hatte, nun aber plötzlich aufschlug, blickten ihn an, ohne daß sie ihn zu erkennen oder nur zu sehen schienen.

Und diese Augen hatten wunderbarer Weise die trügerische fatale Farbe der Amethysten angenommen. Sie schienen von der Leidenschaft entbrannt, in wollüstig trunkener Freude zu schwelgen.

Er schritt auf den Katafalk zu. Er stieg die zu der Estrade emporführenden Stufen hinan. Er warf das Leichentuch von dem Sarge und entdeckte, daß er leer war. Er bettete sich hinein. Er legte seinen Degen sich zur Seite und bedeckte sich mit der mit seinem Wappen bestickten Sammetdecke. Das Antlitz zum Himmel gerichtet, die Augen fest geschlossen, streckte er sich lang aus und rührte sich nicht mehr.

Der monotone Klang der Totenglocke ertönte in dem Gewölbe des Saales. Mit kriegerischem Geräusche schlugen die Knappen ihre Schwerter auf ihren Schildern von Bronze. Der Greis aber, die Knappen, die Fackelträger, alle riefen in laut klagendem Tone: »Der Herr ist tot! Der Herr ist tot.«

Nach ihnen redete die Schloßherrin. Ihre Stimme klang traurig, aber dem von dem Leichentuch verhüllten jungen Manne erschien es, als töne sie genau so wie damals, als sie in hingebender Liebe unter seinem Kusse vor Wollust seufzte.

Sie sagte:

»Ach, mein Heißgeliebter, kehre zu mir zurück ... Der Tod gilt nicht so viel wie meine Liebe.«

Er aber starb.


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