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Unser Held stand im Zenith seines Strebens. Er konnte vielleicht als Soldat mehr Ruhm ernten, mehr geachtet und verehrt werden, aber mehr Amtsgewalt und Einfluß zu erringen vermochte er nicht mehr.
Feierlich mit militärischem Pomp wurde der französische Gesandte im Lager von Morristown am 20. April empfangen. Washington beorderte Steuben, dem Chevalier de la Luzerne zu Ehren ein Manöver und eine Revue auszuführen, welche zwei Tage hintereinander stattfanden und so glänzend ausfielen, daß der Gesandte seinen unbedingten Beifall, der Obergeneral aber der Armee, insbesondere Steuben, seine dankbare Anerkennung aussprach. Trotz ihrer finanziellen Bedrängnisse hatten die Generale der Hauptarmee zusammengeschossen, um dem französischen Gesandten und den französischen beim Heere befindlichen Offizieren ein Festmahl zu geben, und Steuben hatte seinen letzten, ihm aus der Heimat verbliebenen Reichtum, sein Silberservice, ein Geschenk des Fürsten von Hechingen, geopfert und den Erlös mit den Worten beigesteuert: »Wenn wir künftig auch aus Holznäpfen essen müssen, die Franzosen sollen wenigstens nicht behaupten, es sei geradezu bettelhaft unter uns hergegangen.«
Die Damen waren selbstverständlich zugegen, und der Baron führte Sigh zu Tisch, als wäre sie die Erbin eines Lords. Er tat dies um so absichtlicher, als einer der französischen Offiziere gleich nach seiner Ankunft im Lager eine frivole Bemerkung über das Verhältnis der Indianerin zu ihm hatte fallen lassen. Steuben hatte ihm die Alternative gestellt: »Der Monsieur schießt sich binnen zwölf Stunden mit mir oder bittet der Enkelin Tamenunds seine Betise ab.« Der Franzose bat ab, und nicht die leiseste Bemerkung fiel mehr über das Mädchen. Es stand bei allen fest, sie sei Steubens Verlobte, und er behandelte sie als solche vor allen Leuten. Es war die Zeit der Seligkeit für Sigh, die Epoche des höchsten Stolzes für unseren Helden. Erst gegen Ende der Vierzig, von kerniger Gesundheit, galt seine Erscheinung zu Pferde den Soldaten als die des verkörperten Mars, und außer Washingtons allvergöttertem Namen klang keiner heller und öfter im Heere wieder als der des »Barons«. Unter mannigfachen Anekdoten, die während des Kampagnements zu Morristown über ihn umliefen, war eine besonders für seinen Charakter bezeichnend. Bei einem Manöver, es regnete stark, wurde auf seinen Befehl ein sonst tapferer Offizier, Leutnant Gibbons, vom Fleck weg arretiert und wegen eines Fehlers, welcher für einen Augenblick die Linie in Unordnung gebracht hatte, hinter die Front geführt. Der Regimentskommandeur benutzte einen günstigen Augenblick, Steuben zu erklären, woran die Sache gelten habe, und daß Gibbons nicht die Schuld trage, der brave Offizier fühle sich durch die ihm gewordene Behandlung beschimpft. Sofort ersuchte Steuben den Oberst, Leutnant Gibbons vor die Front kommen zu lassen. Steuben zog den Hut. »Mein Herr,« redete er den Offizier an, »der begangene Fehler hätte vor dem Feinde sehr verderblich für uns werden können. Ich ließ Sie deshalb arretieren, weil ich Ihnen die Schuld beimaß, allein ich habe mich überzeugt, daß ich mich irrte. Ich bitte Sie wegen des Ihnen angetanen Unrechts sehr um Entschuldigung, kehren Sie an Ihren Posten zurück. Ich bin weit entfernt, irgend jemand, geschweige denn einen Offizier von Ihrem Verdienste und Ihrem Charakter, beleidigen zu wollen.« Während er das sagte, trieften seine Perücke, sein Gesicht und sein ganzer Körper vom Regen. Nicht einer war unter allen Kriegern, der in diesem Augenblick nicht von erhöhter Liebe und Ehrfurcht für Steuben durchdrungen gewesen wäre. – –
Das Jahr 1780 versprach sehr kriegerisch zu werden. Der englische General Clinton, der 6000 Mann unter dem Hessen von Knyphausen in New York zurückgelassen hatte, landete mit seinem übrigen Heere in Süd-Carolina, besetzte Johns Island, belagerte Charlestown, zwang General Lincoln mit 6000 Mann zur Kapitulation und eroberte die ganze Provinz. Daselbst ließ er Lord Cornwallis mit 4000 Mann zurück und ging dann wieder nach New York. Alle Freunde der amerikanischen Unabhängigkeit flohen von Süd-Carolina nach Virginien und Nord-Carolina, zumal die Mehrzahl der Einwohner der eroberten Provinz entschieden royalistische Sklavenbarone waren.
Anfang Juni unternahm der Hesse Knyphausen eine Invasion in New Jersey.
Das Äußerste stand der Union bevor: Des Feindes Absicht war unzweifelhaft, die im Norden massierten Armeekorps Washingtons, Sulivans und Howes nach dem Süden zu locken und den so entblößten Hudson, mit ihm aber den Weg ins nördliche Innere zu gewinnen. Washington hatte Steuben für die Kampagne zu seinem Generalstabschef ernannt und war mit ihm wie seinem Stabe einig: daß gewiß der Süden wiedergewonnen werden müsse, aber der Hudson um jeden Preis zu halten, die Hauptarmee daher von Morristown nicht wegzuziehen sei. Knyphausens Vordringen wurde durch die siegreichen Gefechte bei Connecticut Farms und Springsfield abgewiesen; bei beiden Gefechten war Steuben in seinem neuen Amte tätig.
Nun erst wurde auf Wunsch des Kongresses ein Teil der Armee Washingtons nach dem Süden gesandt, wo alle Milizen Virginiens und Nord-Carolinas sich unter Gates Oberbefehl mit demselben vereinigen sollten. Während Knyphausen Washingtons Hauptarmee bei Morristown jetzt in Schach hielt, bemerkte man, daß der Engländer Clinton seinen eigentlichen Stoß auf Westpoint, den Schlüssel der Hochlande am Hudson, zu richten suchte. Den amerikanischen General Howe hielt man zur Verteidigung des Platzes für nicht kraftvoll genug, zumal Arnold unter ihm diente. Es wurde beschlossen, daß Steuben mit seiner Energie Howe unterstützen solle, und des Barons und seiner Offiziere Abreise war für den nächsten Morgen bestimmt. Die Kunde dieser Abkommandierung nach Westpoint hatte bald die Runde unter den Generalen gemacht, auch Tamenund hatte von ihr erfahren. Er erschien mit Yokomen bei Greene, verlangte Sigh zu sprechen und führte sie in die Prärie hinaus.
»Der Baron geht morgen nach Westpoint«, sagte der Greis. »In Westpoint ist der Mann mit den Augenbrauen und Cheraks bei ihm, die Brüder der schielenden Schlange. Yokomen und Tamenund werden den Baron begleiten, werden den Mann mit den Augenbrauen bewachen. Was wird Sigh tun?«
»Sigh wird bei dem Großvater und dem Baron sein. Sechs Augen sehen mehr als vier. Sechs Arme sind stärker!«
»Großvater Tamenund ist sehr alt, Mädchen«, setzte der Prophet fort. »Manitou hat ihm gesagt, daß er bald kommen soll in die ewigen Gründe. Schweige davon. Ich weiß, es wird geschehen. Ich werde dann nicht mehr bei dir sein, mein Blut aber ist verstreut – Smirk, der Pappussen, Rattan! Wo das Haupt fällt, zerfallen die Glieder!«
»Sigh und Yokomen werden das neue Haupt sein«, sagte das Mädchen langsam mit schwerer Stimme. »Sigh wird Tamenund begleiten, wird seine stillen Augen schließen. Aber Sigh mit Yokomen werden den Mann mit den Augenbrauen und die Brüder der Snake festpacken. Dann wird Sigh des Barons rote Lady sein!«
»Legt eure Hände auf meine Brust und redet mit Manitou!«
Großvater, Enkelin und Sohn standen zusammen. Sigh und Yokomen legten die Hände auf Tamenunds heftiger als sonst pochendes Herz.
»Es ist so«, sagte Sigh nach einer Weile.
»Ich lasse nicht von Smirk und Sigh«, stieß Yokomen heftig hervor.
Tamenund legte seine Hände auf beider Haupt. »Der große Geist wacht, das Schlechte gelingt nicht. Komm zu General Wash, Mädchen; Yokomen soll den Baron holen.«
Sie gingen nach Morristown zurück, der Alte mit der Enkelin zu dem Obergeneral, der Sohn zu Steuben. –
Der greise Indianer fand Washington mit Hamilton und Stirling über Karten und Schriftstücken. Der Obergeneral fuhr auf. Seine Züge, sonst so ruhig, veränderten sich plötzlich und wurden düster.
»Fast ahnte ich, du würdest kommen, Freund! Ich war sogar im Zweifel, ob ich dich nicht rufen lassen müsse.«
»Tamenund kommt ungerufen, er versteht deiner Seele Schrei! Laß deine Freunde weggehen!«
Washington warf seinen Offizieren einen Blick zu, und sie entfernten sich.
»Du kommst wegen des Arnold!«
»Ich werde von ihm reden, was ich denke, wenn Yokomen mit dem Baron kommt. Du sollst aber etwas wissen, was nur Sigh und Yokomen weiß. Du siehst Tamenund nicht wieder!«
»Du meinst, du wirst sterben?«
»Sterben wie das Tier, nein! Ich werde in Manitous ewige, tiefblaue Gründe gehen! Dem Baron sage nichts!«
»Ich bitte dich, wie weißt du das?«
»Hier drinnen!« Der Greis legte die Hand aufs Herz. »Diese Nacht sind vier Cherakis vom Hudson heraufgekommen!«
»Also vom General Clinton? Spießgesellen des Arnold?«
»Ein fünfter war dabei, ein Inglish-Rotrock. Hatte aber keinen roten Rock an, war bemalt und im Kalikohemd, ein Inglish-Inschun!«
»Ein englischer Offizier, der sich in einen Indianer verkappte? Du hast ihn gesehen?«
»Gesehen! Mond war groß! Hörte ihn reden. Nicht indianisch, wie Inglish-Rotrock reden!«
»Was sagte er zu den Freunden der Schlange?«
»General in New York Geld geben, viel Geld und viel Branntwein, wenn Cherakis alles tun!«
Ein Geräusch störte die weiteren Eröffnungen. Steuben trat mit Yokomen ein.
»Teuerster Baron,« sprach der Obergeneral erregt, »Tamenund hat die alten Befürchtungen, und es sind neue Anzeichen vorhanden, die den Verdacht gegen Arnold verstärken. Sie werden mir zugeben, bei den jetzigen strategischen Absichten Clintons würde sich für Arnold die allerbeste Gelegenheit bieten, die Prozedur vom Valley Forge mit mehr Wirkung zu wiederholen!«
»Sie meinen, daß Clinton anmarschiert, indes Arnold mich unschädlich zu machen sucht?«
»Sind Arnold und Clinton wirklich im Einverständnis, so wird Arnold Westpoint den Engländern zu übergeben suchen, dann sind Sie dem Verderben verfallen. – Tamenund hat etwas Sonderbares gesehen, was er Ihnen während des Marsches mitteilen mag; er will mit Ihnen.«
»Tamenund ist willkommen. Er wird mir, komme wie es wolle, sehr nützlich sein.«
»Tamenund, Yokomen und Sigh. Alle mit! Squaws bleiben beim großen Wash.«
»Ich werde für sie wie du selber sorgen, mein Bruder!«
»Wenn auch Yokomen mitgeht,« rief Steuben erstaunt, »weshalb das Mädchen? Ich bitte dich, Sigh, in diese Gefahr?«
»Bin ich deine rote Lady? Nein?«
»Du bist es, Mädchen! Eben weil –«
Sie preßte ihm die Hand auf den Mund.
»Du hast mich geküßt, und ich bin dreifach dein! Die Squaw ist bei ihrem Mann, und wenn ich noch nicht deine Squaw bin, so will ich doch bei meinem Großvater, bei dir, meinem Freunde, und Yokomen sein!«
»Weigern Sie sich nicht, lieber Baron, Sie sehen, es hilft Ihnen nichts. Die drei folgen ihnen mit oder ohne Ihren Willen!«
»So sollen sie es lieber mit meinem Willen tun. Tamenund muß seine Ursachen haben, selbst Sigh nach einem so bedrohten Punkte mitzunehmen, Exzellenz. Ich werde ihr ein Pferd stellen, vielleicht kann ich auch einen Damensattel auftreiben.«
»Ich sende Ihnen einen von meiner Frau, Baron«, erwiderte Washington.
»Pferd für Sigh sehr gut,« fiel Tamenund ein, »aber nicht gleich reiten! Roter Vater, Sohn und junge Tochter gehen diese Nacht. Sehen erst, ob Cheraki-Leute auf deinem Wege sind!«
»Tue, wie du denkst, Prophet, das Pferd für meine rote Lady wird bereit sein. Noch einmal denn, Exzellenz, leben Sie wohl!«
»Gott sei mit Ihnen, Baron. Zur größeren Sicherheit vor einem Überfall und um alle Kundschafter aufzufangen, werde ich zwei Regimenter an den Hudson als Riegel vorlegen, sobald Sie erst weit genug voran sind. – Dir, mein treuer, ehrwürdiger Tamenund, möge der große Geist beistehen in der Gefahr, die du auf dich nimmst!« wendete sich George Washington mit verhaltener Rührung zu dem Alten. »Wo du auch seist, ich werde immer dein gedenken!« – Er hatte dem indianischen Greise die Hand gereicht. Dieser hielt sie lange fest und sah Washington starr an.
»Lebe wohl und lebe lange, großer Wash! Du wirst das Kriegsbeil begraben!«
Tamenund wandte sich kurz um und ging hinaus, die anderen folgten ihm auf Washingtons Wink. Nur der Baron blieb zurück, da diesem der Obergeneral besondere Vollmachten und Instruktionen zu geben hatte. –
Am nächsten Morgen brach Steuben mit seinen Offizieren auf. Vogel nebst drei Dienern führte mit den Pack- und Reisepferden ein gutes sanftes Tier für Sigh mit, das einen Damensattel trug, den eine Stalldecke verhüllte; die Indianer waren längst aus Morristown verschwunden. Man zog in scharfem Trabe durch lange Waldhügel, die sich endlich tief hinab zum Hudson senkten. Dort hoffte man gegen Abend den Propheten und die Seinen zu finden. Sie erreichten in der Dämmerung schließlich eine Biegung des Stroms, wo die Straße zwischen dem Flusse und etlichen mit Gebüschen bestandenen großen Felsblöcken hinlief. Als sie diese erreicht hatten, schlüpfte Sigh aus einer Spalte derselben. Sie war mit dem indianischen Hemd bekleidet, in völligem Kriegsschmuck und trug Steubens Kreuz am Halse.
»Hier treffen wir dich, Kind?« rief Steuben. »Du wirst sehr müde sein!«
»Sigh ist nie müde, wenn sie ihren Baron sieht,« lächelte sie, »auch bin ich hier versteckt, seit das große Licht aufging. Jetzt lasse mich reiten, ich habe viel zu sagen!«
Das Pferd wurde ihr gebracht. Steuben half ihr selbst hinauf. Man setzte sich in Gang.
Sigh erzählte den erstaunten Offizieren alsbald: Vor zwei Nächten hätte sich der Großvater mit Yokomen am Flusse bei der Straße in den Wald versteckt und vier Cheraks, wie Tamenund dies bereits Washington mitgeteilt hatte, nebst einem verkappten Engländer den Weg stromauf vorbeikommen sehen. Schon die Nächte in der Woche vorher hätten der Großvater und Yokomen auf dieselben gelauert, weil dieser zufällig bei der Jagd am Flusse auf die acht Fußspuren der feindlichen Indianer gestoßen sei, welche damals jedoch stromabwärts gerichtet gewesen waren, und die er an der eigenen Gangart und dem Abdruck der Sohlen als von Cheraki-Indianern herrührend erkannt hatte. Gestern um Mitternacht wäre Sigh mit ihren beiden Verwandten deshalb aufgebrochen, um den in den letzten Tagen wieder nördlich nach Westpoint laufenden Spuren derselben nachzugehen. Am Morgen waren sie hier angelangt und hatten den Tag über gerastet. Weil die feindlichen Indianer nebst dem Engländer, um nicht entdeckt zu werden, nur bei Nacht reisen würden, habe Tamenund Sigh hier zurückgelassen, damit sie Steuben und die Offiziere erwarte, er aber wäre mit dem Sohne vorangeeilt. Yokomen war bestimmt, die Gegner zu überholen, sich in der Nähe des Forts zu verstecken, um die Indianer mit dem Engländer anlangen zu sehen, während Tamenund denselben nachschleichen und ihr Tun gleichfalls beobachten wollte. Der Großvater lasse dem Baron sagen, wenn derselbe abends zu den Steinblöcken kommt, solle er ja bis Mitternacht weiterziehen, dann aber im Walde, doch ohne Feuer, rasten, bis Yokomen käme und ihm sage, was aus dem Engländer und seinen Begleitern geworden wäre.
»Sonach ist zweifellos,« begann Leutnant North, »daß die Indianer vom Fort aus erst zu Clinton gesendet worden sind. Diesem aber muß die erteilte Botschaft so wichtig erschienen sein, daß er einen seiner Offiziere verkleidet mit zurückschickte, selbst auf die Gefahr hin, daß derselbe erwischt und als Spion verurteilt werde. Wahrscheinlich soll dieser sich mit dem Verräter verständigen und als Mann vom Fach Einblick in die Werke und die Besatzungsstärke des Forts zu erlangen suchen.«
»Der Offizier wird sicher dann etwaige Zeichnungen und Nachrichten durch einen der Cherakis an Clinton senden, und dieser wird hierauf seinen Anschlag basieren!« versetzte l'Enfant.
»Wer aber kann der Verräter sein?« rief Romanai.
»Der mit den starken Augenbrauen!« sagte Duponceau.
»Ich enthalte mich jeder Meinung hierüber«, fiel Steuben sinnend ein. »Wir werden mir Hilfe unserer indianischen Freunde dahinterkommen. Doch auch wir dürfen nicht müßig sein. Wir sollen auf Yokomen warten, Mädchen?«
»Er wird uns führen, daß du nach Westpoint kommst, ohne daß einer drinnen vorher es weiß, und ohne daß die Cherakis Vater Tamenund und uns wittern!«
»Das wollte ich wissen! Es ist dringend nötig, Freunde, daß wir plötzlich vor Howe und Arnold treten, letzteren aber besonders scharf ins Auge fassen. Zunächst ist unsere Aufgabe, genau zu ermitteln, wie die Verteidigung beschaffen ist, namentlich, wer nach der Flußseite und wer die südlichen Werke kommandiert. Dann müssen wir sofort Riflemen-Kompanien zusammenstellen und ganz besondere Sorgfalt auf die Batterien und Pulvermagazine verwenden. Da General Howe ein schwacher Mann ist, muß ihm alle Möglichkeit entzogen werden, durch Lässigkeit Westpoint in Gefahr zu bringen.«
Unter derlei vorsorglichen Gesprächen setzten sie bis Mitternacht ihren Weg fort, bogen dann in den Wald ein und lagerten. Nachdem die Nachtwachen unter Karl Vogel und die Diener verteilt worden waren, begab man sich, die Waffen auf den ersten Griff bereit, zur Ruhe. Für Steuben hatte man inmitten seiner Offiziere Decken ausgebreitet, seinen Mantelsack zum Kopfkissen, Sigh hatte sich neben ihn gesetzt. Rings war Waldesdunkel um sie. Steuben konnte nicht schlafen; er fühlte sich aufgeregt wie selten. Nicht, weil die schöne Indianerin an seiner Seite saß, denn wo hätte sie auch sein sollen als bei ihrem Beschützer. Er war vielmehr von dem Gedanken bewegt, daß wirklich Verrat den Ort bedrohe, dessen Obhut ihm anvertraut war, Arnold und kein anderer es aber sein müsse, welcher mit den Engländern ein Einverständnis unterhalte. Noch immer sann und grübelte er hierüber und wie seine Ehre an diesen wichtigen Platz geknüpft sei, als der tiefe Atem der übrigen verriet, daß sie schliefen, und außer diesen Tönen nur Vogels Schritte leise erklangen, der das kleine Biwak mit der Flinte im Arm umkreiste. Plötzlich fühlte er Sighs kleine Hand die seine suchen. Er ergriff sie.
»Schläfst du noch nicht?«
»Ich wache wie du.«
»Warum? Du mußt von dem Ritt und dem Gehen doch müde sein!«
»Soll ich schlafen, wenn du wachst? Du bist so allein mit deinen Gedanken!«
»So laß die deinen denn bei mir sein!« – Er zog sie an sich und legte ihr Haupt an seine Brust. Ein schwerer, zitternder Ton rang sich von ihren Lippen, und sie schlang zaghaft leise die Arme um ihn.
»Warum wolltest du denn mit uns, Mädchen? Konntest du nicht im Lager bei den Ladys bleiben?«
»Sigh kann ihren Freund nicht lassen – den alten Großvater nicht! In meinem Herzen redete es: ›Gehe mit‹, und ich folge der Stimme. – Deine Gefahr soll meine Gefahr sein, deine Lust meine Lust!«
»Armes Kind, deine Lust! Ich weiß wohl, du träumst, bald würdest du meine Lady werden. Der Krieg kann indes lange dauern, Sigh, und wenn er zu Ende ist, werde ich vielleicht nicht so viel haben, daß ich dich zu meiner Squaw machen kann. Es werden Jahre und das Leben wird vergehen.« – –
»Du sollst nicht traurig denken, sondern froh!« flüsterte sie. »Laß es lange sein, ich warte! Manitou will, daß wir eins werden!«
Leise umschlang er das Mädchen und legte ihr Haupt an das seine. Wie Gottesfrieden, wie Gewißheit des Glücks, wie ein Siegergefühl kam es wohltätig über ihn. Alle Erregung und Sorge fiel von ihm ab. »Laß uns ruhen, damit wir morgen kräftig sind. Lege deinen Kopf in meinen Arm, du wirst dann auch im Schlafe fühlen, daß du bei mir bist.« – Er lehnte sich zurück auf den Mantelsack, der Indianerin Haupt schmiegte sich an seine Brust. Wenige Minuten später deckte beide der Schlummer.
Es war noch nicht völlig Tag, als Sigh die Augen öffnete. Sanft lächelte sie zu dem geliebten Manne, an dessen Seite sie geschlummert hatte. Sich leise von seinem Arm befreiend, der noch auf ihrer Schalter lag, stand sie auf, nahm ihre Waffen, drückte Steuben rasch einen Kuß auf die Lippen, huschte über alle Schläfer weg und blieb bei dem verdutzten Diener stehen, der eben Morgenwache hatte. Steuben ermunterte sich sofort und blickte umher.
»Wohin willst du?«
»Yokomen!«
Sie verschwand im Gebüsch. Steuben und die Wache weckten sogleich die übrigen. Die Morgentoilette war bald gemacht, das kalte Frühstück verzehrt. Sigh bei demselben zu sehen, mußte Steuben verzichten, wie er überhaupt bemerkte, daß sie im Freien, sei es auf dem Marsche oder bei kriegerischen Begebenheiten, die Gewohnheiten ihres Stammes annahm und sich ihm entzog, um nur nach Tamenunds Befehlen zu handeln. Damit beschäftigt, die Pferde zum Aufbruch zu bereiten, hörte man in ziemlicher Entfernung den Zitterschrei der Lomme und darauf ein keifendes Kläffen. Sie ermahnten einander zu größter Stille, vollendeten ihre Vorbereitungen und lauschten gespannt. Das Kläffen, jedoch ganz fern, wiederholte sich, dann ein hohles, langgezogenes Geheul. Es war, als jagte ein größeres Raubtier irgendeinen kleinen Quadrupeden, denn das Kläffen kam näher und auch das Heulen.
Plötzlich erschien Sigh und sprang zu ihrem Pferde.
»Yokomen bald hier!«
Sie schwang sich auf, der Zug ordnete sich und blieb dann regungslos. Nach einer Viertelstunde ertönte von Norden her ein grillenhaftes Zirpen, Sigh beantwortete es mit leise winselnden Tönen. Nach wenigen Augenblicken stand Yokomen vor Steuben.
»Sind sie hinein ins Fort?« fragte dieser.
»Sago! – Baron, nein! Warten vielleicht die Nacht ab oder gehen gar nicht hinein. Der mit den dunklen Augenbrauen wird dann zu ihnen herauskommen!«
»Sago, Yokomen! Und dein Vater?«
»Bei ihnen!«
»Unter ihnen?«
»Nein, bei ihnen, aber sie sehen ihn nicht!«
»Ist das Fort weit, und werden wir die Cheraki vermeiden können?«
»Fort nur zwei Stunden weit. Wir machen Weg vier Stunden lang.«
»Weshalb?«
Yokomen winkte den Offizieren bedeutungsvoll. Jetzt zog er einen Pfeil hervor, kniete nieder und glättete mit dessen Schaft eine sandige Stelle des Bodens. Gespannt sahen sie ihm zu. Erst zeichnete er eine gewundene Linie, dann einen Halbkreis daran. »Das Fluß, hier Fort! Baron jetzt hier!« Er gab südlich die Stelle an, wo man sich ungefähr befand. »Alles Wald – so weit!« Er machte eine krause Abgrenzung, welche um das, was er als Fort bezeichnet hatte, bis zu der Linie herumlief, die er als Hudson angegeben hatte. »Da Tal, Quelle! Dort Cheraki! Quelle läuft nach dem Fort, Baron so herum!« So sprechend, gab er erst eine leichte, von Westen nach Osten gewundene Linie an, die in den Hudson, unterhalb des Forts verlief, bei derselben einen Punkt, das Lager der Feinde. Jetzt zeichnete er von der Stelle, wo man sich zur Zeit befand, einen weiten westlichen Bogen, der um besagte Quelle herum nach der nördlichen Seite des Forts führte.
»Hat mein Bruder verstanden?«
»Gewiß! Wir wollen die Indianer mit dem Inglish-Inschun umgehen, so daß es scheint, wir kämen von Norden.«
Yokomen nickte lächelnd.
»Von Albany! – Der mit den dunklen Augen wird denken, daß der Baron nichts von den Cheraki wissen kann.«
»Sehr gut! Führe uns, Yokomen.«
Der Indianer gebot die größte Stille, und man gelangte über hohe Hügel durch den einsamen Wald endlich gegen Mittag auf die nördliche Straße, selche von Albany tief hinabführte. Als sie den Hudson unten wieder blinken sahen, hielt Yokomen an.
»Ich mit Sigh bleiben; erwarten Vater. Wenn der Baron abends herauskommt, Sigh hinein!« Die Indianerin sprang vom Pferd und reichte Steuben die Hand.
»Ich bitte dich, nimm dich in acht! Bist du nicht mein?«
»Ich bin dein, aber Großvater wartet. Großvater ist bei den Cheraki!«
»Wohl wahr, Kind, aber mich bekümmert, daß auch du seine Gefahr noch teilen sollst!«
Sigh wendete sich ohne Erwiderung ab und zog das Kriegsbeil. Yokomen deutete, gegen Steuben gewendet den Pfad hinunter, dann verschwanden beide.
»Meine Freunde,« sagte Steuben, »wir befinden uns der Niedertracht im eigenen Lager gegenüber jetzt weniger in der Lage offener, ehrlicher Krieger als in der von Strauchdieben, die ihre Hinterlist den Indianern entlehnen müssen. Mir kommen also von der Inspektion Albanys hierher! Dupenceau, reiten Sie vorsichtig voraus; wenn Sie des nördlichen Tores ansichtig werden, dann halten Sie. Lassen Sie sich nicht blicken!«
Der Sekretär ritt voraus, indes die Offiziere noch eine Weile beratschlagten, dann folgten diese im Schritt. Die Straße, zwischen den Hügeln sich senkend, lief eine ganze Strecke so, daß man keine Aussicht auf den Fluß, noch weniger auf das Fort hatte.
Plötzlich wurden beide und auch Dupenceau sichtbar, der, von einer dicken Eiche verdeckt, am Wege hielt.
»Galopp, meine Herren, wir wollen ihnen wie Geister erscheinen!«
Letzteres war in der Tat der Fall. Im Augenblick befanden sie sich am nördlichen Tor. Steuben befahl der Wache im Namen der Regierung und des Oberbefehlshabers, sie einzulassen. Die Brücke fiel, sie trabten ein und befanden sich innerhalb der Werke. Steuben richtete sein Wort sofort an den Offizier der Torwache.
»Ich ersuche Sie, mir einen Mann mitzugeben, der mich zum Kommandierenden General führt! L'Enfant, North und Dupenceau folgen mir; Vogel bleibt mit den Dienern an dieser Stelle. Damit stieg er nebst seinen Offizieren ab, nahm den alten Feldmantel um, der namentlich die Generalsepauletten verhüllen sollte, und folgte dem führenden Soldaten, von welchem er erfuhr, um diese Zeit bei General Howe immer zu Hause. Derselbe empfing Steuben höchst erschrocken und in einer komischen Verzweiflung.
»Sie – o mein Gott, Sie – Sie überraschen uns ja wie ein feindlicher Überfall, Herr Baron! Sie kommen, Herr, ohne – ohne daß man uns die geringste Anzeige machte! Ich glaube sogar, daß – daß nicht einmal die Torwache wußte, wer angelangt ist, und – und ihre – ihre Pflicht versäumte«, stotterte er.
Steuben lächelte ihn mit einer, in diesem Augenblick fast übertriebenen Überlegenheit an, denn der dicke General, dessen Nase eine starke Liebhaberei für Spirituosen verriet, wurde während des Gesprächs immer fassungsloser.
»Sie, mein General, sind in Westpoint allerdings der erste, welcher weiß, daß der Generalinspekteur der Armee hier ist. Ihnen meine Ankunft vorher anzuzeigen, dazu war die Zeit zu kurz. Übrigens pflegen sich in Preußen die Inspekteure nicht vorher anzumelden, damit schlechte Zustände erst rasch vertuscht werden können, vielmehr überraschen sie die ahnungslosen Korps und räumen von Grund aus mit den Übelständen auf!«
»Ich begreife, haha – o ja, ich – begreife, daß das sein Nützliches für den Dienst hat, aber – aber auch – auch seine Unbequemlichkeit, Sir!«
»Für die Herren Kommandeure unzweifelhaft! Bitte, belehren Sie mich doch, wer kommandiert die Flußseite und wer die Landseite?«
»Die Nordseite hat Major Armstrong, die Südseite General Knox, ich den Westen der Stadt, die Flußseite nahm General Arnold.«
»Warum Arnold gerade diese Seite? Hatten Sie einen besonderen Grund, dem General die gefahrvollste Stelle des Platzes zu übertragen?«
»Ich? Hm, nein! Der – der General ist – ist ein etwas eigenwilliger Herr; er hat sich eben die Verteidigung der Flußseite ausgebeten!«
»So, so! Man bittet sich hier also den Dienst aus, den man zu tun gerade Lust hat? Exzellenz Washington wird Ihre Gutmütigkeit höchlich bewundern, wenn ich über den Befund von Westpoint berichte.«
»Ich – ich hoffe, General, Sie werden mit den Verhältnissen eines vom Oberkommando so – so entfernten Postens Nachsicht haben, und Sie werden, Sir – ja, wenn ich Sie um diese Gefälligkeit ersuchen darf –, Sie werden mir lieber die Dinge vorher bezeichnen, welche verbessert werden müssen, bevor, hm, hm, Sie an die große Glocke schlagen! Ich bin ein altgedienter Offizier von den Franzosen her, Sir, und – und ich hebe im Kongresse wie im Hauptquartier meine Feinde!«
»Das bedauere ich, denn Ihre Stellung dürfte eine verzweifelte werden, wenn unsere Nachrichten sich bestätigen. Es ist gewiß, daß, während Knyphausen den Obergeneral nötigt, Morristown festzuhalten, General Clinton darauf sinnt, Ihnen mit überlegener Gewalt Westpoint zu entreißen!«
»Großer Gott, welche Nachricht!«
»General, kein Aufsehen! Sie werden, diesen Fall im Auge, begreifen, daß der Oberbefehlshaber mir umfassende Vollmachten gegeben hat, die sogar so weit gehen, erforderlichenfalls Sie im Oberbefehl zu vertreten! Ich wünsche das nicht, im Gegenteil will ich Ihnen helfen, die schlimmsten Schäden hier sofort abzustellen. Ich werde solange auch meinen Bericht an Washington aufschieben.«
»O tun Sie das, General, Sie machen mich zu Ihrem Schuldner. Ich werde alles bewirken, was Sie anempfehlen.«
»Haben Sie die Güte, sofort mittels Korpsbefehls zu erklären, daß Sie mit allem einverstanden sind, was ich verfügen werde, und künftig nichts zu geschehen hat, was ich nicht genehmigt hätte. Es ist der einfachste Weg, Ihnen Ihre schwere Verantwortlichkeit zu erleichtern. Lesen Sie meine Vollmachten; heute abend konferieren wir. Damit den Truppen aber sofort klar sei, ich handle unter Ihrer Autorität, so erscheinen Sie jetzt von der westlichen Seite aus auf dem Wall, bei der Division Arnold treffen wir zusammen.«
Zitternd hatte Howe den Korpsbefehl in der verlangten Form ausgestellt und Steuben übergeben. Man sah, vor dem Gedanken, Clinton könne den Platz berennen, bebte Howe zurück. Steuben empfahl sich, eilte zum Nordtore und, bei Vogel seinen Mantel zurücklassend, erschien er nebst Begleitern auf der Höhe des nördlich zwischen Tor und Fluß gelegenen Bastions. – Die Aussicht rings über den Wald und die Ufer des schäumenden Hudson war köstlich, doch gönnte sich Steuben dieselbe nur einen Augenblick.
Seine athletische, blendende Erscheinung, die Generalsepauletten, die Adjutanten in seinem Gefolge deuteten den Soldaten, obschon sie Steuben nicht kannten, seine Stellung an. Die Wachen präsentierten, die Müßigen sprangen auf und salutierten. Ein Leutnant eilte ihm entgegen.
»Hier kommandiert Major Armstrong, nicht wahr, Sir!« sagte Steuben.
»Zu Befehl, Herr General!«
»Ein ausgezeichneter Offizier! Führen Sie mich zu ihm.«
Der Leutnant geleitete sie zu dem Bastion, welches im nordöstlichen Winkel des Forstes am Fluß lag. In dessen Batterien befand sich der Major, welcher nicht wenig überrascht auf den General zutrat.
»Sehe ich recht, Baron, Sie?«
»Ein alter Bekannter von Valley Forge. Ich bringe Ihnen vom Obergeneral einen Gruß und schätze mich glücklich, Ihnen zuerst zu begegnen.«
»Sehr gütig, General. Ich aber freue mich herzlich, in dem Regenerator unserer Armee einen alten Kameraden wiederzusehen.« Sie schüttelten einander herzlich die Hände.
»Sie praktizieren also hier mit Erfolg das Blaue Buch«, lächelte Steuben.
»Ich, gewiß! Ich halte es für die sicherste Anleitung, uns zum Siege zu verhelfen, General. Aber man kann nicht gerade sagen, daß es die übrigen ebenso machten, etwa General Knox ausgenommen, der ein verläßlicher und einsichtiger Offizier ist. Unser Kommandierender General, im Vertrauen gesagt, ist schlapp, Herr Arnold aber meint, das alte englische System, das wir sonst hatten, wäre viel besser.«
»Hm! Wenn General Arnold das englische System für besser hält, so wird er seine guten Gründe dafür haben«, entgegnete Steuben ironisch.
Armstrong riß die Augen auf. »Schwere Not, Baron, entweder reden Sie zweideutig, ohne es zu wissen, oder nur zu deutlich.«
»Begleiten Sie mich zu General Arnold, bester Major; das Urteil eines der erfahrensten Offiziere des Heeres, welcher schon den Kontinentalkrieg gegen Frankreich mitgemacht hat, wird mir von großem Wert sein.«
Ohne weiteres Gespräch schritten sie langsam die Befestigungen der Flußseite entlang an verschiedenen Mannschaften der Division Arnold vorüber. Steuben betrachtete genau die beiden Ufer, namentlich das diesseitige. Letzteres war unterhalb der Werke mit dichten, weit überhängenden Fichten- und anderen Büschen bewachsen, deren Zweige den schilfigen Rand des Wasserspiegels berührten. Es war undenkbar, daß hier mehr als der Fuß eines Menschen Platz finde. Dennoch deutete ein Mauereinschnitt darauf hin, daß eine Tür aus dem Innern dort zum Wasser führen müsse. Steuben behielt diese auffällige Wahrnehmung für sich. An der südöstlichen Flußbastion stand, nichts ahnend, Benedikt Arnold. Ein kurzes Fernrohr in der Hand, blickte er den Weg südlich stromab und schien dort den Wald einer sehr genauen Beobachtung zu unterziehen.
»Sie kommen noch nicht, General«, sagte Steuben scharf.
Arnold prallte zurück und wendete sein bleiches Gesicht dem Sprecher zu. »Ha, Sie, Baron? Sie hier?!«
»Ja, ich bin hier, aber die, welche Sie erwarten, noch nicht.«
»Wie verstehe ich das?«
»Nun, wie es zu verstehen ist! Sie erwarten als guter Amerikaner ja doch wohl die Engländer? Herrn Clinton, der's auf diesen Platz abgesehen hat. Weshalb sollten Sie sonst mit Ihrem Blicken das Laub durchbohren?«
Nur die Frechheit, welche Arnold seine geheime Wut verlieh, ließ ihn den Schrecken, sich ertappt, vielleicht schon verraten zu sehen, überwinden. »Ich habe von diesem Vorhaben Clintons noch nichts gehört. Sie müssen also die südliche Straße gekommen sein, da Sie von seinem Anrücken wissen.«
»Das ist nicht gerade nötig. Ich komme mit meinen Offizieren von Albany, das ich inspizierte. Dort erhielt ich die Mitteilung durch eine an mich expreß gesendete Depesche Sr. Exzellenz des Diktators. Demgemäß bis ich hier, um den Platz auf den Angriff vorzubereiten und die Verteidigung zu leiten.«
»Sie, Baron? Haha, eine hübsche Neuigkeit! Ich möchte wohl wissen, wozu dann General Howe und wozu ich und wir anderen alle hier sind.«
»Um zu gehorchen, Sir! Sie werden demnach mit Ihrer Division die Fluß- und Südseite des Forts verlassen und Nord- und Ostseite verteidigen; Ihren Platz nehmen die Truppen des Majors Armstrong und des Generals Knox ein. Ich werde die Geschütze besser placieren.«
Arnolds Gesicht bedeckte dunkle Zornesglut. »Was Sie werden, soll mir gleich sein; ich stehe unter General Howe! Nur dieser hat mir zu befehlen, kein anderer.«
»Wissen Sie, was Insubordination ist?« sagte Steuben kalt. »Major Armstrong, ich befehle Ihnen, Generalmarsch schlagen zu lassen! Sie alle sind Zeugen, meine Herren, von Mr. Arnolds Benehmen. Ich gebe Ihnen fünf Minute« Zeit, sich zum Gehorsam zu bequemen.« Steuben zog die Uhr und hielt sie ihm hin. »Ist der Termin um, dann lasse ich Sie hier auf dem Fleck erschießen. Major Armstrong, schicken Sie zwei Piketts zu 25 Mann mit geladenem Gewehr unter je einem Offizier hierher. Romanai, l'Enfant und North haben Sie die Güte, diesen Herrn in Ihre Obhut zu nehmen.« Er wendete sich, um weiterzugehen. Armstrong eilte den Wall hinab. »Ach, da ist der Obergeneral ja!« Steuben blieb stehen.
Howe, der seiner ansichtig wurde, eilte herbei.
»Bedeuten Sie Mr. Arnold doch, General, daß ich unter Ihrer hier schriftlich ausgesprochenen Autorität und infolge umfassender Vollmachten handle.«
»Ich – ich bestätige das durchaus«, stotterte derselbe.
»Hallo,« und Arnolds Gesicht verzog sich zu einem verlegenen freundlichen Grinsen, »wenn es so steht und Sie von General Wash ermächtigt sind, was sagten Sie das nicht gleich?« Er verbeugte sich. »Ich bin weit davon entfernt, mich einer Verfügung Sr. Exzellenz zu widersetzen.«
»Bringen Sie also, wie befohlen ist, Ihre Truppen nach der Westseite. Die Ihren, General Howe, nehmen den Teil vom Stadttor bis zur nordwestlichen Schanze ein, Major Armstrong schließt sich an. Ich werde sämtliche Truppen besichtigen. Leutnant North, lesen Sie mm die Mannschaften aus, welche zu Riflemen tauglich sind.« Damit schritt der Baron den beiden Piketts zu, welche eben anmarschierten. »Halt!« rief er ihnen zu. »Ich ersuche die Herren Offiziere, Ihre Leute Front machen und Gewehr bei Fuß nehmen zu lassen. Dann folgen Sie beide mir.«
Dem Befehl wurde gehorcht, die Offiziere eilten dem Weiterschreitenden nach, der sein Taschentuch gezogen hatte. »Ihre Namen, meine Herren.«
»Ich bin Leutnant Robeson!« »Mein Name ist Dewalden, Sir.«
»Ich bin Baron Steuben, Generalinspekteur der Armee, und handle nach besonderen Befehlen des Obergenerals.«
Die Offiziere machten Honneur.
»Ich habe für Sie einen wichtigen und geheimen Auftrag,« fuhr Steuben leise fort, »über welchen ich mit Ihrem Chef, Major Armstrong, mich des weiteren besprechen werde. Von Ihrer Ehre, Ihrem Mute, Ihrer Umsicht wird es abhängen, ob ich Sie beim Oberbefehlshaber rühmen darf. Westpoint wird vom Feind bedroht. Er unterhält Einverständnis mit jemand in der Festung. Feindliche Indianer von den Cherakis sind in der Nähe und werden in das Fort zu kommen versuchen. Sie werden das verhindern und, wenn möglich, die Kanaillen fangen. Ich lasse dieselben übrigens durch indianische Kundschafter, nämlich den Delawaren Tamenund und seine Kinder, bewachen. Wer von diesen herein will, wird mittels Eskorte in mein Quartier gebracht. Damit wir besagte Absicht nun erreichen, wird Mr. Robeson sogleich durchs nördliche Tor rücken und die davorliegende Waldlisiere bis zum Flusse unter Bewachung nehmen, Leutnant Dewalden hat die Güte, dasselbe im Süden zu tun. Beide Piketts bleiben die Nacht im Dienst, immer je zehn Mann schlafen zwei Stunden. Biwakfeuer können gemacht werden. Halten Sie auch den Fluß fest im Auge. Ganz gleich, was von Fahrzeugen herauf- oder herabkommt, es wird unter scharfes Feuer genommen. Handeln und schweigen Sie, ich werde in Person ihre Stellungen in der Dunkelheit besichtigen.« Er grüßte freundlich, rief Romanai und l'Enfant heran und umschritt den Wall.
Inzwischen war überall im Fort Generalmarsch geschlagen worden, die Dislokation der Truppen begann, während man Piketts aus den Toren rücken und die anbefohlenen Stellungen vor dem Fort einnehmen sah.
»Das ist geglückt, meine Freunde«, flüsterte Steuben seinen Adjutanten zu. »Ich bitte Sie jetzt, Romanai, gehen Sie zu unseren Pferden und suchen Sie sich ein Quartier auf dem Marktplatze aus. Das ist aber nur Ihr scheinbarer Auftrag, der wirkliche ist wichtiger. Es steht fest, daß an der Wasserseite das Fort einen geheimen Flußausgang hat. Derselbe muß von innen sichtbar sein, auf irgendeine Weise muß man zu ihm gelangen. Ohne daß es Truppen und werden schließlich an der Wasserseite bei Armstrong zu finden sein.«
Romanai entfernte sich. – Die Inspektion ging vor sich. Steuben fand vieles bei Howe, noch mehr bei Arnold zu tadeln und war sehr scharf. Howe war konsterniert, und seine Angst gab ihm fortan mehr Temperament und Eifer, als er bisher besessen hatte. Arnold war widerlich devot und versprach, des Herrn Generals Befehlen aufs genaueste nachzukommen. Man sah, der Mann fühlte, sein Spiel sei verloren, und daß er nur darauf sinne, sich vor Entdeckung zu bewahren. Inzwischen hatte North auch die Riflemen ausgelesen, etwa hundert Mann, welche für die besten Schützen der Garnison galten. Sie wurden in zwei Kompanien geteilt und an die Flußseite beordert. Nachdem der Baron die Wälle des ganzen Forts umschritten und wegen besserer Aufstellung der Geschütze Vorsorge getroffen hatte, kehrte er zu Armstrong zurück, der die Flußseite bereits besetzt hatte.
»Ein Wort unter vier Augen, Baron!« sagte dieser lächelnd.
»Ich wollte Ihnen ein solches Tete-a-tete auch eben anbieten!«
»Es scheint, Baron, wir verstehen uns. Ich gratuliere Ihnen und mir zu Ihren Maßnahmen. Dieselben haben unserem Freunde Dick Arnold einen verfluchten Strich durch die seine Rechnung gemacht!«
»Wissen Sie etwas über ihn?«
»Hm – zweierlei gewiß! Erstlich, daß es ihm sehr unangenehm ist, mich hier die Beobachtung übernehmen zu sehen, denn er hat den Fluß sehr in sein Herz geschlossen. Ferner promenierten früher Cherakiindianer hier herum, und er verkehrte mit ihnen. Weshalb, weiß er sicher besser als ich. Die Kommunikation mit der Außenwelt wird ihm jetzt wohl schwieriger werden!«
»Damit dies geschehe, habe ich eben jenes Scharfschützenkorps bilden lassen. Dasselbe steht fortan unter Ihren Befehlen, Major. Teilen Sie es zu fünfzig Mann und geben Sie ihm die zwei besten Offiziere, welche Sie haben; ebenso kommandieren Sie die beiden Ihrem Regiment entnommenen Piketts vor wie hinter den Toren. Kurzum, ich übergebe Ihnen zugleich den Außendienst im Rayon des Forts. Um meine Maßregeln zu motivieren, hören Sie nun folgende kleine Geschichte.«
Er teilte Armstrong kurz die Beobachtung Yokomens und seines Vaters wie die Anwesenheit des Engländers bei den Cherakis mit und was er wie Washington über Arnold dächten.
»So hat meine Ahnung mich nicht betrogen«, flüsterte Armstrong. »Ich werde die Riflemen sogleich eine kleine Streifpartie machen lassen und Ihnen den Erfolg melden. Ich glaube aber, es ist durchaus nötig, daß weder Tamenund noch Yokomen sich hier blicken lassen. Sieht sie Herr Arnold, dann weiß er, er sei durchschaut, den Propheten, seinen Sohn, die Sigh kennt er von Valley Forge her!«
»Natürlich dürfen meine roten Freunde nicht sichtbar sein. Sigh, Tamenunds Enkelin, muß jedoch herein und in mein Quartier, damit wir mit ihren Verwandten durch sie in Verbindung bleiben. Was das Mädchen selbst betrifft, Major, so ist sie ihres Geistes, Gemüts und ihrer Anmut wegen Washingtons, seiner Gemahlin und aller Damen Liebling, die sich zu Morristown im Hauptquartier befinden, und wenn ich Ihnen sage, daß, sobald Friede ist, ich sie heiraten werde, dann kennen Sie ihren Wert. Daß ihre Anwesenheit besonders geheim bleiben muß, ist mein besonderer Wunsch. Mir bleibt nur noch jetzt übrig, Major, Ihnen zu erklären, daß, falls ich, Howe oder Knox unvorhergesehen von hier abberufen würden, Arnold das Kommando erhalten müßte; ich würde Sie dann aber als den eigentlichen Kommandeur betrachten und dem Obergeneral in Vorschlag bringen. Sie sollen alsdann Vollmachten haben, so einzugreifen, daß auch für diesen schlimmsten Fall Westpoint nicht fallen kann!«
»Lassen Sie meinen Handschlag als Eid vor Gott gelten, daß Westpoint nicht fällt, solange ich lebe!«
»Ans Werk denn!«
Armstrong eilte hinweg, Romanai erschien.
»Nun?«
»Die Wasserpforte ist da, aber sehr versteckt.«
»Lassen Sie uns nun nach unserem Quartier, meine Freunde.«
Dasselbe befand sich in dem einzigen, sehr kleinen Gasthof des Orts, und Steuben nahm das Gebäude fast ganz in Beschlag, da Armstrong ihm eine Staatswache von 20 Mann der neugebildeten Riflemen gestellt hatte. Der Tag verging unter Annahme und Abgabe von Befehlen und Nachrichten, einem Berichte an Washington und der Veröffentlichung des Korpsbefehls Howes an die Garnison, kraft dessen derselbe Steubens Maßnahmen zur Verteidigung sanktionierte.
Die Sonne sank. Steuben eilte in Howes Quartier.
»Ich bin erfreut, Sie mit mehr Ruhe bewillkommnen zu können, General, als vorhin möglich war,« sagte Howe, »darf ich Sie mit einem Glase Sherry begrüßen?«
»Mit Vergnügen! Wenn in meinem heutigen Auftreten einige Unhöflichkeit lag, lieber General, so handelte ich, wie Sie nun wissen, nicht aus Lust am Bramarbasieren. Die Situation ist höchst gefahrvoll. Sie selbst wissen, daß es hier mit Pflege der Truppen, Proviant, Munition und dergleichen schlimm steht; ob wir von Albany her oder aus der Umgegend Requisitionen werden beziehen können, ist aber erst abzuwarten. Wer hat die Schlüssel zu sämtlichen Ausgängen des Forts?«
»Es gibt deren drei. Das Süd- und Nordtor und die Wasserpforte, welche Sie wahrscheinlich noch nicht kennen.«
»Diese ist doch verschlossen?«
»Ich verschloß sie selbst! Hier ist der Schlüssel zu ihr, der einzige, den es gibt, General. Dies sind die beiden anderen Torschlüssel.«
»Dieselben sind natürlich doppelt, und der zweite liegt auf der inneren Torwache?«
»Gewiß, Baron! – Ich mag Ihnen vielleicht als kein sehr brillanter General gelten, aber ein guter Hausvater, der alles unterm Riegel hält, nebenbei aber auch 'n ehrlicher Kerl, der bin ich doch!«
»Daran zu zweifeln wäre eine Schande, bezeigen Sie mir die Ehre, Sie morgen zu Tische bei mir zu sehen, damit ich meine Hochachtung für Sie durch ein Glas bekräftigen kann. Gestatten Sie, daß ich diese Schlüssel mitnehme?«
»Im Gegenteil, ich bitte darum! Sie nehmen mir eine für unsere Lage doppelt schwere Last ab!«
Steuben nahm die Schlüssel, schüttelte jovial dem alten General die Hand und ging in sein Quartier zurück.