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»Hat einmal dein Gewissen für das Recht
oder Unrecht einer Handlung entschieden,
so bleibe dabei, und sieh seinen Ausspruch
für unwiderruflich an.«
Jacoby
Am anderen Morgen ward zu früher Stunde Nora ein Billett gebracht, das Antwort heischte. Die Nacht war ihr in fieberhafter Unruhe vergangen. Sie saß jetzt an ihrem Schreibtische, vergeblich sich bemühend, einen Brief zu entwerfen, den sie immer wieder zerriß. Das Billett, welches sie erhielt, bestand nur aus einer Visitenkarte, mit der Anfrage, ob der Betreffende erscheinen dürfe. Nora zögerte unschlüssig – aber als könne sie nicht anders, setzte sie doch eine bejahende Antwort darunter und sandte es zurück. Gleich darauf hätte sie diese Entscheidung widerrufen mögen.
Der Kaplan, von dem die Anfrage gewesen, erschien denn auch bald. In großer Erregung trat Nora ihm entgegen. Er reichte ihr die Hand und sah ihr ernst und mild, teilnahmsvoll ins Auge.
Heiß wallten ihr zum Herzen die Erinnerungen, die sich an ihn knüpften seit ihrer frühesten Kindheit. Tränen stürzten ihr aus den Augen. »So sehen Sie mich wieder,« rief sie schmerzlich, »eine Reiterin ... Eine Kunstreiterin trotz alledem!« Sie warf sich auf den kleinen Diwan nieder und bedeckte schluchzend ihr Gesicht.
»Gott sei gepriesen für die Tränen.« sagte der Kaplan, leise die Hand ihr auf den Scheitel legend. »Mein armes Kind, ich danke Gott, daß es dir ein solches Opfer ist: ach, ich fürchtete gestern, du hättest dich damit ausgesöhnt.«
»O hätte ich es nur!« rief Nora bitter. »Wäre es doch kein Opfer mehr! Könnte ich nur vergessen, alles vergessen von früher bis auf den letzten Gedanken ... Ich hab' ja vielleicht genug zum Glücklichsein: Reichtum, Bewunderung und Schönheit, wie die Leute sagen ... alles, was das Leben reizvoll macht. Warum hänge ich an den alten Gedanken, die ich so gern vergessen möchte? Und nun kommen auch Sie noch, den Kampf von neuem zu wecken! Ich habe Sie bitten wollen, nicht zu kommen, mich nicht zu beunruhigen ... hätte ich es nur getan. Lassen Sie mich die Wege gehen, die nicht zu ändern sind; dann bin ich vielleicht weniger unglücklich ... O, warum kamen Sie!«
Sie sprach in furchtbarer Aufregung, rasch, abstoßend, hart.
»Warum ich kam? Einem Versprechen zu genügen, das ich einer sterbenden Mutter gegeben; ihrem Kinde womöglich ein Freund und Berater zu bleiben. Wollte Gott, ich hätte Sie beraten dürfen in dem Augenblicke, welcher Sie zu einem Schritte trieb, der Sie und andere so unglücklich macht.«
»Andere sind nicht unglücklich geworden,« unterbrach ihn Nora schneidend. »Sie haben sich gern und schnell damit abgefunden, zu verachten und zu vergessen, was ihnen verächtlich schien.«
»Keiner kann wissen, was der andere leidet,« sagte der Geistliche ruhig. »Vielleicht täuschte man sich über Sie, wie Sie sich über ihn täuschen. Vielleicht hat alles so kommen sollen, um Sie auf anderen Wegen zum Ziele zu führen.«
»Jetzt nimmermehr zum Ziele!« rief sie klagend.
»Nicht zu dem, was wir erhofften, aber vielleicht zu einem anderen, zu dem alle Wege führen können ... und Wege, die wir mit einem Opfer beginnen, wie Sie eines gebracht zu haben scheinen, sind doch meist Gottes Wege.« »Glauben Sie, daß der Weg, den ich jetzt einschlagen mußte, dem Ziele so besonders näherbringend ist?« fragte sie fast höhnisch.
»Es gibt keinen Stand, den wir nicht heiligen können,« sagte der Kaplan immer in derselben beruhigenden Weise. »Je mehr Versuchung, desto mehr Ehre.«
»Halten Sie es für leicht, die Versuchung zu besiegen?« rief sie heftig zurück. »Sehen Sie da!« und sie strich rücksichtslos die Kränze und Buketts zusammen, die vom gestrigen Abende her auf dem Tische lagen. »Sehen Sie da,« und sie warf die kleinen Billette auseinander, wie sie da lagen, die parfümierten, in ihrem Aussehen schon Leichtsinn verratenden Papierschnitzel. »Glauben Sie, das alles mache nicht endlich Eindruck? das stehle sich einem nicht in den Sinn, das schmeichele sich nicht ins Herz, allmählich berauschend, betäubend? Glauben Sie, der Beifallsjubel schlage umsonst an unser Ohr, und wir könnten ihm immer die kalte Stirn bieten, besonders wenn man weiß, daß man auf kein anderes Glück mehr zu rechnen hat? ... Seitdem der letzte Anker gebrochen, seitdem ich weiß, daß er mich verachtet, da schreit das Herz nach Ersatz, da will es wenigstens kosten, was die Welt noch bietet. O, ich fühle es, ich werde darin untergehen! Ich bin nicht anders wie andere: ich werde das Leben lieben und genießen lernen, wie tausend Bessere vor mir, wie Tausende nach mir!«
Der Kaplan ging auf ihre heftige Rede nicht weiter ein. Mit sicherer Menschenkenntnis griff er nur eins heraus, die tief verwundete Seele nicht ganz zurückzuscheuchen.
»Eines Menschen Liebe ist stets ein schlechter Anker,« sagte er. »Aber woher wissen Sie, daß er Sie verachtet?«
Höher noch stieg die Glut auf Noras Wangen. Was sie zu sagen hatte, wollte nicht über die Lippen. Sie schritt zum Fenster und legte die heiße Stirn an das kühle Glas. »Hörten Sie von ihm?« fragte der Kaplan wieder.
»Ich reiste vor einigen Wochen mit dem Kurierzuge von Paris rheinaufwärts. Ein Herr saß mit mir im Abteil ... der mich nicht mehr kannte,« sagte sie heiser.
Der Kaplan stutzte. »Sie fuhren mit ihm?«
Nora nickte stumm, ein Zittern lief ihr durch die Glieder bei der Erinnerung.
Der Kaplan wußte sich jetzt den Rückfall zu erklären. War es klug, ihr mitzuteilen, wie sehr das Wiedersehen ihn erschüttert hatte? War es weise, den Funken Hoffnung in ihrem Herzen wieder zu beleben? Aber über alle Weisheit geht die Wahrheit und die Güte, die nicht verhehlen will, was einem Herzen wohltun kann, die den Tropfen Balsam nicht verweigert, der dem tief verwundeten Gemüte Linderung schafft. Des Geistlichen einfach reiner Sinn nahm diesen Weg.
»Graf Degenthal,« sagte er, »ist nach jener Reise schwer erkrankt. Ich bin auf dem Wege zu ihm; denn er hat das Gut seiner Cousine nicht verlassen können.«
Noras Haupt wandte sich hastig. »Schwer erkrankt?« fragte sie atemlos.
»Es ist ein Rückfall seines langen Leidens. Der Arzt führte denselben auf eine heftige Nervenerschütterung zurück, die man sich vergeblich zu erklären sucht.«
»Rückfall!« wiederholte Nora. »Was reden Sie von einem Leiden?«
»Wußten Sie nichts davon?«
Nora schüttelte den Kopf. »Ich wußte nichts, als daß er in Konstantinopel bei der Gesandtschaft sei,« sagte sie gepreßt.
»So hören Sie, ob er es leicht trug. Vor drei Jahren warf ihn jene Nachricht, die ihn unvorbereitet traf, auf das Krankenlager,« berichtete der Kaplan, und erzählte dann in seiner ruhigen, klaren Weise alles, was er über Kurt wußte. Totenbleich hörte Nora zu. »O mein Gott!« sagte sie langsam. »Krank und siech all die Jahre!«
Krank und siech durch sie, um ihretwillen! In ihrem unermeßlichen Leid hatte sie immer nur an den eigenen Schmerz gedacht, hatte nie einen Augenblick sich vorgestellt, daß auch er leide! Und nun; seine zarter organisierte Natur hatte den Schlag noch weniger ertragen als sie – er, den sie im Herzen wegen seiner kalten Gleichgültigkeit fast gehaßt, hatte so tief gelitten, daß er dadurch gebrochen an Körper und Geist war! Sie kam sich fast wie im Unrecht vor, da sie da stand in der Vollkraft ihrer Jugend und Gesundheit.
»O mein Gott,« begann sie wieder, »das ist ja entsetzlich ... das habe ich mir nicht vorgestellt.«
»Wir sind meist so in der Vorstellung unserer eigenen Leiden versunken, daß wir die der anderen nicht ins Auge fassen, besonders wenn wir uns durch sie gekränkt wähnen.«
»Herr Kaplan, Herr Kaplan! es war nicht meine Schuld!« rief sie. »O, Sie wissen nicht, was mich dazu gebracht ... es kann kaum über meine Lippen gehen. Ich habe Kurt geschrieben, ihm habe ich das ganze unselige Ereignis und meinen zwingenden Beweggrund anvertraut ... und er hat mich ungehört verurteilt ... den Brief hat er mir uneröffnet zurückgesandt, ohne ein Wort des Trostes!«
»Er hat ihn also nicht gelesen? Dann mag er auf andere Weise von Ihrem Auftreten gehört haben, und das hat ihn erbittert, während er sein ganzes Vertrauen in Sie gesetzt hatte. Darauf folgte seine lange Krankheit! ... Wollen Sie es mir sagen, Nora?« fragte der Geistliche ernst.
»Ja, ich will es Ihnen sagen, aber unter dem Siegel, das bei jeder Beichte Ihren Mund verschließt; denn es trifft andere mit!« Sie warf sich nieder, als wolle sie wirklich eine Schuld bekennen, und dann strömte über ihre Lippen die ganze Erzählung jenes unseligen Tages, wo mehr als ihres Vaters Leben auf dem Spiel gestanden. Sie schilderte die grauenhafte Angst, die ihr das Gelübde abgepreßt hatte.
Der Kaplan hörte schweigend zu. Er hatte sie nie des Leichtsinnes, des Wechsels der Laune geziehen, er hatte keine Erklärung für ihren Schritt zu finden gewußt, und eben in dem Unerklärlichen die Entschuldigung gesucht. Aber die Größe des Kampfes und des Opfers, das sie gebracht, überstieg alle seine Ahnungen. Tiefes Erbarmen erfaßte ihn für das junge Wesen, welches einen wahrhaft heldenmütigen Akt geübt und nichts wie Verachtung dafür geerntet hatte.
»Habe ich unrecht getan? O, verurteilen Sie mich nicht!« schloß sie den Bericht. »Ich habe soviel gelitten, ... ich zerbrach mein Glück mit eigener Hand.«
»Gott soll mich bewahren, Sie zu verurteilen, Sie armes Kind,« sagte der Kaplan erschüttert. »Weiß der Herr, was ich in dem Augenblicke hätte raten können! Ueber Ihrem Entschluß aber schwebt rein Ihre kindliche Liebe und Ihre Opferwilligkeit: Gott wird Sie segnen dafür! Härter, als Ihre Mutter ahnen konnte, ist das Leben an Sie herangetreten ... Sie haben alles hingeben müssen, um Ihren Vater zu retten.«
»Aber habe ich ihn gerettet? ...« flüsterte sie zaghaft, »habe ich ihn gerettet? ... das ist die entsetzliche Frage, die seit einiger Zeit in mir auftaucht! O, ich kann kaum alles sagen, was mich von neuem bedrückt, obgleich ich in dieser letzten Zeit meine Augen für alles habe schließen wollen ... das Leben nur leicht, nur oberflächlich zu nehmen, weil alles Denken so martervoll war. Dieser Landolfo ist meines Vaters böser Geist; er hat ihn ganz in seiner Hand ... O, mein Vater ist nicht mehr, was er früher war,« setzte sie mit brennender Röte auf den Wangen hinzu. »Dies Leben zieht alle herab. Hätte ich nicht das Opfer gebracht, so hätte vielleicht die Notwendigkeit ihn gezwungen, das Geschäft aufzugeben.« »Sie haben getan, was Sie für recht hielten, das ist genug vor Gott und unserem Gewissen. Grübeln Sie nicht darüber: alles ist nicht vorzusehen. Aber könnten Sie nicht jetzt sich zurückziehen, wo Ihres Vaters Geschäft wieder in Blüte steht?«
»Nein, nein! Er sagt, ich allein erhielte es, und die Scharte sei noch nicht ausgewetzt. O, Landolfo sorgt dafür, daß sie fühlbar bleibt, fürchte ich. Er setzt alles gegen mich in Bewegung,«
»Gegen Sie ... Ihres Vaters Liebling? .... Werden Sie nicht gut behandelt?« rief der Kaplan erstaunt.
»So meine ich es nicht,« sagte sie mit einem traurigen Lächeln. »O, man behandelt mich mehr als gut ... man schmeichelt mir, man vergöttert mich ... ich bin ja allen nötig. Aber der, den ich Ihnen eben nannte, hat feste Pläne im Sinne; deshalb verstrickt er den Vater immer tiefer, deshalb macht er ihn durch List und Schmeichelei sich ganz untertan ... Mich besiegen sie nicht!« setzte sie mit funkelnden Augen hinzu. »Aber auf einen Plan folgt vielleicht ein zweiter! Man fühlt, man versteht allmählich doch! Sie ahnen kaum all die Intrigen einer solchen Gesellschaft. Ich kann, ich darf jetzt meinen Vater nicht verlassen.«
»Können Sie sich nicht deutlicher ausdrücken?« fragte der Kaplan.
»Nein, nein!« hauchte Nora. »Es ist alles noch wie ein Gespenst, das auftaucht ...«
»Nora,« sagte der Kaplan ernst, nachdem er eine Weile sinnend gesessen, »erfüllen Sie die Aufgabe ... so hart, so schwer sie für Sie ist. Über Ihr Glück ging sie fort, auf gefährlichen Bahnen führt sie weiter ... aber halten Sie Ihr Herz rein und stark, dann vermögen äußere Gefahren nichts dagegen. Sie sollen vielleicht der Schutzgeist Ihres Vaters sein! Die Gnade wird Ihnen nicht dabei fehlen. Ist es nicht eine Fügung Gottes, daß er mich Ihnen jetzt entgegenschickt, wo Sie fürchteten, an sich selbst irre zu werden? Ist es nicht ein Trost, daß er durch mich Sie über das aufklärt, was drohte, Ihre Seele umzuwandeln, was in seiner Bitterkeit Ihr reines Opfer vergiftet hätte? Gehen Sie ernst und stark weiter und geben Sie nur für das Linsengericht kleinlicher Eitelkeit und kleinlicher Erbitterung Ihr ewiges Erstgeburtsrecht nicht hin.«
»Aber wie lange, wie lange wird es dauern? Werde ich immer stark sein?« flüsterte sie vor sich hin.
»So lange, wie der Herr will! Er kann in einem Augenblick lösen, was uns auf immer unentwirrbar schien.« Der Kaplan stand auf.
Auch sie erhob sich. Ihre heiße Hand legte sie in die seine: »Ja, es war eine Fügung Gottes, daß Sie kamen,« sagte sie; »ich stand an einem Abgrund. Helfen Sie mir, daß ich nicht unterliege.«
In dem Augenblicke ward an die Tür geklopft, und auf Noras Herein trat der Direktor in das Zimmer. »Ah! du hast Besuch,« sagte er mit scheinbarer Überraschung. »Sie, Herr Kaplan? ... Was führt Sie so plötzlich zu uns? Eine Freude, Sie endlich einmal wieder zu sehen!« Er reichte ihm die Hand, aber es lag etwas Gemessenes in seinem Tone, etwas Gezwungenes in seinem Benehmen, so daß man bemerken konnte, wie wenig angenehm der Besuch ihm war.
Der Kaplan fand ihn verändert, seitdem er ihn das letztemal gesehen. Die Gestalt war stärker geworden, die Züge hatten etwas Gedunsenes, das Auge war matt und unstet; selbst sein Auftreten hatte nicht mehr die ruhige Haltung von früher. Es tat dem Kaplan weh, das zu bemerken; denn wie jetzt die Tochter neben ihm stand mit dem vollen Ernst, den das vorhergehende Gespräch über sie ausgegossen, war der Gegensatz der verschiedenen Lebensbahnen, denen sie angehörten, ein schneidender. Jedenfalls konnte sie am Vater keine Stütze mehr finden.
Nora erklärte indessen dem Vater die Anwesenheit des Kaplans, und der Kaplan entsann sich jetzt, daß die Stunde zu seiner Abfahrt herannahe.
»Ich fürchte, das Wiedersehen hat dich aufgeregt, mein Kind,« sagte der Direktor, mißtrauisch ihre ernsten Züge betrachtend. »Alles ist eben so gekommen, wie unsere älteren, weisen Köpfe voraussahen,« wandte er sich an den Kaplan. »Junge Leute müssen ihre Erfahrungen machen. Aber meine Tochter ist glücklich auch jetzt; sie wird Ihnen gesagt haben, daß ihr Leben nicht so schlimm ist, als es aussieht. Und hatte ich nicht recht, daß sie Großes leisten würde? Könnte man Besseres sehen, als gestern abend? Alles war hingerissen, berauscht!«
»Der Kaiser von Rußland hat recht behalten,« sagte der Kaplan lächelnd zu Nora.
»Ja, ja, sie hat ihren Vater ganz ausgestochen,« lachte der Direktor laut. »Nora, wenn du herabkommst, ich weiß nicht, wie viele Buketts deiner warten. Ja, sie ist meine Stütze, mein Stolz, diese Tochter ... aber eine verwöhnte Prinzessin.« Er legte den Arm um ihre Taille und zog sie zu sich heran.
Der Direktor sprach unsicher, dabei brannten rote Flecken auf seinen Wangen, so daß dem Kaplan allmählich ein Verdacht aufstieg, den er bewahrheitet gefunden hätte, wenn er gewußt, daß der Direktor eben von einem üppigen Frühstück mit Landolfo kam. Nach sehr vielem guten Sherry hatte dieser ihm den Besuch des Kaplans mitgeteilt, ihn gewarnt, daß der »Pfaff« seiner Tochter gewiß wieder Flausen in den Kopf setze, und ihm geraten, er möge den Besuch unterbrechen.
Landolfo und der Direktor frühstückten jetzt oft zusammen, natürlich auf des Direktors Kosten und meist mit demselben Ergebnis. Noras Behauptung, daß Landolfos Einfluß immer stärker werde und nicht zum Guten sei, war nur allzu wahr. Nicht allein, daß die Leitung der Geschäfte ganz in seiner Hand lag, er bemühte sich auch, dem Direktor seine Mußestunden möglichst angenehm zu machen und einer leichten Neigung zu geistigen Getränken, die seit der letzten Krankheit bei ihm erwacht war, möglichst Vorschub zu leisten. Abnehmende Körperkraft bei viel Anstrengung machen das Bedürfnis zu Stärkung und Anregung wohl geltend, und die Jahre hart an der Grenze des Alters, wo der Lebensgenuß sich nur noch beim frohen Glase konzentriert, sind in der Hinsicht dem Manne oft gefährlich.
»Der Prinz war auch da, sich nach deinem Befinden zu erkundigen,« fuhr der Direktor im selben Tone fort. »Durchlaucht baten sich die Ehre aus, eine kleine Partie Champêtre zu arrangieren, wenn es dir beliebte.«
»Ich danke, Vater; du weißt ja, ich nehme solche Einladungen nie an,« sagte Nora kalt, »Ich hoffe, du hast das gleich gesagt.«
»Nun, nun, du könntest doch wohl mit deinen Eltern ausgehen. Du fingst ja eben an, etwas vernünftig zu werden. Ich hoffe nicht, Herr Kaplan, daß Sie mir mein Töchterchen wieder zur Nonne gemacht haben. Eines schickt sich nicht für alle ... es gehört mit zum Fach, die Leute nicht vor den Kopf zu stoßen.«
»Ich glaube, in diesem Falle hat Fräulein Nora recht. Einer jungen Dame in ihrer Lage ist nicht genug Vorsicht anzuraten.«
»Bah! Bah! Verdrehen Sie ihr nur den Kopf nicht, mein lieber geistlicher Herr,« lallte der Direktor. »Sie ist schon hochmütig genug ... sie ruiniert mir noch alles.«
»Vater, wenn du das meinst,« sagte Nora sehr ruhig, »so bin ich gern bereit, mich jeden Augenblick zurückzuziehen. Du weißt, ich liebe es sowieso nicht und kann überall eine andere Stellung finden.«
»Sieh, sieh! wie trotzig sie gleich ist, unsere verwöhnte Dame,« schmunzelte der Vater, ihr das Gesicht streichelnd, »Sie weiß, daß wir sie nicht entbehren können; aber meine Tochter läßt auch ihren alten Vater nicht im Stich,« setzte er mit derselben unsicheren Stimme hinzu.
Nora, der die ganze Szene unbeschreiblich peinlich war, reichte dem Kaplan die Hand. »Ich fürchte, wir halten Sie auf, Herr Kaplan,« sagte sie traurig; »wir halten Sie zurück von einem Orte, wo Sie sehr ersehnt werden. Aber ich danke Ihnen für Ihren Besuch, der mir unendlich wohlgetan hat. Fürchten Sie nichts mehr; ich werde versuchen zu ringen und zu streiten.«
»Gottes Hülfe wird mit Ihnen sein. Ich habe Ihr Leid vielleicht tiefer gemacht durch die Erkenntnis, die ich Ihnen gab; aber es sollte auch ein Schild sein, der Sie schütze gegen Schlimmeres als Leiden.«
»Und nicht umsonst soll er gegeben sein,« sprach Nora, sich aufrichtend. »Sie haben mich heute neu gewappnet.« Der Druck ihrer Hand war fest und sicher dabei.
Der Kaplan wandte sich tiefbewegt ab; sie kam ihm verwaister vor wie damals als Kind.
Auch der Direktor bemühte sich um den Abschiedsgruß. »Machen Sie keine Nonne aus ihr,« wiederholte er immer wieder. Seine Sicherheit verließ ihn; er warf sich in den nächsten Sessel.
Der Kaplan hatte jedoch kaum das Zimmer verlassen, als Nora ihm folgte. »Noch eines,« sagte sie, ihn anhaltend. Ihre Lippen bebten, die Wangen glühten. »Eine einzige Nachricht: wie es ihm geht! Sagen Sie ihm nichts von mir, er könnte dann noch mehr leiden, und es ist ja doch unwiderruflich.«
Ein Händedruck, ein stummes Nicken war des Geistlichen Antwort, und Nora war verschwunden.
Er aber dachte im langsamen Voranschreiten an die Hingebung, an die Kraft, die in einem Frauenherzen liegen kann, das von der Liebe nicht läßt, das lieber verkannt sein will, als neuen Schmerz zuzufügen.
Nora konnte wieder heldenmütig sein, seitdem sie wußte, daß und wie er um sie getrauert hatte.