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So froh ich bin, daß die historischen Schauspiele zu Ende sind, wünsch ich doch mehrere zu lesen und diese wieder zu lesen. Froh bin ich, weil sie so viel traurige Wahrheiten enthalten, und weiß, daß es Wahrheiten sind. In den grausamen Szenen der Trauerspiele kann ich denken, ha, der Dichter hat's nur so grausam geschmiedet, aber hier nicht. Alle gelehrten Männer, die die Geschichten inne haben, sagen mir, daß Shakespeare der Geschichte treu geschrieben; drum greifen einem die schrecklichen Ungerechtigkeiten so an's Herz. Und dann, wie erstaunt man über die göttlich Providenz des Himmels, daß sie diesen Ungerechtigkeiten die Wiedervergeltung auf dem Fuße folgen laßt. Die Geschichte rechtfertiget meinen göttlichen Dichter, daß er in allen seinen eigenen Erfindungen so geschwind mit Rache da ist. Es ist natürlich: wie die Zeiten aufeinander folgen, so folgen Strafen auf die Laster, das könnte jeder Lasterbube bei sich selbst finden, wann er nicht beständig berauscht wäre. In diesem wohlausgearbeiteten Stück kommen hauptsächlich vier Personen aufs Theater, die meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zogen: der König Heinrich, seine Gemahlin Katharina, Herzog von Buckingham und der Kardinal Wolsey. Der König dünkt mich nach der Zeichnung ein Mann, der auch eine gute und eine schlimme Seite hat wie die meisten Menschen. Aber in seine Katharina bin ich mehr verliebt als in seine nachherige Anna Bullen. Buckinghams Charakter gefällt mir wohl, schon er ein ziemlich wilder aber doch leichtgläubiger Edelmann scheint. Mit Unwillen hört ich Wolseys Neid denselben anklagen, mit Wehmut folgt ich demselben in den Tower, vor Gericht und, wie ich glaube, fast unschuldigen Hinrichtung. Aber der vertrackte, ehrsüchtige, neidische Wolsey, der zog meinen ganzen Zorn auf sich. Einen verschmitzteren Pfaffen hab ich kaum angetroffen, der war an Buckinghams Hinrichtung und an Katharinens Verstoßung am meisten schuld. Es tat mir in der Seele wohl, denselben fallen zu sehn und ihm alle seine Schuld unter die Fressen sagen zu hören: Kardinalsünde, scharlachene Sünde, und was die ihn hassenden Lords nur auf ihn wußten. Ich hätte mein Teil auch redlich beigetragen, wann ich dort gewest wäre. William, du gabst diesem Kerl ein viel zu gutes Ende und einen so standhaften Mut – ich kann's kaum glauben, daß sein Gestirn so gütig gewesen sei wie du; – wenn so ein Pfaffe kein Fegfeur verdient, so verdient keiner eins. Aber der Königin bin ich in die Verbannung gefolgt, habe die guten Geister herbeigerufen, dann sie hatte das Fegfeur schon durchpassiert, und in jener Welt kann sie schon lange Königin sein, daß die schöne Anne Bullen weit unter ihr steht. Es kommen auch noch bittere Religiösen aufs Tabet, die man haßt, ein Dr. Butts, Gardiner, Kämmerer u. s. f., welche einen redlichen Cranmer fälschlich anklagen, dem aber der König beisteht. Lustiges gibt's nichts – als erst wird von einer unbeschreiblichen Pracht bei der Zusammenkunft der englischen und französischen Gesandten gesprochen, und zuletzt kommen da Türsteher und Knechte bei der Taufhandlung Elisabeths, die da auf eine trollichte Art Prügel austeilen, und endlich macht der Dichter diesem Kinde eine schmeichlerisch prophetische Lobrede.
Koriolanus, ein edler Römer, hatte sich im Krieg in vielen Schlachten sehr hervorgetan und als ein tapferer Held den Römern große Dienste getan. Deswegen wollte der Senat ihn zum Konsul machen; er hatte aber Neider unter den Tribunen, sonderlich Brutus und Sicinius, die das gemeine Volk wider ihn aufwiegelten; und weil der stolzne Held sich nicht herabzwingen konnte, dem Pöbel zu schmeicheln, so zog er dessen Haß und Wut auf sich, daß sie ihn zum Tod verdammten, durch Fürbitt aber dahin gemildert, daß er nur aus Rom verbannt wurde. Der ergrimmte Held ging gerade zum Feind, dem Volscier, über und machte mit ihrem Feldherr Aufidius gemeine Sache, wider die Römer zu fechten, und siegten auch eins um's ander bis sie nahe bei Rom waren. Die Römer wollten zur Buße kriechen, schickten eine Gesandtschaft nach der andern in der Volscier Lager, aber Koriolanus war in seinem racheübenden Heldensinn felsenfest, bis ihn seine Mutter Volumnia durch eine herzbrechende Rede überwand, daß er zurückzog. In Aufidius Brust war schon Eifersucht aufgestiegen, und dieser Rückzug machte dem Helden wieder Feinde, daß sie ihn in einem Tumolt ermordeten. Kürzer hätt ich den Hauptinhalt nicht fassen können.
Wie dies Spiel eingericht, die Art und Weis, die mannigfaltigen Abwechslungen der Szenen, o, da wäre ich nicht im Stand, es zu schreiben. Die Geschichte gefällt mir nicht, diese mörderischen Auftritte sind freilich traurig genug, und doch sind unter den historischen Schauspielen mir viele trauriger vorgekommen. In diesem kriegerischen Rom, meinte ich, waren dergleichen Sachen, Sachen die gewohnt so kommen mußten. Aber die Sprache der Personen, die aufgeführt werden, die tut mir in der Seele wohl. Großer Dichter, herrlicher Mann, göttlicher William, hier scheint mir dein Genie ausgeruht, ganz in einer neuen Schönheit, in vollem Mittagglanz; hier bist du gar nicht Brite, ganz ein Römer, ein Held damaliger Zeiten. Ich glaubte, wann du da in Rom oder unter den Volsciern gelebt hättest, du hättest jene Sprache nicht besser geredt, jene kriegerischen Charakter nicht besser getroffen. Welch einen Heldenstolz, mit Menschheit vermengt, hatte dein Koriolanus und dein Aufidius, der ihm fast gleich kommt, schon du jenen ein bißchen besser machtest. Und welch ein lauiger Charakter des Menenius; meiner Treu, dieser ist mir der liebste unter allen. Wenn's je in einem Weltalter solche Köpfe gegeben, so waren's dort, und ich wünschte, wir hätten hützutag die halbe Welt voll solcher Köpfe. O hättest du doch diese flüssige Zunge in der Folge nicht so vertrocknen lassen, hättest du Brutus und Sicinius mehr das Maul halten lassen. Diese Hundskerl – doch nein, du hast recht, es hat von je weltsher solche neidische Hunde gegeben unter den Menschen, und diese wollen freilich ihr Maul nienen halten, in allen Gesellschaften, in allen Winkeln, überall beißen und bellen sie; diese müssen ihre reizbarsten Nerven in der Leber haben wie der Verbuhlte in den Hosen – ja ich kann nicht helfen, helf der Doktor, oder jene müssen an dem Gallenfieber sterben und dieser an der Polleng, wie der Held in der Schlacht und der Schiffer im Wasser. Nein, William, wenn du noch lebtest, dein Menenius müßte mir noch zehn Akte durchraisonieren; aber du verstundest es besser als ich, dann würden einige davon laufen und das ewige Einerlei im Stich lassen. Nein, ich höre alle gern sprechen, selbst die neidischen Hunde haben schönes Gebell. Und da bringst du so ein paar Römerinnen aufs Tabet, Volumnia und Virgilia, Koriolans Mutter und Frau, ein paar liebenswürdige Dinger, die Mutter schwatzt da so stolz in einer Heldensprache daher, stolz, daß sie einen Helden gesäuget, einen vaterländischen Krieger erzogen. Hützutage geht's anderst – die Weiber sind stolz darauf, wenn sie ein galantes Muttersöhnchen abgesäugt, oder einen gelehrten, schwatzhaften Witznarren, einen verschmitzten Kaufherrn und so was. Doch ich denke, es sei alles eitel, so ein Held ist auch ein rauhes Ding. In jener Welt gilt nach meinen Ideen weder Held noch Gelehrt, weder Kaufmann noch Galant; wann einer nur mit einem guten Herzen in seinem Fach ein bischen nützt, das Weilchen, solang er da ist, muß einer eben kein Menschenschlächter, kein Allwisser, kein Schätzmacher, kein Engelchen sein.
Unter den Trauerspielen das liebste ohne zwei, aber es soll nicht Julius Cäsar, sondern Brutus, Brutus – Markus Brutus heißen. Cäsar kommt ja nur ein paarmal zum Vorschein, hingegen Brutus ist das ganze Stück aus und aus die Hauptperson, die unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich glaube nicht den Inhalt dieses Stücks herzusetzen, ich weiß es auswendig wie das Vaterunser – aber etwas von Empfindungen, von Gedanken, deren ich oft voll war. Oft dacht ich, warum müssen wir doch hier die Mörder lieben und den Ermordeten nicht halb so viel bedauern als einen andren Unglücklichen. Nein, ich bedaure dich, edler Cäsar, und denke, jene patriotischen Geschichtschreiber haben dich vernachlässiget, ihr Patriotismus seie mit des Brutus seinem in genauem Verhältnis gestanden. O, Brutus, wann du so eine seltener Mann warst, wie du hier auftrittst, wie konnten die Götter zugeben, daß du in blindem Eifer in solche gefährliche Klippen verstiegest. Konnte dein edler, weitsichtiger Geist kein ander Mittel finden, Rom ohne König zu erhalten, als Cäsars Blut und Leben – war's denn im Rat der Wächter beschlossen? Brutus, der edle Brutus, stolz auf seine gute Sache, auf seine redlichen Gesinnungen, stolz, daß er ein Mann war, der sich nichts vorzuwerfen hatte, diesen Brutus soll seine eigne Gerechtigkeit fällen, auf die er trotzet. O Brutus, wärst du mehr Zweifler gewesen, mehr argwöhnisch gegen deine Biedermannsbrust, hättest tief in den Rat der Götter eingeschaut, aber nun war's vor deinen Augen verborgen. Es muß wahr bleiben, der Mann, der sich auf sein eigen Herz verlaßt, der ist ein Narr. Die Klugheit der Welt muß zur Narrheit werden; du mußtest selber wie ein blinder Pfaffe Märtyrer machen und zuletzt selbst einer werden. Hätte doch dein edler Geist die Pflanzungen genossen, die unsere junge, gelehrte Welt genießt. Doch was half's einen Werther, daß der Gelehrteste unserer Zeiten sein Vatter war? Wer kann in die Labyrinthe des menschlichen Herzens, noch weniger in die Geheimnisse des Himmels einschauen? Ich will nicht grübeln. Vielleicht hat Cain auch gesagt, es sei nicht gut, daß Abel die unbewohnte Erde mit seinen frohen Gesichtern bevölkere und Caiphas mag auch patriotische Gesinnungen gehabt haben, als er seinen Juden sagte, es wäre gut, daß ein Mensch für das Volk stürbe. Ja, meinetwegen, mein Teil sei nicht mit diesen Blutschuldnern. Nein, Brutus, so wie du gezeichnet bist, warst du nicht neidisch, nicht blutdürstig, und doch ist der Mensch von Natur ein fleischfressendes Tier. Aber du warst edel gesinnt. Eine Seele in die Hölle schicken für tausend Seelen zeitliche Freiheit dünkt dir ein Geringes. Du hattest nur Augen, wie 's patriotische Helden haben, meinst, wer hier ein redlicher Mann sei, dem könn's nicht fehlen – aber holla, die Vaterlandsliebe heischt nicht Bürgerblut. Getrost, ihr Toggenburger, wenn Brutus, der edle Brutus durfte den besten größten Römer des allgemeinen Wohls wegen morden, so durften ihr Väter auch Rüdlinger und Keller als Verräter todschlagen, wann ihr gewiß wußtet, daß sie solche waren; und ich glaube, eure Gewißheit sei so stark gewesen, als des Brutus seine, daß Cäsar sie zu Sklaven machen werde. Aber ihr habt es, als aufgewiegelte Rebellen, in dummer Wut getan, hingegen Brutus konnte lieben und morden zugleich, ohne den geringsten Neid, morden, den morden, den er liebte, der sein Freund war. O, das glaub ich in Ewigkeit nicht, daß man einen Freund morden könne, ohne andere Absichten, als weil man von ihm böse Folgen förchtet für das gemeine Wesen. Gewiß, Brutus, du hattest Absichten, und sollten sie von jenes Mordbrenners Art gewesen sein, der den Tempel zu Ephesus in Brand steckte. Ich liebe dich, Brutus, aber gewiß, du hattest noch andere Absichten, deine Maler mögen dich auch zeichnen, wie sie wollen und sich noch so viel Mühe geben, die geheimsten Falten deiner Brust zu verstecken. Um Gottes Willen, wie konntest du deinen Freund, der dich zärtlich liebte, auf so eine verräterische Art auf die Schlachtbank liefern und selbst einen Dolch in die Brust stoßen, du, der du deiner Portia so zärtlich begegnet, der du kaum so hartherzig sein konntest, deine Bedienten vom Schlaf aufzuwecken, – du konntest so unfreundlich auf die Brust deines Freundes zufahren, daß er nicht einst über dich herrsche? Nein, dieser Brutus hätte dies nicht können übers Herz bringen, er hätte gesagt: Nein, lieber Cassius, nein, wir wollen warten, bis wir dringende Ursachen dazu haben – es ist noch immer früh genug, sobald Cäsar nicht mehr der edle Cäsar ist; und dann werden die Götter vielleicht andere Mittel finden, daß wir unsere Hände nicht mit unsers besten Bürgers Blut beflecken. Aber du hast's getan, Brutus, darum warst du nicht dieser Brutus, nicht der, der sich nicht vorstellen konnte, warum ein Mann einen Eid schwören und wie er sein gegebenes Ehrenwort nicht halten sollte. Aber Cassius hat dich verführt, und doch dünkt er mich fast so gut als du; freilich hat er ein Funken von seinem Neid in den Zunder deiner Brust gelegt, aber dieser Zunder ist ohne Namen.
O, William, hier führst du lauter seltene Menschen auf, lauter verschiedene Charakter, von denen man keinen sonderlich hassen, vielmehr noch lieben muß. Was ist ein Casca, ein Trebonius, selbst Lucilius, Dardanius! Brutus' Bediente sind liebenswürdig; und welche zärtliche Gattinnen sind Kalpurnia und Portia! Und Antonius ist man so gut wie seinem Bruder, wenn man nicht einen verdächtigen Blick in seinen Busen tut. Welch eine zierliche politische Rede hielt dieser Antonius auf seinem Rednerstuhl bei Cäsars Leiche. Aber Brutus, der seltene Brutus, laßt ihm kaum Zeit, einen andern zu bemerken. O, Brutus, wie konntest du doch so mißtrauisch und argwöhnisch gegen Cäsar sein und von diesem gefährlichen Antonio so leichtgläubig und gutdenkend. – Du bist der wunderbarste Mensch von der Welt, der zärtlichste Gatte, der beste Herr, der herzlichste Freund, der redlichste Bürger und doch ein verräterischer Meuchelmörder. Höre, William, dies Stück hat mir mehr Denkens gemacht, als ich sagen könnte, oft hat's mich, vielleicht ohne deinen Willen, tief ins Heiligtum Gottes hineingeführt. Mit Herzenslust hab ichs gelesen und wieder gelesen. Soll mir einer kommen, der so einen Cäsar, Brutus, Cassius und einen Antonius mache. Aber meine Anerkennung soll nichts gelten, sie ist bei übler Laune geschrieben.