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Die Mahlzeit in Drews großem Eßzimmer neigte sich ihrem Ende zu. Die meisten Cowboys rauchten bereits, da Lawlor das Zeichen dazu gegeben hatte. Er hatte die günstige Gelegenheit benutzt und sich von Kilrain eine Kiste aus dem Zigarrenvorrat des Hausherrn bringen lassen. Der ungewohnte Genuß verscheuchte fast seine Mißstimmung – im Grunde aber fühlte er sich doch recht unbehaglich. Wie, in drei Teufels Namen, sollte er die Geschichte zum Abschluß bringen? ...
Über das gleiche Problem grübelten auch augenscheinlich seine Kameraden, denn fast alle blickten stumm den bläulichen Wolken nach, die sie zu der niedrigen Decke emporschickten.
Bard, der nicht rauchte, beobachtete gespannt die vom Essen und der immer größer werdenden Hitze geröteten Gesichter, die sich plötzlich, wie auf Kommando, der Tür zuwandten, in deren Rahmen ein breitschultriger Mann stand.
Ben, »die Trauerweide«, ließ seine Mundwinkel noch um einen Grad melancholischer hängen. Wenn jetzt etwas passierte, war er seinen guten Posten hier auf der Farm ein für allemal los, denn Drew hatte ihm auf die Seele gebunden, ja dafür zu sorgen, daß Gregory, der in der Stadt gewesen war, nicht unvorbereitet in die Gesellschaft hineinplatze. Dazu war es natürlich zu spät, denn der hungrige Cowboy drängte ihn einfach zur Seite. Ehe er an den Tisch trat, blieb er einen Moment stehen und fragte mit einem erstaunten Blick auf Lawlor:
»Was soll denn das? Wo ist denn der Chef?«
Lawlor, der die natürliche Frage hatte kommen sehen, antwortete prompt:
»Den hab' ich 'rausgeschmissen!«
»Was hast du?!« fragte Gregory, ohne die Zeichen zu beachten, die ihm seine Kameraden verzweifelt von allen Seiten machten.
»'rausgeschmissen! Wundert Sie das bei Nashs Unverschämtheit und Faulheit?!«
»Sie müssen nämlich wissen – bei uns wird der Vormann immer ›Chef‹ genannt.«
»Ach so – ich verstehe!«
Lawlor hatte das peinliche Gefühl, daß Anthony die Sache nur zu genau verstanden habe. Gregory, dem man inzwischen rasch zugeflüstert hatte, um Gottes willen nur das Maul zu halten, hatte am Tisch Platz genommen und schweigend zu essen begonnen, während er Bard verwundert anstarrte.
Anthony hatte die Empfindung, daß die Sache zu einer Entscheidung dränge. Das Erscheinen dieses Gregory hätte um ein Haar den Stein ins Rollen gebracht – die Verzögerung, die Lawlors zweifellos ganz geschicktes Eingreifen herbeigeführt hatte, konnte nur vorübergehend sein. Ob er nicht lieber selbst die Initiative ergriff? Aber wie? ...
Die Cowboys hatten bereits die zweite Zigarette angezündet, die Luft wurde immer dicker und schwerer. Fast alle Gespräche waren verstummt.
»n'Abend, Herrschaften!« rief plötzlich munter eine helle Stimme.
Alle fuhren herum. Im Türrahmen stand biegsam und graziös – Cilly Fortune.
»Nanu, Lawlor?!« lachte sie erstaunt auf. »Wie kommen Sie denn auf den Platz des Hausherrn?!«
Damit war der Spuk gebrochen – die Täuschung nicht länger aufrechtzuhalten. Alle Anwesenden fühlten, daß jetzt die Zeit zum Handeln gekommen sei. Keiner sagte ein Wort, aber alle erhoben sich langsam und griffen nach ihren Revolvern, den Blick auf Bard gerichtet.
Der war der erste, der das Schweigen brach.
»Meine Herren!« sagte er gelassen, »es freut mich, daß mein Freund Lawlor seine Leute so gut im Zug hat, denn, wie ich sehe, haben Sie sich alle erhoben, weil eine Dame ins Zimmer gekommen ist.«
Den Revolver in der Faust, ließ er den Blick über die Tafelrunde schweifen, als suche er sich den unter seinen Gegnern heraus, mit dem er zunächst anbinden wolle. Lawlor, der gleichfalls seine Waffe gezogen hatte, wich Schritt vor Schritt zurück.
»Ich wußte«, fuhr Anthony ruhig fort und trat dabei an die Wand, »daß mein Besuch Herrn Drew nicht gerade angenehm sein würde, daß er aber eine solche große Schar erprobter Kämpfer gegen mich aufbietet, ist eigentlich zuviel Ehre!«
Cilly Fortune, die jetzt erst anfing, die Situation zu begreifen, schrie auf.
»Um Gottes willen, Bard – was hab' ich da angerichtet?«
»Sie haben nur eine Sache, die kommen mußte, um ein paar Minuten beschleunigt!« antwortete er. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, als er jetzt einen schweren Trommelrevolver in ihrer Hand aufblitzen sah, während sie gleichfalls suchte, die Wand als Rückendeckung zu gewinnen.
»Na, wie steht's, Jungens?!« wandte er sich dann den Cowboys zu, die offenbar nicht wußten, wie sie sich aus der Affäre ziehen sollten. »Wollt ihr wirklich alle zusammen über mich herfallen?!«
»Es darf ihm nichts geschehen!« hörte Bard plötzlich eine tiefe Stimme noch außerhalb des Zimmers rufen. »Aber festhalten müßt ihr ihn auf alle Fälle.«
»Das wird sich schwer machen lassen, wenn mir nichts dabei geschehen soll!« rief Anthony herausfordernd.
Mit einem Sprung stand Cilly neben ihm.
»Gehen Sie fort!« murmelte er ihr gerührt zu. »Die Sache wird jetzt ernst!«
»Gerade darum bleib' ich!« flüsterte sie, und laut rief sie:
»Wollt ihr wahrhaftig ein unerfahrenes Greenhorn umbringen, ihr feigen Hunde?! ... Ist denn kein anständiger Mensch unter euch, der auf unsere Seite tritt?! ... Kilrain, haben Sie vergessen, was unter Männern Brauch ist?! ... Jansen, wie wollen Sie Ihrem blonden Mädel daheim in Schweden wieder unter die Augen treten, wenn Sie so einen Lumpenstreich mitmachen?! ... Und Ben, du Trauerweide – den ich bisher immer für einen ehrlichen Kerl gehalten habe?« ...
Jeder der Angesprochenen war zusammengezuckt – offenbar hielt nur die Furcht vor Drew sie zurück, sich für Bard zu erklären.
»Wir krümmen ihm kein Haar – auf Ehre nicht!« rief jetzt Lawlor. »Er braucht nur sein Schießeisen wegzuwerfen und – sich binden zu lassen!«
»Weiter nichts?!« schrie Cilly dunkelrot vor Empörung. »Ihr lächerlichen Affen!«
»Machen wir die Sache kurz, meine Herren!« sagte Bard entschlossen und mit erhobener Stimme. »Es gibt für Sie nur eine Möglichkeit, mich hier festzuhalten: wenn der erste Schuß mich tötet. Sonst bin ich leider gezwungen, mindestens sechs von Ihnen auf die Reise in die Hölle mitzunehmen!«
Die Cowboys sahen sich betroffen und unentschlossen an. Keiner wollte offenbar den Angriff eröffnen.
»Ich gehe jetzt also hinaus und schieße jeden nieder, der sich mir entgegenstellt!«
Langsam, seine Gegner im Auge behaltend, bewegte er sich vorsichtig der Tür zu. Keiner rührte sich.
»Bard!« rief jetzt die Stimme, die Anthony damals gehört hatte, als ihm der Vater getötet wurde. »Bleiben Sie sofort stehen! Treiben Sie den Unsinn nicht auf die Spitze, sonst ...«
»Was sonst – Herr William Drew?!«
»Der bin ich allerdings ...«
»Und ich bin der Sohn von John Bard! Warum sind Sie zu feige, sich mir zu stellen?!«
»Bard – Sie müssen mich eine Minute anhören!«
»Nicht eine Sekunde! ... Vorwärts, Cilly – machen Sie, daß Sie 'rauskommen!«
Sie sah ihn flehend an.
»Vorwärts!« wiederholte er energisch.
Widerwillig und schweigend folgte sie seinem Befehl. Im Türrahmen aber blieb sie stehen, da sie alle Revolver auf Bard gerichtet sah.
Der hob jetzt seine Waffe und schoß. Er hatte auf keinen der Männer gezielt, sondern auf die dünne Kette, an der die Petroleumlampe über dem Tisch herabhing. Sie fiel klirrend herab, explodierte aber nicht, wie er erwartet hatte, sondern zerbrach nur. Das Öl ergoß sich über die Tafel und entzündete sich. Flackernd züngelten die Flammen zur Decke und breiteten sich über den Boden aus.
Cilly hatte laut aufgeschrien und war einen Schritt zurückgewichen. Bard wollte die momentane Verwirrung benutzen, ihr rasch zu folgen. Doch Bens hagere Gestalt trat ihm in dem Türrahmen mit erhobenem Revolver entgegen.
»Halt!« schrie er ihn an.
Da Bard weiterging, schoß er. Im gleichen Moment fiel Anthonys Schuß – Ben, »die Trauerweide«, sank zusammen, Bard sprang über seinen ausgestreckten Körper hinweg und gewann so das Freie.
Als ob das vergossene Blut ihm alle Besinnung geraubt hätte, blieb er stehen und schrie:
»William Drew! ... Komm heraus zu mir, William Drew!«
»Sind Sie denn wahnsinnig?!« rief Cilly ihn an. »Vorwärts, aufs Pferd! Machen Sie, daß Sie fortkommen!«
Sie packte ihn am Arm und suchte ihn fortzuzerren.
Aus den Fenstern des Eßzimmers schlugen bereits die Flammen. Entsetztes Stimmengewirr und laute Rufe drangen zu ihnen hinaus.
Willenlos ließ er sich von ihr fortführen, nach dem Stall hinüber, wo sie in rasender Eile dem ersten besten Pferd einen Sattel überwarf. Ihren eigenen Gaul hatte sie in der Nähe des Hoftores angebunden. In wilder Flucht ging es hinaus in die Nacht.
Nachdem sie mehrere Meilen im gestreckten Galopp zurückgelegt hatten, griff Anthony plötzlich in die Zügel ihres Pferdes und riß es zurück.
»Warum sind Sie mir nachgekommen?« fragte er schroff, als die Tiere standen.
Sein Ton tat ihr weher, als sie es sich merken lassen wollte.
»Weil Sie nichts als Dummheiten gemacht haben!« sagte sie. »Weil Sie einen erfahrenen Menschen brauchen, nachdem Sie sich ungezählte Feinde gemacht haben. Weil Boardman und Nash hinter Ihnen her sind – und jetzt wahrscheinlich noch eine ganze Bande.«
»Ich brauche keinen Menschen! Ich werde schon allein mit den Kerlen fertig – sie sollen nur kommen!«
»Das hab' ich gern, wenn so ein Greenhorn sich als erfahrener Massenmörder aufspielt! ... Keine drei Tage hätten Sie mehr zu leben, wenn ...«
»Dann überlassen Sie mich doch meinem Schicksal! ... Warum kümmern Sie sich um mich?«
»Wissen Sie vielleicht hier in den Bergen Bescheid?!«
»Allerdings nicht – aber ...«
»Dann haben Sie keine zwölf Stunden mehr zu leben! ... Wo wollen Sie denn überhaupt hin?«
Ohne sich lange zu besinnen, antwortete er, was ihm gerade einfiel:
»Ich will nach dem alten Haus, das Drew auf der anderen Seite des Gebirges besitzt.«
»Gar keine dumme Idee! ... Ich werde Ihnen einen abgekürzten Weg dorthin zeigen.«
»Wieso abgekürzt?«
»Es gibt einen Pfad, der in knapp fünf Stunden dorthin führt – der alte Dan hat ihn mir mal verraten. Den kennt außer mir kaum ein Mensch ... Lassen Sie meine Zügel los – wir müssen wie der Teufel reiten!«
Mit einem geschickten Ruck entwand sie ihm die Zügel, die er immer noch festgehalten hatte, und galoppierte davon.
»Cilly!« rief er hinter ihr her. »Warten Sie doch, ich ...«
Doch sie hörte nicht auf ihn. Einen Moment bedachte er sich, dann folgte er ihr ...