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An Sophie
[Marburg, etwa 1. November 1803.]
Liebe Sophie! seit acht Tagen habe ich keine Briefe von Dir, Du bist wahrscheinlich ohne mich nicht so allein und betrübt, als ich es ohne Dich bin, Du kannst Dir wohl auch durch meine Briefe die Empfindung nicht verschaffen, wie sehr Briefe eines fernen geliebten Menschen erfreuen, die ich durch die Deinigen so oft entbehren muß, weil ich sie so selten erhalte. Es würde mich sehr schmerzen, wenn Du so gegen mich eingenommen wärst, daß Dir meine Briefe keine solche Freude machten als mir die Briefe meines Arnims, oder daß sie Dir vielleicht gar nicht lieb wären. Wenn ich Deiner frühern Briefe von der Reise gedenke, wir erfreuten sie mich, sie waren mir wie Arnims Briefe, so heiter, so vertrauend, ja, durch diese Briefe hast Du mir einen neuen Reiz erhalten, ich liebte Dich mehr durch sie, wenn es mir möglich war, Dich mehr zu lieben. Deine folgenden Briefe haben etwas Schweres und Unbehagliches, ausgenommen jenen, in dem Du mir den Stab brichst, der weit liebevoller und der Fülle Deines Herzens würdiger ist als der, in dem Du verzeihst. Wenn ich Dir schreibe, so ist mir, als rede ich mit Dir, und wenn ich mich dann erinnere, daß Du oft keine Antwort gabst und so in einen andern Winkel gucktest, was mich dann sehr betrübte; dann befällt mich oft mitten im Schreiben eine Bangigkeit, als hörtest Du mich nicht an und sähst einen andern Weg, dann aber lege ich gleich die Feder weg und gehe irgendeinen einsamen Weg spazieren, und sei es auch den in mein Herz, und kehre bald mit neuem Mut zurücke; ich kann Dich daher versichern, liebe Sophie, daß keiner meiner Briefe, wie man sich ausdrückt, in einer Stimmung geschrieben ist, ich fühle nur in jenen Minuten, die mir mein Gemüt und meine Lage klar zeigen, das Bedürfnis, Dir zu schreiben, und verhüte mit großer Bedachtsamkeit alles, was in meinen Briefen bloß im Moment und also bloß für den Moment ist.
An Sophie
[Marburg, den 3. November 1803.]
Liebes Weib!
Heute erhalte ich Deinen Brief, der Dich mir gibt und was ich auf Erden begehrte, ein Kind, diese Botschaft hat mich so wunderbar überrascht, daß ich nicht denken, nicht fühlen kann, wenn ein Geist neben mir steht, muß es so sein, und Verkündigung des Engels, Ave Maria, ich habe nur wenige Minuten Zeit, bis die Post geht, die soeben gekommen, deswegen sage ich Dir nur folgendes, mein letzter Brief erklärt Dir bestimmt die Versendung, ich erwarte nun die bestimmte Anzeige Deiner Abreise, und ob ich bis Eisenach oder Hersfeld entgegenkommen soll, und auf welchen Tag, mit bestimmtem Datum, ich Dich mit meiner Kutsche wechselnd an diesem oder jenem Ort treffen soll, was die Kopulation angeht, will ich sorgen, alles zu haben, was ich bedarf, doch scheint mir die Sache, wie ich weiß, an andern Orten vielleicht mit Schwierigkeiten verbunden, sie könnte ebensogut hier abgetan werden bei meinem Freund Bang auf dem Dorf, auf welches wir noch eher können als hierher, alles das ist zu verabreden, sobald wir uns treffen, wo und wann, das ist die Frage, auf die Du mir bestimmt antworten mußt.
Dein Clemens.
Grüße mein Kind, ich bin glücklicher, als ich es verdiene, es ist glücklicher, als es verdient, von Dir unterm Herzen getragen zu werden.
An Clemens
[Weimar] Freitags d. 4ten November [1803.]
Clemens, ich habe Deinen Brief, die Antwort auf den ersten meiner drei letzten Briefe, erhalten und schreibe Dir nun – zum letztenmal. Freilich hast Du mir auf eine so ziemlich wichtige Nachricht noch nicht geantwortet, aber was schadet es? Alles liegt klar und bestimmt vor mir, ich handle Deinem Willen gemäß, erfülle eine heilige Pflicht, ich handle recht, unschuldig, natürlich – und habe folglich alle Ursache, mich ganz dem Leichtsinn, der Lustigkeit hinzugeben, was ich denn auch von Herzen tue. Freilich steht mir eine sehr ernste Stunde bevor, die Stunde, wo ich Dir wirklich den Namen Gatte geben werde, ich weiß es im voraus, ich werde gerührt sein, vielleicht weinen, denn wie es auch sei, aber ich fühle es tief in meinen heiligsten Momenten, da, wo die Herrlichkeit einer andern Welt, die sich nicht in Worten, nur in Tränen spiegelt, in meine Seele scheint, das Wort Gatte, Vater sind geheimnisvolle, heilige Symbole von höhren Verhältnissen, die wir nur ahnen, nicht begreifen können. – Aber dann macht das Erdenweib, die leichtgeschürzte, leichte Pilgerin des Lebens, wieder ihre Rechte geltend, sie steht einen Augenblick still und schaut lächelnd zurück auf die buntgeratne Zeichnung ihrer Reise, und freut sich dann, mit kindischem Mutwillen vorwärts blickend, daß sie im Begriff steht, den kecksten, lustigsten Streich ihres Lebens, aus dem Clemens einen Ehemann zu machen! Laut muß sie lachen und kann gar nicht begreifen, was dabei Bedenkliches, Schwerfälliges und Ernstes sein soll; rasch und mutig setzt sie ihre Reise weiter fort, und fest überzeugt, daß sie da, wo sie ermüdet, auch schnell ihre Heimat finden wird.
Gestern, da ich sehnlich Briefe von Dir erharrte, erhielt ich statt ihrer mit der Post, von unbekannter Hand, einen sehr bedeutungsvollen, vollen Kranz, von den schönsten künstlichen Blumen, die ich je gesehen. Die Erzählung einer Freundin hat mich den Geber erraten lassen, und das Ganze, welches ich Dir nebst einigen andern lustigen Anekdoten erzählen werde, gibt wirklich Stoff zu einer kleinen, artigen Novelle. Doch nun zu unsern wichtigen Arrangements. – Morgen erfahre ich, ob ein Fuhrmann gerade von Erfurt nach Marburg geht oder nicht. Im letzten Fall adressier ich die Sachen an den von Dir bezeichneten Kaufmann in Alsfeld; und auf jeden Fall geht in nächster Woche der Transport ab, über den ich nun kein Wort mehr verlieren will. Ich selbst – geben Sie wohl acht, mein Herr! – gedenke Montags, den 21sten November, Weimar zu verlassen und abends in Eisenach anzulangen. Ist es Ihnen nun, wie mir, lieb, wenn wir uns einen Tag früher sehen, und findet mein Einfall mit der Dorfkirche, der deswegen leicht ausführbar ist, weil ich es hier einrichten kann, daß jeder ins Eisennachische gehörige Priester die Trauung ohne Bedenken vollzieht – Ihren Beifall, so kommen Sie mir bis Eisenach entgegen. Wir können dann die Wagen tauschen, wenn Du anders einen geräumigen Reisewagen, auf welchen mancherlei Gepäcke Raum findet, in Marburg haben kannst. Antworte mir hierauf unverzüglich und bestimmt, damit ich mich mit der Verdingung des Wagens darnach richten kann. – Ich selbst schreibe wahrscheinlich nicht wieder. Ach! die armen weiß und schwarzen Briefe sind gar zu unschuldig und gar zu traurig! – ich lobe mir ein wenig Schuld und ein wenig Freude. – Leb wohl, du Einsamkeit, in der ich nicht mehr allein sein werde! –
An Sophie
Marburg den 6. Nov. 1803.
Deinem Auftrag zufolge, mich mit allem zu versehen, was ich zu unsrer Verehlichung bedarf, habe ich nach Ehrenbreitstein geschrieben, um meinen Taufschein, um den Proklamationsschein zu haben, war Proklamation oder Dispensation davon nötig, die Proklamation muß hier und nicht in Frankfurt geschehen, weil ich seit mehreren Jahren hier lebe, und dieses ist mir lieb, denn in Frankfurt würde die Kopulation durch einen katholischen Priester verlangt worden sein. Wenn ich nun hier in Marburg Dispensation der öffentlichen Ausrufung verlange, so muß solche erst von dem Oberkollegium in Hessen-Kassel gesucht werden, welches allerlei Umstände verursacht hätte, ich werde mich daher hier zweimal bis Sonntag und Sonntag über acht Tag ausrufen lassen, wird meine Reise zu Dir durch irgend Deinen Brief früher limitiert, als ich Tauf- und Proklamationsschein erhalten und mitbringen kann, so lassen wir uns erst hier ohne alle Schwierigkeit zusammengehen, sei versichert, daß ich alles tat, was die Sache vereinfacht, ich bin jetzt damit beschäftigt, alles das in unsrer Wohnung zu besorgen, was ich, ohne Deinen eignen Geschmack zu beeinträchtigen, tun kann. Verzeihe die vielen lateinischen Namen, wir leben in dem Staat, der nicht für Poeten, sondern für Bürger gemacht ist, aber wir lieben uns wie Du und ich, o Sophie, wie lieb ich Dich, darüber ist nicht mehr zu sprechen, lebe wohl, Deine Sachen schicke, wie mein vorletzter Brief will.
Clemens.
An Sophie
Marburg, den 13. November 1803.
Liebes Weib!
Diese Antwort auf Deinen letzten Brief vom 4. November wird Dir etwas spät scheinen, aber ich erhielt ihn erst den 10ten und heute den 13ten geht erst die Post wieder. Wenn es möglich ist, daß Du von Weimar nach Eisenach in einem Tage fährst, woran ich zweifle, so findest Du mich den Montagabend, den 21ten November zu Eisenach im halben Monde, welcher, soviel ich weiß, das beste Wirtshaus ist, da Du mir kein anderes bestimmt hast, Du müßtest mir dann am Tore durch den Torschreiber den Namen einer andern Herberge sagen lassen, ist das nicht, so finde oder erwarte ich Dich im halben Mond, aber ich fürchte beinah, ich werde auf Dich warten müssen, denn wenn mich gleich die Liebe einmal von Altenburg bis Jena zu Fuß in einem Tage gejagt hat, so ist ein Mietkutscher doch ein ganz andrer Mann. – Den Kutscher nimmst Du nur bis Eisenach, denn ich hole Dich in einem bequemen, geräumigen Reisewagen, der sehr sanft geht und mit vier Pferden bespannt ist, ab. Von Eisenach hierher haben wir noch drei Tagereisen, da der Weg äußerst schlecht und das Wetter nicht besser ist, so daß wir nicht mehr als acht bis zehn Stunden in einem Tage machen können; doch jungen Eheleuten ist die Langeweile nicht tödlich. Heute Morgen ist Dein und mein Name von der Kanzel hier ausgerufen worden, ich habe hinter dem Chor gestanden und in einer Art gerührter Dummheit einem marmornen General Hände und Füße geküßt und auf das Grab mehrerer Leute Tränen geweint, welche nicht wissen, wie sie dazu kommen; der Pfarrer sprach die Namen recht artlich; und ich hatte große Lust, laut zu zu rufen, ganz gut, ja, so heiße ich, so heißt sie, die liebe Seele. Bis Sonntag nun werde ich zum zweiten- und drittenmal zugleich ausgerufen, und wenn es nun möglich ist, was ich noch nicht bestimmt weiß, daß mir der Proklamationsschein den Freitagabend schon abgeliefert wird, so bringe ich dieses zur Trauung nötige Dokument mit, wie auch meinen Taufschein, wenn ich ihn bis dahin erhalte, wo nicht, so komme ich bloß auf Treu und Glauben, und wir müssen dann die Trauung vielleicht bis hier aufschieben. Unsre Wohnung wirst Du zwar bis auf die Betten, Strohmatratze und einige Stühle und Tische sehr leer, aber doch sehr bequem und freundlich finden, ich hoffe, daß Du selbst Vorhänge und andere Hausratsbiegsamkeiten und -kleinigkeiten nicht verkauft, sondern mitgesendet hast, auch die Rouleaus konntest Du gut mitsenden; die Gegend erfreut Dich gewiß sehr. – Es ist eine unbeschreibliche Ungeduld in mir, meine Frau zu sehen und zu umarmen, es fällt mir daher sehr schwer, Dir zu schreiben, ich bin in einem Treiben, daß es mir recht eine Freude wäre, die langen 10 Tage, die ich noch zu warten habe, in einem Mühlrade herumzugehen. Der schöne Kranz, den Du erhalten hast, intressiert mich nicht, er könnte mich sogar verdrießen, wenn ich nicht wissen sollte, von wem er sei, das ist meine erste Eifersucht, aber was Du mir von Deiner Empfindung, mein Weib zu werden, sagst, erfreut mich, Sophie! ich schwöre Dir, Du wirst Dich bald glücklich preisen, es zu sein. Aber was mich am meisten freut, was mich unendlich glücklich macht in Deinem Briefe, ist Deine menschliche Rede, wie ein bißchen Schuld, ein bißchen Freude doch besser ist als die Unschuld der fatalen Briefe, denn, Sophie! die Liebe wäre nicht die Liebe, wenn sie das arme Vergängliche nicht mit Lust umfaßte und sich nur mit dem Stolzen, Ewigen einlassen wollte. Ich bin begierig nach Deiner Umarmung wie nach der Luft, ohne die ich sterben muß, ach, nach Dir bin ich so begierig, die mir gestanden, daß ich in ihr lebe. O Sophie, wie wird es uns wohl miteinander werden, wie aus engen, heißen Stuben springen wir beide ins kühle Bad, und jedem verwandelt die aufschlagende Welle sich am Herzen zum Geliebten, der küßt und geküßt wird. Soeben erhalte ich die Nachricht, daß ich den Proklamationsschein mit mir nehmen kann, und es steht uns also nichts mehr im Weg. Lebe wohl, Betine grüßt Dich, bis Montag bin ich in Eisen ach! in Eisen, Ketten und Banden, lebe wohl, lieb Weib.
* * *
An Sophie
[Frankfurt, den 16. Januar 1804.]
Geliebtes Weib!
Du bist mein Weib, mein liebes, vortreffliches Weib, dies ist der erste Brief, den ich Dir ohne Sehnsucht schreiben kann, ich habe Dich nun, ich kann nicht mehr mit Recht betrübt sein, denn ich habe Dich ja, und durch Dich mich selbst, denn hier, wo mir alles ein Maß werden kann für meine Empfindung, fühle ich mich stolzer und unbewegter als sonst, ich bin nun hier ein Zuschauer geworden, wo ich sonst wie ein armer Suchender herumging, denn ich habe Dich ja, Du liebst mich, ich bin nicht mehr ausgestoßen von der Welt, Du bist mein liebes Weib, Du trägst mein Kind, und wir drei wollen alles werden für uns. Die Betine, die unendlich lustig ist, ohne alle Ruhe, auch sie ist mehr ein Objekt als ehedem, sie ist übrigens das liebenswürdigste Geschöpf der Welt, die Pracht, der Luxus steigen täglich in unserm Haus, die Heirat der Gundel mit Savigny wird von niemand mehr bezweifelt. Übrigens ist eine Verwirrung, ein Lärm, eine Eitelkeit, eine Genialität, neben meiner Stube spielen in diesem Augenblick der Bethmann, ein russischer Graf und Georg Billard und trinken Champagner, die Partie ein Carolin, ich sitze hier, habe einen alten Tisch von meiner Mutter, einen Strohstuhl, ein altes Klavier, aber einen prächtigen Spiegel, kein Feuer im Ofen, aber ich friere nicht. Nach Dir hat man mich gefragt, ob Du schön seist, ich habe gesagt, Du seist lieb, Christian aber hat auf die Frage, ob Du schön seist, geantwortet, sie ist kleiner als die Gundel und hat einen starken Busen, weiter kann ich nichts sagen, man freut sich meines Glücks und glaubt es, daß ich glücklich sei, so wie man heutzutag seinen Nebenmenschen liebt, um übrigens, weil Du es liebst, mich zu belustigen, will ich täglich in Theater gehn und breche jetzt ab, denn es ist die Stunde.
Dein Clemens.
Sophie, wenn es Dir eine süße Empfindung macht, daß ich Dich liebe, o so sei recht glücklich, ich liebe Dich sehr.
Lieb Weib, schreibe mir doch ein paar Worte, nur eins, Du kannst ja, ich störe Dich ja nicht, ich freue mich ja so dran, nur ein paar Worte Deinem lieben Jungen, und denke an mich und meinen Fisch.
An Clemens
[Marburg] d. 17ten [Januar 1804.]
Als ich gestern früh von Dir wegfuhr, dachte ich, gleich einem Vogel, der nur ein einziges Liedchen kann, in der ersten Stunde gar nichts anders als: guter, guter Junge! der witzige, melancholische, gei – geierartige Clemens war ganz vergessen und lag, wie ich selbst, fest in Nebel eingewickelt, bis mich mein Kutscher durch ein geistliches Morgenlied störte, durch welches er mich sehr erfreute. – Als ich nach Hause kam, fand ich, wie ich's vermutete, Briefe von Weimar, Voigts Brief an Dich ist sehr artig und wird Dir gewiß Freude machen. – Ich erhielt auch noch 2 andre für Dich, wovon der eine, ich weiß nicht warum, ganz so aussieht, als wenn er aus dem Haus eines Schusters käme. Solltest Du dem Träger des unsichtbaren Vogelnests wohl gar einmal als Original vorgeschwebt haben? oder hattest du dir irgendwo in Erfurt oder Weimar die Kinderschuhe noch nicht ausgetreten? – nun, Du wirst am besten wissen, wo Dich der Schuh drückt. – Übrigens erinnert mich mein Husten sehr prompt an das vorgestrige Impromptu, und ich bin so ungeduldig darüber, daß ich dem Doktor Conradi so lange mit meinen Klagen auf dem Halse liegen will, bis er mir diesen unerträglichen Gast vom Halse schafft. – Die Frau Obristen kam gestern zu mir, und – Christian. Er war sehr freundlich und gut und erzählte mir allerlei, spielte auch mit mir eine Sonate, die recht artig war. Wenn Du einige gute Sonaten mit Akkompagnement mitbringen könntest, so wäre es recht schön.
d. 18ten.
In diesem Augenblick habe ich Deinen Brief erhalten und mit freudiger Bewegung gelesen. Daß Du so ruhig bist, macht mich glücklich. Wer in sich so frei, so kühn und vorzüglich ist wie Du, der soll auch außer sich mild und stolz und glücklich erscheinen. Man wird Dich eifrig suchen, wenn Du zu suchen aufhörst, Dich anbeten, wenn Du nicht mehr vergötterst, und Dich anerkennen, wenn Du Dich selbst erkennst. – Savigny war gestern bei mir und sprach mehr als gewöhnlich, es war eigentlich das erstemal, daß er mehr als Besuch war. Auch Christian kam wieder einigemal zu mir. Du wirst Dich doch wohl bald wieder mit ihm versöhnen müssen. Das Leben ist so kurz, und nur das Vortreffliche soll das Leben überleben, darum muß alles Schlechte bald vertilgt werden, damit jenes besser wachsen und gedeihen kann. Ich würde heiter sein, wenn ich nicht so trübe sein müßte, weil der ewige Nebel mir ganz mein Element, die Luft, verdirbt, daß ich zu keiner freien, milden Anschauung gelangen kann. – Schreib mir bald wieder; Du weißt wohl, daß man nichts Beßres lesen kann als Deine Briefe. Gestern Abend habe ich den ersten Band von Godwi vollendet, er ist doch sehr schön, besonders die Erzählung von Cecilie und Franchesco, die mir anfangs gar nicht schmecken wollte. Und Du bist doch einzig, und ich liebe Dich, wenn Du mich auch quälst; nur unglücklich sollst Du nicht sein, das einzige vergebe ich Dir nicht.
Sophie.
An Sophie
[Frankfurt Dienstag, den 17. Januar 1804.]
Liebes Weib!
Vor zwei Stunden habe ich einen Brief an Dich gesendet und versichre Dich, ich habe Dir geschrieben, bis die Post abging, ich habe Dir geschrieben, ich sei fröhlich, ich wolle mich zerstreuen, aber ich schrieb es nur, Liebe, weil ich fürchtete, es möge Dich betrüben, wenn ich Dir in einem durch Zeitmangel so kurzen Brief schriebe, daß ich innerlich sehr zerrissen bin, ich habe Dir geschrieben, ich liebte Dich unendlich, das ist wahr, Sophie, denn ich habe nichts mehr auf Erden als Dich, meine vielen Tränen um Betinen, mit dem hohen Ernste unsers Umgangs vereint, sind gerechtfertigt, sie waren die Tränen eines Engels, der an der Wiege eines Kindes weint, das er liebt und dessen Todesengel er werden muß, und ich weine immer noch, Betine ist unendlich vergnügt, ohne alle Schwärmerei, genialisch, wie vielleicht kein Weib auf Erden war, aber ich fühle es, sie ist mir verloren, nicht als wäre sie einem andern Menschen gewonnen, aber sie hängt nicht mehr an mir, sie ist jung und fröhlich, doch mit einer tiefen Ansicht, sie versteht, wie es scheint, die Freude, die in dem größten Verluste liegen kann, ich verstehe diese Freude nicht, ich kann nur lieben, grenzenlos lieben, o Sophie, es wird bald die Zeit kommen, wo ich Dich wieder so lieben werde als in den Minuten, in welchen das Leben seine Rolle so vortrefflich spielte, als in jenen täuschungsvollen Minuten, da ich alle Deinen Jammer auf der Brust liegen hatte, wie mit einem Berg belastet an den Busen der Hölle gedrückt, und da Deine Unschuld und Dein Liebreiz zu mir hintrat und den Berg zu Wolken auflöste, durch die ich leichter in die Höhe drang und auf ihnen schwimmend den blauen Himmel und die Gestirne anschaute. Betinens Umgang mit mir gleicht dem Umgang zweier Freunde, beide leben irgendwo, wo das Reden verboten ist, der eine aber hat laut gebetet, einem Weibe gesagt, ich liebe Dich, einen Sterbenden getröstet und einen gerufen, der in der Nacht einem Abgrund entgegenging, dafür hat man ihm die Zunge ausgeschnitten, das bin ich, nun geht der andere in allen Freuden des Lebens umher, grüßt dann und wann den Stummen, aber sie fürchtet sich und redet nicht, und auch die Blicke, die tröstenden, werden seltner, und so geht alles zugrund, ohne Unrecht, ohne Rache, o hätte der Stumme die Zunge wieder, er würde sie bitten, ihn zu lieben, auch ohne Hoffnung, und würde die Zunge wieder verlieren. – Meine Sophie, es ist mir ein Herz gegeben, wie kein Mensch eines besitzt, und dies Herz ist Dein, bewahre es, halte es hoch, lasse es nicht zugrunde gehen, gib mir es wieder, dann und wann, reiche mir es hin, daß ich mich daran erfreue, denn wenn ich es so im Busen trage, so einsam, dann muß ich immer weinen, ich habe keine Sünde getan, es ist um die Erbsünde, um die ich weine, ich fühle es oft mit einem wunderbaren Schmerz, Jesus ist nicht für mich gestorben. – Dieses war die Summe meiner Empfindung abends am zweiten Tage meines Hierseins. – Aber ich will anderes Papier nehmen, dieses schlägt so durch, und dies tut dann Deinen lieben Augen weh, drum denke, hier auf der leeren Stelle stehe das Unaussprechliche, wovon das Leben nur die verkehrte Teppichseite ist.
Liebe Sophie!
[20. Januar.]
Ich fange hier von neuem an, denn ich will nicht, daß Du das erste Blatt, welches traurig ist, zuerst lesest, ich wollte Dir alle Tage abends schreiben, und mein Brief sollte wie ein Abendrot über dem Tag und allem seinem Treiben schweben, sollte für Dich, durch meine Sehnsucht nach Dir entzündet, eine schön beleuchtete Wolkenbildung, die vorüberschwebt, ach, liebes liebes Weib, eine Hoffnung habe ich, ich fühle es, mein Gemüt wird sich einstens ausspannen wie der blaue Nachthimmel, und Du wirst Dich sehnen, unter ihm hinzuschweben, und Kinderchen im Arm. O liebes Weib, weißt Du, warum ich hier so fröhlich schreibe, ich habe den ganzen Tag nichts getan, als an Dich gedacht, ich habe heute Morgen Deinen Brief erhalten, mich herzlich an ihm erfreut, ich habe auch einiges gekauft, was Dir Freude machen wird, und da ist mir es ruhiger um das Herz. Ich will Dir vieles erzählen, wenn ich wieder bei Dir bin, sonst möchte ich es Dir hier verderben, ich meine so das Historische, mündlich ist es behaglicher, denn man kann Ton und Mienen dazu tun, wahrhaftig, es ist nicht Faulheit, daß ich es nicht schreibe, es ist, um auch in Marburg noch etwas für Dich zu haben, denn das Historische bleibt im Gedächtnis, nur die Reflexion fliegt vorüber, und ich will doch meinen ganzen Aufenthalt für Dich zu benutzen suchen. Ich wünschte beinahe, Du wärest hier, ich glaube, Du würdest Dir gefallen, ach dies Blut muß einem in Adern rinnen, um das Traurige davon zu fühlen, allen andern ist dieses anzuschauen eine Freude. Vor allem sagt Dir dieser Brief, schicke mir einen Wagen, aber nicht den schweren, der mich herführte, mit dem unendlich langsamen Jakob, der mich sechs Stunden von Frankfurt zu Friedberg sitzen ließ, ich bitte Dich herzlich, schicke mir den Wagen sogleich, denn in allen meinen Adern tobt die Wut, abzureisen. Den Mitwoch früh bin ich wieder bei Dir, wenn den Montag früh oder besser heute den Sonntag schon der Wagen abfährt, der Kutscher soll mich nur bei Brentano in der Sandgasse fragen, ich bin immer zu Hause, ach, ich fühle eine Begierde nach Dir, die mit jedem Buchstaben wächst, den ich schreibe, ich kann nicht ruhig fortschreiben, ich will Dir nur geschwind sagen, was ich gekauft habe:
Ich bitte sehr, lasse mich gleich holen, denn ich kann es nicht mehr hier aushalten, liebes Weib, wenn Du die Kutsche nicht gleich schickst, so glaube ich, Du willst mich nicht, Du liebst mich nicht. Gestern habe ich in einem roten Mantel den Bürgereid geschworen und eine Flinte, eine Patronentasche, einen Säbel und 8 Patronen erhalten und viel Geld gezahlt, o Sophie, Sophie, schicke die Kutsche, ich werde vor Ekel, Langeweile und allerlei ganz krank. Dein Klemens Brentano.
An Clemens
[Marburg, etwa 21. Januar 1804.]
Ich vergaß Dir in meinem letzten Brief wegen der Bücher zu schreiben, welches Dir doch gewiß das Wichtigste von allem ist, aber mein Vergessen kam freilich von der Überzeugung her, daß sich Dir darüber nichts Wichtiges und Erfreuliches sagen läßt. Ich habe das Paket eröffnet; die Bücher kommen von Mainz, scheinen aber, obgleich an Dich adressiert, für Savigny bestimmt, denn es sind große lateinische, und wie ich gewiß weiß, juristische Bücher. – Dein Brief hat mich beinah krank gemacht; Deine Unruhe ist wie ein feines Gift, das selbst durch das unschuldige Papier ansteckend wird; man muß einen Kordon wegen Dir ziehen lassen. Ach! Lieber, wenn Dir nur keine neue Täuschung bevorsteht! ich weiß es nicht, ich begreife es nicht, aber ich zittre! ich liebe Dich, ich sehne mich oft herzlich nach Deiner Umarmung, doch will ich Dir nicht heucheln, es tut mir wohl, allein zu sein! Die Einsamkeit ist für unschuldige und schwache Gemüter, wie das meinige, ein Tau des Himmels, der sie erfrischt, wenn sie das Leben ermattet. Du selbst hast mich sorglicher, nachdenklicher gemacht, ich will nicht immer für den Augenblick allein leben, ich will auch für die Zukunft säen; ein Ernte will ich haben, wie das Jahr, und um säen zu können, muß man sammlen. Hierzu ist jetzt der Augenblick für mich da; ich habe angefangen, meine Einrichtung zu machen, und recht schön, Du sollst mich loben, wenn ich Dir alles sagen werde. Wenn Gott mein Bemühen segnet, so wird mir's in vielem wohler sein. Auch zwischen Dir und mir muß manches entfernt werden, was oft Veranlassung zu Verdrießlichkeiten geworden ist. Ich übernehme nicht mehr die Bestreitung aller Deiner Ausgaben. Jedes Vierteljahr sollst Du mir eine Anweisung auf 200 fl. geben, die ich nach Frankfurt schicke. Dafür besorg ich Wohnung, Holz, Magd, Kost, Wäsche und Licht. Für Dein übriges Geld besorgst Du die Dich allein angehenden Ausgaben und wendest es an nach Deinem Gefallen, so wie ich für mein Persönchen sorge, was ich leicht kann bei freier Anwendung meiner Zeit und dem Segen des Himmels.
An Sophie
[Frankfurt, den 24. Januar 1804.]
Liebe, herzliebe Frau!
Den Dienstag Mittag ist der Kutscher zwar hier angekommen, aber morgen früh fährt er erst wieder zurück, ich schicke Dir daher diesen Brief, daß Du mich erst zum Mittag am Donnerstag erwartest. Ich bin also Mittewoch Nacht zu Gießen und liege in demselben Bett, das Du mit mir geteilt hast, ohne Dich, und lese in der Courage, um nicht bange zu haben. Ich bin innerlich herzlich froh, meine Seele hat so eine Empfindung wie Regenbogen, wie Wiedersehen, o liebes Weib, wenn ich jetzt an Dich denke, so pocht mein Herz in einem andern Takt als ehedem, es pocht nicht mehr wie die Inquisition an die Türe, nicht wie ein armer Schelm im Irrenhaus, der heraus möchte, nein, es ist das Pochen eines Bergmanns unter der Erde, der seine Schläge aus Freude verdoppelt, weil er seinen Freund auf der andern Seite der Schachtwand pochen hört. Du glaubst nicht, wie ich mich freue, Dich wiederzusehen, Dir vieles zu erzählen und mancherlei zu schenken, Franz hat mir den Flügel geschenkt, wenn wir zwei Carolins dran wenden, haben wir ein sehr schönes Instrument, auf dem meine Mutter gespielt und alle meine Schwestern gelernt haben, auch einige hübsche neuere Musik und sehr viel alte bringe ich mit, wie auch einige neuere Liebe und sehr viel alte; sodann erzähle ich Dir das, was mich auf Erden am meisten überrascht hat, ach, Gottes Wege sind sehr wunderbar! Dann teile ich Dir ein wichtiges Dokument für meinen Unwill über Christian mit, etwas, was Dich mehr überraschen wird als mich, aber äußere um Himmels willen nichts gegen Christian davon. Zwei Krüge Provenceröl, das Pfund à 40 ×r., auch Zucker und Kaffee, der hier viel wohlfeiler ist, und vielerlei hübsche Sächelchen. Sei nicht böse auf mich, daß ich Dir das alles jetzt schon sage, aber, Du mein Gott! ich möchte ja in jeder Minute an Deinem Herzen ruhen und Dir beichten, daß ich um Dich zu jeder Todsünde, außer dem Ehebruch, bereit bin, und zu jeder Tugend, außer dem Zölibat. Liebes Herzensweib, mir ist hier durch jene obengemeldete Erfahrung eine große Last vom Herzen genommen worden, und ich kann mich schwerlich wieder über etwas betrüben, es sei denn, daß wir uns einander unrecht tun sollten. Meine Brüder sind alle gegen mich und Dich freundlich gesinnt, und Franz hat sich nach allem unserm Leben erkundigt, er will uns auch wieder wohlfeilen Wein schicken. Ich habe hier alle mein Geld ausgegeben, und Du darfst mich nie wieder von Dir lassen, denn ich habe immer eine große Angst, wenn ich schöne Sachen sehe, ich möchte sie Dir alle bringen. Doch mir fällt ein, daß ich auch noch etwas für Hanne kaufen muß und ich kaum Zeit mehr habe, so genieße dann Dein Stückchen Einsamkeit noch recht ruhig, aber ein bißchen denke noch an mich, ach, ich liebe mich beinahe so sehr als Dich, gute Nacht, Sophie, gute Nacht, Fisch, gute Nacht, Fasttag, gute Nacht, Clemens, Knecht, Magd, Ochs, Esel und alles, was sein ist, Dein glücklicher, durch Dich sehr glücklicher Junge
Clemens.
* * *
An Sophie
[Heidelberg] Sonntag. [den 12. August 1804.]
Liebe Herzens Frau!
Wenn Du mir eine Zeile geschrieben hättest, so hättest Du mich erfreut und beschämt, so bleibt es mir übrig, Dich zu erfreuen. Ich habe eine schöne Wohnung gemietet, es wird Dir hier wohl sein, die Natur ist wunderschön, die Menschen froh, Tanz und Sang vor allen Türen, es wird uns sehr wohl werden, ich war in Mannheim, der Komponist der Lustigen Musikanten hat mir die meisten Gesänge auf der Stube aufgeführt, mit großer Bescheidenheit, er ist mehr als seine Komposition. Ich logiere bei Kreuzer, der Dich grüßt, die Günterode ist seit gestern hier, sie grüßt Dich, morgen reis' ich zu Dir, übermorgen küsse ich Deinen Leib, das Herz pocht mir, wenn ich es sage, o Sophie, Du sollst gewiß noch froh werden, erhalte mich im Herzen, ich mich Rausch, es geht, Dein treuer Junge
An Sophie
[Würzburg, den 29. Oktober 1804.]
Liebe Frau!
Ich bin einen Tag hiergewesen, an dessen Ende ich Dir hier bei Niethammer eine gute Nacht wünsche, von Gotha aus schreibe ich Dir meine Reise, Geld habe ich hier gefunden, aber auch beiliegenden traurigen Brief, der mir viele Lust raubt. Wo es schön ist auf der Erde, weiß ich nicht, ich gehe meinen Tränen nach. O Sophie, habe mich lieb, so ist es am besten, ich wünschte, Du wärest mitgefahren, die gute Niethammer hat es bedauert, es ist schön hier. Die vier Carolins schickt Dir der Kaufmann Kinzinger mit dem Postwagen. Liebe Sophie, ich wollte, ich wäre zu Haus geblieben, ich bin so fremd in der Welt, ich passe nicht zu den Menschen. Sage Kreuzer als die neueste Neuigkeit, daß Voß über das Schulorganisations-Edikt unzufrieden hier weggegangen und gänzlich aufgesagt hat, und daß man also gern hier an Kreuzer denkt. Sophie, habe mich lieb, von Gotha schreibe ich alle Details.
Clemens.
Neustadt. 6 Stunden von Meiningen gegen Dich zu.
An Sophie
[den 31. Oktober/4. Nov. 1804.]
Liebe Sophie!
Ich habe Dir gestern abend nur wenige Worte von Niethammer aus geschrieben, welche Du doch erst vier Tage nachher erhältst, denn alle Briefe laufen über Frankfurt, und Deiner an Nieth. kam zwei Stunden vor mir an. Heute bin ich sechzehn Stunden weiter gefahren und bin in einem vortrefflichen Wirtshaus, und liege jetzt in einem solchen Bett, daß es würdig wäre, auf Deinen Namens-, Geburts- und Hochzeitstag mit Dir drin zu spielen, und wärst Du hier, Du wärst nicht sichrer vor mir als das Tintefaß jetzt vor meiner Feder ist, ach, wär ich die Feder und Du das Tintefaß, ich brauchte dann nicht zu schreiben, und das Eintauchen wäre hinreichend, überflüssig und doch nie genug. Diesen Brief schicke ich morgen von Meiningen oder übermorgen von Gotha an Dich, es geht gleich schnell, und wenn ich von Gotha weggehe, schreibe ich über dort, wie jetzt über Würzburg. Meine Reise war nicht unangenehm, das Wetter gut, mein Fuß, mein Weg gut, mein Medikus gut, und ich kann nur klagen, daß Medikus gar zu aufgeklärt war und meine kindische Freude über die häufigen Heiligenbilder, die in der nicht reizenden Gegend die einzige Unterhaltung gewähren, oft störte. Zu Walldürn, 17 Stund von Heidelberg, kamen wir Sonntag früh während dem Gottesdienst an, und ich zwang Medikus in die prächtige Kirche, die voll Krücken, wächsernen Gliedmaßen und schlecht gemalten, dort geschehenen Wunderwerken hängt, die Kirche war voll Menschen, die in schöner Ordnung knieten, was durch die gleichförmige Kleidung, da es lauter Bauren waren, recht erbaulich ließ, ich ging gleich nach dem Altar, in welchem das wundertätige Kelchtuch hinter lichtem Gold und Glas aufgestellt ist und welches einem alten Lümpchen ähnlich sieht, da von dem Blut nichts mehr zu sehen ist. Besonders ging ich hin, um nach einem Opfer zu sehen, welches ich und † Sophie vor ungefähr 10 Jahren bei der Emigration mit dem Papa nach Boxberg einem kleinen artigen hölzernen Engel getan hatten, es war ein Kranz von weißen gemachten Rosen von Sophie und einige Ähren, die ich auf dem Wege gebrochen, und ich fand es unter den vielen Opfern durch den ungewöhnlichen Ort des Engels, welchem ich es mit einem Lichthörnchen aufgesetzt hatte, noch vorhanden, was mich sehr rührte. Da ich die Kirche verließ, kaufte ich bei einer nahe wohnenden Frau, deren Sohn ein Maler ist, beiliegende Bilderchen und Büchelchen, um sie Dir zu schicken, diese erzählte recht intressant von den Wundern, die bei der vorigjährigen gegen 20 000 Menschen starken Wallfahrt geschehen, und wie bei ihr zwei von ihren Eltern hingebrachte, vom Teufel beseßne Bauernmädchen vom Überrhein gewohnt hätten, um sich von den Mönchen exorzieren zu lassen. Sie waren beide sehr schön und reicher Leut Kinder, die eine 20, die andere 24 Jahre alt, und sehr gut, während sie im Ort waren drei Tage, hatten sie keine Anfälle, aber sie weinten sehr, da sie von den Mönchen ausgefragt wurden und den Anfall als fürchterlich schmerzlich beschrieben, von den Mönchen aber nicht übernommen wurden und wieder ungeheilt zurückgeführt wurden. Den Mönchen ist nämlich dieses Teufelaustreiben längst verboten, seit die Ärzte, der Weidemann besonders, es mit Senf kann, und sie waren hier also wo nicht unfähiger, doch begieriger als der Doktor Loos, ihren Senf zu diesem Fleisch zu geben, seit die Klöster überhaupt, vielleicht seit die Männer überhaupt durchaus durch Alter und Impotenz auf das Aussterben reduziert sind, gibt es keine beseßne, aber lauter hysterische (zu wenig beseßne) Weiber, denn was nutzt das ewige Besessensein und nicht Berittenwerden, ihr gottloses Fleisch habt ihr Weiber nun einmal, daß ihr ohne Senf nicht zu genießen seid. Zu Würzburg kam ich abends um 8 Uhr an, es ist ohngefähr dreimal so groß wie Leipzig, winklicht und voll doch schönerer und prächtigerer Kirchen als Erfurt, gewährt aber zum Wohnen eine traurige Wirkung, da keine Wohnung Aussicht hat. So weit schrieb ich in Neustadt und fahre nun heute Abend zu Schmalkalden im Hessischen, acht Stund von Gotha fort. Alles war heute schlecht wie Sachsen und Hessen, wie Tinte, Feder und das Federbett, auf dem ich liege, so daß ich kaum schreiben möchte, wenn ich nicht wüßte, daß Du so allein wärst, also – die Niethammers traf ich am folgenden Morgen frisch und gesund an, sie gefallen sich recht gut in Würzburg, und ich finde sie, seit ich sie sah, unverändert. Mit ihm geriet ich in ein Gespräch von Universitätenwesen und Friedrich Schlegel, wo er mir vom erstern sprach wie alle, nur daß er unzählige Niedrigkeiten von Eichstädt wußte, und vom letztem sagte er mir, daß Vermehren auf 800 Taler für ihn in Dresden gutgesprochen hätte, die nun für die Kinder verloren seien, auch daß Schlegel die Veit in Köln gelassen hat und nun zur Stael ist, um zu sehen, ob er auch an ihren Hof kommen kann. Die Ebert heuratet nächstens den Voigt, und die Niethammer zuckt die Achseln. Niethammer ging aus zum Essen, und ich sprach noch mit ihr lang von Dir, sie erzählte mir, der Ruf gehe, ich halte Dich so streng, in Heidelberg habe Dich jemand besuchen wollen (den Namen wollte sie nicht nennen), und ich hätte ihn nicht zu Dir gelassen, auch mißhandle ich die Hulda, ich geriet dadurch in Wärme und sprach viel mit ihr über den mannigfachen Verdruß und Kummer, den wir gehabt, und daß wir jetzt ruhig seien und Du mich liebtest. Sehr wunderten sie sich, daß ich es über Dich vermocht, Dich nicht mehr zu schminken, und glaubten wunders, was das für eine Heldentat sei, das tat mir leid und kam mir schlecht vor. Ich aß im Wirtshaus, machte nach Tisch meine Geldgeschäfte, lief durch die Stadt, welche ein wunderschönes Schloß und Promenaden hat, und der Kopf ward mir so toll über den großen Kirchen, Heiligenbildern und der neuen Aufklärung, daß ich beinahe Tränen vergoß, dann ging ich in das große Julius-Hospital, das prächtigste und größte seiner Art, und guckte es an. Abend war ich bei Niethammer zu Gast, wir waren allein, und ich mußte reden von allem, was ich wußte, also langweilte ich mich, von dort schrieb ich Dir. Die Hufeland liegt im Kindbett, die Schelling geht mit niemand mehr um, und der Gott Kama ist von mir in seiner himmelblauen Uniform im Isenburgischen Hotel im Hof stehend erblickt worden, er ist schon ein halbes Jahr mit seinem Zögling in Würzburg und lebt beständig unter der höchsten Noblesse, auch sagte mir Medikus, wie er bereits mehreren Damen als ein sehr tieffühlender junger Mann erschienen sei. Über die Herrschsucht der Hufeland wußte mir Medikus nicht genug zu klagen, übrigens ist die Niethammer und Paulus und Madam Siebold genau mit ihr liiert. Kilian habe ich auf der Straße gesehen, er erwartet hier den Schluß seines Prozesses. Markus hat vom Bamberger Gericht bereits das Urteil der Kassation und ist jetzt in München, seine Künste aufzubieten, der Paulus macht Markus keine Ehre, der mir von allen Menschen als ein schmutziger, sehr häßlicher feiner Jude beschrieben ist. Von Würzburg reiste ich in Franken bis Neustadt an der Saale allein, wo ich im Wirtshaus die Frau des Hofrat von Herlein antraf, der bei der Mutter Fritze ihrem Mann ist und mir viel von ihr erzählte. Apropos, zu Würzburg an der Table d'hote saß ein häßlicher Mensch, der, als er meinen Namen hörte, mich fragte, ob ich verwandt mit jenem sei, der die Mereau geheuratet, ich sagte nein, hierauf zog er etwas über mich los. Ich fragte ihn um jenen Brentano und ob er ihn kenne, ob ich ihn kenne, sagte er mir ins Gesicht, und wie kenne ich ihn, dann wollte er auch ziemlich keck von Dir anfangen – still sagte ich ihm, ich bitte Sie, von meiner Frau zu schweigen, denn mit ihr bin ich sehr nahe verwandt, mit Brentano aber nicht, denn ich bin er selbst, da saß der arme Teufel und läßt Dich grüßen, er heißt Rousseaux von Gotha und ist Schlichtegrolls Schwager. Der junge Hof, holländischer Soldat, hat sich zum Fähndrich geschwungen. – Glücklich preise Dich in Deiner Pfalz, immer elender wird das Land und das Volk, ich habe es recht erfahren, und welche schwere Reise steht mir bevor in dem schrecklichen Regen, Weg und Land. Allein sieben Carolin kostet es mich nun bis hierher, keinen Mitreisenden habe ich gefunden und werde mich vielleicht zum Postwagen entschließen müssen. Geißlern habe ich unter seinen Kindern getroffen, so gefiel mir seine Frau sehr gut, sie war todkrank, ihr jüngstes Kind ist gestorben, ich will heute zu ihm ziehn und ein paar Tage Wetter und Umstände abwarten. Wenn Du diesen Brief erhältst, bin ich hoffentlich schon in Berlin, denn die Post geht erst bis Sonntag und läuft wohl 5 Tage, und heute ist Freitag. Ich bin aus Liebe zu Dir im Wirtshaus Stadt Altenburg eingekehrt und habe wunderliche Stubennachbarn gehabt, jed Wort zur Linken und Rechten könnt ich hören, links wohnte eine Judenfamilie, die Zahnweh hatte. Awei mer, ging's die ganze Nacht, was kost's ausreiße – a klane Taler, sagt die Frau, Schmerza kost's, sagte der Sohn – au wei mer, a klane Taler, a paar baamwolle Strimp will ich ihm geba, au wei mer, a klane Taler. Rechts wohnte ein Edelmann von Posen, der von Paris kam, er ist jung und hat hier in der Gegend in seiner Studierzeit ein Kind gemacht, um vier Uhr wollte er weg, und sieh da, er verschläft es, und erscheinen Mutter, Kind und Großmutter bei ihm, ich hörte jedes Wort, die Großmutter schickte er einstweilen weg, mit der Mutter setzte es Tränen, das Kind wurde geküßt, die Mutter beschlafen, Handschriften ausgestellt, Adressen gegeben, Geld gegeben, weiteres Stillschweigen befohlen, geweint, gedankt, bis Mutter und Kind wegging, da weinte der gute Mann Rotz und Wasser, nun kam die Großmutter wieder, und er erzählte ihr seine ganze Vermögenslage und versprach goldne Berge, wenn sie ferner die Sache geheimhalte, daß seine jetzige Frau nichts erfahre, und so kam endlich der arme Teufel mit viel Geld und vier Pferden Extrapost aus der Klemme. Das war mir seit lang die artigste Begebenheit. – Freitagabend. Heute nun schon den ganzen Tag genieße ich die angenehme Empfindung eines wohlhabenden, wohleingerichteten Hauses und sehr gütiger lieber Menschen, besonders Geißler wird mir mit jedem Augenblick lieber, auch seine Kinder sind die angenehmsten und liebsten, die ich bis jetzt gesehen habe. Ich war heute Morgen bei Schlichtegroll und auf der Bibliothek, wo für mich mit die vortrefflichsten Sachen sind, besonders schöne Manuskripte, die Leute selbsten verstehen sie nicht zu achten und haben deswegen noch nichts davon bekanntgemacht, auch schien ihnen meine große Entzückung darüber sehr wunderlich, mehrere ihrer Manuskripte schienen ihnen selbst unbekannt. Ich gehe morgen wieder hinauf, zu Mittag aß Schlichtegroll und seine Frau bei Geißler, welche mir beide nicht sehr gefallen, er hat was Justiwachlerisches. Wenn Geißler wegzieht, so wird er vermutlich nach Dresden ziehen, der Jude Hekscher, der – sage Sie mir nichts von der Vestris – steht im Handel mit ihm. Geißler erweist mir wirklich so viel Liebe, daß ich ganz beschämt von ihm bin. Seit drei Tagen regnet es nun, und ich fürchte mich sehr meiner Reise halben. Unzähligemal hat mich die Reise nun schon gereut, und in diesem Augenblick bin ich sehr bewegt, daß ich Dir nicht rufen kann, auch schmerzt es mich, noch keinen Brief zu haben, Du hättest mir doch zuvorkommen sollen. Ich habe heute eine Beschreibung von Berlin gelesen, nach welcher mir die Stadt sehr angst und bange macht mit ihrer leeren Größe. Ich will nun von hier nach Leipzig auf dem Postwagen reisen, der bedeckt ist, und dann mein weiteres Geschick abwarten. Im Reisen liegt für mich etwas Leeres, Zeitverderbendes.
Lebewohl, habe mich lieb, ehe ich weitergehe, mehr.
Gotha, den 4. [November] 1804.
Clemens.