Sophie Mereau
Amanda und Eduard
Sophie Mereau

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Zweiter u. lezter Theil

Erster Brief

Amanda an Julien

Seit langer Zeit, Julie, ist dies der erste Augenblick, wo ich Dir wieder schreiben kann. Zu welchem Wechsel von Gefühlen ist mein Leben bestimmt! – ich wandle wie in einem dichten, düstern Hain, wo nur zuweilen die wankenden Zweige sich öffnen, und mir die Aussicht auf ein fernes glänzendes Thal zeigen. Aber schnell schließen sie sich wieder, und ungewiß, ob mich der Weg in eine Einöde, oder in jene lichte Gegend führt, gehe ich im Dunkel weiter, wie das Schicksal es mir gebietet.

Ich schrieb Dir, daß Albrets Krankheit gefährlich gewesen sei, und sie ist es noch. Sein Gemüth scheint in gewissen Augenblicken, vielleicht zum erstenmal, von Vertrauen gegen ein fremdes Wesen durchdrungen, und eine wunderbare Weichheit nimmt dann die Stelle seiner gewohnten Fühllosigkeit ein. In solchen Momenten hat er mir Vieles aus seinem frühern Leben vertraut. Da war es, wo mir von ihm entdeckt ward, daß Wilhelm sein Kind sei; daß er einst eine heftige Leidenschaft für dessen Mutter gefühlt, sie aber bald darauf wieder ganz verlassen habe. – Sie sei, fuhr er fort, wahrscheinlich aus Gram darüber, gestorben; er habe das Kind hier erziehen lassen, und der Wunsch es zu sehen, wäre unter andern Gründen, mit eine Veranlassung gewesen, warum er an diesen Ort gereist sei. »Sorgfältig, setzte er hinzu, war ich bisher bemüht, Dir aus diesem Verhältniß ein Geheimniß zu machen, denn, Amanda, ob gleich ich in Dir das vorzüglichste Weib verehre, das ich je habe kennen lernen – aber, sei so edel Du willst; frag Dich selbst, ob Du nach dieser Entdeckung nicht ein Recht über mich zu haben glaubst? und wer kann mir bürgen, daß Du diese Gewalt nie misbrauchen wirst? – o! die Gewalt über uns, ist für ein Weib das schönste Ziel, nach dem sie ringt, und dem Vergnügen, dann nach Laune und Willkühr verfahren zu können, opfert sie mit Freuden jede andere Rücksicht auf!»

Wie seltsam ich bei diesen Scenen bewegt war, kann ich Dir nicht beschreiben. Es war mir genugthuend, diesem verödeten Herzen Etwas sein zu können, es durch mich mit leisen Banden des Vertrauens, des Wohlwollens wieder an das Leben gebunden zu sehen. Aber dann war mir dieser Mann wieder so fremd; seine lange Verschlossenheit, sein Argwohn, seine kalten Berechnungen stießen mein Gefühl zurück, und machten mir seine Nähe schauderhaft. Ja, Julie, diese Verschiedenheit unsrer Ansichten, unsrer Empfindungen, liegt wie ein tiefer Abgrund, den wir nicht überschreiten können, zwischen uns beiden; vergebens sende ich die Blüthen der Innigkeit, der Mitempfindung, mit weichem Herzen zu ihm hinüber; kaum Eine derselben erreicht ihn; die meisten flattern in die Tiefe, und ich fühle nur die dunkle Leere, die uns trennt. – Und doch muß ich so innig das Herz bedauern, das seine schönsten Gefühle zu verbergen strebt, weil es fürchtet, in die Gewalt eines Andern zu gerathen, das unabläßig, ferne, dunkle Zwecke verfolgt, die ihn doch nie glücklicher machen, und sein Auge für das nahe, helle Leben um ihn her verschließen; doch bleibt mir der Wunsch immer lebendig, ihn durch Wahrheit und Gefühl mit dem Leben wieder auszusöhnen, und das verschlossene Gemüth den Empfindungen der Menschlichkeit wieder zu eröffnen.

Und so bin ich denn jetzt ganz allein gelassen, mit diesen wechselnden Gefühlen? Du bist fern, und ich kann und will Deine Gegenwart nicht fordern. Nanette ist zu ihren Verwandten gereist, und wer weiß wann sie zurückkehrt.

Barton hat schleunig diesen Ort verlassen, wahrscheinlich um mit Eduards Vater, ich weiß nicht wo? zusammen zu treffen. Und Eduard – ach! wie entfremdet ist mir dieser Name geworden! wie anders, wie so ganz anders sind die Bilder, die jetzt mein Gemüth erfüllen! – Schon sind beinahe drei Monate verflossen, ohne daß ich die geringste Nachricht von ihm erhalten hätte, und Alles was mir so nah, was so ganz Mein zu sein schien, droht wie ein wesenloser Traum zu verschwinden. – O! warum mußte der Liebe kindlicher Glaube, das heitre Vertrauen, so leicht dem beleidigten Stolz, dem unverständlichen Schein, weichen? – Warum vertraute er mir nicht? – Schreibe mir bald, ich bedarf es. Alles ist mir fern und dunkel, und ich stehe allein in dem fremd gewordenen Gebiete des Lebens.


Albret ist nicht mehr! – Der stille Genius des Todes hat nun dies Herz beruhig't, und alles Widersprechende in sanftem Frieden aufgelöst. – Wie ein aufgerolltes Gemälde liegt das farbige Spiel seiner irdischen Freuden und Leiden vor meinem Blick, und auf der Rückseite steht mit schwarzen Zügen das Grab. –

Ich weiß es, Julie, daß er selten wahrhaft gegen mich war, daß ihm mein ganzes Dasein bloß für ein Opfer seiner Absichten galt, daß bei ihm auf jede wahre Aeusserung seines Gefühls nur Reue folgte, aber ich fühle in diesen Augenblicken nichts, als daß er unglücklich war. Ach! ist dieser Kampf, diese Mischung von Wahrheit und Lüge, von Hölle und Himmel, nicht in jedem Menschen, wie in ihm, nur mit etwas mildern Farben? – laß mein Urtheil über ihn, immer so weich als möglich sein, es ist gewiß ein gutes menschliches Gefühl, was uns so mild gegen die Todten macht, die sich nun nicht mehr vertheidigen, nicht mehr sagen können, wie oft sie misverstanden worden, und wie schmerzlich ihnen vielleicht oft eben dann zu Muthe war, wann sie Andern hart und gefühllos erschienen! –

Ich erwarte sehnlich einen Brief von Dir. Eine Menge Geschäfte, die alle Geistesgegenwart erfordern, drängen sich in trauriger Verwirrung um mich her; so bald ich kann, schreibe ich Dir wieder.


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