Sophie Mereau
Amanda und Eduard
Sophie Mereau

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Neunzehnter Brief.

Amanda an Julien.

Ich bin, seit ich Dir nicht geschrieben habe, sehr ernstlich krank gewesen, und der Arzt hat mir als Mittel zur Wiederherstellung meiner Gesundheit, eine Reise verordnet, die ich in wenig Tagen, anzutreten gedenke. Es war wohl kein Wunder, daß die Erschütterungen meines Gemüths, auch auf den Körper Einfluß hatten, aber was man mir auch von dem Bedenklichen meines Zustandes sagen mag, so fühle ich doch meinen Geist unbeschreiblich heiter und frei, und meine ganze Stimmung ungewöhnlich erhöht und freudig. – Ich werde nach Lausanne reisen, weil ich mir von den Reizen des dortigen Klimas und der Gegend den angenehmsten Genuß versprechen darf, und eine geheime Sehnsucht mich wieder nach diesem Ort, den ich schon kenne, hinzieht.

Ich endige diesen angefangenen Brief an Dich, erst auf der Reise. Ich bin in *** und habe heute gewiß einen der merkwürdigsten Tage meines Lebens verlebt. Meine Reise bis hieher war glücklich, zwar hatte die Trennung von jener Gegend und meinen Freunden mich tief gerührt; auch die andern überließen sich der heftigsten Trauer, und Nanette war in einer Bewegung, wie ich sie nie gesehen habe. Doch hat mir der wohlthätige Einfluß der Reise, meine vorige Heiterkeit zurückgegeben, und ich hoffe, daß auch meine Freunde nun wieder freudig an mich denken werden. Doch nun zur Schilderung des heutigen Tages, dessen Eindrücke noch meine ganze Seele beschäftigen.

Ich wollte diesen Ort nicht verlassen, ohne die Einsiedelei besucht zu haben, die vor mehr als hundert Jahren von einem Eremiten in einer kleinen Entfernung von der Stadt angelegt worden ist, und noch jetzt von einem Kapuciner bewohnt und unterhalten wird. Romantischer als die Gegend, worin diese Einsiedelei liegt, vermag die fruchtbarste Einbildungskraft sich nichts zu denken. Hohe, steile Felsenwände, die von der Allmacht eines Gottes aus einander zerrissen zu sein scheinen, umschließen ein enges, tiefes Thal, das aber nichts Furchtbares, nichts Beängstigendes hat, weil es, nach beiden Seiten hin, freundlich geöffnet, sich in einem fernen, lachenden Grund zu endigen scheint. Ueber das tiefe Bett eines reissenden Bachs, führte von einem Felsen zum andern, eine Brücke zu der Wohnung des frommen Einsiedlers. In der kleinen niedlichen Hütte athmete alles Ruhe, Andacht und Genügsamkeit; nutzbare Pflanzen und Kräuter blühten in dem Gärtchen vor der Wohnung, und einige sorgfältig gepflanzte Blumen, besonders Rosen, gaben dieser Wildniß einen unbeschreiblich rührenden Reiz. Ich fühlte meine Seele von dem heiligen Einfluß dieser Stelle durchdrungen, der noch mächtiger wurde, als ich die ehrwürdige Gestalt des Einsiedlers erblickte, der mich mit stiller Freundlichkeit begrüßte. Die Ruhe in seinen Zügen, die hohe Freudigkeit in seinem reinen, himmelblauen Auge, war nicht Stumpfheit oder Zerstöhrung aller menschlichen Gefühle und Wünsche, nicht wesenlose, kranke Schwärmerei – nein! es war die glückliche Auflösung aller Zweifel des Lebens, die Sicherheit vor jedem innern Kampf, die freudige Entscheidung der den Menschen wichtigsten Fragen, die Ahndung einer schönen Zukunft. – Meine Begleiter waren am Fuß des Felsens zurückgeblieben, und ich setzte mich mit dem Einsiedler auf die Rasenbank vor der kleinen Hütte, wo unschuldige Blumen uns umrankten, und die heiterste Bergluft uns umsäuselte. – Hier fanden wir uns bald in Gesprächen vertieft, wie sie nur von Menschen geführt werden können, deren Inneres ohne Falsch ist, und die sich durchaus in keinen Verhältnissen des Lebens berühren, als in solchen, welche den Menschen allgemein und heilig sind. – Ich konnte ihm alle meine Ideen, meine Zweifel und Hoffnungen über Leben und Tod, alle meine Wünsche und Neigungen frei entdecken, und fand in seinen einfachen Gegenreden, Beruhigung, Sicherheit und Freude. Dir alle unsre Gespräche, der Folge nach, mitzutheilen, ist mir unmöglich, obgleich meine ganze Seele, noch mit ihnen erfüllt ist, aber ich will hier einige Fragmente seiner Gespräche hinschreiben, in welchen Du seinen Sinn aufs getreueste übergetragen findest, wenn es auch seine Worte nicht immer sein sollten.


Es giebt Eine Religion, sagte der fromme Einsiedler, welche allen andern Religionen vorhergieng und zum Grunde liegt, und wer sie erkennt, dem geht eine Klarheit auf, in welcher er den Zusammenhang Aller einsieht, und welche Licht über alle Verhältnisse sterblicher Wesen verbreitet. – Die Gottheit hat ihren Dienst selbst geoffenbaret; es war eine Zeit, wo Götter mit den Menschen umgiengen, wo wirkliche Göttergestalten lebten. Daher die Heiligkeit des fernen Alterthums; je höher hinauf, je mehr Größe, Einfachheit, Göttlichkeit; alles deutet darauf hin. Das, was wir Mythe nennen, ist nur der ferne vielmal gebrochne Widerhall einer ehemaligen Wahrheit, nicht die Menschen erfanden es, sondern es war, und ich hoffe, dies wird einst bewiesen werden; diese Wahrheit, welche die fromme Vorwelt glaubte, und die Mitwelt vergißt, wird einst das sichre, klare Resultat der Nachforschung, der Wissenschaft, der Weisheit sein! – Erstaunt werden die Menschen dann mit Ueberzeugung anerkennen müssen, daß das Morgenland die Wiege der Menschen, der Aufenthalt der Götter war, welche die Menschen einst ihre unmittelbaren Offenbarungen würdigten, und daß alle Religionen dieses Ursprungs des einzig Wahren, sind!

Und warum sollten Offenbarungen nicht möglich, nicht wirklich sein? – Ich selbst habe die Stimme Gottes, öfters laut in meiner Seele vernommen, ein unwiderstehlicher, seeliger Drang, hat mich hinaufgezogen in den blauen, endlosen Aether, wo eine Stimme mir zurief:«Hier bin ich! hier ist Wahrheit!»– Ich weiß es gewiß, daß ich ein Theil seines Wesens bin. So wie der Aether durch die Feinheit seiner Theile überall eindringt, ohne verletzt zu werden; so bleibt der allenthalben gegenwärtige Geist in Allen, ohne verändert zu werden; und wie eine einzige Sonne die ganze Welt erleuchtet, so erhellt der Weltgeist alle Körper. Diejenigen, welche mit den Augen ruhiger Weisheit wahrnehmen, daß Körper und Geist also unterschieden sind, und daß es für den Menschen eine endliche Trennung von der animalischen Natur giebt, die gehen in das höchste Wesen über. Auch die werden mit ihm vereinigt, deren Werke nur ihn zum Gegenstand haben, die ihn als das höchste Wesen betrachten, ihm einzig dienen, allem persönlichen Vortheil entsagen, und ohne Haß unter den Menschen leben.

Doch soll der Mensch nicht unthätig, ohne Antheil, und als wäre er ohne Sinne, seine Tage auf der Erde verleben. Der Mensch soll handeln; er darf seinen natürlichen Neigungen folgen, seine Wünsche zu erfüllen streben, und die Freuden der Erde unschuldig genießen. Und nur dann wird er schuldig, wann er sein Gemüth ganz dem Irrdischen und Vergänglichen hingiebt, das ihn immer mehr mit Unruhe und niedrigen, dunkeln Leidenschaften erfüllt, und ihn, des in ihm wohnenden Gottes, und seiner eigentlichen Heimath ganz vergessen läßt. Der Mensch hingegen, welcher bei Erfüllung seiner Lebenspflichten, fern von eigennützigen Bewegungsgründen, ohne ängstliche Unruhe wegen des Erfolgs seiner Handlungen, nur das höchste Wesen vor Augen hat, der bleibt, mitten im Geräusch der Welt, rein, wie die Alpenrose von Klippen und Verheerung umgeben, unberührt ihre reinen und süßen Düfte aushauchet. Ein solcher praktischer Mensch, welcher die Pflichten seines Lebens, blos durch seinen Verstand, sein Gemüth und seine Sinne vollzieht, ohne daß dadurch die Ruhe seiner Seele gestöhrt wird, der, um seiner innern Reinheit willen, allen persönlichen Vortheil entsagt, und den Erfolg der Handlung nicht achtet, der gelangt zu einer unendlichen Glückseeligkeit, während der Unbeschäftigte, welcher dabei irdische Wünsche in seinem Herzen trägt, in den Banden der Sklaverei bleibt.

O! es wird eine Zeit kommen, wo alle Menschen wiederum niederfallen, vor dem ewigen Wesen, das alle Religionen versteht! und ich ahnde, hoffend, daß sie nicht fern ist!

Genieße die kurze Zeit, die dir noch vergönnt ist, sagte er, – indem er mir mit einem wunderbaren Ausdruck von Rührung und Mitleid ins Auge sah, – der Erde und der Gegenwart. Folge deinen Neigungen, wenn sie wahr und natürlich sind, aber verehre in deiner Seele, unermüdet, das Göttliche, was du in dir fühlst, und laß dein Gemüth, nicht von den irrdischen Sorgen und Freuden mit Unruh erfüllt, und herniedergezogen werden.


Es war spät geworden, als ich den heiligen Bewohner der Einsiedelei verließ. Die Sonne gieng mit namenloser Herrlichkeit unter, und strahlte einen überirdischen, goldnen Schimmer an die Häupter der fernen Schneegebürge! »Sonne! – sagte der fromme Bruder, mit sanft erhöhter Stimme, aber immer gleicher, ruhiger Miene, – Du bist mir das Bild der Gottheit! und du reiner Aether, der, allgegenwärtig Alles durchdringt! und wie der Liebende das Bild seiner Geliebten verehrt, also ich euch!«

Ich bat meine Begleiter unter dem Vorwand einer kleinen Unpäßlichkeit – und wirklich fühlte ich mich körperlich nicht ganz wohl – mir meinen Beitrag zur Unterhaltung für heute zu erlassen, und kam schweigend, aber voll ernster, wunderbarer Eindrücke nach Hause.


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