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Einleitung.

»Also tausend Dank, Wolfine!«

»Auf Wiedersehen!«

Sie streckte ihm die Hand noch einmal durchs Coupéfenster entgegen, und er führte die kräftige, unberingte Frauenhand, von der der Handschuh abgestreift war, an die Lippen, leise und sanft. Sie empfand noch das seelische Nachzittern dieser zarten Berührung, als der Zug bereits das Halblicht der Anhalter Bahnhofshalle verlassen hatte.

Mit geschlossenen Augen lehnte sie in den Polstern und suchte den letzten Moment des Beisammenseins festzuhalten.

Da sprach eine Dame sie an: »Ihr Herr Gemahl ist Marineoffizier, nicht wahr?«

»Ja.«

»Die Mütze und der Mantel kleiden doch zu reizend! Ihr Herr Gemahl hat wohl schon hohen Rang?«

»Korvettenkapitän.«

Es lag Wolfine auf der Zungenspitze, hinzuzufügen: »Er ist übrigens gar nicht mein Mann, sondern mein Vetter«: doch sie konnte sich nicht dazu entschließen, dieser Fremden Aufklärungen über Privatangelegenheiten zu machen. Darum schwieg sie und schloß wieder die Augen.

Die neugierige Dame ihr gegenüber glaubte, sie wollte schlafen, und gab den Versuch auf, eine Unterhaltung zu führen.

In Wolfines Ohren tönten noch die Worte: »Ihr Herr Gemahl.« Sie klangen ihr fremdartig nach einem stillen, warmen Glück.

»Es sollte wahr sein,« mußte sie denken.

Und alles stand ihr wieder vor Augen.

Wie ihr Lieblingsvetter und guter Freund, der junge Graf Wolf von Hohenecke, sie damals, als sie noch ein scheuer Backfisch gewesen, mit ungestümer Liebeswerbung überrascht hatte.

Und wie sie ihn in der Sprödigkeit ihrer unreifen Jungfräulichkeit mit herben, trotzigen Worten zurückgewiesen hatte.

Er war gegangen. Schwer gekränkt hatte er ihr den Rücken gewandt, und bei ihr war die Sehnsucht nach ihm wach geworden. Erst dann hatte sie entdeckt, daß sie ihn liebte.

Und er, statt zurückzukehren, hatte aus Trotz gegen sie, – denn auch er liebte sie – eine andre geheiratet, die sanfte Annemarie von Tschirn.

Noch jetzt, wenn sie an jene Heirat dachte, meinte sie etwas von den Qualen ohnmächtiger Eifersucht zu fühlen.

Sie selbst wurde älter und lernte allerlei Männer kennen. Aber immer mußte sie die andern mit Wolf vergleichen, und dann schienen sie ihr wertlos.

Manchmal hatte sie gewünscht, Wolf nie gesehen zu haben.

Ihre Eltern starben. Ihre Brüder starben. Ihr Heimatsgut ging auf eine männliche Seitenlinie über. Sie bezog eine Rente, die ihr eine sorgenfreie Existenz möglich machte.

So hatte sie die Unruhe ihrer Sehnsucht nach jenem einen Glück in die Wälder und Berge getragen und auf das Meer.

Aber weder auf dem Pferd oder Fahrrad, noch im sausenden Schnellzug, noch aus Schneeschuhen auf verschneiten Bergrücken hatte sie die Ruhe erjagen können.

Dann starb Wolfs Frau.

Und da hatte er sie, Wolfine, zum zweitenmal gebeten: »Komm zu mir.«

Nur daß er dieses Mal nicht stürmte: »Sei mein!« sondern ruhig sagte: »Sei meinem Kind eine Mutter.«

Und wieder hatte sie nicht gekonnt.

Denn nun wußte sie, daß er seine Tochter zärtlicher liebte, als sie, – Annemaries Tochter! Und sie fühlte, daß das tödliche Gift der Eifersucht in ihrem Blute lag. Sie hätte es nicht leicht ertragen, fort und fort mit ansehen zu müssen, daß ein andres Wesen in seinem Herzen den ersten Platz einnahm. Absichtlich hatte sie sich von seiner Frau stets ferngehalten. Und sie meinte, keine Liebe für deren Tochter fassen zu können.

Und als sie ihm so traurig geantwortet hatte: »Ich kann nicht«, und er unwirsch nach dem »Warum« gefragt, hatte sie ihm einfach gestanden: »Weil ich deine Tochter nicht lieben kann.«

Darauf hatte er nicht mehr in sie gedrungen und nie mehr.

»Einmal bist du zu früh gekommen,« sagte sie trübe, »und das andre Mal zu spät.«

Aber nun waren sie wenigstens wieder Freunde geworden und sahen sich, wenn er einmal in Berlin oder Kiel weilte, und auch wohl mitunter in einem ausländischen Hafen.

Er hatte sein Töchterchen zu den Verwandten seiner Frau gethan. Annemaries einziger Bruder, Günther von Tschirn, bewirtschaftete sein etwas verschuldetes Gut in Franken. Er war unverheiratet, aber Tante Guendoline, eine Schwester seines Vaters, stand dem Haus seit langen Jahren vor und hatte schon die Annemarie aufgezogen.

In ihre milde Pflege kam also das Kind Maria.

Da, nachdem Jahre dahingegangen, trat etwas Unerwartetes ein: Günther brachte sich von einer Reise eine junge Frau mit.

Sie kam wie das Mädchen aus der Fremde: ohne Anhang, ohne daß man von ihrer Herkunft wußte, freilich aber auch ohne Vermögen.

Niemand begriff recht, wie der einsiedlerische, stille, ernste Tschirn zu dieser Frau eigentlich kam. Aber sie war da, und Mervisrode hatte eine junge Herrin.

Wolf Hohenecke war auf der See, als diese Nachricht ihn erreichte. Er erhielt gleichzeitig Briefe von Günther, Maria und der jungen Frau, in denen diese drei Personen ihn innigst baten, alles beim alten zu lassen. Maria fühlte sich glücklich.

Einige Monate später, auf der Heimreise begriffen, hatte der Graf noch eine Post desselben Inhalts bekommen. Daneben schrieb ihm die junge Frau von Tschirn, daß sie sich entschlossen hätte, um die Finanzen etwas aufzubessern, Sommergäste »von Distinktion« gegen Zahlung bei sich aufzunehmen.

Alles dies hatte Wolfine eben von ihrem Vetter gehört.

Er war in Unruhe und Sorge um sein Kind gewesen.

»Sieh 'mal, ich kenne diese Frau nicht und habe keine Zeit, sie kennen zu lernen. Günther ist natürlich nicht neutral. Wie soll ich wissen, ob sie für Maria ein wünschenswerter Umgang ist? Wenn du sie dir einmal für mich ansehen wolltest, Wolfine!« Da hatte sie es ihm versprochen.

Er meldete sie sogleich als Pensionsgast für die Sommermonate in Mervisrode an, und nun saß sie im Schnellzug, um »ins Land der Franken« zu fahren und Frau von Tschirn »für ihn« kennen zu lernen.


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