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Graf und Gräfin Hohenecke wohnen jetzt in Kiel; den Sommer aber, – der Graf ist meistens auf See, – bringt Wolfine mit ihrer Stieftochter, von der sie sich nicht mehr trennt, bei Günther und der guten alten Tante in Mervisrode zu.
Die schöne Maria hat manchen Freier gefunden, aber sie hat sich in den Ruf gebracht, einen Marmorstein statt des Herzens in der Brust zu tragen. Die junge Herrenwelt ihres Gesellschaftskreises hat ihr den Beinamen gegeben: das »Bild ohne Gnade.«
Sonst gibt sie zu Klagen keine Veranlassung. Sie ist gleichbleibend liebenswürdig und heiter, ebenso bereit im Winter, Feste zu besuchen, ins Theater zu gehen und zu tanzen, wie im Sommer mit der geliebten und bewunderten Stiefmutter dem Sport zu huldigen.
Von Uglar spricht sie nie.
Dieser hatte den Rest seines Vermögens dazu benutzt, in Deutsch-Südafrika eine Pflanzung anzulegen, um in dem entbehrungsreichen schlichten Ansiedlerleben seine moralische Kraft zurückzuerobern.
Als jedoch das benachbarte und stammverwandte Burenvolk den Kampf für seine Freiheit begann, erwachte in Uglar der alte Soldatengeist, und er stellte sich unter den Ersten als freiwilliger Mitkämpfer.
Er hatte von Zeit zu Zeit an Wolfine geschrieben, und sie hatte ihm geantwortet und, soweit sie es zu dürfen glaubte, auch von Maria erzählt. Aber weder ihr Mann noch Maria erfuhren von diesen Briefen.
Wolf Hohenecke hatte seiner Tochter ein einziges Mal kurz und bündig erklärt, daß er von einer Verbindung zwischen ihr und Uglar nie etwas hören wolle, und daß sie versuchen müsse, nicht mehr an ihn zu denken.
Seitdem war im Hause Hohenecke von Karl Uglar nicht mehr die Rede.
Allein Wolfine wußte, daß Maria dennoch an ihn dachte und an keinen andern. Denn Maria war eine tieftreue Natur und eine solche, die nur einmal liebt.
Es war im Januar 1900, und Wolf Hohenecke weilte gerade bei seiner Familie in Kiel, als Wolfine den ersten Brief Uglars aus Prätoria erhielt, der ihr die Nachricht brachte, daß er in die Reihen der für ihr Land und ihre Freiheit kämpfenden Buren eingetreten sei.
Wie viele Deutsche, nahmen auch Hoheneckes mit Leidenschaft für das bedrängte tapfere Bauernvolk Partei.
Wolfine konnte es diesmal nicht über sich gewinnen, ihrem Mann die Neuigkeit von Uglar vorzuenthalten.
Sie zeigte ihm den Brief.
Wolf las mit sichtlichem Interesse, und als er am Ende war, las er den Brief noch einmal.
»Er hat doch Rasse,« sagte er, als er am Ende war, und noch einmal: »es steckt doch Rasse in dem Kerl.« Dann, nach einer gedankenvollen Pause: »Glaubst du, daß Maria noch an ihm hängt?«
»Ja, das glaub' ich.«
»Hast du mit ihr darüber gesprochen?«
»Nein. Es konnte zu nichts führen und wäre doch auch nicht in deinem Sinn gewesen.«
»Du bist so weise, wie du reizend bist,« sagte er mit zärtlicher Galanterie. »Ich möchte aber doch einmal peilen.«
Maria wurde gerufen und erschien nichtsahnend.
»Ja, Papa?«
»Meine liebe Tochter,« begann der Graf diplomatisch, »es geht mir im Kopf herum, daß es nachgerade Zeit für dich ist, zu heiraten. Kannst du dich nicht für einen von den achtungswerten jungen Männern, die sich um dich bemühen, entschließen?«
»Bitte, Papa, erlaß es mir! Ich möchte nicht heiraten.«
»Ich fürchte, du denkst noch immer an Uglar.«
Maria seufzte leise und schwieg. Aber sie war bei Erwähnung dieses Namens so schnell rot geworden, wie vorher bleich.
Da gab ihr der Graf mit einem kurzen, Erlaubnis formell einholenden Blick nach Wolfine, Uglars Brief in die Hand.
Die Wirkung dieser Ueberraschung war heftiger, als der Graf vorausgesehen.
Maria, die sofort die Handschrift erkannte, begann an allen Gliedern zu zittern vor Aufregung.
Sie ließ sich in den nächsten Sessel fallen und las – nein, – verschlang den Inhalt des Schreibens.
Wie ein Verdurstender Wasser trinkt, sog sie die Worte Uglars ein!
Der Graf und Wolfine, die sie stumm im Auge behielten, konnten an der Wahrheit ihrer Leidenschaft für Uglar nicht mehr den leisesten Zweifel haben. Sie schien den Brief auswendig lernen zu wollen.
Endlich sagte der Graf: »Nun?«
Sie blickte bestürzt auf.
»Würdest du auch nicht heiraten mögen, wenn Karl Uglar um dich anhielte?«
Sie warf sich ihrem Vater an die Brust und schaute mit großen bittenden, fragenden Augen zu ihm auf, wie sie es oft als Kind gethan.
»Wirst du das erlauben?«
Seine Hand glitt liebkosend über ihren Kopf. Er war sehr bewegt und sehr ernst.
»Meine arme Mieze,« sagte er, unwillkürlich ihren Kindernamen brauchend. »Ja, Herr von Uglar hat bewiesen, daß er noch immer ein Mann ist und vergangene Sünden zu sühnen den Willen und die Kraft hat. Aber bedenke, daß ihn eine englische Kugel jeden Tag treffen kann.«
Maria senkte den Kopf. »Wenn der liebe Gott es will,« sagte sie ergeben und zuversichtlich.
Der Graf wechselte einen raschen, freudig gerührten Blick mit seiner Frau.
»Das ist die rechte Auffassung, mein Kind,« sagte er warm zu Maria. »Eigentlich sind wir ja alle täglich in Gefahr, und eine Seemannstochter ist daran gewöhnt, ihre Lieben in Gefahr zu wissen. Also wollen wir deine Zukunft in Gottes Hand legen. Ich aber darf dir heute das Versprechen geben: kommt Uglar lebend aus diesem Krieg und bittet er mich dann um deine Hand, so sollst du ihn haben. Und du, meine liebe Wolfine, kannst ihm das meinetwegen heute noch schreiben.«
Während Maria ihren Vater unter Thränen der Freude innig umarmte, schweiften Wolfines Gedanken noch einmal zurück zu jenem seltsam irrlichtelierenden Kobold: Frau Susi.
Niemand hatte wieder etwas von ihr gehört. Sie schien zerstoben und zu nichts geworden, wie eine schillernde Seifenblase.
Ende.