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PARODIE
Mein Held, ein Autor nun, schweigt still zu dieser Zeit.
Blättert nur weiter, wenn euch Reflexion langweilt.
Doch bleibt, wenn ihr der ernsten Muse würdig seid,
Schlaft oder lest, wie's g'rad' euch zugeteilt.
»Die Flügel schwingt mein Geist
Und fliegt, wohin ihn Englands Frühling weist.
Mit stolzem Auge zieh'n die Herr'n vorbei,
Die hohen Sinns, doch nicht des Trotzes frei,
Auf Großes für die Menschheit sind bedacht.«
GOLDSMITH
Ich hege keinerlei Achtung für einen Engländer, der nach langem ausländischen Aufenthalt London ohne beschleunigten Puls und hochschlagendes Herz wieder betritt. Es gibt zwar nur wenige, und zumeist durchschnittliche, öffentliche Gebäude; die Altertümer sind nicht denen vergleichbar, deren sich gar die kümmerlichste italienische Stadt rühmen kann; die Schlösser sind ein trauriger Bettel; die Häuser unseres Adels sind schäbige, formlose Backsteinhaufen. Aber was bedeutet das schon? Londons Geist liegt in seinen Straßen – seiner Bevölkerung! Welch ein Wohlstand – welch eine Reinlichkeit – welch eine Ordnung – welch eine Lebhaftigkeit! Wie majestätisch und dennoch lebendig rinnt das Leben durch seine Myriaden von Adern! Wenn die Lichter nachts aufstrahlen und Straße um Straße an den Rädern vorbei gleiten, jede so geregelt in ihrer Symmetrie, so ebenmäßig in ihrer Bürgerlichkeit – Der Rest des Satzes wurde in der zweiten Auflage gestrichen. – Anm.d.Übers. welch ein Gefühl, in der Hauptstadt freier Menschen zu sein, wo gesunde Einrichtungen wirken und die unverdorbenen Energien jugendlicher Kraft triumphieren.
Ja, Maltravers fühlte, wie ihm sein Herz schwoll, als die Postpferde vor seiner beschmutzten Kutsche voran liefen – über die Westminster-Brücke – an der Whitehall Sitz der britischen Regierung. – Anm.d.Übers. vorbei – durch die Regent Street Rathausplatz. – Anm.d.Übers. – hin zu einem der ruhigen und privathausähnlichen Hotels im Viertel um den Grosvenor Square. Ein Platz inmitten eines der exklusivsten Viertel der Stadt. – Anm.d.Übers. Sodann die Wärme, die Bequemlichkeit, die Aufwartung in einem englischen Hotel! Wahrhaftig, es ist eine bezaubernde Stadt für die Reichen; aber für die Armen – » ah, si vous ê tes p–de c–tant pis pour vous!« Voltaire. – »Oh, Sie sind arm – das tut mir leid für Sie!« – Der gesamte Satz wurde in der zweiten Auflage gestrichen. – Anm.d.Übers.
Ernests Ankunft war erwartet worden. Er hatte aus Paris an Cleveland geschrieben, um sie anzukündigen; und Cleveland hatte ihn in seiner Antwort benachrichtigt, dass bei Mivart's 1812 von James Mivart auf der Brook Street 51 eröffnet. Das Hotel existiert noch heute unter dem Namen »Claridges Hotel London«. – Anm.d.Übers. Zimmer für ihn reserviert waren. Lächelnd geleiteten ihn Bediente zu einem weitläufigen, wohlriechenden Raum – der Lehnstuhl stand bereits am Feuer – etwa zwanzig Briefe lagen zusammen mit der Abendzeitung über den Tisch verstreut. Und wie beredt sprechen diese Abendzeitungen von der Rührigkeit Englands! Ein Fremder hätte keinen Freund gebraucht, um sich wohlzufühlen – der ganze Raum lächelte ihm einen Willkommensgruß zu.
Maltravers bestellte sein Abendessen und öffnete seine Briefe; sie waren nicht von Bedeutung: einer von seinem Verwalter, einer von seinem Bankier, ein weiterer wegen der Bezirkswettrennen, ein vierter von einem Mann, von dem er noch nie gehört hatte, der um die Stimme und den mächtigen Einfluss von Mr. Maltravers in der Grafschaft B*** bat, sollte sich das Gerücht um die Parlamentsauflösung bewahrheiten; der unbekannte Kandidat bezog sich Mr. Maltravers gegenüber dabei auf sein »wohlbekanntes Ansehen in der Öffentlichkeit«. Von diesen Zuschriften wandte sich Ernest ungeduldig ab und bemerkte eine kleine, dreieckig gefaltete Mitteilung, die bislang seiner Aufmerksamkeit verborgen geblieben war. Sie stammte von Cleveland, deutete an, dass er in der Stadt weile und dass sein Gesundheitszustand weiterhin den Ausgang verbiete, dass er aber hoffe, seinen lieben Ernest zu sehen, sobald er angekommen sei.
Maltravers freute sich über die Aussicht, den Abend so angenehm zu verbringen; er erledigte rasch sein Abendessen und die Zeitungen und suchte im hellen Londoner Laternenlicht eines frostigen Abends Anfang Dezember das Haus seines Freundes in der Curzon Street auf, einen kleinen, anspruchlosen Junggesellenwohnsitz, denn Cleveland verbrauchte sein bescheidenes, aber hinreichendes Vermögen fast vollständig auf seinem Landsitz. Das vertraute Gesicht des alten Dieners begrüßte Ernest an der Tür, und er blieb nur stehen, um zu vernehmen, dass sein Vormund fast wieder seinen normalen Gesundheitszustand zurückgewonnen habe, ehe er sich in dem heiteren Wohnzimmer wiederfand und – da Engländer sich bekanntlich nicht umarmen – den herzlichen Handschlag des freundlichen Cleveland erwiderte.
»Also, mein lieber Ernest«, sagte Cleveland, nachdem sie das einleitende Frage-Antwort-Spiel hinter sich hatten, »nun bist du endlich wieder da – dem Himmel sei's gedankt. Und wie gut du ausschaust – du hast bedeutend gewonnen! Es ist ein vortrefflicher Zeitraum des Jahres für dein Londoner Debüt. Ich werde Zeit haben, dich mit Leuten bekannt zu machen, bevor der Rummel der ›Saison‹ anhebt.«
»Oh, ich gedachte aber nach Burleigh, meinem Landsitz, zu gehen. Ich habe ihn seit meiner Kindheit nicht gesehen.«
»Nein, nein! du hattest Einsamkeit genug am Comer See, wenn man deinem Brief trauen kann; jetzt musst du dich unter die große Londoner Welt mischen: du wirst Burleigh im Sommer um so mehr genießen.«
»Ich fürchte, diese große Londoner Welt wird mir sehr wenig Freude bereiten; sie mag erfreulich genug sein für junge Männer, die gerade die Hochschule verlassen haben, aber all die überfüllten Ballsäle und eintönigen Clubs können jemanden, der vor dieser Zeit bereits wählerisch geworden ist, nur langweilen. J' ai vè cu beaucoup dans peu d' anné es. Ich habe in wenig Jahren schon sehr viel erlebt. – Anm.d.Übers. Ich habe schon in der Jugend zu einen zu großen Wechsel auf das Kapital des Daseins gezogen, um mich am protzigen Geiz erfreuen zu können, mit dem unsere großen Männer ihre Vergnügungen betreiben.«
»Urteile nicht, bevor du eine Probe durchlaufen hast«, riet Cleveland: »es liegt etwas zutiefst Unverächtliches in dem reichen Glanz, der durchaus nicht nachlassenden Großartigkeit, mit der die Häupter englischen Geschmacks sogar die belangslosesten Vergnügen gestalten. Überdies musst du nicht unbedingt mit den ›Schmetterlingen‹ leben. Es gibt eine große Zahl von ›Bienen‹, die sehr glücklich wären, deine Bekanntschaft zu machen. Füge dem, mein lieber Ernest, das Gefühl hinzu, – nun ja: von Bedeutung für das eigene Land zu sein. Denn du bist jung, von guter Geburt und hinreichend hübsch, um bei Müttern und Töchtern Interesse zu wecken, während zugleich dein Name, dein Vermögen und deine Bedeutung dazu führen werden, dass dich Männer hofieren, die von dir Geld borgen oder deinen Einfluss in deiner Grafschaft erlangen möchten. Nein, Maltravers, bleib in London – vergnüge dich das erste Jahr und entscheide erst im nächsten über deine Beschäftigung und deine Laufbahn; recognosziere zuerst das Feld, bevor du zur Schlacht schreitest.«
Maltravers folgte seines Freundes Rat nicht ungern, weil er so seiner Führung und Gesellschaft teilhaftig wurde. Darüber hinaus dünkte es ihn weise und vernünftig, von Angesicht zu Angesicht die herausragenden Männer Englands zu erleben, mit denen er, falls er sein Versprechen De Montaigne gegenüber einlöste, sich einen ehrenvollen Wettbewerb zu liefern hatte. Daher stimmte er Clevelands Vorschlägen zu.
»Und hast du«, sagte er, zögernd an der Tür verweilend, nachdem ihn der Glockenschlag um zwölf zum Aufbruch gemahnt hatte, »hast du niemals irgendetwas gehört von meiner – meiner -von der unglücklichen Alice Darvil?«
»Von wem? – Ah, von dieser armen jungen Frau: ich erinnere mich! – nein, kein Wort.«
Maltravers atmete tief durch und ging.