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In der Gewalt des Waldmenschen

Als Jane Porter bemerkte, daß sie als Gefangene fortgeschleppt wurde von dem seltsamen Waldmenschen, der sie aus den Armen des Affen befreit hatte, sträubte sie sich voll Verzweiflung und suchte ihm zu entwischen, aber seine starken Arme, die sie so leicht davon trugen, als ob sie ein kleines Kind wäre, hielten sie nur noch fester.

So gab sie denn ihren vergeblichen Versuch auf und blieb ruhig liegen, indem sie mit halbgeöffneten Augen in das Gesicht des Mannes schaute, der so schnell mit ihr durch das dichte Gestrüpp hindurcheilte.

Das Gesicht, das sie betrachtete, war von außergewöhnlicher Schönheit. Es war das vollkommene Urbild der männlichen Stärke und weder durch Ausschweifungen, noch durch rohe, entwürdigende Leidenschaften verunstaltet. Tarzan hatte zwar Menschen und Tiere getötet, aber er tötete wie der Jäger ohne Leidenschaft, mit Ausnahme der seltenen Fälle, wo er aus Haß tötete, aber auch dann war es nicht der böswillige Haß, der sich in häßlichen Gesichtslinien ausprägt. Wenn Tarzan tötete, dann ging eher ein leichtes Lachen über sein Gesicht, als daß er düster dreinblickte, und dieser Frohsinn ist die Grundlage der Schönheit.

Etwas, was Jane an Tarzan aufgefallen war, als Tarzan auf Terkop losstürzte, war ein roter Streifen, der auf seiner Stirn vom linken Auge über den Schädel hinauflief, aber jetzt sah sie dort nur mehr eine dünne weiße Linie.

Als sie ruhiger in Tarzans Armen liegen blieb, ließ sein Druck erheblich nach.

Einmal schaute er ihr in die Augen und lächelte, und als sie ihre Augen schloß, sah sie immer noch sein schönes, anziehendes Angesicht.

Jetzt schritt Tarzan zwischen den Bäumen hindurch, und Jane Porter wunderte sich, daß sie keine Furcht mehr empfand. Sie sagte sich nämlich, in mancher Hinsicht habe sie sich noch nie in ihrem Leben so sicher gefühlt als jetzt, da sie in den Armen dieses starken, wilden Menschen lag, der sie immer tiefer in die Einsamkeit des Urwaldes brachte.

Wenn sie bei geschlossenen Augen über ihre Zukunft nachdachte und die lebhafte Einbildungskraft ihr allerlei Schrecken vormalte, so brauchte sie bloß ihre Augenlider zu öffnen und auf das edle Gesicht über ihr zu blicken, um auch den letzten Rest von Furcht zu verlieren.

Nein, er würde ihr nichts zu leide tun! Dessen war sie sicher.

Alles, was sie um sich sah, war eine dichte grüne Wand, aber überall schien sich wie durch eine Zauberkraft diesem Waldgott ein Weg zu öffnen, der sich nach seinem Durchgang wieder schloß.

Während Tarzan rüstig weiterschritt, durchzogen allerlei sonderbare neue Gedanken sein Gehirn. Hier war ein Fall, wie er ihm noch nie begegnet war, und er sagte sich, er müsse sich dabei wie ein Mensch, nicht aber wie ein Affe benehmen. Der anstrengende Marsch durch den Wald hatte die Aufregung seiner ersten wilden Leidenschaft abgekühlt. Er dachte jetzt über das Schicksal nach, das das Mädchen ereilt hätte, wenn er es nicht aus Terkops Fäusten befreit hätte.

Er wußte, weshalb der Affe sie nicht getötet hatte, und er fing an, seine eigene Absicht mit der Terkops zu vergleichen.

Es war allerdings in der Dschungel die Regel, daß das Männchen das Weibchen mit Gewalt fortnahm, aber durfte Tarzan sich von dem Gesetz der wilden Tiere leiten lassen? War Tarzan nicht ein Mensch? Aber wie würde ein Mann in diesem Falle handeln?

Er war ganz verwirrt, denn er wußte es nicht.

Gern hätte er das Mädchen befragt, und da fiel es ihm ein, daß sie ihm schon dadurch geantwortet hatte, daß sie versuchte, ihm zu enteilen und daß sie ihn zurückgestoßen hatte.

Nun waren sie an ihrem Bestimmungsort angelangt: in der Lichtung, in der die großen Affen ihre Versammlungen abhielten und ihre wilden Dum-Dum-Tänze aufführten.

Sie hatten schon viele Meilen zurückgelegt, und es war bereits spät am Nachmittag. Über dem Amphitheater breitete sich schon das Halbdunkel aus.

Der grüne Rasen war so weich und kühl und einladend. Das Geräusch der Dschungel schien jetzt weit entfernt zu sein, und man hörte es nur mehr leise wie die Brandung einer fernen Küste.

Das Gefühl einer märchenhaften Stille kam über Jane Porter, als sie auf dem Grase lag, auf das Tarzan sie gelegt hatte, und zu der hohen Gestalt über sich emporblickte.

Als sie mit halbgeöffneten Augen ihn betrachtete, ging er über den Halbkreis der Lichtung nach den Bäumen hin. Dabei fiel ihr seine geschmeidige Bewegung, seine vornehme Haltung und die tadellose Ebenmäßigkeit seines Körpers auf.

Welch vollkommenes Geschöpf! In einem so göttlichen Äußeren konnte doch keine Grausamkeit und keine Niedrigkeit verborgen sein. Noch nie, dachte sie, ist ein solcher Mann über die Erde gewandelt, seitdem Gott den ersten Menschen nach seinem Ebenbilde schuf.

Mit einem Sprung verschwand Tarzan zwischen den Bäumen. Jane Porter fragte sich, wohin er wohl gegangen war. Sollte er sie etwa ihrem Schicksal in der einsamen Dschungel überlassen?

Erregt schaute sie umher. Jeder Busch schien ihr der Versteck irgendeines wilden Tieres zu sein, das auf sie lauerte. Jedes Geräusch schien ihr das Herannahen einer Bestie zu verkünden.

So saß sie einige Minuten in fürchterlicher Angst da, und diese wenigen Minuten kamen ihr wie lange Stunden vor.

Da hörte sie hinter sich ein Geräusch. Mit einem Schrei sprang sie auf, und – sah Tarzan dort stehen, die Arme gefüllt mit reifen, verlockenden Früchten.

Jane Porter taumelte, und sie wäre zu Boden gestürzt, wenn Tarzan, seine Last fallen lassend, sie nicht in seinen Armen auf. gefangen hätte. Sie war nicht ohnmächtig, aber sie drückte sich zitternd an ihn.

Tarzan streichelte ihr weiches Haar und suchte sie zu beruhigen, so wie Kala es mit ihm gemacht hatte, wenn er durch Sabor, die Löwin, oder Histah, die Schlange erschreckt worden war.

Sanft drückte er seine Lippen auf ihre Stirne; sie rührte sich nicht, sondern schloß bloß die Augen und seufzte.

Sie konnte sich über ihre Gefühle nicht klar werden, und versuchte es auch gar nicht. Sie war zufrieden, sich in diesen starken Armen sicher zu fühlen, und überließ der Zukunft ihr Schicksal. In den letzten Stunden hatte sie die Gewißheit erlangt, daß sie diesem merkwürdigen Urmenschen mehr vertrauen konnte als irgend einem Manne ihrer Kreise.

Als sie über die Seltsamkeit dieses Falles nachdachte, kam es ihr zum Bewußtsein, daß sie bei dieser Gelegenheit vielleicht etwas kennen gelernt hatte, was sie vorher noch nicht in Wirklichkeit kannte, nämlich die Liebe. Sie wunderte sich darüber und lächelte.

Und sanft schob sie Tarzan von sich. Mit einem halb lächelnden, halb neckischen Ausdruck, der ihr Gesicht ganz reizend erscheinen ließ, zeigte sie nach den Früchten auf dem Boden und setzte sich auf die Kante der Affen-Erd-Trommel, denn der Hunger meldete sich bei ihr.

Tarzan hob eilig die Früchte auf und legte sie ihr zu Füßen. Dann setzte er sich neben sie und schnitt ihr mit seinem Messer die verschiedenen Früchte zurecht.

Während beide am Essen waren, sahen sie sich gelegentlich verstohlen lächelnd an, bis schließlich Jane Porter in lautes Lachen ausbrach, in das Tarzan mit einstimmte.

Ich wünschte, Sie könnten englisch sprechen, sagte das Mädchen.

Tarzan schüttelte den Kopf, indem er halb wehmütig dreinschaute.

Dann versuchte Jane Porter französisch mit ihm zu sprechen, und dann deutsch, aber sie mußte selbst lachen über den Versuch, den sie mit der deutschen Sprache machte.

Ich sehe wohl, sagte sie dann auf englisch, daß Sie mein Deutsch nicht besser verstehen, als man es in Berlin verstanden hat.

Tarzan hatte schon lange überlegt, wie er sich weiterhin benehmen sollte. Er hatte über all das nachgedacht, was er über den Verkehr zwischen Mann und Weib in den Büchern gelesen hatte. Er wollte denn auch so handeln, wie in den Büchern ein Mann an seiner Stelle gehandelt hätte.

Er stand auf, aber ehe er fortging, suchte er Jane Porter durch Zeichen zu verstehen zu geben, daß er bald wiederkommen werde. Sie begriff es denn auch und erschrak nicht über sein Fortgehen.

Sie schaute aber sehnsüchtig nach der Stelle, wo sie ihn zwischen den Bäumen hatte verschwinden sehen. Als sie ein Geräusch hörte, sah sie ihn mit einem Arm voll belaubter Zweige zurückkehren.

Dann lief er noch ein paar mal in die Dschungel und brachte jedesmal einen Haufen Gras, große Blätter und Farrenwedel mit. Er bereitete ihr damit ein weiches Lager. Große Gras- und Farrenbüschel legte er auf die Erde und steckte die Zweige so in den Boden, daß sie ein Dach bildeten. Das Ganze bekleidete er mit Blättern und schloß das eine Ende der zeltartigen Hütte.

Als er diese Arbeit vollendet hatte, setzten sich die beiden noch eine Weile auf die Erdtrommel und versuchten durch Zeichen mit einander zu sprechen.

Das prachtvolle Diamanten-Medaillon, das an Tarzans Halse hing, hatte schon lange die Neugier Jane Porters erregt. Sie wies mit dem Finger darauf, und er nahm es sofort vom Halse und gab ihr es.

Sie sah, daß es das Werk eines tüchtigen Goldschmieds war, und daß die Diamanten von großem Glanze waren, aber aus ihrer Form konnte man ersehen, daß sie aus einer früheren Zeit stammten.

Da bemerkte sie, daß das Medaillon sich öffnen ließ, und als sie durch einen Druck es geöffnet hatte, sah sie im Innern zwei Elfenbein-Miniaturen.

Die eine stellte eine schöne Frau dar, die andere einen jüngeren Mann, der, abgesehen von einem etwas andern Gesichtsausdruck, dem neben ihr sitzenden jungen Mann sehr ähnlich sah.

Er neigte sich zu ihr, um die Bilder verwundert zu betrachten. Offenbar hatte er diese noch nicht gesehen und nicht gewußt, daß das Medaillon sich öffnen ließ. Er nahm es wieder in die Hand und sah die Bilder mit lebhafter Teilnahme an.

Jane Porter fragte sich, wie dieser schöne Schmuck wohl in den Besitz dieses wilden Menschen in der unerforschten afrikanischen Wildnis gelangt sein konnte. Das war um so sonderbarer, als das eine Bild den Bruder oder wahrscheinlich den Vater dieses Wald-Halbgottes darstellte, der nicht einmal etwas davon gewußt hatte.

Tarzan hatte die beiden Bilder schweigend betrachtet. Dann nahm er seinen Köcher von der Schulter, und nachdem er die Pfeile herausgezogen hatte, holte er unten aus dem Behälter ein kleines Paket, das in weiche Blätter eingewickelt und mit Gräsern zusammengebunden war.

Er öffnete es vorsichtig, entfernte ein Blatt nach dem andern, bis schließlich eine Photographie zum Vorschein kam.

Indem er mit dem Finger auf das eine Miniaturbild zeigte, reichte er Jane Porter die Photographie.

Sie sah auf den ersten Blick, daß das offenbar derselbe junge Mann war, der auf der Miniatur dargestellt war.

Tarzan sah sie fragend an. Sie zeigte mit dem Finger auf die Photographie, dann auf die Miniatur und zuletzt auf ihn, um anzudeuten, daß die zwei Bilder Ähnlichkeit mit ihm hätten, aber er schüttelte den Kopf und zuckte die Schultern; dann nahm er die Photographie, wickelte sie wieder sorgfältig ein und legte sie in den Köcher zurück.

Einige Augenblicke saß er schweigend da, die Augen auf den Boden gerichtet, indes Jane Porter noch immer das Medaillon in der Hand hielt, es hin und her drehte und darüber nachdachte, wen die Bilder wohl vorstellen könnten.

Zuletzt fiel ihr eine einfache Erklärung ein.

Das Medaillon hatte Lord Greystoke gehört, und die Bilder stellten ihn und Lady Alice dar.

Dieser wilde Mensch hatte es in der Hütte gefunden. Wie dumm, daß sie nicht schon früher auf diesen Gedanken gekommen war!

Was aber die sonderbare Ähnlichkeit zwischen Lord Greystoke und diesem Waldgott betraf, so wußte sie sich diese in keiner Weise zu erklären; sie konnte ja auch nicht auf den Gedanken kommen, daß dieser nackte Wilde in Wirklichkeit ein adeliger Engländer sei.

Eine Weile sah Tarzan ihr zu, wie sie das Medaillon prüfte, und er erriet ihr Interesse dafür an dem Ausdruck ihres lieben Gesichtes.

Sie bemerkte, daß er sie betrachtete, und sie dachte, er wünsche sein Schmuckstück zurück. Sie reichte es ihm denn auch hin; er nahm es, hielt aber die Kette auseinander und hing sie ihr um den Hals, und dabei lächelte er, als er auf ihrem Gesicht den Ausdruck der Verwunderung über dieses unerwartete Geschenk las.

Jane Porter schüttelte heftig den Kopf und wollte die goldene Kette wieder von ihrer Brust nehmen, aber Tarzan wollte dies nicht dulden. Er ergriff ihre Hände und hielt sie fest. Zuletzt gab sie nach, und indem sie lächelnd das Schmuckstück an die Lippen führte, stand sie auf und machte einen Knicks vor ihm.

Tarzan wußte nicht recht, was sie damit meinte, aber er nahm an, das sei der Ausdruck ihres Dankes für das Geschenk, und so stand auch er auf, verbeugte sich ernst wie ein Höfling und drückte dann seine Lippen auf dieselbe Stelle, die sie geküßt hatte.

Es war ein galantes Kompliment, das er eigentlich unbewußt vollbrachte, ein Zeichen seiner aristokratischen Geburt, ein natürlicher Ausfluß der ihm angeborenen Höflichkeit, die auch sein Aufwachsen im Urwald nicht hatte zerstören können.

Jetzt war es dunkle Nacht, und so aßen beide noch einmal von den saftigen Früchten, die ihnen gleichzeitig Speise und Trank waren. Dann stand Tarzan auf, und deutete ihr durch Zeichen an, sie möchte sich zur Ruhe hinlegen.

Anfänglich hatte sie etwas Angst, aber die halbtägige Berührung mit dem jungen Mädchen hatte Tarzan völlig verändert. Er war jetzt ein ganz anderer Mensch als er es noch am Vormittag gewesen war. Zwar war er nicht plötzlich aus einem wilden Affenmenschen ein vornehmer Gentleman geworden, aber der ererbte Instinkt seiner Familie siegte über die Triebe der Natur. Er hatte nur den einen Wunsch, dem geliebten Weibe zu gefallen und einen guten Eindruck auf Jane zu machen.

Um sie zu beruhigen, zog er sein Jagdmesser aus der Scheide und gab es ihr.

Sie verstand seine Absicht, nahm das Messer und begab sich in ihre Laubhütte, wo sie es neben sich legte.

Tarzan aber legte sich vor den Eingang ihres Lagers.

So fand die aufgehende Sonne sie am folgenden Morgen.

Als Jane Porter erwachte, konnte sie sich anfänglich gar nicht an all die sonderbaren Ereignisse des vergangenen Tages erinnern. Sie wunderte sich über das merkwürdige Dach über sich, über das weiche Gras ihres Lagers und die Öffnung, die sie zu ihren Füßen sah.

Nach und nach kamen ihr die Einzelheiten wieder zum Bewußtsein, und sie staunte über alles, was sie erlebt hatte. Zugleich aber kam ein mächtiges Gefühl der Dankbarkeit in ihr auf, daß sie aus so großer Gefahr errettet worden und daß ihr kein Leid widerfahren war.

Sie stand auf, um nach Tarzan zu schauen. Er war schon fort, aber es war ihr gar nicht bange, denn sie war überzeugt, daß er zurückkehren würde.

In dem Grase vor ihrem Lager sah sie die Stelle, wo er die ganze Nacht gelegen hatte, um sie zu bewachen. Der Gedanke, daß er nahe bei ihr war, hatte sie ja auch so ruhig schlafen lassen.

Was brauchte sie in seiner Nähe zu fürchten? Sie fragte sich, ob es irgend einen Mann auf der Welt gäbe, bei dem sich ein Mädchen im Herzen dieses wilden afrikanischen Urwaldes so sicher fühlen könnte. Sie brauchte jetzt sogar keine Angst vor den Löwen und den Panthern mehr zu haben.

Als sie aufschaute, sah sie ihn von einem nahen Baume heruntersteigen. Sobald er sie erblickte, leuchtete in seinem Gesicht das frische Lächeln, das am Tage zuvor ihr Vertrauen gewonnen hatte.

Je näher er kam, desto schneller schlug ihr Herz und ihre Augen strahlten, wie noch nie beim Herannahen eines Mannes.

Er hatte wieder Früchte gesammelt, und legte sie vor sie hin. Dann setzten sich beide und aßen.

Jane Porter fing jetzt an, sich zu fragen, welche Pläne er wohl habe. Wollte er sie nach der Bucht zurückbringen oder wollte er sie hier behalten? Einstweilen aber machte sie sich dieserhalb noch keine Sorgen. Sie saß neben dem lächelnden Riesen, aß köstliche Früchte im Waldparadies, tief in der afrikanischen Dschungel, – sie war zufrieden und wirklich glücklich.

Als sie ihr Frühstück beendet hatten, trat Tarzan an ihr Nachtlager und hob sein Messer wieder auf. Jane hatte es ganz vergessen, und doch war es gerade das Messer gewesen, das sie so beruhigt hatte, als er es ihr übergab.

Tarzan winkte ihr, ihm zu folgen. Er führte sie bis zu den Bäumen am Rande der Lichtung; hier nahm er sie auf den Arm und schwang sich mit ihr auf die Äste hinauf.

Sie wußte, daß er sie zu ihren Angehörigen zurückbringen würde, und konnte das Gefühl der Vereinsamung und der Trauer, das sie plötzlich überkam, nicht verstehen.

Stundenlang wanderte nun Tarzan mit ihr durch die Bäume. Er hatte keine Eile. Er wollte so lange als möglich das Vergnügen haben, mit so süßen Armen um den Hals zu wandern, und deshalb hielt er sich südlich von der geraden Linie nach der Bucht.

Mehreremal ruhten sie eine Weile, obschon Tarzan der Ruhe gar nicht bedurfte. Am Nachmittag verweilten sie eine Stunde an einem keinen Bach, wo sie ihren Durst löschten und aßen. So ging die Sonne schon unter, als sie an die Lichtung kamen. Dort stieg Tarzan auf einem großen Baum herunter, schritt durch das hohe Dschungelgras und zeigte auf die Hütte. Sie nahm ihn bei der Hand, damit er mit ihr gehen sollte, weil sie ihrem Vater sagen wollte, dieser Mann habe sie vor dem Tode und noch Schlimmerem gerettet und habe so sorgfältig wie eine Mutter bei ihr gewacht.

Aber im Anblick der menschlichen Wohnung überkam Tarzan wieder die Schüchternheit, und er kehrte kopfschüttelnd um. Sie trat zu ihm heran und schaute ihn mit bittenden Augen an, aber er schüttelte wieder den Kopf, und schließlich zog er sie sanft an sich und beugte sich über sie, um sie zu küssen, aber nicht ohne zuvor ihr in die Augen geschaut zu haben, um zu erfahren, ob sie gut gestimmt sei oder ihn zurückweisen werde.

Einen Augenblick zögerte sie zwar, dann aber schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und küßte ihn, – ohne sich zu schämen.

Ich liebe dich, – ich liebe dich! flüsterte sie.

Aus weiter Ferne hörte man einige Schüsse. Tarzan und Jane Porter richteten die Köpfe auf.

Aus der Hütte kamen Mr. Philander und Esmeralda.

Tarzan und das Mädchen konnten von der Stelle aus, wo sie standen, die beiden im Hafen vor Anker liegenden Schiffe nicht sehen.

Tarzan zeigte mit dem Finger nach der Richtung, wo die Schüsse gefallen waren, zeigte auf seine Brust und dann wieder in die Ferne. Sie verstand.

Er schickte sich an, zu gehen, und sie sagte sich, er vermute jedenfalls, daß einer von den Ihrigen in Gefahr sei.

Noch einmal küßte er sie.

Komm wieder zu mir, flüsterte sie, ich warte auf dich!

Er ging, und Jane Porter wandte sich um, um sich nach der Hütte zu begeben.

Mr. Philander war der erste, der sie erblickte. Er erkannte sie aber nicht, denn es war schon dunkel und er war sehr kurzsichtig.

Schnell, Esmeralda, rief er, in die Hütte! Himmel, es ist eine Löwin!

Esmeralda hielt es nicht für nötig, sich von der Richtigkeit zu überzeugen. Der Ton seiner Worte genügte ihr. Im Nu war sie in der Hütte und hatte die Türe verrammelt.

Wütend sprang er dagegen.

Esmeralda! Esmeralda! schrie er. Lassen Sie mich hinein. Ich werde ja von dem Löwen gefressen.

Die Negerin aber glaubte, es sei schon die Löwin, die an der Türe rumorte, und wie gewöhnlich fiel sie in Ohnmacht.

Mr. Philander warf einen angstvollen Blick hinter sich.

O Schrecken! Das Tier war schon nahe bei ihm. Er versuchte, an der Hütte emporzuklettern und es gelang ihm auch, bis an einen Vorsprung des Daches heranzureichen.

Einen Augenblick hing er daran, aber das Holz, an dem er sich festhielt, gab nach und Mr. Philander fiel auf den Rücken.

In diesem Augenblick erinnerte er sich aus der Naturgeschichte, daß wenn Löwen einen Menschen finden, der sich tot stellt, sie ihn unbehelligt lassen.

So blieb er denn liegen, wie er heruntergefallen war. Arme und Beine von sich gestreckt, als ob er schon erstarrt wäre.

Jane Porter hatte erstaunt den Vorgang beobachtet. Sie konnte sich nicht enthalten zu lachen, und als Mr. Philander ihre Stimme hörte, drehte er sich um und schaute auf. Jetzt erst erkannte er sie.

Jane! rief er. Jane Porter! Um Himmelswillen!

Er sprang auf und stürzte auf sie zu. Er konnte nicht glauben, daß sie es sei, und noch dazu lebendig.

Gerechter Gott! Wo kommen Sie her? Wo in aller Welt sind Sie gewesen? Wie ...

Um Himmelswillen, Mr. Philander, unterbrach ihn das Mädchen. So viel Fragen kann ich nicht behalten.

Es sei denn! sagte Mr. Philander. Ich bin so freudig erstaunt, Sie lebend und wohlbehalten zu sehen, daß ich wirklich nicht weiß, was ich sagen soll. Aber kommen Sie und erzählen Sie mir alles, was Sie erlebt haben.


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