Paul Busson
Die Wiedergeburt des Melchior Dronte
Paul Busson

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Ein Bauer, den ich mit seinem Gespann in meine Dienste nahm und nach dem stattlichsten Gebäude im weiten Umkreis fragte, versicherte mir, daß dies das Schloß Krottenriede sei. Doch führe der Weg dorthin an die zwei Tagreisen durch dicken Wald und abscheuliches Moor und sei keineswegs sicher. Die Bande des Spillermaxe habe vor nicht allzulanger Zeit im Verdammten Bruch und im Klosterholz nächst der Straße gelagert, und auch die Wilddiebe täten sich nicht allzu selten zusammen, um etwa ein feisteres Wild zu erjagen als einen Hirschen oder Rehbock.

Auch der Pfarrer, dem ich deutlich eine durchwachte Nacht ansah, warnte mich vor dem weiten Forst, in dem es nicht geheuer sei. Als er mich aber zur Ausfahrt entschlossen sah, nahm er mit sichtlicher Bewegung Abschied von mir und empfahl mich dem Segen Gottes, der mich gnädigst vor falschen Künsten und Blendwerk des Satans bewahren möge. Denn nach reiflichem Nachdenken könne er nicht glauben, daß Gott sich eines mohammedanischen Mönches oder Derwisches wolle bedienen, um einem gläubigen Christen, als welchen er mich erkannt, habe Weisungen zukommen zu lassen.

Ich dankte ihm für die Nachtherberge und die Zehrung und trieb den Bauern, der Görg Rehwang hieß, zur Eile an, da ich allen Grund zu fürchten hatte, der wenige Mut des Mannes könnte sich noch vor Antritt der Reise verflüchtigen. Nachdem ich mich noch vergewissert hatte, daß der Postknecht im Laufe des Tages die Heimreise wohl wagen könne und ziemlich wohlauf sei, fuhren wir mitten in den Wald hinein.

An dem geduckten Nacken und den scheuen Seitenblicken, die der Rehwang nach rechts und links tat, merkte ich bald, daß er das Herz in den Hosen hatte, und es dauerte auch nicht lange, so wendete er sich halb um und fragte mit käsweißem Gesicht: »Habt Ihr nichts gehört, Herr?«

»Nichts«, sagte ich.

»Zur rechten Hand hat einer einen Pfiff getan oder ich soll nicht selig werden!« wisperte er und kraulte sich im Haarfilz.

Aber es geschah nichts. Es mochte vielleicht ein Wildvogel gewesen sein.

Dann aber, als wir in eine moorige Heidegegend gelangten, begann er von dem Wirtshause zu erzählen, in dem wir Unterkunft finden sollten für eine Nacht und das »die Kugelmühle« genannt war.

»Es soll dort manch einer mit schweren Steinen an den Füßen, ohne Kleider und Habe, in der Tiefe der schwarzen Moorwässer einsam stehen, zur Freude der Krebse, Wasserkäfer und Aale«, schwätzte er, und seine Zähne klapperten. »Herr, wie wär's, wir drehten die Gäule mit den Stirnen dorthin, von wo wir gekommen?«

Ich gab ihm keine Gegenrede, und so fuhr er mit einem tiefen Seufzer weiter. Die Gegend war düster und traurig. Zwischen schillernden Lachen standen uralte und knorrige Bäume, mit Warzen und Kröpfen bedeckt. Abgestorbene und vom Blitz geschälte Stämme breiteten verzweifelt ihre gewundenen Schlangenarme aus. An Wassertümpeln mit einer Haut aus dickem grünem Schleim lauerten Krüppelweiden, auf denen hungrige Krähen hockten. Ganz bekalkt waren Stämme und Äste von dem Kot der rastenden Vögel. Manchmal stieg mit pfeifendem Flügelschlag eine Ente aus dem Röhricht auf. Sehr ferne, traurige Flötentöne säuselten im Winde, und graue Nebelweiber schleppten ihre triefenden Gewänder durch die Baumkronen.

»Hier heißt man's beim Verdammten Bruch«, begann der Bauer wieder. »Und der Weg da, zwischen den jungen Birken, führt zur Kugelmühle, wo man nächtigen kann.«

Aber es ging noch lange Zeit dahin, bis wir vor dem finstergrauen und unfreundlichen Hause angelangten. Große, grünbemooste und von Regen und Schnee zerfressene Steinkugeln lagen neben der Türe, und ein schimmelmodriger Kolk zeigte noch, wo die gestauten Wasser des Moorbaches die Mühle getrieben hatten, die längst zu einem Wirtshaus geworden war.

Der Bauer stieg mit krummem Rücken vom Wagen und schrie einige Male sein: »Heda, Wirtshaus!« Aber nichts rührte sich, dennoch glaubten wir, wilden Gesang zu vernehmen, der durch die grünlichen Fenster hinter den starken vierkantigen Stäben hervorzudringen schien.

Nach langem Rufen erschien endlich der Wirt mit einem riesigen schwarz und weiß gefleckten Hund, dessen stumpfes, rohes Gesicht ihm, dem Menschen, nicht unähnlich war. Der breitschultrige Mann, dem in der fetten Lederhose ein übermäßig langes Messer stak, sah uns unfreundlich genug an und grunzte:

»Hoho, Rehwang, was bringst du uns da für vornehme Herrschaften?«

»Der Herr hat einen weiten Weg«, entschuldigte sich der Bauer. »Und so ergeht Anfrage von wegen dem Nachtlager.«

»Weißt noch immer nicht den Hausbrauch, du lebender Kuhfladen?« fuhr der Grobian den armen Görg Rehwang an. »Und wenn der Kaiser und der Papst und alle Kurfürsten und meinetwegen und wegenmeiner auch die Frau Kaiserin und des Erzbischofs Bettwärmerin geritten und gefahren kommen, so gibt es doch in der Kugelmühle nichts anderes als eine Strohschütte im großen Zimmer. – Damit sich der Herr zu richten weiß!« sagte er mit einem tückischen Blick auf mich.

Hinter ihm, spitznasig, zausig und klapperdürr wie die Waldkrähen auf dem Müllhaufen beim Hause, stand plötzlich, wie aus der Erde gewachsen, die Wirtin und lächelte schief. »Beliebe der Herr nur näher zu treten! Gibt es auch nichts als Armemanns-Bettstatt, so haben wir doch guten Wein und eine Gesellschaft im Hause, bei der es über alle Maßen lustig hergeht.«

»Am Weine fehlt es nicht«, fiel der Wirt im Wollwams freundlicher ein. »Wollte den vornehmen Herrn nur gewarnt haben, daß er sich nichts Feines bei uns erwartet und nicht vor Abscheu das Rad schlägt, wenn nächtens etliches Rülpsen und Ausdünsten der Schlafgenossen um ihn her ist.«

Ich entgegnete dem groben Klotz nichts auf seine ungehobelten Reden und trat in das Haus. Brüllendes Lachen und Schreien drang mir aus der Zechstube entgegen, als ich die Türe auftat, und beizender Pfeifenrauch quoll in Schwaden heraus.

An dem langen Tisch, über dem ein kunstvoll in Holz geschnitzter sechsspänniger Fuhrmannswagen mit allem Zubehör in Spielzeuggröße hing, brannten sechs oder sieben Lichter in Zinnleuchtern. Daran saßen drei Studenten, die langen Raufdegen umgeschnallt, die Ärmel aufgesteckt, und soffen Runda. Bei ihnen war ein baumlanger, hagerer Gesell mit einem kahlen Schädel und feuerroter Geiernase, in ein abgeschabtes schwarzes Gewand gekleidet, der hielt ein freches braunhäutiges Mensch auf dem Schoß, mit der Hand ein gelbes Busentuch in der Luft schwenkend. Das schwarzäugige Weibsbild lachte so, daß ihre entblößten Brüste zitterten, und kniff den alten Galan in die Säufernase, daß er hell aufschrie und sie losließ.

Unser Eintritt erregte lärmende Aufmerksamkeit. Den Görg zogen sie allsogleich zum Tisch und brauten in einem Becher schnell ein Gemisch von Bier, Wein, Spucke und Pfeifensaft, das er flugs als einen Willkommen auf das Wohl der vier Fakultäten leeren mußte. Mich aber redete der Glutmassige spöttisch mit »Eurer Ehrwürden« an und fragte, ob ich nicht wisse, daß man vor so illustrer Gesellschaft drei Verbeugungen und einen Kratzfuß zu machen habe, wenn man eintrete, oder ob es den feinen Herrn nach einigen Gängen mit dem Rapier gelüste. Dies könne ich gleich haben.

»Tust du noch immer so wüst, bayerischer Haymon?« fragte ich und mußte in Wehmut lächeln, als ich meinen alten Ordensbruder erkannte.

Der saß da mit offenem Munde, als hätte ihn der Schlag gerührt.

»Kenn dich wohl«, sagte ich und trat nahe zu ihm. »Wenn auch die Zeit davongerannt ist!«

»Zwick mich, Hoibusch, zwick mich!« stotterte er und stieß den Studiosen neben sich an. »Ein Gespenst steht vor mir –«

»Ei was, Gespenst!« sagte ich. »Der Mahomet ist's und kein andrer!«

Etwas wie eine armselige Freude war in mir, daß ich ihn, wenngleich verkommen und vor der Zeit gealtert, noch einmal wiedersah. Und am Aufschlag seines dürftigen Rockes trug er noch wie einst die aus Silberdraht kunstvoll verschlungenen Anfangsbuchstaben unserer geheimen Losung: »Vivat circulus fratrum amicitiae!« Es lebe der Bruderkreis des Freundschaftsordens. Ich deutete mit dem Finger darauf und sagte lächelnd: »Vivat, crescat, floreat!«

Da sprang er auf beide Füße und schrie:

»Mordhagelbombenelement! Stinkfüchse, kniet nieder! Ein alter Amiciste stehet vor euch, der Mahomet, der mehr Blutes von seiner Stoßklinge gewischt als in euren sauergewordenen Adern rinnt. O Herzbruder! Welch ein Geschlecht hat uns abgelöst! Saufen aus Becherlein, schreien nach der Mutter, wenn ihnen das Kalbfleisch geritzt wird, und rennen mit Pennal und Heften in den Hörsaal. – O alte Zeit! O Amicitia!«

Er warf seine langen Arme um mich, küßte mich schallend auf beide Wangen, und die Tränen rannen aus seinen entzündeten Augen.

»Und jetzt her da, an meine grüne Seite, Herr Bruder, und daß mir keiner das Maul auftut, ehe der Mahomet nicht seinen berühmten Lebenslauf zum besten gegeben hat – He, Kugelmühlwirt, he, Bärbel, spring und schwing dich und hol Wein, was der Tisch ertragen kann. Und der Bauer soll mitsaufen!«

Aber der war hinausgegangen und nicht mehr zu sehen.

Der Wirt trat nun überaus höflich an den Tisch und fragte nach unserem Begehren. Ich sah ihn mit einem gewissen Grauen an. In seinem einen Auge war ein falsches Blinzeln, das andere lag als weiße, blinde Glaskugel zwischen geschlitzten Lidern. Eine feuerrote Schnittnarbe, gestaltet wie ein 'S', lief über den kahlen Schädel, das Auge und die Wange, zum fetten Doppelkinn. Ich wußte, daß Mordbrenner mit solchem grausamen Mal die Verräter zeichnen.

Bald standen große Schüsseln mit Wildbret nebst Schleifkannen mit Wein auf dem Tisch, und ein wildes Zechen begann, an dem ich mit Vorsicht teilnahm. Mein Herz war mit Gefühlen beladen, die mit denen der Menschen am Tische nichts zu tun hatten, und es fiel mir schwer genug, die Fragen des Haymon zu beantworten. Die drei anderen hörten ganz bescheidentlich zu, und das Mädel glotzte uns an wie die Kuh das neue Tor.

Als die Kerzen niedergebrannt waren und des Haymon Zunge schwerer und schwerer wurde, erfuhr ich erst, wie sich sein Leben gestaltet hatte, wie er, als alles elterliche Gut vertan war, froh sein mußte, als Stadtschreiber irgendwo unterkriechen zu können. Und auch damit war es nun aus, seit ihm die Hand vom fortgesetzten Suff so zitterte, daß seine Schnörkel nimmer lesbar waren. Nun hatte er sich aufgemacht, um einen seiner reichgewordenen Pächter von ehedem zu besuchen, bei dem er noch etwas fordern zu können glaubte, so wenig es auch war, und auf der Wanderschaft hatte er heute die drei Studiosen getroffen und mit ihnen gemeinsam den Weg fortgesetzt. Nach langem Hin und Her im wilden Wald hatten sie etwa zwei Stunden, ehe ich mit dem Görg kam, die einsame Kugelmühle getroffen, froh für die Nacht ein Dach zu finden, um so mehr, als ein sausender Westwind immer wildere Wolken heraufführte und die Erde nach Regen roch.

Jetzt aber hatte der viele Wein das Herz des bayerischen Haymon ganz und gar erweicht, und mit vielem Schlucken, Aufstoßen und Weinen konnte er sich gar nicht genugtun, jene wilde Zeit voller Jugendtorheit und Überschwang im magischen falschen Licht der Erinnerung aufleben zu lassen, wobei er nach Menschenart das Gute und Angenehme behalten, das Übermaß von Ungemach und bitteren Sorgen aber gänzlich verschwitzt und vergessen hatte. Und nach jedem Satz, den er sprach, ließ er einen neuen Becher durch seinen mageren strickädrigen Hals rinnen, indes die drei jungen Studiosi sich nur leise flüsternd zu unterhalten wagten beim Zwiegespräch der bemoosten Häupter. Mir war weh genug. Freundschaft und Jugend waren dahin.

»Schlag und Schwerenot, Herr Bruder!« schrie er ein um das andere Mal, »was waren wir doch für Kerls! Denkst du noch derselbigen Nacht, wie der lange Heilsbronner im Straßendreck seinen Geist aufgab? Wie der wackere Montanus zum letzten Male den gläsernen Stiefel in seinen Gierschlund ausleerte? O Bruder, der Fink ist auch dahin, ist in der Murg ersoffen, und der Portugieser hat im Spittel zu Erlangen bei lebendigem Leib müssen verfaulen, so arg hat ihn die Tanzliese hergerichtet, mit der er gelebt hat. Und der Wechler, weiß jetzt nicht, ob du ihn hast noch gekannt, ist ein Domherr geworden und kennt mich nimmer, hat er mir sagen lassen. O vanitas, vanitatum vanitas! Dahin alle Schwüre und Bruderliebe! He, Bärbel! Wo steckt die läufige Hündin? Licht her! Sollen wir jetzt schon in der höllischen Finsternis weilen? Geld haben die drei Füchslein genug, um etliche Kerzen zu zahlen!«

Da kam hinter dem Kachelofen der Wirt hervor, wo er ohne unser Wissen gelauert hatte, und sagte grob und heiser, es sei nun Schlafenszeit, und neue Kerzen müßten erst von weither geholt werden. Nur ein Stümplein sei mehr da, und das reiche gerade, um das Lager zu finden.

Einer von den jungen Burschen wollte etwas sagen, aber ein anderer neben ihm, ein stiller, netter Junge, der, wie ich die ganze Zeit beobachtet, fast nichts getrunken hatte und ganz nüchtern war, stieß ihn rasch an und sagte leise, doch so, daß ich es hören konnte: »Schweig, Hans! Wir werden deine Kerzen vielleicht noch brauchen!«

Der Flegel von Wirt nahm ohne weiteres das letzte, kaum mehr für eine Viertelstunde ausreichende Licht vom Tisch und brummte: »Wer nun schlafen will, der gehe mir nach. Wer nicht mag, kann in der finsteren Stube hockenbleiben. Ausgeschenkt wird nichts mehr!«

Der Haymon wollte auffahren, aber ich nahm ihn rasch unter dem Arm, und so gingen wir hinter dem Wirt und seinem großen Hund drein, um unsere Ruhestätte aufzusuchen.

Wir durchschritten einen langen Gang mit etlichen dickverstaubten oder mit Brettern verschlagenen Fenstern. Des Haymons Rausch kam nun erst heraus beim Gehen und ich hörte ihn etwas von einem gottverfluchten Stadtpfeifer lallen, dem er eins auswischen wolle.

Indes dachte ich daran, daß der Bauer nicht mit uns war.

»Wo ist mein Fuhrmann untergebracht?« fragte ich den Wirt, dessen Riesenschatten an der Wand hinglitt.

»Der Rehwang?« brummte er und sah sich halb um. »Der ist längst heimzu mit seinem Geschirr.«

»Warum sagtet Ihr nichts?« ärgerte ich mich. »Wie soll ich nun morgen weiter?«

Der ungeschlachte Kerl blieb vor einer Türe stehen und zuckte die Schultern.

»Hätte der Herr weniger gekneipt und auf den Görg Rehwang geachtet, so hätt' er ihn leichtlich hierbehalten können. Meines Amtes ist's nicht, mich um derlei zu scheren.« Er warf einen schielenden Blick mit dem Einauge nach mir. »Und wer weiß, ob's morgen gar so eilig wird sein.«

Ich schwieg, und er stieß mit dem Fuße eine Holztüre auf, die Hand vor den Lichtstumpf im Zinnleuchter haltend.

Wir traten ein und befanden uns in einem großen, ganz leeren Saal, der wohl einst den Schüttboden vorgestellt hatte. In der Mitte des Raumes stand, sonderbar genug, eine dicke, runde Säule, die auf breitem Kranz den Hauptbalken der Decke trug. Sternenförmig um diese Säule waren fünf Liegestätten hergerichtet, besser, als wir gedacht hatten. Auf sauberes, frisches Stroh waren grobe, aber weiße Leintücher hingelegt, hart an der Säule war für jeden ein Kopfpolster da, und zum Zudecken lagen fünf rotwollene, dicke Decken gebreitet.

»Besser haben wir's nicht in der Kugelmühle«, sagt der Wirt, wie verlegen. »Die Herren müssen vorliebnehmen.«

Wir bezeugten uns zufrieden, und so stellte er, lächelnd und Bücklinge machend, das ausbrennende Licht auf einen Schemel, wies uns das wenige Gepäck, das unser eigen war, und wünschte unter dem bösen Geknurre seines Köters eine geruhsame Nacht. Wir hörten, wie er durch den Gang davonschlurfte und nachher die schwere Haustüre zuwarf und mit Riegelstoßen und Schlüsseldrehen verwahrte.

Die zwei, die den Haymon bisher geführt hatten, ließen ihn nun sachte auf eines der Lager gleiten, und es dauerte keine zwei Minuten, als er schon zu schnarchen anhub und dazwischen sinnlose Worte murmelte, die ihm der Wein eingab. Eine ängstigende Unruhe war in mir, und irgendeine dunkle Ahnung lag warnend und schwer in meiner Magengrube. Ich nahm das Licht und sah mich um. Verrußte Spinnweben hingen wie Trauerfahnen von den alten Balken der Decke; die drei kleinen Fenster mit den erblindeten, bleigefaßten Butzenscheiben ließen sich nicht auftun. Ein würgender modriger Kellergeruch brütete in dem weiten Raum mit der Säule. Der breite Ring, den sie oben trug, war vor kurzem weiß gekalkt worden, so daß er von der verräucherten Decke grell abstach.

Als ich mich umwandte, sah ich, daß meine unheimlichen Gefühle von den drei Studiosi geteilt wurden. Keiner von ihnen traf Vorbereitungen, das verlockende Lager aufzusuchen oder den Degen von sich zu tun.

»Hier riecht es nach altem Blut«, sagte der helläugige Hoibusch, der mir schon am Tische durch seine Nüchternheit und Ruhe aufgefallen war. Auch der Hans Garnitter, der die Kerzen in seiner Umhängtasche hatte, sagte: »Hier soll der Teufel nächtigen! »und der dritte, ein junger Herr von Sollengau, der allgemach von den Weingeistern frei wurde, nickte bedenklich.

Da die Kerze zu erlöschen drohte, bat ich den Garnitter, mit seinen Schätzen herauszurücken, und bald darauf stak ein neues brennendes Licht im Leuchter.

»Hängt Mäntel oder Decken vor die Fenster, damit sie von draußen den Lichtschein nicht sehen«, mahnte ich, und sogleich gingen sie daran, den Rat auszuführen. Derweilen sah ich mir die Türe an. Es war wohl außen ein starker Holzriegel daran, aber von innen war sie auf keine Weise zu schließen. Die Angeln aber dünkten mich ganz frisch geölt, und ich machte die andern darauf aufmerksam.

»Der Hundsfott von Wirt führt etwas im Schilde«, stieß der Junker von Sollengau heraus, »und wenn wir auch unser vier sind, da der Besoffene nicht zu rechnen ist, so heißt es doch, höllisch auf der Hut zu sein, denn der Wirt kann Zuzug bekommen von des Spillermaxen Bande oder von den Blaupfeifern.«

Ich sagte nichts und fuhr in meiner Untersuchung fort. Der Boden war aus festgestampftem Lehm, die Wände waren mit Wackersteinen und festem Malter aufgerichtet worden und uralt, die Decke hatte keine sichtbare Öffnung und bestand aus schwerem, altersdunklem Gebälk, wie man es in solcher Länge und Stärke wohl nur selten noch finden mochte.

Da stieß der Hoibusch einen leisen Pfiff aus und winkte mir hastig. Er stand an der Säule. Wir traten auf das raschelnde Stroh und folgten mit dem Licht seiner tasten den Hand. Und da sahen wir etwas, das uns die Spur der satanischen Büberei aufdeckte, die hier im Spiele war.

In ihrer ganzen Länge, von oben bis unten, wies die steinerne rauhe Säule glattgeschliffene Streifen auf, als glitte etwas Schweres des öfteren an ihr auf und ab und verwandle die Rauheit an den Reibungsstellen in polierte Rillen. Und vom selben Gedanken erfaßt, blickten wir nach oben auf den Ring oder das Kapitell, das in übermäßiger Ausladung und mächtiger Breite die Säule abschloß. Leuchtend weiß hob es sich in seinem frischen Anstrich ab, und doppelt finster erschien der schmale, kreisförmige Raum, der den inneren Ring vom runden Umfang der Säule trennte, also daß diese schwere Last, wenn sie oben gelöst war, niederstürzen konnte.

Und gerade im Bereich dieses Ringes lagen unsere Kopfpölster um die Säule geordnet.

Der Haymon richtete sich in seinem rauschigen Schlaf halb auf und stammelte mit weitgeöffneten Augen: »Magst keine Ruhe geben, Montanus? – Kann dir deinen Mariendukaten nimmer schaffen, Bruder – laß ab, tu weg die blaue Hand – –«, und dann brach er Wein und Speisen aus seinem längst zernichteten Magen und besudelte sich garstig. »Zieht ihn weg von dieser Todesstätte!« rief ich.

Da packten sie ihn an den Beinen und zogen ihn von dem gefährlichen Bette weg, aber er kroch in seinem Wahn zurück, während wir weiter beratschlagten, und noch einmal wurde er weggeschafft. Nun schien er Ruhe halten zu wollen und blieb liegen.

»Pscht!« wisperte der Garnitter, der an der Tür horchte.

Wir löschten rasch das Licht und blieben mausestill.

Leichte Schritte kamen den Gang entlang.

»Die Bärbel, das falsche Luder –«.

»Pscht!«

Es lauschte an der Tür, lehnte sich an. Das Holz knackte leise, der Haymon plapperte im Schlaf.

»Was sagst von schweflichten Flammen, Portugieser? – Potz Schellensau, Bruder, wie stinkt es giftig aus deinem Rachen! Die Hand reich ich dir nicht – bist ja schwarz über und über, du Teufelsbraten –«.

Leise huschte es von der Tür weg, den Gang hinunter.

Wir hörten den Haymon im Stroh rascheln, mit dem Fuß den Boden schlagen und sich stöhnend strecken.

Wieder Schritte. Die Burschen zückten leise die langen Stoßklingen, ich zog, den Daumen am Hahn, den Finger am Abzug, ohne Knacken das Terzerol auf. Es hüstelte, krabbelte an der Tür. Dann schlich es wieder davon.

»Jetzt sind sie sicher, die Mordhunde!« sagte der Hoibusch. Über uns auf dem Boden schlapfte es nun. Ein leises Rasseln hob sich. Eine dumpfe unverständliche Stimme sprach etwas. Ein Schnurren, Schleifen, ein sausender Fall – –

Bumm! – schlug es schwer und stampfend, weich gedämpft nieder. Füße trommelten wie wahnsinnig auf dem Lehmboden, ledern, klatschend – bei uns im Zimmer.

»Schlag Feuer, Hoibusch!« rief heiser der Junker.

Pink, pink! Der Zunder glühte auf, der Schwefelfaden zuckte blau und brutzelte mit beißendem Stank, die Kerze brannte –.

»Allmäch–!« wollte der Garnitter aufschreien, aber der Hoibusch legte ihm rasch die Hand auf den Mund.

Der Atem blieb uns aus. Der breite Säulenring war heruntergekracht und hatte die Kopfpolster unter sich begraben Und das unselige Haupt des armen Haymon, der im Dunkel ohne unser Wissen zurückgekrochen war. Gespreizt standen seine Füße auseinander, die Hände waren auf der Brust ins Gewand gekrampft und weiter hinauf lag er unter dem Mordstein. Wie eine dicke, dunkle Schlange, glitzernd im Kerzenlicht, kam sein Blut aus dem Stroh geronnen.

»Licht aus!« befahl der Junker. »Sie kommen!«

Stoßbereit standen sie zu beiden Seiten der Türe in der Finsternis.

Laut sprechend und hallenden Schrittes kamen der Wirt und sein spitznasiges Weib den Gang entlang, stießen die Türe auf.

Da standen sie. Der Wirt trug in der linken eine große Stallaterne, in der rechten Faust ein scharfes Beil, und die Furie hinter ihm umkrallte ein Schlächtermesser. Wir sahen sie nur einen Augenblick lang. Des Hoibusch Klinge fuhr dem Kerl durch und durch, und der Garnitter durchstieß den gelben Hals des Weibes, so daß sie mit dem Quieken eines gestochenen Schweins hinfiel. Der Wirt war sogleich tot, ins Herz gespießt wie ein anlaufender Keiler. Die Frau zappelte noch, krümmte sich und lag dann still auf der Seite.

»Bist hin, Bluthund?« schrie der Garnitter und trat mit dem Fuße nach dem Wanst des Toten. Oben im Haus heulte der Hund.

»Der Hund! Die Bärbel!« rief der Hoibusch. »Wir müssen das Mensch fangen, sonst entläuft sie uns und hetzt uns die Spießgesellen des Wirts auf den Hals!«

Er und der Junker machten sich mit der Laterne auf, das Weibsbild zu suchen.

Nun sahen der Garnitter und ich die vier Löcher in der Decke und die Stricke, an denen hängend der Stein wieder aufgezogen werden konnte. Wir machten uns daran, den toten Haymon zu befreien. Aber der Stein war zu schwer, als daß wir ihn hätten lüften können, und als wir an den Füßen des Gemordeten zogen, knirschten die Knochen des zerschmetterten Kopfes so gräßlich, daß wir schaudernd ablassen mußten.

Da hörten wir einen Schuß, das Klagen des Hundes, dann ein Schleifen und Winseln, und gleich darauf kamen der Hoibusch und der Sollengau mit dem Frauenzimmer in Hemd und Kittel, das sie aus dem Bett gezerrt, in dem es sich unter die Decken verschloffen und schlafend gestellt hatte. Mit einem Kälberstrick hatten sie ihr die Hände gebunden.

»Ich bin unschuldig«, jammerte die Bärbel, als sie uns sah. »Jesus Maria!« kreischte sie auf, als sie mit dem nackten Fuß in die Blutlachen trat, in denen der Wirt und die Wirtin lagen.

»Gesteh, Metze, oder wir legen dich neben die beiden!« sagte der Hoibusch ruhig. »Hast nicht den Hund noch auf uns gehetzt? Gesteh, sag ich dir!«

»O du blutiger Heiland! Was soll ich gestehen?« heulte die Dirne und fiel auf die Knie. »Hab nichts verbrochen, als daß ich bin auf Geheiß der Frau horchen gegangen, ob schon geschlafen wird. Von Mord hab ich mein Lebtag nichts gewußt –«.

»Und was ist das, du ausgeschämtes Weibsstück?« schrie der Hoibusch mit starker Stimme und brachte etwas hervor, was er hinter dem Rücken in der Hand verborgen gehalten hatte. Steine und Gold blitzten – ein Halsband mit Almandinen und kunstvoll geschmiedeten Gliedern strahlte im Licht.

Das Mädchen war vor Angst weiß im Gesicht und sah mit wirren Blicken um sich.

»Red!« sagte der Hoibusch ganz kalt und setzte ihr die Spitze der Klinge auf die bloße Brust, so daß ein kleiner roter Tropfen aufsprang.

»Au weh! Barmherzigkeit –«, zeterte die Bärbel und wand sich hin und her. »Von der Dame im Keller –«.

Dann fiel sie in Krämpfen nieder, und Schaum quoll aus ihrem Mund. Es war zum Erbarmen anzusehen.

Aber der Hoibusch blieb ungerührt.

»Hast deine Blickschlagerkunst brav gelernt, du Räuberhure!« sagte er. »Hör auf, aus Speichel Schaum zu machen, und steh auf!« Und noch einmal kitzelte er sie mit der Degenspitze.

Da sprang sie trotz der verschnürten Hände wie eine Katze auf die Füße und schrie verzweifelt:

»Nun – ist's an dem, so will ich lieber gleich hin sein als mich vom Galgenmann mit den Daumenschrauben aushorchen lassen!«

Und sie tat einen so raschen und heftigen Sprung gegen die gezückte Klinge, daß diese auf ein Haar durch ihren Leib gerutscht wäre. Aber der Hoibusch war auf der Hut, ließ augenblicklich die Hand vom Griff, und so zerschlitzte sie sich nur das Hemd, daß ihre dunkle Brust hervorquoll.

»An die Säule mit ihr!« rief der Garnitter, und die drei Studiosen schleppten sie hin trotz Beißens und Kreischens und banden sie an Leib und Beinen neben den toten Haymon hin, so daß sie in stiller und schrecklicher Gesellschaft bleiben mußte. Denn wir nahmen die Laterne mit und ließen nur die Kerze als Totenlicht für den Gemeuchelten brennen, als wir den Raum mit seinem süßlichen Blutdunst verließen. Als wir im Gange standen, hörten wir das gellende Schreien der Angebundenen.

Und ich muß es gestehen: Sie erbarmte mich, denn ich fühlte, daß es nicht allein ihre Schuld war, daß sie so werden mußte. Sicherlich hatte ein böses Schicksal sie von Kindheit an umkrallt; hatten unbewachte Jugend, früh entfesselte Triebe, Mißbrauch, den man mit ihrem Kinderleib schon trieb, Armut, Elend und Mangel an Liebe ein schlimmes Werk an ihr getan. Durfte ich richten, wenn ich die Abgründe der eigenen Seele auftat? Aber so klug die drei Studiosen waren und so gut des einen oder des anderen Herz sein mochte, zu dieser Stunde und angesichts des armen Toten hätten sie mit Abscheu auf mich gesehen, wenn meine Gedanken laut geworden wären, und geholfen hätte ich niemandem damit. So schwieg ich und trauerte im stillen bei mir, wie verkehrt der Menschen Bräuche sind und wie man tausend und abertausend Kinder ohne jede Sorgfalt aufwachsen läßt. Und nicht etwa nur die Brut der armen Leute – –. Wie war es denn mit mir selbst gewesen?

Müde tappte ich hinter den anderen drein, die von des Wirtes Gurt den Schlüsselbund gelöst hatten und nun in den Keller stiegen. Im Flur lag, groß wie ein Kalb, der vom Garnitter erschossene Hund.

Hinter leeren Weinfässern und sonstigem Gerümpel fanden wir eine Eisentüre, entdeckten am Bunde den Schlüssel und taten auf – Rostiger Staub flog uns in die Augen – aber, hilf Himmel, was war dies?

Alle vier sprangen wir zurück vor Entsetzen.

Da lagen wohl zwanzig Leichname, braun vertrocknet, von Ratten angefressen, aller Gewänder bar. Und auf den Schultern trugen sie breitgequetschte Scheiben mit Mundspalten, Haarwirrnissen, durcheinandergewürfelten weißen Zähnen. Ein Ohr sah man, einen Unterkiefer, der bis zu den leeren Augenhöhlen hinaufgepreßt war, eine wurmartige schwarze Zunge, die sich seitwärts reckte, geknallte Hände, Blutkrusten, gesplitterte Knochen – –

Wir polterten die Stiegen hinauf, liefen aus dem Hause und setzten uns tiefatmend auf die moosigen Steinkugeln, und der Regen rann an uns herunter.

Im Osten leuchtete es trüb.

 


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