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Sie hatte Kopfweh. Es war keine bloße Ausrede gewesen, um vom Mittagstisch wegbleiben zu können und sich der Ausfahrt zu entziehen, bei der sie Mimi zu dem ersten der in den Wintermonaten unter den befreundeten Familien der Nachbarschaft reihumgehenden Wohlthätigkeitskränzchen begleiten sollte, wofür in letzter Stunde sich noch Frau Rohrwek zum Ersatz anbot. Sie war wirklich krank. Ihr Puls ging rasch, ihre Stirne glühte, und als sie aus dem Schlummer erwachte, der sie inmitten des Gewühles hastig kreuzender Gedanken wie eine schwere Betäubung überfallen, da fühlte sie sich nicht gestärkt, geklärt, beruhigt, sondern nur mutloser als zuvor. Sie war geschlagen worden; auf welche Weise und durch wessen Schuld, das kam sogar erst in zweiter Reihe; die Hauptsache war, daß ihr Ziel unerreicht geblieben.
Ihr Wille hatte sich als ohnmächtig erwiesen, ihr Drohen war sogar verhöhnt worden, denn offenbarer Hohn lag in dem Hinweis auf die ihr zustehenden gerichtlichen Schritte und in der Zuversicht, die ihrem Zorn so wenig Nachhaltigkeit als Macht beimaß. Hätte man ihr so begegnen dürfen, wenn sie ein Mann gewesen wäre? Als solchem wären ihr noch andere Waffen zu Gebote gestanden als das Wort, und der Mann hätte sich auch nicht begnügen müssen, die thatsächliche tiefempfundene Beleidigung mit einer andern bloß ausgesprochenen Beleidigung zu erwidern, die ja der Hochmut des Mannes eben darum, weil sie aus dem Munde eines Weibes kam, wieder verächtlich abschütteln konnte, ohne daß sie ihm Schaden that. – Eine Frau, die einen Gatten an der Seite hatte, konnte solche Ueberhebung strafen lassen und deshalb schon war sie in gewissem Grade vor ihr sicher. Sie aber war ein Mädchen, hilflos und gänzlich der Willkür dessen preisgegeben, mit dem sie um ihr gutes Recht kämpfte. Der einzige natürliche Beschützer, den sie besaß, durfte nicht einmal aufgerufen werden, weil er sich selbst feindlich gegen ihre Absicht verhalten, weil er ihr Verlangen verspottet und wider die Schwester Partei für den Freund genommen hätte. In dem Rechte der Frau wird der Gatte verletzt; es ist ihr gemeinsames Recht, er wahrt es wie er ihre Pflicht teilt. Das der Schwester trennt sich von dem des Bruders, es hing von seinem guten Willen ab, ob er für dasselbe eintrat oder sich der Mühe enthob, wie er es schon mit dem ihrer Meinung nach auf ihn fallenden Teil der Geschwisterpflicht gethan.
Es gab denn doch – nun ja – vielleicht gab's doch ein Versäumnis in ihrem Leben, ohne das sie jetzt nicht so wehrlos dagestanden wäre, so ratlos, so mit leeren Händen!
Doch wozu nützten solche Erwägungen? Darüber entschwand nur die Zeit und diese leeren Hände durften sich doch nicht in selbstzufriedener Ergebenheit in den Schoß legen. Sie hatte ebensowenig Anlage zum stillehaltenden Fatalismus des Mohammedaners als zur alles dem Walten der Vorsehung anheimstellenden Frömmigkeit der Nonne. Ihr gesundes reges Naturell drängte zum Handeln, zur Selbsthilfe. Es mußte etwas geschehen!
Und wenn nicht anders, so wollte sie sich an Franz wenden. Es blieb kein anderes Mittel. Er hatte sich ja bereit erklärt, ihr das ganze auf Waltershofen eingesetzte Kapital auszufolgen, und bloß Geduld verlangt. Doch eben diese konnte sie nicht haben. Er mußte ihr wenigstens die Summe, die in Frage stand, schaffen. Und wenn er ebenfalls um den Zweck fragte? Nun, dann würde sie auch zu sprechen wissen. Kein fremder Zwang legte ihr hier Verschwiegenheit auf. Es war nur zartfühlende Scheu gewesen, die sie abgehalten, seiner ablehnenden Heftigkeit die Stirne zu bieten. Jetzt zeigte sich ihr kein glatterer Weg mehr. Mochte Franz sich ereifern, mochte er poltern, am Ende konnte er es doch nicht geschehen lassen, daß sein Bruder ausgeliefert würde. Er mußte helfen.
Aber zaudern durfte sie nicht mehr. Die Stunden verrannen, schon begann der Abend zu dunkeln und der Wagen konnte die Fortgefahrenen jeden Augenblick zurückbringen, dann war die günstige Gelegenheit zu einer ungestörten Verhandlung, bei welcher selbst einem zürnenden Aufbrausen Zeit gelassen werden mußte, sich auszutosen und in Nachgiebigkeit zu verwandeln, unwiederbringlich verpaßt.
Rasch entschlossen erhob sich Hilda und begab sich aus dem im obern Stockwerk gelegenen Gastzimmer, das sie am vergangenen Tage bezogen hatte, die Treppe hinab, nach dem Arbeitszimmer ihres Bruders. Sie nahm den Weg dabei der Abkürzung halber durch das kleine Gemach, in dem seine Garderobe und seine Jagdrequisiten untergebracht waren. In dem Augenblick, als sie eben den Fuß über die Schwelle sehen wollte, schlug ein sanftes wohlklingendes Lachen an ihr Ohr. Ueberrascht hielt sie den Schritt an.
Sie hatte ihren Bruder allein zu Hause vermutet, denn es war noch gestern davon die Rede gewesen, daß sich außer ihm und der Schwiegermutter alle an der Ausfahrt beteiligen wollten, selbst Edwin, so wenig er in das »Kränzchen« unter junge Frauen und Mädchen eigentlich gehörte. Inzwischen mußte eine Aenderung im Plane vorgekommen sein, denn das war ja Albertinens anmutige Stimme.
Hilda zögerte, ob sie dennoch eintreten sollte. Statt zu überlegen, betrachtete sie aber unwillkürlich das Bild, das sich ihr durch die Oeffnung der halb zurückgeschobenen Portieren bot.
Da saß in dem zarten Dämmerlichte, das ihrer Schönheit eine besondre Weiche und Ueppigkeit lieh, die junge Frau an einem Nähtischchen, das sie sich in der Fensternische improvisiert hatte. Scherzend wehrte sie sich mit der stumpfen Sticknadel gegen ihren Gatten, der hinter ihrem Stuhle stand und ihr die Augen zuhielt.
»Hände weg oder ich steche!« drohte sie.
»Ein Attentat? Oho! Verdient exemplarische Strafe.«
»Die fürcht' ich nicht.«
»Auflehnung, Meuterei, Rebellion gegen die Autorität.«
»Die Ehrfurcht vor derselben ist nicht mehr groß; du thust dein Möglichstes, sie zu zerstören, du kindischer Mensch!«
Wie seltsam war es für Hilda, ihrem ernsten, oft mürrischen und selbst, wenn er guter Laune war, allezeit barschen Bruder einen solchen Vorhalt machen zu hören, die sein gegenwärtiges Verhalten tatsächlich zu rechtfertigen schien.
Noch immer gab er Albertinens Auge nicht frei.
»Wir wollen sehen, ob wir keinen Gehorsam finden,« erklärte er mit scherzhaft angenommener Würde. »Die Arbeit mag für deine Mutter sein, aber vor ihrem Geburtstage hat sie keinen Anspruch daran. Deine Augen aber gehören mir heute und allezeit, und ich will nicht, daß sie sich in der Finsternis anstrengen. Ich dulde es nicht, verstehst du wohl. Ich habe ein verbrieftes Recht auf jeden Lichtstrahl in diesen Augen. Ich kann sie, so oft ich fortgehe, oder es mir sonst gefällt, amtlich unter Siegel legen, und sie müssen geschlossen bleiben, bis –«
»Bis ich sie wieder aufthue.«
»Nein, bis ich das Siegel mit einem Kusse wieder abnehme.«
Er neigte sich zum Vollzuge der angekündigten Maßregel über sie. Die junge Frau jedoch hatte den Moment, wo er seine Hände löste, benützt, vom Stuhle aufzuspringen und sich seiner Gewalt zu entziehen.
»O, es bedarf keiner solch feierlichen Amtshandlung, mein Herr Gemahl. Ich sehe schon wieder,« spottete sie; dann setzte sie, ihm unter Lächeln zunickend hinzu: »Und nun laß mich die paar Stiche fertig machen, – nur so weit der Wollfaden noch reicht.«
»Gut, wie du mir, so ich dir,« sagte er und setzte sich, ohne scheinbar weiter auf seine Frau zu achten, auf das Fensterbrett, zog ein Journal aus der Tasche, entfaltete es und begann zu lesen.
»Diese häßlichen Zeitungen!« schmollte sie und schlug auf das Blatt, daß es einen bedenklichen Riß erhielt, was beiden sehr drollig erschien, denn sie lachten darüber.
»Ich werde dich zum Ersatz anhalten,« drohte er. »Ich muß auch eine Beschäftigung haben. Wie erfahre ich nun, was in der Welt vorgeht?«
»Bah, es steht doch kein wahres Wort darin. Nichts als Märchen, die kann ich am Ende auch erzählen.«
»Willst du? Ach ja, du bist meine Scheherezade. Erzähle du!«
Schmeichelnd hatte er den Arm um sie gelegt und so zog er sie, während er sich selbst auf den vorher von ihr eingenommenen Sessel niederließ, sanft auf sein Knie. Sie ließ ihn im Eifer, doch noch ein paar Stiche zu vollenden, gewähren und setzte auch keinen Widerstand mehr entgegen, als er ihr die Stickerei nun aus den Händen nahm.
»Konfisziert!« sagte er. »Zwei Herren kann man nicht dienen. Man arbeitet nicht, wenn man ein Märchen zu erzählen hat.«
»Ist das wirklich Ernst?«
»Natürlich.«
»Ich weiß aber eigentlich nur eins.«
»Du hast dich ja vermessen, so viele wie die Zeitungen zu kennen. Mindestens für Tausend und eine Nacht. Laß denn hören.«
Sie schlug die Augen schlau lächelnd zu ihm auf.
»Also – es war einmal eine Prinzessin, die saß an einem Brunnen im grünen, grünen Wald. Da kam ein stolzer König, der hatte ein schweres Leid und die Aerzte hatten ihn zu dem Brunnen geschickt, daß er sich Heilung hole. Und als er wieder ging, da war er wohl gesund, aber die Prinzessin war krank geworden im Herzen und sah nun in den Brunnen, weil er ihr wie ein Spiegel das Bild des stolzen Königs zeigte, so oft sie seinen Namen rief.«
»Und das war ein sehr wirksames Sympathiemittel,« fiel er bejahend ein. »Denn eines Tages kam er, holte sie heim und war glücklich mit ihr bis ans Ende ihrer Tage. Und Franz hieß der stolze König und die Prinzessin Albertine. O, ich kenne, wie mir scheinen will, dies Märchen von der zauberhaften Badekur.«
»Nun hast ja aber du es erzählt und dabei wie ein echter Mann alles übers Knie gebrochen. Und es wäre doch noch viel, viel schöner gekommen.«
»Ei, Schatz, du machst mich neugierig. Die Prinzessin war also wirklich eine kleine Hexe und hat das Spiegelbild wieder und wieder heraufbeschworen. Was gefiel ihr denn daran so gut? Der rote Bart oder die Habichtsnase?«
»Die fänden sich vielleicht anderswo hübscher,« sagte sie mit einem neckischen Kopfschütteln.
»So? Also, was habe ich denn sonst so Einnehmendes an mir?«
»Daß du aussiehst, als ob du unnahbar wärst und als ob unter deiner gebieterischen Hand alles zerbrechen müßte, und trotzdem darf ich doch ganz nahe bei dir sein, und du hütest dich wohl, mich zu zerbrechen. Das ist so hübsch.«
»Das ist es? merkwürdig! Es ist doch eigentümlich, wie unklar wir Männer über unsre eignen Vorzüge sind. Weißt du, daß du mir noch nie recht gesagt hast, wie denn die Liebe über dich gekommen. Ich kann mir's nicht erklären. Hab's erst ja auch selber gar nicht glauben wollen.«
»Wie soll ich das wissen?« Aber er ließ sich durch das schämige Zögern nicht abwendig machen.
»Doch, doch, das weiß man ganz genau. Ich habe dir schon wiederholt gesagt, daß ich an jenem Tage, wo du mir auf der Treppe so kühl und trotzig auswichst, das Verlangen trug, dir wieder zu begegnen und dich zu einem freundlichen Gruß zu zwingen. Was war dir damals?«
»Ich sage dir ja, ich weiß es nicht. Ich meinte, du kümmertest dich nicht um mich.« Nach einer kleinen Pause setzte sie hinzu: »Am ersten Tage hatte ich geglaubt, es sei deine Frau, der du aus dem Wagen halfst. Dann erfuhr ich wohl, daß es deine Tochter sei, aber sie allein nahm dich ganz in Anspruch.«
»Und du warst eifersüchtig?« rief er fröhlich.
»Ach, wie du doch eitel bist.«
»Du warst eifersüchtig, leugne es nicht, du warst es, Albertine! Gesteh' mir einmal, bist du es noch?«
»O nein, schon lange nicht mehr.«
»Du könntest es aber wieder werden?«
»Hast du Lust, mir Grund dazu zu geben? Warte, ich reiße dir ein Haar aus zur Strafe!«
Er ergriff ihre Hand, die schon seit einer Weile leise die rötlichen Wellen an seinem Kinn glättete.
»Was treibst du denn überhaupt?« stellte er sie zur Rede.
»Wenn du wüßtest, Franz, um wieviel besser dir der Bart läßt, wenn er so geteilt ist.«
»Jetzt ist dir schon das Königsbild nicht mehr recht. Wie rasch doch die Herrlichkeit ein Ende hat. Zerzaust du es mit eigenen frevlerischen Fingern?«
»Ich kann sagen wie du: Ich muß doch auch eine Beschäftigung haben.«
»Da weiß ich eine bessere für sie.«
Und unter Lachen zog er die Finger an seine Lippen und küßte jeden einzeln.
»So machst du mich aber im Erzählen ganz irre,« sagte sie, erst als der kleine schon an der Reihe war und auch da ohne den gehörigen ernsten Willen, ihn zu retten. »Gerade wie damals im Eichenwald weißt du, als du so ohne weiteres den Arm um mich legtest.«
»Es war ja nur, weil du ausglittest. Sollte ich ruhig zusehen?«
»Du hättest mich auch anders stützen können. Gib's nur zu! Es schickte sich wirklich nicht und ich war mit Recht empört.«
»Ist es möglich?«
»Tief empört.«
»Das zweite Mal duldetest du es aber doch.«
»Ja, das zweite Mal – –« Sie stockte. Dann schloß sie die Augen und lehnte sich mit einem leichten Seufzer, der aus keinem bekümmerten Herzen kam, an ihres Mannes Schulter. »Es war schon das erste Mal so wunderlich über mich gekommen. Trotz aller Empörung that es doch so wohl, sich von einem starken Arm beschützt zu fühlen. Es war so sicher – wie wenn ein Ring uns beide umschlossen hätte.«
»Und du glittest am Ende gar absichtlich zum zweiten Male aus.«
Auf die jubelnde Entdeckung folgte kein offenes Eingeständnis, aber mit verschämter Neckerei bekannte sie.
»Ich wollte nur sehen, ob ich dich durch die erste Zurechtweisung allzusehr gekränkt hatte.«
»O, du koketter kleiner Spitzbube!«
Mit gewandter Bewegung entzog sie sich der stürmischen Umarmung des Triumphierenden.
»Schimpf lasse ich mir keinen gefallen,« erklärte sie in scherzendem Trotz. »Ich fordere Abbitte!«
»Das fehlte noch! Jetzt, wo ich dir auf dein Sündenregister komme. Da war es dir wohl auch mit den Thränen nicht so Ernst an dem Abend, ehe du zur Reunion gingst. Du mußt dich in dem Kleide für mich photographieren lassen, weißt du. So schön, so schön warst du in der Balltoilette, dies zarte Weiß der Schultern von den Rosen umsäumt, und dann der Blick, ich glaubte dich an diesem Blick festhalten zu können, du hattest mir so eigentümlich ins Auge geschaut, ehe du dich umwandtest und auf den Tisch niederbeugtest. Da hätte ich ein Heiliger sein müssen, um mich zu halten. Und auch ein Heiliger hat seine Verzückung, in der er ein Wunderbild küßt. Es hatten doch wahrlich meine Lippen deine Achsel nur gestreift, die Berührung eines Schmetterlings hättest du mehr gefühlt und dennoch warst du wie zu Stein erstarrt. Eine Statue, über deren Marmorwangen die Thränen liefen. Sag', hast du auch damals die Spröde nur gespielt?«
»Nein, Franz.« Die bisher so heiter scherzende Stimme der jungen Frau hatte plötzlich einen rührend ernsten Klang angenommen. »Was ich damals empfand, kann ich dir nicht beschreiben. Es war wie ein Schauer, der mir die Adern hinabrieselte und jedes Glied lähmte. Ich hätte mich nicht zu regen vermocht, um keine Welt, und wenn es mein Tod gewesen wäre. Die Stelle, wo du mich geküßt, schmerzte mich wie ein Brandmal und dennoch war mir so wohl dabei, so wohl; – ich fühlte mich erniedrigt und dessenungeachtet unaussprechlich glücklich, daß ich weinen mußte.
»Du weißt, wie mich das erschreckte! Siehst du, wenn du dich umgedreht und mir einen Schlag ins Gesicht gegeben hättest, das wäre mir ganz natürlich erschienen. Ich fürchtete, dich tötlich beleidigt zu haben.«
»Das hattest du auch, aber ich konnte dir doch nicht zürnen; ich konnte es nicht. O, Franz! – ich hätte dir nicht einmal zu zürnen vermocht, auch wenn du nie mehr wiedergekommen und mich vergessen hättest – ich hatte dich so lieb, so lieb, so lieb!«
Wie ein süßer, inniger, gedämpfter Gesang klang es. Ihr Arm legte sich um seine Schulter und ihre Schläfe an die seine. Da beugte sie auch nicht mehr vor den Lippen aus, die ihr in frohlockenden halberstickten Lauten unter Küssen zuflüsterten:
»Du mein herziges – herziges Weib!«
Die Lauscherin hörte es nicht mehr. Die Hände aus das Herz gepreßt, als ließe sich so dessen lautes Pochen beherrschen, glitt Hilda von der Thüre hinweg und aus dem Garderobezimmer. Die Scham brannte auf ihren Wangen, daß sie ihr Versteck nicht schon früher verlassen, aber es war nicht diese Glut allein, die sie verwirrte. Zuerst hatte sie sich nur unmutig über die Störung verweilt und einen Moment zum Eintreten abwarten wollen, der jedoch ergab sich nicht und so war sie fast wider Willen stehen geblieben und Zeugin der Zärtlichkeiten geworden, die das Pärchen unter Neckereien tauschte. Halb spöttisch, halb in seltsamer Bewegung hatte sie auf die heitre Gruppe hingesehen, bis sie zuletzt mächtig erfaßt von einer ihr bisher unbekannten Empfindung wie träumend an den Thürpfosten lehnte und das Antlitz in die Falten des schweren Vorhangs drückte.
So war sie denn hinweggeschlichen, aber das Bild verwischte sich nicht vor ihren Augen und in ihren Ohren klang es fort und fort: »So lieb, so lieb, so lieb!« – Was war denn so Hohes, so Gedankenvolles gesprochen worden, daß es sie so sehr ergriff? Nichts, ein einfaches Geplauder, Kindereien, banale Koseworte dazwischen, und doch hatte noch keine Liebesszene in einem Buche, selbst nicht jenes wundersam girrende Zwiegespräch auf dem Balkon des alten Hauses der Capuletti in Verona je denselben Eindruck aus sie gemacht, wie dieser unbefangene trauliche Verkehr der beiden Ehegatten. Dort war das musikalisch klingende Wort, die schwungvolle, zur litterarischen Begeisterung erhebende Beredsamkeit, aber bei alldem in aller künstlerischen Vollendung doch nur toter Buchstabe. Hier war es die ungeschminkte Natur ohne jede dichterische Idealisierung, die sie geschaut, der lebendige Herzschlag, dem sie gelauscht. In ihren eigenen Pulsen fand er sein Echo; ein elektrischer Funken war auf sie übergesprungen. All ihr Blut war in Aufruhr.
So hatte sie sich hinweggeschlichen. Beängstigt, schweratmend schritt sie wie eine Nachtwandlerin langsam dahin und die langjährige Gewohnheit führte sie an die Thüre ihres Zimmers. Daß sie es abgetreten hatte, kam ihr nicht in den Sinn, zu sehr waren ihre Gedanken im Momente in Anspruch genommen, es kam ja auch nichts ihrer Erinnerung zu Hilfe. Ihre Möbel waren in dem kleinen Salon verblieben, bis auf einzelne unbedeutende Veränderungen stand alles an derselben Stelle wie immer, und selbst die Töne des Klaviers, auf dem eben ein paar Akkorde angeschlagen wurden, vermochten sie nicht auf ihren Irrtum aufmerksam zu machen. In der letzten Zeit war sie es ja gewöhnt gewesen, daß dies Gemach wie ein allgemeiner Versammlungsort oder eigentlich als ein Musikzimmer betrachtet wurde, in welchem Albertine wie ihr Bruder, so oft sie die Lust zu spielen anwandelte, ungehindert Zutritt hatten.
Sie winkte auch jetzt Edwin, der bei ihrem Eintritt aufgesprungen war, sich nicht stören zu lassen; ja sie bat ihn sogar in der mechanischen Weise wie man oft Höflichkeitsformeln zu sagen pflegt, weiterzuspielen, es sei ihr ein Vergnügen zuzuhören.
Und sie hörte, in die Ecke des Sophas gedrückt und die Augen auf die im Zwielichte noch matt erhellten Fenster gerichtet, in der That dem Spielenden zu, nur nicht mit jener bewundernden Aufmerksamkeit, welche derselbe bei ihr voraussetzte, ja sogar ganz ohne jenes auch nur dem technischen Geschick oder der Melodienfolge zugewendete Verständnis, welches zum mindesten die Ueberlieferung von eigner Zuthat, das Bekannte von der Improvisation unterscheidet. Die Töne umfluteten sie nur wie ein Aethermeer, durch das sie dahinschiffte und das sie auf seinen sanften Wellen schaukelte oder auf seinen anschwellenden Wogen emportrug und mit seinem Stürmen und Tosen jeden Nerv in ihr zu fühlbarem Mitschwingen brachte.
Noch kämpften widerstreitende Gefühle in ihr. In schamhafter Entrüstung glaubte sie die Offenheit, mit der eine Frau ihre geheimsten Regungen dem Manne kundthat, als Unweiblichkeit verurteilen zu müssen, dies kosende Werben und Hingeben entsprach so wenig der selbstgeübten mädchenhaften Zurückhaltung, daß es sie verletzte, und doch sprach wieder eine andre Stimme, wie unbeschreiblich süß es doch sein müsse, wahr – in jedem Worte wahr gegen einen andern Menschen sein zu dürfen, ihn bis aus den Grund der Seele blicken zu lassen. Hatte sie denn nicht dies Bedürfnis gerade in den letzten Tagen, wo sie in steter Angst und Selbstbewachung verhehlen mußte, was ihr bewußt war, was sie dachte, im eigenen unruhigen Herzen zitternd empfunden? Sich aussprechen zu dürfen, ohne zurückgewiesen, ohne verraten zu werden, ohne verspottet zu werden ob eines kindischen Einfalles, ja gerade auch mit diesem gleicher Stimmung und liebevoller Auffassung zu begegnen. Das mußte doch eine wonnige Sicherheit verleihen, in der gut ruhen war, wie in der Wiege des Kindes, das ja auch stammelt, was die Natur ihm eingibt und die Liebe doch immer versteht.
War sie denn selbst schon so alt, daß sie diese Sprache verlernt hatte und deren Laute nicht mehr zu finden vermochte?
Die Jahre waren dahingegangen und hatten ihr Herz so ruhig und regelmäßig schlagen gelehrt und ihren Gedanken für die Zunge ein so strenges und abgemessenes Gewand zugeschnitten, daß es fast den Anschein gewann, als seien diese in die Form und jenes in den Takt hineingewachsen, aber ein Verjüngungsquell war heiß über sie hinweggesprudelt und jetzt dehnte es sich da in der Brust und die einschnürenden Fesseln gaben nach, sie vermochte das aufblühende Leben nicht mehr zurückzudämmen. Das eingekerkerte Gefühl verlangte nach seinem Rechte, das Herz rief nach Freiheit und rebellierte gegen den Verstand, der es beschwichtigt, überredet, ja kalt weggeleugnet hatte. – Hier bin ich und ich rege mich! Lang genug war ich beiseite geschoben, wie ein unnützes lästiges Ding, aber ich bin nicht eingeschrumpft und ausgetrocknet. Von mir geht das Blut aus und zu mir kehrt es zurück und ich mache es zum Boten meiner Wünsche und durchglühe es mit meiner Flamme und jage den siedenden Schwall durch alle Adern. Wir wollen doch sehen, ob ich zu unterdrücken bin! Warum nur andern die Freiheit? warum nur andern das Glück? Auch ich – hört mich – auch ich will meinen Teil daran haben! Auch ich!
»Hilda!«
Wer sprach den Namen? Wer rief sie? Wo war sie doch?
»Hilda!« wiederholte Edwins Stimme und jetzt erst erkannte sie dieselbe. Wie ein Schatten war der Sprechende an ihre Seite geglitten. »Sie sind ganz stumm: Hat Sie mein Spiel so sehr ergriffen, daß Sie nicht das kleinste Wörtchen des Beifalls für mich haben? Und ich glaubte doch, ich hätte mein Bestes gegeben. Der bescheidenste Lobspruch hätte mich beglückt.«
»Ich war wie unter einem Bann,« sagte sie, langsam über ihre heiße Stirn streichend.
»Den sollen Sie auch nicht abschütteln! Nein, Sie dürfen sich diesem Eindruck nicht entziehen. Er ist nur weit mehr als die künstlerische Anerkennung; das Verständnis jener wortlosen Sprache der Seele zur Seele allein kann ihn hervorrufen,« fiel er lebhaft ein.
Die Musik und der süße Zauber der Dämmerung hatten auch ihn in eine Stimmung versetzt, welche die Wünsche seiner Mutter in seine eigenen zu verwandeln geeignet war. Mit klugem Vorbedacht hatte Frau Rohrwek, als sie an Hildas Stelle trat, die Begleitung ihres Sohnes abzuschneiden gewußt und ihm dafür andere Ermahnungen ans Herz gelegt. Das letzte Schwanken hatte Hildas Erscheinen beseitigt, in dem er das unverkennbarste Entgegenkommen sehen mußte. Sie gab ihm ja selbst Gelegenheit zu sprechen und ihr Schweigen ließ nach dem offenen Geständnisse nur die schmeichelhafteste Deutung zu. Fürwahr, die Mutter hatte recht: es galt nur noch ein kurzes kriegerisches Spiel um einen leichten Sieg. Und dies vorausgenommene Triumphgefühl gab mit der angenehmen Spannung seiner Phantasie jenen Schwung, dessen er eben nur bedurfte, um sich in die erstbeste Situation mit voller Ueberzeugung hineinzufinden. Er sprach denn auch jetzt durchaus nicht mit der kalten Ueberlegung, welche die Worte auf ihre Wirkung hin wählt, sondern wie ein von seinem tiefen und wahren Gefühle hingerissener Mensch.
»Ja, dies Verstummen ist mir ein Beweis, daß meine Hand die richtigen Akkorde gefunden, dem Unaussprechbaren, das mich erfüllte, Töne zu verleihen. Sie haben die Saiten in Ihrer Brust zum harmonischen Mitklingen geweckt und alles, was in mir lebte und nach Ausdruck rang, das schwebte auf dem strahlenden Lichtbogen, den die Musik zwischen uns ausspannte, in wunderbarer Klarheit zu Ihnen hinüber; ein Phänomen, das sich bei einer ganzen Zuhörerschaft einstellt, wenn es den Schöpfungen großer Meister lauscht. Ich aber darf mich nicht zu denen zählen, mir gebricht die Gabe, mich einem großen Publikum verständlich zu machen, und eben darum muß der einzelne, bei dem mein Spiel dennoch die gleiche Wirkung hervorbringt, in einem innigeren Rapport zu mir stehen, als es bei den gewöhnlichen Beziehungen zwischen Musiker und Zuhörern der Fall ist. Ein solches fast übersinnliches Eingehen in die Empfindungen, in die Intentionen eines andern ist geistiges Einssein, die unverbrüchliche Bürgschaft innerlicher Zusammengehörigkeit. Ja, Hilda, dieser magische Rapport besteht zwischen uns, er wirkt sogar in die Ferne, er läßt mich Ihr Nahen ahnen, wie er die Botschaft meiner Wünsche zu Ihnen trägt; wir können uns nicht dagegen sträuben, er führt uns zusammen. Ist es nicht so? Lassen Sie mich daran glauben, daß der Bann, der Sie nach Ihrem eigenen Geständnisse umfing, schon vorher wirksam war und daß er Sie hierherzukommen zwang, als ich Sie mit gewaltigen Tönen voll Sehnsucht herbeirief!«
Es waren das allerdings nur die ziemlich trivialen Klänge einer Polka gewesen, die er zu komponieren versuchte, das war ihm aber jetzt ganz und gar entfallen. Er hatte sich in ein Feuer hineingesprochen, das über den Mangel an Originalität in seinen überschwänglichen Worten hinweghuschte, an dem zu andrer Zeit Hildas realistischer Sinn gewiß Kritik geübt hätte. Jetzt aber war sie von dem Wirbel erfaßt; in der zunehmenden Dunkelheit vermochte sie auch den Ausdruck in Edwins Zügen nicht mehr zu erkennen und auf die Wahrheit der so begeistert klingenden Gefühlsergüsse hin zu prüfen. Ja, als er nun von der verbürgten innerlichen Zusammengehörigkeit auch auf deren äußerliche, sie vor aller Welt sanktionierende und für das ganze Leben gültige Form derselben kam und gleichsam symbolisch, wie auch um seiner Rede mehr Nachdruck zu geben, ihre Hand erfaßte, da entzog sie ihm dieselbe nicht. So warm und sanft war sie ja von der seinen umschlossen. Auch das gefiel ihr, daß dieselbe nicht hart und ungestüm zugriff, daß die feinen Fingerchen nicht schmerzten, wie in der Presse einer derben Männerfaust, in der alles zerbrechen zu müssen schien. Ach nein, sie teilte nicht jenen Geschmack an einem unnahbar gebieterischen Mann, der ihr seinen Willen auferlegte. Die Probe, die ihr heute davon geworden, hatte sie nur empört. Sie selbst war kein so fügsamer Charakter und an ihre Freiheit gewöhnt; nicht die verlangte sie zu opfern und der Arm, von dem sie träumte, sollte sich nur zum Schutz um sie legen, nicht zum Zwange.
Und jetzt bot sich dieser Arm ihr an, warum sollte sie ihn nicht annehmen? Daß es auf die Voraussetzung ihrer Liebe hin geschah, störte sie nicht. Noch war es ihr fremd, dies Gefühl, aber warum sollte sie nicht so wie andere Frauen fühlen lernen? Edwins fröhliche, hübsche Erscheinung hatte unstreitig etwas Anziehendes, sie meinte es jetzt schon wahrzunehmen, wie sich das sympathische Wohlgefallen in ihr verstärkte; festigte sich erst sein unstäter Charakter, lernte sie ihn erst als ihren energischen Beschützer bewundern, dann mußte es sich zu jenem süßen Gefühl entwickeln, das sich ja in so mancher andern Ehe, welche bloße Konvenienz geschlossen hatte, auch erst später eingestellt. Wie viele Gatten in hervorragender Stellung müßten, wenn es nicht so wäre, sonst in eisiger Einsamkeit durchs Leben neben einander hergehen, indeß sie doch recht gut harmonierten und das Familienglück auch selbst auf dem Throne gefunden hatten.
»Ich werde Sie auf den Händen durchs Leben tragen,« beteuerte Edwin, »und an einem Seidenfädchen sollen Sie mich lenken. Ich glaube, daß ich ein wenig eitel bin, aber wie sollte ich es denn auch nicht sein, wenn ich selbst einen so hohen Preis zu gewinnen vermag; sonst aber ist mit mir leicht zu leben, ich bin ein guter Kamerad und wir werden uns die Existenz so behaglich als möglich einrichten. Wollen Sie mir die Sorge dafür anvertrauen?«
Die Sorge! Als ob es in seiner unbekümmerten Art gelegen wäre, sich mit derselben zu quälen! Aber im übrigen hatte er Recht, leicht zu lenken war er, willfährig und dienstbereit. Nein, nichts von jener häßlichen Herrschsucht und überlegenen Gewaltsamkeit, die das Weib wie ein unmündiges Kind behandelte, dessen ohnmächtigen Zorn man verlachen durfte! Mit einem treuen Kameraden Hand in Hand dahinzuwandeln, mit dem man alles teilte, Freud und Leid, ja das war schön – einen solchen Kameraden hatte sie ja ersehnt und sich – hier winkte er.
Sie wußte selbst nicht wie es geschehen war, daß sie sich verlobt hatte, aber es mußte wohl so sein, denn Edwin war völlig in einem lyrischen Taumel, in dem er sein Glück pries, und sein Entzücken schien auch sie mit hinzureißen.
Als sich aber sein Arm nun doch um sie legte, rückte sie von diesem Zeichen der Vertraulichkeit unwillkürlich zur Seite. Sie fühlte nichts von jenem Schauer, der sie erstarren und ihm zur Sklavin hätte werden lassen sollen, aber auch ihr Widerstreben war mehr instinktiv als bewußt, sie hatte sich nehmen lassen wie im Sturme, fast als wäre sie eigentlich dabei gar nicht beteiligt.
Und seltsam genug beschäftigte sie, während sich ihr Bräutigam in immer feurigere Dithyramben ergoß, keineswegs ein Gedanke an die Zärtlichkeit, die fortan ihre Rosenketten um sie schlingen sollte, sondern nur fortwährend der, daß ihre Hand aufhörte, schwach und machtlos zu sein, daß dieselbe von jetzt ab eine Waffe hatte, daß ein Mann, der an ihrer Seite war, Meinhard zur Rede stellen, ihn zwingen, ihn demütigen werde. In dieser Zuversicht schwelgte ihr Haß.
Selbst die Hoffnung, mit Edwins Beistand nunmehr Wilhelms Angelegenheit rascher und sicherer zu Ende führen zu können, folgte erst in zweiter Linie. Da schnitt dann aber auch ihr Wunsch, ihn ins Vertrauen zu ziehen, alsbald seine Ergüsse, seine Zukunftspläne, wie seine kläglich scheiternden Versuche, ihr eine Liebkosung oder auch nur das kleinste Schmeichelwort der Liebe abzulocken, ziemlich grausam ab. Er mußte sich begnügen, ihre Hand mit Küssen zu bedecken.
»Zwischen zwei Menschen, die sich fürs ganze Leben mit einander verbinden wollen, soll vollkommene Klarheit herrschen,« begann sie ihre Mitteilungen, die aber von ihm in ganz anderem Sinne aufgenommen wurden.
»Gewiß, das soll so sein. Aber was könnte denn Trübendes zwischen uns treten? Laß uns jetzt einander nur wiederholen, daß wir uns lieben. Du hast es mir noch nicht einmal gesagt.«
»Ich will Ihnen alles sagen, aber Sie müssen mich ruhig und mit Ernst anhören.«
»Mit Ernst? Und das kannst du fordern in dieser Minute? Das ist dein eigener Ernst nicht!«
Ehe sie zu Worte zu kommen vermochte, that sich die Thüre auf und hinter dem voranleuchtenden Mädchen erschien Frau Rohrwek. Sie war nicht wenig überrascht, als ihr Sohn ihr seine Braut vorstellte.
Braut! – Seine Braut! wie das so wunderlich klang. Aber Hilda konnte sich der Analysirung dieses Eindrucks nicht hingeben, denn die glückliche Mutter, die nun alle ihre Wünsche in Erfüllung gehen sah, überhäufte sie mit Zärtlichkeiten.
Das Paar mußte ihr auch sogleich in das Eßzimmer folgen, dort war ja sicherlich schon die junge Hausfrau, die Mitteilung mußte doch auch ihr gemacht werden. Aber als das geschah, da erfolgte plötzlich ein Schrei und in eine wilde Thränenflut ausbrechend, warf sich Mimi, welche gerade im besten Erzählen ihrer Nachmittagserlebnisse gewesen war, an Albertinens Brust.
»Was ist dir, mein liebes Kind?« fragte diese, aber sie mußte nochmals fragen und es brauchte eine Weile, bis sich die Weinende so weit erholt hatte, daß eine Antwort zu erhalten war.
»Ich – ich,« sagte die Kleine, sich gewaltsam fassend, aber noch unter Schluchzen, »ich freue mich – ich freue mich so – haha! ich bin – ein so dummes Ding, – daß ich vor Freude weinen muß.«
»O, das ist natürlich. Auch ich bin solchen nervösen Anfällen ausgesetzt,« erklärte Frau Rohrwek, aber sie kam nicht dazu, sich über das Thema zu verbreiten.
»So, du heiratest also?« sagte Franz, der in der Fensternische stand, die Hände auf dem Rücken hielt und den Kopf wiegte, ziemlich trocken zu seiner Schwester, der sich die Schwägerin eben glückwünschend genähert hatte.
»Nun ja, – Ihr habt es ja alle gewollt,« entgegnete Hilda mit blitzenden Augen, sie konnte sich den kleinen Triumph nicht versagen. »Hast nicht du selbst mir am eifrigsten zugesprochen?«
»Hm, ja. So aber habe ich es allerdings nicht gemeint.«
Diese in ein leises Brummen ausklingende nachträgliche Einschränkung verlief sich jedoch ungehört in dem fröhlichen Durcheinander der Stimmen. Frau Rohrwek richtete schon den ganzen Zukunftshaushalt ein, Edwin improvisierte Gedichte à la Heine. Hilda selbst war in fieberhafter Erregung, ihr Sein, ihr Denken, ihr Empfinden – alles war aus den Angeln gehoben, der Wein, in dem man bald auf das Wohl des Brautpaares anstieß, färbte ihre Wangen noch höher, all den Lärm aber überjubelte Mimis helle Stimme. Nach einem wiederholten Krampf, den sie nicht hatte bewältigen können, hatte die Kleine resolut ihre Thränen weggewischt und von da ab wirbelte sie wie ein toller Kreisel um die lebhafte Tischgesellschaft, unablässig plaudernd und lachend.
Es war ein bewegter Verlobungsabend.