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Sobald die ungeschlachte Gestalt des Riesen verschwunden war, setzte sich Lucifer seinem Gefangenen gegenüber an den Tisch.
»So,« sagte er mit einem Anflug von theatralischem Pathos, »jetzt wollen wir Abrechnung halten. Zu diesem Zweck ist es nötig, einen Blick in die Vergangenheit zurückzutun. Ich werde mich kurz fassen, bitte aber, mich nicht zu unterbrechen.
Vor Jahren lebte in der Provinzstadt Darlington ein Bankier namens Windham, der, einer alten Familiensitte folgend, seinen einzigen Sohn, anstatt ihn zu Hause zu behalten, nach London schickte, um dort die nötigen Geschäftskenntnisse zu erwerben. Daß er da auch manches lernen würde, wovon sich seine ehrbaren Eltern nichts träumen ließen, daran dachte der gute Mann nicht.
Der junge Percy Windham war in einem überaus engherzigen, unduldsamen Religionsglauben erzogen worden. Man hatte es sich besonders angelegen sein lassen, ihm beizubringen, daß jeder, auch der unschuldigste Sinnenreiz ein Fangnetz des Teufels sei.
Nun hätte man glauben können, er habe sich, der väterlichen Zucht enthoben, kopfüber in den Strubel der Weltstadt gestürzt. Keineswegs. Entweder war er zu ehrlich in seinen Grundsätzen oder – was wahrscheinlicher ist – zu schwerfällig, um sich von den ihm anerzogenen Moralitätsfesseln loszumachen. Bis zu seinem fünfundzwanzigsten Jahre führte er also ein wahres Einsiedlerleben. Das stimmt doch?« unterbrach er sich selbst, »sonst bitte ich, mich zu verbessern.«
Der Bankier, der die Arme auf den Tisch gestützt und das Gesicht in die Hände vergraben hatte, antwortete nicht. Er saß unbeweglich wie eine Bildsäule.
»Nun geschah es,« fuhr Lucifer nach einer kurzen Pause fort, daß die Verwandten des jungen Mannes aus irgend einem Grunde vermuteten, er sei auf Abwege geraten. Der Vater schrieb ihm einen frommen Brief, vollgepfropft mit frommen Ermahnungen und Bibelsprüchen, der ihn, da er sich unschuldig fühlte, bitter kränkte.
In seiner Entrüstung über die ungerechte Zurechtweisung schloß er sich seinem Pultnachbar an, dem einzigen, mit dem er ab und zu verkehrte. Derselbe hatte ihm wiederholt angedeutet, als Erbe eines reichen Mannes brauche er, auch ohne väterlichen Zuschuß, nicht so sparsam zu leben. Dieser Hinweis verleitete ihn nun, sich mit Hilfe seines neuen Freundes einen Wechsel auf 25 Pfund von einem Wucherer zu verschaffen. Einmal aufgestachelt ging er noch einen Schritt weiter: er besuchte ein Variété-Theater, die Tartarus-Musikhalle, in der ein hübsches Mädchen, Florence Burton, das ebenso graziös tanzte wie sang, den Hauptanziehungspunkt für das Publikum bildete. Nun, um die Sache kurz zu machen – doch halt! Ich werde Ihnen zuvor ein Programm aus jener Zeit vorlegen; das wird Ihr Gedächtnis sicher auffrischen.«
So sprechend zog er ein beschmutztes, zerdrücktes Blatt Papier aus der Tasche, das er Windham über den Tisch hinwarf.
Mechanisch griff der Bankier darnach. Welch eine Flut von Erinnerungen – schmerzlich süßer Erinnerungen dieser Papierfetzen in ihm erweckte! Wie deutlich sah er die ganze Szene vor sich! Das flackernde, grelle Gaslicht, die gemischte Gesellschaft im Saal, dessen Atmosphäre von Spirituosen und Tabakgeruch erfüllt war und auf dem Podium die schlanke, geschmeidige Gestalt der jungen Sängerin, die ihre lustigen Lieder mit rhythmisch-graziösen Tanzbewegungen begleitete, wofür sie rauschenden Beifall erntete.
Noch starrte er in wehmütigem Sinnen auf das Blatt, als Lucifer, der ihn mit cynischem Lächeln beobachtet hatte, fortfuhr: »Nun, der junge Mann war rasch betört. Er glaubte nie ein reizenderes Geschöpf gesehen zu haben als diese kleine Sängerin, war sie doch so grundverschieden von den steifen Matronen und zimperlichen Mädchen, die er kannte.
Er kam jetzt jeden Abend in den Tartarus, bis seine Anwesenheit auffiel und man Florence wegen ihres schäbig gekleideten Verehrers zu necken begann. Nun wurde auch der Direktor, Lucifer mit Namen, aufmerksam, und klugberechnend wie er war, zog er Erkundigungen über den jungen Mann ein, deren Ergebnis er Florence mitteilte. Die Kleine hatte Verstand genug zu erkennen, welchen Vorteil ihr eine solche Bekanntschaft einbringen mußte und – –«
»Sie lügen!« fiel ihm Windham zornig ins Wort. Florence besaß keinen gewinnsüchtigen Charakter – sie liebte mich um meiner selbst willen.«
»Das ist die Einbildung aller jungen Leute,« entgegnete Lucifer achselzuckend. »Nun meinetwegen, sagen wir, Fräulein Burton sei ganz uneigennützig gewesen – das sind ja alle Damen vom Theater – sie habe nur Ihrer eigenen Verdienste halber nach Ihnen geangelt, nicht wegen Ihrer glänzenden Zukunftsaussichten. Da ich zu jenen gehöre, die das Eisen schmieden, so lange es heiß ist, so wollte ich mir den guten Fang natürlich nicht entgehen lassen, versprach ich mir doch keinen geringen Vorteil davon, wenn Florence den Sohn eines Bankiers heiratete. Ich brachte die Zwei also geschickt zusammen und das Ende vom Liede war, daß sie sich heirateten.«
Abermals machte er eine Pause, da Windham aber wieder seine vorherige starre Haltung angenommen hatte, begann er von neuem: »Leider irrte ich mich in Florence, denn anstatt ihren Gatten auszupumpen, um mich für meine Mühe zu belohnen, verließ sie die Bühne und lebte mit ihrem Manne irgendwo auf dem Lande in der Nähe Londons.
Drei Jahre dauerte das Idyll; dann wurde Windham nach Darlington zurückberufen. Ein schwerer Abschied mag's für ihn gewesen sein; dennoch fand er nicht den Mut, Florence nachkommen zu lassen, um sie seinen Eltern vorzustellen. Ebensowenig fand er Zeit, sie zu besuchen, doch schrieb er ihr während seiner siebenmonatlichen Abwesenheit beinahe täglich.
Als er denn endlich auf Flügeln der Liebe zu ihr eilte, nachdem er sein Kommen gemeldet, erhielt er am Bahnhof die Nachricht, seine Frau sei bei der Geburt einer Tochter gestorben.«
»Und jetzt,« unterbrach ihn Windham aufgeregt, »wollen Sie mir weißmachen, daß alles nicht wahr ist und meine Frau noch lebt.«
»Ich kann nicht sagen,« fuhr Lucifer ohne den Einwurf zu beachten, fort, »in welcher Weise Sie damals für das hinterbliebene Kind sorgten, doch erfuhr ich kürzlich, daß Sie Ihre legitime Tochter Evelyn Windham der Welt gegenüber für das Kind eines verstorbenen Regierungsbeamten ausgegeben haben. Nachdem Ihr Kummer sich gelegt, heirateten Sie die Witwe eines Bischofs, die Ihnen die Ehe allerdings nicht zum Paradies gemacht hat. Unbegreiflicherweise versäumten Sie, sich genügend über den Tod Ihrer ersten Frau zu informieren und so sind Sie nun in eine böse Zwickmühle geraten, um die Sie keiner beneiden wird.«
»Ich glaube es nicht, daß Florence noch lebt,« protestierte Windham. »Sie hätte mir nie einen derartig gemeinen Streich gespielt.«
Lucifer lachte cynisch auf. »Pah, mein Bester, Sie kennen die Weiber schlecht. Eine schmählich verlassene Frau, wenn sie ordentlich aufgestachelt wird, ist zu allem fähig. Sie hatte einen Berater, der Ihre Briefe abfing, ihr sagte, Sie schämten sich ihrer vor der Welt, Sie seien längst ihrer überdrüssig geworden usw. und sie schließlich beredete, sich Ihnen gegenüber für tot auszugeben, bis der geeignete Augenblick zur Rache gekommen sei.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort,« beharrte Windham. »Zeigen Sie mir Florence, dann will ich zugestehen, daß ich in Ihrer Macht bin, im anderen Falle müssen Sie mich sofort freigeben.«
Lucifer blinzelte schlau mit den Augen. »Gegen diesen Vorschlag habe ich nichts einzuwenden, nur kann ich nicht wohl meinem langjährigen Prinzip, nie etwas gratis zu tun, untreu werden. Bei Ihrer Verheiratung mit Florence schoben Sie mich völlig zur Seite; Sie könnten dies auch jetzt, bei Ihrer Wiedervereinigung mit ihr tun. Geben Sie mir einen Check auf 2000 Pfund; dafür werde ich Ihnen Ihre Frau zeigen und es dann Ihnen überlassen, sich mit ihr zu einigen.«
»Betrügen Sie mich nicht?« fragte Windham mißtrauisch.
»Legen Sie den Check auf den Tisch,« entgegnete Lucifer, »und wenn Sie in ihr nicht Ihre Frau erkennen, verlange ich nichts und Sie können frei fortgehen. Auf Ehre!« er legte die Hand theatralisch aufs Herz, »nichts soll Sie daran hindern, mein Haus zu verlassen.«
Windham überlegte einen Augenblick, während Lucifer ihm das Checkbuch, das er in der Wohnung des Bankiers an sich genommen, entgegenhielt. »Ich will es wagen,« murmelte er vor sich hin, füllte den geforderten Check aus und legte ihn auf den Tisch.
Lucifer lächelte befriedigt. »So«, sagte er, »jetzt werde ich mein Wort halten. Kommen Sie, mein Herr, die Vorstellung beginnt.«
Er schritt zu dem verhängten Fenster hin und nachdem er kräftig an die Scheiben gepocht hatte, nahm er eine echte Schauspielerpose an, die eine Hand in die Brusttasche versenkt, die andere erhoben, wie um auf ein wunderbares Schauspiel aufmerksam zu machen.
Als habe jemand im Nebenraum nur auf das Klopfen gewartet, so flog der Vorhang zur Seite. Ein greller, die Augen blendender Lichtstrahl fiel ins Zimmer. Windham trat einen Schritt näher, in atemloser Spannung durch das Fenster blickend. Was er da sah, machte sein Blut erstarren. Inmitten eines hellen Lichtkreises stand die schlanke, biegsame Gestalt eines Weibes in seidenen Trikots und einem blauen silberverzierten Sammetjäckchen, die schöngeformten Arme über dem Haupt verschlungen. Jetzt wandte sich die Gestalt mit graziöser Bewegung um, die Augen fest auf Windham richtend.
Mit dem Rufe: »Florence, Florence!« stürzte dieser vor, als wolle er das Weib in seine Arme ziehen, doch im selben Augenblick schloß sich der Vorhang wieder.
»Mein Gott!« stöhnte der unglückliche Mann, dann schwankte er und fiel bewußtlos zu Boden, während Lucifer, triumphierend wie Satan selbst, den Check vom Tisch nahm und damit das Zimmer verließ.
Es dauerte eine geraume Weile, bis Windham die Besinnung wiedererlangte und zur Erkenntnis der schrecklichen Lage kam, in der er sich befand.
Er, der angesehene, von allen geachtete Mann plötzlich – wenn auch ohne seine Schuld – der Bigamie angeklagt! Was würde Evelyn von ihm denken? Wie würde seine jetzige Frau diesen Schlag ertragen?
Er hatte die Behauptung seines Peinigers für ein dreistes Erpressungsmanöver gehalten; nun er aber mit eigenen Augen seine totgeglaubte Florence gesehen und erkannt hatte, nun wagte er nicht mehr zu zweifeln.
Es war furchtbar, wie bitter es sich rächte, daß er damals, nach dem Tode seiner Frau versäumt hatte, sich über die wahren Umstände zu informieren; allein er stand zu jener Zeit zu sehr unter dem Einfluß seiner Angehörigen, daß er die ihm peinliche Sache, besonders die Unterbringung des Kindes so rasch wie möglich zu erledigen gesucht hatte.
Vergebens zerbrach er sich den Kopf, wie dem drohenden Verhängnis zu entgehen wäre – er fand keinen Ausweg.
Tief niedergedrückt schaute er sich um; nur Anak saß, seine Pfeife rauchend, am Kamin.
Windham rief ihn an. »Können Sie mir sagen, wo der Mann sich befindet, der sich Lucifer nennt?«
»Mein Herr?« entgegnete der Riese, ohne sich umzuwenden. »Hm, der ist grad' nicht hier. Hat mir befohlen, auf Sie aufzupassen, er wollt' nach Paris. Da ist 'n Zettel für Sie.« Er reichte Windham ein kleines Billett, dessen Inhalt folgendermaßen lautete:
»Mein Wort habe ich gehalten, fahre nun nach Paris, weil ich den Check dort leichter einkassieren kann. Nach meiner Rückkehr werde ich Sie mit der wirklichen Frau Windham zusammenbringen. Bis dahin verbleibe ich
Ihr ergebener L.«
Windham warf das Blatt ärgerlich von sich. »Ich bleibe nicht hier,« erklärte er in kategorischem Ton. »Die ganze Geschichte ist Schwindel; Sie können mich daher nicht hindern, diesen Ort zu verlassen.«
Der Riese nahm seine Pfeife aus dem Mund. »Mein Herr hat mir gesagt. Sie dürften nicht fort, also gibt's kein Ausreißen. Wenn Sie sich nicht ruhig fügen, sperr' ich Sie in den Keller, da haben Sie die Ratten zur Unterhaltung. Und selbst, wenn Sie zum Tor hinauskämen, hätt's keinen Nutzen, denn die Leute hier herum sind Kameraden von meinem Herrn; die ließen Sie gar nicht durch. Wozu sträuben Sie sich denn so? Wenn Sie vernünftig wären, könnten wir ein Kartenspielchen machen oder – haben Sie Tiere gern? Da ist mein alter Fangs – – ein famoser Kerl. He, Fangs!«
Auf den Ruf kam ein häßlicher weißer Bullenbeißer mit einem schwarzen Fleck über dem linken Auge durch die offene Tür herangewatschelt, ging auf Windham zu und beschnupperte ihn knurrend.
Anak lachte. »Der Bursche merkt, was los ist,« sagte er, den Hund an sich lockend. »Mit dem ist nicht gut Kirschen essen, wen der hält, gibt er nicht wieder frei. Seh'n Sie sich also vor!«
Windham schwieg eine Weile; dann fragte er plötzlich: »Können Sie mir sagen, ob sich hier im Haus eine Dame befindet?«
»Eine Dame?« Der Riese riß vor Erstaunen die Augen weit auf. »Kuriose Frage! Mit Weibsvolk befassen wir uns nicht.«
»Wer war denn die Frau, die ich vorhin gesehen habe?« forschte Windham weiter. »Könnten Sie sie nicht hierherbringen?«
»Abah!« grinste der Mann kopfschüttelnd. »Mein Herr sagte mir, Sie hätten einen Anfall gehabt; daß Sie aber so verrücktes Zeug reden würden, hätt' ich nicht gedacht.«
»Sie wollen doch nicht behaupten,« fuhr Windham auf, »es sei niemand hinter jenem Fenster gewesen?«
»Versteh' nicht, was Sie meinen,« brummte Anak. »Rätsel lösen ist auch nicht meine Sache. Würd' Ihnen doch raten, vor der Nacht noch 'nen Mund voll frische Luft zu schöpfen. Raus können Sie ja nicht, denn Fangs und ich sind immer in der Nähe.«
Ohne sich scheinbar um den Gefangenen zu kümmern, schlenderte der Riese, von seinem Hund gefolgt, in den Hof hinaus und Windham benutzte dies, seine Umgebung näher zu besichtigen. Er fand nichts, was er nicht schon vorher bemerkt hatte, nur entdeckte er auf einem Wandbrett einige Blätter weißes Papier, einen zerbrochenen Federhalter und ein Tintenfaß sowie ein Schächtelchen mit Oblaten. Eine Türe im Hintergrund des Zimmers führte in eine Küche, in der ein Herd und ein Regal mit irdenem Geschirr stand. Der Raum lag völlig isoliert und die Türen zu ebener Erde waren fest verschlossen.
Die fruchtlose Inspektion des Hauses aufgebend, wandte der Bankier seine Schritte dem Hofe zu. Dicht am Tor lag Anak im Grase, hin und wieder den Hund neckend, der dann knurrend seine Zähne zeigte.
Beide ließen Windham unbehelligt. Dieser ging langsam bis zur Hofmauer, die das Grundstück von der Straße trennte. Er bemerkte eine zerbröckelte Stelle, durch die er hinaussehen konnte. Sein Herz klopfte, als er in einer Entfernung von zwanzig Schritt einen Briefkasten gewahrte, in dessen Nähe einige Gassenbuben spielten. Blitzschnell durchzuckte ihn ein Gedanke, ein Hoffnungsstrahl, sich mit der Außenwelt in Verbindung setzen zu können.
»Ich will es versuchen,« murmelte er vor sich hin. »Wenn ich nur Evelyn erwähne und der Brief aufgefangen werden sollte, können sie daraus nicht merken, daß ich auf Flucht sinne.«
Er kehrte ins Haus zurück und schrieb mit Bleistift ein paar Zeilen an Harding, schloß das Blatt, indem er eine Oblate darauf klebte, steckte es in die Tasche und ging wieder in den Hof hinaus.
Zu seiner nicht geringen Freude hatte Anak seinen Posten verlassen. Windham entdeckte die mächtige Gestalt des Riesen unten am Flußufer. Er stach mit einer Stange in einen Haufen Bauholz, das dort lagerte, während Fangs mit gespreizten Beinen und vor Erregung zitterndem Körper zuschaute. Wahrscheinlich hatten Herr und Hund eine Ratte gesehen und nun machten sie so eifrig Jagd auf dieselbe, daß sie alles andere darüber vergaßen.
Mit einem Seufzer der Erleichterung trat Windham an die Mauerspalte. Draußen im Straßenschmutz trieb sich ein zerlumpter Junge von acht oder neun Jahren herum.
»Holla, mein Junge!« rief Windham ihm leise zu.
Der Kleine, der nicht wußte, woher die Stimme kam, stutzte, schaute mit dummem Gesicht um sich und wagte sich erst näher, als Windham ihn nochmals anrief.
»Möchtest Du Dir einen Schilling verdienen?« fragte der Bankier. »Ich gebe Dir einen, wenn Du mir diesen Brief in den Kasten wirfst.«
Der Junge lachte verächtlich. »Macht doch keinen faulen Witz,« sagte er mit altkluger Miene. »Verrückte haben nie Geld, und Ihr seid doch der, auf den der Jim aufpassen muß.«
Windham biß sich auf die Lippen. Also für einen Geistesgestörten hatte sein Entführer ihn in der Nachbarschaft ausgegeben, um damit seine Anwesenheit in dieser Gegend zu erklären.
»Einerlei, mein Bürschchen,« rief er dem Knaben zu, »wirf mir den Brief in den Kasten und hol' Dir dann deinen Lohn.«
Der Junge warf den Kopf zurück. »Nicht so dumm!« grinste er. »Erst das Geld, Alter, dann besorg' ich Dir den Zettel.«
Windham hatte keine Wahl; überdies mußte er jeden Augenblick fürchten, von Anak überrascht zu werden.
»Da hast Du einen Schilling,« sagte er, dem Knaben die Münze und den Brief durch die Spalte reichend. »Wenn Du's ordentlich besorgst, kannst Du noch mehr verdienen. Komm' nur jeden Tag hierher, aber sag's niemand.«
»O, ich kann schweigen,« bemerkte der Kleine wichtig tuend, und dann lief er rasch davon.
Mit einer gewissen Bangigkeit schaute Windham ihm nach, doch der kleine Kerl war ehrlich; er warf den Brief, den Harding am folgenden Morgen erhielt, in den Kasten und verschwand dann im nächsten Zuckerbäckerladen.
Als Windham sich wieder dem Hause zuwandte, kam ihm Anak von der anderen Seite entgegen, eine große Ratte über seinem Kopf schwingend.
»Ist's nicht ein Ungetüm?« rief er Windham zu. Fangs lauert schon auf seine Beute. Haben den Keller voll von den lieben Tierchen, die einen bei lebendigem Leib auffressen können. Seien Sie also ja vernünftig, damit Sie nicht gezwungen werden, mit ihnen Bekanntschaft zu machen.«