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Zwei Tage schon befand sich der Bankier in seinem unfreiwilligen Gefängnis und noch war Lucifer nicht zurückgekehrt.
Eine dumpfe Verzweiflung hatte sich Windhams bemächtigt. Er sah sich hülflos der Willkür eines abgefeimten Schurken preisgegeben, denn angesichts der verhängnisvollen Lage, in die er geraten, verhängnisvoll, weil sie ihn in schweren Konflikt mit den Gesetzen bringen konnte, hätte er es nicht einmal wagen dürfen, durch seine Freunde die Polizei zu seiner Befreiung anzurufen.
Nicht weniger als die quälende Ungewißheit seiner nächsten Zukunft bedrückte ihn die gezwungene Untätigkeit und mehr als einmal überkam ihn, wenn er, von tödlicher Langeweile verfolgt, in dem wüsten Grundstück längs der Themse auf und ab schritt, die Versuchung, all seinen Sorgen im stillen Wellengrab ein Ende zu machen. Nur der Gedanke an Evelyn Burton, das einzige Wesen, das seinem Herzen nahe stand, hielt ihn davon ab, diesen Verzweiflungsschritt zu tun.
So oft er im Freien war, spähte er zu den Fenstern des alten Hauses hinauf, in der Hoffnung, die Gestalt zu entdecken, deren geisterhafter Anblick ihn so tief erschüttert hatte, allein vergebens. Außer Anak und dessen Bullenbeißer schien der Ort kein lebendes Wesen zu beherbergen.
Endlich, am Morgen des dritten Tages, trat Lucifer bei ihm ein. Trotz seines Widerwillens gegen den Mann begrüßte ihn Windham mit sichtlicher Freude.
»Ah, mein Bester,« lachte Lucifer spöttisch, »scheinen ja ordentlich froh zu sein, mich zu sehen. Fürchten Sie denn nicht, daß ich Ihnen gewissermaßen ein moralisches Todesurteil bringen könnte?«
»Haben Sie das Geld erhalten?« schnitt ihm Windham die boshafte Bemerkung ab.
»Gewiß,« schmunzelte Lucifer. »Die Sache ging vollkommen glatt.«
»Dann bitte ich Sie, jetzt Ihren Teil der Abmachung zu erfüllen,« drängte Windham, »denn diese Ungewißheit bringt mich um.«
»Nur gemach!« entgegnete sein Peiniger gleichmütig, indem er sich einen Stuhl heranzog und ein Bein über das andere schlug. »Ich möchte Ihnen doch noch einmal nahelegen, ob Sie nicht lieber eine bestimmte Summe zahlen wollen, um die Sache mit einem Schlag aus der Welt zu schaffen und in Zukunft Ruhe zu haben. Bei Ihrem unbegrenzten Reichtum würden Sie die Bagatelle gar nicht spüren. Antworten Sie nicht gleich – lassen Sie sich Zeit zum Überlegen.«
»Ich brauche nicht zu überlegen,« gab Windham schroff zurück. »Wollte ich auch die Schätze eines Krösus für meine Freiheit opfern, so wüßte ich doch genau, daß Sie mich früher oder später mit neuen Erpressungen verfolgen würden. Dem mag ich mich nicht aussetzen. Ich will der Sache auf den Grund gehen, will mich überzeugen, ob ich nicht das Opfer eines Betruges geworden bin.«
»Sie sind ja sehr mißtrauisch,« bemerkte Lucifer, sich eine Zigarette anzündend. »Nun, wie Sie wollen! Jeder muß selbst wissen, was er tut; ich mache Sie aber darauf aufmerksam, daß Sie sich mit mir jedenfalls viel leichter einigen würden als mit der Hauptperson. Bleiben Sie jedoch bei Ihrem Entschluß, so will ich nicht im Wege stehen. Ich ersuche Sie daher, sich für kurze Zeit in Anaks Gesellschaft zu begeben, bis ich das Wiedersehen vorbereitet habe.«
Ohne ein Wort zu erwidern, verließ Windham das Zimmer, ließ sich aber nicht mit Anak ein, der träge im Grase lag und sich damit die Zeit vertrieb, den Hund zu quälen und zu reizen.
In unruhiger Erwartung schritt der Bankier vor der Haustüre auf und ab. Ihm bangte vor der nahen Zusammenkunft, obgleich er das Gefühl hatte, als sei das Ganze ein abgekartetes Spiel, eine schlau berechnete Täuschung von seiten eines Betrügers. Aber dann beschlichen ihn auch wieder Zweifel, hatte er doch zu genau in der Gestalt des Lichtkreises seine so schmerzlich betrauerte Florence erkannt.
Lucifers Stimme weckte ihn aus seinen Grübeleien. »Gehen Sie ins Haus,« rief ihm dieser, im Hofe stehend, zu, »doch vergessen Sie nicht – Sie haben Ihre letzte Chance durch eigene Schuld verloren.«
Schweigend gehorchte Windham der Aufforderung.
Als er das Zimmer betrat, sah er eine weibliche Gestalt mit abgewandtem Gesicht am Kamin sitzen. Wie vertraut war ihm jede Linie dieser schlanken, geschmeidigen Gestalt! Wie oft hatte er sein Weib in derselben Haltung gesehen, wenn er in jener glücklichen Zeit seiner jungen Liebe aus dem Geschäft heimkehrte! Hier lag kein Irrtum, keine Täuschung vor!
Mit halberstickter Stimme sprach er den Namen der Totgeglaubten aus. »Florence!«
Blitzschnell wandte sich die Gerufene nach ihm um. Ja, das war sie, das Weib, das er so leidenschaftlich geliebt hatte, dieselben dunklen Augen, dasselbe Haar, dieselbe Anmut und Schönheit, die ihn schon vor Jahren bezaubert hatte. Und dennoch – bei einem zweiten Blick glaubte er etwas ihm Fremdes an ihr zu bemerken, nicht die Veränderung, die die Jahre mit sich bringen, sondern einen harten Ausdruck im Gesicht, den Windham sich nicht erinnerte, jemals in den sanften Zügen seines jungen Weibes gesehen zu haben.
Er trat einen Schritt näher. »Florence!« sagte er nochmals, obgleich jetzt ein leiser Zweifel aus dem Worte klang.
»Jawohl, Florence Burton,« entgegnete die Frau mit metallischem Auflachen. »Du scheinst vergessen zu haben, daß ich das Recht hatte, einen anderen Namen zu tragen, Percival Windham.«
»Percival?« wiederholte der Bankier stutzig. »Du pflegtest mich doch stets Percy zu nennen.«
»Ah, die Zeiten sind vorbei,« gab sie schroff zurück. »Willst Du es leugnen, daß Du mich schnöde verließest, um zu Deiner noblen Sippe nach Darlington heimzukehren? Du warst Deines Spielzeugs überdrüssig und hast Dich wenig darum gekümmert, ob ich lebte oder nicht.«
»Wie unrecht Du mir tust, Florence,« entgegnete Windham ernst. »Ich schrieb Dir fast alle Tage und sandte Dir immer wieder Geld, um Dir das Leben so behaglich als möglich zu machen.«
»Lügen, alles Lügen!« unterbrach sie ihn zornig. »Ich habe weder Geld noch Briefe erhalten. Suche Dich jetzt nicht zu rechtfertigen. Deinen Verrat an mir zu leugnen. Doch ich war nicht so verlassen, so freundlos wie Du mich zurückließest; ich fand einen treuen Berater, der mir die Augen über Dich öffnete und mich von Deiner Treulosigkeit überzeugte.«
»Wer war dieser Berater?« fragte Windham in sichtlicher Spannung. »Etwa der Schurke, der sich Lucifer nennt?«
Die Frau zuckte verächtlich die Achseln. »Was kümmert's Dich, seinen Namen zu wissen? Er hat nichts mit der Sache zu tun, nun wir uns Auge in Auge gegenüberstehen. Was ich damals empfand, wirst Du Dir wohl vorstellen können, wirst es vielleicht auch begreifen, daß mein so tiefverwundetes Herz nach Rache verlangte. Ich übte dieselbe aus, indem ich Dich glauben machte, ich sei tot. Auf diese Weise konnte ich Dich in trügerische Sicherheit wiegen und zu gegebener Zeit in meine Gewalt bekommen.«
»Und Du vermochtest es, Dich von Deinem Kinde zu trennen?« fragte Windham, mehr an Evelyn als an sich denkend. »Wo war Dein Muttergefühl?«
»Pah!« lautete die herbe Antwort, »das Kind wäre mir nur ein Hindernis gewesen; überdies haßte ich alles, was mich an meine Torheit, Dich geliebt zu haben, erinnerte. Ich war damals noch jung und schön, besaß auch genügend Talent für die Bühne, um mir allein fortzuhelfen. So konnte ich die Zeit abwarten – die Zeit meiner Rache!«
»Das hast Du in der Tat getan!« fiel Windham entrüstet ein. »Ist es nicht schändlich, einen Mann, der Dir kein Leid zugefügt, in eine solche Falle zu bringen? Doch nein – ich halte alles für Betrug. Du bist nicht die Florence, die ich geliebt, an deren Grab meine Gedanken so oft verweilen. Gesicht und Gestalt sind zwar die gleichen, doch Herz und Charakter grundverschieden.«
»Die Qualen eines verratenen Herzens können selbst einen Engel in einen Teufel verwandeln,« entgegnete die Frau voll Bitterkeit, »und ich bin keine Ausnahme meines Geschlechtes. Als Du meinen Tod erfuhrst, nahmst Du Dir nicht die Mühe, Dich nach den näheren Umständen zu erkundigen. Du freutest Dich Deiner wiedererlangten Freiheit und warst froh, mich auf so bequeme Weise losgeworden zu sein. Daß Du für unser Kind sorgtest, geschah nur, um jedes Aufsehen, jeden Skandal zu vermeiden, denn so hattest Du es in der Hand, Deine Vaterschaft geheim zu halten. Was hast Du übrigens für Evelyn getan? Du wirst sie in eine billige Schule geschickt und eine Bonne oder Gouvernante aus ihr gemacht haben.«
»O nein,« widersprach Windham lebhaft. »Ich habe für sie getan, was ich tun konnte. Evelyn besitzt ein eigenes Vermögen; außerdem habe ich sie zu meiner Haupterbin eingesetzt. Das muß Dich doch von meiner ehrlichen Gesinnung überzeugen, muß Dir beweisen, daß ich wissentlich kein Unrecht gegen Dich beging. Willst Du mir jetzt noch zürnen?«
Seine Stimme klang weich und bittend, doch der harte Ausdruck im Gesicht der Frau milderte sich nicht.
Diese Gefühlslosigkeit brachte Windhams Blut in Wallung. »Mein Gott,« rief er leidenschaftlich aus, »trotz Deiner Ähnlichkeit mit Florence kann und will ich es nicht glauben, daß Du mein Weib bist, denn meine Florence war sanft und gut und jedes ihrer Worte atmete Liebe für mich.«
»Ich sei nicht Dein Weib?« höhnte die Frau. »So? auf diese Weise suchst Du Dich loszumachen? Das geht aber nicht, denn ich habe alle Beweise in Händen. Hier ist unser Trauschein und die Briefe, die Du mir vor der Hochzeit geschrieben hast.« Sie zog ein Bündel Papiere aus der Tasche, die sie auf den Tisch warf. »Nein, nein, Percival Windham, es gibt kein Entkommen für Dich – ich bin Deine rechtmäßige Gattin. Wie ich hörte, hast Du eine Frau geheiratet, eine Kirchengängerin, so eine Fromme, die mit Verachtung auf die Menschen herabsieht, zu denen ich gehöre. Was wird sie sagen, wenn sie erfährt, daß ihre Ehe mit Dir ungültig ist und daß ich, die arme Tänzerin, ein Recht auf die Stellung habe, die sie jetzt in Deinem Hause einnimmt?«
Ein Schauer überlief Windham bei dem Gedanken an den maßlosen Zornesausbruch seiner zweiten Gattin, dem er ausgesetzt sein würde, sobald sie den wahren Sachverhalt erfuhr.
»Die wird ebenso wenig Mitleid für Dich haben wie ich,« fuhr die Frau triumphierend fort. »Sträube Dich, wie Du willst, Du bist völlig in meiner Gewalt. Ich kann Dich jederzeit wegen böswilligen Verlassens und wegen Bigamie verhaften lassen, kann einen Teil Deines Vermögens und die Auslieferung meiner Tochter verlangen.«
»Niemals!« fuhr Windham heftig auf. »Evelyn soll nie in Deine Hände fallen. Doch wozu die vielen Worte?« unterbrach er sich selbst, indem er eine gewaltige Anstrengung machte, sich zu beherrschen. »Entweder bist Du nicht wirklich Florence oder Du hast Dich grenzenlos verändert und mit dem Schurken, der mich hierherlockte, ein Komplott gegen mich geschmiedet. Wieviel meines Vermögens beanspruchst Du? Ich werde Dir mehr geben, als Du forderst, nur stelle ich die Bedingung, daß Du Dich von Evelyn fern hältst.«
»Du willst mich mit einem Teil abspeisen, wenn ich das Ganze verlangen kann?« lautete die spöttische Antwort. »Nun, ich werde mir erst überlegen, was mir am besten zusagt und Dir dann Nachricht geben.«
»Ich bleibe nicht hier,« erklärte Windham aufgebracht, »nicht einen Tag länger! Mein unerklärliches Verschwinden hat schon genug Unheil gestiftet. Du kannst mir Deinen Entschluß schriftlich mitteilen, denn noch heute verlasse ich diesen Ort.«
»Um dann heimlich die Flucht zu ergreifen?« ergänzte die Frau mit zornig blitzenden Augen. »Glaubst Du, daß ich, Deine rechtmäßige Gattin, Dir erlauben werde, in die Arme einer anderen zurückzukehren? Du hast mich lange genug vernachlässigt, jetzt will ich Dich eine Weile für mich haben. Überdies brauche ich auch Geld – –«
»Ah, Du brauchst Geld?« fiel Windham hastig ein. »Nun werden wir uns wohl verständigen. Wieviel verlangst Du?«
»10 000 Pfund,« lautete die Antwort.
Windham überlegte einen Augenblick. »Gut,« sagte er dann. »Binnen einer Stunde nach meiner Heimkehr sende ich Dir diese Summe, fordere aber dafür, daß Du Evelyn weder belästigst, noch Deine Rechte an ihr geltend machst.«
»Auf Bedingungen lasse ich mich nicht ein,« erklärte die Frau trotzig. »Willst Du mir den Check geben oder nicht?«
»Nein,« weigerte sich Windham, »bevor ich nicht frei bin, erhältst Du keinen Pfennig.«
Die Frau warf ihm einen wütenden Blick zu, dann rief sie durch die halboffene Türe: »Lucifer, er will nicht nachgeben.«
Der Gerufene erschien so rasch, daß man annehmen konnte, er habe den Lauscher gespielt. »Ich habe es Ihnen gleich gesagt,« wandte er sich zu Windham. »Sie hätten besser getan, mit mir zu verhandeln.«
Der Bankier ließ seine Worte unbeachtet. Er stürzte auf die Frau zu, faßte ihre beiden Hände und sah ihr voll ins Gesicht. »Gestehe die Wahrheit,« sagte er in beschwörendem Ton, »und ich will alles vergeben. Du bist nicht die Florence, die mir einst angehörte. Was hier geschieht ist Täuschung.«
Einen Augenblick senkte das Weib die kecken dunklen Augen vor dem ernsten Blick des bedrängten Mannes; dann aber riß sie sich ungestüm los, indem sie höhnisch lachend entgegnete: »Mein teurer Gatte scheint vergessen zu haben, daß ich schon frühzeitig auf den Brettern stand. Die theatralische Beschwörung rührt mich nicht. Schaffen Sie ihn fort, Lucifer; in ein paar Tagen wird er wohl zahm geworden sein.«
Sie schritt zu dem verhangenen Fenster in der Wand, drückte auf eine geheime Feder, wodurch sich die Wand auseinanderschob und verschwand in der Öffnung, die sich wieder hinter ihr schloß.
»Ich wußte es ja gleich,« bemerkte Lucifer achselzuckend, »daß Sie mit Ihrer Frau nicht fertig werden würden. Das Weibsvolk hat seine Mucken, besonders, wenn solch eine Schöne sich beleidigt fühlt oder Rachegedanken hegt. Sie hätten ihr wirklich die kleine Summe geben sollen. Nun müssen Sie gewärtigen, daß sie darauf besteht, als Herrin in Ihr Haus einzuziehen. Bewilligen Sie ihr auch dies nicht, so würde sie wohl kaum davor zurückschrecken. Sie wegen Bigamie verhaften zu lassen.«
»Das wird sie nicht wagen,« erwiderte Windham, denn dann käme auch Ihr Erpressungsversuch gegen mich zur Kenntnis der Polizei.«
Lucifer lächelte mitleidig. »Halten Sie uns für so dumm, uns selbst das Spiel zu verderben? Wenn Sie auch heute auf freien Fuß kämen und sofort Nachforschungen nach einem gewissen Lucifer und seinem Diener Anak anstellen würden, so hätten Sie doch nichts damit erreicht, denn der wirkliche Besitzer dieses Grundstücks, ein durchaus ehrenhafter Mann, würde versichern, Leute dieses Namens nie gekannt zu haben. Es könnte dann leicht geschehen, daß vernünftige Menschen Ihre Geschichte für erdichtet hielten.« Während er noch sprach, erschien Anak in aufgeregtem Zustand an der Türe. »Was gibt's?« rief ihm Lucifer zu.
»Die Bestie, der Fangs, hat mich gebissen,« entgegnete der Riese, einen Fluch ausstoßend. »Da sehen Sie her!« Er hielt seine mächtige Hand in die Höhe, von der das Blut herabfloß. »Sehr begreiflich!« versetzte Lucifer gelassen. »Du hast das arme Tier so oft geneckt und gequält, daß es sich schließlich mal gewehrt hat. Verbinde Dir die Wunde und laß den Hund künftig in Ruhe.«
»Das werden wir sehen,« knurrte Anak ingrimmig. »Fangs gehört mir; ich kann mit ihm machen, was ich will.«
Brummend entfernte er sich und Lucifer nahm das unterbrochene Gespräch wieder auf. »Ich habe Ihnen noch etwas mitzuteilen,« sagte er, zwei Zeitungen hervorziehend. »Ihre Tochter Evelyn hat Ihr Haus verlassen.«
Bei Evelyns Erwähnung war Windham jäh in die Höhe gefahren. Zitternd griff er nach den Blättern, die ihm Lucifer hinhielt. »Ihre Freunde sind eifrig bemüht, Sie zu finden,« fuhr dieser in sarkastischem Ton fort, »benehmen sich aber sehr ungeschickt dabei. Sie haben einen Aufruf an sie erlassen und dadurch die ganze Geschichte an die Öffentlichkeit gebracht.«
Mit diesen Worten verließ er hastig das Zimmer, während Windham hastig die Zeitungen entfaltete, und die angestrichenen Annoncen überflog. Hardings Inserat schien ihn zu erfreuen, als er aber Evelyns Aufruf las, umwölkte sich seine Stirne. »Wer ist diese Frau Carter,« murmelte er, »durch die Evelyn sich an mich wendet? Und weshalb hat das Kind mein Haus verlassen? Es muß ihr Schlimmes geschehen sein, um sie zu solch einem Schritt zu treiben. Ich werde ihr schreiben und sie ermahnen, vorsichtig zu sein; mehr kann ich leider nicht für sie tun. Auch an Harding werde ich einige Worte senden.«
Die Gelegenheit des Alleinseins benutzend, schrieb er rasch einen Brief an den jungen Mann, beschrieb ihm die ungefähre Lage des Hauses, in dem er gefangen gehalten wurde, und schloß mit den Worten: »Sparen Sie keine Kosten, engagieren Sie die geschicktesten Detektivs, um meinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Wem dies gelingt, soll eine Belohnung von 500 Pfund erhalten.«
Von einem Schreiben an Evelyn sah er vorläufig ab, aus Furcht, es könne in falsche Hände geraten.
Die größte Schwierigkeit blieb nun, unbemerkt an die Hofmauer zu gelangen, in deren Nähe sich der Briefkasten befand. Zum Glück war weder Lucifer noch Anak zu erblicken. Hastig spähte Windham auf die Straße hinaus. Richtig, da hockte sein kleiner Postbote vor einer Haustüre, mit bunten Steinkugeln spielend.
Der Bankier rief ihn mit gedämpfter Stimme an und im Nu stand der Junge, erwartungsvoll zu ihm aufschauend, an der Mauer. Windham ließ den Brief und die versprochene Münze in die offene Hand des Knaben gleiten. »Flink, mein Bürschchen!« sagte er leise. »Besorg' ihn gut, er hat Eile.«
Wie ein Pfeil flog der Kleine davon, ohne auf das donnernde Halt zu achten, das der plötzlich hinter Windham auftauchende Anak ihm zurief. Er warf den Brief in den Kasten, schnitt dem zornigen Riesen eine Grimasse und rannte johlend davon.
»Was treiben Sie da für Teufelskünste?« fuhr Anak den Gefangenen an.
»Ich habe nur einen Brief in den Postkasten stecken lassen,« lautete die ruhige Entgegnung.
»Und wer hat Ihnen die Erlaubnis dazu gegeben?« schimpfte der Riese. »Na, das wird einen bösen Strauß mit meinem Herrn geben, Sie verschmitzter Heuchler, Sie!« Er zerrte den Bankier von der Mauer weg und ließ einen eigentümlichen Pfiff ertönen, der Lucifer rasch zur Stelle brachte.
Fluchend erzählte ihm Anak den Vorfall.
Windham stand ruhig daneben; er empfand jetzt ein gewisses Gefühl der Sicherheit, das ihn zu der unbedachten Äußerung hinriß: »Nun werden Sie mir nichts mehr anhaben, denn die Polizei ist benachrichtigt und wird dieses Nest bald genug ausheben.«
Wieder stieß Anak einen wilden Fluch aus.
»Sie täten besser, es nicht zum Äußersten kommen zu lassen,« wandte sich der Bankier zu Lucifer, der stirnrunzelnd zugehört hatte. »Den Brief können Sie doch nicht mehr aufhalten.«
Lucifer sah einen Augenblick vor sich hin, dann plötzlich hellten sich seine Züge auf.
»Ich stimme Ihnen doch nicht völlig bei,« wandte er sich zu Windham. »Für jedes Übel unter der Sonne gibt es ein Mittel, wie die Kurpfuscher sagen.« Er schaute auf seine Uhr. »O, wir haben Zeit genug. Anak, sperre den Gefangenen drüben in die Scheune, damit er uns keine weiteren Ungelegenheiten macht und dann komm zu mir.«
Windham ließ sich ohne Widerstand in den Schuppen führen, an dessen Türe, wie er mit Verwunderung bemerkte, der tote Körper des Bullenbeißers hing. In einem Anfall von Wut gegen das Tier hatte Anak es erschlagen.
Nachdem der Riese das Scheunentor fest verschlossen hatte, kehrte er zu seinem Herrn zurück. »So,« sagte dieser, »jetzt flink ans Werk, um den gefährlichen Brief unschädlich zu machen. Hol' eine Flasche Terpentin, etwas Werg und einen Stock und sobald die Straße leer ist, geh' an den Briekasten, stopf' das Werg durch die Öffnung hinein und gieß den Terpentin darauf.«
»Und was dann?« widerholte Lucifer ungeduldig.
»Solch eine dumme Frage! Dann wirfst Du so viel brennende Streichhölzer hinein, bis Rauch herausdringt. Wenn anderer Leute Briefe mitverbrennen, kann ich's nicht ändern. Wo es die eigene Sicherheit gilt, hören alle Skrupel auf.«
Voll Bewunderung für den genialen Einfall seines Herrn machte Anak sich an die Arbeit. Nach etwa zehn Minuten kehrte er mit stark verbranntem Kinn zurück.
»Schon fertig?« rief ihm Lucifer entgegen.
»Nicht ein Blättchen findet der Postbote heute,« grinste Anak – »ist glatt ausgebrannt.«
»Warum warst Du so ungeschickt, Dir Brandwunden im Gesicht zuzuziehen?«
»Ja, das kam so,« berichtete der Riese, die Hand auf die schmerzende Stelle drückend. »Es wollte erst nicht zünden, und wie ich dann in die Ritze hineinblies, schlug mir die Flamme fast bis in die Augen.
»Ich werde Dir eine Salbe geben,« erwiderte Lucifer, »dann heilt es rasch. Gib gut auf den Gefangenen acht, denn ich muß ein paar Tage verreisen. Es ist der einzige Weg, mich zu decken,« murmelte er, als Anak das Zimmer verlassen hatte. »Welch ein Glück, daß ich die Adresse der Tochter erfahren habe!«