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Der Neujahrstag wurde mit größter Pracht von uns gefeiert. Ich gab ein Bankett mit reichbesetzter Tafel und wir speisten zusammen mit den Megamikren, indem wir unsere Feigen aßen, während sie sich säugten. Wir genossen geradezu eines neuen Lebens, da wir die Ernährerbande los waren. Ich machte Theodor und Franziska glücklich, die vor Liebe fast wahnsinnig zu sein schienen.
Zu jener Zeit trug sich ein lustiges Ereignis zu, das ich Ihnen, Mylords, berichten will, da ich hoffe, daß es Sie unterhalten wird.
Ein Gerichtsdiener des Königs brachte mir eine Vorladung. Der König bestimmte mich zum Schiedsrichter in einem Prozeß, der am folgenden Tag vor dem Hofgericht entschieden werden sollte. Der Gerichtsdiener wartete auf meine Antwort, ob ich annehme oder nicht. Ich sagte ihm, ich schätze die mir von Seiner Majestät erwiesene Ehre sehr hoch und werde nicht ermangeln, mich zur angegebenen Stunde im Gerichtssaal einzufinden. Ich kam, und sobald ich den großen Sessel eingenommen hatte, sagte mir ein Advokat, sein Klient habe auf einer Versteigerung ein vorher von ihm besichtigtes Haus gekauft und 1000 Unzen dafür bezahlt. Sechs Stunden später habe er, bei genauer Besichtigung des Hauses, bemerkt, daß auf den Bäumen keine Schlangen sich befänden; deshalb verlange er vom Verkäufer, ihm das Geld zu ersetzen und das Haus zurückzunehmen. Der Anwalt des Verkäufers wies darauf hin, daß der Käufer das Haus vor dem Kauf besichtigt habe und deshalb mit seiner Klage abgewiesen werden müsse. Der Käufer appellierte an den König und behauptete, die geschlossene Vereinbarung sei durch Überraschung zustande gekommen. Als der Anwalt des Verkäufers sah, daß ich das Urteil aussprechen sollte, schien er seiner Sache sicher zu sein und gab sich nicht einmal die Mühe, weiter zu sprechen, sich auf meine Entscheidung verlassend.
Dieser Prozeß kam mir merkwürdig vor, da ich als sicher annahm, daß Schlangen sich überall dort befanden, wo es Bäume gab; und nun sprach man von einem Garten, der keine Schlangen hatte und von einem Menschen, der auf das Vorhandensein der Schlangen Wert legte. Es galt aber, ein gerechtes Urteil zu fällen und nicht über Nichtigkeiten nachzudenken. Ich entschied in folgender Weise: »Das Haus soll noch einmal versteigert werden und wenn sich kein Käufer dafür findet, dann muß der Verkäufer das empfangene Geld zurückerstatten. Wird das Haus um eine geringere Summe, als der Kaufpreis betrug, verkauft, dann muß der Verkäufer den Mehrbetrag zurückerstatten; wird es teurer verkauft, so soll der Mehrertrag dem ersten Verkäufer zugute kommen. Der Schlangenfreund aber wird in jedem Fall zum Tragen der Prozeßkosten verurteilt.«
Als ich am nächsten Tag mit den Vorbereitungen zur Reise meiner Söhne beschäftigt war, kam der Bevollmächtigte des im Prozeß Unterlegenen mit einem Advokaten und einem Makler zu mir. Ich sah zu meinem Befremden, daß er nach kurzer Begrüßung meiner Frau 4000 Unzen in Banknoten auszahlte und sie ersuchte, eine Quittung auszustellen mit der besonderen Erwähnung, daß 3000 Unzen der Mehrertrag für das Haus wären, das der Makler für einen Unbekannten gekauft habe. Ich sah meine Frau an, die nur mit Mühe sich des Lachens enthalten konnte. Sie stellte die Quittung aus und gab großmütig hundert Unzen dem Bevollmächtigten und hundert andere für den Schlangenfreund, der die Kosten des Prozesses zu zahlen hatte. Wie der Bevollmächtigte uns sagte, hatten sich, sobald mein Urteil dem Publikum bekanntgeworden war, Kauflustige für das Haus so zahlreich eingestellt und so hartnäckig für dasselbe gekämpft, daß die Versteigerer schon glaubten, die Sache werde sich endlos hinziehen. Das Ausgebot begann mit 500 Unzen, aber bald war man um zehn Unzen steigend auf 2000 gekommen; schließlich rief ein anwesender Roter, der bis dahin still zugehört hatte, »5000«, worauf alle zurücktraten und das Haus dem Roten zugeschlagen wurde, der für diesen Preis ein reizendes Haus hätte kaufen können. Es war ein sehr reicher Herr, der auf diese Weise der Welt dartun wollte, daß er kein Liebhaber der Schlangen war.
Kaum halten sie sich entfernt, so fing meine Frau herzlich zu lachen an und ich mußte desgleichen tun, obwohl ich ihr gerne einige Bemerkungen gemacht hätte; das Geschäft war aber bereits abgeschlossen und ich konnte nicht böse darüber sein, daß sie 5000 Unzen verdient hatte. Ich sah, daß wir damit sehr gute Geschäfte machen konnten, doch wußte ich nicht, ob es erlaubt war und wie der König sich dazu verhalten würde. Wie sollte ich mir den Streich deuten, den der König mir gespielt hatte, indem er mich zum Schiedsrichter in dieser Sache ernannte? Ich mußte mir Gewißheit verschaffen und ging am folgenden Tag zu Hofe. Der König empfing mich sehr gnädig und sagte mir, er finde es merkwürdig, daß ich ein Haus verkaufe, dessen Besitzer ich kaum drei Tage lang gewesen sei; ich antwortete ihm, ich hätte es erworben, um es meiner Frau zu schenken; diese hätte es aber, nicht wissend, was sie damit anfangen sollte, und ohne mir ein Wort davon zu sagen, für denselben Preis verkauft, den ich dafür bezahlt hätte. Der unerhörte Gewinn sei nur die Folge eines Zufalls. Er fragte mich, ob ich mit meiner Wahl zum Richter in dieser Angelegenheit zufrieden sei, und hörte mit Staunen, daß ich keine Ahnung davon gehabt hätte, daß es sich um mein Haus handelte und daß ich ein ganz anderes Urteil gefällt hätte, wenn ich dies gewußt hätte. »Wie hätten Sie besser entscheiden können?« rief er, »alle Welt findet Ihr Urteil sehr weise.« Ich antwortete, ich würde das Geld zurückgegeben und das Haus für mich behalten haben.
Als der zur Abreise meiner Söhne bestimmte Tag kam, wählte ich hierzu die für den König bequemste Stunde, da wir die Ehre haben sollten, von ihm bewirtet zu werden. Wir alle kamen hin, ausgenommen die zehn Jüngsten, die vor kurzem erst entwöhnt worden waren. Das Frühstück war von Musik, Tänzen, Wohlgerüchen und angenehmer Unterhaltung begleitet. Der ganze Hof äußerte einstimmig sein Entzücken über die Schönheit der Eromiden meiner verheirateten Töchter; diese waren alle von verschiedenen Farben und Sie können, Mylords, gewiß niemals in Europa oder Asien ein Kleidungsstück gesehen haben, das eine hübsche Figur und zwei schöne Hüften besser hervortreten ließe. Sie trugen dazu elegante Stiefelchen, die bis zur Hälfte der Waden reichten, wo die Eromide schloß, und Häubchen, die, statt einen Teil der Reize des Gesichtes zu verhüllen, dieselben noch hervortreten ließen. Ihr herrliches Haar rief die Bewunderung aller Megamikren hervor, die von soviel Schönheit begeistert, die jemals zu genießen sie nicht hoffen durften, den Altar anbeteten, auf welchem sie zur Schau gestellt war. Am Schluß des Frühstücks sagte der König meinen Söhnen viele Liebenswürdigkeiten und sie fuhren ab. Der Anblick der fünfzehn, mit je zwölf Pferden bespannten Wagen gefiel dem König sehr. Ich sandte mit meinen Kindern vier Paare Megamikren, die sehr begabt und ehrenhaft und mir ganz ergeben waren; nichtsdestoweniger riet ich meinen Söhnen, sie nie in unsere Geschäftsgeheimnisse einzuweihen. Wer unnötigerweise ein Geheimnis einem anderen anvertraut, und wäre es seinem eigenen Vater, der ist ein Schwächling, jeder Urteilskraft bar und verdient ausgelacht zu werden, wenn er sich beklagt, daß der andere ihn verraten hat.
Meine klugen Söhne entledigten sich bestens der ihnen von mir gegebenen Aufträge und ich erhielt drei Fünftagwochen nach ihrer Ankunft in Alphapoli die Nachricht, daß Adam und seine ganze Familie keiner Ernährer mehr bedurften und daß Robert ein Haus gekauft hatte, um eine Druckerei darin zu errichten, die in zwei Ernten betriebsfähig war. Der Statthalter bewunderte unser ganzes Geschlecht, aber unbeschreiblich ist die Freude, die er empfand, als er die von ihm aufgezogenen Kinder Jakob und Wilhelmine wiedersah. Den Abdala besuchten meine Kinder nicht und es fiel mir nicht ein, ihnen dies zu befehlen. Es genügt, denen, die uns ein Leid, ein Unrecht zugefügt haben, zu verzeihen, und das Gebot, das sie zu lieben gebietet, will nur sagen, daß wir ihnen bei Gelegenheit Gutes tun sollen; denn das Gesetz kann nichts befehlen, was der Natur des Menschen zuwiderläuft. Ihnen unsere Geringschätzung zu zeigen, ist kein Verbrechen.
Im Verlaufe von vier unserer europäischen Jahre errichteten meine Kinder Papierfabriken und Druckereien in den vier Grenzstädten des Reiches, vertilgten die Schlangen in den von ihnen erworbenen Häusern und setzten überall geschickte und zuverlässige Megamikren als von ihnen abhängige Leiter ein. Meine Frau sandte Wilhelmine die Zubereitungsvorschrift für das zur Konservierung der Früchte notwendige Mus, das für Reisen unentbehrlich war, da sie von einer Grenzstadt zur anderen 800 Meilen zu reisen hatten. In der Mitte des zwanzigsten Jahres meines Aufenthaltes in jener Welt, viereinhalb Jahre nach ihrer Abreise aus der Hauptstadt, kehrten meine Söhne ruhmvoll zurück. Sie hatten sich allerorts Liebe erworben und das Glück vieler Familien gemacht, die in den neuen Tätigkeiten einen bequemen Erwerb fanden. Als sie abreisten, waren sie nur fünf Ehepaare und sie kehrten in der Zahl von sechsundsiebzig zurück, da sie auch Adam mitbrachten, der bereits vierzehn Kinder hatte; alle anderen waren mittlerweile von ihren pünktlichen Ehehälften mit je acht Sprößlingen beschenkt worden. Bei ihrer Ankunft waren alle im sechsten Monat guter Hoffnung. Meine eigene Familie hatte sich in dieser Zeit im gleichen Verhältnis vermehrt und ich hatte mein siebentes Kinderpaar Heinrich mit Judith vermählt, das achte, Karl mit Silvia, das neunte, David mit Johanna, und das zehnte, Simeon mit Faustine. Mein sechzehntes, siebzehntes, achtzehntes und neunzehntes Kinderpaar nannte ich: Cäsar und Rosa, Daniel und Luise, Paul und Klementine, Lorenz und Lukrezia. Sie waren in fünfzehn Wagen abgereist und kehrten in vierundvierzig zurück. Ich kaufte ihnen zwei Häuser in der Stadt und ein großes Landgut, wo sie bequem sich niederlassen konnten. Mit Hilfe meiner fünf Söhne Heinrich, Karl, David, Simeon und Johann, den ich am ersten Tag des neuen Jahres trauen sollte, befreite ich diese Häuser von den Schlangen, wozu ich mich des wie immer unfehlbar wirkenden giftigen Rauches bediente. Wir wurden auf diese Weise um sechzig Bäume reicher. Meine Frau übergab den Heimgekehrten ihre Kinder, die sie übernommen hatte, und die ihr viel Arbeit gemacht hatten. Der König wünschte die fünf Mutvollen zu sehen, die in seinem Reiche so viele nützliche Anstalten errichtet hatten, und erhob sie in den Adelstand, indem er einem jeden von ihnen die Auszeichnung des roten Mantels und ein Jahrgeld von 2000 Unzen gewährte. Wir waren alle reich, denn alle von uns errichteten Anstalten arbeiteten auf unsere Rechnung, und wir erhielten im ganzen jährlich über 40 000 Unzen vom König, was ungefähr nach hiesigem Gelde 150 000 Guineen ausmacht.
Drei Monate nach ihrer Ankunft wurden alle meine verheirateten Töchter entbunden und meine Frau schenkte mir unser zwanzigstes Kinderpaar: Stephan und Irene.
Sodann verlebten wir zehn europäische Jahre in vollkommenem Frieden, von der Gnade des Königs ausgezeichnet, von den Mächtigsten geschätzt und geachtet, und es ereignete sich während dieser Zeit nichts Nennenswertes. Der natürliche Tod entriß uns unseren Freund, den Bischof, doch sein Erbe und Nachfolger, dessen Sie sich wohl noch erinnern, empfand für uns die gleichen freundschaftlichen Gefühle. Während dieser Zeit beschenkte meine Frau mich mit zehn Kinderpaaren. Die Zahl der sich Vermählenden wuchs von Jahr zu Jahr und am Neujahrstag unseres einunddreißigsten Aufenthaltjahres traute ich außer meinen Kindern Julius und Antoinette elf andere Paare, von denen eines meine Urenkel, die Enkel Jakobs, die Kinder seines ältesten Sohnes waren. Zu Beginn dieses Jahres waren wir bereits 922, von denen 178 verheiratet waren.
Diese Jahre verbrachten wir keineswegs müßig; jeder hatte seine wichtigen Beschäftigungen. Ich hatte meine Schmieden bedeutend vergrößert und über hundert meiner Kinder arbeiteten in denselben an der Fertigstellung aller Arten von Schußwaffen, deren Erfinder ich war. Auf Grund verschiedener Proben und Experimente fand ich eine tadellose Metallverbindung mit Zinn, die ich zum Schmelzen von Gewehrläufen verschiedenen Kalibers benützte. Ich goß drei Glocken, die ich dem König schenkte und die allgemeine Bewunderung fanden. Der Monarch ließ nach meinen Weisungen einen Turm errichten, worin sie aufgehängt wurden. Die stärkste hörte man fünfzig megamikrische Meilen in der Runde, die mittlere fünfundzwanzig und die kleinste in der ganzen Hauptstadt. Diese kleinste war es auch, die am öftesten im Dienste des Königs verwendet wurde, da er von nun an, anstatt durch Eilboten alle seine Hofräte zu einer Sitzung zusammenzurufen, ihnen mittels Glockenklanges Tag, Ort und Stunde, zu welcher sie sich einfinden sollten, bekanntgab. Ebenso wurden die bisher Schluß und Beginn des Tages ankündigenden Trompeten abgeschafft und die königliche Glocke nahm deren Stelle ein. Mit der Zeit wurde das Amt eines Oberaufsehers des Glockendienstes eine sehr wichtige Stelle; der König selber ernannte ihn; nur ein roter Megamikre, der bereits Staatsrat war, durfte dazu vorgeschlagen werden; er war für jedes Glockensignal verantwortlich, weshalb die ihm unterstellten Glöckner besonders treue und gewissenhafte Menschen sein mußten. Der Glockenklang wurde somit als die Stimme des Königs angesehen, die respektiert und befolgt werden mußte; es wäre ein großes Verbrechen gewesen, sie zwecklos erschallen zu lassen.
Chemie und Geometrie waren die Lieblingswissenschaften meiner Kinder; einige meiner Töchter und Enkelinnen beschäftigten sich, gleich meiner Frau, mit chemischen Analysen zwecks Anfertigung von Essenzen, die eine wichtige Einnahmequelle für mehrere von unseren Familien waren, dem Steueramt aber auch Geld einbrachten, da die Handelspolitik der Megamikren dahin arbeitet, daß der Monarch der Einfuhr volle Freiheit gewährt und nur die Ausfuhr mit Steuern belegt. Ich werde Ihnen, Mylords, demnächst eine Rede wiederholen, die mir der König in bezug darauf hielt und auf die ich nichts zu erwidern vermochte, da ich seine Meinung teilen mußte; denn seine ganze Beweisführung war unwiderleglich. Der Papierhandel wurde zum wichtigsten Handelszweig und die Druckereien waren nicht imstande, alle Aufträge zu befriedigen. Die Farbenschrift wäre ganz in Vergessenheit geraten, wenn der Klerus alles, was sich auf die Religion bezog, in einfarbige Schrift hätte übertragen lassen; dies ließ aber das Vorurteil nicht zu.
Beinahe zu derselben Zeit, als ich die Glocken goß, fiel es mir ein, für jedes unserer Jahre einen Kalender zu drucken, den ich den »Christlichen Kalender« nannte. Er umfaßte zwölf unserer Monate oder 720 megamikrische Tage und jeder Tag war mit einem Frauen- und einem Männernamen bezeichnet, die ich aber nicht »heilig« bezeichnen wollte, da mich dies in zu lange Erklärungen verwickelt hätte, um die Neugierde meiner Kinder zu befriedigen. In diesen Kalendern suchten meine Söhne nach Namen für ihre Neugeborenen. Ferner waren darin außer unseren täglichen Verrichtungen auch die der Megamikren verzeichnet, deren Metamorphosen, Brände des Grünen Baumes, Regentage, Ernten, Festtage und die zwischen ihnen und uns bestehenden geschäftlichen Verbindungen. Anfangs war dieser Kalender eine unbedeutende Kleinigkeit; mit der Zeit aber gewann er durch Zugaben und Artikel an Umfang und Interesse und wurde so begehrt, daß alle unsere fünf Druckereien über zwei Millionen Exemplare davon abdruckten, von denen die Hälfte außerhalb des Reiches verkauft wurde.
Zu Beginn meines einunddreißigsten Jahres und nach der Trauung meines einundzwanzigsten Kinderpaares Julius und Antoinette eröffnete ich zwei große Seminare: die Kleinschule und die Großschule. Es waren zwei nebeneinanderstehende Landhäuser, in denen unsere Kinder erzogen und deren Gärten nach meiner Idee ausgeführt wurden. In der Kleinschule befanden sich die Kinder bis zur Vollendung ihrer zwölften Ernte. Die Großschule hatte zwei Abteilungen, das Andreion und das Parthenon. In der ersten wurden die Knaben, in der zweiten die Mädchen bis zu ihrem achten christlichen Jahr untergebracht, wonach sie in Wohnräume kamen, die ich das Ephebeion nannte und für die Erwachsenen bestimmte. Im Ephebeion waren ebenfalls zwei Abteilungen da, die die beiden Geschlechter streng voneinander bis zu ihrer Vereinigung trennen mußten, in einer Welt, wo die Natur beredt spricht und ihren Willen durchsetzt. Die Abteilung der Mädchen nannte ich Gynekeion. Die Oberaufsicht der Kleinschule überließ ich Johann und Thekla, die der Großschule Matthias und Katherine. Ich behielt mir die Oberaufsicht des Andreion im Ephebeion vor und überließ meiner Frau die des Parthenon und Gynekeion. Ich führte genaue Vorschriften ein; jede Familie hatte ihr besonderes Quartier. Man trug dorthin die Kinder, sobald sie entwöhnt waren. Zur Bedienung dieser wichtigen Institutionen wählte ich ganz besonders tüchtige Megamikren. Die Insassen des Ephebeion verließen dieses nach fünf Ernten, um zu heiraten, doch genossen die männlichen einige Freiheiten während der vier letzten Ernten und durften uns in Begleitung zweier Diener besuchen. Die Mädchen durften erst am Hochzeitstag die Anstalt verlassen, doch hatten sie einige Privilegien schon im Parthenon, sobald sie die Exomide erhielten: sie traten sodann ins Gynekeion ein. Ich war stets ganz besonders darauf bedacht, die bei den jungen Männern sich entwickelnde Neigung zu einer Wissenschaft zu beobachten, um sie sicher zu leiten und in der ihnen sympathischsten ausbilden zu lassen. Ich setzte die strengsten Strafen auf die Lüge, doch ließ ich zwei sehr weise Megamikren entscheiden, ob die Tat eine Lüge war oder es nicht war, da die Frage manchmal sehr kompliziert wurde wegen einer zweiten Vorschrift, nicht alle Wahrheiten ohne Notwendigkeit und ohne richtigen Anlaß auszusprechen. Schwere Strafen waren auch für den Eigensinn bestimmt, doch mußten auch hierüber zwei Richter entscheiden, ob es sich um Trotz oder Charakterfestigkeit handelte. Andere Strafen waren für die Furchtsamkeit beantragt, soweit sie keine Vorsicht war. Auf Reinlichkeit wurde strenge gehalten und da gab es keine Ausnahmen: ein Kind, das schmutzig war oder nicht ordentlich gebadet hatte oder seine Haare vernachlässigte, wurde verhöhnt. Als ich merkte, welche Abneigungen die Megamikren gegen das Spucken hatten, belegte ich es mit einer Geldbuße und keines meiner Kinder spuckte seitdem mehr, was den Megamikren, die ihren köstlichen Speichel verschlucken, sehr gefiel. Überlautes Reden, Zornausbrüche, Gesichterschneiden beim Sprechen wurden bestraft. Kleinere Strafen wurden angesetzt für Gähnen, unschickliches, unbändiges Lachen und für Weinen. Jede Pentamaine gab es schmeichelhafte Belohnungen für alle jene, die sich durch gute Führung besonders hervorgetan hatten.
Die Religion nahm meine Gedanken viel in Anspruch. Der in den Händen aller meiner Kinder sich befindende Katechismus enthielt ein reines, makelloses Gesetz; es fehlte uns aber der Kultus, das äußere Zeremoniell, und dazu war ein Tempel notwendig. Wären wir nur Seelen, so wären diese Äußerlichkeiten unnötig gewesen, wir haben aber auch Sinne, auf die wir alles beziehen und auf die gewirkt werden muß, um zur Wahrheit zu gelangen.
Sieben Jahre vor diesem einunddreißigsten Jahr hatte der Große Genius sich an den König gewandt und seinen Wunsch ausgesprochen, in Heliopalu eine große Papierfabrik, eine geräumige Druckerei für einfarbige Schrift und nach seinem Wunsch verteilte Glocken zu haben. Der König sprach mit mir darüber und ich antwortete, ich sei jetzt und immerdar stets bereit, jeden seiner Wünsche zu erfüllen, und könne ihm versichern, daß meine Kinder von denselben Gefühlen beseelt seien. Der Herrscher sagte mir nun, das Reich des Großen Genius bilde den Zenit des seinigen; man könnte somit die Luft in gerader Linie durchmessen, um dorthin zu gelangen, wenn es möglich wäre, ein Loch in die Sonne zu machen, die man durchfliegen müßte; wegen der ungeheuren Entfernung könnte daher die Errichtung solcher Fabriken dort den Handel seines Reiches, den ich zu solcher Blüte emporgehoben hätte, keineswegs beeinträchtigen. Er setzte für meine Nachkommen die größten Hoffnungen darauf, falls ich den Großmächtigen in Heliopalu für mich gewinnen könnte. Wenn ich ihm die Durchführung dieser Angelegenheit überlassen wolle, werde er die größten, alle meine Wünsche und Erwartungen übersteigenden Vorteile für mich herausschlagen. Ich erwiderte ihm, daß ich mich vollkommen auf sein Herz verlasse.
Sieben Jahre nach dieser Unterredung ließ mich nun der König in meinem einunddreißigsten Jahr zu sich rufen und gab mir ein Dekret des Großen Genius zu lesen. Es lautete wie folgt:
»Im 32436. Jahr unserer Regierung. Wir, der Große Genius des Helion, Herrscher und einziger Bevollmächtigter des Willens des Allerhöchsten, Kaiser des ganzen Klerus, Oberhaupt aller Häupter der Religion des unsterblichen Gottes, alleiniger Machthaber seiner Kirche, König des Reiches Heliopalu und seiner großen und kleinen Lehnsstaaten, geistlicher Herr in allen Reichen, Republiken und Lehnsstaaten dieser Welt, wollen, daß dieses Dekret unwiderruflich sei, rufen Gott als Bürgen an und wollen, daß alles, was wir beschließen, befehlen und zugunsten des christlichen Riesen genehmigen, unserem ersten Minister vorgelegt wird, bevor zwanzig Jahre seit diesem Datum verflossen sind, und daß es dann unterzeichnet, bestätigt und fortan wörtlich befolgt wird.
Artikel I. Der christliche Riese, der sich unserem ersten Minister mit einem Beglaubigungsschreiben des Königs des Neunzigsten Reiches, unseres geliebten Sohnes, und mit diesem Dekret oder einer beglaubigten Abschrift desselben vorstellen wird, erhält binnen eines Brandes des Grünen Holzes die Belehnung mit dem Lehnsstaat Eins, der an der Grenze unseres Reiches, rechts vom ewigen Wind liegt. Er wird dort fortan mit allen Vorrechten eines unabhängigen Herrschers regieren, wird alle Einkünfte des Lehensstaates genießen, neue Gesetze einführen, alte abschaffen können, neue Bauten errichten und alle alten, die er erwerben sollte, niederreißen können, Geld prägen, die Religion nach seinen Anschauungen und nach seinem Glauben beobachten dürfen, unter der Bedingung, daß der unsrige niemals von ihm weder in seinen Mysterien, noch in seinem Kultus in seiner Disziplin und in seinen Privilegien gestört oder gehindert wird.
Artikel II. Wir befehlen unter Androhung unseres Fluches allen unseren Kindern, Söhnen der Sonne, ihn für ihren Herrscher und zeitlichen Herrn anzusehen, ihm zu gehorchen und seinen Pächtern die von ihm festgestellten Taxen zu zahlen.
Artikel III. Wir beschließen, daß alle möblierten und unmöblierten Häuser samt ihren Gärten, die dem ohne Erben verstorbenen Lehnsfürsten gehört hatten und die uns durch das Aussterben seiner Familie zugefallen sind, ihm auf ewige Zeiten zuerkannt werden und zwar mit dem Recht, dieselben nach seinem Tode dem, welchen er dazu auserlesen wird, als Freilehen und Freigut zu überlassen, und wir versprechen seinen testamentarischen Willen mit aller unserer weltlichen und geistlichen Macht befolgen und durchführen zu lassen, falls die der bevollmächtigten Riesen nicht genügen sollte.
Artikel IV. Sobald der christliche Riese diese Belehnung übernimmt, wird er auch Besitzer eines entsprechenden Hauses in unserer Hauptstadt werden, das vierundzwanzig eingerichtete Wohnungen und einen großen Garten mit zweiundneunzig Bäumen hat und am Ufer des Flusses gelegen ist.
Pflichten des Lehnsfürsten:
Artikel I. Der christliche Riesenfürst hat binnen acht Ernten nach der Übernahme auf unsere Kosten in einem von ihm zu erwählenden Hause eine Papierfabrik zu errichten, die unser Eigentum sein wird und ebenso groß und schön wie jene der Hauptstadt des Neunzigsten Reiches sein soll; im Verlauf weiterer sechzehn Ernten hat er auf unsere Kosten eine Papierfabrik in jeder unserer vier Grenzstädte zu errichten. Der Nutzen und Ertrag dieser Fabriken wird uns zukommen, alle Verwaltungskosten dagegen werden auf unsere Rechnung kommen.
Artikel II. Im Verlaufe derselben acht Jahre wird er auf unsere Kosten eine Druckerei in unserer Hauptstadt errichten, deren Leitung er übernehmen und solange behalten wird, bis er als Direktoren und Bevollmächtigten Untertanen von uns wird einsetzen können, die er selbst wählen und hiezu bestimmen wird, da die Druckerei und deren Erzeugnisse ebenso wie die Papierfabrik unser Eigentum sein werden.
Artikel III. Er wird eine einmalige Abfertigung von 500000 Unzen erhalten, unter der Bedingung, daß er in unserer Hauptstadt und an einem uns gehörenden Orte eine Glockengießerei errichtet, um uns mit Glocken jeglicher Größe zu versorgen, deren von ihm zu bestimmender Preis ihm nach dem Gewicht von unserem Großschatzmeister ausbezahlt werden wird. Die Zahl dieser Glocken und deren Größe werden wir nach unserem Willen bestimmen.
Artikel IV. Der Riesenfürst wird in seinem Lehen Druckereien und Gießereien, jedoch keine Papierfabriken errichten können und wird nichts, was über sein Lehngut in unser Reich gebracht oder aus unserem Reich weitergeschickt wird, besteuern dürfen.
Artikel V. Sollte der Lehnsfürst alle hier erwähnten Bedingungen und Verpflichtungen nicht erfüllen, so werden wir alles für ungültig erklären und alle Schenkungen, Hoheits- und Vorrechte, die ihm dies im übrigen unwiderrufliche und unantastbare Dekret zuerkennt, für nichtig erklären.«
Mein erster Gedanke beim Lesen dieses Dekretes galt dem König, seinem Wohltätigkeitssinne, seiner Freundschaft, seinen Tugenden, seiner Beständigkeit und seiner Klugheit. Da er mir von dieser Sache vor achtundzwanzig megamikrischen Jahren gesprochen und sie seitdem nie wieder erwähnt hatte, so glaubte ich, daß er dieselbe nicht nur vernachlässigt, sondern einfach vergessen hatte und daß er ganz froh war, daß ich ihn nie daran erinnert hatte. Nun sah ich mich durch dies Dekret als freier, unabhängiger Fürst mit einem großen, meiner Familie als Erbschaft zugesicherten Vermögen, doch unter der Bedingung, mich dafür von einem Wesen entfernen zu müssen, wie ich es ähnlich wiederzufinden niemals hoffen konnte. Der Gedanke an die Notwendigkeit, einen Aufenthaltsort verlassen zu müssen, dessen Herrscher durch Tugenden ausgezeichnet war, die in einem Menschen vereinigt zu finden sehr schwer ist, stimmte mich sehr traurig und eine zu späte Reue und Befürchtung bemächtigten sich meiner. Ich mußte mich aber schließlich meines Schweigens schämen; so sagte ich dem König, daß meine Dankbarkeit sich in Worten nicht ausdrücken lasse und daß ich ihn als ein über der Menschheit stehendes Wesen verehre. Ich beschwor ihn, mir die Zeit einer Ernte zu einer Antwort zu geben und mir zu gestatten, eine Abschrift des Dekretes mit nach Hause zu nehmen. Der König erfüllte huldvoll meine Bitten. Zu Hause angekommen, berichtete ich alles meiner Frau; sie las das Dekret und lobte meine Bitte, erst in einiger Zeit darauf antworten zu müssen. Das uns angebotene Glück war sehr groß, doch nirgends hätten wir einen solchen König finden können.
In dieser Zeit ereignete sich bei uns etwas sehr Folgenschweres, das des Erzählens wert ist.
Meine Frau hatte seit zehn Jahren im Dienste ihres Essenzen-Laboratoriums ein hochgelbes Paar gehabt, dessen Talente und Charakter über jedem Lob erhaben waren. Das wichtigste Wesen dieses Paares, das sie sehr lieb gewann, wurde nach und nach auf dem rechten Auge blind. Das war ein Unglück, das die Megamikren manchmal traf, und wer auf dem einen Auge blind war, erblindete mit der Zeit auch auf dem anderen. Das Leben wurde den armen Opfern dieser Krankheit zur Qual und diese Qual war noch größer für Unbemittelte. Die Krankheit war angeblich unheilbar, da es sich noch nie ereignet hatte, daß ein Blinder seine Sehkraft wiedererlangte.
Die Trauer des Megamikren und mehr noch die Betrübnis meiner Frau erregten meine Aufmerksamkeit. Ich verstand mich weder auf Augenkrankheiten noch auf den Mechanismus des Auges; ich erinnerte mich nur, gesehen zu haben, wie ein Okulist in Lincoln dem Baronet Friedrich Atkins die Sehkraft durch Entfernung des grauen Stares wiedergab. Ich erinnerte mich auch eines blinden Lords, dessen schöne Augen sehend zu sein schienen und den man als unheilbar blind bezeichnete, da seine Blindheit eine Folge der Zerstörung des Sehnervs war. Der graue Star war, soviel ich wußte, ein dichter Schleier, der sich auf der Linse ansammelte und sie undurchsichtig machte; um ihn zu beseitigen, muß man die verdickten Säfte entfernen. Mein Vorsatz stand fest, ich verheimlichte ihn aber vor allen.
Ich wußte, daß der Mechanismus des menschlichen Auges jenem der Tiere gleich ist. Nun hatte ich in meinem Landhaus eine Art Schweine, welche die Bauern sich halten, da sie die Eigenschaft haben, die Erde mit ihren Rüsseln zu durchwühlen und aus derselben einen Samen herauszuziehen, der einen herrlichen Duft hat und den man sehr teuer verkauft. Ich fand nichts Unrechtes dabei, wenn ich, um Experimente zu machen, einige von diesen Tieren um eins ihrer Augen brächte. Ich sah mir das Auge des Megamikren genau an und bemerkte einen undurchsichtigen Körper, der in dessen Mitte herumschwamm. In den Augenwinkeln sah ich Narben von einer Tränensackentzündung, die meine Frau durch Auflegen einer würzigen Essenz geheilt hatte. Ich ging nun folgendermaßen vor:
Zwei meiner Söhne: Heinrich, mein siebenter, und Ludwig, mein dreizehnter, waren sehr geschickt, ernst und fleißig; ich wählte sie und vertraute ihnen meinen Plan an, indem ich sie zur Hilfeleistung bei meinen Versuchen aufforderte. Ich war fest entschlossen, den Megamikren nur dann zu operieren, wenn ich meines Wissens ganz sicher wäre. Ich fand, daß man den kleinen Tieren die Hornhaut öffnen, einen kleinen Teil der Kristallinse entfernen, die Wunde heilen und sich sodann überzeugen mußte, ob sie nach Heilung der Wunde wieder sehen konnten. Entweder machte ich sie blind und dann hätte ich niemals den Megamikren operiert; oder sie wurden geheilt, und dann konnte ich die Operation wagen.
Vor langer Zeit schon hatte ich nur zu meinem Vergnügen die Zahl meiner chirurgischen Instrumente bedeutend vermehrt; ich hatte dabei auch einen richtigen Augenspiegel; ebenso Nadeln von jeder Größe und Form: gerade, gebogene, mit spitziger, doppelter Schlangenzunge, sehr scharfe und mit Goldgriffen versehene, die gleichzeitig ihren Behälter bildeten.
Ich schloß mich nun mit meinen zwei Söhnen in einem Gartenzimmer ein, das von der Sonne erleuchtet war und wohin ich drei Schweine geschafft hatte. Ich gab eins davon Heinrich zu halten, der zu meinen Füßen saß, und befahl Ludwig die Kinnbacke festzuhalten und das Auge mittels des Spekulum offenzuhalten. Ich nahm eine scharfschneidende Nadel und stach den Augapfel des Tieres eine halbe Linie unterhalb des äußeren Kreises der Iris; ich durchstach die Bindehaut, die undurchsichtige Hornhaut und die Traubenhaut des Auges und sah ein wenig Flüssigkeit entfließen, zog die Nadel zurück, band die Augen des Tieres zu, legte Kompressen auf, ließ es laufen. In anderthalb Stunden machte ich an allen drei Tieren dieselbe Operation, jedoch mit kleinen Unterschieden in bezug auf die Richtung der Öffnung und die Tiefe der Wunde. Ich schrieb mir jedesmal die Art meiner Operationseingriffe auf und bezeichnete die Schweine entsprechend. Ich ließ sie nun eine Fünftagwoche in Ruhe, indem ich ihnen die gewöhnliche Nahrung gab, und ohne ihnen während dieser ganzen Zeit den Verband abzunehmen. Nach dieser Zeit untersuchte ich sie und sah, daß nur jenes blind war, dem ich eine zu tiefe Schnittwunde gemacht hatte, wodurch wahrscheinlich die glasartigen Säfte ausgeflossen waren. Dies erfreute mich ungemein. Am folgenden Tag machte ich dieselbe Operation an drei anderen Schweinen und sah sie nach einer Woche sehend und gesund, ohne daß man die geringste Beschädigung am operierten Auge bemerken konnte.
Ich bat nun meine Frau, mir den blinden Hochgelben zu schicken, dessen Auge ich in einem Zimmer bei natürlichem Licht, jedoch ohne direkte Sonnenstrahlenbeleuchtung ansehen wollte. Ich ließ ihn sich setzen, nahm eine Lupe in die Hand und sah vor seinem Augapfel ein schwimmendes Häutchen, das den Zugang des Lichtes verwehrte. Ich urteilte, daß dieses nur im wässerigen Saft schwimmen konnte; mit der Zeit erkannte ich sogar, daß der graue Star nichts anderes ist, als der wässerige Saft selbst, dessen klebrige Teile sich verdickt haben und sich in der Kristallinse, unweit der Traubenhaut, festsetzen. Ich sagte nun dem Hochgelben: Wenn er mich machen ließe, hoffte ich, ihm die Sehkraft wiedergeben zu können. Er antwortete mir, er schätze sich glücklich, daß ich meine Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt habe, und er wolle sich allem fügen, was ich mit ihm zu machen gedenke, denn er habe völliges Vertrauen zu mir. Ich sagte ihm, es sei mein Wunsch, daß sein Unzertrennlicher der Operation, die ich mit ihm vornehmen müsse, nicht beiwohne und er dürfe ihn erst zwanzig Stunden nach derselben wiedersehen und während dieser Zeit keine Nahrung zu sich nehmen. Er versprach mir, in allem folgsam zu sein. Ohne viel Zeit zu verlieren, ließ ich in Gegenwart meiner Frau meine zwei Söhne holen und alles Notwendige vorbereiten, um ihm sofort nach der Operation Binden auf beide Augen zu legen, da ich der Ansicht war, daß man die leiseste Bewegung sowohl des kranken als auch des gesunden Auges verhindern müsse.
Nachdem ich ihn entsprechend hingesetzt hatte, legte ich ihm eine Binde auf das gesunde Auge, denn ich wollte nicht, daß er zusah, was ich machte und wie ich dies tat. Ich ließ Ludwig den Augenspiegel anlegen und sagte dem Megamikren, er solle unverwandt seine Nasenspitze anschauen, sonst könnte meine Operation mißlingen. Er war sehr geduldig und folgsam. Ich stach in den Augapfel, aber nicht tief, sondern verlängerte die Öffnung bis zu zwei Linien; bei der Hornhaut traf meine Nadel auf den grauen Star, den ich unwillkürlich einfädelte und der noch stärker sich umwickelte, als ich die Nadel zurückziehen wollte. Als ich den Star so wider Erwarten ganz auf meiner Nadel sah, verlor ich meine Geistesgegenwart nicht, sprach kein Wort, zog den Star heraus und legte ihn auf einen Teller. Dann wusch ich das Auge aus, das zwei bis drei Tropfen weißen Blutes und kein Wasser von sich gegeben hatte. Ich drückte ihm das Lid zu und legte ihm einen mit einer öligen, ganz spiritusfreien Essenz getränkten Umschlag auf das kranke und auch einen auf das gesunde Auge, eine Binde darüber und entzog ihm ein wenig Blut aus der Halsader auf der Seite des operierten Auges. Dann sagte ich ihm, er müsse zwanzig Stunden in meiner Ruhekammer verbringen, ohne zu jemandem zu sprechen. Meine Frau versprach ihm, seinen Unzertrennbaren zu beruhigen und ihm Milch zu verschaffen; zwanzig Stunden später führte ich letzteren zum Kranken, der sich wohlfühlte und nur Milch genoß. Er erschrak nicht, als er ihn mit der Binde auf den Augen sah, auch wurde er nicht böse, als ich ihm nicht erlaubte, die Augen des Kranken anzusehen. Nach zwanzig weiteren Stunden führte ich den Megamikren aus dem Zimmer heraus, gab ihm einen großen Löffel einer beruhigenden Essenz und entfernte die Binden in Gegenwart meiner Frau und meiner Söhne. Ich legte ihm die Hand auf das gesunde Auge und ließ ihn einen farbigen Brief lesen; er tat dies ohne Schwierigkeit und erfüllte unsere Herzen mit Freude; nun ließen wir den Unzertrennlichen kommen, der vor Glück und Dankbarkeit uns alles mögliche unzusammenhängende und unverständliche Zeug sagte und sich über dies Wunder gar nicht beruhigen konnte. Ich untersuchte nun auch das gesunde Auge näher und sah, daß es bereits den sogenannten imaginären Star hatte; es war eine Gesichtsschwäche, die ihn auf allem, was er anschaute, Flecken sehen ließ; die Luft schien ihm trüb zu sein und sein Augapfel war weißlich. Ich sagte ihm, ich würde auch dieses Auge heilen, sobald der Star reif wäre und befahl ihm, noch zwei Tage lang die Augen unter Kompressen zu schonen.
Auf diese Weise wurde ich nun in einem Augenblick, wenn nicht zum Okulisten, so doch zum Wundermenschen, zum Bezwinger der Natur, den die Sonne zur Beglückung ihrer Kinder geschickt hatte. Das Volk sagte: Man muß glauben, daß der Gott der Riesen ein Freund des unseren ist, da sie uns Gutes tun; und wenn er ein Freund des unseren ist, so muß auch der unsere Freundschaft für ihn empfinden, und wenn die Sache sich so verhält, dann muß der Große Genius die Riesen auszeichnen und ihre Weigerung, die Philelie zu singen, nicht übelnehmen, da sie gewiß dadurch nur eine ihnen auferlegte Pflicht erfüllen.
Diese Sache fing erst nach vier Tagen an, bekannt und besprochen zu werden, als der geheilte Hochgelbe im Tempel zur Feier der Ernte sich zu Füßen des Globus aufstellte, wo unsere Statuen standen, um sich allen Leuten zu zeigen. Der Bischof sah ihn, beschaute seine Augen, verhörte die Zeugen seiner teilweisen Blindheit und fühlte sich veranlaßt, ein feierliches Danksagungslied anzustimmen, um dieses Wunder, diese seltene Heilung, wie sich seit der Auferstehung des verstorbenen Bischofs keine wieder ereignet hatte, gebührend zu feiern. Mein Megamikre brauchte nicht einmal eine Brille zu tragen, er sah vorzüglich. Der König wünschte ihn zu sehen und ließ ihm eine Pension aussetzen. In einer Unterredung unter vier Augen fragte Seine Majestät mich, ob ich imstande sei, allen Blinden die Sehkraft wiederzugeben; ich antwortete ihm, ich könne mich dazu erst nach einer Untersuchung der Augen des Kranken verpflichten. Er sagte mir, meine Leistung werde nicht ohne Folgen bleiben und ich werde viel zu tun bekommen. Ich erwiderte ihm, ich würde stets nur nach seinem Wunsch handeln, worauf er zu mir sagte, er würde mir niemals etwas befehlen, was mir nicht Freude machen könnte. Einstweilen übten meine Kinder sich im geheimen an den Schweinen.
Meine Frau wurde in dieser Zeit zum einunddreißigstenmal entbunden und die Zeit, in welcher ich dem König meinen Bescheid geben sollte, war abgelaufen. Ich bat ihn um Rat, ob ich das Lehen selber übernehmen sollte oder mich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen dürfte. Er antwortete mir: »Es steht Euch frei, Euch durch irgend jemanden vertreten zu lassen und sogar jenes Land nie zu betreten. Das Dekret des Großen Genius ist ein Diplom, das Euch zum Herren eines dreieckigen Lehens einsetzt, welches 200000 Quadratmeilen umfaßt und das Ihr nach Eurem Gutdünken einem von Euren Nachkommen überlassen dürft. Das Lehen fällt an seinen Herrn nach völligem Erlöschen Eures Stammes zurück, das heißt also, wenn es nicht einen einzigen Riesen mehr auf dieser Welt geben wird, da sie ja alle in geradester Linie von Euch abstammen. Euer Lehen ist das erste unserer Welt und das schönste der acht größten, von denen vier durch mich vergeben werden, es ist jenes, das die größte Zahl Adeliger hat und mehr Bergwerke besitzt, als alle anderen. Ihr werdet sehr reich werden.
Die Lehensfürsten sind meistens jüngere Söhne oder Nachkommen der jüngeren Söhne von königlichen Häusern. Es kann auch vorkommen, daß ein Bastard Lehnsfürst wird, indem er das Lehen kauft oder sich dasselbe verdient, nach seinem Tode aber muß dann das Lehen an seinen Herrscher zurückfallen, da Bastarde nicht zeugen und Seitenverwandte werden bei uns nie als Erben anerkannt. Drei regierende Fürsten meiner größten Lehen haben keine Nachfolger, doch können sie noch welche vor ihrem Tode bekommen: zweie von ihnen sind älter als ich.«
Ich dankte dem Monarchen für die gütigen Belehrungen und ging zu meiner Frau, um mit ihr, der ich alles Gehörte mitteilte, den entgültigen Entschluß zu fassen. Wir beschlossen die Schenkung des Lehens nur durch Prokura anzunehmen und als meine Vertreter unsere fünf ältesten Söhne Jakob, Richard, Adam, Robert und Wilhelm mit ihren ganzen Familien zu schicken. Es handelte sich um eine bedeutungsvolle Ansiedlung, um einen großen Staat, den Fortuna und die Politik in unsere Hände legten. Aus Armen, die dem Hungertode nahe waren, wurden wir nun reich und Herrscher über ein Land, das viel größer war als Großbritannien, zehnmal mehr Einwohner hatte und hundertmal reicher war als dieses. Wie hätten wir in solchem Glück nicht die Gnade Gottes erkennen sollen? Ich glaube nicht, daß das Elend mehr geeignet sei als der Wohlstand, um in einem guten Menschen die höchsten Tugenden zu erwecken.
Was der König vorausgesagt hatte, geschah. Der Hochgelbe wurde in alle Häuser eingeladen, wo es Blinde und Einäugige gab. Man wollte ihn sehen, ihn befragen, die ganze Geschichte von ihm hören und war hocherfreut zu erfahren, daß ich ganz einfach nach meinem Gutdünken sein Auge behandelte, ihm eine Binde aufgelegt und ihm nur zwei Tage im Dunkeln zu bleiben befohlen hatte.
Man fing an, mich mit Besuchen zu überhäufen, doch meine Leute erhielten Auftrag, mir niemanden zu melden, und diejenigen Roten, die ich nicht kannte, trauten sich nicht von ihrem Vorrecht Gebrauch zu machen. Um mein Haus von dieser wahren Belagerung zu befreien beschloß ich, 2-3000 Kundmachungen zu drucken, die folgendermaßen lauteten:
»Der edle christliche Riese Eduard Alfred läßt den Megamikren, Untertanen S. M. des Königs des Neunzigsten Reiches, bekanntgeben, daß er mit Hilfe Gottes, des Schöpfers der ganzen Welt, solchen Blinden die Sehkraft wiederzugeben bereit ist, die sich vorher einer Untersuchung unterziehen, denn die Blindheit hängt von verschiedenen Ursachen ab, die sich nicht alle beheben lassen. Bei der Operation darf sonst niemand anwesend sein, nicht einmal der Unzertrennliche. Zu diesem Zwecke wird der Riese sich am Staub- und am Schmetterlingstage morgens im großen Saale des Papierpalastes aufhalten. Jeder Megamikre, der sich zwecks Untersuchung dort einfindet, muß auf einem Zettel seinen Namen, Rang, Beruf und seine Adresse aufgeschrieben mitbringen, die er dem ersten megamikrischen Direktor der Papierfabrik zu übergeben hat, falls der Zettel nach der Untersuchung vom Riesen unterzeichnet worden ist.
Da es aber der schwachen Urteilskraft des Sterblichen nicht gegeben ist, alle möglicherweise eintretenden Ereignisse vorauszusehen, so erklärt der Riese hiermit, daß er seine Hand an die Augen keines Megamikren, sei es eines Adligen, sei es eines Bastards, legen wird, der sich nicht mit zwei beglaubigten Zeugnissen einfindet, von denen das eine von der bischöflichen Kanzlei die Befreiung des Überbringers von jeder geistlichen Zensur bestätigen muß, das zweite vom Präsidium des Physikerkollegiums ausgestellte erklären muß, daß die Krankheit vom Kollegium als unheilbar erkannt wurde; denn falls sie heilbar ist, überläßt der Riese die Heilung des Kranken dem Kollegium.
Der erwähnte edle Riese läßt gleichzeitig bekanntgeben, daß er an einem Tage nur eine Operation vornehmen wird und daß der Kranke sich verpflichten muß, bei ihm vierzig Stunden nach der Operation allein zu bleiben, oder auch noch länger, wenn der Riese dies für notwendig erklärt. Es wird ihm während dieser Zeit nicht gestattet sein, irgend jemanden zu sehen, außer seinem Unzertrennlichen, der mit Erlaubnis des Riesen kommen wird, um ihn zu nähren. Der Riese erklärt, daß er weder Geld noch irgendwelche Geschenke annehmen wird. Die Freude, die er empfinden wird, indem er die Sehkraft so vielen Lebewesen wird wiedergeben können, wird ihn genügend für seine Mühe entlohnen, denn obwohl die Kranken einer anderen Menschenrasse als er angehören, so liebt er dieselben nichtsdestoweniger ebenso wie seine eigenen Kinder, denn die beiden Rassen können trotz ihrer verschiedenartigen Gestaltung nur das Werk eines und desselben Gottes sein.«
Zwei Tage nach der Veröffentlichung dieser Kundmachung sah ich zwanzig Megamikren in meinen Saal eintreten, unter denen sieben Rote waren. Drei Rote wurden sofort abgewiesen: einer, weil seine beiden Augen von einer dichten Materie bedeckt waren, die mir keinen Einblick in das Auge gestattete; der zweite, weil er so schöne und bewegliche Augen hatte, daß ich ihn nicht für einen Blinden gehalten, wenn er mir dies nicht gesagt hätte; ein dritter, weil er Albugo hatte. Die vier anderen erhielten von mir die Nachricht, daß ich sie sehend machen würde, sobald sie mir die in meiner Kundmachung erwähnten Zeugnisse brächten. Von den Farbigen und Gefleckten wies ich nur drei ab, die vielleicht ein geschickterer Arzt als ich hätte heilen können. Unter den zur Operation Angenommenen befanden sich ein Mitglied des Physikerkollegiums und ein Chirurg. Heinrich und Ludwig waren stets anwesend und sahen meine Untersuchungen aufmerksam mit an. Ich beauftragte sie, die Charakterveranlagungen und Eigenschaften von fünf Mitgliedern der fünf ersten Zwillingspaare, meiner Enkel, genau zu studieren und sie zu den Experimenten an den Schweinen heranzuziehen, vorher aber sie Geheimhaltung ihren Vätern schwören zu lassen, die sich dann mit mir verständigen sollten.
Am folgenden Tag untersuchte ich eine ebenso große Zahl Kranker und fand, daß nur zehn heilbar waren. In der darauffolgenden Woche stellte sich als erster ein schöner Roter mit seinem reizenden Unzertrennlichen ein, der mir seine blinde Ehehälfte vorstellte und dann mein Herz durch ein Lied erweichte, das zum erstenmal meine Seele rührte. Ich könnte Ihnen nicht sagen, wie es kam und was ihr Lied zu meiner Seele sprach, nur meine Seele, nicht meine Zunge könnte Ihnen einen Begriff davon geben. Nach dieser kurzen Arie übergab er mir die zwei Attestate, küßte seine Ehehälfte und verschwand ohne mir Zeit zu lassen, ihn zum Abschied zu grüßen.
Nachdem der Unzertrennliche weggegangen war, las ich die Attestate, auf die ich sehr begierig war. Das der heiligen Kanzlei war, wie Sie sich leicht denken können, jenen ähnlich, die bei uns die Pfarrer einem jeden, der nicht im Kirchenbanne ist, auszustellen pflegen, das des Physikerkollegiums aber verdient wiedergegeben zu werden. Es lautete:
»Wir, königliches Physikerkollegium, bestätigen hiemit, daß der Edle Megamikre *** blind ist und daß seine Krankheit bis auf unsere Tage für unheilbar erklärt wurde, da es bis zu unserer Zeit niemals vorkam, daß irgendein Künstler die Sehkraft einem solchen Blinden, wie es der Edle Träger dieses Attestates ist, wiedergegeben hätte. Wir verneinen aber nicht die Möglichkeit, daß eine Heilung durch eine erfahrene Person herbeigeführt werden kann. Wir stellen nur fest, daß Gott bis jetzt nicht gestattet hat, daß uns diese bedeutungsvolle Operation bekanntgegeben werde und daß wir deswegen diese Krankheit als unheilbar bezeichnen müssen.«
In diesem Augenblicke trat meine Frau ins Zimmer und war bei der Operation anwesend, die bestens gelang. Ehe ich meinen Megamikren ins dunkle Zimmer brachte, überzeugte ich mich, daß er sah. Er hatte nichts von der Operation gemerkt, weder daß ich ihm aus der Halsader Blut entzog, noch daß ich sein Auge unter der Iris öffnete und noch weniger, daß ich seinen Augen zwei feste und klebrige Körper entzog, die ich, wie auch in Zukunft stets, sofort wegwerfen ließ. Am folgenden Tag kam der Unzertrennliche zu derselben Stunde, um den Kranken in meiner Gegenwart ein wenig saugen zu lassen, und ich sagte dem Kranken, er möge ihm seinen Zustand beschreiben; der zärtliche Freund fiel vor Rührung in Ohnmacht, als er ihn sagen hörte, er habe bereits das Licht gesehen; ich brachte ihn zu Sinnen, indem ich ihm die Schläfen mit einer kostbaren Essenz einrieb. Er entfernte sich, nachdem er an mir emporgesprungen war, meinen Hals umschlungen und mir Küsse gegeben hatte, die bei uns für unanständig gegolten hätten. Ich sagte ihm, ich erwarte ihn am folgenden Tag. Er kam pünktlich. Ich ließ den Kranken genügend Nahrung zu sich nehmen, entfernte die Binden, ließ ihn einen Brief lesen, legte ihm wieder die Binde um und sagte dem Unzertrennlichen, ich überlasse den Sehenden nun ihm, in Zukunft werde er seine Augen vollkommen gebrauchen können, nur müsse er noch drei Tage lang die Binde tragen und enthaltsam leben, sonst könnte er wieder erblinden und würde dann unheilbar sein. Ich brauchte nichts mehr zu sagen, um sicher zu sein, daß das Paar mir gehorsam sein werde. Der Unzertrennliche warf sich trunken vor Glück in die Arme seines Freundes und zwar so hastig, daß er sogar mich zu grüßen vergaß. Die höchste Dankbarkeit ruft oft Wirkungen hervor, die als Undank erscheinen könnten.
Die Operation des grauen Stares wurde nun meine Hauptbeschäftigung, worüber ich oft recht in Sorgen war, da ich niemals ganz ruhig sein konnte. Eine Kleinigkeit konnte die Operation mißlingen lassen und eine mißlungene hätte genügt, um mich um den ganzen Ruf zu bringen, den die gutgelungenen mir eingebracht hatten. Mein Gewissen beunruhigte stets die Angst, einen Heilbaren durch einen Mißgriff unheilbar blind zu machen. Ich machte mir die peinlichste Vorsicht zum Grundsatz; ich erkundigte mich nach dem Alter des Patienten und schickte ihn weg, wenn er über 130 Jahre alt war; ich operierte nur solche, bei denen der Star vollkommen reif und gut sichtbar war.
Das Gelingen gewisser chirurgischer Operationen hängt mehr vom Charakter des Operierenden, als von seiner Kenntnis des Mechanismus des kranken Teiles ab. Beim Starstechen muß der Betreffende vorsichtig, behutsam und jung sein, eine ruhige Hand, ausgezeichnete Augen, eine richtige Urteilskraft haben, er muß alles beobachten und bemerken und besonders auf das Schleifen seiner Instrumente achtgeben, da das geringste Rostfleckchen verhängnisvoll werden könnte. Sie können sich nun vorstellen, Mylords, wie sehr ich auf meine Schüler achtgab und welche Unmenge von Lehren ich ihnen vorgepredigt habe. Auf meinem Landgut hatte ich nach Verlauf eines Monats lauter einäugige Schweine. Meine Söhne hatten an ihren Gehilfen eine gute Wahl getroffen, sie waren nun sieben an der Zahl, sie übten sich unaufhörlich und waren von ihrer Tätigkeit ganz entzückt, es kam ihnen vor, als hätte ich sie Wunder wirken gelehrt. Ehe unser Jahr um war, hatte ich bereits neunzehn Roten die Sehkraft wiedergegeben und über 300 Andersfarbige als heilbar bezeichnet. Ich sah voraus, daß ich längere Zeit nur Rote in Behandlung haben werde, denn um ein Zeugnis der Physiker zu erlangen, bedurfte es vieler Bitten, und den Adligen gab man stets den Vorzug. Ich fing an, Heinrich und Ludwig zu erlauben, in meiner Gegenwart Operationen an Buntscheckigen zu machen, und als ich mich überzeugte, daß sie keinen einzigen Fehlgriff taten, überließ ich ihnen alle Farbigen zur Behandlung. Dadurch wurde meine Arbeit um vieles erleichtert und ich beschleunigte das Glück eines Landes, das nur dafür Sinn zu haben schien, so daß die Tempel voller Dankesgaben waren und wir vom Volke für anbetungswürdig erklärt wurden, für mächtiger als der Große Genius. Die Leute meinten, er hätte uns seinen Rang abtreten und die Göttlichkeit unserer Mission besser anerkennen müssen, die bereits von langer Dauer zu sein begann; denn das große Ereignis unserer Ankunft in jener Welt hatte bereits vor 124 Jahren stattgefunden. Während dieser Zeit hatte die dortige Sonne aus uns zweien 1000 gemacht. Sie hatten vollkommen recht zu behaupten, daß die Sonne all dies gewirkt hätte, denn ohne ihren Einfluß hätten wir gewiß nicht leben, geschweige denn uns vermehren können.
Als ich Heinrich und Ludwig in der Gegenwart meiner Frau die Erlaubnis gab, alle Megamikren außer den Roten operieren zu dürfen, und ihnen klarmachte, daß ein einziger Fehlgriff unseren Untergang bedeuten könne, da erwiderten sie mir nichts, sondern warfen sich in Tränen zu unseren Füßen, ergriffen unsere Hände und baten uns um unseren Segen. Dieser Anblick rührte uns so, daß auch wir uns der Tränen nicht enthalten konnten; wir umarmten sie weinend und überhäuften sie im Namen Gottes mit allen möglichen Segenswünschen. Lange Zeit hindurch gestattete ich ihnen aber nur solche zu operieren, die ich für heilbar erklärt hatte. Diese Erlaubnis spornte die fünf jungen Schüler an, deren Fleiß nun bis zum höchsten Grade stieg. In weniger als einem europäischen Jahr waren sie alle ihrer Sache sicher.
Ich hatte bereits zu Neujahr meines zweiunddreißigsten Jahres Gottfried mit Justine, mein zweiundzwanzigstes Zwillingspaar getraut, als ich zum König ging, um ihm meinen endgültigen Entschluß betreffs des Angebotes des Großen Genius bekanntzumachen.
In kurzen Worten sagte ich ihm, daß ich in vollständigem Einvernehmen mit meiner Frau mich entschlossen habe, mich nicht von Seiner Majestät zu entfernen, solange Gott mir die Gnade erweisen werde, vor seiner königlichen Person erscheinen zu dürfen, und daß es uns unmöglich sei, auch nur den Gedanken zu fassen, einen Monarchen zu verlassen, dem wir unser ganzes Glück, unseren und unserer Familie Reichtum, Unterhalt und Leben verdankten. Da nun aber für uns unerschütterlich feststehe, daß wir unmöglich ein solches Glück, wie die so ehrenvolle Schenkung des Lehens zurückweisen könnten, so hätte ich mich entschlossen, die Schenkung durch Prokura anzunehmen, hätte zu meinen bevollmächtigten Vertretern meine fünf ersten Kinderpaare samt ihren ganzen Familien bestimmt und würde sie mit allem Nötigen versehen, um die mir auferlegten Bedingungen zu erfüllen. Es sei mein Wunsch, daß alle meine fünf Söhne den Titel Philarch und Ethnarch meines Lehens führten, das ich in fünf Statthalterschaften für sie einzuteilen gedächte. Jakob, mein ältester, sollte als ihr Oberhaupt den Titel Megaphilarch führen und ich würde ihm die Oberaufsicht über alles und meine besondere Vollmacht geben. Ich vertraute dem König sodann meine weiteren Pläne an: jeder von ihnen solle in eine Stadt ziehen, die ich zur Hauptstadt des betreffenden Landesteiles ernennen wolle. Ich gedenke ihnen Jahrgelder auszusetzen, denn Jakob solle nur mein Verwalter sein und werde mir stets über die Verwendung meiner Einnahmen Rechenschaft abzulegen haben.
Nachdem ich ihm dies mündlich gesagt hatte, gab ich ihm meine Erklärung auch schriftlich, indem ich ihm noch sagte, daß ich sie alle hinsenden wollte, sobald ich aus Heliopalu die Genehmigungs-Urkunde meiner Anordnungen vom Großen Genius erhalten hätte.
Nach dieser Erklärung sahen sich der König und sein Unzertrennlicher mehrere Minuten lang schweigend an, worauf der unvergleichliche Monarch folgende Worte zu mir sprach:
»Da Ihr, mein lieber Eduard, ein Mensch seid, der volle Handlungsfreiheit hat, so kann ich Euch nur sagen, daß Ihr ein Wesen seid, das unsere volle Bewunderung verdient. Was ich für Euch getan habe, geschah nur aus Dankbarkeit für die Wohltaten, durch welche Ihr meine Regierung ewig denkwürdig, meine Untertanen glücklich gemacht habt, so daß meine Person verehrt wird, wie man nie auf der Welt einen Monarchen ausgezeichnet und verehrt hat.
Der Adel meines Reiches hat auf Vorschlag des Adels meiner Hauptstadt einstimmig beschlossen, mir eine Galaktit-Trophae mit acht goldenen, nach der Natur gemachten Statuen zu errichten und sie im Haupttempel neben Eurem Globus aufzustellen. Diese Statuen sollen mich und meinen Unzertrennlichen auf einem Acori-ThroneAcori: ein auf dem Grunde der Flüsse des Protokosmos vorkommender Baum, ein blaues Korallengewächs, das bei den Megamikren ebenso selten vorkommt wie bei uns (Casanova). sitzend darstellen, in die Sonne schauend, die Euch die Macht über die menschliche Sehkraft übersendet, welche Ihr mit Eurem Unzertrennlichen darauf meinem Reiche gebt. So rächt sich nun mein Adel an Euch, dem uneigennützigsten der Menschen, der den Sterblichen, die er mit den Gaben Gottes überhäuft, nicht einmal gestattet, Euch Beweise ihrer Dankbarkeit zu geben, die doch stets nur sehr gering sein könnten im Vergleich zu der unschätzbaren Wohltat, die Ihr meinen Untertanen erweist.
Ich will hoffen, daß Ihr uns gegenüber nicht an denselben Bedingungen festhalten werdet. Ihr würdet uns dadurch betrüben. Ihr müßt von uns das annehmen, was wir Euch mit Zustimmung des Staates zu geben beabsichtigen. Letzterer sind wir ganz sicher, da Ihr ja von allen meinen Untertanen angebetet werdet.
Euer Entschluß, uns nicht zu verlassen, ist das köstlichste Geschenk, das Ihr uns machen könntet, und wenn wir uns vor unserer Reise in die Ewigkeit zur Ruhe zurückziehen, werden wir kaum die von Euch vollbrachten Wunder als vorübergehende eitle Dinge betrachten und noch schwerer glauben können, daß auch Ihr dem Tode unterworfen und als Sterbliche anzusehen seid, nachdem wir gesehen haben, daß die Natur sich Euch unterwirft.
Ich werde Euren Entschluß sogleich nach Heliopalu durch einen Eilboten mitteilen und werde eigenhändig einen Brief an den Großen Genius beifügen. Laßt mich für die Reise Eurer fünf Familien sorgen, Ihr braucht mich nur im letzten Augenblick vom Zeitpunkt der Abreise zu benachrichtigen.«
Die Anspielung des Königs an seinen Tod und die ihm vorangehende Weltentsagung schnitt mir ins Herz. Ich glaubte selber im Augenblick sterben zu müssen und vermochte nur noch mich weinend vor ihm und seinem Unzertrennlichen auf die Knie zu werfen.
Ich war kaum seit einer Stunde wieder zu Hause, als ein königlicher Sekretär mir im Namen des Monarchen sieben Diplome und sieben Mäntel mit Diamantschließen für meine sieben okulistischen Schüler überbrachte. Die Mäntel waren indigofarbig, reichten bis zu den Kniekehlen und hatten lange gelbe Ärmel; jedem Träger derselben wurde ein Gehalt von 1000 Unzen angewiesen. Ich übergab zwei von den Mänteln Heinrich und Ludwig und sagte meinen fünf Enkeln, daß sie die ihrigen erhalten sollten, sobald sie von mir zu Ministern ernannt würden. Sie gingen nach Hause, entzückt, am darauffolgenden Tag am Hofe zu erscheinen.
Die Kundgebung, wodurch ich den Megamikren-Bastarden mitteilte, daß ich meinen Söhnen erlaube, ihnen die Sehkraft wiederzugeben, erfreute allgemein. Sie waren bereits sehr betrübt, da sie befürchteten, daß die Behandlung der roten Blinden mir keine Zeit übriglassen werde, mich ihrer anzunehmen. Meine Anzeige stimmte sie immer fröhlicher, da sie sich nun glücklicher schätzen konnten, als es die Adeligen waren, denn ich operierte nur zwei in jeder Fünftagwoche, während meine Söhne in derselben Zeit sechs operierten, da die Mühe der Untersuchung ihnen durch mich abgenommen wurde.
Am folgenden Tag fand großer Empfang bei Hof statt und wir hatten den Vortritt vor dem ganzen Adel; den schönsten Anblick gab es aber, als dreißig rote Paare Spalier bildeten, uns in ihre Mitte nahmen und uns ein göttlich schönes Lied vorsangen. Die um uns versammelten Paare waren lauter solche, die ich sehend gemacht hatte. Auf des Königs ausdrücklichen Wunsch erwiesen sie mir diese Ehre; aber sie taten das zu ihrer eigenen großen Genugtuung, da sie nicht wußten, auf welche Weise sie mir sonst ihre Dankbarkeit ausdrücken könnten. Ich gestehe, daß ich mich geschmeichelt fühlte. Unter diesen Paaren befanden sich mehrere ganz junge, die von der Blindheit betroffen dem Leben keinen Reiz mehr abzugewinnen wußten; nun hatte ich sie glücklich gemacht, und was hätten sie nicht getan, um mir dies zu sagen und zu beweisen! Der König sprach meine Kinder sehr gnädig an und sagte denen, die noch nicht den Mantel trugen, er sei sicher, daß auch sie sich ihn bald verdienen würden.
Wir waren mit unseren Patienten beschäftigt, ich im großen Saal meines Hauses und meine Söhne in dem der Druckerei, als ich eines Tages, während ich aufmerksam die Augen eines Adeligen beobachtete, Heinrich kommen sah, einen schönen Gelben mit sich führend, den ich bereits als heilbar bezeichnet hatte. Diesen Gelben hatte sein Unzertrennlicher zu Heinrich gebracht, ihm die notwendigen Zeugnisse übergeben und sich sodann entfernt. Meine Aufträge streng befolgend, begann Heinrich vor allem die Zeugnisse zu lesen. Das der kirchlichen Behörde war in der gewöhnlichen Formel abgefaßt, das des Physikerkollegiums aber erschien ihm merkwürdig, sowohl seiner Kürze wegen, wie auch wegen des Tones, der frech klang und auf eine Art ausgelegt werden konnte, die meine Operation entwertete. Dieses Zeugnis lautete:
»Wir Unterzeichnete etc. bestätigen dem edlen christlichen Riesen Eduard Alfred, daß es nicht unmöglich ist, dem Megamikren N. N. die Sehkraft wiederzugeben, da seine Krankheit keine unheilbare ist.«
Ich schrieb mir dies kurze Zeugnis ab und schrieb unter das Original folgende Worte: »Wenn die Augenkrankheit des Megamikren N. N. vom gelehrten Kollegium der Physiker im Gegensatz zu allen anderen, die sich mit ihren Bescheinigungen bis zum heutigen Tag eingestellt haben, als heilbar erkannt worden ist, so tut der edle christliche Riese Eduard Alfred dem weisen Kollegium kund und zu wissen, daß er demselben die Ehre der Heilung des Megamikren überläßt, denn es wäre unschicklich, daß ein Fremder sich dessen Rechte aneignete und Operationen vollführte, die den Dank und die Bewunderung der ganzen Welt erwecken, wenn dieselben Operationen die Geschicklichkeit der angestellten Professoren zu Ehren bringen können, sobald sie diese Krankheit als heilbar erkannt haben.«
Ich ließ sofort den Unzertrennlichen des Blinden holen, übergab ihm mein Schriftstück und sagte ihm, das Physikerkollegium selbst werde seinen unglücklichen Kameraden heilen. Der Unzertrennliche trug sofort mein Schreiben zum Kollegium. Mittlerweile verfaßte ich eine Kundmachung, worin ich der Bevölkerung das soeben Vorgefallene samt dem Zeugnis der Physiker und meiner Antwort darauf mitteilte und bekanntgab, daß ich mich fortan gezwungen sähe, meine Operationen einzustellen, worüber jedoch niemand ungehalten sein dürfte, da man nun wüßte, wohin man sich in Zukunft wenden müßte, um Heilung einer Krankheit zu suchen, die das Kollegium nicht für heilbar erklärt haben würde, wenn er sie nicht zu heilen verstände.
Ich ließ diese Kundmachung noch an demselben Tage drucken und anschlagen, so daß weder die Verleumdung noch die Bosheit Zeit hatten, der reinen Wahrheit etwas anzuhängen noch sie zu schmälern. Beachten Sie dabei, Mylords, daß alle Welt wußte, daß ich niemanden ohne Vorlegung der zwei Attestate operierte und daß ich auf dem des Physikerkollegiums bestand, um mich dagegen zu schützen, daß sie jemals eine von mir vorgenommene Operation ins Lächerliche ziehen könnten. Am nächsten Tag kam mein Sohn Wilhelm, den ich mit der Oberaufsicht der Druckerei beauftragt hatte, und brachte mir ein Schriftstück, das ihm soeben zugeschickt worden war, mit dem Ersuchen, 2000 Exemplare davon abzudrucken. Er brachte es mir, da ich mir die Durchsicht und Zensur jedes unter die Presse kommenden Schriftstückes vorbehalten hatte und da er überzeugt war, daß ich es nicht zu drucken gestatten würde, weil er den Ton verletzend fand. Es lautete:
»Wenn der edle christliche Riese Eduard Alfred durch ein einfaches, natürliches Verfahren den unglücklichen Blinden ihre Sehkraft wiedergibt, so muß er zugeben, daß diese Krankheit keine unheilbare ist, und daß somit die Physiker, die das ihm so sehr mißfallende Zeugnis für den Gelben N. N. unterzeichneten, Unrecht täten, wenn sie diese Krankheit als unheilbar bezeichneten. Die Physiker waren somit vollkommen berechtigt das zu schreiben, was der edle Riese selbst durch seine Operationen bestätigt, und er ist im Unrecht, wenn er verlangt, daß ein Arzt, der eine Krankheit als heilbar erkennt, diese auch selbst heilen müsse, während die Heilung davon abhängt, daß die Operation von der sicheren Hand eines geschickten Chirurgen ausgeführt wird. Eben hierum handelt es sich in dem vorliegenden Falle.«
Ich fand diese Antwort scharf, hart und verletzend, doch ziemlich gut ausgedacht. Ich ließ meinen Sohn reden, schrieb mein Imprimatur darunter und befahl ihm, auf der Stelle in die Druckerei zu fahren und den Druck des Schreibens zu beschleunigen.
Mein Sohn wollte mich bewegen, wenigstens gleichzeitig meine Antwort auf dies freche Schreiben drucken zu lassen; ich benützte diese Gelegenheit, um ihm eine kleine Lehre zu geben. Ich sagte ihm, diese Antwort der Physiker dürfe vor ihrer Publikation niemandem außer dem Zensor bekanntwerden, und wenn ich sie gelesen hätte, so sei es kraft meiner Befugnisse als Zensor geschehen, deren ich mich nicht in meinem Geschäfte bei persönlichen Streitigkeiten zu meinen Gunsten bedienen dürfe. Die einfachste Moral verbiete jede Hinterlist, und meine Antwort gleichzeitig mit jenem Schreiben zu drucken, wäre eine solche Hinterlist gewesen. Ich sagte ihm weiter, der Mensch müsse oft die Kraft haben, das, was seine Leidenschaft entfache, von der allgemeinen Pflicht zu trennen, die sein Amt ihm auferlege, selbst gegen sein eigenes Interesse, selbst zu seinem Schaden, sobald er das von ihm zu fällende Urteil als gerecht erkenne. Ich sagte ihm, ich würde antworten, aber diese Antwort noch verzögern, um ihr jede Bitterkeit zu nehmen, denn Bitterkeit schade dem Schreiber beim Lesen. Ich machte ihn auf das Verletzende und Anzügliche im Schreiben der Physiker aufmerksam und zeigte ihm, daß der Stil allein schon genüge, um von allen gerechtfühlenden Lesern verurteilt zu werden. Mein Sohn merkte sich diese Belehrung sehr wohl. Meiner Ansicht nach hängt vieles von der Art und Weise ab, wie man den jungen Leuten die Begriffe der Moral beibringt, um sie in ihren Seelen feste Wurzeln fassen zu lassen. Gelegenheit, Belehrung, Beispiel. Ich ließ also die Antwort der Physiker drucken und veröffentlichte zwanzig Stunden später die meinige. Sie lautete:
»Der edle christliche Riese Eduard Alfred gibt zu, daß ein Professor der Physik vielleicht nicht zu vollbringen vermag, was er selbst auf Grund seiner Studien für vollbringbar erkennt; um aber der Welt zu beweisen, daß er sich nicht irrt, muß er seine Behauptung durch Ausführung über jeden Zweifel erheben. Der Vorrang, den das Kollegium der Physiker vor dem der Chirurgen hat, beweist geradezu, daß dies seine Pflicht ist.
Dies hat der Riese durch seine Kundmachung den Ärzten begreiflich machen wollen. Da die blinden Untertanen des Königs von dem Physikerkollegium als heilbar anerkannt worden sind, haben sowohl der König wie dessen Untertanen das Recht vom Kollegium der Physiker zu verlangen, daß es ihnen Persönlichkeiten beschafft, welche die genannte Krankheit zu heilen imstande sind. Der Riese ergreift mit Freuden diese Gelegenheit, um für das Volk diesen wichtigen Vorteil zu erwirken. Um dies sicher zu erreichen, stellt er von Stund an seine Operationen ein. Er wird entzückt sein, wenn er die Kenntnis derselben unter den kundigen Megamikren verbreitet sieht und es wird ihm zur Freude gereichen, sich selber als die Ursache dieser Weltbeglückung ansehen zu dürfen. Das Physikerkollegium wird ihm hiefür Dank schulden, denn wenn er nicht den Ansporn gegeben hätte, so würde eine dem Menschengeschlecht so nützliche Operation noch immer unbekannt sein. Das wird das Kollegium zugeben.«
Das Ereignis wurde sogleich zum Gespräch der ganzen Stadt; in allen Kreisen wurde nur diese Frage besprochen und alle gaben zu, daß meine Beweisführung vollkommen richtig sei. Die Blinden aber waren voller Entrüstung, als sie eine Fünftagwoche vorübergehen sahen und die Physiker weder auf meine letzte Kundmachung antworteten, noch den Blinden versprachen, ihnen die Sehkraft wiederzugeben. Sie verständigten sich untereinander und forderten das Kollegium durch ein Schreiben auf, sie von einer Krankheit zu heilen, die sie als heilbar erklärt hätten. Das Kollegium schickte ihnen das Schreiben mit der kurzen Antwort zurück, daß dies die Chirurgen anginge, an deren Kollegium sie sich wenden müßten; sollte aber denselben die Ausführung dieser Operation unbekannt sein, so würde dem Kollegium das zwar sehr leid tun, aber dann wäre eben nichts dagegen zu machen.
Die megamikrischen Chirurgen konnten nur Kontusionen durch Einreibungen und Auflegung von Kataplasmen heilen, die sie aus mehreren Arten Wolfsmilch verfertigten, deren Alaungehalt dem verletzten Teil das Wasser entzog, das nach ihrer Ansicht innere Wasserblasen hervorrief; die Kataplasmen wirken auch bei uns von Natur wasserziehend, aber den Megamikren ist nur ihre äußerliche Anwendung bekannt. Außerdem konnten sie nur noch Klistiere geben, wenn die Ärzte solche vorschrieben, verrenkte Glieder einrichten, Nägel und Haare pflegen. Ihre Hauptleistung bestand darin, ein gebrochenes Bein so zu heilen, daß der Megamikre wieder gehen konnte.
Die Blinden begriffen nicht, wie die Physiker, die ihnen durch ihr freches Zeugnis solch ein Leid angetan hatten, nicht einsehen wollten, daß sie nun verpflichtet wären, ihnen die Sehkraft wiederzugeben. Sie beschlossen, um die Erlaubnis nachzusuchen, das Physikerkollegium vor das königliche Tribunal zu rufen; dies wurde ihnen gestattet. Die Physiker erschienen mit einer von allen Mitgliedern des Kollegiums unterzeichneten Erklärung, daß die betreffende Krankheit heilbar wäre und daß ich somit kein Recht hätte zu verlangen, daß man sie als unheilbar bezeichnete. Das königliche Tribunal äußerte sich dahin, daß das ganze Kollegium abzusetzen wäre, wenn es nicht binnen einer Ernte imstande wäre, Augenärzte beizustellen, die dieselbe Operation wie der Riese, und zwar selbstverständlich unentgeltlich machen könnten.
Die Blinden hatten mittlerweile von den durch mich Geheilten die Namen jener Physiker erfahren, welche sie in ihren Bescheinigungen als unheilbar bezeichnet hatten. Als sie nun feststellten, daß dieselben jetzt die Erklärung, daß sie heilbar wären, unterzeichnet hätten, ließen sie sie vor das große geistliche Tribunal berufen, bei dem der Bischof den Vorsitz führte. Die Blinden verlangten die Bestrafung der Physiker, die sich der großen Lüge schuldig gemacht hätten; zum Beweis legten sie zwei Atteste vor, von denen das eine das Gegenteil des anderen aussagte. Eine Lüge wird in jener Welt, wenn sie als der Allgemeinheit schädlich anerkannt ist, mit lebenslänglichem Kerker bestraft.
Die Physiker, die sich jetzt am Rande eines Abgrundes sahen, mußten in einem an das heilige Tribunal gerichteten Schreiben gestehen, daß sie zwar bei der Ausstellung der Atteste, welche die Blindheit als unheilbar bezeichneten, dieselbe als ein nicht zu heilendes Leiden angesehen hätten, daß sie jedoch später, nach genauen Untersuchungen des Auges zu der Ansicht gekommen wären, daß es sich um eine heilbare Krankheit handelte und daß man sie somit weder in bezug auf das eine noch auf das andere Attest der Lüge beschuldigen dürfte.
Auf Grund dieser Erklärung hielt sich der Bischof für verpflichtet, das Kollegium von der Beschuldigung der Lüge freizusprechen.
Aber der Beschluß des königlichen Tribunals brachte die Physiker in Verzweiflung und die ergrimmten Blinden erwarteten mit Ungeduld den Ablauf der vorgeschriebenen Zeit. Das Kollegium der Physiker mußte unter allen Umständen die Entehrung und die damit verbundene Amtsenthebung vermeiden: sie sahen nun ein, daß sie eine Dummheit begangen hatten, indem sie die Erklärung unterschrieben, die ihre beiden Kollegen gerettet hatte. Alle Welt meinte, sie müßten sie zugrunde gehen lassen oder einen anderen Ausweg finden. Sie versuchten alles, um die Chirurgen hierzu zu bewegen; doch die Chirurgen ließen eine Erklärung drucken, in welcher sie die Physiker als Ignoranten und Betrüger bezeichneten und ihnen das an den Blinden begangene Unrecht vorwarfen, indem sie durch ein beleidigendes Attest den Gesandten Gottes, der vor kurzem dies Wunder an einem Mitglied ihres Kollegiums vollbracht, ergrimmt hätten. Die Chirurgen sind stets und überall froh, wenn sie den Ärzten etwas anhängen können: sie halten sich selber für Ärzte, wie die Violinspieler in einem Orchester sich für selbständige Musiker halten.
Dieser Streit unterhielt die Stadt wie ein Lustspiel, das durch die Schnelligkeit interessant wurde, womit dank der Buchdruckerei ein Plakat dem anderen folgte.
Zwei Brände waren verflossen, der dritte ging zur Neige und noch immer gab es kein Anzeichen, daß das gefährdete Kollegium einen Ausweg gefunden hätte, und das Volk bereitete sich schon darauf vor, ihnen ein possenhaftes Begräbnis zu veranstalten, als man in meine Druckerei ein Schriftstück zum Drucken brachte, dessen Inhalt folgendermaßen lautete: »Der Arzt Aaau-Eooo-Eiiio läßt jedermann bekanntgeben, daß er am dritten Tag der neuen Ernte in dem von der Sonne erleuchteten Saal seines Hauses mit der ersten Stunde nach dem täglichen Glockenklang allen denen die Sehkraft wiederzugeben anfangen wird, die der edle Riese Eduard Alfred für heilbar erklärt hatte. Es wird dem Publikum gleichzeitig bekanntgegeben, daß er die Operation nicht im geheimen, sondern in Anwesenheit von sechs Paaren, außer dem Unzertrennlichen des Kranken, ausführen wird; er verspricht drei Operationen in jeder Pentamaine auszuführen.«
Diese Kundmachung ließ alle verstummen. Unser Freund, der Groß-Gärtner, kam am folgenden Tage zu uns, um uns mitzuteilen, daß er von dem erwähnten Arzt eine Einladung erhalten habe, mit seinem Unzertrennlichen unter den sechs Zuschauerpaaren zu sein; er freue sich sehr darüber, da er dadurch das Vergnügen haben werde, gleich nach der Operation zu uns zu kommen und uns über das Gesehene zu berichten. Ich erwiderte ihm, mir werde dies sehr angenehm sein, und ich wünsche nicht nur, sondern hoffe, daß dem Arzt das Werk gelinge, da ich nicht einsehen könne, weshalb nicht ein Mensch das vollbringen solle, was einem anderen gelungen sei, wenn er nur selber fühle, daß er es zu tun imstande sei. Ich fügte hinzu, es werde mich um so mehr freuen, da ich hierdurch, ohne daß mein Verdienst darum geschmälert werde, einer schweren Last befreit sein würde und zwar gerade zu einer Zeit, wo ich für Dinge von besonderer Bedeutung zu sorgen habe.
Dies war meine Ansicht, doch mißfiel mir die Unruhe Heinrichs und Ludwigs, über die ich eigentlich nur lachen konnte; sie trauten sich nicht, mir etwas zu sagen, doch ich las in ihren Seelen und brachte sie zum Reden, um die Sache klarzustellen.
Heinrich sagte mir bescheiden und schüchtern, er wünsche, daß der Arzt keinen Erfolg haben möge, und Ludwig meinte, er verdiene für seine Frechheit bestraft zu werden. Ich antwortete ihnen mit einer Belehrung, die sie sich wohl fürs ganze Leben merkten. Ich ließ ihnen die ganze Niedrigkeit und Grausamkeit einer solchen Hoffnung einsehen und ich hörte nicht auf, ihnen dies vorzupredigen, bis ich sie vor Scham bis über die Ohren erröten sah. Sie baten mich um Verzeihung und sagten, sie teilten nun ganz meine Meinung.
Sobald die erste Operation vollzogen war, brachte nicht der Groß-Gärtner mir die Nachricht, sondern mein Sohn Wilhelm kam und reichte mir ein Blatt, das ihm soeben in die Druckerei gesandt worden war, mit dem Auftrag, bis zum nächsten Tage 1000 Abzüge herzustellen. Es lautete folgendermaßen:
»Der gelbe Megamikre N. N. wurde in Anwesenheit der Edlen namens Soundso operiert und bezeugte die Wiedererlangung seiner Sehkraft dadurch, daß er sie alle erkannte. Die Operationen werden auch weiterhin unentgeltlich durch denselben Arzt an allen Tagen, außer am Leichnam- und Eitag, ausgeführt.«
Ich unterzeichnete rasch und befahl meinem Sohne, den Druck möglichst zu beschleunigen, um dem Arzt in drei Stunden seine 1000 Kundmachungen zuzustellen, weitere 5000 Abzüge aber auf meine Kosten überall anschlagen zu lassen. Vier Stunden später waren die Anzeigen an allen Straßenecken der Stadt zu sehen. An den folgenden Tagen hatten alle Operationen denselben guten Erfolg. Eine Viertelstunde nach Wilhelm erschien der Groß-Gärtner und beglückwünschte mich zu diesem Ereignis im Sinne meiner Äußerungen. Er erzählte mir folgendes: Der Arzt hieß den Blinden sich setzen und dann durch einen jungen Megamikren seinen Kopf fest und sein Auge offenhalten, worauf er vor ihm stehend eine Nadel in sein Auge hineinführte, die er gleich danach wieder herauszog, um eine andere mit runder Spitze in dieselbe Öffnung hineinzuführen. Mit dieser schob er einen dichten Körper beiseite. Dies erschien ganz wunderbar, da der Professor jenen Gegenstand so in eine Ecke des Auges schob, daß man nichts von ihm sah. Gleich darauf operierte er auf die gleiche Weise das zweite Auge mit demselben Erfolg und die Anwesenden hörten zu ihrer Überraschung den operierten Megamikren die von ihm gesehenen Personen nennen. Dann legte er Umschläge und eine Binde auf und schickte ihn zum Ausruhen in ein anderes Zimmer.
Die mir erzählten Umstände dieser Begebenheit überraschten mich sehr, doch ließ ich nichts davon merken.
Sobald ich allein war, berief ich meine Söhne und meine fünf Enkel zu mir und sagte ihnen, auf welche Weise die Operation vom Arzte ausgeführt worden sei. Ich sagte ihnen auch, es sei die allererste Pflicht des Menschen, auf seine Selbsterhaltung und seine Ehre bedacht zu sein; dies sei der Grund, weshalb ich ihnen befohlen habe, die Art des Starstechens streng geheimzuhalten. Zwar gebiete uns die strenge Moral, uns über den guten Erfolg der Operation des Arztes zu freuen, doch nötige sie uns nicht, ihm die Mittel zu enthüllen, durch die wir unser Ziel erreicht hätten. Ich sagte ihnen weiter, die vollbrachte Operation sei allerdings von den Anwesenden als glücklich vollbracht bezeichnet worden, wir aber wüßten ja, daß man zur Hebung des Stares den vor dem Augapfel liegenden undurchsichtigen Körper gänzlich entfernen müsse. Wir müßten daher am guten Ausgang zweifeln, da er weder seinen Patienten zur Ader gelassen, noch den Star aus dem Auge herausgenommen, sondern ihn nur mit der stumpfen Nadel weiter beiseite geschoben habe, nachdem er das Auge zuvor mit einer anderen Nadel geöffnet habe. Ich erklärte ihnen, daß diese zweifache Verletzung des Auges die Heilung desselben erschweren werde; sie könne die das Auge umgebende Haut beschädigen, die wässerigen Säfte ausfließen lassen, die Kristallinse zu sehr erweitern und noch andere Schäden anrichten; der schädliche und hinderliche Körper werde vielleicht nicht an der Stelle bleiben, an die er verschoben worden sei; es sei somit sehr wohl möglich, daß er an die frühere Stelle zurückkehre. Die Unterlassung der Blutentziehung, die ich als Vorbeugungsmittel gegen eine Entzündung anwendete, welche ich für gefahrvoll hielte, könnte dem Megamikren nicht nur sein Auge, sondern sogar sein Leben kosten. Da nun alles festgestellt sei, so müßten wir vollkommenes Schweigen beobachten; sollten wir um unsere Ansicht gefragt werden, so müßten wir mit großer Zurückhaltung und ohne die dem Operateur schuldige Achtung zu verletzen nur antworten: »Wir wünschen, daß die Zeit den Erfolg und die Weisheit des weisen Operateurs bestätige.«
Meine Kinder waren über die Ehre, die ich ihnen durch diesen Vortrag erwies, hocherfreut, sie erhielten dadurch eine wichtige Belehrung und erfuhren gleichzeitig meine Meinung über diese Angelegenheit.
Der König ließ mich zu sich rufen und ich beeilte mich, seine Befehle in Empfang zu nehmen. Er beglückwünschte mich zu allererst dazu, daß ich nun in Zukunft nicht mehr durch die lästigen Operationen in Anspruch genommen werde und dankte mir als dem Urheber des Glücks, daß nun in kurzer Zeit die ganze Welt sich dieser nützlichen Entdeckung erfreuen würde. Dann fragte der König mich, ob ich mit dieser Operation, deren Verlauf mir wohl bekannt sei, einverstanden sei. Ich antwortete ihm: es sei mir als unwissendem Sterblichen nicht möglich zu erkennen, ob Gott zugelassen habe, daß die Natur denselben Zweck auf verschiedenen Wegen erreiche; und wenn dies der Fall sei, so könne ich das System des Arztes weder anerkennen noch tadeln; anerkennen könne ich es nicht, weil es von dem meinigen gänzlich abweiche, tadeln könne ich es nicht, da alle Welt sage, daß die Operation geglückt sei; ich schloß mit der Äußerung, man müsse noch abwarten. Der König sah daraufhin verständnisvoll und zufrieden erst seinen Unzertrennlichen und sodann mich an und begann vom Glück der Megamikren zu sprechen, denen es beschieden sei, meine Untertanen zu werden.
Im Laufe der folgenden Pentamaine wurde bekanntgemacht, daß die drei Operationen glücklich gelungen seien, und man sprach davon, daß der große Arzt nunmehr auch drei Rote vom höchsten Adel operieren werde. In diesen Tagen brachte man in die königliche Druckerei eine gelehrte Abhandlung, deren Einleitung mir zwar sehr frech vorkam, der ich jedoch ohne Zögern mein »Imprimatur« gab. Sie lautete:
»Der Mensch, dem Gott die Gnade erteilt, der Menschheit Gutes zu leisten, soll sich für diese göttliche Gnade dankbar erweisen, indem er das ihm erwiesene Vorrecht den anderen mitteilt. An diesen Grundsatz haltend, gibt der dem Kollegium angehörende Physiker Aaau-Cooo-Ciiio der Bevölkerung bekannt, daß seine an den Augen der Megamikren aller Stände ausgeführten Operationen niemals im geheimen gemacht werden. Die Geheimhaltung kann der Operation nicht nützlich sein und kann nur zur Quelle von Irrungen werden, da sie verdammenswürdige Neugier erregen und die menschliche Schwäche in böse Lüge ausarten lassen kann. Diese Wahrheit ist unzweifelhaft und somit, sich auf dieselbe stützend, sieht derselbe Professor sich veranlaßt, dem Publikum den Bau des Auges zu erklären, damit es sich überzeugt, daß er nicht ohne Grund die Blindheit einiger Megamikren in dem bereits allen bekannten Attest als heilbar bezeichnet hatte, worauf die edlen christlichen Riesen ihre Operationen einstellten.
Das Auge ist aus Weichteilen zusammengesetzt. Gott hat es in einer kegelförmigen Knochenhöhlung untergebracht, die man Augenhöhle nennt. Der wichtigste der Weichteile ist der Augapfel, die anderen sind außerhalb oder innerhalb angebracht. Zu den äußeren gehören die Augenbrauen, die Wimpern, die Tränensäckchen, die Tränenkarunkel; zu den inneren: die Muskeln, das Fett, die Tränendrüse, die Nerven, die Blutgefäße.
Der bedeutendste Weichteil ist der Augapfel, der aus mehreren Teilen zusammengestellt ist, welche eine Art von geschlossener Schale bilden, welche aus der Zusammensetzung verschiedener häutiger Schichten, die man Häutchen nennt, gebildet ist. Die anderen mehr oder weniger flüssigen Teile sind in Kapseln oder zwischen den anderen, sie umgebenden Häutchen eingeschlossen. Das äußerste Häutchen, welche die ganze Hochwölbung des Augapfels bildet, ist die Hornhaut; ihr folgt die Gefäßhaut des Augapfels und letzterer ein netzförmiges Häutchen. Die Nebenhäutchen bilden das sehnige und das verbindende Häutchen. Die Kapselhäute bestehen aus der Glas- und Kristallinse. Der Augapfel hängt mit der Augenhöhle mittels des optischen Nerves zusammen. Die rückwärtigen Teile des Augapfels, der Sehnerv und die Muscheln, sind von einer Fettschicht umgeben, die den ganzen Boden der Augenhöhle ausfüllt. Es gibt drei Arten Säfte: wässerige, glasige und kristallinische; die ersten befinden sich zwischen den einzelnen Häuten; die glasigen sind in der häutigen Kapsel eingeschlossen und nehmen über dreiviertel des Umfangs des Augapfels ein; die kristallinischen Säfte sind eigentlich eine gummiartige, kleistrige Masse, die linsenförmig, nach innen mehr wie nach außen gewölbt und mit einem sehr feinen Häutchen überzogen ist.
Die stärkste Haut des Auges ist die Hornhaut; sie enthält alle Teile, aus denen der Augapfel zusammengesetzt ist. Man teilt sie in undurchsichtige und durchsichtige: die undurchsichtige ist hart wie Pergament, sieht aus, als ob sie gegen die hintere Mitte ihrer Wölbung zu vom optischen Nerv durchstochen wäre; ihre Dichtigkeit ist von Schicht zu Schicht in sehr schräger Richtung von Blutgefäßen und Nerven durchbrochen. Die durchsichtige Hornhaut ist von einer großen Anzahl unmerklicher Poren übersät, denen ein unaufhörlicher Tau entströmt, der sehr fein ist und sich nach und nach verflüchtigt.
Die Gefäßhaut des Augapfels liegt an der undurchsichtigen Hornhaut und wird Traubenhaut des Auges genannt; sie ist durchsichtig; ihr vorderer Teil wird dort, wo sich die Öffnung befindet, deren ungefähre Mitte der Scheidewand durchstochen ist, als Augapfel oder Pupille bezeichnet, die vordere Schicht dieser Scheidewand ist die Regenbogenhaut. Der größte Teil der wässerigen Säfte befindet sich in einem Raume, welcher zwischen der durchsichtigen Hornhaut und der Traubenhaut liegt; dieser Raum ist mit dem Augapfel durch einen sehr schmalen Raum verbunden, der zwischen die Traubenhaut und die Kristallinse eindringt: diese beiden Räume sind die Behälter der wässerigen Säfte.
Die sehr klaren und durchsichtigen glasigen Säfte sind in einer feinen, durchsichtigen Kapsel verschlossen, die den größten Teil des Umfanges der Augenkugel einnimmt, das heißt beinahe den ganzen Raum, der der Ausdehnung der Netzhaut entspricht, eine ganz kleine Stelle hinter der Traubenhaut ausgenommen, in welcher sich die Kristallinse befindet. Der Verlust dieser glasigen Säfte bringt den unwiederbringlichen Verlust des Auges mit sich.
Die wenig feste Kristallinse ist klar wie Kristall und befindet sich in einem Grübchen des inneren Teiles der glashellen Säfte. Die Kristallinse ist kein eigentlicher Saft, sie ist es nicht infolge ihrer leichten Handhabung, der Möglichkeit sie zu betasten und sogar durch besonderes, wiederholtes Zusammendrücken mit den Fingern, nachdem sie aus ihrer Kapsel entfernt wird, aufzulösen.
Die wässerigen Säfte sind eine helle klare Flüssigkeit, eine seröse, sehr wenig klebrige Lymphe, die im Gegensatz zu den glashellen und kristallenen keine besondere Kapsel haben. Sie nehmen den ganzen zwischen der Hornhaut und der Traubenhaut befindlichen Raum ein, sowie auch den zwischen der Traubenhaut und der Kristallinse und der Öffnung der Pupille. Diese zwei Behälter mit wässerigen Säften sind verschieden groß: der vordere zwischen der durchsichtigen Hornhaut und der Traubenhaut liegende ist der größere; der Hintere, welcher zwischen der Traubenhaut und der Kristallinse verborgen ist, ist besonders nach der Pupille zu, dort wo die Traubenhaut die Kristallinse beinahe berührt, sehr schmal.
Die Augenhaut, die man gewöhnlich als das Weiße im Auge bezeichnet, entsteht durch die sehnenartige Ausdehnung von vier Muskeln. Sie ist nach dem Rande der Hornhaut zu sehr dünn; endet dort überall gleichmäßig und wird sozusagen von der Hornhaut absorbiert.
Um einem Blinden die Sehkraft wiederzugeben, durchsteche ich zwei Linien von der Regenbogenhaut entfernt die Bindehaut, die undurchsichtige Hornhaut und die Traubenhaut, stoße dort auf den dichten Körper, der den Patienten am Sehen hindert, schiebe denselben unter die Pupille und meine Operation ist beendet. Ich will hoffen, daß das Kollegium für Chirurgie sich nun entschließen wird, anzunehmen, daß dieses Amt ihm obliegt, daß es Schüler hiezu erziehen und Nutzen ziehen wird aus den Lehren die unser Kollege ihnen stets zu geben bereit ist, und daß sie es nie unterlassen werden, ihn als ihren Meister anzusehen und zu schätzen.«
Ich sah mich veranlaßt, ein kleines Schriftstück zu veröffentlichen als Antwort auf diese Dissertation, dessen Tonart alle Welt als unverschämt bezeichnete. Ich erwiderte nur kurz folgendes:
»Der edle Riese Eduard Alfred hat die Dissertation des weisen Physikers gelesen und wünscht, dessen Weisheit bewundernd, die Zeit möge die Tadellosigkeit seiner Operationen bestätigen, und er möge sich dadurch für immer die Verehrung breitester Schichten der Bevölkerung erwerben.
Was den Grundsatz des Verfassers anbelangt, diese Art Operationen streng abgesondert und nicht vor Zeugen zu machen, so sagt er ihm hiemit, daß weise Gelehrte zum Wohle der Allgemeinheit so zu handeln verpflichtet sind, wie ihnen dies ihre Urteilskraft und ihr Verstand eingeben, doch müssen sie gerade deshalb, weil sie als weise gelten wollen, sich nicht über solche erheben wollen, die anderer Meinung sind als sie.
Der christliche Riese ist der Ansicht, daß der Operateur so wichtige Operationen in der größten Ruhe und Stille ausführen muß, und diese beiden Bedingungen können schwerlich bei einer großen Anzahl von Zuschauern erfüllt werden. Er meint weiter, daß es ganz unrichtig wäre, diese Operation als eine leichte darstellen zu wollen, erstens weil sie es nicht ist, zweitens weil dies einige kühne Zuschauer ermutigen könnte, die Operation, welcher sie zugesehen haben, selber in unbesonnener Weise ausführen zu wollen, wodurch sie einen unschuldigen Blinden gänzlich um seine Augen bringen könnten; drittens weil man in der Welt der Riesen Menschen, die solche Operationen öffentlich veranstalteten, für Marktschreier oder Scharlatane halten würde. Der christliche Riese findet, daß jede Ostentation einen Betrug oder wenigstens Hochmut bekundet. Er behauptet, die moralische Sicherheit, daß der Betreffende zweckentsprechend und ohne Furcht vor einem Rückfall operiert wird, soll die Belohnung einer solchen Arbeit sein. Öffentlichkeit ist nicht günstig für die Operation und kann durchaus nicht zur guten Wirkung des obengenannten Grundsatzes beitragen, der übrigens der einzige jedes wissenschaftlichen Arztes sein sollte.« Sie können sich ja gar nicht vorstellen, Mylords, wie hoch bereits der Fanatismus zugunsten dieses Physiker-Operateurs gestiegen war. Seine Abhandlung war in allen Händen; die Zahl derer, die sich mit meiner kurzen Antwort näher beschäftigten, war sehr gering. Man sprach unverhohlen darüber, daß es ein Unrecht sei, einen so achtungswerten Kollegen so hart zu behandeln, daß es ein anderes Unrecht von mir gewesen sei, über diese Krankheit, die nun nachweislich heilbar sei, ein Zeugnis zu verlangen, das sie als unheilbar bezeichnen sollte. Dieser Wunsch bezeuge einen übermäßigen Hochmut. Dies gab mir einen neuen Beweis, wie ungerecht der stets undankbare Pöbel urteilt, indem er die Umstände vergißt oder nicht beachtet, die das Wesentliche der Frage bilden; ich hatte ja nie verlangt, daß man die Krankheit als unbedingt unheilbar bezeichnen solle.
Ich muß Ihnen bekennen, Mylords, daß mich diese Analyse eines der wichtigsten Teile des menschlichen Körpers sehr erfreute, denn ich sah nicht nur, daß sie richtig war, da ich sie bei einigen Zerlegungen der Augen von Schweinen bestätigt gefunden hatte und weil ich in derselben dieselben Behauptungen aufgestellt sah, die unsere englischen Gelehrten in ihren anatomischen Vorträgen vertreten; wie konnten aber diese Doktrinen in einer Welt bekannt sein, deren Religion die Anatomie verbot? Dieser Gedanke bewog mich, Nachforschungen anzustellen.
Unter den Büchern, die der Theologe mir geschenkt hatte, befand sich eins, dessen Titel schon mich interessierte; ich hatte bereits einiges darin gelesen, lauter Artikel, die auf tiefe Gelehrsamkeit schließen ließen, doch hatte ich es nicht weiter gelesen, um mich nicht von der Übersetzung der Weltgeschichte lenken zu lassen. Dieses Buch, dessen Titel: »Analekten des Protoplaste« war, belehrte die Megamikren über Bodenkultur, unterwies sie in den Anfangsgründen der Chemie, berichtete über die verschiedenen Arten von Heilkräutern, die die Erde hervorbringt, und schloß mit einem Kapitel, dessen Titel den Inhalt genau angab: »Analyse des Körpers des Megamikren.« Als ich die Abhandlung des Physikers las, kamen diese »Analekten« und der Titel des Kapitels mir in den Sinn und ich nahm das Buch wieder einmal zur Hand. Ich fand darin die vollständige Anatomie des Körpers eines Megamikren. Der Verfasser, der nur der Große Genius sein konnte, begann das Kapitel mit folgenden Worten:
»Eine Neugier, die dir, o Mensch, nicht verwerflich erscheinen dürfte, wäre es, wissen zu wollen, wie du gebaut bist, doch würde sie dann in deine Hände einen Leichnam legen, was deiner Natur wiederspräche und dich nötigen würde, diesen Leichnam eines Gutes und Rechtes zu berauben, dessen Mißachtung unserem göttlichen Schöpfer nicht gefallen könnte. Begnüge dich also mit dem, was mir Gott dir mitzuteilen gestattet, um deine Dankbarkeit zu erregen, und sei fest überzeugt, daß du nur die reine Wahrheit liesest, von der du bei Gelegenheit wirst Nutzen ziehen können. Mir wurde sie von dem offenbart, der um zu wissen, wie der Mensch gebaut ist, keiner Anatomie bedarf.«
Nach dieser majestätischen Einleitung kam die Beschreibung des menschlichen Körpers, seiner festen und flüssigen Bestandteile, seiner Nerven, seines Blutes, der wunderbaren Funktionen des Blutumlaufs, der Lunge, der Sinnesorgane, der Blutgefäße, der Muskeln, der Fasern. Bei der Beschreibung des Auges angelangt, berichtete der Verfasser alles das, was der Physiker Wort für Wort abgeschrieben hatte, und schloß mit einer Lobrede auf die immaterielle Seele, die ein Kunstwert für sich ist. Von den vielen Dingen, die er sagt, entnehme ich nur ein kleines Beispiel: »Das Auge, meine lieben Kinder, gibt euch einen sicheren Beweis der tatsächlichen Existenz eines immateriellen Geistes, der im Auge seinen Hauptsitz hat: dies müssen wir glauben, denn wenn nicht dieser Geist und die ihm entstammende Vernunft vorhanden wären, würde das Auge trotz seinem kunstvollen Mechanismus keinen Gegenstand sehen, und wenn ihr die Gestaltung des Auges in Erwägung zieht, so wird es euch selbst diese Wahrheit offenbaren. Seine Form, seine Flüssigkeiten, seine Zellen und deren Verteilung in Höhlungen und Wölbungen stellen ein kleines Fernrohr dar, wie es einer eurer Handwerker angefertigt hätte, um irgendeinen Gegenstand näher oder besser besehen zu können. Würde aber dieses Fernrohr, trotz seinem Mechanismus, der so gut den der Natur wiedergibt, irgend etwas aus sich selbst sehen können, wenn das menschliche Auge nicht hinter ihm sich befände? Es würde nichts sehen. Das Auge sieht und sieht aus sich selbst heraus; somit muß es von seiner Substanz belebt werden, die nur immateriell sein kann, da sie nicht von den Sinnen abhängt. Wo befindet sich nun dieselbe? Sie ist im ganzen Auge vorhanden, ohne daß man sagen könnte, sie wäre das Auge selbst. Das Auge selbst bestätigt euch diese Vermutung. Es zeigt euch seinen Mechanismus, ihr könnt es untersuchen und euch überzeugen, daß in einem so geformten kleinen Fernrohr die sich euch darbietenden Gegenstände zwar gut widerspiegeln würden, doch würdet ihr alles umgekehrt, die Menschen mit dem Kopfe nach unten, mit den Füßen in der Luft sehen. Setzt das Fernrohr auf die Augen und ihr werdet alles in der richtigen Lage sehen: nicht ihr Organ also ist es, das steht, sondern die immaterielle Substanz, die es belebt und das richtig sieht, was durch eine materielle Substanz gesehen in einer dem Auge ähnlichen Maschine sich in verkehrter Lage widerspiegeln würde: Dies verhält sich so und nicht anders. Somit können wir das Auge als das sehende Organ, nicht als Materie ansehen, denn eine des Geistes bare Materie kann nichts empfinden, was sie der nicht vorhandenen Vernunft mitteilen könnte, und ebenso kann der Geist ohne Mitwirkung einer materiellen Maschine etwas Materielles weder empfinden noch sehen; dies bezeugt den ganzen Unterschied zwischen Geist und Materie: zwischen beiden liegt ein ähnlicher Abgrund wie zwischen der Tat und dem Willen. Naturen, die man physikalisch entgegengesetzte nennen könnte, sind so beschaffen, daß man dem Schöpfer nichts an seiner Allmacht schmälert, wenn man sagt, Gott selber könne nicht bewirken, daß die eine zur anderen werde.«