Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Wir müssen heuer wieder eine Landparthie machen!« sagte der Kaufmann Mehlberg zu seiner Frau und seinen Kindern, als sie beym Abendessen versammelt waren. »Wir sitzen ohnedieß das ganze Jahr hindurch zwischen vier Mauern, und sind mehrere beysammen, so kostet's ja auch nicht so viel.«
»Ja, ja! auf's Land,« schrien die kleineren zwey Kinder, »dort wollen wir wieder recht herumspringen.« »Und eure Kleider zerreißen,« fiel die Frau Mama ein. Der nächste Pfingstsonntag, meinte der Vater, wäre der beste Tag dazu, da wäre Montag nachher auch ein Feyertag, und man könnte sich von den Strapazen wieder erhohlen. – »Wir nehmen eine Jantschky'sche Wurst auf zwölf Personen,« fuhr Mehlberg fort, »unser sind sechs, die andern sechs Personen laden wir noch dazu ein, und fahren nach Mauerbach, essen dort, gehen spazieren, unterhalten uns, und fahren um acht bis neun Uhr Abends wieder zurück.«
96 Die Familie stimmte mit ein, und folgende Personen fanden sich zur Landparthie zusammen, die ich ein Bischen ausführlicher beschreiben will, lieber Leser, da du sie genauer kennen mußt, um Manches in ihrem Thun und Treiben natürlich zu finden.
1.) Der Kaufmann Mehlberg, ein Mann von sechzig Jahren, aber noch rüstig. Auf zwey kurzen und gegen einander gebogenen Füßen ruht ein Körper, der dafür etwas zu lang und zu dick ist. Er trägt eine blonde, man könnte fast sagen, gelbliche Perrücke, seine Gesichtszüge zeugen von Jovialität und Bonhomie. Eine etwas mehr als natürliche, und in's Zinnoberrothe fallende Farbe auf Backen und Nase, verkündet, daß er dem Rebensaft nicht abhold sey, und zwey kleine, stechende Augen lassen auf Witz schließen. Übrigens besitzt er ein außerordentliches Phlegma, und noch weiß sich niemand zu erinnern, ihn jemahls zornig gesehen zu haben.
2.) Frau Mehlberg (bald hätt' ich das von vergessen, und das würde sie sehr kränken, also Frau von Mehlberg), war nicht hübsch, das konnte ihr kein Mensch nachsagen, aber bornirt war sie, das sagte ihr die ganze Welt mit Recht nach. Eines reichen Holzhändlers Tochter hatten sich in ihrer Jugend mehr als genug Freyer gemeldet, aber sie hatte dem Kaufmann Mehlberg den Vorzug gegeben. weil – weil er Alles von ihr litt, und sich 97 über nichts ärgerte. Sie war eine hochstämmige Frau, welche die Haare noch jetzt, in ihrem fünf und vierzigsten Jahre à l'enfant trug, über der rechten Augenbraue eine ziemlich große Blutwarze hatte, sich immer mit dem Oberleib schaukelte, als ob sie schwämme, wenn sie ging, sehr redselig war, und in ihrem Discurs die fremden Wörter radebrach, daß es ein Gräuel war.
3.) Fräulein Minna, die ältere Tochter, besaß die Hochstämmigkeit der Mutter und das kurze Untergestell des Vaters, das gab ihr nun ein sonderbares Ansehen; diejenigen, welche sie sitzen sahen, hielten sie für eine Riesinn, und die sie stehen sahen, meinten, sie habe sich niedergesetzt. Sie zählte ein und zwanzig Jahre. Ihr schönes, blaues Auge schwamm immer in Thränen, sie lächelte nur sehr selten, laut lachte sie nie. Alles was geschah, machte sie unglücklich, kein Mensch im Hause konnte sich rühmen, ihr je eine Freude gemacht zu haben; denn sie fand überall die leidenvolle Seite heraus, bedankte sich aber auch für das Leiden; denn nur im Unglück fühlte sie sich glücklich. Sie hatte in ihrer zartesten Jugend schon jene schädlichen Romanenbücher in die Hand bekommen, welche sie zur Empfindlerinn, und für die wirkliche Welt gefühllos und unleidlich machten.
3.) Carl, der ältere Sohn, war zwanzig Jahre alt. Er hatte die Grammatical-Classen, hierauf die 98 Real-Akademie gehört, und war dann als Commis in des Vaters Schreibstube eingetreten. Von ihm brauche ich nur zu sagen: Er war was man im eigentlichsten Sinne und im Schlimmen bey uns einen jungen Herrn tilulirt. Keck, arrogant, aufgeblasen, unwissend, dabey vorlaut, verschwenderisch. Er höhnte die Leute gern, und hatte sie zum Besten, bis ihm ein verständiger Mann recht derb über die Nase fuhr, dann war er aber auch still, und zog sich davon; denn Muth besaß er nicht im geringsten.
5.) und 6.) Die beyden kleineren Kinder, Fritz und Ernst, zwey Buben von sieben und sechs Jahren, waren verzärtelte Jungens. Sie achteten auf keinen Verboth, und die Ältern mußten immer zehnmahl reden, bis sie sich endlich dazu verstanden, etwas zu thun oder zu lassen. Dabey waren sie nicht wenig ausgelassen und boshaft.
Und somit hätten wir denn die Familie selbst einiger Maßen porträtirt. Von Fremden wurden folgende zur Landparthie beygezogen.
7.) Herr v. Krückelberg, ein pensionirter Verwalter. Er hatte sich während seiner Dienstzeit mehrere tausend Gulden zusammen verwaltet, und bey seiner letzten Herrschaft, wo ihm, da der Gutsherr abwesend war, die ganze Verwesung des Gutes oblag, dasselbe auch richtig in Verwesung gebracht. Er galt seiner Zeit für einen großen Ökonomen, und noch immer war die 99 Ökonomie sein Steckenpferd. Er konnte kaum einen Erdapfel essen, ohne dabey zu bemerken, daß die Erdäpfel bey ihm in Häfelberg viel besser gewesen seyen.
8.) Die Fräule Cathon, ihr Zunahme wurde nie genannt, darum war er auch selbst ihren intimsten Freundinnen nicht bekannt. Die Fräule Cathon war schon einige vierzig Jahre auf der Welt und würde von den spärlichen Interessen eines sehr kleinen, ihr von ihrem Vater hinterlassenen Vermögens sehr kümmerlich gelebt haben, wenn sie – nicht eben die allgemein bekannte und allgemein beliebte Fräule Cathon gewesen wäre. Sie wußte sich überall Eintritt zu verschaffen, ließ sich hier als Gesellschafterinn, dort als Vermittlerinn eines Streites gebrauchen, spielte Whist und Tarok-Tappen trotz einem Manne, wußte alle Staats- und Stadtneuigkeiten die Erste, konnte einige Walzer auf dem Klavier spielen, und schöne, zierliche, weibliche Arbeiten verfertigen, kurz sie war das Factotum fast aller galanten Frauen in der Stadt, und als die Rede auf die Landparthie kam, war es das erste Wort der Frau von Mehlberg: »Die Fräule Cathon muß auch mit!«
9.) Der Herr v. Waldbamer, Eigenthümer des Hauses, in welchem der Kaufmann Mehlberg wohnte, der eigentlich gar nichts wußte, als daß er viel Geld besaß, daß ein Hausherr die Quartiere so hoch vermiethen müsse, 100 als möglich, und daß es angenehmer sey, gut als schlecht zu essen. Er war vom Lande und seinen Freuden ein abgesagter Feind, aber weil ihn Mehlberg dazu eingeladen, und dabey einige Worte vom guten Weine, den er mitnehmen wollen, fallen gelassen hatte, und weil er zugleich auch seinem Sohne einmahl ein Vergnügen machen wollte, das ihn wenig kostete, so sagte er zu.
10.) Dessen Sohn Wilhelm, fünf und zwanzig Jahre alt, aber von seinem Vater noch immer Helmi genannt, ein junger alter Herr, oder ein alter Jüngling, wie man will; er geht so steif, als ob ihm ein Stock durch den Körper gesteckt worden wäre, interessirt sich um gar nichts, weiß auch von der Gotteswelt gar nichts, als daß er einmahl so viel Geld erben würde, um leben zu können; er ist immer ernsthaft und spricht so, als ob er ein Holz im Munde hätte. Wie ein solcher Mensch verliebt seyn kann, war er in Fräulein Minna verliebt, aber er ließ sich nie etwas davon abmerken. Er stand meistens nur in einiger Entfernung von ihr, schaute sie starr an, und seufzte, wenn sie seufzte, ohne zu wissen warum. Weil sie die Flöte über Alles liebte, so hatte der verliebte Helmi einige Griffe auf dem Instrumente gelernt, und blies im ersten Stock bey offenem Fenster oft noch in die tiefe Nacht hinein, wozu die Katzen auf dem Dache accompagnirten. Der Vater Mehlberg hätt' es bey dem 101 Reichthum des Herrn von Waldbamer gerne gesehen, wenn der liebe Helmi sich einmahl erklärt hätte; der Vater Waldbamer aber hätt's am liebsten gehabt, wenn der Helmi gar keine andere Neigung blicken ließe, als jene zum Gelde.
11.) Quirin Spreitzer, der Spediteur in der Mehlberg'schen Handlung, ein guter junger Mensch, der sich zu Allem brauchen ließ. Hätte ihm Jemand zugemuthet, eine Klafter Holz zu hauen, er würde es versucht, und am Ende noch um Vergebung gebethen haben, daß er's nicht noch kleiner habe hauen können. Er war der Spaßmacher im Hause und man lachte aus Gewohnheit über ihn, obschon seine Spässe fast immer sehr platt waren.
12.) Endlich Robert Gericke, der Sohn eines Handlungsfreundes des alten Mehlberg in Sachsen. Ein gebildeter, junger Mensch, der sich aber erst acht Tage in Wien befand, dem Alles neu und ungewöhnlich war, und der sich über das Sibaritenleben nicht genug wundern konnte. Er glaubte die österreichische Local-Sprache schon weg zu haben und selbst sehr geläufig zu sprechen, wenn er in jede Construction einmahl ein »Holter« mischte.
Dieß war die zur Landparthie geladene Gesellschaft. Nun kommt mit mir liebe Leser, wir wollen sie auf ihrer Spazierfahrt begleiten, vielleicht gibt's manches zu lachen dabey.
102 Ein herrlicher Morgen versprach den anmuthigsten Tag. Die Sonne stieg strahlend an der azurnen Himmelsdecke herauf, und um fünf Uhr hielt bestimmter Maßen die große Jantschky'sche Wurst, mit vier Pferden bespannt und mit einem in rother Livree mit Gold prangenden Vorreiter versehen, an dem Mehlberg'schen Hause. Es war beschlossen worden, daß die Mehlberg'sche Familie, die Fräule Cathon und der Herr von Waldbamer sammt seinem Sohn Punct halb sechs Uhr hier einsteigen sollten. Die Übrigen wollten beym Burgthore warten, und dort einsteigen. Die Kinder waren schon angekleidet und sahen zum Fenster heraus, sich nicht wenig über die vier Pferde und den schönen rothen Kutscher erfreuend. Auch Fräule Cathon war schon gekommen, Fräulein Minna hatte bereits dem Sonnenaufgang entgegen geseufzt. Nur die Mama saß noch an der Toilette; denn es brauchte Zeit alles Ebene uneben zu machen, den Zahn der Zeit zu verdecken und sich so anzukleiden, daß es von außen leicht und lüftig aussah, und eigentlich doch solid und warm war. Der alte Herr Mehlberg war schon im Keller gewesen, hatte einen Flaschenkeller voll Zwey und Zwanziger gefüllt und trippelte jetzt im drapfarbenen Caput, einen weißen Hut auf dem Kopfe, einen dicken Stock in der Hand, dessen Knopf einen Löwen vorstellte, im Zimmer herum. Er sah auf die Uhr, es war schon halb sechs Uhr 103 vorüber, und ging kopfschüttelnd dann zum Zimmer seiner Frau, klopfte behuthsam an die Thüre, und als sich hierauf von innen die Stimme der Holdseligen ziemlich unholdselig vernehmen ließ: »Was gibt's schon wieder? Ist gar keine Ruhe?« – da rief er so artig als er nur konnte hinein: »Liebe Pepi, mache doch, daß du fertig wirst, es ist schon halb sechs vorüber, die Übrigen werden beym Burgthore schon warten.« »Sollen warten,« schallte es ihm entgegen, und er schloß die Thüre wieder recht leise zu, ging zum Wagen hinab auf die Straße, musterte Räderwerk und Riemzeug, ob Alles in gutem Stande sey, und trank dann noch in seinem Zimmer ein Schlückchen bittern Magen-Rosoglio, steckte auch vorsichtiger Weise einen Pfropfzieher, sein großes Sackmesser, ein zweytes Schnupftuch und ein tüchenes Käppchen mit einer Goldborte verbrämt in die Tasche. Endlich erschien die Mama in ihrem Glanze, nachdem die Kinder schon zehnmahl unten im Wagen aus und ein gestiegen, die Peitsche des Postillions versucht und damit ein Fenster zu ebner Erde eingeschlagen hatten. Der Herr von Waldbamer mit seinem Helmi rief vom Fenster dem alten Mehlberg zu: »Nun wird's einmahl losgehn? und nachdem dieser mit einem Ja geantwortet hatte, schickte man sich zur Reise an, als man bemerkte, daß Carl noch nicht gegenwärtig sey. »Ah paraplui!« schrie die 104 Mama (sie wollte parbleu sagen), »ich hatte vergessen, den Carl aufwecken zu lassen, der schläft gewiß noch.« Sie gingen in dessen Zimmer, und fanden Carln in seine Decke gehüllt, fest – schlafen.
»Aber mon fi« rief die Mama, »was thust du denn? du weißt doch, daß wir heute die große Landbatterie machen und du schläfst noch.« – Die Augen aufriegelnd versetzte der Schlaftrunkene: »Was geht das mich an? Ich bin gestern erst um zwey Uhr Nachts aus dem Kaffehhaus nach Hause gekommen,« drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter.
»O Mutter,« sagte mit sanftem Tone Minna, »lassen Sie meinem guten Bruder den süßen Schlaf, er allein gibt uns armen Erdenpilgern Ruhe in diesem Thale der Leiden!« und die Mama gönnte ihm Ruhe, legte einen zehn Guldenzettel ihm auf das Nachtkästchen, schrieb hinten drauf: »Wenn du ausgeschlafen hast, mein Sohn, so fahre uns in einem Fiacker nach,« und die Gesellschaft eilte zum Wagen. Auf den letzten Rücksitz setzten sich Frau von Mehlberg und Fräule Cathon; sie nahmen die beyden Kleinen vor sich, Minna in der Mitte zur Rechten, um in's Freye schauen zu können, neben ihr nahm Helmi Platz, der eigentlich nur halb saß, um sie ja nicht zu geniren; der alte Herr von Waldbamer nahm allein den Rücksitz ein. Herr von Mehlberg ritt in der Mitte, 105 und der Spediteur Spreitzer ließ es sich nicht nehmen, auf dem Kutschbock zu sitzen, denn er hatte ein Posthorn im Sack, und wollte die Gesellschaft im Freyen damit überraschen. So ging es fort zum Burgthore hinaus, wo Herr v. Krückelberg und Gericke des Wagens, der statt nach halb sechs Uhr um halb sieben Uhr erschien, mit der größten Ungeduld warteten und einsaßen. »Ja, ja,« sagte Krückelberg, »das frühe Aufstehn geht nun einmahl in der Stadt nicht, das kann man nur auf dem Lande. Mit dem Hahn auf, aber auch mit ihm in's Nest, das macht gesund und stark.«
Schon bey dem prächtigen neuen Burgthor machte Quirin Spreitzer den ersten seiner Spässe. Er äußerte nähmlich gegen die Gesellschaft seine Verwunderung, daß die Thorwache nicht Gewehr aus rufe, worüber denn der alte Mehlberg und Waldbamer lachten, daß ihnen die Bäuche wackelten. Außer dem Thore fing der alte Mehlberg an, sich seine Pfeife zu stopfen, und Helmi, der ebenfalls eine Pfeife bey sich hatte, fragte seine schöne Nachbarinn Minna: »Ist's erlaubt zu rauchen?« »O« antwortete diese, »ich bin das schon gewohnt, Sie sehen, mein Vater raucht ja auch, und« setzte sie seufzend hinzu: »was ist das ganze Leben anders als Rauch?« Helmi stopfte also auch, zündete viermahl an, bis er die Pfeife zum Brennen brachte, und gab sich viele Mühe zu 106 rauchen, weil er glaubte, das gehöre mit dazu, wenn man eine Landparthie machte. – So ging's fort bey der Mariahilfer-Linie hinaus. Frau von Mehlberg und die Fräule Cathon handelten ein Kapitel über die vor Kurzem vorgenommene Scheidung des ***lischen Ehepaars ab, der alte Mehlberg rauchte. Krückelberg machte seine Anmerkungen über die an der Fahrtstraße liegenden Felder und Wiesen, und hatte bald über die Art zu pflügen, bald über die Bewässerung, bald über den Dünger seine Ausstellungen zu machen. Der Herr Waldbamer lehnte so recht gemächlich im Wagen, spielte mit seinen beyden Daumen, und würde vielleicht eingeschlafen seyn, wenn ihm die beyden Kinder Ruhe gelassen hätten. Sie blieben nicht einen Augenblick stille, wollten bald sitzen, bald stehen, bald in der Mitte reiten, bald hinaus sehen, traten den Herrn v. Waldbamer, der ihnen am nächsten saß, auf die Leichdornen, daß er einmahl laut aufschrie, worauf die Mama die Kleinen mit einem Klaps regalirte, der ein lautes Heulen nach sich zog. Wilhelm Gericke summte ein Lied vor sich hin, und erzählte immerfort von der sächsischen Schweiz; Minna sah hinaus in's Freye, seufzte, und so oft sie eine recht unscheinbare Bauernbaracke sah, versicherte sie, hier möchte sie wohnen, hier würde sie glücklich seyn.
107 Helmi saß neben ihr ganz bleich im Gesicht; denn das ungewohnte Tabakrauchen hatte ihm unwohl gemacht. Quirin auf dem Kutschbocke aber blies Posthorn und machte Spässe zum Teufelhohlen; er foppte die Gesellschaft zum öftern, indem er rief: »Acht geben, jetzt kommt eine schöne Equipage daher gefahren, und wenn Alles die Köpfe hinausstreckte, so sahen sie nichts als einen Bauernkarren mit Ochsen bespannt, oder er hatte eine Kohle aus dem Sack genommen, sich damit einen schwarzen Schnurrbart gemacht, und blickte mit verdrehten Augen in den Wagen zurück.
»O göttlich! himmlisch!« rief Minna, als sie das am sanften Hügel liegende Dorf St. Veit zur Linken da liegen sah. – »Möchte mir der gütige Himmel einst vergönnen, fern vom Geräusche der Stadt, in Gottes herrlicher Natur, den Sommer meines Lebens zuzubringen!«
»Ja,« sagte der alte Waldbamer, »'s ist schön da, aber die Häuser sind nicht so viel werth als in der Stadt;« und Helmi bat, einen Augenblick aussteigen und zu Fuße gehen zu dürfen, da ihm nicht recht wohl sey. Man hielt an, Helmi stieg aus, auch Minna folgte ihm, um die herrliche Ansicht besser genießen zu können, Gericke both ihr den Arm. Die beyden Kleinen sprangen auch heraus, und hups auf die nahe, tiefer liegende 108 Wiese, wo sie einander ins Gras warfen, und die weißen Beinkleider auf den Knien und dem Hintertheile ganz grün machten. Da auf diese Art der Wagen langsamer fahren mußte, so kam der Gesellschaft in dem Dorfe Baumgarten auch Carl in einem Fiacker nach. Alles setzte sich wieder in den Wagen; Carl stimmte sogleich ein Lied an, bey welchem im Chore alle mitsangen. Die Mama Mehlberg zankte die Kleinen aus, daß sie sich die Beinkleider schmutzig gemacht hatten, allein der alte Herr sagte: »Sey ruhig, die Buben müssen sich ja auch unterhalten.« So kam die Gesellschaft nach Hütteldorf und da es erst acht Uhr vorüber war, so schlug der alte Mehlberg vor, hier Halt zu machen, und im Bräuhause für's Erste ein solides Frühstück zu sich zu nehmen. Der Vorschlag ward von den Männern approbirt. Die Damen aber beschlossen, da hier für ihren zarten Gaumen nichts zu bekommen war, indessen ein wenig um das Bräuhaus herum spazieren zu gehen. Sie wollten auch die beyden Knaben mit sich nehmen, allein, da diese Brot und Schinken auftischen sahen, so waren sie um alle Welt nicht fortzubringen.
Wir wollen zuerst die Damen auf ihrem Spaziergang begleiten, denen nur der galante Gericke folgte. Sie gingen in die Au längs dem Wienflusse hin. Minna war ganz Empfindung. »O wie heimlich, wie still ist es 109 hier,« rief sie einmahl über das andere; sie pflückte sich ein Sträußchen von Wiesenblumen und steckte es an ihre Brust.
»Liebes Kind,« sagte Frau von Mehlberg, »das romanische Wesen mußt du dir abgewöhnen, mit dem ewigen Seufzen und Weinen kommt nichts heraus, du wirst mir auf die Letzt so mager, wie ein Stilet. Das Mädel,« fuhr sie fort, sich zur Fräule Cathon wendend, »war in ihrer Jugend so ein rundes, lustiges, baschkirliches Kind, und jetzt wird sie mir so murros, so empfindlich!« – »O Mutter,« erwiederte Minna, »warum hast du mir ein so weiches Herz gegeben? Ist's nicht ein Theil des deinigen?« – »Nein,« versetzte Frau von Mehlberg, »das müßt ich lügen;« und in diesem Augenblicke gingen sie an einer armen Bettelfrau vorüber, welche auf einem Wasenabhang saß, und zu deren Füßen ein kleines schmutziges Kind spielte. Minna lief zu ihr, gab ihr alles Geld, was sie in ihrem Ridicül mit sich trug, setzte sich zu ihr, herzte und küßte das schmutzige Kind, welches sie einen kleinen Engel nannte, und dann zur Bettelfrau gewendet, fragte sie: »Nicht wahr, du bist eine arme Verführte und Verlassene? ein hoher Herr hat sich in deine Hütte eingeschlichen, dir Liebe eingeflößt, dich betrogen und dann verlassen?« »Nein, Ihr Excellenz,« versetzte die Bettelfrau ganz phlegmatisch, 110 »ich bin eine arme Witwe, mein Mann war ein Schneider, und hat bey Lebzeiten alles versoffen, so daß ich mit dem Kinde jetzt betteln geh'n muß.« – Etwas betroffen wendete sich Minna von ihr und mit den Worten: »So drückt die Gemeinheit leider stets die Unschuld« – folgte sie den Übrigen, welche schon eine Strecke voraus waren. In der Au begegnete ihnen die Schar der Knaben, welche sich in der Erziehungsanstalt zu Hütteldorf befinden. Als Minna unter diesen einen kleinen Mohren sah, füllten sich ihre Augen mit Thränen und sie sagte zu Gericke: Sehen Sie einmahl den armen Kleinen, wie er den Krauskopf hängt, o gewiß sehnt er sich zurück in sein heißes Vaterland!« In diesem Augenblicke aber fing der kleine Schwarze lustig zu singen an, und schlug ein Rad auf der grünen Wiese. – Als sie am Thiergarten vorübergingen und auf einem freyen Platze mehrere Rehe beysammen stehen sahen, konnte die Mama Mehlberg den Wunsch nicht unterdrücken, sie möchte wohl eines derselben in ihrer Küche liegen haben, aber Minna hielt eine lange Abhandlung über die Grausamkeit der Menschen, und äußerte sogar Zweifel darüber, ob der Mensch das Recht habe ein Thier zu tödten.
Wir wollen die Damen jetzt wandeln lassen, und wenden uns zu den Männern, welche am Bräuhause unter den Bäumen sitzen und dem Schinken und Bier 111 wacker zusprechen. Herr Mehlberg hat auch eine Flasche Cypro aus dem Wagen gehohlt, über den sich nebst ihm auch der alte Waldbamer und Krückelberg hermachen. Helmi haut eben auch nicht wenig ein; denn nach der kleinen Übelkeit ist er jetzt wieder ganz wohl. Die beyden Kleinen laufen ab und zu, bitten alle Augenblicke den Papa um ein Stückchen Schinken, haben auch, während dieser im Gespräche begriffen ist, schon einige Stückchen ohne seinen Willen weg stibitzt. Quirin Spreitzer ist lustig was er nur kann, er ahmt mit dem Munde einen Hahn und eine Katze nach, er trinkt den Übrigen, während sie weggehen, Bier und Wein aus, er steigt auf einen Baum, der gerade über dem Tische, wo die Gesellschaft sitzt, seine Zweige ausbreitet, und gießt Wasser herab, so daß die Übrigen glauben, es fange an zu regnen. Jetzt, da die Frauen noch nicht zurück kommen, der Cypro schon ausgetrunken ist, und das Geschwätz Krückelbergs, der ihnen lang und breit erzählt, was für ein prächtiges Bier unter seiner Verwaltung gebräut worden ist, und wie geschmackvoll sie dort den Schinken zu räuchern verstanden, anfängt, langweilig zu werden, zieht der alte Waldbamer ein kleines Päckchen sammt Kreide und Schwamm aus dem Sacke und legt es auf den Tisch. – »Was haben Sie denn da?« fragte Mehlberg. »Man muß für Alles besorgt seyn,« versetzte Waldbamer, »da 112 hab' ich Karten zu mir gesteckt, wie wär's, wenn wir ein kleines Präference-Parthiechen machten.« – »Aber wer wird denn auf dem Lande spielen?« fragte Mehlberg. »Ich habe mir jetzt das Land schon genug genossen,« meinte Waldbamer. »Was grünes hab' ich gesehen, die Luft hab' ich auch eingeathmet, das Fahren hat mich unter einander gerüttelt, was braucht's noch mehr? Soll ich mich in's Gras setzen und mir einen Rheumatismus hohlen? – Soll ich die Luft mit Löffeln essen? Soll ich etwa herum laufen mit diesen Füßen? oder gar Berg steigen? Gott bewahre mich. Thut ihr was ihr wollt, ich will nicht aus meiner gewöhnlichen Ruhe kommen.« Schon waren Mehlberg und Krückelberg entschlossen, ihm zu Liebe ein kurzes Spielchen zu machen, als die Damen wieder beym Bräuhause von ihrem Spaziergange anlangten, und man setzte sich wieder ein und fuhr weiter, nachdem man Carln überall gesucht und endlich mit einem »Hupp! hupp!« dem verabredeten Geschrey, wenn man Jemanden aus dem Gesicht verlöre, wieder herbey gelockt hatte.
Auf der weitern Fahrt beschloß man bey dem Wege, der nach Heimbach führt, abzusteigen, nach Heimbach zu Fuße zu gehen, dort wieder zu frühstücken, hierauf durch den Wald den Weg ebenfalls zu Fuß nach Mauerbach zu nehmen, wo man dann eben recht zwischen 1 und 113 2 Uhr zum Mittagmahl anzukommen gedachte. Herr von Waldbamer sollte, da er das »zu Fuße« gar nicht hören wollte, dazu bestimmt seyn, im Wagen zu bleiben, mit diesem den geraden Weg nach Mauerbach zu fahren, um indessen das Mittagmahl dort für die Gesellschaft zu bestellen.
Man fuhr lustig über Mariabrunn und Hadersdorf. Der dicke Herr von Waldbamer schnaufte ganz erbärmlich vor Hitze, und brach öfters mit Seufzern in die Worte aus: »Ist das auch eine Unterhaltung?« – Die beyden Kleinen wollten schon nicht mehr im Wagen bleiben, Carl war eingeschlafen. Endlich hielt der Wagen an dem schmalen Wege, der gegen Heimbach führt, und die Gesellschaft stieg aus, mit Ausnahme des Herrn von Waldbamer, welcher sitzen blieb, um geraden Weges nach Mauerbach zu fahren. Er versprach ein recht gutes Mahl zu bestellen, nur both er der Gesellschaft auf, ja längstens bis halb zwey Uhr dort einzutreffen, weil sonst Alles versieden und verbraten würde.
Man spazierte nun langsam den Weg nach Heimbach hin. Wer diesen angenehmen Spaziergang kennt, wird sich nicht wundern, wenn ich ihm sage, daß Jedem das Herz freyer schlug, und die Brust sich erweiterte. Die beyden Kinder machten den Weg zweymahl, da sie bald zurück, bald vorwärts liefen. Minna schlürfte mit dem 114 Mund, als ob sie die Luft trinken wollte. Mehlberg und Krückelberg gingen Arm in Arm mit einander, und der letztere schwatzte ein Langes und Breites über die Wald-Cultur; er gab zwar zu, daß die Natur in dieser Gegend mit mütterlicher Sorgfalt hause, daß aber die Menschen gar nichts für sie thäten. Quirin hatte den beyden kleinen Jungen Zweige abgeschnitten und Jeden von ihnen eine Peitsche gemacht. Wenn Eines oder das Andere von der Gesellschaft zurück blieb, oder zu weit vorwärts ging, so daß es den Andern aus dem Gesichte kam, so ward alsbald ein »hupp, hupp!« gerufen, und man fand sich wieder zusammen. – Helmi ging immer neben Minna und schaute sie an, und so oft sich auf dem Fußpfade auch nur ein kleines Grübchen zeigte, faßte er sie unterm Arm und half ihr darüber. Die Mama sagte daher auch zur Fräule Cathon: »Sehen Sie nur einmahl, Cathon, wie der junge Waldbamer mein Mädel vexirt (fixirt),« und die Fräule Cathon versicherte, da spinne sich etwas an. Jetzt schrie ein Guckguck, und da das Schreyen des ersten Guckgucks, den man im Frühlinge hört, ein Orakelspruch für die Anzahl der Jahre seyn soll, welche man noch zu leben hat, so zählte jedes von der Gesellschaft die abgesetzten Rufe des Guckgucks. Es zeigte sich, daß Minna noch am längsten, Krückelberg aber am kürzesten lebe. »Das ist ein dummer Spaß,« 115 meinte der Letztere, und war von diesem Augenblicke an den ganzen Tag über etwas niedergeschlagener. Minna aber rief aus: »O Himmel! gegen mich bist du allzugütig. Vierzig Jahre zählst du mir noch zu, und ich möchte meine ein und zwanzig schon von mir werfen und mich hinlegen können in die kühle Grube zum ewigen Frieden.«
Man war jetzt auf dem herrlichen Plätzchen angelangt, wo ein Bauerhaus steht, dessen Inwohnerinn Erfrischungen darbiethet. Quirin war schon voraus gelaufen, hatte auf einem langen Stecken sein Halstuch gebunden, dessen er sich vor Hitze entledigt hatte, war auf einen Baum gestiegen, und wehte nun den Ankommenden entgegen, laut schreyend: »Land! Land!« – Die Damen gingen gleich in das Haus und bestellten sich Kaffeh, Milch und Butter, Fräulein Cathon both sich an, die Zubereitung des Kaffehs selbst zu übernehmen. Alle setzten sich heraußen in eine Art von Scheuer oder Schoppe zu einem Tische, um auszuruhen, und das Frühstück Nro. 2 einzunehmen »Was thun wir, bis der Kaffeh kommt?« fragte Frau von Mehlberg, und Gericke both sich an, der werthen Gesellschaft einige Gedichte aus seiner Feder vorzulesen. Allein die Gesichter der beyden alten Herrn verlängerten sich bey diesem Antrag um ein Bedeutendes.
116 »Das lassen wir für den Nachmittag, wenn's recht heiß ist und wir schon müde sind,« sagte Mehlberg. »Jetzt wollen wir uns noch ein wenig herum tummeln. He! Spreitzer, kommen Sie ein Bischen her, und schlagen Sie uns ein Spiel im Freyen vor,« »Aber kein zu schodofantes (echauffantes),« fiel Frau von Mehlberg ein. – Da liefen aber die Kinder herbey, schreyend: »Der Kaffeh! der Kaffeh!« und ihnen folgte die Bauersfrau mit zwey ungeheuren Häfen, in deren einem sich der Kaffeh, in dem andern der Rahm befand, und Ernst, der kleinere Knabe, hüpfte so nahe an ihr und zerrte sie am Rocke, und stieß endlich mit dem Arm an das eine Häfen, daß der Boden zerbrach und der heiße Rahm ihm über den Arm herab strömte. Daß der Knabe jämmerlich schrie, versteht sich. Alles stand auf, die Mama lief wie eine Furie hin, schalt die unschuldige Bauersfrau ein dummes, ungeschicktes Ding, und immer stärker heulte der Knabe. Recht besehen, war ihm aber nur die Hand etwas verbrannt, denn über den Arm hatte er den Shawl der Mama gehängt, die ihn früher schon weggelegt hatte. Fräule Cathon wußte gleich Rath, Spreitzer mußte frische Erde ausgraben und diese wurde dem Kleinen auf die verbrannte Hand gelegt. Frischer Rahm war bald wieder abgesotten und nun sahen die Damen dazu. Frau von Mehlberg trank drey, Fräule Cathon vier 117 Tassen Kaffeh. Gericke, der immer über das viele Essen der Wiener Bemerkungen machte, nahm dennoch drey Tassen zu sich und aß einen Viertel Laib Brot mit Butter. Minna trank nur Milch. Der alte Mehlberg ließ sich eine Flasche Wein geben, der trotz seiner Säure doch hinab mußte. Krückelberg half ihm, und analysirte die Bestandtheile des Landbrotes, fand das vorliegende etwas zu sauer, und beschrieb das, welches er in Häfelberg buck und wozu er Kümmel nahm, woher es denn viel geschmackhafter gewesen sey. Spreitzer schüttete sich, um der Gesellschaft einen Spaß zu machen, Wein und Kaffeh in ein großes Glas zusammen und, behauptend, es schmecke vortrefflich, tunkte er diese Suppe mit Brot aus.
Es war Mittag geworden, und nun machte sich die Gesellschaft auf, um den Fußweg durch den Wald nach Mauerbach zu machen. Mehlberg meinte, man sollte, um sich nicht zu verirren, einen Führer mitnehmen, aber Spreitzer behauptete, er wisse den Weg so gut, als jenen von seiner Wohnung in's Comptoir, und ihm vertrauend, machte man sich auf den Weg.
Man ging und ging, und die Hitze wurde immer unausstehlicher, denn obschon rings vom Gebüsche umgeben, strahlte die Sonne doch senkrecht in die grünen Gänge. Der Herr v. Krückelberg sah aus wie gebraten und pfnauste, indem er alle zehn Schritte stehen blieb, sich den 118 Schweiß von der Stirne wischte, und ausrief.. »Das heißen die Leute eine Unterhaltung.« Spreitzer hatte den Damen Fächer von Papier, für sich selbst aber eine Kappe von großen Huflattigblättern gemacht. Die beyden Kinder fingen schon an, sich an den Armen ziehen zu lassen, und baten einmahl über das andere: »Mama, tragen!« – Der Wald war zwar bald darauf erreicht und einige Kühlung gewonnen worden, aber der Fußsteige gingen mehrere hindurch; Spreitzer hatte bald diesen, bald jenen als den rechten angegeben, und wenn man ihn verfolgte, mußte man wieder zurück gehen, weil er entweder in's dichte Gebüsch oder zu einem Bach führte, worüber nicht zu kommen war. Man schmälte Spreitzern nicht wenig aus, und dieser hatte, um ja die Schreyendsten stille zu machen, die beyden Knaben hinten auf seinem Rücken hängen, allein man ging immer weiter und fand keinen Ausweg. Es war schon Ein Uhr vorüber und man wußte kaum mehr, wohin man sich wenden sollte. Nun fing schon Alles zu murren an, mit Ausnahme Minna's, die still durch das Dickicht fortwandelte, und Helmi mit liebevolleren Augen anblickte, da er so glücklich war, eine Natter, die sich um ihren Fuß zu winden drohte, mit ihrem Parasolstabe zu erschlagen. »Sie haben mich gerettet,« sprach sie mit einem Händedruck zu ihm, »ich werde Ihnen das nie vergessen.« – Alles setzte sich jetzt, 119 und hatte die Hoffnung aufgegeben, vor Abends zu Mittag zu essen. Alles donnerte auf Spreitzern los, der indessen, nicht weniger müde, auf alle Seiten rannte, um das Mauerbach endlich einmahl gewahr zu werden; nur Herr Mehlberg lachte aus vollem Halse, und sagte: »Geschieht euch recht, ich hab's gesagt, wir sollen einen Führer nehmen.« Da hörte man Tritte, ein Bauer wurde im Gebüsch sichtbar, er trieb einen Ochsen vor sich her, und alsbald lief man zu ihm hin und bat und beschwor ihn und both ihm zwey Gulden zur Belohnung, wenn er die Gesellschaft nach Mauerbach führen wollte. Er ging den Handel ein, der Ochs wurde mit den zwey Knaben, (welche Spreitzer rechts und Gericke links an den Armen hielt,) dann mit Shawls, Tüchern und Mänteln der Damen bepackt, die andern gingen nebenher, und so folgte die Karavanne dem Bauer, der versicherte, in einer halben Stunde würden sie an Ort und Stelle seyn. Ich kann hier nicht umhin, meinen Lesern ein kleines Gespräch Minna's mit dem Bauer zum Besten zu geben, wodurch der Charakter der erstern noch klarer in's Licht tritt, und zugleich der Sieg des gesunden, schlichten Menschenverstandes über die Afterbildung sich darthut.
Minna. Laß ein Bischen mit dir schwätzen, du lieber, fröhlicher Landmann. 120
Bauer (zieht den Hut mit der Rechten bis an's Ohr, so daß er ihn mit dem Daumen und Mittelfinger hält, indem er sich mit den übrigen drey Fingern in den Kopf kraut). Ham Euer Gnaden mit mir gredt?
Minna. Ja mit dir. Wie nennst du dich?
Bauer. I haß Martin Grenauer.
Minna. Wo bist du denn zu Hause?
Bauer. Dort drent in Wald bin i dahoam, dort steht mein Hütt'n ganz alloan aum Berg dromad.
Minna. Recht mein Freund. Einsam muß der Mensch leben, wenn er glücklich und froh seyn will
Bauer. Aziwohl, schaun's mein scheni Mamsell, liaba war's ma deanad, wann i in an groß'n Dorf leb'n kunnt, als a so muadeselli alloan. Aba i bin hold meina Profession nach a Holzhacka und da bin i der Arbeit nächada.
Minna. Hast du ein Weib?
Bauer. Ja, schon die dritte.
Minna. Hast du denn die erste nicht geliebt?
Bauer. Das glaub' i – nan, dö hob i weida nöd gearn gehabt.
Minna. Und hast doch wieder heirathen können?
Bauer. Frali – die zweyte hab' i nacha no liaba g'habt, und dö dritti, main Dorothe, dö hob i hiazund am alaliebsten. 121
Minna. Bey Gott, das versteh' ich nicht.
Bauer. Wurden's schon versteh'n, wann's so, wia i, drey Kinder hätten, dö a Suppen haben wollen. Unser Ana muas si denken: God had's göb'n, God had's gnumma.
Minna. Bist du recht glücklich –
Bauer. Non ja, a so hold!
Minna. Was kann dir fehlen hier am Busen der Natur?
Bauer. Jo, mein Natur ist guad, miar fahld's gonzi Jar nix, aba wan ich nur mehr Geld häd, unser Aner möcht do ah immerigsmahl an guaden Bissen essen und a Halbe an Alten trinken, aba, das thuat's hold nöd.
Minna. Gibt dir der Wald nicht Kühlung, der frische Quell Labung, dein Strohdach Schutz, dein Gärtchen Speise?
Bauer. Jo, aba wia – in Gartl hob i nix als Erdäpfel. Unser Quellwasser is guad, aber koan Wein is's doch nöd. – In Wald da is's kühl – aber in Winter is's oft a bissel goar z'kühl.
Minna sah den Bauer mit großen Augen und kopfschüttelnd an, indem der alte Mehlberg auf seine Sackuhr schaute, ihr Gespräch unterbrach, und den Bauer fragte, wie weit es noch nach Mauerbach wäre. »A kloani halbi Stund!« war die Antwort. – »Ja, ja,« sagte 122 Mehlberg lächelnd, »so ist das Bauervolk; vor einer halben Stunde hab' ich ihn gefragt, wie weit wir noch dahin hätten, da hat er dasselbe gesagt wie jetzt; wenn's so fort geht, so wird die halbe Stunde zu einer Ewigkeit.« Die Übrigen aber lachten nicht, sondern seufzten, und selbst Spreitzer machte keinen Spaß mehr, da er auch schon matt zu werden anfing.
Um halb drey Uhr endlich zog die Gesellschaft ganz zerschmettert vor Müdigkeit, Hitze, Hunger und Durst in Mauerbach ein. Sie fanden den alten Herrn von Waldbamer der Länge nach auf einem Ruhebett hingestreckt, schlafend. »Ja,« sagte er, als er erwachte, »für solche Strapazen bedank' ich mich.« »Sie haben recht, Herr von Waldbamer,« erwiederte Krückelberg, »das ist eine Roboth und keine Unterhaltung.« »Da hab' ich indessen besser gelebt,« versetzte Waldbamer, »wie ich angekommen bin, hab' ich mir eine Suppe und ein delicates Stück Kalbsbraten geben lassen, hab' eine halbe Maß sieben und neunziger dazu getrunken, ein delicates Glas Wein, und habe mich hernach der Länge nach ein Bischen niedergesetzt« (dieß war immer sein Ausdruck für das Niederlegen).
Der Wirth kam und fragte, ob man jetzt essen wolle, und da ihm ein allgemeines, heißhungriges Ja! entgegen scholl, entschuldigte er sich, daß es nicht seine Schuld, sondern jene der Gesellschaft sey, wenn Manches nicht 123 mehr so geschmackvoll seyn wird, als sie wünschten; denn das Essen sey schon um halb zwey Uhr bestellt gewesen, und jetzt wär' es gleich drey Uhr. Es werde also wohl Vieles versotten und verbraten seyn. »Nur herein damit,« schrie Herr von Mehlberg, »der Wein kann ja doch nicht versotten seyn,« und man setzte sich zu Tische.
Waldbamer hatte einen guten Küchenzettel gemacht. Auf eine kräftige Reissuppe, worin sich Kapaunenlebern und Magen befanden, folgte Rindfleisch mit warmer und kalter Sauce, dann Sauerkraut mit einem ganzen Schinken, daneben in Butter geröstete Erdäpfel, hierauf vier große Kapaunen mit Salat, ein ganzer Kalbsschlägel, und endlich Spritzkrapfen. Frau von Mehlberg und die Fräule Cathon hatten über jede Speise Ausstellungen zu machen, bald sollte es an dem, bald an jenem fehlen, dabey aßen sie aber doch mit großem Appetit, und so oft Mehlberg seiner Frau wieder ein Stück vorlegen mußte, that er es mit den Worten: »Ja auf dem Lande hat der Mensch ganz einen andern Appetit, da schmeckt Alles.« Die Herren setzten den Flaschen wacker zu. Mehlberg hatte den Rock ausgezogen, und die Perrücke auf den Ofen gehängt. – Krückelberg hatte das Hemd bis zu den Schultern hinauf gestreift und Waldbamer ließ einen Knopf an der Weste nach dem andern springen. Alle wurden wieder redseliger, und Spreitzer fing an, Spaß zu machen. 124 Er goß dem Herrn von Waldbamer einmahl Essig statt Wein in's Glas, weßwegen er bald übel angekommen wäre, hätte er's nicht damit wieder gut gemacht, daß er ihn selbst austrank.
Von Carln hab ich seit längerer Zeit gar nichts gesagt, es war auch von ihm nichts zu sagen; denn so ausgelassen lustig er unter seinen Brüderchen in Bierkneipen und Kaffehhäusern war, so abgeschmackt war er, wenn er einmahl mit seinen Ältern eine Unterhaltung mitmachen mußte, die für ihn keine Unterhaltung war, daher nannten ihn der Herr Papa und die Frau Mama gern den Philosophen. Eine unentbehrliche Sache für Carln war es, einem Frauenzimmer die Cour zu machen, und war in einer Gesellschaft nur eine einzige häßliche und sechzigjährige Frauensperson gegenwärtig, so liebäugelte er selbst mit dieser, hinterdrein lachte er sie dann freylich aus, und erzählte seinen Cameraden, wie er die alte Person gefoppt habe. So kam es, daß er heute, in Ermanglung eines angenehmern Gegenstandes, der Fräule Cathon den Hof machte, die darüber nicht wenig entzückt war, und, obschon sie Carln kannte, dennoch in die Falle ging.
Am Schlusse des Essens fingen die alten Herren an, etwas stark lustig zu werden, der Wein war ihnen zu Kopfe gestiegen. Man trank den Kaffeh im Garten, und 125 da sich dort Zigeuner befanden, welche Musik machten, so forderte Krückelberg die Frau von Mehlberg sogar zum Tanzen auf. Auch die Übrigen drehten sich einige Mahl herum, und Spreitzer nahm geschwind von einem Knechte des Wirthshauses ein Bauerngewand zu leihen, kleidete sich darein, nahm eine Magd aus der Küche, und tanzte mit ihr, zum nicht geringen Gelächter der Übrigen, ländlerisch.
Während sich dieß im Wirthshause begab, war Minna allein auf den nächsten Hügel hinauf gewandert, hatte sich dort unter einen wilden Kirschenbaum gelagert, und betrachtete mit wehmuthsvollen Blicken das Gebäude der einstmahligen Carthause. Sie vergegenwärtigte sich in ihrer Phantasie die Zeiten, da hier noch die frommen Männer abgeschieden von der Welt, ja selbst von einander, einsam lebten. Sie besah die einzelnen Flügel des Gebäudes, welche von der Kirche aus einen Stern bilden. Sie beschäftigte sich im Gedanken damit, wie einst die Einsiedler hier wandelten, im kleinen Gärtchen jeder sein Grab sich selbst grub; wie Jeder stumm seyn mußte sein ganzes Leben hindurch, und selbst die Brüder nur einmahl des Jahres sich sahen. Tiefen Eindruck machten diese Gedanken auf die Schwärmerinn, und während man unten tanzte, rollten hier oben Thränen aus ihren Augen. Da ertönte durch die allgemeine Stille der Natur aus dem 126 nahen Gebüsche Flötenton. Sie lauschte. Es war die Melodie des Liedes Di tanti palpiti. – Mit leiser Stimme seufzte sie di tanti palpiti, und legte die Hand auf ihr Herz. »Schlage nur, du armes Herz,« fuhr sie fort, »schlage vor Sehnsucht, wer wird deine Schläge verstehn, wer sie in Schläge der Freude umwandeln?« – und in's Gebüsch trat sie, den blasenden Minstrel zu belauschen. Da saß Helmi auf einem Baumstock und blies auf seiner Flöte. Er sah sie, ließ die Flöte fallen, und – du glaubst wohl, lieber Leser, er stürzte ihr zu Füßen? nein und – er fragte sie, wie viel Uhr es sey, und ob sie wieder zu den Übrigen zurück kehren wolle. Sie sah ihn mit durchdringenden Blicken an, und fragte: »Wilhelm, haben Sie mich sonst um nichts zu fragen?« – »Nein, meiner Seele nicht,« antwortete Helmi ganz verdutzt. »O Sie verstehn mich nicht, Niemand versteht mich,« seufzte Minna und ein »Hupp, Hupp,« welches Spreitzers Stimme von unten herauf ziemlich laut ertönen ließ, forderte sie auf, zur Gesellschaft zurück zu kehren.
Es war unten indessen beschlossen worden, daß die jungen Leute, nähmlich Minna, Gericke, Carl, Spreitzer, Helmi und die Fräule Cathon, welche sich auch noch zu den Jungen gezählt wissen wollte, den Nachmittag dazu verwenden sollten, einen Spaziergang 127 nach der sogenannten Passauer-Hütte zu machen, von welcher man eine herrliche Aussicht genießt, die alten Herren aber, welche schweren Kopf und müde Füße hatten, wollten zurück bleiben, und ein Präference-Parthiechen machen. Auch Frau von Mehlberg mit den Kleinen wollte zurück bleiben, allein die Letztern fingen ein so derbes Geschrey an, daß die Mutter mit mußte, sie mochte wollen oder nicht.
Wir wollen die drey alten Herrn an ihrem Tische sitzen lassen, wo sie, entledigt ihrer Perrücken und Oberkleider, zwey frisch angefüllte Weinflaschen neben sich in Kühlwannen auf Sesseln stehend, die Freuden des Landlebens mit den Karten in der Hand schmecken, und folgen den Übrigen nach der Passauer-Hütte.
Der Weg dahin geht nur eine kleine Stunde eben hin, dann führt er immer bergauf. Es war wohl natürlich, daß nach dem großen Spaziergange, den man schon Vormittags gemacht hatte, die Leutchen etwas schwerer gingen, und man aus manchem Munde die Worte vernahm: um solche Aussichten sey es zwar eine schöne Sache, aber theuer müsse man sie erkaufen. Den ärgsten Verdruß hatte Mama Mehlberg mit den beyden Kindern auszustehn, die schon nach der ersten Viertelstunde über Müdigkeit klagten, und nur dadurch noch weiter zu bringen waren, 128 daß Spreitzer sie gleich zwey Pferdchen an zwey Schnupftüchern anspannte und sie so gleichsam im Spiele vorwärts trieb.
Mit Hülfe eines Bauers, den man sich zum Führer gedungen hatte, und welcher die beyden Kleinen abwechselnd tragen mußte, gelangte man endlich zur Passauer-Hütte, und genoß die herrliche Aussicht über das Tullner-Feld bis an die entfernten blauen Gebirge; allein eine kühle Luft fing an zu wehen, die Mama hatte kaum einen Blick auf die unermeßliche Natur geworfen, als sie den Shawl fester zusammen schloß und mit den Kindern in die Hütte trat um auszuruhn, und ihnen Milch geben zu lassen. Minna war in dem herrlichen Anblicke versunken, Gericke behauptete aber, das wäre Alles nichts gegen die Aussicht in der sächsischen Schweiz. – Helmi setzte sich neben Minna nieder, und schaute sie an. Spreitzer aber machte wieder einige von seinen faden Spässen; er drehte sich zu Minna, und sprach zu ihr mit einem Nasenton: Sieh um dich, Alles dieß gehört dir, wenn du mich liebst – und dann schaute er mit dem Perspectiv Gericke's nach Tulln hin, und behauptete, das Perspectiv zeige so vortrefflich, daß er in diesem Augenblicke in einem Hause zu Tulln einen kleinen Knaben auf dem Tisch sitzen sehe, der sein ABC-Täfelchen 129 in der Hand halte, und mit dem Finger auf das O deute. – Der Bauer aber, der Führer der Gesellschaft, stand bey Seite und sagte kopfschüttelnd: »Meine gnädigen Herrn, wir müssen auf'n Rückweg denken, dort kommen Wolken daher, sehen Sie dort aus'n Wetterlöchel, die zagen nix Guts – Eh' a Stund vageht, hoben mir'n Regen aum Hals.« – Man rief alsogleich die Mama Mehlberg aus der Hütte und trat den Rückweg an.
Immer schwärzer ward das Firmament, immer schneidender die Luft. – Einzelne Blitze zuckten durch die Wolken, fern rollte der Donner. Die Gesellschaft verdoppelte ihre Schritte so viel sie konnte, allein vergebens, kaum war noch die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sich das Gewitter entlud, und der Regen in Strömen vom Himmel stürzte. Die Frauen nahmen Tücher und Shawls über den Kopf, kein Haus war in der Nähe, sie mußten vorwärts, und wurden bis auf die Haut durchnäßt. – Besonders komisch sah Spreitzer aus, dessen Beinkleid und Spencer von Nanking, die gelbe Farbe in Braun verwandelt hatten, und sich fest an seinen Körper anklebten. Der steinige und lehmige Waldweg wurde durch diesen Regenguß klebrig und schmutzig, und der alten Frau v. Mehlberg blieb alle Augenblicke ein Schuh im Kothe stecken. Die Kinder schrien, die Mama schalt und schwur, 130 daß sie ihr ganzes Lebelang die Stadt nicht mehr verlassen wolle. Endlich als das Gewitter vorüber war, kamen sie, vor Nässe und Koth kaum mehr Menschen ähnlich sehend, im Wirthshause zu Mauerbach an.
Im Wirthshause selbst hatte sich indessen ein Gewitter anderer Art entladen. Die drey spielenden Herren, vom Weine erhitzt, hatten sich beym Spiele derb gezankt. Waldbamer, der durch Krückelbergs Ungeschicklichkeit als Helfer einige Mahl bête geworden war, hatte ihn einen alten Filz genannt, Krückelberg hatte die Schimpfnahmen auch nicht gespart, und es wäre vielleicht selbst zu Thätlichkeiten gekommen, hätte der immer phlegmatische Mehlberg nicht wieder Ruhe gestiftet. Indessen war die unmittelbare Folge dieses Streites, daß Jeder allein in einem Winkel saß, und schnarchte.
Es war indessen 9 Uhr Abends geworden. Die Frauen hatten von den Wirthsleuten Strümpfe zu leihen genommen, um der nassen los zu werden; man ließ anspannen und fuhr nach Wien zurück.
Im Wagen ging's bey der Rückfahrt trauriger zu, als bey der Ausfahrt. Die drey alten Herren schnarchten, eben so die beyden Kleinen. Die Mama Mehlberg schwätzte leise mit Fräule Cathon, wobey sich der Nahme Carl manchmahl hören ließ. – Carl schlief auch. Spreitzer 131 hatte keine Spässe mehr vorräthig. Gericke allein war noch ganz munter, und declamirte Minna eines seiner Gedichte vor. Helmi hörte zu.
Die Gesellschaft kam ohne weitern Unfall glücklich nach Hause; und Alle versicherten am andern Tage, es sey doch nur auf dem Lande die wahre Unterhaltung und das eigentliche Leben. 132