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4. Kapitel

Felicia an Hanna Wallburg.

Victoria Cottage, den 25. Juli 19..

Meine geliebte Hanna!

Es ist der erste Sonntag, den ich daheim in den Savannen verlebe! O Hanna, wie so ganz anders ist es hier als daheim im Rosenhause, heute – ich muß es dir gestehen, Liebling, – heute habe ich ganz unbändiges Heimweh nach Euch, namentlich nach Mutter und Dir. Es ist mir noch nicht einmal so trostlos öde hier vorgekommen wie heute, Könntest Du doch bei mir sein, Hanna, dann würde mir alles kinderleicht, aber so – doch ich will nicht klagen, eigentlich habe ich auch keinen Grund, es ist nur die augenblickliche Einsamkeit, die das Heimweh nach Euch wachruft. Gut, daß mein alter Pa das nicht ahnt, er ist so glücklich, mich wieder zu haben. Ihm und Tante Luise bin ich ganz unentbehrlich, das ist ein köstliches Gefühl. Ob Tante Luise auch wohl zuweilen Heimweh hat? Eigentlich ist es anzunehmen, meinst du nicht auch? Sie näht mit kurzen Unterbrechungen vom Morgen bis zum Abend, um wieder Ordnung in unseren Leinenschrank zu bringen, nötig mag das sein. Abends geht sie mit Vater oder mir in den Garten, oder wir sitzen unter der großen Symokore, unter die ich mir eine Bank habe hinstellen lassen. Man hat von dort einen unbegrenzten Blick über die weite Ebene, die ich so sehr liebe, es ergreift mich dort immer ein Gefühl der Andacht und des Friedens, ich muß immer an die Unendlichkeit Gottes denken. Mit besonderer Freude betrachte ich von dort aus stets einen mäßigen Hügel – ich sehe ihn auch jetzt von meinem Fenster aus – der zwischen Victoria Cottage und Brighton Hall liegt. Weißt Du, Hanna, welche Bewandtnis es mit diesem Hügel hat? Auf ihm soll einst meine Kirche stehen! Wünsche mir nur recht viel Geduld, liebes Herz, denn es wird noch manches Jahr vergehen, ehe mein Plan sich wird ausführen lassen, das sehe ich nun schon ein, die Menschen lächeln hier über meine Idee. Aber laß sie lächeln und mitleidig die Achseln zucken, gebaut wird doch! Noch weiß ich freilich nicht, wie ich es ausführen will, doch mit der Zeit wird mir schon ein Gedanke kommen, vorläufig muß ich erst einen bequemen Stuhl für Tante Luise schaffen.

Mein erster Versuch, Geld zu verdienen, ist freilich kläglich gescheitert, ich habe gar nicht geglaubt, daß es so schwer sei. Ich hatte Tom nämlich Gemüse nach St. Louis zum Verkaufe mitgegeben und denke, ich sehe nicht recht, als ich abends mein Geld voller Freude in Empfang nehmen will und er mir alles Gemüse ganz vertrocknet von der Hitze des Tages wieder mitbringt. Ob er nun die richtigen Quellen, es anzubringen, nicht gewußt hat, oder ob er mich nicht richtig verstanden hat, weiß ich nicht, kurz, er hat es nur spazieren gefahren, und ich hatte den Ärger. Du glaubst nicht, Hanna, wie ich mich geärgert habe, zumal Pa mich auslachte. Schließlich tröstete er mich und versprach, mir Quellen für meinen Gemüseverkauf zu erschließen, sobald er wieder zur Stadt fährt, hoffentlich vergißt er es dann nicht.

Vorgestern war Pa mit mir bei Wendlers, den Braunschweigern, die sich neben Brightons angesiedelt haben, von denen ich in dem Briefe an Mutter sprach. Die Augen standen der jungen Frau gleich voller Tränen, als ich sie deutsch anredete und sie hörte, daß ich fünf Jahre in Mecklenburg gelebt habe. Sie ist süß, ich habe sie schon ganz in mein Herz geschlossen, und die drei kleinen Mädchen sind entzückend. Ich glaube, wir werden viel zusammen kommen, obgleich sie um vieles älter ist als ich; durch die deutsche Erziehung habe ich vieles gemeinsam mit ihr. Ich freue mich über den Verkehr. Sie ist über Grace Martini ganz entsetzt, für Mabel und Ellen scheint sie auch nicht sehr zu schwärmen. Denke dir, wozu diese schreckliche Grace Mabel veranlaßt hat: sie ist mit ihr nach St. Louis und von da mit der Bahn nach Chicago gefahren, um sich dort zu amüsieren! Natürlich ohne wissen der Eltern, was sagst Du dazu? O Hanni, wie danke ich Gott, daß ich bei Euch erzogen bin und nicht in Chicago, gerade so wie diese Grace wäre ich auch geworden. Ellen hat sich glücklicherweise nicht dazu überreden lassen, sie war gestern bei mir und ohne Mabel viel netter und zugänglicher. Sie erzählte mir, daß ihre Mutter sehr unglücklich über Mabel sei und ihr Vater furchtbar böse, ich möchte auch nicht an ihrer Stelle sein, wenn sie von ihrer Vergnügungsreise zurückkommt. Mr. Martini hingegen ist ganz ruhig, er zuckt die Achseln und sagt: »Well, das Kind langweilt sich hier, sie ist gewohnt, für sich selbst einzustehen, was soll ich da sagen?« Du hättest nur Tante Luise sehen sollen, ihre Entrüstung war wirklich komisch. Sie erklärte, daß mit ihrer Bewilligung diese Grace keinen Schritt über unsere Schwelle käme. Tantchen kennt meinen Freiheitsdrang und fürchtet, sie könne Unheil anrichten. Ich muß heimlich darüber lachen, als ob das nach den fünf Jahren im Rosenhause möglich wäre! Nicht wahr, Hanna, du fürchtest nicht für deine Fee und Mutter auch nicht? Zu schön wäre es, wenn ich allmählich Einfluß über Ellen gewänne, fast glaube ich es; sie war gestern ohne Mabel viel liebenswürdiger.

Wie still ist es um mich herum, Vater und Tante halten Mittagsruhe, nichts regt sich, nur der Gesang und das laute Beten der Neger schallt aus dem Hinterhause zu mir herüber. Es klingt eintönig und melancholisch, nicht geeignet, mein Heimweh zu vertreiben. Wie glücklich seid Ihr doch, daß Ihr eine Kirche im Dorfe habt, ich habe meine Andacht heute für mich allein gefeiert. Als ich gestern Pa fragte, ob wir heute nach St. Louis zur Kirche führen, fragte er: »Gleich den ersten Sonntag, Kind? Ich habe eine schwere Woche hinter mir und sehne mich eigentlich recht nach dem einen Ruhetage, wenn du aber gern willst, so fahren wir. Natürlich sagte ich, daß wir zu Hause bleiben wollten, zumal auch Tante Luise meinte, für ihre alten Knochen sei die Fahrt hin und her an einem Tage zu anstrengend, sie bliebe unbedingt zu Hause. O Hanna, zuweilen werde ich ganz mutlos, wenn ich mir vorstelle, daß ich noch viele Jahre warten soll, ehe ich hier eine Kirche bauen kann. Ich hatte gehofft, in Henry einen Bundesgenossen zu finden und sprach mit ihm darüber, er lächelte jedoch mitleidig und meinte, ich solle meinen Plan nur aufgeben, er wäre unausführbar. Es ist doch recht schwer, so ganz auf die eigene Kraft angewiesen zu sein, glaube aber nicht, meine Hanna, daß ich deshalb erlahme, der liebe Gott wird mir schon helfen.

Ich muß fortwährend nach dem Gesange der Neger hinhören, sie haben das vor uns voraus, daß sie ihren Sonntag durch eine gemeinsame Andacht feiern. Das hat immerhin etwas Erhebendes! Ich glaube, Pa und Tante würden sich wundern, wenn ich das vorschlagen wollte. Ob unsere Neger wohl lesen können? Eigentlich weiß ich doch furchtbar wenig über sie, Bridget kann weder lesen noch schreiben, Tom kann es. Früher hat der alte Josuah ihnen aus der Bibel vorgelesen, also mögen es wohl mehrere verstehen, die es dann die Kinder lehren.

Du bist jetzt in der Sonntagsschule, liebe Hanna, und unterrichtest die Kinder, es war doch eine reizende Idee von Mutter und unserem lieben alten Prediger, daß diese Stunden vor zwei Jahren eingeführt wurden. Mutter sagte, sie freue sich besonders meinetwegen, es könne hier für mich von großem Nutzen werden, wenn ich solchen Unterricht kennen lerne. Du liebe Zeit, in unserer Kolonie sind die drei kleinen Wendlers die einzigen Kinder, sonst – Hanna – mir kommt ein Gedanke, wie ein Blitz durchzuckt es mich – sollte Mutter das gemeint haben? –

Hier brach der Brief jäh ab, die jugendliche Schreiberin sprang auf und huschte leise, um Vater und Tante nicht zu stören, die Treppe hinunter über den Hof. Vor dem Raume, in dem die Neger sangen, stand sie einen Augenblick still, dann öffnete sie geräuschlos die Tür und trat ein. Trotz der geöffneten Fenster schlug ihr eine so unangenehme Luft entgegen, daß sie sich Gewalt antun mußte, um nicht davonzulaufen. Die Neger hockten alle um Tom und einen alten Neger, dessen dunkles Antlitz sich seltsam unter dem buschigen weißen Haar ausnahm.

»Bleibt ruhig sitzen«, sagte Felicia, als sich die Neger erheben wollten, »ich möchte zuhören«.

»Tom fertig sein, Miß Fairy,« erklärte der Kutscher und schlug die alte, abgegriffene Bibel zu.

»Du hältst die Andacht, Tom? Ich denke, das ist Josuahs Amt?«

»Alter Josuah für arme Neger beten, aber alter Josuah blind sein und nicht mehr lesen können, Miß Fairy.«

»Du blind, Josuah? Davon weiß ich ja kein Wort«, rief das junge Mädchen und beugte sich mitleidig über den weißhaarigen Alten.

»Lieber Gott es so wollen, Miß Fairy, alter Josuah still halten, und Massa gut sein, er alten Neger nicht fortjagen, weil alter blinder Josuah nicht mehr arbeiten und keine Kinder haben, die für ihn arbeiten.«

Tief gerührt beugte sich Felicia nieder und strich über die gefalteten Hände des Alten. »Wie könnte Pa wohl so etwas tun,« sagte sie, »ein Unglück, das Gott euch schickt, müssen wir in Geduld mit euch tragen. Seit wann bist du denn blind, Josuah?«

»Es sein zwei Jahre, Miß Fairy,« sagte Bridget, »alter Josuah nun nicht mehr lesen –«

»Aber alter Josuah wissen schöne Lieder,« fiel eine andere ein.

»Ich meine, Tom liest jetzt?« fragte Felicia.

»Tom nicht so gut lesen wie alter Josuah.«

»So laßt doch einen anderen lesen.«

Die Neger schüttelten stumm die schwarzen Köpfe und sahen ihre junge Herrin grinsend an.

»Keiner kann lesen, Miß Fairy,« erklärte Bridget, »in Stadt arme Neger Schulen haben, aber wer hier arme Neger Buchstaben zeigen?«

Felicia schwieg bestürzt und sah sich im Kreise um. Das Herz klopfte ihr hoch, ihre Wangen bedeckten sich mit heller Röte, als sie all die vielen schwarzen Augen vertrauensvoll auf sich gerichtet sah. Entschlossen richtete sie sich auf. »Ich will es,« rief sie mit leuchtenden Augen, »ich will eure Kinder im Lesen und Schreiben unterrichten und ihnen jeden Sonntag eine Bibelstunde geben, so gut ich es verstehe.«

»Miß Fairy gut sein wie Engel im Himmel,« rief der alte Josuah, und Tom drückte ihr die Bibel in die Hand, »Miß Fairy lesen, alle Neger, alle zuhören,« sagte er.

Verwirrt sah das junge Mädchen ihn an. »Gleich? aber gut, kommt hinaus unter den Schuppen hinter dem Hause, hier ist es mir zu heiß.«

Willig folgten ihr alle, und bald saßen sie um die lichte Mädchengestalt geschart und lauschten andächtig, was sie ihnen verkündete. Welch reichen Segen brachte ihr nun die Sonntagsschule in Demmin! Ihre schwarzen Zuhörer reichten mit ihrem Verständnis nicht an die Demminer Dorfjugend heran, da mußte sie sich auf die einfachsten Erklärungen, passend für ein kindliches Gemüt, beschränken.

Herr Bertram hatte sein Mittagsschläfchen beendet, er blickte nach der Uhr und wunderte sich, daß sein Töchterchen ihn nicht zum Kaffee rief. Sonst hörte er sie leise im Eßzimmer hantieren, heute aber regte sich nichts. Leise erhob er sich, öffnete die Tür, doch weder Vorbereitungen zum Kaffee, noch Felicia waren zu erblicken. Der Farmer schüttelte den Kopf und stieg die Treppe hinan, wahrscheinlich schrieb sie Briefe und hatte darüber Zeit und Stunde vergessen, oder sollte sie bei der Hitze auch eingeschlafen sein? Doch auch in ihrem Mädchenstübchen war sie nicht; sollte sie zu ihrem Lieblingsplatze, der Sykomore, gegangen sein?

Er trat aus der Haustür in den Garten, da drang, als er ihn durchschritt, Fairys glockenhelle Stimme an sein Ohr. Hastig wandte er sich, blieb vor Überraschung jedoch regungslos stehen. Dort unter dem Schuppen, der sich hinter dem Hintergebäude zwischen Ställen befand, saß Felicia mitten unter den Negern, die gefalteten Hände auf einem Tuche in ihrem Schoße und sang einen Choral. Wie die dunklen Augen leuchteten, und welch ein rührender Ausdruck auf ihrem reizenden Antlitze ruhte. Dem Farmer ward warm ums Herz, als er sein Kind betrachtete, wie reich und glücklich war er doch in seinem Besitze!

Jetzt erhob sich Felicia, reichte Tom das Buch, sprach einige freundliche Worte zu den Negern und schritt eilig den Fahrweg, der vom Wohnhause seitwärts bis zu den Stallungen führte, dahin und bemerkte plötzlich den Vater rechts im Garten. »Pa? du?« rief sie erschrocken, »ist es schon so spät?« Der niedrige Zaun war für sie kein Hindernis, gewandt schwang sie sich hinüber und lief auf den Vater zu.

»Ich muß mir wohl mein Töchterchen suchen, wenn ich meinen Kaffeedurst befriedigen will,« sagte er neckend, »sind dir die Schwarzen so viel interessanter als dein alter Pa, Kind?«

Sie küßte ihn stürmisch, hing sich an seinen Arm und rief: »Eine herrliche Stunde habe ich verlebt, Pa! Gott sei Dank, nun weiß ich, wie ich manches, das ich bei Mutter gelernt habe, verwenden kann. O Pa, ich bin so glücklich!« Und sich in ihrem frohen Eifer fast überstürzend, teilte sie dem Vater mit, daß sie den Negern sonntäglich eine Art Bibelstunde geben und die Kinder von morgen an im Schreiben und Lesen unterrichten wolle. »Denke nur, wie nützlich ich mich machen kann, Pa,« rief sie, »welcher Segen für die Kinder, etwas zu lernen. Genau genommen ist es ja auch unsere Pflicht, dafür zu sorgen, Was hast du aber, Pa, du siehst aus, als ob du dir das Lachen verbeißen willst; du zweifelst doch nicht an meinem Ernste?«

»Bewahre, wie könnte ich! Wenn ich aber in deine blitzenden Augen sehe, frage ich mich, ob zu diesem schwierigen Vorhaben auch die nötige Geduld vorhanden ist?«

Felicia neigte das erglühende Antlitz gegen des Vaters Schulter und seufzte: »Ach Pa, das ist schlimmer als alle Schwierigkeiten in den hiesigen Verhältnissen. Hätte ich doch etwas mehr Sanftmut.«

»Na, beruhige dich, Kleine,« sagte ihr Vater und blickte lächelnd auf seinen Liebling hernieder, »deinem alten Pa bist du recht so. Ein so eigenwilliges, kleines Ding, wie du früher warst, konntest du ja nicht bleiben, daß du aber dein heißblütiges Temperament nicht ganz verloren hast, freut mich. Zuweilen hatte ich wirklich Himmelangst, meine kleine Fairy könne zur sanften Mehlsuppe werden.«

Felicia lachte hell und fröhlich. »Das hat niemals Not gehabt, Väterchen,« rief sie, »frage nur Mutter, sie kann es mir am besten bezeugen. Da steht aber Tantchen auch schon in der Tür und wundert sich, daß der Tisch unter der Veranda weder Tischtuch noch Tassen aufweist. O, ich pflichtvergessenes Mädchen!« Flüchtig eilte sie an dem alten Fräulein vorüber und rief: »Hab nur ein kleines Weilchen Geduld, Tantchen, nun soll es auch mit Extrapost gehen.«

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»Mach den Kaffee in der Geschwindigkeit nur nicht zu dünn, Fee,« rief der Vater ihr neckend nach. Sie nickte ihm übermütig zu und verschwand in der Tür.

Das alte Fräulein schüttelte den Kopf. »Was hat das Kind nur?« fragte sie, »das Glück lacht ihr ja ordentlich aus den Augen.«

»Gott erhalte es ihr,« sagte der Farmer und setzte sich auf die roh gezimmerte Bank, »es ist die Jugend, Luise, und die tausend Pläne, die ihr durch den jungen Kopf fahren. Wir haben es in ihrem Alter auch nicht anders gemacht.«

Ein Schatten flog über Fräulein Bertrams Züge, sie mochte nicht gern an ihre Jugend, die sie verbittert in Arbeit und Entbehrung verbracht hatte, erinnert werden. Stumm setzte sie sich neben den Bruder, nahm aus dem offenen Fenster ihr Strickzeug und begann emsig zu stricken. Der Ernst schwand erst aus ihrem Antlitze, als Felicia mit dem duftenden Kaffee und selbstgebackenen kleinen Kuchen erschien; den frohen, jungen Augen konnte sie nicht widerstehen.

Felicia war noch ganz voll von ihrer Bibelstunde und ihrem Plane, die Kinder zu unterrichten. Tante Luise schüttelte den Kopf.

»Welcher Unsinn, Fee,« sagte sie, »ich fürchte, du hast dir da etwas eingebrockt, das dir bald leid sein wird.«

»Dann gibt sie es wieder auf, Luise,« sagte der Farmer heiter, »das Kind wird noch manches zum Zeitvertreib anfangen, glaube ich.«

»O Pa, wie schlecht kennst du mich,« rief sie eifrig, »als ob ich ein gutes Werk nur zum Zeitvertreib anfinge, du mußt mich wirklich etwas ernster nehmen.«

Lachend strich ihr der Vater über die blitzenden Augen und sagte neckend: »Ja, ich sehe es, kleiner Sprudelkopf, gewaltig ernst will ich dich in Zukunft nehmen, sonst riskiere ich am Ende, daß die Präriefee mir ihre Gunst entzieht.«

Ein träumerisches Lächeln flog über das reizende Mädchengesicht. »Du weißt gar nicht, Väterchen, wie viele frische Kraft ich in mir fühle,« sagte sie nachdenklich, »ich muß sie in irgendeiner Weise ausüben.«

»Ja, ja,« fuhr der Farmer fort zu necken, »ich glaube, die armen Negerkinder werden noch oft Proben deiner Kraft verspüren, ich höre schon ihr Zetergeschrei und Miß Fairys zornige Stimme.«

»Ich bitte dich, Pa, das ist ein garstiges Bild, das du mir da vormalst. Ich werde meine ganze Geduld zusammennehmen, um dir zu zeigen, wie sanftmütig ich sein kann.«

Herr Bertram räusperte sich sehr unbegründet, und Tante Luise sagte trocken: »Ich glaube, es gehört viel mehr Geduld dazu, etwas in diese dicken Negerschädel hineinzubringen, als sie im Jäten zu unterweisen.«

Felicia errötete, biß sich auf die Lippen und schwieg, hatte sie sich wirklich zu viel vorgenommen? Wenn sie doch die Mutter um Rat fragen könnte, so rechtes Verständnis hatten Vater und Tante trotz aller Liebe doch nicht für ihre Bestrebungen und ihr Innenleben. Wieder wollte ein heftiges Heimweh nach dem Rosenhause und seinen Bewohnern sie beschleichen, doch gewaltsam schüttelte sie die Stimmung ab und begann heiter von anderen Dingen zu plaudern.

Da schlug Barry an, und aufblickend gewahrten alle einen Wagen daherkommen.

»Das sind Wendlers,« rief Felicia erfreut, »du sollst mal sehen, Tante, wie reizend die junge Frau ist, und wie süß die Kinder sind.«

Tante Luise runzelte die Stirn, sie konnte keine fremden Menschen leiden und sehnte sich nicht nach Umgang; als aber die junge, blonde Frau vor ihr stand, ihr beide Hände hinstreckte und mit zitternder Stimme sagte: »Verzeihen Sie, daß wir Sie gleich den ersten Sonntag überfallen, ich hatte aber solche Sehnsucht nach meinen Landsleuten, daß mein Mann meiner Bitte nachgab; ich habe mich so sehr auf Sie gefreut,« da konnte sie nicht anders, als den Händedruck erwidern und einige freundliche Begrüßungsworte sprechen, zumal die blauen, tränenverschleierten Augen sie so zärtlich anblickten, als wäre sie eine nahe Verwandte der jungen Frau. Wie war es nur möglich, daß der Mann solch zartes Geschöpf mit den kleinen Kindern in diese Wildnis geschleppt hatte, wo sich kein Mensch um sie kümmerte! Nun, sie wollte sich der jungen Frau nach Kräften annehmen und ihr mit Rat und Tat beistehen. Felicia lächelte heimlich, als sie sah, wie liebevoll Tante Luise die junge Frau neben sich niederzog und wie freundlich und teilnehmend sie auf ihre Interessen einging. Da hatte wieder einmal ihr gutes Herz, von dem Tante Luise so gar nichts wissen wollte, gesiegt.

Herr Wendler, ein frischer, blonder, noch junger Mann, begleitete den Farmer, der es nie lange auf einem Flecke aushielt, in die Koppel, während Felicia die Kinder noch mit Kuchen und Milch fütterte. Die drei kleinen Blondköpfchen waren reizend und fanden, da sie sehr wohlerzogen waren, sogar Gnade vor Tante Luisens Augen, die sich sonst nichts aus Kindern machte. Später ging Felicia mit ihnen in den Garten und spielte mit den Kleinen, die schon mit großer Zärtlichkeit an »Tante Fee« hingen und es lebhaft bedauerten, als der Wagen vorfuhr. So hatte der Tag, der so trübe begann, auch für Felicia noch einen angenehmen Schluß.

Am nächsten Morgen, nachdem sie eine Stunde mit Beß und Tobsy im Garten, der schon ein etwas anderes Ansehen gewann, gearbeitet hatte, versammelte sie die sämtlichen Negerkinder von sechs bis vierzehn Jahren um sich, um ihnen den ersten Unterricht zu erteilen. Mit glänzenden Augen und geöffnetem Munde starrten die Jungen und Mädchen ihre junge Herrin an, Tobsy mit sichtlichem Mißtrauen, denn er hatte die erste Unterweisung in der Gartenarbeit noch nicht vergessen. Er war so weit wie möglich von Miß Fairy fortgerückt und blickte argwöhnisch nach dem Buche hin, das sie vor sich liegen hatte.

Das junge Mädchen hatte sich in früher Morgenstunde von zwei Negern, die mit solcher Arbeit vertraut waren, aus altem Bretterwerke einen sehr einfachen, langen, schmalen Tisch und einige Bänke zurechtzimmern lassen und saß nun inmitten der schwarzen Jugend, von großem Eifer beseelt. Freilich hatte ihre Zuversicht einen argen Stoß erlitten, als sie abends zuvor ihre Bücher nachgesehen und kein einziges gefunden hatte, das zweckentsprechend gewesen wäre. Ihre alte englische Bibel, aus der sie lesen gelernt hatte, war nirgends zu finden, was hätte ihr auch das eine Buch genutzt? Sollte sie aber sofort die Waffen strecken und dem Vater Grund zu endlosen Neckereien geben? Nimmermehr. Hatte sie vorläufig noch keine Bücher, so mußte sie sich auf andere Weise zu helfen suchen, mochte die schwarze Gesellschaft erst schreiben und geschriebene Schrift lesen lernen, schließlich war das ja ganz gleich. Woher sie später Bücher nehmen sollte, wußte sie freilich noch nicht, sie dachte auch nicht mehr darüber nach, als sie unter ihren Zöglingen saß. Sie hatte einen großen Bogen Schreibpapier gegen die Wand genagelt, mit Linien versehen und schrieb nun Buchstaben darauf, die sie den Kindern nannte. Verwundert ob Miß Fairys Klugheit, blickte die schwarze Gesellschaft sie an, sie begriffen nicht, wie man diese wunderlichen Zeichen, die ihre junge Herrin Buchstaben nannte, auseinander kennen und mit Namen bezeichnen könne.

Für den ersten Anfang nahm das junge Mädchen nur fünf Buchstaben, die von den Kindern ehrfürchtig betrachtet wurden. Es zeigte sich zu Felicias Freude, daß sie durchaus nicht so dumm waren, wie Tante Luise meinte, einige freilich zeigten nicht das geringste Verständnis für dies wunderbare Studium, andere wieder begriffen schnell, kannten bald die Buchstaben und wußten sie zu nennen. Felicia lobte die Kinder und versprach ihnen kleine Geschenke, wenn sie fleißig und aufmerksam wären. Das spornte die junge Schar an, jeder wollte möglichst schnell die Buchstaben lernen, und ein kleiner Junge, dem das durchaus nicht gelingen wollte, begann laut zu heulen und war nicht zu beschwichtigen.

Felicia rief den Kleinen an ihre Seite, stellte ihn auf die Bank und erklärte ihm noch einmal freundlich die ihm so merkwürdigen Zeichen. Einen Arm um das Kind gelegt, in der anderen Hand einen Stock, mit dem sie auf die Buchstaben zeigte, gab sie mit den glänzenden Augen und den vor Eifer geröteten Wangen ein reizendes, anziehendes Bild ab. Sie war so völlig hingenommen, daß sie nicht auf die Bewegung achtete, die durch die Kinderschar ging; erst als ein kleines Mädchen rief: »Miß Fairy, Miß Fairy,« wandte sie sich um und blieb dann regungslos vor Staunen und Bewunderung stehen. Dicht vor dem Schuppen hielt auf einem edlen Apfelschimmel ein junges Mädchen in weißem wollenem Kleide und weißer Jockeymütze, unter der ihr eine Flut goldblonden Haares in natürlichen langen Locken über den Rücken floß und ein überaus zartes, reizendes Antlitz einrahmte. Es schien Felicia, als sei diese zierliche ätherische Gestalt mit samt dem edlen Tiere eine schöne Erscheinung, die im nächsten Augenblick verschwinden konnte. Wer mochte dies schöne, elfenhafte Geschöpf sein? Und wie kam dieses holde Wesen in die Einsamkeit der Savannen?

Felicia war so im Anschauen versunken, daß sie das übermütige Blitzen der lichtblauen Mädchenaugen vollkommen übersah, sie schrak fast zusammen, als ein silberhelles Lachen über die rosigen Lippen quoll und eine weiche Stimme ausrief: »Wenn Sie mich genugsam angestaunt haben, Miß Bertram, so haben Sie wohl die Freundlichkeit, etwas näher zu kommen.«

Von dunkler Glut übergossen ließ Felicia ihren kleinen Zögling, um den sie noch immer den Arm hielt, fahren und sagte hastig: »Verzeihen Sie, daß ich so alle Gebote einfachster Höflichkeit außeracht lasse. Kinder, ihr könnt gehen, die Schule ist aus,« setzte sie zu ihren Zöglingen gewandt hinzu, dann trat sie schnell zu der jugendlichen Reiterin und bot ihr mit ihrem sonnigsten Lächeln die Hand. »Ich habe Sie gar nicht kommen hören, Miß,« –

»Grace Martini,« stellte sich die junge Dame vor, »vielleicht haben Sie schon von mir gehört?«

»Sie sind Grace Martini?« rief Felicia überrascht, »o, ich habe Sie mir ganz anders gedacht.«

Wieder erklang das silberhelle Lachen und wirkte so ansteckend, daß Felicia fröhlich einstimmte. »Da bin ich besser daran als Sie,« bemerkte Grace, »ich erlebe keine Enttäuschung, denn ungefähr so habe ich Sie mir gedacht, ja, alle meine Erwartungen sind sogar bedeutend übertroffen.«

»O, ich bin durchaus nicht enttäuscht,« versicherte Felicia und schritt neben dem Pferde her auf den Hof.

Das also war Grace Martini! Wie ganz anders hatte sie sich die vorgestellt. Nach allem, was sie über sie gehört, hatte sie sich das junge Mädchen auch äußerlich unvorteilhaft gedacht, und nun war sie solch entzückendes Geschöpf. Eigentlich konnte sie es Mabel nicht verdenken, daß sie für diese Grace, die ihren Namen mit Recht führte, denn sie war die verkörperte Anmut, schwärmte. Es gehörte gewiß Charakterstärke dazu, sich nicht von diesen kleinen Händen führen zu lassen.

»Wie kommt es, daß Sie mich hier auf dem Hofe aufgesucht haben, Miß Martini?« fragte sie, während sie ins Haus gingen.

»Ich fragte einen Neger nach Ihnen, der zeigte mir den Weg. Ich habe Sie bei einer sehr interessanten Beschäftigung unterbrochen?«

Felicia beachtete den Spott nicht, sondern rief heiter: »O, das war gut, ich hätte sonst gewiß Zeit und Stunde vergessen.«

Überrascht sah Grace sie an. »Wo sind Ihre Gemächer?« fragte sie.

Ein schelmisches Lächeln flog über Felicias Antlitz. »Ich verfüge nur über ein winzig kleines Zimmer, in dem ich nur schlafe,« entgegnete sie, »da hinein darf ich Sie wohl nicht nötigen. Gehen wir lieber ins Wohnzimmer.«

»Da ist die alte Dame, nicht wahr?« fragte Grace, »ich hatte durchaus nicht die Absicht, der alten Miß Bertram schon heute einen Besuch abzustatten, ich war nur neugierig, Sie kennen zu lernen.«

»Tante Luise würde es aber doch peinlich empfinden, wenn Sie fortreiten wollten, ohne sie begrüßt zu haben,« entgegnete Felicia, öffnete die Türe und schob die überraschte Grace ohne Umstände über die Schwelle.

Tante Luise war trotz allen Liebreizes des Mädchens keineswegs entzückt über den Besuch. Nach allem, was sie über Grace gehört, hatte sie den lebhaften Wunsch gehabt, daß Fee niemals mit dem »schrecklichen« Mädchen in Berührung kommen möge, und nun saß diese Grace auf dem Sofa und das Kind sah sie mit Augen an, aus denen die helle Begeisterung sprach. Das fehlte gerade noch! Was würde sie noch alles in diesen unwirtlichen Savannen erleben! Wäre sie doch daheim geblieben, sie paßte nicht in diese Verhältnisse, wo die jungen Mädchen selbständig auftraten wie die Männer und sich nicht an Vater und Mutter kehrten.

Das alte Fräulein hatte nie ein liebenswürdiges, entgegenkommendes Wesen gehabt, heute bewegte sie sich in so engen Grenzen der Höflichkeit, daß Felicia sie mehr als einmal ängstlich bittend ansah. Es war kein Wunder, daß sich die junge Dame sehr bald erhob, sich von Tante Luise verabschiedete und sagte: »Sie wollten mich auf Ihr Zimmer führen, Miß Bertram?«

Unter heimlichem Lächeln stieg Felicia hinter ihr die Treppe hinan und beobachtete Grace neugierig, als sie die Tür zu ihrem Stübchen öffnete. Grenzenlos erstaunt ließ das verwöhnte Mädchen die Blicke durch das einfache Gemach, das nur etwas Freundliches durch die Bilder und Kleinigkeiten erhielt, schweifen. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch kein so armseliges Mädchenstübchen gesehen; ob man in einem so bescheidenen Heim wirklich glücklich sein konnte? Schnell wandte sie sich, als sie aber Felicias schelmischem Blick begegnete, brachen beide in ein fröhliches Gelächter aus.

»Ich fürchte, Miß Martini, Sie werden mit einem so armen Mädchen nicht verkehren mögen?« fragte Felicia dann ernster.

Grace reichte ihr die Hand und sagte freimütig: »Armut ist keine Schande, ebensowenig wie Arbeit schändet. Sie gefallen mir, da ist es mir gleich, ob Sie arm oder reich sind.«

Felicia blickte sie entzückt an, nötigte sie auf den Platz am Fenster und setzte sich zu ihr. »War es nett in Chicago?« fragte sie.

»O ja, sehr nett, ich habe dort noch von früher viele Beziehungen.«

»War Ihr Vater sehr böse, als sie zurückkamen?«

»Pa? Weshalb in aller Welt? Er freut sich, wenn ich Vergnügen habe.«

»Ich glaube kaum, daß Mabels Vater ihre heimliche Reise so aufgefaßt hat.«

Grace zuckte die Achseln. »Mr. Brighton hat leider viel von den Ansichten seiner Frau angenommen und vergißt ganz, daß die hier unmöglich berücksichtigt werden können. Es wird hohe Zeit, daß beide einsehen, daß wir in Amerika und nicht in Deutschland leben. Sie haben wohl eine besondere Vorliebe für die Neger?« fügte sie hinzu.

»Ich? Weshalb meinen Sie?«

»Ich traf Sie in so rührender Stellung, daß ich es vermuten muß.«

»Eine besondere Vorliebe? Nein, das will ich nicht behaupten,« entgegnete Felicia, »doch ja« setzte sie eifrig hinzu, »meine alte Bridget, die mich nach Mamas Tode groß gezogen und mit rührender Treue für mich gesorgt hat, habe ich wirklich lieb. Die anderen interessieren mich weniger, doch sind wir auch für sie verantwortlich, da sie nun einmal in unserem Dienste stehen. Mit Schrecken erfuhr ich gestern, daß nur einer aus unserer ganzen Schar lesen und schreiben kann, nun habe ich mich entschlossen, die Kinder zu unterrichten, heute morgen habe ich den Anfang gemacht und mich gefreut, wie befähigt einige sind.«

»Auch das kleine Ungeheuer, das Sie so zärtlich im Arme hielten. Wie ist es möglich, daß Sie ein solch schwarzes Scheusal anrühren mögen?«

Das leicht erregbare Blut stieg Felicia warm in die Wangen, »Ich sehe die Neger mit anderen Augen an,« entgegnete sie eifrig, »sie sind ebensogut Menschen wie wir, wenn sie auch manches an sich haben, das uns unangenehm ist. Vor Gott gilt nicht die Hautfarbe, da gilt allein das Herz, dürfen wir uns da anmaßen, nichtachtend gegen seine Geschöpfe zu handeln?«

Lebhaft interessiert blickte Grace in die blitzenden Augen Felicias. »So wäre es Ihnen vielleicht angenehm, wenn ich Sie mit unseren Negerweibern zusammen zum Tee einlüde?« fragte sie.

Fee lachte. »Das würde ich sehr seltsam finden und jedenfalls lieber den Tee allein mit Ihnen trinken,« entgegnete sie, »das gibt uns aber nicht das Recht, die uns dienen und die wir hier in den Savannen gar nicht entbehren können, zu verachten.«

Grace ließ den Gegenstand fallen und fragte: »Kleiden Sie sich an, Miß Bertram, ich habe mir vorgenommen, Sie für den ganzen Tag zu mir nach River Hall zu holen.«

»Sie sind sehr freundlich, Miß Martini, ich möchte Tante Luise jedoch nicht allein lassen, Pa ist nach St. Louis und kann vor dem Abend nicht zurück sein.«

Erstaunt sah das schöne Mädchen sie an. »Um diese alte Dame wollen Sie hier bleiben?« fragte sie.

»Ja, Tante würde sich sehr einsam fühlen, sie hat sich ja noch gar nicht recht eingelebt. Denken Sie nur, wie lang ihr der Tag werden würde.«

»Mir wird er auch lang,« entgegnete Grace, legte den Arm um sie und bat schmeichelnd: »Kommen Sie mit mir, Fairy, ich bin so viel allein, Pa hat nur Interesse für seine langweiligen Pflanzungen. Ich hatte es mir so hübsch gedacht, Sie den ganzen Tag bei mir zu haben und Sie genau kennen zu lernen. Sie sind so ganz anders wie alle Mädchen, die ich kenne, daß Sie mich interessieren.«

»Sie mich auch. Grace, liebe Grace,« rief Felicia, ganz hingerissen von ihrem bezaubernden Liebreiz, »wir wollen Freundinnen sein, ja, willst du?«

Grace lachte und bot ihr die frischen Lippen zum Kuß. »Bei euch Deutschen ist eine Freundschaft nur echt, wenn sie auf diese weise besiegelt wird, nicht wahr?« fragte sie schelmisch. »Pa hat mir früher viel von seiner Heimat erzählt, nun ist er aber auch schon ganz Amerikaner geworden. Ich habe mich immer sehr für die Deutschen interessiert, Mabel und Ellen sind ja nur halbe Ausgaben, mich hat Mama ganz amerikanisch erzogen und die kleine Frau Wendler –« sie zuckte mitleidig die Achseln – »durch sie lernte ich die Deutschen nur von einer Seite kennen, der ich durchaus keinen Geschmack abgewinnen kann, alle Sentimentalität ist mir schrecklich. Der Mann ist schon netter, die Würmer sind niedlich, nur noch zu sehr Wickelkinder, noch völlig unselbständig, daher solche Last für die Mutter.«

»Süß sind sie,« rief Felicia, »ich habe selten so wohlerzogene, gehorsame Kinder gesehen. Beste Grace,« fügte sie bittend hinzu, »sei so gut und versuche nicht, den Kleinen deinen unbändigen Freiheitsdrang einzuimpfen, ich glaube nicht, daß den Eltern damit gedient wäre.«

Grace lachte, sprang auf und schüttelte die langen Locken. »Vorläufig will ich meinen ganzen Einfluß aufbieten, dich zum Mitkommen zu überreden. Nicht wahr, Fairy, du erbarmst dich meiner und spielst heute mal wohltätige Fee bei mir statt hier bei der alten Dame und den schwarzen Ungetümen?«

Es war ein seltsames Gemisch anmutiger Kindlichkeit und reifer Weiblichkeit in Grace, das Felicia in Staunen und Entzücken versetzte. Einen Augenblick war sie die vornehme junge Dame, im nächsten ein reizendes Kind. Jetzt legte sie beide Arme um Felicias Nacken und blickte ihr mit bezauberndem Lächeln in die Augen.

»Nicht wahr, du kommst mit mir, Fairy?« schmeichelte sie, »du glaubst nicht, wie einsam ich bin.«

»Du kannst dir ja Mabel holen?«

»Die interessiert mich nicht, ich kenne sie wie meinen kleinen Finger.«

»Wer weiß, ob ich dir bei näherer Bekanntschaft nicht auch langweilig werde,« scherzte Felicia.

»Darauf bin ich eben neugierig, ich will dich studieren, Zug um Zug, und sehen, ob du die Eigenschaften hast, ohne die ich mir durchaus eine wahre Deutsche nicht denken kann.«

»Und welche sind das?«

»Das werde ich dir doch nicht verraten?«

»O weh, da muß ich mich ja sehr zusammennehmen, um dir nicht eine Enttäuschung zu bereiten.«

»Pah, du bist nicht der Mensch, der das fertig bringt, du wirst dich stets geben, wie du denkst und fühlst. Und nun mach schnell, Fairy, daß wir endlich fortkommen.«

Ein schwerer Kampf, den Grace mit Interesse beobachtete, zeigte sich in Felicias sprechenden Zügen. Wie verlockend war es, den Tag, der ziemlich reizlos vor ihr lag, mit diesem entzückenden Geschöpfe zu verleben, eigentlich hielt sie auch nichts ernstlich zurück. Pa war bis zum Abend fort, und Tante Luise würde sie gewiß nicht entbehren. Schon öffnete sie die Lippen zu einer zustimmenden Antwort, da tauchte der Tante vergrämtes Antlitz vor ihr auf, und sie erinnerte sich ihrer guten Vorsätze, die Tante zu lieben und stets zuerst an ihr und Pas Wohl zu denken.

Sie atmete tief auf und sagte: »Beinahe wäre ich dir erlegen, Grace, aber zu rechter Zeit fielen mir meine Pflichten ein, ich muß hier bleiben.«

»Pflichten?« fragte Grace gedehnt, »das Wort hat nur einen Begriff für mich, nämlich mein Leben so viel wie möglich zu genießen und es nach meinem Geschmacke und meiner Eigenart zu gestalten. Was verstehst du darunter?«

»Daß ich in erster Linie für Pa und Tante Luise lebe, ihnen die Gegenwart sonnig und heiter gestalte, soviel ich kann, zweitens, daß ich mich meinen Mitmenschen nützlich mache, und die Gaben, die Gott mir gegeben hat, zu seiner Ehre und zum Frommen der Menschen verwende.«

»Bravo, das ist wie eine echte Deutsche gesprochen, wenigstens denke ich mir, daß sie diese Ansicht größtenteils vertreten. Denkt dein Pa auch so? Doch wie kann ich fragen?« Sie sah mit einem bezeichnenden Blicke in dem kahlen Zimmer umher und fuhr fort: »Richtete er sich nach unserem Grundsatze, vor allen Dingen Geld zu verdienen und alle idealen Schwärmereien, mit denen ihr Deutschen euch so gerne aufhaltet, beiseite zu setzen, so sähe es gewiß etwas anders bei euch aus.«

Felicia errötete heiß, ihre dunklen Augen blitzten zornig auf. »Wenn du über unsere Armut und über unsere Gesinnungen, denen ich unter allen Umständen treu bleiben werde, spotten kannst, so ist es besser, wir fangen einen Verkehr gar nicht erst an, ich glaube auch, daß wir in keiner Beziehung übereinstimmen werden.«

Sie erschrak, als sie die Worte gesagt hatte, eigentlich hatte sie ihrem reizenden Gaste die Tür gewiesen; der jungen Dame blieb nichts anderes übrig, als ihr hoheitsvoll den Rücken zu kehren. Wie erstaunte sie, als die kleine Elfe ihr silberhelles Lachen anstimmte, in die Hände klatschte und rief: »Wundervoll! Du hast Temperament, wie ich das liebe! Ich finde dich entzückend, Fairy! Da, setze dich, du langes Mädchen, damit ich dir einen Kuß geben kann, das ist eine Gunstbezeugung, die nicht vielen Sterblichen zuteil wird. Weshalb machst du ein so spaßhaft verblüfftes Gesicht?«

»Ich kann mich nicht so schnell in deine Art und Weise finden, du tust immer das Gegenteil von dem, was ich vermute.«

Grace schüttelte die langen Locken zurück, setzte sich Felicia gegenüber, schlang die kleinen weißen Hände um die Knie und sah sie mit den glänzenden Augen belustigt an. »Du armes Geschöpf, welch ein langweiliges Leben hast du vor dir, wenn du dir so garstige Pflichten gestellt hast. Deshalb also hast du heute morgen diese schwarzen Scheusale unterrichtet?«

»Freilich, und es hat mir Freude gemacht, ich habe nur eine Sorge, ich weiß nicht, woher ich Bücher und alles was zum ersten Unterricht nötig ist, nehmen soll. Du hast es ja schon durchschaut, Grace, daß wir arm sind. Meine Erziehung in Deutschland hat viel Geld gekostet, dann die Reise, da darf ich Pa nicht mit Ausgaben kommen. Wenn ich nur wüßte, wodurch ich Geld verdienen könnte, denn ich brauche viel, sehr viel. Weißt du, Grace, es zieht mich trotz aller Gesinnungsverschiedenheit doch unwiderstehlich zu dir, ich muß es dir anvertrauen, es ist mein höchster Wunsch, hier in unseren Savannen eine Kirche zu bauen.«

Grace sprang auf, hielt sich die Ohren zu und rief: »Schweig still, ich werde sonst noch hören müssen, daß du uns alle zu Quäkern machen willst. Himmel, welch ein Mädchen! Ein Glück, daß Pa mich nicht zu meiner Erziehung nach Deutschland geschickt hat, als ich noch ein Wickelkind war, später wäre ich natürlich nicht gegangen, welche Riesenarbeit für mich, dich nur etwas für die hiesigen Verhältnisse zuzustutzen, warte, ich werde bald mit dir auf vierzehn Tage nach Chicago fahren, dort lernst du es am ersten. So, nun will ich heim, kommst du mit mir oder nicht?«

»Nimm es nicht übel, Grace, ich kann wirklich nicht.«

»Gut, setze dich mit einem Strickstrumpfe zu der alten Dame, schmachte nach einem Lächeln von ihr und berausche dich an dem Gefühle, unmäßig brav zu sein, das muß ja für dich die höchste Wonne sein. O dear me, what a life!«

Halb lachend, halb ärgerlich ging Felicia mit ihr die Treppe hinunter und schritt mit ihr auf und nieder, bis das Pferd gebracht wurde.

»Du bist mir doch nicht böse, Grace?« fragte sie, als diese im Sattel saß und ihr die Hand bot.

»Weshalb denn? Du richtest dir dein Leben ein, wie du es magst, freilich geht unser Geschmack sehr auseinander, aber kommt Zeit, kommt Rat. Adieu, süße, kleine Fairy, ich bin dir trotz alledem gut. Auf baldiges Wiedersehen.« Sie nickte ihr noch einmal lachend zu und sprengte davon.

Felicia beschattete die Augen mit der Hand und stand so lange sie das weiße Gewand flattern sah, dann lief sie ins Wohnzimmer und rief lebhaft: »Hast du je ein entzückenderes Geschöpf gesehen, Tante? Wonnig ist sie! Ich dachte immer, unsere Lisa wäre hübsch, was ist die aber gegen diese süße, schöne, liebreizende Grace!«

»Weißt du nicht noch mehr Ausdrücke?« fragte das alte Fräulein grollend, »ich dachte es mir gleich, daß dich die schöne Larve hinreißen würde. Kind, Kind, hüte dich vor dem Mädchen, das weder Ehrfurcht vor dem Alter hat, noch des eigenen Vaters Autorität anerkennt. Wenn du dich nicht gleich anfangs vorsiehst, so werden wir es nächstens erleben, daß du plötzlich ohne unser Wissen mit ihr auf und davon gehst.«

Das junge Mädchen lachte. »Ja, Tantchen, sie hat auch bereits die Absicht ausgesprochen, mich auf vierzehn Tage mit nach Chicago zu nehmen, und heute kam sie, mich für den ganzen Tag zu entführen.«

»Und weshalb bist du nicht mitgegangen?«

»Aber Tante, dann wärst du doch ganz allein gewesen.«

»Meinetwegen hättest du dir keinen Zwang anzutun brauchen,« entgegnete das alte Fräulein kurz, »überhaupt will ich dir bei dieser Gelegenheit sagen, daß ich nicht gern in irgendeiner Weise ein Hindernis für dich sein möchte. Ich bin daheim gewohnt gewesen, allein zu sein, und kann es hier gleichfalls. Du sollst meinetwegen nichts entbehren oder ausschlagen, nicht das geringste.« Es sollte sicher eine Freundlichkeit sein, doch es klang nicht so, da der Ton hart war und an die frühere Verbitterung mahnte. Felicia verstand sie jedoch, schnell trat sie näher, legte den Arm um sie, beugte sich nieder und sah ihr lächelnd in das ernste Antlitz.

»Ei, Tantchen, erst warnst du mich, und nun ist es dir gar nicht recht, daß ich Grace nicht sofort begleitet habe? Wie soll ich das verstehen?« fragte sie heiter.

Tante Luise lächelte schwach. »Ach Kind, ich möchte nur verhindern, daß du um meinetwillen etwas entbehrst. Ein so junges Mädchen, ganz auf einen viel beschäftigten Vater und auf eine grämliche alte Tante angewiesen, muß ja Sehnsucht nach Verkehr und Abwechslung haben. Wirklich, Fee, seit ich diese gefährliche Person, diese Grace gesehen habe, bin ich recht in Sorge um dich.«

»Nicht nötig, Herzenstantchen, ich bin eine zu gute Deutsche geworden, um wieder eine freie Amerikanerin zu werden; man wechselt seine Ansichten doch nicht wie sein Kleid. Nein, Tante, für so wankelmütig mußt du mich nicht halten. Nun will ich dir aber meine Unterhaltung mit Grace erzählen und von meinen ersten Erfolgen als Lehrerin, du wirst staunen, Tantchen. Erst will ich mir aber eine Arbeit holen, dabei plaudert es sich viel gemütlicher, doch vor allen Dingen muß ich nachsehen, ob Beß und Tobsy faulenzen oder im Garten arbeiten.«

Liebevoll sah das alte Fräulein ihr nach, als sie eilig das Zimmer verließ, und flüsterte vor sich hin: »Sie ist ein gutes Kind, Gott erhalte sie so.«

Nach kurzer Zeit kehrte Felicia mit verschiedenen hübschen, ausgezeichneten Handarbeiten, die sie sich in Hamburg gekauft hatte, zurück und beriet mit der Tante, welche sich wohl am besten für den Vater zum Geburtstage eignete. Eifrig begann sie dann zu sticken und plauderte dabei fröhlich. Tante Luise ging freundlich auf alle Ideen des jungen Mädchens ein, obgleich sie für viele Dinge kein Verständnis besaß und über manches ganz anders dachte. Das konnte sie auch nicht ganz verbergen, und ihre nüchterne Lebensanschauung fiel hin und wieder wie ein kalter Wasserstrahl auf Felicias hochgehende Empfindungen. Wie sehr entbehrte sie dann die Mutter und Hanna, mit welcher Sehnsucht wünschte sie die beiden herbei.

Der Tag verging trotz allen guten Willens langsam, und als sie abends mit der Tante unter der Sykomore den Sonnenuntergang bewunderte und den wagen, der den Vater brachte, in der Ferne entdeckte, lief sie ihm quer über die große Wiese entgegen.

»Na, Liebling, ist dir der Tag sehr lang geworden ohne deinen alten Pa?« rief der Farmer ihr zu, als sie ganz außer Atem bei dem Wagen anlangte und Tom befahl, zu halten.

»Ellenlang, Pa,« entgegnete sie lachend, während der Vater ihr behilflich war, auf den Wagen zu steigen, »ein Glück, daß du wieder da bist. Aber du böser Pa hast mir gar nicht gesagt, wie hinreißend entzückend Grace Martini ist, ich hatte sie mir ganz anders vorgestellt und finde nun ein Wesen, das gleich als Elfenkönigin im Sommernachtstraum auftreten könnte.«

Der Farmer ließ einen langen Pfiff hören. »Bläst der Wind aus der Richtung?« fragte er. »ei Kind, da bist du auch wohl mal eines schönen Tages verduftet, und kein Mensch weiß, wo die Präriefee geblieben ist.«

»Natürlich, ich fahre nächstens den Mississippi hinunter, amüsiere mich herrlich in New-Orleans und schicke dir ungezählte Rechnungen. Aber, im Ernst, Pa, findest du sie nicht süß?«

»Na, weißt du, Kind, das ist ein bißchen stark ausgedrückt, sie ist ja ganz niedlich, das Püppchen. Daß sie dir imponiert hat, wundert mich übrigens nicht,« schloß er neckend.

»Du, Pa, das ist nicht ganz richtig ausgedrückt.«

»Na, dann hast du ihr imponiert, davon deine Begeisterung; bei euch Mädels muß ja immer ein bißchen Überschwenglichkeit im Spiele sein. Ich wette darauf, daß sie dir etwas Angenehmes gesagt hat.«

»Ja, sie hat mir gesagt, daß sie mich entzückend findet.«

»Siehst du? Ich dachte es wohl,« rief der Farmer lachend, »wenn man so schöne Dinge zu hören bekommt, wird man gern wieder freie Amerikanerin, was, Fairy?«

»Du böser Pa,« sagte Fee und stimmte in sein Lachen ein.

Tante Luise stand auf der Veranda, als der Wagen vorfuhr. Nachdenklich blickte sie in das gebräunte Antlitz, das einen so ganz anderen Ausdruck trug, als damals, als er vor fünf Jahren, ein ernster Mann, niedergedrückt von seiner Schuld gegen Mutter und Schwester und von dem Grame um sein Weib, sein Kind nach Deutschland gebracht hatte. Damals hatte er sich zu angestrengter Arbeit für sein Kind aufgerafft, und wie lebte er nun durch das Zusammenleben mit der Tochter auf, man sah, daß er sich glücklich fühlte. Wenn doch kein fremder Einfluß störend zwischen Vater und Tochter treten wollte! Sie konnte den Gedanken an Grace nicht los werden und wunderte sich, wie leicht der Bruder die Sache nahm und während der Mahlzeit sein begeistertes Töchterchen mit ihrer neuesten Schwärmerei neckte.

Am nächsten Tage, als Felicia im Garten beschäftigt war, kam Mabel angeritten. Fee begrüßte sie erfreut und wollte sie ins Haus führen, doch Mabel hielt sie zurück.

»Ich mag jetzt nicht die Liebenswürdige gegen deine Tante spielen,« sagte sie, »ich möchte mich nur einmal aussprechen.«

»So komm zur Sykomore, dort hört uns niemand.«

Nun saßen sie im Schutze des breitästigen Baumes, doch Mabel schien keine Eile mit der Aussprache zu haben, sie starrte vor sich hin und schwieg. Felicia brannte vor Neugierde, etwas über ihre Reise zu hören, mochte aber nicht direkt fragen, so sagte sie: »Gestern war Grace bei mir, ich hatte ja keine Ahnung, daß sie ein so entzückendes Geschöpf ist.«

»Ach, Grace! ich wollte, sie wäre gar nicht hierher gezogen.«

»Ich denke, du schwärmst für sie?«

»Was nützt mir das, wenn ich es ihr nicht gleichtun kann. Wäre es dir angenehm, verspottet zu werden, weil du in dem freien Amerika nicht wie andere Mädchen deinen eigenen Willen haben sollst?« Hastig hatte sie diese Worte hervorgestoßen und brach nun in heißes Schluchzen aus.

»Arme Mabel, hast du Unannehmlichkeiten wegen deiner Fahrt gehabt? Aber, Mabel, nimm es mir nicht übel, ein etwas starkes Stück war es von dir, ohne wissen deiner Eltern auf mehrere Tage zu verreisen.«

»Das ist hier so Sitte, alle Mädchen tun, was sie wollen, weshalb soll ich es nicht?«

»Weil deine Eltern es nicht wünschen. Hast du dich denn wirklich in Chicago amüsiert?«

»Natürlich, sehr gut, es war reizend,« entgegnete Mabel und errötete heiß bei dieser Unwahrheit, sie hätte aber für nichts eingestehen mögen, daß ihr Gewissen sie zu keinem rechten Genusse hatte kommen lassen. In überstürzter Weise erzählte sie nun von ihrem Aufenthalte in Chicago und suchte der Freundin durch die Selbständigkeit, mit der sie dort aufgetreten war, zu imponieren.

Sie erreichte ihren Zweck jedoch nicht. »Es mag ja recht schön gewesen sein,« sagte Felicia, als sie einen Augenblick schwieg, »für mich würde aber alles Vergnügen aufhören, wenn Pa mein Tun nicht billigte.«

»Ach, weißt du, Fairy,« Mabel rückte näher zu ihr heran, »du könntest dergleichen ruhig wagen, dein Vater würde dich sicher gewähren lassen, du hast ja früher auch viel mehr Freiheit gehabt als wir. Wenn du nur wolltest, könntest du bald ein ebenso vergnügliches, unabhängiges Leben führen wie Grace, dann würden meine Eltern sich schließlich auch darein finden und mich gewähren lassen.«

»Das wäre ja ein hübsches Resultat meiner deutschen Erziehung. Pfui, Mabel, wie kannst du mir so etwas zumuten? Bist du nur deshalb hergekommen? Vergißt du ganz, daß Pa mich nur fortgebracht hat, damit ich nicht so eigenwillig und selbstsüchtig würde? Und jetzt, wo ich diese Eigenschaften so ziemlich abgelegt habe, soll ich mich bemühen, sie in noch schlimmerem Maße wieder anzunehmen? Wozu hätte Pa denn die vielen Opfer für mich gebracht und Mutter sich so unendliche Mühe mit mir gegeben? Das wäre wahrlich ein schöner Lohn für beide. Nein, ich will mein möglichstes tun, Mutters Lehren auszuführen und ihrer Erziehung Ehre zu machen.«

»Das ist recht, spiele dich nur als Tugendheldin auf und mache dich auch bei meinen Eltern lieb Kind, damit du mir täglich als Beispiel vorgehalten wirst. Gräßlich ist es, nirgends finde ich Verständnis, zu Hause ist jeder unzufrieden mit mir, und Grace lacht und spottet über mich.«

»Laß sie doch, sei du doch so, wie deine Eltern es wünschen, das ist doch viel wichtiger. Liebste Mabel, mach' dich doch nicht so abhängig von Grace, laß sie doch tun, was sie will, und tue, was dir zukommt. Du rühmst dich deiner Selbständigkeit und machst alles nach, was Grace dir vormacht, ich täte das ganz gewiß nicht.«

»Du, höre mal, das ist aber großartig von dir, ich mache es mit, weil es mir Vergnügen macht. Was soll ich auch anfangen? es ist zum Sterben langweilig in diesen öden Savannen.«

»O, Arbeit gibt es genug,« entgegnete Felicia und erzählte eifrig von ihren Unterrichtsstunden.

Mabel schüttelte sich. »Ehe ich mich mit dem schwarzen Volke befaßte, wollte ich lieber vor Langeweile sterben,« rief sie entrüstet und sprang auf. »Lebe wohl, es ist vergeblich, bei dir Verständnis für eine Freiheit liebende Seele zu suchen.«

Umsonst nötigte Felicia die Freundin zum längeren Bleiben, sie wollte auch Tante Luise nicht begrüßen, sondern sprengte nach kurzem Abschiede davon. Nachdenklich sah Felicia ihr nach; wenn sie doch das rechte Wort für die irregeleitete Freundin finden könnte! Ob sie sich direkt an Grace wandte und sie bat, nicht solchen Zwang auf Mabel auszuüben? Langsam kehrte sie in den Garten zurück, und nun wurden ihre Gedanken sofort in andere Bahnen gelenkt. Der Vater hatte ihr eine Abnahmequelle für ihr überflüssiges Gemüse verschafft, prüfend durchschritt sie die schmalen Wege, um festzustellen, was sie morgen in aller Frühe an Gemüse schneiden und pflücken wollte, damit Tom es mitnehmen konnte. Der bequeme Stuhl für Tante Luise fing an, in greifbarere Nähe zu rücken. Schon bei dem Gedanken leuchteten ihre Augen in heller Freude und ein Liedchen singend, ging sie von Beet zu Beet. Wie glücklich und dankbar sie war, daß sie im Rosenhause andere Freuden gelernt hatte als nur die, welche dem eigenen Ich gelten.

Einige Tage später, als Herr Bertram sich nach dem Frühstücke eine Zigarre ansteckte, um auf das Feld zu gehen, und Tante Luise Tassen spülte – sie hatte es durchgesetzt, dies selbst morgens und nachmittags zu tun, und trank seitdem ihren Kaffee mit großem Behagen – ward die Tür aufgerissen und hochrot, mit glänzenden Augen stürzte Felicia herein und warf sich dem Vater ungestüm an die Brust.

»Pa, mein lieber, alter Pa! Das ist ja reizend von dir! Wie gut du doch bist!« rief sie und küßte ihn nach jedem Ausrufe, »ich hätte ja gar nicht gedacht, daß du soviel Interesse für die Sache hast, soviel wie du mich geneckt hast. Nun hast du mir aber durch die Tat bewiesen, daß du deiner Fee doch einige Ausdauer zutraust. Wie ich mich freue! Du lieber, einziger Pa!«

Unter ihren stürmischen Liebkosungen hatte der Farmer nicht zu Worte kommen können, als sie nun aber eine Pause machte, rief er seiner Schwester zu: »Verstehst du, Luise, was sie meint? Die Hitze wird dem Kinde doch nicht zu Kopfe gestiegen sein?«

Felicia lachte. »Du böser Pa, es hilft dir nicht, du bist erkannt, komm mit an den Ort der Tat, dann sage noch, daß du es nicht gewesen bist, der mir diese großartige, wundervolle Überraschung bereitet hat.«

Kopfschüttelnd folgte nicht allein der Farmer seinem Töchterchen, sondern auch Tante Luise schloß sich ihnen neugierig an. Es ging über den Hof an dem Hinterhause vorüber zu dem Schuppen.

»Nun?« fragte Felicia triumphierend.

Vorläufig erhielt sie keine Antwort, Vater und Tante blickten die »Überraschung« mit so aufrichtigem Erstaunen an, daß sie ganz irre an dem Täter wurde.

Da hing an der wand eine große Wandtafel, an der ein großer Schwamm und ein Stück Kreide befestigt waren. Daneben hingen Karten zum ersten Anschauungsunterricht, und auf dem Tische lagen Schreibhefte, Bleifedern und englische Fibeln.

»Nun, Pa?« fragte Fee noch einmal, aber nicht mehr so triumphierend wie das erstemal.

»Was denn, Kind? Du meinst doch nicht, daß ich so viel Geld für deine Marotte, unseren Negerkindern Lesen und Schreiben beizubringen, ausgeben würde? Nein, meine Kleine, da kennst du deinen alten Pa schlecht.«

Das frohe Leuchten schwand aus Felicias Zügen, fragend sah sie Tante Luise an. Das alte Fräulein zuckte die Achseln. »Du weißt, Kind, wie wenig Interesse ich für die Sache habe.«

»Wer kann es aber gewesen sein?« fragte das junge Mädchen sinnend und rief plötzlich atemlos: »Sollte es Grace –,« »Kind,« unterbrach der Vater sie lachend, »eher würde ich alles andere glauben als das.«

»Darüber muß ich mir Gewißheit verschaffen,« rief Felicia, »wenn du mich heute nachmittag einige Stunden entbehren kannst, Tante, reite ich hinüber und frage sie.«

Anfangs war das junge Mädchen bei dem bald beginnenden Unterrichte etwas unaufmerksam, die Verwunderung der Kinder jedoch und ihre naiven Freudenäußerungen über die unerwarteten Gaben entrissen sie bald ihren Gedanken und spornten sie zu einem Eifer an, dem ihre jungen Zöglinge nicht folgen konnten. Sie mußte sich gewaltsam zur Ruhe und Geduld zwingen und sich wieder einmal seufzend sagen, daß hier ein Feuereifer durchaus nicht angebracht war.

Nach dem Kaffee bestieg sie sehr vergnügt ihre Beauty und sprengte, von einem Negerjungen begleitet, über die Wiesen nach River Hall. Sie war noch nicht dort gewesen und betrachtete das hübsche Wohnhaus neugierig und voller Interesse. Eine so elegante Farm hatte die Kolonie bis jetzt noch nicht aufzuweisen, sie war leicht und gefällig erbaut, man sah auf den ersten Blick, daß der Besitzer Mittel hatte. Um das Haus herum zog sich ein Garten, der freilich erst neu angelegt war, doch schon ziemlich üppige Büsche und Bäume aufwies. Auch Blumen sah Felicia hier wieder in buntem Flor, namentlich Rosen der mannigfachsten Sorten, der Besitzer schien für sie eine besondere Vorliebe zu hegen. Man sah aus der ganzen Anlage der Ansiedelung, daß es Herrn Martini nicht allein um den Erwerb zu tun war.

»Wie reich müssen Martinis sein,« dachte Fee, »wie gut könnten sie mir beim Bau meiner Kirche helfen, ich muß doch versuchen, Grace allmählich für meinen Plan zu erwärmen. Das kann nicht schwer halten, wie großmütig und warmherzig hat sie sich erst heute morgen gezeigt, meine süße, entzückende Grace.«

Inzwischen hatte sie das Haus erreicht, stieg ab und fragte nach der jungen Herrin. Ein schwarzer Diener in Livree führte sie die Treppe hinan in ein prächtig ausgestattetes Zimmer und bat sie, einen Augenblick zu warten. Neugierig sah Felicia sich um. Das also war Graces Empfangszimmer, wie armselig ihr wohl das Mädchenstübchen in Victoria Cottage vorgekommen war? Das focht Fee indessen wenig an, ja, sie fragte sich, ob Grace sich in ihren eleganten Räumen wohl so glücklich fühlte, wie sie in ihrem weiß getünchten Stübchen?

Da kam der Neger zurück und führte sie durch ein zweites, ebenso reich ausgestattetes Zimmer auf einen geräumigen Balkon, der durch ein Leinendach gegen die Sonne geschützt war und den Blick ungehindert über die wiesen und den silberglänzenden Fluß bis in die endlose Ferne gewährte. Rechts erhoben sich einige Hügel und Wälder, links verschwanden diese, da spannten sich wie das unendliche Meer die Savannen in ihrer ganzen Weite aus. Für manchen wäre das Bild öde und trostlos gewesen, Felicia hatte es von ihrer frühesten Kindheit an geliebt, auch jetzt blickte sie mit leuchtenden Augen über das stille einförmige Landschaftsbild und schrak zusammen, als eine jugendliche Stimme spöttisch sagte: »Ich weiß freilich nicht, was es da so ausgiebig zu bewundern gibt, wenn da aber fertig bist, wendest du mir vielleicht deine Aufmerksamkeit zu.«

Felicia fuhr lebhaft herum, das frohe Begrüßungswort blieb ihr jedoch auf der Lippe, als sie Grace erblickte. Sie lag in einem Schaukelstuhle, den sie in leiser Bewegung hielt, lässig hingestreckt, die Hände hinter dem feinen Kopfe verschränkt. Hinter ihr erhob sich eine herrliche Fächerpalme, die ihre breiten Wedel über das junge Mädchen breitete, ihr zur Seite stand ein zierlicher Tisch mit Blumen, Büchern und Zeitungen. Ein Hauch von Duft und Poesie hätte das junge Mädchen umgeben, wenn nicht eins gewesen wäre, das alle Poesie zerstörte: Grace hielt zwischen den rosigen Lippen eine Zigarette! Ganz entgeistert starrte Felicia die neu gewonnene Freundin, ihre süße, entzückende Grace an, sie fühlte, wie sie bis zu den Haarwurzeln errötete.

Da nahm Grace die Zigarette aus dem Munde und brach in ihr silberhelles Lachen aus. »Du bist wundervoll, kleine deutsche Unschuld,« rief sie, »hast du nie eine Dame rauchen sehen? Komm näher und setze dich. Verzeih, daß ich nicht aufstehe, dich würdig zu empfangen, ich liege aber gerade so außerordentlich bequem.«

»Bitte, laß dich nicht stören,« entgegnete Felicia kühl. Alle jubelnde Freude war mit einem Schlage aus ihrem Herzen gewichen, es klang steif und förmlich: »Ich bin gekommen, um dir für die große Überraschung zu danken, die du mir heute morgen bereitet hast.« Sie hielt die Augen gesenkt und sah daher nicht das belustigte Lächeln, mit dem Grace sie betrachtete.

»Wie kommt es, daß du dich sofort an die richtige Adresse wendest?«

»Da es weder Pa noch Tante getan haben, kannst nur du es sein, Mabel und Ellen haben nicht soviel Geld.«

»Nun – und?«

»Ich habe mich sehr gefreut und bin dir sehr dankbar.«

Grace lachte hellauf, »wie das klingt! Nicht als ob es dir wirklich eine Freude wäre. Und wie du dastehst, steif wie ein Stock, was ist denn los, Fairy?«

»O Grace –« Mit wenigen Schritten war Felicia an ihrer Seite, nahm ihr die Zigarette aus der Hand und schleuderte sie weithin in die Luft. »So«, sagte sie tief aufatmend, »nun bist du wieder meine Grace, mein süßes, entzückendes Märchenbild.«

»Höre mal«, rief Grace, halb lachend, halb ärgerlich, »was fällt dir eigentlich ein? Willst du mich in meinem eigenen Hause in meinen Gewohnheiten beschränken?«

Fee kniete neben ihr nieder, strich zärtlich über die goldene Lockenfülle und sagte mit ihrem sonnigsten Lächeln: »Freilich möchte ich das, wenn es mir nur gelingen wollte! Wirklich, Grace, du weißt gar nicht, wie schrecklich du mit einer Zigarette aussiehst, der ganze Märchenzauber, der dich umgibt, flieht, man fühlt sich nur unangenehm berührt.«

Grace sah belustigt in die glänzenden Augen, die bewundernd zu ihr aufblickten und entgegnete: »Sehr aufrichtig bist du, Fee, das muß ich sagen, was wollen wir aber wetten, daß du bald meinem Beispiele folgen wirst! Mabel raucht auch.«

Felicia sprang lebhaft auf: »Nein, niemals! Ich will gern von dir annehmen, was gut und schön ist, aber nicht schlechte und häßliche Angewohnheiten, oder willst du behaupten, daß das Rauchen hübsch und passend für eine Dame ist?«

»Ich finde es für mich passend, alles andere kümmert mich nicht.«

Sie griff nach einem eleganten Täschchen, dem sie eine Zigarette entnehmen wollte, Felicia legte jedoch schnell die Hand darauf und sagte: »Verzeih, Grace, daß ich dich in deinem eigenen Hause beschränke, dich rauchen zu sehen ist mir jedoch ein so widerwärtiger Anblick, daß ich fortreiten werde, wenn du deine Gewohnheit nicht in meiner Gegenwart aufgibst.«

Prüfend blickte Grace in die blitzenden Augen, in das entschlossene Antlitz und sagte lachend: »Als höfliche Wirtin muß ich dir natürlich den Willen tun, du Starrkopf, setze dich und erzähle mir von deinen schwarzen Ungeheuern. Nicht war, meine Gabe kam schon zu spät? du hast den Unterricht schon längst wieder aufgegeben?«

»Was denkst du von mir, Grace?« rief Felicia entrüstet, »es ist mir heiliger Ernst mit dem Unterricht. Das weißt du auch, sonst hättest du mir nicht die Bücher und Karten geschenkt. Nein, diese Überraschung, als ich heute morgen in den Schuppen kam und die große Bescherung vorfand! Wie gut von dir, Grace, wie furchtbar gut.« Sie beugte sich nieder und streichelte zärtlich die weißen Hände der bewunderten Freundin, »Welch gutes Herz mußt du haben, Grace«, setze sie begeistert hinzu.

Grace lachte, »Wie naiv du bist, Fee«, entgegnete sie, »ich habe dir die Bücher durchaus nicht aus Interesse für die Sache geschenkt, sondern nur, weil ich mir Vergnügen davon verspreche. Ich finde die Idee, daß du diese schwarzen kleinen Ungetüme unterrichtest, einfach haarsträubend und bin fest überzeugt, daß dir die Sache über kurz oder lang vollständig zuwider sein wird. Die erste Schwierigkeit war der gänzliche Mangel an Büchern, daran hätte schon alles scheitern können, das hätte mir leid getan, deshalb ließ ich sie für dich kommen. Du bist heftig und leidenschaftlich, aber auch, so wie ich dich beurteile, pedantisch in deinem viel gepriesenen Deutschland geworden, da wirst du oft in Gefahr kommen, dem schwarzen Gelichter die Bücher vor die Füße zu werfen und wirst doch wieder von deiner Pedanterie daran gehindert werden. Das zu beobachten wird mir ein Hauptspaß sein. Aber, Fee, du machst ein Paar Augen, als wolltest du mich niederstrecken.«

Blaß, mit vor Entrüstung sprühenden Augen sah Felicia auf sie nieder und sagte bebend vor Erregung: »Ich hatte dich nach allem, was ich von dir gehört hatte, für oberflächlich und selbstsüchtig gehalten, aber nicht für so schlecht und herzlos. Wir können niemals Freundinnen sein, zur Studie für müßige Stunden will ich dir nicht dienen.« Kurz wandte sie sich um, durchschritt eilig das Zimmer, stürmte aus dem Hause, rief nach ihrem Pferde und sprengte gleich darauf in tollem Ritte davon.

Es war ihr nicht möglich, in der Aufregung, in der sie sich befand, nach Hause zurückzukehren, so ritt sie eine Stunde und länger planlos umher, bis sie endlich ruhiger geworden war. Daß doch ihr redliches Streben von allen verkannt wurde! wenn sie doch nur eine Seele hätte, die ihr Verständnis entgegenbrächte! heftiger denn je zuvor wallte die Sehnsucht nach den Lieben daheim in Deutschland in ihr auf und trieb ihr heiße Tränen aus den Augen. Könnte sie doch dorthin zurückkehren, wo sie stets verstanden wurde! Was sollte sie hier, wo ihre Bestrebungen verlacht und verspottet wurden und wo sie vielleicht niemals ihr Ziel erreichen würde!

Die tiefe Niedergeschlagenheit, die sich ihrer bemächtigt hatte, hielt jedoch nicht lange stand. Ihr fielen die Worte ein, welche die Pflegemutter kurz vor ihrer Abreise zu ihr gesagt hatte: »Du wirst mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, liebe Fee, denn die alte Heimat ist dir fremd geworden, und du bist eine andere als du warst, als du sie verließest. Du wirst manches ändern wollen, vergiß aber nie, Geduld zu haben und gehe nicht mit zu großem Feuereifer vor. Gut Ding will Weile haben, liebe Fee, daran denke immer. Also vor allen Dingen Geduld und Ausdauer.«

Das junge Mädchen seufzte, Geduld war gerade die Tugend, die sie gar nicht besaß, aber an Ausdauer sollte es ihr gewiß nicht fehlen, Grace sollte wahrlich keine Ursache haben, über sie zu triumphieren. Sie richtete sich auf, ein Lächeln spielte um ihre Lippen, und ein freudiges Leuchten brach aus ihren dunklen Augen. »Gut Ding will Weile haben«, rief sie mit heller Stimme in die Wiesen hinein, »laß sehen, Grace, wer Sieger bleibt, du oder ich. O Mutter, Hanna, wenn ihr wüßtet, daß eure heißblütige, ungeduldige Fee nichts Geringeres vorhat, als durch Geduld und Ausdauer zu siegen! O Grace, Grace, diese Enttäuschung, die du mir bereitet hast!«

Nachdenklich kam sie zu Hause an und wurde von Tante Luise mit der erstaunten Frage empfangen: »Schon wieder da? Ich dachte nicht, daß wir dich vor dem Abend wiedersehen würden. Ist irgendetwas nicht in Ordnung? Dir fehlt doch nichts, Kind?«

»Nein, Tante, aber Grace –« stockend erst, dann in voller Lebhaftigkeit, berichtete sie ihr Erlebnis.

»Siehst du wohl, wie recht ich hatte, als ich sagte, wenn es nach mir ginge, käme sie nicht über unsere Schwelle?« rief Fräulein Bertram halb triumphierend, halb entrüstet, »das ist nun das ›entzückende Geschöpf‹, für das du gleich durch das Feuer gegangen wärst.«

»Ach Tante, kannst du denn nicht verstehen, daß einem mit sechzehn Jahren das Herz aufgehen muß vor so viel Schönheit und Anmut?«

»Nun ja,« entgegnete das alte Fräulein etwas milder, »man soll den Menschen aber nicht nur nach seinem Äußeren beurteilen. Jedenfalls wäre es für dich besser, du wärst nicht immer gleich Feuer und Flamme, ich fürchte, du wirst dadurch noch manche Enttäuschung erleben und noch mehr unmögliche Dinge anfangen, die du schließlich doch nicht durchführen kannst.«

Felicia ward dunkelrot und rief mit blitzenden Augen: »Lieber will ich Enttäuschungen erleben als das Leben so schrecklich nüchtern auffassen wie –« Erschrocken verstummte sie und biß sich auf die Lippen; Geduld, du schöne Tugend, wo bliebst du?

»Wie ich, wolltest du sagen«, vollendete Tante Luise trocken, und kein Zug ihres ernsten Antlitzes verriet, was sie empfand, »das lernt sich alles, das Leben versteht es, uns ein Ideal nach dem anderen zu nehmen, da lernt man denn schließlich klar und richtig sehen und denken. Du wirst es auch noch lernen.«

»Nein«, rief das junge Mädchen eifrig, »niemals! Ich lasse mir meine Ideale nicht rauben, weder durch das Leben noch durch Menschen, in mir lebt ein Gefühl, das stärker ist als alle Widerwärtigkeiten und als alle Enttäuschungen, die das Leben – das merke ich schon – gewiß reichlich für mich haben wird. Ich glaube, Tante Luise,« setzte sie leiser hinzu, »es ist die Liebe zu Gott, die Mutter mir so tief ins Herz gepflanzt hat. Siehst du, deshalb muß ich auch vorwärts und hier für seine Ehre arbeiten, ich kann gar nicht anders.«

Sie war wunderschön mit der Begeisterung in dem jungen Antlitze und den leuchtenden Augen; stumm blickte das alte Fräulein sie an und ein weicher Schimmer flog über ihre Züge. Ihr Glaube war noch in den ersten schüchternen Anfangsgründen, der trieb weder Blüten noch Blätter wie Felicias. »So tue, was du nicht lassen kannst, Kind,« sagte sie milde, »ich wollte nur, ich könnte dir eine Stütze sein.«

»Das bist du, Tante, wirklich,« beteuerte Zelicia eifrig, »du bist ja die einzige, gegen die ich mich aussprechen kann, du glaubst nicht, wie wohl mir das tut. Vater«, sie seufzte, »Vater versteht mich leider nicht so, wie ich gehofft hatte, da bleibst du meine einzige Zuflucht.«

»Eine recht armselige,« warf Tante Luise ein, aber ein leises Lächeln flog über ihre vergrämten Züge.

»Ach Tantchen,« das junge Mädchen beugte sich zu ihr nieder und sah ihr schmeichelnd in die Augen, »habe nur immer Geduld mit deiner wilden Fee, wenn die Zunge mit ihr durchgeht.«

»Laß gut sein, Kind, ich nehme dir nichts übel, du hast ja auch oft recht.«

Felicia errötete. »Es ist aber unehrerbietig von mir und ist mir immer ganz schrecklich leid, sowie mir solch garstiges Wort entschlüpft ist. Du kannst dir gar nicht denken, Tantchen, was ich alles tun möchte, damit du dich hier heimisch und glücklich fühlst.«

»Du bist ein gutes Kind, Fee,« entgegnete Tante Luise, küßte sie auf die Stirn und schob sie dann von sich, indem sie sagte: »Sieh her, Fee, ich wollte es so ungern, aber diese beiden Bettücher muß ich eingehen lassen, sie sind nicht mehr zu flicken.«

Fee warf kaum einen Blick auf die schadhafte Wäsche, sie lachte übermütig. »O Tantchen, wie kannst du von unserem Gespräch auf die alten Bettücher kommen!«

Tante Luise stimmte in ihr Lachen ein und entgegnete: »Die Prosa des Lebens stellt den Menschen immer wieder hübsch auf die Füße, immer kann man sich unmöglich in höheren Regionen bewegen. Nein, ich muß doch noch versuchen,« fuhr sie überlegend fort, »aus den beiden Tüchern eins zu machen, wir haben daran keinen Überfluß. Wir sind überhaupt mit aller Wäsche sehr abgebrannt, Kind, und was ich mitgebracht habe, ist auch größtenteils alt und verbraucht.«

»Sieh nicht so sorgenschwer aus, Tantchen, kommt Zeit, kommt Rat,« tröstete das junge Mädchen.

»Wenn ich nur Geld verdienen könnte –«

»Nein, Tante Luise, das erlaube ich nicht,« erklärte das junge Mädchen energisch, »dazu bist du nicht hergekommen, jetzt sollst du dich endlich in Ruhe deines Lebens freuen.«

»Kind, das lerne ich nicht mehr, ohne Arbeit würde ich mich kreuzunglücklich fühlen, laß mich also gewähren, wenn mir etwas einfallen sollte. Hast du etwas Besonderes vor, Fee,« fragte sie nach einem Blicke in das nachdenkliche Antlitz der Nichte, »sonst setze dich mit deiner Strickerei zu mir, es taugt nicht, mit schweren Gedanken müßig zu sein.«

»Du hast recht, Tante, aber schwere Gedanken beunruhigen mich gerade nicht, ich dachte nur darüber nach, daß unser Garten zum nächsten Frühling noch sehr vergrößert werden muß, damit er mehr Geld einbringt, es fehlt doch an allen Ecken und Enden. Ach Tante, der Kirchenbau wird immer weiter hinausgeschoben.«

»Gott sei Dank, sie denkt nicht mehr an die schreckliche Grace,« dachte Tante Luise befriedigt, und wirklich fiel während der Stunde, die Tante und Nichte plaudernd beisammen saßen, der Name des schönen Mädchens nicht ein einziges Mal.

Am nächsten Morgen ging Felicia mit doppeltem Eifer an ihren Unterricht, obgleich sie sich nicht verhehlen konnte, daß sie wirklich etwas unternommen hatte, was nicht leicht durchzuführen war. Nun für die schwarze Kinderschar der Reiz der Neuheit verflogen war, trat ihre eigentliche Natur wieder in ihre vollen Rechte. Einige waren zwar begabt, aber achtlos und unaufmerksam, andere begriffen nichts und mochten auch ihre natürliche Trägheit nicht überwinden, wieder andere, namentlich die zwölfjährige Nanny, fanden fortwährend Grund zur Heiterkeit und lachten über alles, was vorfiel und verleiteten durch ihr Beispiel auch andere dazu. Schon in den letzten Tagen hatte Felicia schwer mit ihrer Ungeduld und Heftigkeit gekämpft, der Stock, den sie hatte, um an der Wandtafel die Buchstaben zu zeigen, diente nicht mehr allein dazu, sondern gab ihrer Unzufriedenheit handgreiflichen Nachdruck. Heute hatte sie sich mit wahrer Engelsgeduld gewappnet, Grace sollte nicht triumphieren, sie wollte durchführen, was sie sich vorgenommen hatte und vorläufig versuchen, ihren schwarzen Zöglingen begreiflich zu machen, daß sie nicht mit ihnen spielen wollte, wie Nanny zu denken schien, sondern daß sie Ernst, Aufmerksamkeit und Pflichttreue von ihnen forderte.

An diesem Morgen schien sich indessen alles gegen sie verschworen zu haben; so unruhig und unaufmerksam waren die Kinder noch gar nicht gewesen, so hatte sich Nanny noch nie vor Lachen gewunden wie heute. Diese grundlose Heiterkeit war es hauptsächlich, die Felicias Zorn erregte, sie bezwang sich indessen mit Gewalt, redete Nanny freundlich zu und bemühte sich, sanftmütig und geduldig zu bleiben. Als aber eine Stunde verflossen war, ohne daß eine Änderung eintrat, riß ihr die Geduld, sie schlug über den Tisch nach Nanny und rief erregt: »Nun habe ich dein ewiges Lachen satt, du albernes Geschöpf. Gleich bist du still, sonst will ich dir einmal zeigen, was es heißt, ohne Grund zu lachen. Man sollte wirklich an deinem Verstande zweifeln. Sofort bist du ruhig oder –«

»Ich würde meine Reitpeitsche zu Hilfe nehmen,« ertönte plötzlich Graces spöttische Stimme, und aufsehend, gewahrte Felicia zu ihrem Schrecken, wie diese seitwärts an dem Schuppen lehnte und sie mit triumphierendem Lächeln ansah.

Noch nie meinte Felicia, habe sie sich so beschämt gefühlt wie in diesem Augenblicke, heiß errötend sah sie das junge Mädchen an, dann faßte sie sich, erhob sich und trat zu ihr: »Ich bedauere, daß du mich so gesehen hast, ich habe mich doch wieder hinreißen lassen und bin heftig geworden,« sagte sie freimütig. »Ich habe leider schwer mit diesem Fehler zu kämpfen, ich hoffe aber, ihn mit der Zeit immer mehr zu überwinden. Bitte, Grace, bemühe dich ins Haus zur Tante, ich bin noch nicht ganz fertig.«

»Danke, ich ziehe vor, hier zu bleiben und dem Unterricht beizuwohnen, ich verspreche mir viel Vergnügen davon.«

Fee errötete abermals. »Wie du willst,« entgegnete sie, »lauf, Nanny, hole einen Stuhl für Miß Martini.«

Nanny stürzte davon, und bald saß Grace auf dem schlichten Rohrstuhle, die glänzenden Augen auf Felicia gerichtet, ein belustigtes Lächeln um die rosigen Lippen und hörte aufmerksam zu. War es ihre Gegenwart, oder hatte Felicias Zorn Eindruck auf die Kinder gemacht, sie waren ruhiger, selbst Nanny lachte nicht mehr ganz so unbändig, und die besten ihrer Zöglinge gaben so gute Antworten, daß Felicia es sich nicht versagen konnte, einige Male triumphierend zu Grace hinüberzublicken. Die Aufmerksamkeit der Kinder hielt jedoch nicht lange an, und schnell, ehe sie wieder in Gefahr kam, die Geduld zu verlieren, schloß Felicia den Unterricht für heute.

Sie wartete, bis die Kinder davongelaufen waren, dann ging sie zu Grace und sagte etwas gezwungen: »Es ist sehr freundlich von dir, daß du gekommen bist.«

»Nicht wahr? das finde ich auch. Es ist sonst nicht gerade meine Art, Menschen nachzulaufen, die mir den Stuhl vor die Tür setzten. Was blieb mir aber übrig, du Starrkopf, du interessierst mich.«

Felicia runzelte die Stirn. »Das heißt, ich diene zu deiner Belustigung,« sagte sie grollend.

Grace lachte. »Scharfsinnig bist du, geliebtes Feenkind, du blickst mich aber an, als wolltest du auch gegen mich dein Stöcklein schwingen. Beruhige dich, es wird deinem sentimentalen deutschen Herzchen wohl tun, wenn ich dir sage, daß ich dich auf meine Weise liebgewonnen habe.«

»Auf deine Weise! Sagt das viel oder wenig?«

»Ungeheuer viel, mein Schatz, das wirst du selbst einsehen, wenn ich dir gestehe, daß ich außer meiner eigenen Person und meinem Papa keinen Menschen auf der Welt mit diesem Gefühl beehre.«

»O Grace, wie schrecklich! Du hast weiter keinen einzigen Menschen lieb? Wie unglücklich und unbefriedigt mußt du dich da fühlen!«

»Kommt schon wieder die sentimentale Deutsche zum Vorschein?«

»Weshalb spottest du stets über meine deutsche Gesinnung, da du doch selbst eine halbe Deutsche bist?«

»Davon habe ich nie etwas gemerkt, Pa ist vollständig Amerikaner geworden. Ich liebe mein Vaterland und werde nie etwas anderes sein wollen als sein getreues Kind.«

»Gott sei Dank, du bist doch patriotisch gesonnen, Grace, wie hübsch klangen deine Worte.«

»Und du? Weißt du wohl, Fee, daß du ein ungetreues Kind bist?«

»Nein, ich will gar nichts anderes sein als eine gute Deutsche, die ihrem Kaiser auch in der fernen Heimat treu bleibt und zeigen will, was deutsche Sitten und Gewohnheiten wert sind.«

»Bravo,« rief Grace und klatschte in die Hände, »schade, daß du ein Mädchen bist, Fairy, du hättest es als Mann sicher weit gebracht.«

Felicia lachte, legte einen Arm um Grace und sagte: »Komm ins Haus und nimm eine Erfrischung zu dir, freilich, solche Bequemlichkeit, wie du sie gewohnt bist, kann ich dir nicht bieten.«

»Schadet nicht, bei dir ist alles ebenso originell, wie du selbst bist, das macht mir gerade Spaß.«

Fee runzelte leicht die Stirn, es war ihr nicht angenehm, daß ihre Armut jemandem zur Belustigung diente, sie sah jedoch darüber hinweg, und Tante Luise erstaunte nicht wenig, als beide Mädchen, Arm in Arm, fröhlich plaudernd zu ihr ins Zimmer traten. Trotz ihres kühlen Willkommens entwickelte Grace eine solche Liebenswürdigkeit, daß bei Felicia aller Groll schwand, und sie von neuem ihrem Zauber unterlag.

»Sie ist eben anders als andere Menschen und grenzenlos verwöhnt, da muß man ihr manches zugute halten,« sagte sie später zu Tante Luise, »jedenfalls ist sie aufrichtig; sie würde nie anders sprechen, als wie sie es wirklich meint, das ist schon viel wert.«

Tante Luise schwieg, Grace war ihr zu unangenehm und zu unverständlich, als daß sie ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen konnte, ihr wäre es am liebsten gewesen, wenn ihre Freundschaft mit Felicia für alle Zeiten vorüber gewesen wäre.


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