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Fünfzehntes Kapitel: Will als junger Ehegatte.

Bei seiner Ankunft zu Hause fand Will einen zweiten Brief Fräulein Fredericis vor, worin sie auf seine Bitte hin den Hochzeitstag auf den 6. März 1866 festsetzte.

Die Trauung fand in der Heimat der Braut statt, und all die vielen Freunde und Bekannten, die ihr anwohnten, waren darüber einig, daß sich wohl kaum je ein hübscheres Paar Hymens Fesseln gebeugt habe.

Die Hochzeitsreise wurde auf einem Missouridampfer nach Leawenworth gemacht. Fahrten auf diesen äußerst elegant und bequem ausgestatteten Schiffen waren zu jener Zeit sehr in der Mode. Der Tisch war vorzüglich, und wenn nicht gerade partikularistische Feindseligkeiten das Leben auf Deck störten, so konnte ein Ausflug auf einem dieser Dampfer als ein großer Genuß betrachtet werden.

Bald jedoch mußte der junge Ehemann die Erfahrung machen, daß der Krieg seine düsteren Schatten überallhin wirft, und daß man selbst auf der Hochzeitsreise nicht von den verderblichen Einflüssen des Parteihasses verschont bleibt. Ein Teil der an Bord befindlichen Vergnügungsreisenden legte nämlich ein solch zweifelhaftes Interesse für das junge Paar an den Tag, daß sich Luise, um vor ihren Belästigungen sicher zu sein, bald in ihre Kajüte zurückzog. Nachdem sie sich entfernt hatte, begann Will ein Gespräch mit einem Herrn aus Indiana, der sich sehr artig gegen ihn benommen hatte, und fragte ihn, ob er vielleicht den Grund des ungezogenen Benehmens jener Leute kenne. Nach kurzem Zögern antwortete der Herr: »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Herr Cody, jene Leute sind Missourianer und behaupten, Sie als Angehörigen des ›Jennison-Jayhawker-Regiments‹ zu erkennen. Sie sind ein Feind der Südstaaten und folglich auch der ihrige.«

»Ich war allerdings während des Krieges Soldat und Kundschafter der Unionsarmee,« antwortete Will ruhig, »allein schon vor dieser Zeit hatte ich die Erfahrung gemacht, was man von den Südstätlern zu halten hat.« Er erzählte nun dem Herrn einige von den Vorfällen aus der Zeit der alten Grenzstreitigkeiten in Kansas, an denen er und sein Vater auf so hervorragende Weise beteiligt gewesen waren.

Auch am nächsten Tage setzten jene Leute ihr freches Betragen fort. Will wäre ihnen am liebsten sofort scharf entgegengetreten, seine Gattin aber bat ihn so dringend, es zu unterlassen, daß er ihrem Wunsche willfahrte.

Eines Nachmittags, als das Schiff, um Holz einzunehmen, an einem einsamen Landungsplatze anlegte, zeigten die Missourianer eine auffallende Erregung und beobachteten mit augenscheinlicher Spannung das Ufer.

Die Matrosen waren gerade beschäftigt, das Schiff am Lande zu verankern, als eine Schar bewaffneter Reiter aus dem Walde heraus auf den Landungsplatz zugesprengt kam. Da der Kapitän einen Angriff aufs Schiff vermutete, gab er eilig den Befehl, vom Ufer zu stoßen, zugleich rief er die aus Negern bestehende Schiffsmannschaft an Bord zurück. Nur zu gern kamen die Schwarzen, die schon ernstlich unter den Gewalttätigkeiten frecher Räuber zu leiden gehabt hatten, dem Befehle nach. Der Anführer der Bande ritt jetzt rasch heran und feuerte sein Gewehr ab, sobald er in Schußweite gelangt war. Dann schrie er: »Wo ist der Kansasjayhawker? Seinetwegen sind wir gekommen.« Ein anderer, der Will entdeckte, rief: »Wir kennen Sie wohl, Will Cody!« Die Angreifer kamen jedoch zu spät, denn schon dampfte das Schiff, rückwärts steuernd, vom Ufer fort, seine Laufplanke, die die Neger im Schrecken heraufzuziehen vergessen hatten, durchs Wasser nachschleppend. Als die Kerls sahen, daß ihre Pläne vereitelt und sie ihrer Beute beraubt waren, machten sie ihrer Enttäuschung in einem gellenden Wutgeschrei Luft. Aufs Geratewohl wurde noch eine Salve auf den sich zurückziehenden Dampfer abgefeuert, der jedoch bald außer Schußweite kam und seinen Weg stromaufwärts fortsetzte.

Will hatte sich aufs Schlimmste gefaßt gemacht. Den Revolver in der Hand, stand er auf der obersten Treppenstufe, entschlossen, den Feinden den Eingang zu wehren.

Außer ihm befanden sich noch etwa acht bis zehn Soldaten an Bord, von deren Anwesenheit Will jedoch nichts gewußt hatte, da sie Zivilkleidung trugen. Als sie aber von der Gefahr hörten, in der ihr Kamerad stand, gaben sie sich zu erkennen und machten sich zur Verteidigung des jungen Kundschafters bereit. Zum Glück wurde die Gefahr abgewendet, so daß man ihre Hilfe nicht in Anspruch zu nehmen brauchte. Der Rest der Fahrt verlief ohne weiteren Zwischenfall.

Später erst erfuhr man den näheren Zusammenhang dieses Überfalls. Kaum waren die Missourier des an Bord befindlichen Unionskundschafters ansichtig geworden, so hatten sie an zwei ihrer Kameraden telegraphiert und sie gebeten, ihnen einige Hilfsmannschaften an den abgelegenen Landungsplatz zu schicken, wo sie den jungen Soldaten einzufangen und fortzuschleppen gedachten. Will fürchtete, seine Frau werde durch das auf ihrer Hochzeitsreise erlebte Abenteuer etwas entmutigt sein. Allein der dem jungen Paare bei seiner Ankunft in Leawenworth bereitete schmeichelhafte Empfang war ganz dazu angetan, alle unangenehmen Zwischenfälle wieder gut zu machen. Luise konnte sich davon überzeugen, daß ihr Gatte, der in einer ihnen zu Ehren veranstalteten Gesellschaft als Löwe des Tages gefeiert wurde, in der Heimat eine große Anzahl von Freunden hatte.

Veranlaßt durch die Bitten seiner jungen Frau, das gefahrvolle Wanderleben aufzugeben, faßte Will den Gedanken, das von unserer Mutter einstens mit viel Erfolg betriebene Gasthaus zu übernehmen. Das Gebäude, das sie zu diesem Zwecke hatte erbauen lassen, war nach ihrem Tode an Doktor Crook, einen Arzt im siebenten Kansasregiment, verkauft worden und stand jetzt zu vermieten, ein Umstand, der bei der Wahl eines Berufes bestimmend auf Will einwirkte. Es war ihm ein wohltuender Gedanke, unter dem Dache zu wohnen, das der Mutter letzte Lebenstage beschirmt hatte, und nun sein junges Weib in der alten, trauten Umgebung schalten und walten zu sehen. So wurde Will also Gastwirt und forderte May und mich auf, zu ihm zu ziehen.

In Julias Heim war inzwischen ein kleiner Junge angekommen, den May so sehr lieb gewann, daß sie sich nicht zum Fortgehen entschließen konnte. Ich aber, aus deren Herzen der geliebte Bruder durch niemand zu verdrängen war, folgte voll Freuden dem Rufe.

Thoreau hat einmal ein sympathisches Bild eines Gastwirts entworfen, von dem es hieß, daß er seine Gastfreundschaft in gleichem Maße ausstrahlen lasse wie die Sonne ihre Wärme, also ohne auf Wiedervergeltung zu rechnen, und daß er die Menschen aus reiner Liebe zu den Geschöpfen füttere und beherberge. Aber selbst ein solch idealer Wirt muß, wenn er sein Geschäft lange fortbetreiben will, auf Verdienst bedacht sein und auf der einen Seite hereinzubringen suchen, was er auf der anderen austeilt. Auch Will ließ »seine Gastfreundschaft ausstrahlen«, und zwar in so hohem Maße, daß sich sein Ruf als Menschenfreund weit umher verbreitete und Reisende ohne Geld oft meilenweite Umwege machten, um in seiner Schenke abzusteigen. In geselliger Hinsicht war er ein tadelloser, in finanzieller dagegen ein ganz schlechter Wirt.

Zudem ist das Leben eines Gasthausbesitzers, trotz seiner mancherlei Annehmlichkeiten und der reichen Gelegenheit, seine Nächstenliebe zu betätigen, doch immerhin etwas prosaischer Natur. Oft konnten unsere Gäste einen zerstreuten Ausdruck in den Augen ihres Wirtes, dessen Gedanken draußen auf den großen Ebenen weilten, beobachten. Auch Luise entging dieser geistesabwesende Blick nicht, was sie, neben der Teilnahme, die sie für seine heimliche Sehnsucht empfand, veranlaßte, nach sechsmonatlichem Betrieb des Gasthauses einen Blick in die Geschäftsbücher zu werfen. Das Ergebnis war, daß sie halb lächelnd, halb weinend in die Wiederaufnahme seines Prärielebens willigte.

Will löste nun seinen Mietsvertrag und brachte seine Angelegenheiten in Ordnung. Nachdem alle Rechnungen bezahlt und Schwägerin Lu und ich in einer traulichen Wohnung in Leawenworth eingerichtet waren, stellte sich heraus, daß Will, in der großmütigen Sorge, uns für den Winter ein behagliches Heim zu schaffen, sich selbst fast gänzlich aufs Trockene gesetzt hatte. Sein Plan war jetzt, eine Frachtbeförderung auf eigene Rechnung zu übernehmen. Allein die Anschaffung eines Gespanns samt Wagen und die sonstige dazu erforderliche Ausrüstung bot in Anbetracht der wenigen Dollars, die ihm noch zur Verfügung standen, ein kaum zu besiegendes Hindernis.

Zum ersten Male standen ernste Enttäuschung und große Mutlosigkeit auf seinem Gesicht geschrieben, eine Entdeckung, die mich tief betrübte. Denn niemals hatte er mir einen Wunsch versagt, wenn dessen Erfüllung in seiner Macht lag, und nun war ich doch mit die Ursache, daß er sich nicht in besserer pekuniärer Lage befand. Da ich kaum sechzehn Jahre alt war, so konnte ich erst in zwei Jahren selbständig über mein Vermögen verfügen, und doch mußte sogleich etwas geschehen.

So entschloß ich mich denn, dem Rechtsanwalt Douglas meine Angelegenheit zu unterbreiten. Sicher würde er mir einen Rat zu geben vermögen, wie ich meinem Bruder helfen konnte. Wohl hatte ich selbst schon einen Plan entworfen, doch war ich überzeugt, daß Will nicht darauf eingehen würde.

Seitdem Douglas vor Jahren unseren ersten Prozeß gewonnen hatte, war er der Rechtsbeistand unserer Familie geblieben. Wir berieten nun die Sache hin und her, wobei Douglas mir sagte, daß ein gewisser Buckley, ein alter Bekannter unserer Familie, einen Frachtzug samt Gespann zu verkaufen habe. Das Fuhrwerk sei brauchbar und solid und entspreche wahrscheinlich vollständig Wills Wünschen. Ich sei zwar noch nicht mündig, wenn jedoch Buckley mich als Bürgen für die Kaufsumme annehmen wolle, so unterliege der Kauf keiner weiteren Schwierigkeit.

Buckley war sofort mit dem Vorschlag einverstanden und sagte, daß Will die ganze Ausrüstung gegen einen von mir unterzeichneten Schuldschein haben könne.

Nachdem dies geregelt war, handelte es sich darum, nun auch Frachtgüter für den Wagen zu finden. Da fiel mir ein zweiter alter Bekannter unserer Familie ein, namens M. E. Albright, ein Kolonialwarenhändler in Leawenworth. Ob er Will wohl eine Ladung Lebensmittel anvertrauen würde? Ja, er erklärte sich dazu bereit.

Nun alles glücklich geordnet war, eilte ich nach Hause, der letzten, aber durchaus nicht leichtesten Aufgabe entgegen – Will zur Annahme der ihm von seiner kleinen Schwester angebotenen Hilfe zu überreden – jener Schwester, die vor langer Zeit einmal seinen Beistand in einer Schuhangelegenheit in Anspruch genommen hatte.

Will aber blieb in der Tat nichts anderes übrig, als das Anerbieten anzunehmen, und eines schönen Tages fuhr er als selbständiger Frachtfuhrmann und bescheidener Konkurrent des Hauses Russell, Majors Waddell stolz und glücklich zum Städtchen hinaus.

Doch ach, wie selten bringen jene Geschäfte Glück, die man mit geliehenem Kapital gegründet hat! Meistens lassen sie ihre Unternehmer nicht nur mittellos, sondern auch noch mit Schulden behaftet zurück. Unser junger Grenzbewohner, der sein Leben so oft zum Schutze fremden Eigentums in die Schanze geschlagen hatte, war nicht im stande, sein eigenes Besitztum glücklich ans Ziel zu bringen. Der Wagen samt Pferden und Frachtgütern wurde von den Indianern abgefangen, und nur mit Mühe konnte ihr Besitzer sein eigenes Leben retten. Von einem sicheren Schlupfwinkel aus mußte er es mit ansehen, wie die Rothäute ihn bankerott machten. Es dauerte Jahre, bis er sich von diesem Schlage erholt hatte, und mehr als einmal sagte er, daß ihn die bei seiner ersten Geschäftsspekulation mit geliehenem Gelde gemachten Erfahrungen um Jahre gealtert haben.

Die dem Orte seines Mißgeschicks zunächst gelegene Station hieß Junction City. Dahin lenkte er seine Schritte in der Hoffnung, seiner traurigen Lage durch irgend eine Anstellung aufhelfen zu können. Oberst Hickok befand sich zufällig dort, und in der Wiedersehensfreude vergaß Will für kurze Zeit sein Ungemach. Zuerst wurde die Geschichte seiner Heirat sowie seine traurigen Erlebnisse als Wirt und Menschenfreund erzählt; dann folgte, nachdem Wills alter Gefährte auch noch in das Mißlingen seines neuesten Unternehmens eingeweiht worden war, die Frage: »Und nun, wissen Sie mir vielleicht irgend eine Beschäftigung, bei der Geld verdient werden kann?«

»Wohl weiß ich eine, wenn sie auch gerade keine Reichtümer einbringt,« antwortete der Wilde Bill. »Onkel Sam in Ellsworth hat mich nämlich auf Kundschaft hierhergeschickt, und da ich weiß, daß der Befehlshaber des hiesigen Forts noch mehr Kundschafter braucht, so kann ich Sie ihm als einen empfehlen, der seine Sache versteht.«

»Gut,« sagte Will, wie immer rasch von Entschluß, »ich werde Sie begleiten und um sofortige Anstellung bitten.«

Er war recht froh über Oberst Hickoks Empfehlung, die sich jedoch als überflüssig erwies, da Wills eigener Ruf ihm bereits vorangegangen war. Mit Vergnügen reihte ihn der Kommandant seinen Truppen ein. Das Gebiet, das Will auszukundschaften hatte, lag zwischen Fort Ellsworth und Fletcher, wo Will abwechslungsweise den Winter verbrachte.

In Fort Fletcher war es auch, wo Will im Frühling 1867 den kühnen General Custer kennen lernte, mit dem ihn bald warme Freundschaft verbinden sollte, die erst mit dem Tode des an der Spitze seiner tapferen Dreihundert gefallenen Generals ihr Ende fand.

Der Frühling dieses Jahres war sehr regnerisch, so daß ein am Ufer des Big Creek gelegenes kleines Fort derart von den Fluten überschwemmt wurde, daß die Besatzung es räumen mußte. In einiger Entfernung von diesem errichtete man nun an einem südlicher gelegenen Arm des Flusses ein neues Fort, das man Fort Hayes nannte.

Als Will eines Tages nach einem weiten Rekognoszierungsritt auf dem Heimweg begriffen war, bemerkte er aus verschiedenen Anzeichen, daß eine beträchtliche Anzahl Indianer in der Nähe sei. Sofort jagte er dem Fort zu, um die Nachricht zu melden, als eine weitere Entdeckung seinen raschen Lauf hemmte. Die Feinde befanden sich zwischen ihm und der Festung.

In diesem Augenblick tauchte eine Schar Reiter auf, und als Will sah, daß es Weiße waren, wartete er ihr Näherkommen ab. Die kleine Abteilung bestand aus General Custer und einer Bedeckung von zehn Mann, die sich auf dem Wege von Fort Ellsworth nach Fort Hayes befanden.

Will meldete dem General, daß der Weg von Indianern abgeschnitten und ein Entweichen nur durch eine rasche Umgehung möglich sei.

»Übernehmen Sie die Führung, Kundschafter, wir folgen Ihnen,« lautete der kurze Befehl.

Will wandte sein Pferd, gab ihm die Sporen und sauste wie der Sturmwind dahin, während die anderen dicht hinter ihm folgten. Sie alle waren genügend mit der Kriegführung der Indianer vertraut, um sich den Ernst ihrer Lage klar zu machen. Auf einem einen großen Bogen beschreibenden Pfade gelangten sie, ohne einen Indianer zu Gesicht bekommen zu haben, glücklich ins Fort, schlossen aber aus den Berichten anderer, daß sie nur mit knapper Not entkommen waren.

General Custer befand sich auf dem Wege nach dem von Hayes noch sechzig Meilen entfernten Fort Larned und brauchte einen Führer, wozu er ausdrücklich Will bestimmte, so zufrieden war er mit dem bereits von ihm geleisteten Dienste.

»Das ist eben der Mann, den auch ich Ihnen mitzugeben beabsichtigte, Herr General,« sagte der Kommandant, der den glühenden Wunsch der Indianer, des »gelben Haarschopfs«, wie sie Custer nannten, habhaft zu werden, wohl kannte. »Cody weiß in dieser Gegend Bescheid wie in seiner Tasche. Er ist mit allen Indianerschlichen vertraut und niemals um einen Ausweg verlegen.«

Vor Tagesgrauen wurde abgeritten, und zwar mit der Absicht, die sechzig Meilen noch vor Anbruch der Nacht zurückzulegen. Will saß auf einem mausfarbenen Maultier, an dem er sehr hing und in das er großes Vertrauen setzte. Custers Blick jedoch ruhte verächtlich auf dem ärmlichen Streitroß.

»Glauben Sie denn, Cody, daß dieses Maultier in einem Tage den Ritt nach Larned machen kann?« fragte er.

»Wenn Sie in Larned einreiten, Herr General,« erwiderte Will lächelnd, »werden das Maultier und ich ganz sicher an Ihrer Seite sein.«

Custer entgegnete nun nichts weiter, das Tempo aber, das er anschlug, war beredt genug, und das mausfarbene Maultier mußte mit verdoppelter Dampfkraft arbeiten, um mit den übrigen Schritt zu halten. Aber auch für die Pferde, die nicht die zähe Ausdauer des Maultiers hatten, war es eine mörderische Gangart. Will bedauerte fast, das arme Tier geritten zu haben, und fragte sich eben, ob er es wohl zu noch größerer Eile antreiben solle, als er, einen Blick auf General Custer werfend, einen spöttischen Ausdruck in dessen Augen zu entdecken glaubte. Es war klar, er wollte Will das Zugeständnis eines Irrtums abzwingen, Will aber streichelte nur liebevoll sein mausgraues Maultier.

Weitere fünfzehn Meilen wurden zurückgelegt. Custers Vollblutpferd befand sich noch immer in vortrefflicher Verfassung, aber auch das Maultier jagte unentwegt weiter und sah aus, als ob es überhaupt keine Ermüdung kenne.

»Können Sie Ihr Pferd noch etwas stärker antreiben, Herr General?« fragte Will mit heimlicher Bosheit.

»Wenn Ihr Maultier es aushält, warum nicht? Reiten Sie nur voran,« lautete die Antwort.

Zu des Generals Überraschung übernahm Meister Langohr tatsächlich die Führung, und als die Gesellschaft auf hügeliges Terrain kam und das Fortkommen beschwerlicher wurde, schlug er eine Gangart an, die dem Vollblutpferd des Generals ernstlich zu schaffen machte.

Wieder lagen fünfzehn Meilen hinter ihnen, und nun wurde Mittagsrast gehalten. Die Pferde bedurften dringend der Ruhepause, das mausfarbene Maultier aber sah noch immer höchst unternehmend aus.

»Nun, was halten der Herr General von meinem Maultier?« fragte Will, als sie sich von neuem auf den Weg machten. Custer lachte.

»Hübsch ist es ja nicht, aber es scheint seine Sache zu verstehen, ebenso wie sein Reiter. Sie sind ein famoser Führer, Cody. Bei Ihnen könnte man auch glauben, Sie folgten wie die Indianer mehr Ihrem Instinkt, als den Wegen und Grenzsteinen.«

Ein Lob aus diesem Munde war dem jungen Kundschafter von größerem Wert, als das irgend eines anderen Offiziers.

Mit dem Glockenschlage vier Uhr trabte das Maultier, triumphierend mit den Ohren nickend, in Fort Larned ein. In einiger Entfernung hinter ihm ritt Custer auf seinem gänzlich ermüdeten Vollblut, während die Geleitsmannschaft wohl eine Meile weit zurück auf dem Wege verstreut daherkam.

»Cody,« sagte der General lachend, »Ihr bewunderungswürdiger Vierfüßler sieht bei Gott aus, als wäre er sofort wieder zum Rückweg bereit. Unsere Pferde sind gründlich abgehetzt, wir haben aber auch einen raschen, famosen Ritt hinter uns. Schnurgerade, ohne Umwege und ohne Zögern brachten Sie uns quer durchs Land; solche Dienste lasse ich mir gefallen. Wenn Sie Arbeit brauchen, wenden Sie sich nur stets an mich, ich werde dafür sorgen, daß man Ihnen Beschäftigung gibt.«

Custer beabsichtigte, einige Zeit in Fort Larned zu bleiben, Will aber, der wußte, daß man in Fort Hayes seiner bedurfte, gönnte sich nur eine kurze Rast zum Abendessen, ehe er sich zur Rückkehr auf den Weg machte.

Als sich die Nacht herniedersenkte, beobachtete er die größte Vorsicht, denn schon auf dem Herwege hatte er Custer auf verschiedene Anzeichen aufmerksam gemacht, aus denen man auf die Nähe einer kleinen berittenen Schar Indianer schließen mußte.

Plötzlich blitzte in der Ferne ein Licht auf, allein noch ehe Will sein Maultier anhalten konnte, war es wieder verschwunden. Er ritt nun einige Schritte zurück, und da tauchte auch das Licht wieder auf. Allem nach drang der Schein aus einem schmalen Hohlweg. Die Sache mußte untersucht werden. Will stieg ab, band sein Maultier fest und machte sich in der Richtung des Lichtes auf den Weg.

Nachdem er eine halbe Stunde zurückgelegt hatte, befand er sich zwischen zwei Sandhügeln. Vor ihm lag eine Höhle, in der eine ziemlich beträchtliche Anzahl Indianer um ein Feuer lagerte, dessen Schein er gefolgt war. In einiger Entfernung befanden sich die Ponies.

Wills Lage war etwas kritisch, da die Indianer ohne Zweifel eine Wache aufgestellt hatten. Dennoch hielt er es für seine Pflicht, sich eine möglichst genaue Kenntnis von der Anzahl der versammelten Rothäute zu verschaffen. Er, der es in heimlichen Schlichen jedem Indianer gleich tat, näherte sich mehr und mehr dem Lager, als plötzlich ein unerwarteter Ton durch die Luft klang – und zwar nicht etwa der eines Schusses, sondern der melodische Schrei seines Maultiers.

Selbst bei Tage in friedlich-schöner Umgebung berührt die Stimme eines Maultiers noch unangenehmer, als der sicherlich nichts weniger als bezaubernde Klang eines Dudelsacks. Bei Nacht aber und in der Wildnis, wenn jeder Nerv angespannt ist, wirkt dieser Klang geradezu niederschmetternd.

Auch Will war natürlich erschrocken zusammengefahren, der Indianer aber bemächtigte sich sofort die entsetzlichste Verwirrung. Sie erstickten das Lagerfeuer und sammelten sich zur Verteidigung, als plötzlich eine Rothaut, kaum zehn Schritt von Will entfernt, hinter einem Felsen hervorsprang, dann aber im Nu wieder verschwand.

Der Kundschafter behielt seine Stellung bei, bis er die ungefähre Zahl der Feinde festgestellt hatte, dann lief er zu seinem Maultier zurück, dessen wiederholte, anscheinend Protest einlegende Rufe ihn sicher führten.

Als er in die Nähe des Tieres kam, sah er, daß zwei berittene Indianer es festhielten und zum Mitgehen zu bewegen versuchten. Das Maultier aber weigerte sich, den alten Traditionen und seinem Rufe getreu, hartnäckig, ein Bein zu rühren.

Das Bild war höchst drollig, Will sagte sich jedoch, daß vom Possenspiel zum Drama nur ein Schritt sei. Ein Schuß streckte einen der Indianer nieder, während der andere in der Dunkelheit verschwand. Wieder ließ das Maultier seine Stimme ertönen, diesmal aber klang sie wie ein Triumphgeschrei, als sich Will, mit einem von dem verwundeten Indianer abgeschossenen Pfeil im Rockärmel, in den Sattel schwang. Den Pfeilschuß des armen Wichtes ungerächt lassend, ritt er in den Wald hinein, während ringsumher das Geschrei der ihn verfolgenden Indianer an sein Ohr schlug.

»Höre, mein mausfarbener Freund,« sagte Will, »wenn du diesen Wettlauf gewinnst, so sollst du in Zukunft den Namen Custer tragen.«

Es war, als ob das Maultier die Worte verstände, jedenfalls vollbrachte es seinen Auftrag, indem es die Flüchtigkeit des Renners mit der Ausdauer des Büffels vereinigte. Bald gaben die Indianer auch die Verfolgung auf, da sie ihr Wild nicht mehr sehen konnten.

Früh am Morgen langte Will in Fort Hayes an, wo er die glückliche Ankunft Custers und die Entdeckung der etwa zweihundert Mann starken Indianerabteilung zur Meldung brachte. Das Maultier erhielt eine »lobende Erwähnung« in Wills Bericht und wurde zum Vollblutmaultier befördert.

Der Oberst war eben im Begriff, Truppen gegen die Indianer abzuschicken, und fragte Will, ob er sie, wenn er sich genügend ausgeruht habe, als Führer begleiten wolle. Lächelnd fügte er hinzu: »Sie können ja Ihr Maultier reiten, wenn es Ihnen Spaß macht.«

»Nein, Herr Oberst, ich danke,« antwortete Will lachend. »Bei einer Jagd auf Indianer ist ein Tier, das eine Blechmusik bei sich führt, nicht wohl angebracht.«

Rittmeister Georg A. Armes vom zehnten Reiterregiment sollte das Detachement, bei dem sich eine Abteilung Negerkavallerie und eine Anzahl Geschütze befanden, befehligen. Als sich das Kommando eben zum Abmarsch formierte, kam ein Bote auf schaumbedecktem Pferde mit der Nachricht, daß die an der Kansas-Pazifik-Eisenbahn angestellten Arbeiter von Indianern überfallen, sechs Weiße getötet und über hundert Pferde und Maulesel, sowie eine große Menge Vorräte geraubt worden seien.

Eilig ritt die Schar von dannen. Besonders die schwarzen Burschen lechzten nach einem Kampfe mit den Rothäuten, während Rittmeister Armes mehr als geneigt war, ihren Rachedurst zu befriedigen.

Bei Anbruch der Nacht schlugen die Truppen ein Lager in der Nähe des Saline River auf, da man die Indianer in dieser Gegend vermutete. Noch vor Morgengrauen saßen sie dann wieder im Sattel und machten ohne Rücksicht auf die vorhandenen Pfade einen weiten Rekognoszierungsritt durchs Land.

Wills Vermutung wurde auch diesmal durch die Entdeckung eines großen feindlichen Lagers am gegenüberliegenden Flußufer bestätigt. Allein auch die Rothäute hatten die Weißen sofort bemerkt, und da jene den Soldaten an Zahl bei weitem überlegen und noch dazu durch ihren kürzlichen siegreichen Ausfall sehr ermutigt waren, so warteten sie den Angriff nicht ab, sondern rückten über den Fluß herüber ihren Feinden entgegen.

Immerhin aber waren sie noch fast eine Meile entfernt, so daß Rittmeister Armes Zeit blieb, die Geschütze auf einer kleinen Bodenerhebung aufzustellen. Zwanzig Mann wurden zu ihrer Bedienung zurückgelassen, die anderen ritten zum Kampfe vor.

Es sollte eben der Angriff vor sich gehen, da ließ sich plötzlich ein wildes Geschrei im Rücken vernehmen, und ein rascher Blick belehrte den Rittmeister, daß ihm der Rückzug zu den Geschützen durch eine zweite Schar Rothäute abgeschnitten sei, er sich also zwischen zwei feindlichen Abteilungen befinde. Der einzige Weg, der ihm offen blieb, war, den entgegenrückenden Feind zurückzuwerfen. Gelang ihm dies und flohen seine schwarzen Schützen nicht vor der überwältigenden Überzahl, so hoffte er seine Streitkräfte durch einen zweiten Angriff wieder zu vereinigen.

Heulend und schreiend kamen die Rothäute mit ihrem gewohnten Ungestüm dahergejagt, wurden aber von den disziplinierten Truppen mit einem solch verheerenden Feuer empfangen, daß sie sich in wilder Unordnung zurückzogen. In diesem Augenblick eröffneten auch die Geschütze ihr Feuer. Die Wirkung auf die Kinder der Prärie war geradezu magisch – ja fast lächerlich. Eine wilde, sinnlose Flucht folgte.

»Mir nach!« rief Rittmeister Armes und galoppierte zur Verfolgung vor. Allein in ihrem Übereifer, bei dem jeder der erste in der Hetzjagd sein wollte, gerieten die Truppen in solche Unordnung, daß sie durch ein Hornsignal zurückgerufen werden mußten, ehe dem fliehenden Feinde irgend ein weiterer Schaden hatte zugefügt werden können. Trotzdem setzten die Indianer ihre Flucht fort; der Schrecken war gar zu groß gewesen!

Rittmeister Armes ärgerte sich zwar darüber, daß gar keine Gefangenen gemacht worden waren, tröstete sich aber damit, daß er fast alle kürzlich gestohlenen Pferde zurückbringen konnte. Man fand sie nämlich beim Lager am jenseitigen Flußufer, wo die Indianer sie auf ihrer Flucht zurückgelassen hatten, angepfählt.

Kurze Zeit nach diesem Kriegszuge beteiligte sich Will bei Ländereispekulationen. Auf einem seiner Kundschaftsritte nach Fort Harker kam er auch nach Ellsworth, eine nur drei Meilen vom Fort entfernte Ansiedlung. Dort lernte er einen Mann namens Rose kennen, der mit der Kansaseisenbahn einen Vertrag über den Erwerb von größeren Ländereien in der Nähe des Forts Hayes abgeschlossen hatte. Er beabsichtigte dort eine Stadt anzulegen, brauchte jedoch einen Teilhaber zu dem Unternehmen.

Die Lage des Platzes war günstig. Der Big Creek befand sich in nächster Nähe, auch bot das nahe Fort den Ansiedlern genügende Sicherheit gegen Indianerüberfülle. Will leuchtete deshalb das Unternehmen sehr ein. Außer dem Geld, das er jeden Monat nach Hause sandte, hatte er eine kleine Summe beiseite gelegt, und diese steckte er nun in das Teilgeschäft mit Rose.

Der Platz, wohin die Stadt kommen sollte, wurde vermessen und in einzelne Bauplätze eingeteilt; hierauf errichtete man ein Gebäude, versah es mit Waren, wie man sie in den Grenzgebieten braucht, und verlieh dem aufkeimenden Ort den klassischen Namen »Rom«.

Um Ansiedler anzuziehen, wurde jedem, der sich verpflichtete, ein Haus zu errichten, ein Bauplatz unentgeltlich angewiesen, wobei die Eigentümer des Bodens selbstverständlich die günstigsten Plätze für sich in Beschlag nahmen.

So wuchs Rom mit schwindelhafter Schnelligkeit. Ehe sechzig Tage verflossen waren, standen bereits zweihundert Hütten. Rose und Will schüttelten sich erfreut die Hände und rühmten gegenseitig ihre Klugheit und Geschäftskenntnis. Bald würden sie ja Millionäre sein. Aber ach, sie waren nur »Wickelkinder«!

Eines Tages ließ sich ein Doktor W. E. Webb in Rom nieder. Er war ein Mann von vielversprechendem Äußern, so daß sich die Inhaber der Firma Rose & Cody bei seinem Eintritt in ihr Geschäftslokal auf große Bestellungen an Waren gefaßt machten. Doktor Webb aber kaufte keine Spezereien. Zuerst plauderte er ein Weilchen über das Wetter und das rasche Aufblühen Roms, dann machte er Anspielungen, wie notwendig die Firma einen dritten Teilhaber brauche. Das war jedoch das letzte, was die scharfsichtigen Zukunftsmillionäre wünschten, und so wurde der gute Rat ihres Besuchers höflich, aber bestimmt zurückgewiesen.

Doktor Webb war jedoch nicht der Mann, der es bei einem Rat bewenden ließ. Er sagte, er sei im Begriff, Städte für die Kansas-Pazifikbahn anzulegen. Da sich indes Rom in bestem Aufschwung befinde, so wolle er nicht hindernd dazwischen treten, doch müsse mit Rücksicht auf die Eisenbahngesellschaft auch auf ein gutes Äußere der betreffenden Städte gesehen werden.

Weder Rose noch Will hatten eine Ahnung von der Macht einer großen Genossenschaft, wie die der Pazifik-Eisenbahngesellschaft. Befriedigt, daß sie in dieser Gegend die einzig gute Lage für eine Stadt für sich in Anspruch genommen hatten, erklärten sie, die Eisenbahngesellschaft müsse sich eben mit ihrer Stadt, so wie sie sei, zufrieden geben.

Doktor Webb lächelte freundlich, aber fast mitleidig. »Dann seien Sie nur auf Ihrer Hut,« sagte er beim Abschied.

Bald darauf legte er in nächster Nähe von Rom eine neue Stadt an. Den Einwohnern Roms wurde zu verstehen gegeben, daß man die Verkaufsmagazine für die Eisenbahn auf die neue Ansiedlung bauen werde, und daß diese ohne Zweifel einmal die Hauptstadt von Kansas zu werden verspreche.

Die Folge war, daß Rom eine Wüste wurde. Seine Einwohner flüchteten sich in die neue Stadt, und in Rose und Will begannen ernstliche Zweifel an ihrer Klugheit und Geschäftsgewandtheit aufzusteigen.

Noch ehe Will für seine Familie in Rom hatte ein Haus erbauen können, war im kleinen Leawenworther Heim große Freude durch die Geburt einer kleinen Tochter, der der Vater den Namen Arta gab, eingezogen. Da Will indes vor Ablauf einiger Monate unmöglich nach Hause zurückkehren konnte, so wurde der Entschluß gefaßt, daß die Mutter, das kleine Kind und ich bei Luises Eltern in St. Louis einen Besuch abstatten sollten. Die Reise wurde glücklich überstanden, und während die Großeltern an der Kleinen ihr Entzücken hatten, erfreute ich mich zum ersten Male am Anblick einer großen Stadt.

Während dann Rom im Aufblühen begriffen war und großen Erfolg versprach, holte Will Gattin und Kind aus St. Louis, um sie in das nun fertiggestellte, behaglich eingerichtete kleine Haus zu führen. Ich dagegen kehrte nach Leawenworth zurück.

Nach dem Falle Roms aber war die kleine Behausung nicht mehr jener ideale Aufenthaltsort, den sich Will in seiner Phantasie ausgemalt hatte, und als dann Rom immer mehr in sein Nichts zurücksank, kehrte die kleine Familie nach St. Louis zurück.

* * *


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