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Das in Fort McPherson liegende fünfte Reiterregiment war nach Arizona verlegt und durch das unter General Reynolds Befehl stehende dritte Reiterregiment ersetzt worden. Sofort nach seiner Rückkehr ins Fort McPherson mußte Will sich auf einen Kundschaftsritt begeben, um den Aufenthaltsort der Indianer zu erforschen, die während seiner Abwesenheit einen Einfall ins Fort gemacht und eine beträchtliche Anzahl Pferde mit fortgeschleppt hatten. Hauptmann Meinhard und Leutnant Lawson befehligten die zur Wiedereintreibung des gestohlenen Eigentums ausgeschickte Kompanie. Will, dem zu seiner Unterstützung der Kundschafter T. B. Omohundro, Texas Jack genannt, beigegeben war, begleitete sie.
Bald fand Will die gesuchten Indianerspuren und ritt nun mit sechs Mann voraus, um das Lager der Rothäute auszukundschaften. Kaum hatten sie eine kurze Strecke zurückgelegt, so bekamen sie einen Trupp Indianer zu Gesicht, die ihre Pferde weiden ließen. Sie waren ihrer dreizehn – eine unglückliche Zahl – und Will fürchtete, von ihnen entdeckt zu werden, wenn sie jetzt zu ihrer Truppenabteilung zurückzukehren versuchten. Er fragte deshalb seine Gefährten, ob sie bereit seien, ihm zu folgen, wohin er sie auch führe, und da dies einstimmig bejaht wurde, ritten sie vorsichtig auf den Lagerplatz der Indianer zu.
Im gegebenen Augenblick stürzten sich die sieben auf die nichtsahnenden Indianer, die sofort nach ihren Pferden sprangen und sich zum Kampfe aufstellten. Auf das Knallen der Flinten aber kam Hauptmann Meinhard schleunigst herbei, und als die Indianer die anrückenden Verstärkungen sahen, ergriffen sie eiligst die Flucht. Sechs von ihnen blieben tot auf dem Platze und fast sämtliche gestohlenen Pferde wurden wieder eingebracht. Ein Soldat war tot, und Will erhielt bei diesem Gefecht eine seiner wenigen Verwundungen.
Nun aber wurde der vielseitig verwendete Präriebewohner wieder einmal in eine neue Rolle gedrängt. Als er im Herbst 1872 von einem langen Kundschaftsritt zurückkehrte, erfuhr er, daß er von seinen Freunden zum Kandidaten für die gesetzgebende Körperschaft des Nebraskadistrikts aufgestellt worden sei. Er hatte niemals daran gedacht, sich der Politik zu widmen und hegte leicht erklärliche Zweifel in seine Befähigung zum Gesetzgeber. Obwohl er durchaus keine Wahlumtriebe machte, so wurde er dennoch mit schmeichelhafter Stimmenmehrheit gewählt. Damit kam ihm nun das Recht zu, seinem Namen das Wörtchen »Honorable« vorzusetzen, das später durch »Oberst« verdrängt wurde, ein Titel, den er sich in der Nebraskaer Nationalgarde erwarb, und der, wie er sagte, viel besser seinen Leistungen entspreche.
Will fand ungleich seinem Vater keinen Geschmack an Politik oder politischen Ehren. Ich erinnere mich einer meinen Bruder trefflich charakterisierenden Antwort, die er einigen Freunden gab, als sie ihn zu überreden suchten, den politischen Kampfplatz zu betreten. »Nein,« sagte er, »die Politik geht über meinen Verstand. In jedem offenen, ehrlichen Kampfe glaube ich meinen Mann stellen zu können, in der Politik aber erscheint mir alles häßlich und heimtückisch. Ich danke euch, meine Freunde, allein ich muß mich entschieden weigern, diesen Pfad zu betreten, der auf jedem Quadratzoll mehr dorniges Gestrüpp aufweist als irgend einer, dem ich auf der Prärie gefolgt bin.«
Mittlerweile hatte Ned Buntline einen kühnen Plan gefaßt. Wills elegante Erscheinung auf dem New Yorker Theater war ihm nicht aus dem Sinn gekommen, und immer mehr hatte sich ihm die Überzeugung aufgedrängt, daß der Kundschafter sich ein großes Vermögen erwerben könnte, wenn er sich zur Schauspielerlaufbahn entschließen würde. Buntline beabsichtigte, ein Stück mit dem Titel: »Der Präriekundschafter« zu schreiben, worin Will die Hauptrolle übernehmen und als Stern erster Größe glänzen sollte. Als Hauptköder führte er Will gegenüber an, daß das Stück eine Reihe von Szenen aus dem Grenzleben bringen und dem Publikum nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zur Belehrung dienen solle.
Zuerst wurde der Köder nur angeknabbert, schließlich aber doch verschluckt, wenn auch unter der Bedingung, daß der Wilde Bill und Texas Jack sich als Mitspieler gewinnen ließen. Will telegraphierte seinen beiden Freunden, daß er ihrer Hilfe in einer wichtigen Angelegenheit bedürfe und in Chicago mit ihnen zusammentreffen wollen. Hätte er nur eine leise Anspielung über die Art dieser »wichtigen Angelegenheit« gemacht, so wäre natürlich keiner von ihnen erschienen, das wußte er wohl. So aber war er überzeugt, daß sie seinem Rufe folgen würden; das übrige wollte er Ned Buntlines Überredungskünsten, die sehr stark entwickelt waren, überlassen.
Wie erwartet, erschienen der Wilde Bill und Texas Jack in Chicago, und eines Morgens begab sich das Trio ins Palmerhouse zu einer Zusammenkunft mit Ned Buntline. Kaum vermochte der Schriftsteller bei ihrem Anblick sein Entzücken zu bemeistern. Alle drei Kundschafter hatten ein auffallend schönes, stattliches Äußere, und wenn sie auch ohne Zweifel noch mancher Unterweisung in der Schauspielkunst bedurften, so würde ihre Unerfahrenheit durch ihren Ruf und ihre persönliche Erscheinung sicher reichlich aufgewogen. Außerdem sollten ja eine Menge Szenen aufgeführt werden, die einstens grausame Wirklichkeit für sie gewesen waren.
»Nun hört mir ruhig zu, Freunde,« begann Will, nachdem sie sich gesetzt hatten. »Was meinen Sie, Buntline,« fuhr er fort, nachdem er vergeblich nach einer diplomatischen Einleitung gesucht hatte, »wäre es nicht besser, Sie erklärten ihnen unser Vorhaben?«
Voll Begeisterung setzte Buntline ihnen nun seine Pläne auseinander, jedoch ohne den geringsten Widerhall beim Wilden Bill sowohl als bei Texas Jack zu erwecken, die im Gegenteil aussahen, als wollten sie jeden Augenblick nach ihren Sombreros greifen und nach den Grenzlanden auskneifen. Will aber gab nun den Ausschlag.
»Bedenkt doch, wir können uns dabei ein Vermögen erwerben,« sagte er. »Versucht es doch wenigstens eine Zeitlang.«
Das Endergebnis einer langen Beratung war, daß die Kundschafter, wenn auch höchst widerwillig, ihre Zustimmung zu dem gefürchteten Wagnis gaben. Will stellte dabei noch eine weitere Bedingung, bevor auch er endgültig einwilligte.
»Für den Fall, daß die Indianer Spektakel machen,« sagte er, »muß uns ein Urlaub versprochen werden, damit wir sie wieder zur Ruhe bringen können.«
»Einverstanden, Jungens,« antwortete Buntline. »Das soll in den Kontrakt aufgenommen werden. Und wenn ihr zum Kampfe gegen die Rothäute ins Heer zurückberufen werdet, so begleite ich euch.«
Diese Antwort hob den Schriftsteller wieder beträchtlich in der Achtung der Kundschafter. Innerhalb vier Stunden hatte Buntlinie das Schauspiel geschrieben – die meisten Verfasser von Theaterstücken nehmen sich doch wenigstens eine Woche Zeit dazu – und nun erhielten die Schauspieler ihre Rollen. Buntline engagierte weitere Kräfte zur Unterstützung der drei ersten Größen, worauf die Aufführung des Stückes an allen Straßenecken angekündigt wurde.
Als der verhängnisvolle erste Abend hereinbrach, wußte keiner der Kundschafter auch nur noch eine Zeile der vorher gut auswendig gelernten Rolle, dafür aber hatte sich aller das Lampenfieber in seinen verschiedensten Stadien bemächtigt. Buntline war vorsichtig genug gewesen, sie auf eine solche Möglichkeit vorzubereiten; sie aber hatten sich trotzdem nicht vorzustellen vermocht, in was für einen Zustand erbärmlicher Angst ein Mann angesichts einiger hundert harmloser, einem Theatervorhang gegenübersitzender Menschen kommen kann. Auch die Mitteilung, daß oft sogar erprobte Schauspieler ebensogut von jener beklemmenden Angst gepackt werden als junge Anfänger – was tatsächlich der Fall ist – hätte ihnen keine Erleichterung gebracht. Alle drei erklärten, lieber eine Schar kriegsmäßig bemalter Indianer vor sich zu haben oder eine Herde fliehender Büffel aufzuhalten, als sich den friedlich dreinschauenden Zuschauern gegenüber zu stellen, die darauf warteten, die dramatischen Anstrengungen der Kunstnovizen zu kritisieren.
Wie die meisten Dilettanten bestanden sie darauf, durch die im Vorhang angebrachten Gucklöcher zu schauen, wodurch sich ihre Aufregung noch mehr steigerte. Wenn Buntline nicht so überzeugend auf sie eingeredet und sie daran erinnert hätte, daß auch er in diesem Stück mitspiele, so wären sie wohl heimlich aus der Hintertüre des Theaters entschlüpft, um sich ein Eisenbahnbillett nach dem fernen Westen zu lösen.
Bald ging der Vorhang in die Höhe, und ermunterndes Beifallklatschen begrüßte die drei zitternden, ganz in Leder gekleideten hohen Gestalten, die ihre erste Verbeugung vor dem Publikum machten.
Ich sagte bereits, daß Will keinen Satz mehr von seiner aufs sorgfältigste auswendig gelernten Rolle wußte, und dabei blieb es, auch als der Augenblick kam, wo er das Wort ergreifen sollte. »Ich muß ihn entschieden erst etwas zu sich kommen lassen,« dachte Buntline, der sich mit ihm auf der Bühne befand. Und so fragte er ihn in nachlässigem Tone: »Na, Bill, was hast du in letzter Zeit getrieben?«
Diese Frage brachte den Präriekundschafter auf eine Idee. Bei einem flüchtigen Blick über die Zuschauer war ihm in einer der Logen ein reicher Herr Namens Milligan ins Auge gefallen, den er einst bei einer großen Jagd in der Gegend von McPherson als Führer begleitet hatte. In den Chicagoer Blättern war diese Jagd damals ausführlich beschrieben worden, so daß jedermann die Einzelheiten kannte.
»Ich habe Milligan auf eine Jagd begleitet,« antwortete Will und weckte damit sofort das Interesse des Hauses. Milligan war eine beliebte Persönlichkeit Chicagos, hatte jedoch wegen des ihm von den Indianern eingejagten Schreckens endlose Scherze und Neckereien zu ertragen gehabt. Das Gelächter und die Beifallsrufe, womit dieser Ausspruch begrüßt wurde, brachten dem Kundschafter wieder etwas mehr Selbstvertrauen bei, aber was hilft Selbstvertrauen, wenn man seine Rolle vergessen hat! Allmählich gewann der mitspielende Dichter die Überzeugung, daß er an Stelle des aufzuführenden Stückes rasch ein anderes aus dem Stegreif vorbereiten müsse.
»Erzähle mir etwas darüber, Bill,« sagte er, und ein leises Brummen des Souffleurs ließ sich vernehmen.
Ein Hauptvergnügen in den Grenzgebieten bildet das Geschichtenerzählen. Wer als tapferer und gewandter Präriebewohner einen gewissen Rang einnimmt, ist gewöhnlich auch ein guter Erzähler. Will wurde es sofort leichter zu Mute, und in behaglichem Tone beschrieb er, seiner Erinnerung folgend, Milligans Jagderlebnisse. Daß die Geschichte unterhaltend war, bewies das häufige Beifallklatschen. Von dem löblichen Wunsche durchdrungen, das Stück in Gang zu bringen, rief der Souffleur wieder und wieder Will den Anfang seiner Rolle zu, aber auch dies half nichts.
Dieses Zwiegespräch muß wirklich höchst drollig und einzig in seiner Art gewesen sein. Weder Texas Jack noch der Wilde Bill wurden hierdurch in die Lage versetzt, während des ersten Aktes auch nur ein einziges Wort ihrer Rolle sagen zu müssen. Bei den später folgenden Indianerkämpfen dagegen, da ernteten auch sie großen Beifall, denn diese mußten ja nicht mühsam vorher auswendig gelernt werden. Mit erstaunlicher Gewandtheit wurden die nachgemachten Rothäute niedergeworfen.
In finanzieller Hinsicht war der Erfolg des Abends so glänzend, als man ihn sich nur wünschen konnte, in künstlerischer – nun, da hatte die Kritik Grund genug, sich über den armen Schauspieldichter lustig zu machen. Die Berufskünstler hatten ihre Rollen anständig durchgeführt, und mit den Kundschaftern waren die Kritiker bewunderungswürdig nachsichtig verfahren. Sie wußten freilich nicht, daß die Hauptpersonen des Stücks ihre eigenen Worte zum besten gegeben hatten, und so wurde über den armen Buntline die ganze Schale ihres Spottes ausgeschüttet.
Das Sprichwort aber sagt, wer da viel hat, dem wird noch gegeben. Mehrere Theaterdirektoren boten sich an, die Schauspieltruppe übernehmen zu wollen, während andere als Teilhaber einzutreten wünschten. Ned Buntline aber nahm den ihm von der Kritik gebotenen bitteren Trank mit lächelndem Gleichmut auf, denn »wer zuletzt lacht, lacht am besten«.
Bald hatten die Kundschafter ihr Lampenfieber überwunden, konnten ihre Rollen behalten und trugen ihr reichliches Teil nicht nur zum finanziellen, sondern auch zum künstlerischen Erfolge der Aufführung bei. Von Chicago begab sich die Gesellschaft nach St. Louis, dann nach Cincinnati und anderen großen Städten, wo sie überall vor vollen Häusern spielte.
Als die Theatersaison in Boston ihr Ende erreicht und Will seine Vorbereitungen zur Rückkehr nach Nebraska getroffen hatte, stellte sich ihm ein Engländer namens Medley mit der Bitte vor, ihn als Führer auf einem großen Jagd- und Forschungszuge durch den Westen zu begleiten. Die angebotene Bezahlung war glänzend – tausend Dollars im Monat, sowie Ersatz aller Unkosten – und so nahm Will das Anerbieten an. Den Sommer verbrachte er somit in seinem alten Berufe und im darauffolgenden Winter setzte er seine Rundreisen als dramatische Größe fort. Der Wilde Bill und Texas Jack willigten auch diesmal wieder ein, dem Beispiel ihres Freundes zu folgen. Ersterem aber ging bei dieser zweiten Spielzeit bald die Geduld aus, so daß er versuchte, seinen für die Saison unterzeichneten Kontrakt zu lösen. Natürlich weigerte sich der Direktor, ihn freizugeben, der Wilde Bill aber gedachte einen Gewaltakt vorzunehmen, dem zufolge die Gesellschaft nur zu froh sein würde, ihn loszuwerden.
Eines Abends führte er seinen Plan aus, indem er seine blinden Patronen so nahe an den auf der Bühne liegenden toten Indianern vorbei abschoß, daß die erschrockenen Schauspieler mit noch wahrheitsgetreuerem Geschrei wieder zum Leben erwachten, als jenes gewesen war, das ihren Tod begleitet hatte. Dies ging nun über den im Textbuch von ihm verlangten Eifer hinaus, und so sehr das Publikum sich auch an dem Vorfall ergötzte, so trug er dem Wilden Bill doch die Mißbilligung der Direktion ein.
Will wurde abgeschickt, um den tollen Indianerbezwinger zur Rede zu stellen. Der Wilde Bill aber antwortete ruhig, daß er die Burschen ja nicht im geringsten verletzt habe, und verfuhr bei jeder folgenden Vorstellung in gleich hitziger Weise.
Nun wurde zu ernsteren Maßregeln gegriffen. Man sagte ihm, daß er es entweder unterlassen müsse, auf bereits getötete Indianer zu schießen, oder aus der Gesellschaft auszuscheiden habe. Das war nun aber gerade Wasser auf seine Mühle, denn er nahm sofort seinen Abschied. Als sich der Vorhang zur nächsten Aufführung hob, machte er sich das Vergnügen, als Zuschauer dem Stücke anzuwohnen.
Will konnte die Gefühle seines Freundes sehr wohl begreifen. Da er sich nun aber einmal zum Spielen verpflichtet hatte, so tat er sein möglichstes, auch den abtrünnigen Schauspieler zur Gesellschaft zurückzuführen. Alles Zureden aber war vergebens; der Kontrakt wurde gelöst, und der Wilde Bill kehrte auf seine geliebte Prärie zurück.
Während des nächsten Winters bewerkstelligte Will den Umzug seiner Familie nach Rochester und organisierte eine Theatergesellschaft auf eigene Rechnung. Da jedoch das Bühnenleben zu viel des Erkünstelten und Gemachten mit sich bringt, als daß sich ein an die rauhe Wirklichkeit gewöhnter Mann dabei auf die Dauer wohl fühlen könnte, so versuchte Will diesem Übelstand dadurch so viel als möglich abzuhelfen, daß er seiner Gesellschaft eine Schar wirklicher Indianer einverleibte. Der Winter 1875 auf 1876 begann glänzend; die Gesellschaft spielte in den verschiedenen Städten stets vor ausverkauften Häusern, und Will hatte großen finanziellen Erfolg.
Eines Abends im April – die Saison neigte sich bereits stark ihrem Ende zu – wurde Will, als er sich eben auf die Bühne begeben wollte, ein Telegramm eingehändigt. Es war von seiner Frau, die ihn nach Rochester ans Krankenbett seines einzigen Sohnes rief. Nach einer Beratung mit dem Theaterdirektor wurde beschlossen, daß Will nach Schluß des ersten Aktes sein Spiel unterbrechen solle, um noch rechtzeitig den Zug zu erreichen.
Dieser erste Akt war eine schwere Aufgabe für den armen Vater, obwohl die Zuschauer keine Ahnung hatten, in welch zitternder Angst das Herz des Schauspielers schlug. Gerade noch zur rechten Zeit erreichte Will den Zug, während der Direktor, John Burke, ein erfahrener Schauspieler, Wills Rolle zu Ende führte.
Traurig war auch die Fahrt nach Rochester, da der bedauernswerte Vater von den düstersten Ahnungen gequält und von den Erinnerungen an die mancherlei Gefahren, denen das nun bedrohte, so kostbare kleine Leben schon ausgesetzt gewesen war, heimgesucht wurde.
Kit war ein reizendes Kind mit auffallend schönen Gesichtszügen und lockigen Haaren. Seine Mutter steckte ihn zudem in die hübschesten Kleider, und diese Vereinigung von Natur und Kunst hatte Zigeuner verlockt, ihn im vergangenen Sommer mit sich zu nehmen. Kit aber war der echte Sohn eines Kundschafters und hatte scharfe Augen. Er merkte sich den von den Zigeunern eingeschlagenen Weg, kniff ihnen bei der ersten Gelegenheit aus und kehrte glücklich wieder in die Arme seiner halbverzweifelten Eltern zurück. Trotz Wills tiefer Besorgnis flog ein Lächeln über seine Züge, als er an jenen Winter dachte, wo sein kleiner Sohn regelmäßiger Besucher des Theaters war. Der kleine Kerl wußte sehr gut, daß bei einer Theatervorstellung, vom Gesichtspunkt des Direktoriums aus betrachtet, ein volles Haus die Hauptsache ist. Voll Aufregung beobachtete er deshalb die sich allmählich füllenden Sitze, und als der Vorhang in die Höhe ging und sein Vater auf der Bühne erschien, hielt er seine Händchen in Form einer Trompete an den Mund und schrie aus seiner Loge: »Volles Haus, Papa!« Natürlich wurde dieses kleine Vorspiel zwischen Vater und Sohn, das sich noch manchmal wiederholte, vom Publikum aufs heiterste begrüßt. Erst nachdem der kleine Mann seine Pflicht erfüllt zu haben glaubte, machte er es sich auf seinem Stuhl bequem und genoß mit ungeteiltem Interesse das Spiel.
Als Will nach Rochester kam, fand er seinen Sohn zwar noch am Leben, die Ärzte aber hatten die Hoffnung, ihn zu retten, bereits aufgegeben. Er glühte im Fieber, war jedoch bei Besinnung und schlang freudig die Ärmchen um seines Vaters Nacken. Den nächsten Tag bis in die Nacht hinein steigerte sich die Krankheit, bis das Ende herankam, das Will in tiefen Schmerz versetzte. Er hatte große Hoffnungen auf seinen Sohn gebaut, und in einem Atemzug waren sie alle zu nichte gemacht worden. Die aus Wills Kinderzeit herüberreichenden Erinnerungen an die Prophezeiung der Wahrsagerin hatte nach der Geburt seines Sohnes eine Wendung genommen. Wer weiß, vielleicht war es Kit beschieden, einmal Präsident der Vereinigten Staaten zu werden! Nun aber waren Furcht und Hoffnung zugleich entschwunden, all die stolzen Träume in nichts zerronnen!
Am 24. April 1876 wurde der kleine Kit auf dem Kirchhof von Mount Hope begraben. Er ist nicht tot, er schläft nur, nicht verloren, sondern vorangegangen. Der großen Schar der Vollendeten im Reiche der Seligen hat er sich zugesellt. Er ist dahingeschieden, um meiner Mutter in der noch unerfüllten Aufgabe beizustehen, die Augen desjenigen, der sie und diesen kleinen Erdenbürger so heiß hienieden liebte, himmelwärts zu ziehen.
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