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Kaum hatte die Sonne einen geringen Theil ihrer Himmelsbahn durchlaufen, als die Gräfin d'Almata in Begleitung ihrer Duena schon ihre Wohnung verließ um zum zweiten Male das Mägdehaus zu besuchen. In ihren Augen glänzte die reinste Freude; seit sie selbst aus ihrer langjährigen, gefühllosen Trauer erwacht war, erschien ihr alles in der Welt wieder schön und freundlich. Ihr Gemahl erblickte in ihrer Heiterkeit eine Quelle des Trostes, des Genusses; er war so gütig und zärtlich gegen sie, bewies ihr ein wirklich grenzenloses Vertrauen und sie war überzeugt, daß ferner kein Argwohn mehr in seinem Herzen wohnte! Sie konnte also die Kleine besuchen ohne fürchten zu müssen, daß das Auge eines Spähers sie verfolge.
Die Duena klopfte.
Ohne Zweifel hatte die Mutter der Schließerin besondere Befehle gegeben, denn als diese sah wer draußen wartete, riß sie die Thür weit auf, und sprach erfreut mit heiterer Gefälligkeit:
– Willkommen, willkommen, Gräfin d'Almata! Eure unterthänige Dienerin. – Geruht näher zu treten, Gräfin; ich werde unsere Frau Mutter augenblicklich rufen.
Die frische Maid schloß die Thür wieder zu und eilte dann schnell wie ein Reh nach dem Hintergebäude. Einige Augenblicke später erschien die Mutter mit der hölzernen Clara.
Als das Kind in das Sprachzimmer trat und die Gräfin bemerkte, eilte es auf sie zu und küßte ihr die Hand.
Ein Zittern durchlief die Adern der Gräfin, doch sie bezwang sich und mit Wollust blickte sie sprachlos in des Kindes blaue Augen. Sie auch hatte Clara's Händchen gefaßt und streichelte ihr mit der andern Hand vertraulich Stirn und Schulter. Der unbestimmte und seltsame Blick der Gräfin erzeugte in dem Kinde ein unbegreifliches Gefühl; das Lächeln verschwand von seinen Lippen und fragend, als wenn es eine Erklärung erwartet hätte, blickte es der Senora in die Augen. Es schien zu sagen:
– Ich bin von jedermann geliebt und bevorzugt, aber Ihr liebt mich anders. Wie kommt das? Und warum wünsche ich so sehnlich stets bei Euch zu sein?
Die Gräfin schien die stumme Frage der Waise zu verstehen:
– Du armes Kind! seufzte sie traurig.
Die Mutter hatte alle Gemüthsbewegungen, die sich auf dem Angesicht der Edelfrau abspiegelten, aufmerksam verfolgt und sie erkannte leicht etwas Gezwungenes, was in ihrem Zustande herrschte, während weder sie noch Clara etwas zu sagen wußten.
– Gräfin, wandte sie sich daher an die Senora, laßt uns in das Zimmer gehen, wo die Clavecimbel steht. Ihr sollt hören wie Clara spielen kann. Ach es ist eine köstliche Perle von einem Kinde; Schwester Cathelyne im Falconskloster hat sie in der Musik unterrichtet und sie spielt so schön, daß man Tage lang ohne zu essen oder zu trinken dasitzen und ihr zuhören könnte.
Zwischen der Gräfin und Clara mußte bereits ein Band der Liebe und des Vertrauens entstanden sein, und ohne Zweifel trieb ein geheimes Gefühl das Kind an in dieser reichen und mächtigen Frau mehr als eine bloße Beschützerin zu erblicken, denn als die Mutter sprach: »laßt uns in das andere Zimmer gehen« hatte die Kleine die Senora bereits bei der Hand ergriffen, als wenn sie ihre Mutter gewesen. Diese Bewegung, wie einfach auch, ließ die Augen der Gräfin in Freude und Stolz erglänzen und sie führte Clara an der Hand, wie sie es mit ihrem eigenen Kinde gethan haben würde.
In dem Zimmer, wo die Clavecimbel stand, bot man der Gräfin einen Sessel an; die Duena setzte sich neben der Mutter auf einen Stuhl und Clara stellte sich vor das Instrument.
– Nun, sprach die Mutter, sing das Lied: »Mit Freude wollen wir singen,« das hat ein so schönes Vorspiel.
Clara begann. Sie mußte für die Musik ungemein empfänglich sein; schon beim Anfang des Spieles schien sie von Begeisterung ergriffen zu sein. Während ihre Fingerchen auf den Tasten dahin liefen, lachte ihr Mündchen den süßen Tönen entgegen oder eine leichte Falte auf ihrer Stirn zeigte an, daß sie eine tiefere Saite berührt hatte.
Voll Bewunderung dieses zugleich prächtigen und bezaubernden Spieles, von einem Regen harmonischer Töne überladen, blickten die drei Frauen unverwandt auf die begeisterte Maid, die plötzlich den schlanken Hals emporrichtete, das blaue Auge zum Himmel wandte und unter Begleitung der Clavecimbel folgendes Lied sang:
Met vruechden willen wi singen
Ende loven die Triniteit,
Dat si ons wil bringhen
Ter eeuwgher salicheit,
Die eeuwelijc sal dueren,
Eeuwelijc sonder verghanck.
Och mocht ons dat ghebueren;
Och, eeuwelijc is so lanck!
Die bliscap is sonder eynde
Daer boven in Hemelrijck,
Die wi daer sullen vinden
En heeft egheen gelijck.
Daer is dat godlijk wesen,
Het scenct ons goeden dranck,
Also wi horen lesen,
Och eeuwelijc is so lanck!
Die heylighen alle gader
Sy maken grote feest,
Sy loven God den Vader,
Den Soon, den heylighen Gheest.
Die goeden sullen scheyden
End singhen der engelen sanck
Tot eeuwelicken tijde
Och eeuwelijc is so lanck!
Maria, moeder ons Heeren,
Sij is van ons verblijt,
Wanneer wi ons bekeeren
In deser allendigher tijt.
Maria, maghet reyne
ô, Edel Wijngaertranck,
Bidt voer ons int ghemeyne.
Och, eeuwelijc is so lanck!
Auch dieses Lied ist ein altvlämischer Kirchengesang, der stark an die gleichzeitige deutsche Poesie, die Poesie eines Moscherosch erinnert. Wir lassen hier die Uebersetzung in Prosa folgen:
Mit Freude wollen wir singen und loben die Dreieinigkeit, die uns wird bringen zur ewigen Seligkeit, die ewig währen soll, ewig ohne Ende. O möchte sie uns zu Theil werden, ach, ewig währt so lang!
Endlos ist die Freude, die wir oben im Himmelreich finden sollen; sie hat nicht ihres Gleichen. Dort schenkt das göttliche Wesen uns einen guten Trank, während wir Horen lesen, ach, ewig währt so lang!
Die Heiligen allesammt, die haben großes Fest, sie loben Gott den Vater, den Sohn, den heiligen Geist. Die Guten singen der Engel Gesang in alle Ewigkeit. Ach, ewig währt so lang!
Maria, die Mutter unseres Herrn, ist über uns erfreut, wenn wir uns bekehren in dieser elenden Zeit. Maria, reine Jungfrau, du edler Weinestrank, bitt' für uns ins Gesammt. Ach, ewig währt so lang! D. Ueb.
Fußnote aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re. für Gutenberg
So lange die Stimme der singenden Maid in perlengleichen Tönen das Ohr der Frauen erfüllte, so lange hatte weder die Mutter noch die Duena einen Blick von dem Kinde abgewandt. Als aber Clara ihren Gesang beendet hatte, da blickten beide nach der Gräfin hin als wenn sie sagen wollten:
– Ist dies nicht himmlisch schön, nicht wahr?
Die Gräfin indessen saß da mit gesenktem Haupte und ein Strom stiller Thränen rollte in ihren Schoos!
Clara, die dies nun auch bemerkte, stieß einen lauten Schrei aus und eilte auf die Senora zu. Sie betrachtete sie mit seltsamem Blick, fing dann gleichfalls an zu weinen, legte ihr Köpfchen auf das Knie der Gräfin als glaubte sie dadurch ihr Herz von dem trüben Mitgefühl zu entlasten.
Die Senora hob alsbald das Kind in die Höhe, schloß es in ihre Arme und benetzte seine Stirn mit ihren Thränen. Keine Klage, kein Seufzer entschlüpfte weder dem Kinde noch der Frau.
Diese Scene war so feierlich und so rührend, daß die Duena ihre Gebieterin ehrfurchtsvoll betrachtete und nicht zu sprechen wagte; was die Mutter betrifft, so war sie nun überzeugt, daß sie sich in ihrer ersten Vermuthung nicht getäuscht hatte. Sie fühlte was im Herzen der Senora jetzt vorging und mühsam bekämpfte sie das Mitleid, was sich bei ihr in Thränen Luft zu machen suchte; allein Pflichtgefühl und ein gewisser Edelmuth halfen ihr ihr Erstaunen zu bezwingen und gaben ihr selbst Kraft zu heucheln als wenn sie die Ursache dessen nicht zu errathen vermöchte, was hier geschah.
Nach einigen Augenblicken erwachte die Gräfin aus ihrer Selbstvergessenheit. Die Stille, die sie umgab, überraschte sie, sie hob das Haupt empor und sah die Augen der Mutter prüfend auf sich gerichtet. Sie begriff wie sehr sie sich bloßgestellt hatte und suchte, wenn auch nur scheinbar, sich zu beruhigen. Sie trocknete zu wiederholten Malen die Thränen aus ihren Augen und liebkoste das Kind um ihre fortdauernde Rührung zu verbergen. Als sie endlich wieder zu sich selbst gekommen war, küßte sie Clara und sprach mit scheinbarer Kaltblütigkeit:
– Deine Stimme, liebes Kind, hat mich ganz verwirrt ... Du bezauberst förmlich durch deinen schönen Gesang.
Das Kind jedoch fuhr fort zu weinen und antwortete schluchzend:
– Ja, es ist gut, nun singe ich auch nicht wieder ... im ganzen Leben nicht mehr.
– Warum denn, Kind?
– Ja, weil es Euch weinen macht ... Und gewiß singe ich nicht mehr, weder vor Euch, noch vor anderen ... denn ich bin mit mir selbst böse, daß ich Euch betrübt habe. Ich bin sehr unglücklich, daß ich singen kann.
Die Worte des Kindes waren gewiß nicht geeignet die Senora zu beruhigen. Sie unterdrückte die hervorbrechenden Thränen, denn noch war der aufmerksame Blick der Mutter auf sie gerichtet. Die Gräfin nahm das Kind liebevoll auf ihren Schoos und sprach schmeichelnd:
– Liebe Clara, es ist nicht darum, mein Kind; es sind Freudenthränen, die ich vergieße. Hast du denn nicht geweint, mein Kind, als du zum ersten Male ein schönes Lied hörtest?
– Wenn Schwester Cathelyne und Meister Huygens unter Begleitung der Clavecymbel zusammen singen, antwortete das Kind ganz betrübt, dann weine ich immer, Edelfrau; aber es ist doch so nicht.
– Ja wohl, mein Kind, es ist das Gefühl der Seele was in der Harmonie der Musik verschwimmt.
– Ja, die Seele verschwimmt; das Herz bebt ... aber ich will doch nicht mehr singen ... daß ich Euch betrübte das macht mich sicher krank und thut mir so weh, so weh!
– Armes Kind! weißt du was du thun mußt um mich zu trösten? Du mußt fröhlich sein und das Weinen lassen. Ein Lächeln deiner Lippen wird mich schnell wieder fröhlich machen.
Clara hob das Köpfchen empor und zeigte der Senora ein noch ganz von Thränen benetztes Gesicht, auf welchem jedoch auch gleichzeitig ein süßes und bezauberndes Lächeln erglänzte. Dieser Beweis der Liebe und einer himmlischen Herzensgüte des Kindes rührte die Gräfin so sehr, daß sie einen Augenblick ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckte und dann das Kind wiederum mit Uebertreibung küßte.
Die Mutter fühlte, daß ihre Gegenwart der Gräfin peinlich sein müsse. Sie war edel genug ihre Neugierde zu bemeistern und darum verließ sie mit folgenden Worten das Zimmer:
– Edelfrau, ich muß nach meinen Mädchen sehen, denn es ist keine kleine Sache so viele Waisen in Ordnung zu halten. Bleibt indessen, wenn es Euch gefällt, ruhig hier mit Clara: niemand wird Euch stören. Ich werde schnell wiederkommen ...
– Senora, sprach die Duena, als die Mutter das Zimmer verlassen, auf Spanisch zur Gräfin, sollte diese Frau nichts vermuthen? Ich glaube im Gegentheil, daß sie alles errathen hat.
– Es ist wohl möglich, Ines, antwortete die Edelfrau ohne Schrecken; indessen fürchte ich nichts. Sie liebt das Kind vielleicht so sehr als ich; sollte sie ihm also etwas thun können was ihm Schaden brächte?
– Die Zunge einer Frau, Senora, wird zuweilen wider Willen zum Verräther.
– Ach Gott! Ines, betrübe mich nicht; laß mich die Seligkeit genießen.
– Ich schweige, Senora; genießt immerhin Euer Glück: es ist bezahlt ...
Als die Mutter eine halbe Stunde später zurückkehrte, sprang Clara von dem Schooße der Gräfin, und eilte ihr entgegen um ihr ein Buch zu zeigen.
– Ach, Frau Mutter, jauchzte das Kind fröhlich, seht nur dieses schöne Gebetbuch mit goldnem Schloß und den vielen Bilderchen! Meister Jan van den Rozier, der Euch conterfeite, hat Blumen von Silber und Lasur hinein gezeichnet. Ach Gott, wie bin ich froh! Und morgen bekomme ich ein Liederbuch! Und ich habe auch noch Perlenschnuren in meiner Tasche ... ach seht nur ... sie sind selbst zu schön für ein Königskind!
Die Gräfin war von ihrem Sessel aufgestanden und schickte sich an das Mägdehaus zu verlassen. Sie ergriff die Hand der Mutter und drückte sie freundlich:
– Ich bin Euch sehr verpflichtet. Wenn ich etwas thun kann um Euch meine Dankbarkeit zu beweisen, so wendet Euch an mich, meine Wohnung ist Euch zu jeder Stunde geöffnet. Laßt mich Euch nützlich werden – und ich werde Euch dafür noch dankbar sein.
– Ihr seid zu gütig, Gräfin. Eure geehrte Freundschaft ist für mich eine schöne Belohnung. Verfügt über mich, betretet unser Haus wenn es Euch gefällt: Alles soll Euch zu Diensten stehen.
– Auf morgen also, gute Mutter. Wenn ich Euch einst gern sprechen möchte, würdet Ihr dann wohl die Güte haben einmal zu mir zu kommen?
– Gewiß, edle Frau; zu viel Ehre.
Clara stand da ganz betrübt und schien große Lust zum Weinen zu haben.
– Auf morgen also, kleine Nachtigall! sprach die Senora.
– Bleibt Ihr nicht hier? seufzte das Kind.
– Ich komme morgen wieder – und dann bringe ich dir ein schönes Liederbuch. Komm, küsse mich noch einmal und vergiß deine Freundin nicht.
– Nein, nein, ich werde auch diese Nacht wieder so fröhlich von Euch träumen.
– Du hast von mir geträumt? fragte die Gräfin verwundert. Und was träumte dir denn, liebes Kind?
– Ach, es war so schön! Ich träumte Ihr wäret meine Mutter, ich ruhte in Eurem Bette in Euren Armen, Ihr küßtet mich ...
– Auf morgen, auf morgen! rief die Gräfin mit gepreßter Stimme.
Sie ergriff die Hand der Duena und zog sie fort auf die Straße als wenn sie einer drohenden Gefahr hätte entfliehen wollen.