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V.

Bereits waren vierzehn Tage verflossen seit die Gräfin d'Almata der Mutter des Mägdehauses ihr Geheimnis anvertraut hatte. Jeden Morgen und zuweilen selbst auch während des Nachmittags besuchte sie das Kind und blieb dann mit Zuthun der Mutter regelmäßig zwei bis drei Stunden mit ihm allein, es liebkosend und in höfischen Sprüchen und edeln Manieren unterrichtend. Sie hatte selbst angefangen Clara die spanische Sprache zu lehren. In jener Zeit nämlich mußte man, wollte man nicht für ungebildet gelten, dieser fremden Sprache mächtig sein; und da die Senora alles aufbieten wollte um Clara so viel als möglich über ihren Stand als Waisenmädchen zu erheben, so war es natürlich, daß ihre erste Sorge bei Ausbildung des Kindes sich diesem Punkte zuwandte.

Clara, deren Naturel für die Liebe so empfänglich war, hing mit grenzenloser Zärtlichkeit an ihrer Beschützerin und ihre süßen Worte und unschuldigen Liebkosungen, bezaubernd genug um selbst ein fremdes Herz zu gewinnen, hatten einen solchen Eindruck auf das Gemüth der Gräfin gemacht, daß diese die ganze Welt vergaß um nur an ihr engelgleiches Kind zu denken.

Freilich gefiel es dem Grafen d'Almata nicht sonderlich, daß seine Gemahlin unter dem unwahrscheinlichen Vorwande in der Mutter des Waisenhauses eine alte Schulfreundin wiedergefunden zu haben, deren Gesellschaft ihr besonders angenehm sei, Tage lang außer dem Hause verkehrte. Der Argwohn war um so gewaltiger in seinem Herzen wach geworden, da er sich nun aufs neue von der Gräfin fast ganz vergessen und vernachlässigt sah; allein er war entschlossen seinem Worte treu zu bleiben und wie sehr das Betragen der Senora ihn auch betrübte oder peinigte, so ließ er sie dennoch nicht beobachten, zeigte auch durchaus kein Verlangen mehr zu wissen als die Gräfin selbst ihm sagte. In seinem Busen häufte sich dagegen der Zorn und der Verdacht, und sicher mußte der Sturm furchtbar werden, wenn er sich einmal Luft machen sollte.

Da veränderte eine Nachricht aus Spanien plötzlich die Lage der Dinge. Ein Ohm des Grafen d'Almata war gestorben und hatte ihn zum Erben aller seiner Güter eingesetzt. Diese Güter bestanden aus einem großen Theile des Gebietes des Fleckens Rota, im fruchtbaren Andalusien, zahlreichen Häusern in der Stadt Xeres-de-la-Frontera und aus vielen schönen Seeschiffen, die von Cadix aus nach der neuen Welt fuhren.

Die Reichthümer, die auf diese Weise den Besitz des Grafen d'Almata vermehrten, waren fast unschätzbar, und um nicht einen Theil einer so weitläufigen Erbschaft einzubüßen, konnte er nicht umhin in aller Eile nach Spanien zurückzukehren. Er betrachtete dies als einen glücklichen Umstand um seine Gemahlin ohne Widerstand zur Abreise zu bewegen. Als er der Gräfin die Abreise nach Spanien ankündigte, bemerkte er wohl, daß eine tödtliche Blässe ihr Antlitz überflog, und später sah er sie mit roth geweinten Augen, allein er stellte sich als wenn er diese Trauer keiner verborgenen Ursache zuschriebe. Die Gewißheit, daß er sich mit der Gräfin jetzt von dem unbekannten Gegenstande entferne, der sie an die Niederlande gefesselt hielt, genügte ihm.

Am Abend vor dem zur Abreise nach Spanien bestimmten Tage saßen die Senora und die Duena schweigend in dem Zimmer der Gräfin. Beide hatten seit langem kein Wort mehr gesprochen und schienen mit Ungeduld oder Furcht auf etwas zu warten. Dann und wann überflog ein fast unerklärliches Lächeln der Freude das Antlitz der Senora, doch dieses Lächeln verschwand schnell wieder unter dem leblosen Ausdrucke der Vergessenheit und Träumerei.

Auf dem Gesicht der Duena spiegelte sich hingegen ein gewisser muthloser Trübsinn.

Als die Thurmuhr ebenfalls Elf schlug, richteten sich beide Frauen gleichzeitig empor und blickten nach der Thür des Zimmers, denn draußen hörte man die Dielen der Flur unter den Schritten eines Mannes ächzen.

– Himmel, er ist noch nicht zu Bett gegangen! seufzte die Edelfrau.

Der Graf d'Almata trat in das Zimmer, warf einen fragenden Blick auf die beiden Frauen und sprach:

– Noch auf, Catalina? Warum noch nicht zu Bett, da wir doch morgen eine langwierige und beschwerliche Reise unternehmen müssen? Ihr seid traurig, ich weiß es; allein Ihr müßt doch vernünftig sein und Euch der Nothwendigkeit unterwerfen.

– Wir gedachten augenblicklich zu Bett zu gehen, Calisto, antwortete die Senora indem sie aufstand und ein Licht ergriff.

– Ich weiß nicht, bemerkte der Graf, allein es ist doch sonderbar, daß heute jedermann im Hause das Bett zu fliehen scheint. Da ist Domingo – der gewöhnlich schon um neun Uhr schläft und schnarcht – heute weiß er allerhand Vorwände zu ersinnen und fast bis Mitternacht zu wachen. Alles ist doch seit heute Morgen zur Reise bereit.

Auf diese Bemerkung antwortete die Senora nicht; sie schien eine längere Unterhaltung mit dem Grafen vermeiden zu wollen.

– Wohlan, Calisto, sprach sie, die Hand auf den Thürdrücker ihres Schlafzimmers legend, ich will mich beeilen Eurem Rathe zu folgen und schlafen, wenn dies möglich ist. Man verläßt sein Vaterland nicht ohne Trauer – wenn man nicht weiß ob man es einst wiedersehen wird.

– Ihr sollt es wiedersehen, Catalina. Um Gottes willen, überlaßt Euch doch nicht so allem was Euch traurig stimmen kann. – Nun schlaft wohl, auf morgen.

– Auf morgen, Calisto.

Der Graf verließ das Zimmer und begab sich nach seinem Schlafgemach, was an der andern Seite des Hauses gegen den Hof hin gelegen war. Die Senora trat in Begleitung der Duena in ihr Schlafcabinet.

Hier nahmen beide Frauen einander gegenüber Platz ohne daß sie indessen die Absicht, sich zur Ruhe zu begeben, hätten blicken lassen.

Nachdem sie einen Augenblick aufmerksam selbst auf das geringste Geräusch gelauscht hatte, sprach die Gräfin mit gedämpfter Stimme:

– Ach, Ines, wenn Domingo uns verrathen hätte! Wenn er unser Vorhaben seinem Herrn entdeckt haben sollte!

– Er wird es nicht thun, Senora.

– Bist du dessen so gewiß, Ines?

– Ich habe ihm versprochen ihm bei unserer Ankunft in Madrid meine schöne Antonieta zur Frau zu geben. Für diesen Preis wäre er im Stande mit bloßen Füßen über glühendes Eisen hinweg zu laufen. Fürchtet nichts von ihm.

– Habe Dank, Ines, dies mildert meine Angst: ich zitterte vor Verrath, denn der Graf besah uns so mißtrauisch und sein Blick drang so tief in mein Auge.

– Ich glaube nicht, edle Frau, daß er etwas argwöhnt. Es ist sein gewöhnliches und leider gegründetes und gerechtfertigtes Mißtrauen. Aber ich ersuche Euch, ich flehe Euch an, edle Frau, hört noch einmal meine Warnung bevor Ihr Euren gefährlichen Entschluß ausführt und verzeiht mir, wenn ich Euch abermals mißfallen sollte.

– Sprich, Ines, sage was du willst, du Gute, aber, um meines Grames willen, peinige mich nicht allzusehr.

– Senora, Euer Vorhaben ist ein solches, wobei Ihr Euer eigenes Leben wie das meinige und, was mehr ist, auch Eure Ehre als Frau auf das Spiel setzet; denn wer könnte Euch rechtfertigen, wenn die blutige und scheinbar gerechte Rache Eures Gemahls Euer Geheimnis mit uns beiden begräbt?

– Habe Mitleid, Ines, es ist vergebens.

– Mich kümmert die Sache wenig, Senora; ich habe Muth genug und habe zudem mehr als einmal die Spitze eines Dolches gesehen; aber Ihr, Senora, sollt mir wenigstens das Zeugnis geben, daß ich, die ich mich aus Liebe und Dankbarkeit zu Eurer Sklavin weihete, diesen unvorsichtigen, diesen wahnsinnigen Schritt nicht gebilligt habe. Ich habe Euch abgerathen, nicht wahr?

– Ja, ja, Ines.

– Mit Thränen, mit Beredtsamkeit, mit Zorn selbst, nicht wahr?

– Ja! Ich mache dich ja auch für nichts verantwortlich, Liebe.

– Und Ihr beharrt also bei Eurem ersten Entschlusse? Ihr wollt um eines höchstens halbstündigen Genusses willen Euer Leben, Eure Ehre gefährden?

– Du sprichst fast leichtsinnig darüber, Ines. Du willst mich also der letzten Seligkeit berauben, die mir vielleicht auf Erden noch gegönnt ist? Morgen kehren wir nach Spanien zurück. Wer weiß ob wir die Niederlande jemals wiedersehen werden? Ich soll meine Clara verlassen ohne daß das Wort Mutter aus ihrem Munde in mein Ohr geklungen? Ohne daß sie weiß warum ich sie anbete? Ich soll wie eine Fremde von ihr gehen, die sie mit Gleichgiltigkeit ihrem Loose als Dienstmagd überläßt? Nein, nein, das kann nicht sein. Ja, ich weiß, Ines, daß du Recht hast, daß ich thöricht, daß ich wahnsinnig bin; allein ich würde es vergebens versuchen gegen das Gefühl anzukämpfen, was mich fortreißt. Es muß sein!

– Ich hätte vieles gegen Eure Rede einzuwenden, Senora: ich weiß jedoch, daß dies nutzlos sein würde. Wohlan, es sei: fürchtet keine Einwendungen mehr von mir; was auch daraus entstehen möge, ich werde Euch gehorchen. – Noch einige Augenblicke und es wird Zeit sein. Domingo erwartet uns bereits mit dem Schlüssel; der Vater des Mägdehauses wird gleichfalls bereit sein: er glaubt, daß wir ein Werk der Barmherzigkeit thun und die kleine Clara von ihrer Krankheit heilen wollen.

Eine starke Viertelstunde verfloß in tiefster Stille, bis die Duena aufstand und der Gräfin die Haube zurecht setzte.

– Senora, es ist Zeit! Geht auf den Fußspitzen damit die Flur nicht knarrt. Und nun kein Wort mehr so lange wir im Hause sind. Folgt mir ...

Beide Frauen verließen das Zimmer und stiegen in dichtester Finsternis vorsichtig die Treppe hinab. Auf der Mitte der Treppe vernahmen sie beide plötzlich im ersten Stock ein Geräusch. Zitternd blieben sie stehen und horchten voll Angst: sie hörten indessen nichts mehr.

– Weh uns! seufzte die Gräfin; war dies nicht auf dem Zimmer des Grafen?

– Schweigt, Senora; antwortete die Duena; ich glaube es nicht. Verhaltet Euch ruhig ...

– Es ist nichts, fuhr die Duena nach längerem Lauschen fort ... Kommt! dann sich zur Thüre wendend, rief sie leise:

– Domingo, seid Ihr da?

– Ich warte schon lange, antwortete der Diener in der Dunkelheit.

Nachdem Domingo die Thüre vorsichtig geöffnet, verließ die Gräfin mit ihrer Duena das Haus.

Vor dem Mägdehause angelangt, öffnete sich die Hälfte der Thüre scheinbar von selbst, denn hinter dem Thürfensterchen wartete ihrer bereits der Vater des Mägdehauses.

Die Mutter empfing die Frauen und führte sie zum Sprachzimmer, wo ein Licht brannte.

– Edle Frau, Ihr habt lange gezögert, sprach sie zur Gräfin. Clara hätte längst unten sein können, denn ihre Stunde kommt nicht immer so pünktlich. Haltet Euch also bereit, edle Frau. Clara darf uns nicht sehen; wir wollen unterdessen hier warten. Nehmt Euch in acht, daß Ihr sie nicht beim Namen nennt, sie würde augenblicklich aus ihrem Schlaf erwachen.

– Es ist kalt, bemerkte die Edelfrau; könnte das Kind nicht krank werden?

– Das hat keine Noth, edle Frau, ich habe für Clara Nachtkleider machen lassen. Während ihrer Krankheit schläft sie darin ... Horcht, ich höre sie aus dem Bett aufstehen. Schnell also; wir bleiben hier. Bei der Treppe steht ein Stuhl zu Eurem Dienst ... Nehmt die Lampe, edle Frau!

Die Gräfin wandte sich mit dem Licht in der Hand nach der Treppe hin. Das Herz klopfte ihr gewaltig, sie zitterte als wenn eine große Angst sie erfüllte. Trotzdem war es nur das Gefühl einer übermäßigen Freude, was ihre Nerven erschütterte, denn was hier vorgehen sollte, versprach ihr einen Himmel des Glückes und der Seligkeit. Arme Frau! In ihrem Herzen glühete wie eine verzehrende Flamme das grenzenlose, das unwiderstehliche Gefühl der mütterlichen Liebe; ein Kind nur hatte der Himmel ihr geschenkt, acht Jahre lang hatte sie getrauert und geschmachtet, sie hatte Unfrieden und Trauer um sich her verbreitet – aus Liebe zu ihrem armen und verlassenen Kinde allein hatte sie gleich einer Märtyrerin gelitten. Es ist wahr, sie hatte seit einiger Zeit eine Belohnung für so viel Schmerz gefunden: sie hatte sich an Clara's Liebkosungen, ihren Küssen, ihrem Lächeln gelabt; – leider jedoch war sie immer noch eine Fremde für sie: noch war das Wort Mutter nicht in ihrem Ohr erklungen! Nun sollte sie es hören, dieses heilige Wort, was wie ein göttlicher Klang das Herz der Frau berührt und es in unsäglicher Freude erzittern macht.

Kein Wunder daß die tödtliche Stille, die sie umfing, und die undurchdringliche Finsternis der fernen Winkel der Hausflur, die auch kein Strahl des schwachen Lichts erhellte, auf ihr Gemüth durchaus keinen Eindruck machte; die Erwartung des feierlichen Augenblickes flößte ihr eine Freude ein, die sie gänzlich beherrschte.

Sie stand am Fuße der Treppe und blickte empor.

Clara erschien auf der Schwelle und lächelte der Gräfin in holder Liebenswürdigkeit zu.

Das Kind war ganz in weißes Linnen gekleidet: seine nicht sehr langen, blonden Haare wallten in kunstlosen Locken auf ihre Schultern herab; eine schöne Rosenfarbe glänzte auf ihren Wangen, ihre großen Augen, die weit geöffnet unter ihrer spiegelreinen Stirne glänzten, schienen noch blauer als gewöhnlich zu sein. Und weit entfernt in dieser geheimnisvollen Mitternachtsstunde und unter diesen eigenthümlichen Verhältnissen eine gespensterhafte Erscheinung zu sein, glich Clara im Gegentheil einem spielenden Engel, wie die mütterliche Phantasie ihn an der Wiege ihres Kindleins träumt.

Kaum hatte Clara die Gräfin bemerkt, so rief sie auch schon mit dem ganzen, eindrucksvollem Zauber ihres silbernen Stimmchens:

– Ah! Mutter, bist du da? ich komme, ich komme.

Bei diesen Worten breitete sie die Arme aus und eilte in froher Hast die Treppe hinab, so daß das Kind bereits an ihrem Halse hing und sie mit Küssen bedeckte, als wenn es sich ob ihrer Rückkehr nach jahrelanger Abwesenheit freuete, bevor die Gräfin noch Zeit gehabt hatte das Licht niederzusetzen. Zwischen ihren Küssen verschmolzen ihre Worte, die, obwohl unverständlich, wie Perlen des Glückes in das Herz der Gräfin fielen. Die Senora erstarb beinah unter des Kindes leidenschaftlichen Liebkosungen; sprachlos drückte sie die Kleine an ihre Brust und trank in Selbstvergessenheit den verführerischen Mutternamen, der nun unaufhörlich von Clara's Lippen quoll.

Das Kind befreiete sich endlich aus den Armen der Senora und während sie sich selbst auf die unterste Stufe neben dem hölzernen Treppenpfeiler niedersetzte, ergriff es mit freudigem Lächeln die Hand der Gräfin:

– Ach, liebe Mutter, setze dich dort auf den Stuhl: es ist hier so still und gemüthlich wenn du da bist. Ach, ich bin so traurig gewesen und habe so viele Thränen vergossen! Es sind nun bereits sieben Tage, daß ich hier allein sitze und traurig warte!

– Du täuschest dich! rief die Gräfin von Eifersucht gemartert. Die Frau, von der du sprichst, ist deine Mutter nicht. Ich bin deine Mutter. Du bist mein Kind!

Clara betrachtete die Senora mit Erstaunen.

– Wie bist du heute, so seltsam? fragte sie. Ich weiß ja, daß du meine Mutter bist ... .... Aber warum kommst du denn nicht täglich? – Du hattest es mir versprochen. – Die anderen Kinder, die eine Mutter haben, dürfen immer bei ihr sein!

In den Zügen der Gräfin malte sich eine tiefe Trauer und ihre einzige Antwort auf des Kindes Fragen waren schmerzliche Seufzer. Clara bemerkte dies.

– Ach, Gott, liebe Mutter, sprach sie, sei doch nicht traurig; ich will nichts mehr sagen. Ich weiß ja, es ist nicht deine Schuld, daß du nicht immer kommst.

Und ihre Aermchen um den Hals der Gräfin schlingend, brachte sie so ihr Gesicht unter die Augen der trauernden Senora und flehete:

– Ach, du bist doch nicht böse, lieb Mütterchen? Ich sehe dich so gern! Wenn ich bei dir sein, in deinen Armen ruhen kann, dann bin ich so froh .... so froh wie ein Engelchen im Himmel. Aber du mußt nicht traurig sein, Mutter, denn das macht mir großen Schmerz .....

Des Kindes süße Worte schienen ihren Eindruck auf das Gemüth der Gräfin verloren zu haben. Theilnahmlos ließ sie sich liebkosen und küssen während andere Gedanken ihren Geist bewölkten. Sie hatte gehofft daß Clara, wenn sie zu ihr spräche: » ich bin deine Mutter« das ganze Gewicht dieser Erklärung wenigstens in ihrem Scheinschlafe empfinden würde. Als Clara sie nun ohnedies als ihre rechte Mutter betrachtete und keinen Unterschied zwischen ihr und der Vorsteherin des Mägdehauses zu machen schien, da war es der Senora nicht möglich ihrer beabsichtigten Offenbarung einen Ausdruck zu geben. Da sie das geträumte Glück nicht fand, so war sie über diese langersehnte Zusammenkunft ganz entzaubert, und mit trüber Niedergeschlagenheit sagte sie:

– Armes Kind, die andere Frau ist nicht deine Mutter: ich allein weiß was deine Geburt mir gekostet hat, ich allein habe um deines Daseins willen bittere Schmerzen gelitten, ich allein habe ob deines unglücklichen Looses Jahre lang Thränen vergossen, ich allein werde vielleicht aus Liebe und Mitleid für dich einen bittern Gramestod sterben ... Ich gebe mich der Rache eines erzürnten Gatten preis – ich wage meine Ehre und die meines Geschlechts um das Wort Mutter nur einmal von deinen theuren Lippen zu vernehmen und ach! ... Du begreifst mich nicht!

Eine Flut stiller Thränen ergoß sich in diesem Augenblicke aus den Augen der Gräfin. Clara, aus Mitgefühl gleichfalls weinend, betrachtete sie verwundert als wenn man sie in einer fremden, unverständlichen Sprache angeredet hätte.

– Ach, Gott, liebes Mütterchen, seufzte endlich das Kind, will man dir wehe thun? Warum?

Die Senora preßte das Kind an ihre Brust und küßte es schweigend. Nach einigen Augenblicken tödtlichen Schmerzes, erhob die Gräfin plötzlich ihr Haupt, trocknete die Thränen von ihren Wangen und ergriff mit Fieberkraft des Kindes beide Hände. Während ein Lächeln der Verzweiflung ihr Gesicht entstellte, rief sie:

– Clara! Clara!

Zitternd und athemlos auf das Kind starrend, wartete sie der Wirkung dieses Namens.

Das Mädchen rieb sich die Augen wie jemand der eben erwacht, sah sich ängstlich um und rief:

– Ach, Gott, wo bin ich denn? es ist Nacht!

Und sich der Senora in die Arme werfend, seufzte sie:

– Ich fürchte mich ... es ist hier so einsam und so kalt! ...

Nachdem die Senora dem Kinde Zeit gelassen sich mit verminderter Furcht umzusehen und sich ganz zu beruhigen, sprach sie:

– Clara, meine Liebe, du erkennst mich wohl, nicht wahr?

– Ach, ja, edle Frau, antwortete sie, und nun fürchte ich mich nicht mehr ... da Ihr bei mir seid. Aber was thun wir hier so mutterseelen allein in der Nacht?

– Setze dich, Clara, und höre mich an ohne mich zu unterbrechen: ich habe dir etwas zu sagen, was du in deinem ganzen Leben nicht vergessen darfst.

– Ach, Gott, Ihr zittert, edle Frau! nun fürchte ich mich wieder!

– Sei still und ruhig Clara. Es kann uns hier nichts Uebles geschehen. – Höre aufmerksam, um Gottes willen! ... Jedermann denkt, daß du eine arme Waise bist, Clara; jedermann glaubt, daß du eine niedere Dienstmagd werden sollst, daß du bestimmt bist dein Leben lang wie eine Sklavin zu arbeiten und fremden Leuten zu Diensten zu stehen, die dich bezahlen. Du glaubst es auch und bist mit deinem elenden Loose zufrieden. Aber dem ist nicht so, Clara! einst wirst du als Gebieterin befehlen, in reichen Kleidern prangen, in einer Kutsche fahren, durch deine Schönheit selbst die Edelsten bezaubern und mit Stolz auf alles niedersehen, was dich an deine erste Bestimmung erinnern könnte. Denn sieh, theures Kind, du hast eine Mutter, die ihr Leben deinem Glücke opfern könnte. Diese Mutter ist edel, reich und mächtig und ... sie wird ihr Kind nicht verlassen! ...

Bei diesen letzten Worten umarmte sie stürmisch das Kind, und gewiß hoffte sie, daß dasselbe sich gleichfalls in Liebesbezeugungen ergießen würde; allein das Gegentheil von alle dem geschah. Clara schien ganz in tiefe Betrachtungen versunken und seufzte als wenn sie mit sich selber redete:

– Ich soll reich werden, in einer Kutsche fahren und schöne Kleider tragen? Ach wie gern möchte ich sie sehen! ... Aber warum holt sie mich nicht, meine Mutter? Ich kenne sie nicht.

– Sieh mich an, lieber Engel, sieh mich an ... Ich bin deine Mutter! Fühlst du das nicht an dem glühenden Kusse, den ich dir gebe, theurer Schatz meiner Seele? Mein geliebtes Kind!

Eine lebhafte Freude erglänzte auf Clara's Gesicht, gleichwohl mischte sich in ihr Freudenlächeln noch ein Schein des Unglaubens.

– Ihr, – Ihr seid meine rechte Mutter? rief sie aus – meine Mutter, die bei meinem Vater wohnt?

– Dein Vater ist längst im Himmel, liebe Clara; er ist todt und bittet Gott für uns, seufzte die Gräfin wahrend sie jede fernere Frage durch einen neuen Kuß unterdrückte. Ich bin deine wahre und rechte Mutter – und ich habe kein anderes Kind!

– Ach Gott, seufzte das Kind, dafür möge die heilige Jungfrau gebenedeiet sein! Welche schönen Lieder will ich nun mein ganzes Leben lang ihr zur Ehre singen! Ich glaube, das hat sie gethan! Wie bin ich froh! Wie bin ich froh, daß Ihr meine Mutter seid! Ich sah Euch auch bereits so gern! ach so gern!

In diesem Augenblicke sprach eine geheimnisvolle Stimme in der Finsternis:

– Senora, Senora, es ist Zeit!

Die Gräfin fing an in leidenschaftlicher Hast mit Clara leise zu sprechen. Gewiß fürchtete sie von der, die in diesem Augenblicke vielleicht als eine unzeitige Lauscherin in der Nähe stand, verstanden zu werden. Lang dauerte diese stille Unterhaltung; auf beider Angesicht wechselten Thränen und Lächeln, Trauer und Seligkeit bis Clara endlich entschlossen aufstand und nach einem feurigen Kusse zu ihrer Mutter sprach:

– Nein, ich werde nicht sagen, daß du mich geweckt hast! Niemand soll erfahren, daß du meine Mutter bist ... Aber du wirst wiederkommen, lieb Mütterchen? Ich will ohne Trauer warten ... Geh nur ruhig auf die Reise! Ich will den heiligen Engel Sankt Michael bitten, daß er dich geleite.

Das Licht ergreifend, stieg die Gräfin mit dem Kinde die Treppe hinauf, und kehrte einige Augenblicke später zu den zwei Frauen zurück, die bereits ungeduldig ihrer warteten.

– Komm, Ines, sprach die Senora; laß uns hastig nach Hause zurückkehren. Clara ist bereits hinauf gegangen; sie schläft ruhig. – Frau Mutter, ich werde Euch morgen früh rufen lassen; wir reisen erst Nachmittag, so daß ich noch Zeit haben werde mit Euch über wichtige Dinge zu sprechen.

Die Senora und ihre Duena verließen das Mägdehaus und kehrten nach ihrer Wohnung zurück. Leise klopften sie an die Thür, damit Domingo ihnen öffne. Obschon sie das Zeichen mehrfach wiederholten, so empfingen sie dennoch keine Antwort. Schon fing die Senora an an allen Gliedern zu zittern, als die Duena mit der Hand die Thür betastete und fand, daß diese nur angelehnt aber nicht verschlossen war.

– Es ist nichts, Senora, murmelte sie; der träge Domingo wird irgendwo eingeschlafen sein. Die Thür ist offen; kommt still herein und macht kein Geräusch auf der Treppe.

Nachdem die Duena die Thüre vorsichtig verschlossen, stiegen sie beide, im Dunkel tastend, die Treppe hinauf, ohne daß das geringste Geräusch auf der Flur ihre Gegenwart hätte verrathen können. Als sie das Schlafzimmer der Gräfin erreicht hatten, entschlüpfte beiden ein schwerer Seufzer; es schien ihnen ein Stein vom Herzen zu fallen. Sie hatten das gefährliche Unternehmen vollführt, und nun standen sie wieder vor dem Zimmer, was sie verlassen hatten, ohne daß sie ein Unfall betroffen!

Die Duena öffnete die Thüre des Schlafgemachs, um ihre Gebieterin vorangehen zu lassen; – bei dem zweiten Schritte aber, den die Senora zu thun wagte, entfloh ein eisiger Angstschrei ihrer Brust und bleischwer sank sie zu Boden. Bleich und zitternd stand die Duena neben ihrer regungslosen Gebieterin und wagte nicht sich zu ihr niederzubeugen: die erschrockene Frau blickte tiefer in das Zimmer hinein, und eine furchtbare Erscheinung beim flackernden Kerzenlichte erschreckte sie fast tödtlich ... Am Bett der Gräfin saß, ein Pistol in jeder Hand und knirschend vor Wuth wie ein getroffener Löwe, der Graf d'Almata! Er heftete sein glühendes Auge auf die Senora, lachte einen Augenblick mit bitterm Spott, stand auf, streckte seine Rechte mit dem Pistol nach seiner unglücklichen Gattin aus ... allein, wie von einem geheimen Gedanken beherrscht, stieß er plötzlich einen Schrei der Verzweiflung aus, ließ den Arm mit dem Mordwerkzeuge wie gelähmt sinken, und eilte davon wie jemand, der vor dem Gedanken eines Mordes zurückschreckt oder seiner eigenen Raserei entfliehen will. Er donnerte noch einen schrecklichen Fluch in das Ohr der zerschmetterten Ines und verschwand auf der Treppe im Dunkel. Die Duena sank neben der Senora auf die Knie nieder und überflutete sie mit ihren Thränen. Bereits hatte sie die eigene Gefahr vergessen, um allein an das Loos ihrer Gebieterin zu denken.


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