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Die Herren Senatoren hatten mit Billigung der Leliaarts übergroße Kosten zum Empfang der Fürstlichkeiten aufgewendet. Die Aufrichtung der Triumphbogen und Prunkgerüste hatte viele Geldausgaben verursacht; außerdem war jedem der Leibwächter des Königs eine gute Maß besten Weines gereicht worden. Da diese Ausgaben durch die Verwaltung befohlen waren und daher auch aus der Gemeindekasse bestritten werden mußten, hatten die Bürger mit einiger Gleichgültigkeit zugesehen.
All die Prunkstücke waren schon wieder weggeräumt; de Chatillon befand sich zu Kortrijk, und der Einzug des fremden Herrn war beinahe vergessen, als eines Morgens um zehn Uhr ein Herold vor dem Stadthause erschien und durch einige Fanfarenstöße das Volk zusammenrief. Sobald er sich von einer hinreichenden Anzahl Zuhörer umgeben sah, zog er einen Pergamentbogen aus der Schriftentasche, die an seiner Seite hing, und las mit lauter Stimme:
»Es wird öffentlich kund getan, damit es jeder wisse, daß die Herren Senatoren beschlossen haben, was folgt:
Daß eine außerordentliche Steuer festgesetzt ist, um die Kosten des Einzug unseres gnädigsten Fürsten Philipp, Königs von Frankreich, zu ersetzen.
Daß jeder Eingesessene der Stadt Brügge hiezu acht Groschen flämisch zu bezahlen hat, ohne Unterschied des Alters und für jeden Kopf.
Daß die Zolldiener am nächsten Samstag die Steuerpfennige an den Türen in Empfang nehmen werden – und daß diejenigen, die durch List oder Gewalt sich der Bezahlung dieser Schatzung entziehen wollen, von dem Herrn Amtmann dazu gezwungen werden.«
Die Bürger, die diese Ankündigung hörten, sahen sich verwundert an und murrten insgeheim gegen das willkürliche Gebot. Unter ihnen befanden sich auch einige Gesellen des Weberhandwerks. Diese gingen unverweilt weiter, um ihren Vorsteher zu unterrichten.
De Coninck vernahm die Kunde mit tiefem Mißbehagen. Ein solch bedeutsamer Schlag gegen die Vorrechte der Gemeinde erfüllte ihn mit dem größten Mißtrauen; er sah in dem Gebot ein Vorzeichen der Tyrannei, die der Adel unter dem Schutze der französischen Regierung neuerdings dem Volke auferlegen wollte, und er beschloß, den ersten Versuch dazu durch List oder Gewalt zu vereiteln. Obwohl er das Opfer seiner Vaterlandsliebe werden konnte, falls sich das fremde Heer noch in Flandern befand, konnte diese Aussicht ihn nicht zurückhalten; denn er hatte sich mit Leib und Seele dem Wohle seiner Vaterstadt geweiht.
Sofort ließ er den Knappen des Gewerkes zu sich rufen und gab ihm den folgenden Befehl:
»Gehe schnell zu allen Meistern und bitte sie in meinem Namen, sich nach dem Pand zu begeben. Sie mögen ihre Webstühle sofort verlassen, denn die Sache heischt Eile.«
Das Pand der Weber war ein weitläufiges Gebäude mit einem runden Giebel. Ein einziges großes Fenster, über dem die Wappenzeichen des Gewerkes standen, erhellte den vorderen Raum im ersten Stockwerk; über dem weiten Ausgangstore stand der heilige Joris mit dem Drachen, in Stein gemeißelt. Im übrigen war die Giebelseite dieses Gebäudes schlicht und schmucklos; man hätte schwerlich erraten können, daß das reichste Handwerk Flanderns es zu seinen Versammlungen gebrauchte; denn viele der benachbarten Häuser überragten es an äußerem Prunk bedeutend.
Obwohl das Gebäude in eine Menge großer und kleiner Räume geteilt war, blieb dennoch nichts leer oder unbenützt. In einem geräumigen Zimmer des zweiten Stockwerks konnte man die Probestücke der Freigesellen und Meister mit den Mustern des köstlichsten Tuches, das jemals in Brügge gefertigt worden war, hängen sehen. In einem anderen Raume daneben lagen die Werkzeuge, die Weber, Walker und Färber brauchen, zur Nachahmung ausgestellt. Ein drittes Gemach diente als Aufbewahrungsort für die Staatsgewänder und Festwappen des Handwerks.
Der große Versammlungssaal der Herren lag vorn an der Straße. Alle Grade der Bearbeitung, die die Wolle durchlaufen mußte, vom Hirten bis zum Weber, vom Weber bis zum Kaufmann, der aus fernen Landen kam, um das flämische Tuch gegen Gold einzutauschen, waren an den Wänden in der Gestalt reizender Engelein dargestellt. Einige eichene Tische und viele schwere Stühle standen auf dem irdenen Flur des Saales. Sechs mit Sammet bekleidete Lehnstühle ließen erkennen, daß die Plätze der Dekane und Ältesten in der Tiefe des Raumes angeordnet waren.
Einige Zeit nach der Aussendung des Knappen waren schon eine große Anzahl Weber im Saale versammelt. Mit der größten Lebhaftigkeit sprachen sie über die Sache, die sie beschäftigen sollte, und auf ihren Gesichtern drückte sich das tiefste Mißvergnügen aus. Wenn auch die meisten sich in grimmigen Worten gegen die Senatoren ergingen, so waren doch einige unter ihnen, die sich nicht sehr zur Auflehnung geneigt zeigten. Während die Zahl der Meister immer mehr anwuchs, trat de Coninck in den Saal und schritt langsam durch die Reihen seiner Genossen bis zu dem großen Sessel, der für ihn bestimmt war. Die Ältesten ließen sich neben ihm nieder; die übrigen blieben zumeist neben ihren Sesseln aufrecht stehen, um auf der gefurchten Stirne ihres Dekans besser den Sinn seiner schwungvollen Worte erfassen zu können. Es waren ihrer zusammen sechzig an der Zahl.
Sobald de Coninck die Aufmerksamkeit seiner Genossen auf sich gerichtet sah, streckte er mit einer kräftigen Bewegung die Hand aus und sprach:
»O Brüder! achtet auf meine Worte; denn die Feinde unserer Freiheit – die Feinde unserer Wohlfahrt schmieden Fesseln für unsere Füße! Die Senatoren und Leliaarts haben dem fremden Herrn durch ungewöhnliche Pracht geschmeichelt; sie haben uns zur Aufrichtung von Ehrenpforten gezwungen, und nun fordern sie, daß wir ihre feigherzigen Verschwendungen mit dem Lohn unserer Arbeit bezahlen sollen! Dies widerspricht den Privilegien der Stadt und des Handwerks. Aber, Brüder, versteht mich wohl und blickt mit mir in die Zukunft! Wenn wir diesmal dem willkürlichen Gebot gehorchen, wird unsere Freiheit bald mit Füßen getreten werden. Dies ist der erste Versuch – das erste Stück des Sklavenjochs, das man uns auf den Nacken drücken will. Die ungetreuen Leliaarts, die ihren Grafen, unseren rechtmäßigen Herrn, bei den Fremden eingekerkert lassen, um uns um so leichter unterdrücken zu können, haben den Schweiß unseres Angesichts lange genug getrunken. Das Volk hat lange, gleich verächtlichen Lasttieren, für sie gearbeitet; aber, o Leute von Brügge, meine Stadtgenossen, euch war es gegeben, den Strahl des Himmels zuerst zu empfangen; ihr habt als erste die Ketten zerbrochen; stolz und mannhaft habt ihr euch aus der Sklaverei erhoben, und eure Häupter beugen sich nicht mehr vor tyrannischen Herren. Nun neiden uns die Völker unsere Blüte; sie bewundern unsere Größe. Ist es dann nicht unsere Pflicht, diese Freiheit, die uns zum edelsten Volke der Welt macht, ungeschändet zu bewahren? – Ja, das ist eine heilige Pflicht ... Und wer dies vergißt, ist ein Feigling, der seine Menschenwürde verkennt; er ist ein Sklave, zur Verachtung geboren! ...«
Ein Weber, namens Brakels, der schon zweimal Dekan gewesen war, erhob sich von seinem Sessel und unterbrach die Rede de Conincks mit den Worten:
»Ihr sprecht immer von Sklaverei und Rechten! Aber wer sagt uns, daß die Herren Senatoren uns verkürzen? Ist es nicht besser, man bezahle acht Groschen und bewahre die Ruhe? Denn Ihr könnt es leicht voraussehen, es wird Blut vergossen werden. Mancher von uns wird die Leichen seiner Kinder oder Brüder zu begraben haben, und das alles um acht Groschen! Wenn man Euch glauben wollte, hätten die Weber mehr mit dem Gutentag als mit dem Weberschiffchen zu schaffen; aber ich hoffe, daß unter unseren Meistern mehr weise Männer sind, die Eurem Rate nicht folgen werden.«
Diese Rede hatte unter den Webern die größte Aufregung hervorgerufen. Einige, jedoch die kleinere Zahl, hatten durch ihre Mienen zu erkennen gegeben, daß sie diese Meinungen teilten. Die meisten aber waren über den Ausfall Brakels mißmutig.
Forschend hatte de Coninck seinen Kopf nach allen Seiten gewendet und seine Anhänger gezählt. Schmeichelhaft war für ihn die Überzeugung, daß wenige die Befürchtung seines Gegners teilten. Er antwortete:
»Es steht ausdrücklich im Gesetz, daß man dem Volke ohne seine Zustimmung keine neuen Belastungen auferlegen darf. Wir bezahlen diese Freiheit nur allzu teuer – und es ist niemandem, wie erhaben er auch sei, erlaubt, sie zu verletzen. Wohl ist es wahr, daß für einen Menschen, der nicht weit in die Zukunft sieht, acht Groschen, die man auf einmal bezahlt, keine bedeutende Summe ausmachen; auch sind es nicht die acht Groschen, die mich zum Widerstande geneigt machen; – aber die Privilegien, die uns als Brustwehr gegen die Herrschaft der Leliaarts dienen, sollen wir diese verderben lassen? Nein, dies wäre eine feige, sehr unvorsichtige Handlung. Wisset, Brüder, daß die Freiheit ein zarter Baum ist, der, sobald man einen seiner Zweige abbricht, vergeht und stirbt. Wenn ihr also die Leliaarts den Baum beschneiden lasset, werden sie uns bald die Macht nehmen, den verdorrten Stamm zu verteidigen. Es sei gesagt: wer ein Mannesherz hat, bezahle die acht Groschen nicht! Wer das echte Klauwaartsblut in sich strömen fühlt, erhebe den Gutentag und verteidige das Recht des Volkes! ... Die Abstimmung entscheide darüber; denn mein Rat ist kein Befehl.«
Hierauf nahm der Weber, der schon gesprochen hatte, wieder das Wort:
»Euer Rat ist ein verderblicher Rat. Ihr habt Behagen an Meuterei und Blutvergießen, auf daß Euer Name in diesen Umwälzungen als Führer herumfliege. Wäre es nicht viel weiser, die französische Herrschaft als getreue Untertanen zu dulden und also unseren Handel über das Gebiet dieses großen Landes auszudehnen? Ja, ich sage es: Die Regierung Philipps des Schönen wird unsere Wohlfahrt mehren, und jeder wohldenkende Bürger muß die französische Herrschaft als ein Glück betrachten. Unsere Senatoren sind achtbare und weise Herren.«
Das größte Erstaunen machte sich unter den Webern bemerkbar, und viele warfen grimmige oder verächtliche Blicke auf den, der diese Worte gesprochen hatte. De Coninck entflammte in Wut; denn seine Volksliebe kannte keine Schranken: um so mehr noch, als er einen Weber also sprechen hörte, schien ihm dadurch das ganze Handwerk entehrt.
»Wie!« rief er, »ist alle Liebe zur Freiheit und zum Vaterland in Eurem Busen erstickt? Wollt Ihr aus Durst nach Gold die Hände küssen, die Euch die Fesseln an die Füße legen? Und sollen die Nachkommen sagen, daß die Leute von Brügge vor dem Fremden und vor seinen Sklaven den Kopf gebeugt haben? Nein, o Brüder, duldet es nicht – befleckt euren Namen nicht mit diesem Makel! Laßt die weibischen Leliaarts getrost ihre Freiheiten um Ruhe und um Geld verpfänden. Wir bleiben rein von Schande und Schmach! Das Blut der Kinder des freien Brügge fließe nochmals für das Recht! – Um so schöner prangt die rote Standarte – um so fester wird das Recht des Volkes besiegelt!«
Meister Brakels ließ de Coninck nicht die Zeit, fortzufahren, und sprach:
»Ich wiederhole es, was Ihr auch sagen möget: es ist für uns keine Schande, unter einem fremden Fürsten zu stehen; im Gegenteil, wir müßten uns freuen, daß wir nun einen Teil des großen Frankreich bilden. Was kümmert es eine handeltreibende Nation, unter wem sie sich bereichert? Das Gold Mahoms ist so kostbar wie das unserige.«
Die Erbitterung gegen Brakels hatte nun den Höhepunkt erreicht, und seine Rede wurde keiner Antwort gewürdigt. De Coninck seufzte laut und sagte schmerzlich bewegt:
»O, Schande, ein Leliaart, ein Bastard hat im Weberpand gesprochen; diese Schmach ist unauslöschlich!«
Eine ungestüme Bewegung ging durch die große Zahl der Weber, und viele sahen mit ängstlichem Zorn und flammendem Blick auf Meister Brakels.
Plötzlich erhob sich unter ihnen eine Stimme, und der Ruf: »Er sei gebannt, der Leliaart! Keine Französlinge unter uns!« wurde manches Mal wiederholt.
De Coninck mußte seinen ganzen Einfluß, den er auf seine Genossen hatte, aufbieten, um sie zu besänftigen; denn mancher zeigte sich zu Gewalttaten geneigt. Plötzlich wurde vorgeschlagen, Meister Brakels aus dem Gewerk zu verbannen, dann wieder, ihn zu einer Buße von vierzig Pfund Wachs zu verurteilen.
Während der Skribent mit der Aufnahme der Stimmen beschäftigt war, stand Brakels unbewegt vor dem Dekan. Er baute auf diejenigen, die seine erste Rede gebilligt hatten, doch er täuschte sich sehr; denn der Name Leliaart, der von allen als ein Schandfleck angesehen wurde, hatte ihm keinen einzigen Freund gelassen. Alle Stimmen sprachen das Urteil: – verbannt! Und das Ergebnis wurde mit allgemeinem Beifall begrüßt.
Nun entflammte sich die Wut des Leliaarts; Schimpfworte und Drohungen gegen de Coninck entströmten ungestüm seinem Munde. Der Dekan blieb mit der größten Gleichgültigkeit in seinem Stuhle sitzen und antwortete nicht auf die Lästerungen seines Widersachers. Dann traten zwei kräftige, als Türhüter aufgestellte Gesellen zu dem Gebannten und befahlen ihm, das Pand stehenden Fußes zu verlassen. Er gehorchte, von bitterem Groll erfüllt, diesem Gebot und eilte rachebrütend zu Johannes van Gistel, dem Groß-Zollmeister, dem er von dem Widerstand des Dekans der Weber berichtete.
Pieter de Coninck sprach noch lange mit seinen Genossen, um sie zur Verteidigung ihrer Rechte anzufeuern, trotzdem begehrte er nicht, daß sie Aufruhr machen sollten, sondern befahl ihnen, sich mit der Verweigerung der acht Groschen zu begnügen, bis er sie zu den Waffen rufen würde.
Dann verließen sie das Pand, und jeder schlug den Weg ein, der ihn nach Hause führen sollte. Pieter de Coninck ging allein und gedankenvoll durch die alte Sackstraße, um sich zu seinem Freunde Breydel zu begeben. Er sah die Bemühungen voraus, die die Lehensherren machen würden, um ihre Herrschaft über das Volk wieder zu gewinnen, und überlegte die Mittel, die seine Brüder vor der Sklaverei behüten könnten. – Als er die Fleischhauerstraße beinahe erreicht hatte, wurde er von einem Dutzend bewaffneter Männer umringt. Während er, also überrascht, stehen blieb, trat der Amtmann zu ihm und gebot ihm, ohne Widerstand den Dienern des Gesetzes zu folgen. Wie einem Verbrecher wurden ihm die Hände auf den Rücken gebunden, und manches Schimpfwort ward ihm ins Gesicht geschleudert. Dies alles nahm er mit der größten Geduld und ohne Murren hin; denn er wußte, daß hier aller Widerstand nutzlos war. Er ließ sich zwischen den Hellebarden der Gerichtsdiener durch vier oder fünf Straßen führen und schien die Verwunderungsrufe des Volkes nicht zu beachten. Endlich brachte man ihn in den oberen Saal des Prinzenhofes.
Hier waren die vornehmsten Leliaarts mit den Senatoren der Stadt versammelt. Johannes van Gistel, Groß-Zollmeister, nahm unter ihnen die vorderste Stelle ein und war der wärmste Anhänger der Franzosen in Flandern. Sobald er de Coninck vor sich sah, sprach er mit zorniger Stimme:
»Wie könnt Ihr es wagen, die Obrigkeit der Senatoren zu verkennen, Ihr hochmütiger Bürger? Uns ist Eure Meuterei bekannt, und es wird nicht lange währen, da Ihr Euren Ungehorsam am Galgen büßen werdet.«
De Coninck antwortete mit Ruhe:
»Mir ist die Freiheit des Volkes teuerer als das Leben. Ich werde dieser schändlichen Todesstrafe ohne Furcht entgegensehen; denn mit mir stirbt ja nicht das Volk. – Es gibt noch Männer, die das Joch nicht mehr gewöhnt sind.«
»Das ist ein Traum,« versetzte van Gistel. »Das Reich des Volkes ist vorbei. Unter der Herrschaft der Franzosen muß ein Untertan seinem Herrn gehorchen. Die Vorrechte, die ihr mit Gewalt schwachen Menschen abgepreßt habt, werden durchgesehen und beschränkt werden; denn ihr werdet gar zu hochmütig auf die Gunstbezeugungen, die wir selbst euch erwiesen haben, und ihr erhebt euch als undankbare und verächtliche Diener gegen uns.«
Ein Strahl des Zornes blitzte in dem einzigen Auge de Conincks:
»Verächtlich!« brach er los. »Das weiß Gott, wer von den beiden, das Volk oder die elenden Leliaarts, verächtlich ist. Ihr vergeßt Vaterland und Ehre, um als Feiglinge dem Herrn zu schmeicheln; ihr kniet demütig vor einem Fürsten, der Flandern den Untergang geschworen hat; und warum denn? Um eure tyrannische Herrschaft über das Volk wieder zu erlangen: aus Eigennutz! O, das wird nicht gelingen; denn wer die Früchte der Freiheit einmal gekostet hat, den ekelt vor euren Gunstbezeugungen. Ihr seid ja die Sklaven der Ausländer! – Und glaubt ihr, daß die Männer von Brügge die Sklaven anderer Sklaven werden wollen? O, ihr täuschet euch, meine Herren. Mein Vaterland ist groß geworden, das Volk hat seinen Wert erkannt, und euch ist der eiserne Stab für ewig entwunden ...«
»Schweigt, meuterischer Laat!« rief van Gistel. »Die Freiheit gebührt euch nicht. Ihr wart nicht für sie geschaffen.«
»Die Freiheit,« antwortete de Coninck, »haben wir mit dem Schweiße unseres Angesichts und mit dem Blute unserer Adern erkauft. – Und ihr wollt sie vernichten!«
Van Gistel lächelte spöttisch auf diese Rede und erwiderte:
»Eure Worte und Drohungen sind nur Rauch, Dekan. Wir werden die französischen Scharen dazu benützen, die Fittiche des Ungeheuers zu stutzen. Andere Gesetze werden die Gemeinde beherrschen; denn die Störrigkeit hat lange genug gewährt. Seid gewiß, daß alles so gut eingerichtet ist, daß Brügge demütig den Nacken beugen wird; – und Ihr werdet das Sonnenlicht nicht mehr sehen.«
»Ihr Tyrann!« rief der Dekan der Weber. »Ihr Schandfleck von Flandern! Ist das Grab Eurer Väter nicht in diesen Boden gegraben? Ruht ihr heiliges Gebein nicht im Schoße des Landes, das Ihr den Fremden verkauft, o Bastard? Das kommende Geschlecht wird Euch verdammen wegen Eures Handels; Eure Kinder selbst werden Euren Fluch auf die Blätter der Chronik zur Verleugnung schreiben!«
»Es ist Zeit, daß Eure lächerlichen Lästerreden ein Ende nehmen,« brach van Gistel los. »Männer! Man werfe ihn in den Kerker der Verbrecher, bis der Galgen ihn empfängt.«
Auf diesen Befehl wurde de Coninck die Treppe des Saales hinab in ein unterirdisches Gelaß geführt. Ein eiserner Gürtel umfaßte seine Mitte und eine eiserne Kette fesselte seinen linken Fuß an seine rechte Hand. Nachdem man ihm das nötige Brot und Wasser gegeben hatte, wurde der Kerker verschlossen, und er blieb allein in dem düsteren Gefängnis sitzen. Die Worte des Zollmeisters hatten ihn in die größte Trauer versetzt; denn die Freiheit seiner Vaterstadt war ernstlich bedroht. In seiner Abwesenheit konnte es den Leliaarts leicht gelingen, mit den französischen Kriegerbanden die Stadt einzunehmen und das Gebäude, dem er sein ganzes Leben geweiht hatte, zu vernichten. Dies war für den Volksfreund eine schreckliche Aussicht. Wenn er manchmal an seinen Ketten rüttelte und sie klirren ließ, war ihm, als sähe er alle seine Brüder also gebunden und als wären sie der schändlichsten Sklaverei verfallen. Dann glänzte eine trübe Träne auf seinen Wangen.
Die Leliaarts hatten schon lange unter sich einen verräterischen Anschlag entworfen. – Sie konnten ihre Herrschaft in Brügge auf keinen festen Boden gründen; da alle Bürger bewaffnet waren, war es nicht möglich, sie zur Ausführung der Befehle zu zwingen. Sobald die Senatoren Gewalt gegen die Bürger gebrauchen wollten, kamen die schrecklichen Gutentags zum Vorschein, und dann waren alle ihre Bemühungen vergeblich; denn die Gewerke waren sehr mächtig. Um nun ein für allemal dieses lästige Hindernis aus dem Wege zu räumen, waren die Leliaarts mit dem Landvogt de Chatillon übereingekommen, des anderen Tags in aller Frühe die Bürger zu überfallen und zu entwaffnen. De Chatillon sollte zur gleichen Stunde mit fünfhundert französischen Reitern vor dem Tore stehen. De Coninck allein konnte diesen Plan, wie geheim er auch war, entdecken; er besaß dazu geheime Mittel, nach denen die Französlinge vergeblich gesucht hatten. Der Dekan der Weber war schlauer wie sie alle zusammen. Sie wußten das und hatten ihn gefangen, um so dem Volke seinen klugen Vorkämpfer zu rauben und es dadurch bedeutend zu schwächen. Was Brakels von dem Widerstand der Weber berichtet hatte, diente ihnen nur als Deckmantel.
Nachdem sie in solcher Weise durch feigherzige Anschläge die Stadt Brügge an die Geldgier der Fremden verkauft hatten, wollten sie auseinander gehen; aber plötzlich flog die Türe des Saales auf; und ein Mann drängte sich mit Gewalt durch die Reihe der Türhüter. Er trat stolzen Schrittes vor die Senatoren und rief:
»Die Gewerke von Brügge fragen euch, ob ihr de Coninck freilassen wollt oder nicht! Besinnt euch nicht lange, ich rate es euch!«
»Meister Breydel,« antwortete van Gistel, »es ist nicht erlaubt, in diesen Saal zu treten. Verlaßt ihn alsbald!«
»Ich frage euch,« wiederholte Jan Breydel, »ob ihr den Dekan der Wollweber freilassen wollt?«
Van Gistel sagte einem der Senatoren leise etwas ins Ohr, und dann rief er:
»Wir antworten auf die Drohungen eines störrigen Laat mit der Strafe, die sie verdienen. – Man fange ihn!«
»Ha! ha! Man fange ihn!« wiederholte Breydel lachend. »Wer wird mich fangen? Seid gewarnt, daß die Gemeinde sich mit Gewalt des Prinzenhofes bemächtigen wird und daß das Leben von euch allen gegen das Leben des Dekans der Weber verpfändet ist. Ihr werdet bald eine andere Kirmes sehen; – die Weise des Liedleins wird sich stark verändern, dies versichere ich euch.«
Inzwischen waren einige Wachen herangetreten und hatten den Dekan der Fleischhauer am Halse gefaßt; ein anderer entfaltete schon die Stricke, die ihn binden sollten. Breydel hatte, solange er sprach, wenig auf diese Vorbereitungen geachtet; aber sobald er seinen Blick von den Leliaarts abgewendet und auf die Wachen gerichtet hatte, drang ein dumpfer Seufzer wie das Blöken eines Stieres aus seiner Brust. Er blickte mit flammenden Augen auf diejenigen, die ihn fangen sollten, und rief:
»Meint ihr, daß Jan Breydel, daß ein freier Fleischhauer von Brügge sich wie ein Kalb binden läßt? Ho! ho! Das wird heute nicht geschehen!«
Bei diesen Worten, die er mit rasendem Zorn hervorgestoßen hatte, schlug er den Söldner, der ihn am Koller festhielt, mit seiner schweren Faust so gewaltig auf den Kopf, daß er taumelnd zu Boden sank; wie der Blitz fuhr er durch die verstörten Wachen und schleuderte ihrer eine gute Anzahl auf die Fliesen des Saales. An der Türe angekommen, drehte er sich um und schrie den Leliaarts heftig zu:
»Ihr werdet es büßen, ihr Bösewichte! Einen Fleischhauer von Brügge binden! O, Schmach! – Wehe euch, verfluchte Tyrannen ... Horcht! Die Trommel der Fleischhauer schlägt für euren Leichenzug ...«
Er hätte seine Drohungen noch länger fortgesetzt, aber nun konnte er sich nicht länger gegen die zusammenlaufenden Wachen verteidigen und eilte murrend die Treppe hinab.
In diesem Augenblicke hörte man von der anderen Seite der Stadt ein dumpfes Geräusch gleich fernem Donner. Die Leliaarts erblaßten; bei diesem drohenden Unwetter befiel sie die Furcht. Sie wollten jedoch ihren Gefangenen nicht loslassen und versammelten noch mehr Wachen vor dem Palast, um sich gegen den Angriff des Volkes zu verteidigen; auch ließen sie sich bis zu ihren Wohnungen durch Kriegsleute begleiten.
Eine Stunde später war die ganze Stadt in Aufruhr. Die Sturmglocke wurde geläutet, die Trommeln der Gewerke gingen durch alle Straßen, und ein unheimliches Getöse, wie das schreckliche Gepolter eines Orkans, hing über der Stadt. Türen und Fenster waren geschlossen, und die Haustüren gingen nur noch auf, um den bewaffneten Hausvater herauszulassen. Die zahlreichen Hunde kläfften schrecklich, als hätten sie den Notruf verstanden, und vermischten ihre rauhen Stimmen mit dem Geschrei ihrer rachedurstigen Herren. Zahlreiche Volkshaufen bewegten sich unruhig hin und her: der eine trug eine Keule, der andere einen Gutentag oder eine Hellebarde. Unter den hin und her strömenden Scharen konnte man die Fleischhauer an ihren blitzenden Schlachtbeilen leicht erkennen. Die Schmiede, mit ihren schweren Vorhämmern auf den Schultern, begaben sich ebenfalls zum Sammelplatz beim Weberpand. Hier standen schon unzählige Handwerksgesellen in Glieder geschart; sie wuchsen beständig an Zahl in dem Maße, wie die neuangekommenen Freunde sich unter ihrer Fahne sammelten.
Als der Haufen groß genug war, stieg Jan Breydel auf einen Wagen, der zufällig auf dem Platze stand, und schwang sein Schlachtbeil mit schrecklichen Wendungen über seinem Kopfe.
»Männer von Brügge!« schrie er, »es geht um Leben und Freiheit! – Wir werden diese Verräter einmal lehren, wie die Leute von Brügge beschuht sind und ob ein Pfund Sklavenfleisch unter uns zu finden ist, wie sie meinen. Meister de Coninck liegt in Fesseln: unser Blut fließe für seine Befreiung. – Dies ist eine Pflicht für alle Gewerke und ein Kirchweihfest für die Fleischhauer! Schnell, die Ärmel am Koller aufgestreift!«
Während das Fleischhauergewerk diesen Befehl ausführte, entblößte er selbst seine muskulösen Arme bis zu den Schultern und rief, vom Wagen springend:
»Vorwärts und Heil, Heil de Coninck!«
»Heil de Coninck!« lautete der allgemeine Ruf. »Vorwärts! Vorwärts!«
Die Scharen eilten wie die rollenden Wogen der wütenden See zum Prinzenhof. – Todesschreie und knirschendes Klirren von Waffen begleiteten diesen unheimlichen Zug; das Geheul der Männer und das Gebell der Hunde vermischten sich mit dem Brummen der Glocken und dem Rasseln der Trommeln; es schien, als hätte allgemeine Raserei die Bürgerschaft ergriffen.
Beim Anblick der tollen Menschen flohen die Wachen vom Prinzenhof nach allen Seiten und ließen so das Gebäude ohne Schutz; aber sie hatten sich nicht alle durch die Flucht retten können, denn in diesem Augenblick lagen mehr als zehn Leichen auf dem Vorhof des Palastes.
Unruhig und wütend wie ein gereizter Löwe eilte Breydel die Stufen hinan und schleuderte einen französischen Diener, den er im Gang fand, von oben herab unter das Volk. Das unglückliche Opfer wurde auf den Spitzen der Gutentags empfangen und dann mit Keulen zermalmt. Bald war der ganze Palast mit Volk angefüllt. Breydel hatte einige Schmiede zu sich gerufen und ließ sie die Kerkertüren gewaltsam aufsprengen. Zu ihrer großen Betrübnis fanden sie diese alle leer – und sie fluchten mit noch größerer Wut, daß sie den Tod de Conincks rächen würden.
Als die Weber vernahmen, daß man ihren Dekan vergeblich gesucht hatte, waren sie nicht mehr zurückzuhalten; anstatt weiter nach ihm zu suchen, eilten sie in Haufen nach den Häusern der vornehmsten Leliaarts und schlugen dort alles entzwei. Aber es gelang ihnen nicht, einen einzigen Leliaart anzutreffen, da diese derartiges vorausgesehen hatten.
Eben als Breydel, Verzweiflung und Rachedurst in der Seele, den Prinzenhof verlassen wollte, trat ein alter grauer Walker zu ihm und sprach:
»Meister Breydel, Ihr sucht nicht richtig; – es ist noch ein Kerker an der anderen Seite des Gebäudes: eine tiefe Grube, in der ich zur Zeit der großen Moerlemeye Die große Moerlemeye nannte man eine Schar, die 1282 einen Aufstand hervorrief. ein Jahr meines Lebens verbracht habe. Kommt, es gefalle Euch, mir zu folgen.«
Nachdem sie durch viele Gänge geschritten, kamen sie an eine kleine eiserne Türe. Der alte Walker nahm einen Vorhammer aus den Händen des zunächststehenden Schmiedgesellen und schlug das Schloß mit wenigen Schlägen in Stücke; aber die Türe ging nicht auf. Von Ungeduld hingerissen, riß Jan Breydel den Hammer aus der Hand des Walkers und schlug so gewaltig gegen die Türe, daß alle Klammern zugleich aus der Mauer sprangen. Nachdem die Türe gefallen war, konnte man in den Kerker sehen.
De Coninck stand in einer Ecke an der Wand, mit einer schweren Kette gefesselt. Mit lautem Freudenruf eilte Jan Breydel zu ihm und fiel seinem Freunde wie einem wiedergefundenen Bruder um den Hals.
»O Meister,« rief er, »wie glücklich ist diese Stunde für mich! Ich wußte nicht, daß ich Euch so sehr liebte.«
»Ich danke Euch, tapferer Freund,« lautete de Conincks Antwort, indem er den Kuß des aufgeregten Fleischhauers erwiderte. »Ich wußte wohl, daß Ihr mich nicht im Kerker lassen würdet; Euer Edelmut ist mir zu sehr bekannt. Wer Euch gleicht, ist ein Flaming vom echten Stamm.«
Indem er sich an die zunächststehenden Handwerksleute wendete, rief er mit einer Begeisterung, die die Herzen der Zuhörer tief erregte:
»O Brüder! Ihr habt mich heute vom Tode befreit. Euer mein Blut – eurer Freiheit alle meine Geisteskräfte! Betrachtet mich nicht mehr als einen Dekan, als einen Weber, der unter euch wohnt, sondern als einen Mann, der vor Gott geschworen hat, eure Freiheit zu schützen. Die düsteren Gänge meines Kerkers mögen diese Worte als unverbrüchlichen Eid wiederholen: mein Blut, mein Leben, mein Friede meinem Vaterlande! ...«
Der Ruf: »Heil de Coninck! Heil! Heil!« dämpfte seine Stimme und widerhallte lange im Kerker. Von Mund zu Mund ging der Ruf hinaus, und bald hörte man in der Stadt nichts anderes mehr. Ja, selbst die Kinder stammelten: »Heil de Coninck!«
Der eiserne Gürtel wurde durchfeilt, und der Dekan der Weber trat mit Jan Breydel in die Vorhalle des Palastes. Aber kaum hatte die harrende Menge die Fesseln an seinen Händen und Füßen bemerkt, als sich von allen Seiten wütende Rufe erhoben. Tränen der Freude oder der Wut wurden vergossen, und der Schrei: »Heil de Coninck!« erhob sich mit verstärkter Gewalt. Zu gleicher Zeit eilten unzählige Weber zu ihrem Dekan und hoben ihn in ihrer Begeisterung auf den blutigen Schild eines gefallenen Kriegsknechtes. Wie sehr sich auch der Dekan gegen diese Ehrung sträubte, er mußte es dennoch dulden, daß man ihn auf diese Art durch alle Straßen der Stadt trug.
Wunderbar war dieser bewegte Zug. Tausende von Menschen mit Messern, Äxten, Speeren, Hämmern, Keulen und anderen Zufallswaffen liefen schreiend und wie toll über den Marktplatz; über ihren Köpfen auf dem Schild saß de Coninck, an Händen und Füßen gefesselt; neben ihm gingen die Fleischhauer mit bloßen Armen und blitzenden Beilen. Als dies reichlich eine Stunde gewährt hatte, bat de Coninck die Dekane und Vorgeher der Gewerke zu sich und teilte ihnen mit, daß er zu ihnen über eine Sache von größtem Gewicht für die Gemeinde sprechen müsse. Er bat sie daher, am Abend in seine Wohnung zu kommen, um die nötigen Maßregeln zu beraten.
Kurz darauf dankte er dem Volke und gebot, daß jeder sich bereit halten solle, um jeden Augenblick unter die Waffen treten zu können. Nachdem die Fesseln von seinen Händen und Füßen gelöst waren, wurde er von dem Jubel der Brügger bis zur Türe seines Hauses in der Wollenstraße begleitet.