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Gwijde hatte Befehl gegeben, daß das ganze Heer, jede Schar unter ihrem Anführer, anderen Tags früh auf dem Groeninger Anger vor dem Lager versammelt stehen sollte; er wollte eine allgemeine Musterung abhalten.
Nach diesem Befehl hatten die Flamen sich auf dem bezeichneten Platze in einem Viereck aufgestellt. Jede Schar bestand aus acht aufgeschlossenen Gliedern. Die viertausend Weber de Conincks bildeten das äußerste Ende des rechten Flügels. Das erste Glied seiner Schar bestand aus Schützen, deren schwere Armbrüste auf ihren Schultern lagen, während eiserne Bolzen in einem Köcher an ihrer Seite hingen; sie hatten keine anderen Schutzwaffen als eine grobe eiserne Platte, die mit vier kleinen Riemen auf der Brust befestigt war. Über den sechs tieferen Gliedern ragten tausend Speere zehn Fuß in die Höhe; diese Waffe, der berüchtigte Gutentag, war von den Franzosen am meisten gefürchtet, denn damit konnte man leicht ein Pferd durchbohren: kein Harnisch bot hinreichenden Schutz gegen seinen gewaltigen Stoß; jeder Reiter, der damit getroffen wurde, fiel unfehlbar aus dem Sattel.
Auf demselben Flügel standen auch die reichgeputzten Leute von Ypern; in ihrem vordersten Gliede zeigten sich fünfhundert beleibte Männer, deren Kleidung so rot war wie die feinste Koralle. Von ihren schönen Helmen fielen ihnen weiche Federbüsche auf die Schultern; große Keulen, mit stählernen Stacheln besetzt, standen mit dem dicken Ende zu ihren Füßen, während der Griff in ihrer Faust an den Lenden ruhte. Kleine eiserne Platten waren auch an ihren Armen und Beinen befestigt. Die anderen Glieder dieser schönen Schar waren alle in Grün gekleidet; die stählernen Bogen ragten entspannt über ihre Köpfe hinaus.
Der linke Flügel bestand nur aus den zehntausend Mann Breydels; auf der einen Seite blitzten die unzählbaren Beile der Fleischhauer. Diese waren nicht elegant gekleidet: kurze braune Hosen und ein Koller von der gleichen Farbe waren ihre ganze Kleidung; die Ärmel waren bis zu den Ellenbogen aufgestülpt; dies taten sie gewöhnlich, denn sie waren stolz auf die kräftigen Muskeln, die sie zeigen konnten. Viele hatten blondes Haar; lange Narben, die sie aus früheren Gefechten davongetragen, lagen wie tiefe Gruben auf ihren Gesichtern; für sie waren dies Zeichen ihrer Tapferkeit. Die Züge Breydels hoben sich seltsam von diesen düsteren, verwitterten Gesichtern ab; während die meisten seiner Gefährten durch ihre unheimlichen Mienen Schrecken verbreiteten, war das Antlitz Breydels angenehm und edel; schöne blaue Augen blitzten unter dunklen Brauen; lange blonde Locken rollten über seinen Hals, und ein weicher Bart verlängerte das zierliche Oval seines Gesichtes. Gewinnend war sein Ausdruck, weil er jetzt froh und vergnügt war; aber auch wenn der Zorn ihn mit sich riß, zeigte er keine schreckliche Löwenmiene; dann furchten sich seine Wangen, seine Zähne preßten sich grimmig aufeinander, und seine Augenbrauen sanken eckig und gefaltet auf die Augen herab.
Am dritten Flügel standen die Mannen von Veurne mit den Waffenknechten Arnolds van Oudenaarde und Boudewijns van Papenrode; das Handwerk von Veurne zählte tausend Schleudern und fünfhundert Helmhauer; die ersten standen in den vordersten Gliedern und waren ganz in Leder gekleidet, damit die Schleuder beim Schwingen auf dieser glatten Ausrüstung keinen Halt finden könne. Um ihre Lenden war ein weiter lederner Schlauch befestigt, in dem die runden Steine lagen, die sie auf den Feind schleudern sollten; in ihrer Rechten hing ein lederner Riemen mit einer Höhlung in der Mitte. Dies war die Schleuder, die schreckliche Waffe, mit der sie ihre Feinde so gut zu treffen wußten, daß die schweren Steine, die sie schleuderten, selten ihr Ziel verfehlten. Hinter ihnen standen die Helmhauer; sie waren gut mit eisernen Platten bedeckt und trugen schwere Sturmhauben auf dem Kopfe. Ihre Waffe war das Kriegsbeil mit einem langen Stiel; über dem Stahl des Beiles befand sich eine dicke eiserne Spitze, mit der sie die Helme und Harnische durchbohrten, daher hieß man sie Helmhauer. Die Leute von Oudenaarde und von Papenrode, die auf derselben Seite standen, hatten alle Arten von Waffen; doch waren die zwei ersten Reihen nur aus Handbogenschützen gebildet; die anderen hatten Speere, Keulen oder Schlachtschwerter.
Der letzte Flügel, der das Viereck schloß, bestand aus der ganzen Reiterei des Lagers, elfhundert Mann zu Pferde, die von Jan Graf van Namen seinem Bruder Gwijde gesandt worden waren. Diese Schar war nur Eisen und Stahl; man konnte nichts weiter sehen als die Augen der Reiter und die Füße der Pferde, die unter ihrer eisernen Bedeckung hervorkamen. Lange und breite Schlachtschwerter lagen über der Schulterplatte ihrer Harnische, und lange Federbüsche flatterten hinter ihnen im Winde.
Auf diese Weise war das Heer nach dem Befehle des Feldherrn geordnet. Die größte Stille herrschte unter den Scharen; die Kriegsknechte fragten sich wohl gegenseitig, was im Werke sei, aber dann sprachen sie so leise, daß niemand sonst als ihr Kamerad sie hören konnte. – Gwijde und alle anderen Ritter, die keine Scharen herangeführt hatten, wohnten in Kortrijk; das ganze Heer stand schon einige Zeit in der beschriebenen Ordnung bereit, und noch war niemand von jenen gekommen.
Plötzlich sah man das Banner des Herrn Gwijde unter dem Stadttor erscheinen; Herr van Renesse, der in Abwesenheit des Feldherrn als Oberbefehlshaber beim Heere war, rief:
»Die Waffen auf! Schließt an! Richtet die Glieder! Achtung!«
Beim ersten Befehl des Edelherrn van Renesse stellte jeder seine Waffe in die gehörige Haltung, dann schlossen sie sich besser zusammen und richteten die Linie gerade. Kaum war dies geschehen, als die Reiterschar sich öffnete, um den Feldherrn mit seinem zahlreichen Gefolge in das Viereck zu lassen.
Voran ritt der Fahnenträger mit dem Banner von Flandern; der schwarze Löwe auf goldenem Feld schwang sich lustig über dem Kopf des Pferdes und schien seine Klauen gleichsam als Siegeszeichen den erfreuten Flamen zu zeigen. In kurzem Abstand dahinter folgte Gwijde mit seinem Vetter Willem van Jülich. Der junge Feldherr trug einen glänzenden Harnisch, auf dem das Wappen von Flandern kunstvoll abgebildet war; sein Helm trug einen prächtigen Federbusch, der bis auf den Rücken seines Pferdes niederfiel. Auf dem Harnisch Willems van Jülich befand sich ein großes rotes Kreuz; das Priesterkleid sah unter seinem Waffenhemd hervor und fiel über den Sattel hinab; sein Helm war ohne Feder und seine ganze Ausrüstung blank und schmucklos. Unmittelbar nach diesen erlauchten Herren folgte Adolf van Nieuwland. Sein Waffenzeug war von zierlicher Ausführung: überall lagen auf den Gelenken der Rüstung vergoldete Knöpfe; die Feder seines Helms war grün, und die eisernen Handschuhe, die er trug, waren versilbert. Unter seinem Panzerhemd konnte man einen grünen Schleier hängen sehen, das Geschenk, das ihm die Tochter des Löwen verehrt hatte als Zeichen ihrer Dankbarkeit. Neben ihm ritt Machteld auf einem schneeweißen Zelter. Die erlauchte Jungfrau war noch bleich, aber nicht mehr krank; die Ankunft ihres Bruders Adolf hatte die Krankheit aus ihrem Körper verscheucht. Ein himmelblaues Reitkleid von feinstem Samt, mit kleinen silbernen Löwen besät, fiel in langen Falten über ihre Füße bis zur Erde, und von ihrem Kopfe sank ein seidener Schleier bis auf das Pferd herab.
Dann kamen noch an die dreißig Ritter und Edelfrauen, alle auf das kostbarste gekleidet und so gleichmütig, als ob sie auf dem Wege wären, einem Turnierspiel beizuwohnen. Zuletzt folgten vier Schildknappen zu Fuß; die beiden ersten trugen jeder einen Harnisch und ein Schlachtschwert in ihren Armen, die anderen jeder einen Helm und ein Wappenschild. Während die Scharen in feierlicher Ruhe verharrten, kam der glänzende Zug in die Mitte des Vierecks.
Gwijde ließ seinen Herold vor sich kommen und überreichte ihm einen Pergamentbogen, dessen Inhalt er verkünden sollte.
»Füge den Kriegsnamen Löwe von Flandern hinzu, denn das freut unsere guten Leute von Brügge,« sprach er.
Die Neugierde der Kriegsknechte verriet sich durch eine fieberhafte Bewegung und die größte Aufmerksamkeit; sie sahen wohl, daß irgendein Geheimnis hinter diesen feierlichen Formeln steckte, denn es war sicherlich nicht ohne Absicht geschehen, daß die landesherrlichen Frauen sich so reich geschmückt hatten. Der Herold trat vor, blies auf seiner Fanfare und rief mit kräftiger Stimme:
»Wir, Gwijde van Namen, im Namen unseres Grafen und Bruders Robrecht van Bethune, Löwe von Flandern, allen, die dies lesen oder lesen hören werden, Heil und Friede!«
»In Anbetracht ...«
Plötzlich hielt er inne. Ein brausendes Summen ging durch die einzelnen Scharen, und während jeder schnell seine Waffe erhob, spannten die Schützen ihre Armbrüste, als ob irgendwelche Gefahr drohe.
»Der Feind! Der Feind!« ward geschrien.
In der Ferne sah man ein zahlreiches Heer herankommen; Tausende von Männern strebten in dichten Gliedern vorwärts; man konnte das Ende gar nicht absehen. Es herrschte jedoch starker Zweifel, ob es der Feind sei, da keine Reiterei dabei war. Bald sah man einen Ritter diesen rätselhaften Zug verlassen und in gestrecktem Galopp nach dem Lagerplatz zureiten; er hing dergestalt vornüber auf den Nacken seines Trabers, daß man ihn nicht erkennen konnte, obwohl er bereits sehr nahe war. Als er das Lager bald erreicht hatte, rief er unablässig:
»Flandern dem Löwen! Flandern dem Löwen! Hier sind die Genter!«
Man erkannte den alten Kriegsmann; ein freudiger Jubel antwortete auf seinen Ruf, und sein Name scholl von allen Lippen:
»Heil Gent! Heil Herrn Jan Borluut! Willkommen unsere guten Brüder!«
Als die Flamen sahen, daß solch unerwarteter Beistand, solch ein zahlreiches Heer sich zu ihnen gesellte, konnten sie vor Freude nicht mehr an sich halten; die Führer mußten sich alle Mühe geben, um sie in den Gliedern zu halten. Sie bewegten sich ungestüm und tobten vor Freude wie Wahnsinnige. Herr van Borluut rief ihnen zu:
»Habt Mut, Freunde! Flandern wird frei sein! Ich bringe fünftausend wohlbewaffnete und unerschrockene Männer.«
Und dann antworteten die begeisterten Scharen:
»Heil! Heil dem Helden von Woerlingen! Borluut! Borluut!«
Herr Borluut kam zu dem jungen Grafen und wollte ihn mit höfischen Redensarten begrüßen; aber Gwijde sagte:
»Laßt diese Sprüche fahren, Herr Jan; gebt mir die Hand als Freund. Ich bin so erfreut, daß Ihr gekommen seid, Ihr, der stets unter dem Harnisch gelebt hat und so tiefe Weisheit besitzt; ich war schon mißgestimmt, da ich Euch nicht kommen sah. Ihr habt lange verweilt ...«
»O, ja, edler Gwijde,« lautete die Antwort, »länger, als ich begehrte; aber diese feigen Leliaarts haben mich zurückgehalten. Werdet Ihr mir's glauben, Herr, daß sie in Gent eine Verschwörung angezettelt hatten, um die Franzosen wieder in die Stadt zu bringen? Sie wollten uns nicht hinauslassen und uns so verhindern, unseren Brüdern zu helfen; aber, Gott sei Dank, das ist ihnen nicht gelungen, denn das Volk haßt und verachtet sie über die Maßen. Die Genter haben den Magistrat auf die Burg gejagt und die Stadttore aufgebrochen. Dort kommen nun fünftausend unverzagte Männer, die nach dem Kampfe so sehr als nach einer Mahlzeit lechzen; sie haben heute noch keinen Bissen Brots gegessen.«
»Ich dachte wohl, daß große Hindernisse Euch zurückhielten, Herr Borluut, und ich fürchtete, daß Ihr gar nicht kommen würdet.«
»Ei, edler Gwijde, ich sollte nicht in Kortrijk dabei gewesen sein! Ich, der sein Blut für Fremde vergossen hat, ich sollte nicht meinem Vaterlande in der Not beistehen? Dies sollen die Franzosen erfahren. Ich fühle mich noch nicht dreißig Jahre alt; und meine Männer, o Himmel! Wartet nur, bis die blutige Stunde gekommen ist, und achtet einmal auf den weißen Löwen von Gent, wie Ihr die Franzosen werdet fallen sehen!«
»Ihr erfreut mich, Herr Borluut; alle unsere Leute sind gleichermaßen mutig, gleichermaßen unverzagt; wenn wir in dem Streite verlieren sollten, würden nicht viele Flamen heimwärts kehren, dessen versichere ich Euch.«
»Verlieren, sagt Ihr? Verlieren, Herr Gwijde? Dies glaube ich nicht: unsere Mannen sind all zu guten Willens. Und dann Breydel? Der Sieg steht auf seinem Antlitz zu lesen. Seht, Herr, ich traue meinen Kopf zu verwetten, daß, wenn man Breydel gewähren ließe, er sich mit seinen Fleischhauern durch die zweiundsechzigtausend Franzosen bohren würde, wie man durch ein Kornfeld dringt. Gott und der heilige Joris werden uns beistehen; habt nur gute Hoffnung. Aber, vergebt mir, Herr Gwijde, dort ist mein Heer. Ich verlasse Euch für einen Augenblick.«
Die Genter marschierten jetzt schon auf den Groeninger Anger. Müde und ganz mit Staub bedeckt waren sie; denn sie waren unter der heißen Sonne im Geschwindschritt gegangen. Ihre Waffen waren der verschiedensten Art; unter ihnen konnte man alle Scharen, die wir bereits beschrieben haben, ebenfalls antreffen. Gegen vierzig Edle ritten voran; es waren zumeist Freunde des alten Kriegers Jan Borluut: Herr van Leene, Jan van Cogeghem, Boudewijn Steppe, Simon Bette, Pauwel van Severen und sein Sohn, Jan van Aerseele, Jonkheer van Vijnkt, Thomas van Vurselaere, Jan van Machelen, Willem und Robrecht Wenemaer und noch eine große Anzahl anderer. Mitten über diesem Heere flatterte die Standarte von Gent mit ihrem weißen Löwen. Die Brügger, die nun fühlten, wie ungerecht ihre Scheltworte gegen die Genter gewesen waren, riefen laut:
»Willkommen! Willkommen unsere Brüder! Heil Gent!«
Jan Borluut ordnete inzwischen seine Mannen in regelmäßigen Scharen vor dem linken Flügel des Vierecks; er wollte seine tapferen Genter gleichsam zur Schau stellen, damit die Brügger sehen möchten, daß jene ihnen an Vaterlandsliebe nicht nachstanden. Auf Befehl Gwijdes verließ er den Lagerplatz und zog nach Kortrijk, um seinen Mannen die nötige Ruhe in guten Quartieren genießen zu lassen.
Sobald die Genter fort waren, kam Jan van Renesse in das Viereck und rief:
»Die Waffen auf! Achtung!«
Der Zug, der sich in der Mitte des Lagers aufgestellt hatte, ordnete sich wieder wie vorher; alles schwieg auf Befehl des Herrn van Renesse, und aller Aufmerksamkeit wendete sich dem Herold zu, der die drei Fanfarenstöße wiederholte. Nun las er mit lauter Stimme:
»Wir, Gwijde van Namen, im Namen Unseres Grafen und Bruders Robrecht van Bethune, des Löwen von Flandern, allen, die dies lesen oder werden lesen hören, Heil und Friede.
»In Anbetracht der guten und treuen Dienste, die dem Lande Flandern und Uns selbst durch Meister de Coninck und Meister Breydel von Brügge erwiesen worden sind;
»in der Absicht, ihnen vor den Augen aller Unserer Untertanen einen Beweis Unserer guten Gunst zu geben;
»in der Absicht weiterhin, ihre edelmütige Liebe zum Vaterland zu belohnen, wie es sich geziemt und gehört, damit ihre treuen Dienste im ewigen Gedächtnis bleiben;
»also tut Unser Graf und Vater, Gwijde von Flandern, der Uns die Macht hierzu gegeben hat, kund und zu wissen:
»Pieter de Coninck, Dekan der Wollweber, und Jan Breydel, Dekan der Fleischhauer, beide aus Unserer guten Stadt Brügge, sowie ihre Nachkommen bis zum Jüngsten Tage – sind und bleiben von edlem Blute und genießen alle Vorrechte, die die Lehensherren in Unserem Lande Flandern genießen.
»Und damit sie dies mit Ehren können genießen, wird jedem ein Zwanzigstel Unseres Zolls in Unserer guten Stadt Brügge zugestanden zum Unterhalt ihres Hauses.«
Bevor der Herold ganz zu Ende war, überstimmte schallender Jubel der Weber und Fleischhauer seine Rede. Die große Gunst, die ihren Dekanen erwiesen wurde, war auch der Lohn ihrer Tapferkeit; ein Teil der daraus entspringenden Ehren mußte auch dem Handwerk zugute kommen. Wenn sie nicht so sehr von der Treue und Volksliebe der Dekane überzeugt gewesen wären, hätten sie diese Edelsprechung zweifellos mit einem zornigen Auge und als eine politische List der Edlen angesehen; sie hätten gesagt: – so rauben die Lehensherren uns die Vertreter unserer Rechte und verführen unsere Dekane durch ihre Gunstbezeugungen. – In einem anderen Falle wäre dieser Verdacht nicht unbegründet gewesen; denn so lassen sich die Menschen meistens durch Ehrgeiz verleiten. Es ist daher keineswegs zu verwundern, daß das Volk einen bitteren Haß hegt gegen diejenigen seiner Brüder, die sich zu sehr erheben; aus edlen Volksfreunden werden sie oft niedrige und feige Schmeichler und unterstützen die Macht, die sie emporgehoben hat; sie wissen, daß sie mit diesen steigen und fallen werden, und sie sehen voraus, daß das Volk, das sie verlassen haben, sie als Überläufer verstoßen und verachten würde.
Die Gewerke von Brügge hatten zuviel Vertrauen in de Coninck und Breydel, um augenblicklich derartige Gedanken zu hegen. Nun waren ihre Dekane edel; nun hatten sie zwei Männer, die Zutritt zum gräflichen Rate hatten und den Feinden ihrer Vorrechte öffentlich entgegentreten durften. Sie fühlten, wie sehr ihre Macht dadurch wachsen mußte, und gaben sich deshalb der überschwenglichsten Freude hin. Sie wiederholten ihre Jubelrufe so lange, bis ihnen beinahe die Stimme verging. Dann legte sich der Lärm, und die Freude kam nur noch auf ihren Mienen und in ihren Bewegungen zum Ausdruck.
Adolf van Nieuwland kam zu den Dekanen und ersuchte sie, vor dem Feldherrn zu erscheinen; sie gehorchten und begaben sich langsam zur Gesellschaft der Ritter.
Auf dem Gesicht des Dekans der Weber war keine Freude zu lesen. Er trat würdig und gelassen, ohne daß irgendeine lebhaftere Empfindung ihn zu bewegen schien, näher; trotzdem herrschte reine Freude und edler Stolz in seinem Herzen; aber die gewohnte Vorsicht hatte seine Gesichtszüge so sehr seinem Willen unterworfen, daß man seine Gefühle selten in ihnen lesen konnte. Nun wollte er sich die Macht bewahren, einmal, wenn man etwas, das gegen die Volksinteressen ginge, verlangen würde, zu dem Fürsten sagen zu können: – Wer hat eure Gunstbeweise verlangt? Was habt ihr mir denn gegeben, um Unrecht von mir zu fordern?
So stand es nicht um den Dekan der Fleischhauer. Dieser hatte sich noch niemals beherrscht; die kleinste Aufregung, das geringste Gefühl, das sein Herz bewegte, prägte sich auf seinem Antlitz aus, und man konnte ohne Mühe sehen, daß die größte Offenherzigkeit eine seiner Tugenden war. Er konnte auch die Tränen, die jetzt seinen blauen Augen entströmten, nicht zurückhalten; er beugte das Haupt, um sie zu verbergen, und stellte sich klopfenden Herzens neben seinem Freunde de Coninck auf.
Alle Ritter und Edelfrauen waren abgesessen und hatten ihre Rosse den Schildknappen übergeben. Gwijde ließ die vier Wappenträger herankommen und bot die kostbaren Rüstungen den beiden Dekanen; der Harnisch ward ihnen angelegt und der Helm mit blauer Feder ihnen auf dem Kopfe festgeschnallt.
Die Brügger sahen mit andächtiger Stille dieser Feierlichkeit zu. Ihre Herzen waren von Freude erfüllt, als ob ihnen selbst diese Ehre geschähe. Als die Dekane gewappnet waren, ließ man sie das eine Knie bis auf den Boden beugen; dann trat Gwijde vor und hob das Schlachtschwert über das Haupt de Conincks.
»Herr de Coninck,« sprach er, »seid ein treuer Ritter, brecht niemals Euer Wort und erhebt Euer Schwert niemals anders, als für Gott, das Vaterland und Euren Fürsten.«
Bei diesen Worten versetzte er dem Dekan der Weber mit dem Schwert einen leichten Schlag in den Nacken, wie es der Brauch beim Ritterschlag erforderte. – Das gleiche wiederholte sich bei Jan Breydel, und auch er ward zum Ritter geschlagen. Zur gleichen Zeit trat Machteld aus dem Zug und trat vor die Dekane; sie nahm der Reihe nach die Wappenschilder aus den Händen der Knappen und hing sie den beiden geadelten Bürgern um den Hals. Vielen der Zuschauer fiel es auf, daß sie zuerst Breydel das Wappenschild umgehängt hatte, und dies war sicherlich mit Absicht geschehen, da sie zu diesem Behufe einige Schritte seitwärts treten mußte.
»Diese Wappenzeichen sind Euer Gnaden von meinem Vater geschenkt,« sprach sie, sich mehr an Breydel wendend, »ich weiß, edle Herren, daß ihr sie ungeschändet behüten werdet – und ich freue mich, daß ich an der Belohnung eurer Vaterlandsliebe mitwirken darf.«
Breydel sah die junge Edeldame mit tiefer Dankbarkeit an; in seinen Augen war der Schwur der tiefsten Zuneigung und Aufopferung zu lesen. Er hätte sich zweifellos der Jungfrau zu Füßen geworfen; aber die feierliche Haltung der umstehenden Ritter machte zu starken Eindruck auf ihn. Er stand erstaunt, bewegungslos und stumm, denn er konnte das Geschehene nicht begreifen.
»Ihr Herren, nun könnt ihr zu euren Mannen zurückkehren,« sprach Gwijde. »Wir hoffen, daß ihr heute abend in unseren Rat kommen werdet, denn wir müssen mit euch eine lange Unterredung haben. Laßt eure Scharen ins Lager zurückkehren.«
De Coninck verneigte sich höflich und ging. So tat auch Breydel; aber er hatte kam ein paar Schritte getan, als er die Last der Rüstung fühlte, die ihm überall den Körper beengte. Er kehrte eilig zurück zu Gwijde und sprach:
»Edler Graf, ich bitte um eine Gunst.«
»Sprecht, Herr Breydel, sie soll Euch gewährt werden.«
»Seht, erlauchter Herr,« versetzte der Dekan, »Ihr habt mir heute eine große Gunst erwiesen; aber Ihr wollt mich doch nicht verhindern, gegen den Feind zu kämpfen?«
Die Ritter kamen näher; seine Worte verwunderten sie höchlich.
»Was wollt Ihr sagen?« fragte Gwijde.
»Daß diese Rüstung mich überall klemmt und kneift, und dieser Helm lastet mir so schwer auf dem Kopfe, daß ich meinen Hals nicht bewegen kann; ich versichere Euch, daß ich mich in diesem eisernen Kerker wie ein gebundenes Kalb totschlagen lassen müßte.«
»Dieser Harnisch wird Euch vor den Schwertern der Franzosen schützen,« bemerkte ein Ritter.
»Ja, aber,« fiel Breydel ein, »ich habe dies gar nicht nötig. Wenn ich frei bin, mit meinem Beil in der Faust, dann fürchte ich nichts. Wahrlich, ich würde da in einer schönen Haltung stehen, so steif und unbeholfen! Nein, nein, ihr Herren, ich will dies nicht an meinem Leibe haben. Demzufolge, Herr Graf, bitte ich Euch, mir zu gestatten, Bürger zu bleiben bis nach dem Kampfe; dann will ich mich mit diesem lästigen Harnisch bekannt machen.«
»Ihr möget tun, wie es Euch gefällt, Herr Breydel,« antwortete Gwijde, »doch seid und bleibt Ihr Ritter.«
»Wohlan!« rief der Dekan erfreut. »Dann bin ich der Ritter mit dem Beil! Dank, Dank, erlauchter Herr!«
Mit diesem Ausruf verließ er den Zug und eilte zu seinen Mannen; diese empfingen ihn mit lauten Beglückwünschungen und fanden kein Ende damit, durch allerlei Rufe ihre Freude zu bekunden. Breydel war noch einige Schritte von den Gliedern seiner Fleischhauer entfernt, als schon die ganze Rüstung am Boden lag. Er behielt nur das Wappenschild, das Machteld ihm um den Hals gehängt hatte.
»Albrecht, mein Freund,« rief er einem seiner Mannen zu, »nimm diese Rüstung und trage sie in mein Zelt. Ich will kein Eisen an meinem Leibe, während eure nackten Brüste den feindlichen Waffen trotzen: ich will die Kirmes im Fleischhauergewand mitmachen. Sie haben mich edel gemacht, Gefährten; aber das hat nichts zu sagen! Mein Herz ist und bleibt ein Fleischhauerherz: die Franzosen werden das wohl empfinden. Kommt, wir gehen nach dem Lager, ich will mit euch wie zuvor den Wein trinken; ich schenke jedem von euch eine Maß. Und Heil dem Schwarzen Löwen!«
Der Ruf ward von allen Gesellen wiederholt; es kam einige Unordnung in die Glieder, und sie wollten sich ungestüm nach dem Lagerplatz drängen; das Versprechen des Dekans hatte sie mit Freude erfüllt.
»Ho, ho, Mannen!« rief Breydel. »So geht das nicht! Jeder in sein Glied, sonst werden wir böse miteinander.«
Die anderen Scharen waren bereits in Bewegung und kehrten mit klingenden Fanfaren und fliegenden Fahnen in das Lager zurück; – der Zug der Ritter bewegte sich dem Stadttor zu und verschwand hinter den Wällen.
Einige Zeit darauf waren alle Flamen vor ihren Zelten dabei, sich über die Edelsprechung der Dekane zu unterhalten. Eine große Anzahl Fleischhauer saß in einem weiten Kreise, mit dem Becher in der Hand, auf dem Erdboden; große Kannen voll Wein standen neben ihnen; begeistert sangen sie das Lied vom Schwarzen Löwen. Mitten unter ihnen, auf einer leeren Tonne, saß der geadelte Breydel, der als Vorsänger jede Strophe begann; er trank wiederholt auf die Befreiung des Vaterlandes und suchte durch größere Vertraulichkeit die Veränderung seines Standes vergessen zu machen, denn er fürchtete, seine Gefährten möchten denken, daß er nicht mehr wie vorher ihr Freund und Kamerad sein wollte.
De Coninck hatte sich in seinem Zelte eingeschlossen, um den Glückwünschen seiner Weber zu entgehen; er ward durch ihre Liebesbeweise zu sehr ergriffen und konnte diese Rührung zu schwer verbergen; daher blieb er den ganzen Tag allein, während das Heer sich der größten Fröhlichkeit hingab.