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Achtes Kapitel.

Ein Land der Lieb', ein Land voll Licht,
Wo Nacht und Mond und Sonne nicht;
Wo lebend rasch die Welle fließt,
Ein Himmelsstrahl das Licht ergießt.
Ich sah das Land, und 's ist mir kaum
Als wär's ein ew'ger stiller Traum.

Der Königin Erwachen.

 

Die Ruhe, welche der Anstrengung folgt, ist gewöhnlich tief und süß, wenn sie mit dem Gefühle der Sicherheit verbunden ist. Dieß war auch bei Mabel der Fall, welche sich erst von ihrer ärmlichen Pritsche – denn nur auf ein solches Lager konnte eine Sergeantentochter auf einem abgelegenen Gränzposten Anspruch machen – erhob, als die Garnison schon lange der gewöhnlichen Aufforderung der Trommeln gehorcht und sich zur Morgenparade versammelt hatte. Sergeant Dunham, dessen Geschäft es war, den gewöhnlichen täglichen Dienst zu beaufsichtigen, hatte bereits seine Morgenverrichtungen vollbracht, und begann eben an sein Frühstück zu denken, als seine Tochter ihr Zimmer verließ, und in die freie Luft heraus trat, in gleichem Grade verwirrt, erfreut und dankerfüllt über die Neuheit und Sicherheit ihrer jetzigen Lage.

Zu der Zeit, in welcher unsere Erzählung spielt, war Oswego einer der äußersten Gränzposten der brittischen Besitzungen auf diesem Continent. Es war noch nicht lange besetzt und hatte in seiner Garnison ein Bataillon eines ursprünglich schottischen Regiments, in das aber, seit seiner Ankunft in dieser Gegend, viele Amerikaner aufgenommen worden waren. Durch diese Neuerung wurde es dem Vater Mabels möglich gemacht, die zwar unbedeutende, aber doch verantwortliche Stelle des ältesten Sergeanten einzunehmen. Es befanden sich auch einige junge Offiziere, welche in den Colonieen geboren waren, bei dem Corps. Das Fort selbst war, wie die meisten derartigen Werke, besser geeignet, einem Angriff der Wilden zu widerstehen, als eine regelmäßige Belagerung auszuhalten; aber die große Schwierigkeit, welche mit dem Transport der schweren Artillerie und anderer Erfordernisse verbunden war, machte die letztere so unwahrscheinlich, daß die Ingenieure bei dem Entwurf der Vertheidigungswerke auf eine solche gar keinen Bedacht nehmen zu müssen glaubten. Man hatte Bollwerke von Erde und Holzstämmen, einen trockenen Graben, Pallisaden, einen Paradeplatz von beträchtlicher Ausdehnung und eine Kaserne aus Holzstämmen, welche zu dem doppelten Zwecke der Bewohnung und der Befestigung diente. Einige leichte Feldstücke standen in dem Raume des Forts, um schnell dahin, wo man ihrer bedurfte, geführt werden zu können, und ein oder zwei schwere eiserne Kanonen blickten aus den Spitzen der vorspringenden Winkel, als eben so viele Ermahnungen an den Verwegenen, ihre Macht zu respektiren.

Als Mabel die bequeme, aber vergleichungsweise einsame Lagerhütte, in welcher ihr Vater sie unterbringen durfte, verlassen hatte und in die reine Morgenluft trat, fand sie sich am Fuße einer Bastei, welche so einladend vor ihr lag, daß sie sich von hier aus einen Ueberblick über alles Das, was ihr die Finsterniß der vorigen Nacht verborgen hatte, versprach. Das Mädchen hüpfte mit eben so leichten Füßen als leichtem Herzen die grasige Anhöhe hinan, und befand sich auf Einmal auf einem Punkte, welcher ihr in wenigen Blicken die Uebersicht über alle äußeren Verhältnisse ihrer neuen Lage gestattete.

Gegen Süden lag der Wald, durch welchen sie so viele ermüdende Tage gewandert war, und der sie die ganze Fülle seiner Gefahren hatte empfinden lassen. Er war von den Pallisaden des Forts durch einen Gürtel freien Feldes getrennt, welches hauptsächlich deßhalb gelichtet worden war, um den kriegerischen Vorkehrungen Raum zu geben. Dieses Glacis, denn als solches diente es in der That für den Kriegszweck, mochte ungefähr hundert Morgen betragen; aber mit ihm wich auch jede Spur von Civilisation. Jenseits war Alles Wald – jener dichte, endlose Wald, welchen Mabel sich nun aus ihren Erinnerungen mit seinen verborgenen, glänzenden Seen, seinem dunkel rollenden Strome und seiner ganzen Welt von Natur, deutlich vor die Seele führen konnte.

Als unsere Heldin sich von diesem Anblick abwendete, fühlte sie auf ihren Wangen das Fächeln eines frischen und angenehmen Lüftchens, wie sie es, seit sie die ferne Küste verlassen, nicht wieder empfunden hatte. Bald zeigte sich ihr ein neues Schauspiel, welches, obschon es nicht unerwartet kam, sie dennoch nicht wenig überraschte, und ein schwacher Ausruf bekundete, mit welcher Lust ihre Augen die vor ihnen liegenden Reize verschlangen. Gegen Norden, Osten und Westen in jeder Richtung, kurz über die ganze Hälfte des neuen Panorama's lag eine weite Fläche wogenden Wassers. Das Element hatte weder das glänzende Grün, welches im Allgemeinen die amerikanischen Gewässer bezeichnet, noch das tiefe Blau des Oceans; es war von einer lichten Umbrafarbe, welche kaum seine Durchsichtigkeit beeinträchtigte. Nirgends Land, mit Ausnahme der anliegenden Küste, welche sich rechts und links an einem ununterbrochenen Saume von Wäldern hinzog, mit weiten Bayen und niedrigen Vorsprüngen oder Spitzen. An vielen Stellen war das Ufer felsig, und in den Höhlen desselben rollte das träge Wasser hin und wieder in einem hohlen Tone, der einem entfernten Kanonendonner glich. Kein Segel glänzte auf der Oberfläche, kein Walfisch oder sonstiger Fisch spielte auf dieser Ebene, und kein Zeichen menschlichen Thun und Treibens belohnte den anhaltendsten und sorgfältigsten Blick auf dieser endlosen Ausdehnung. Es war eine Scene, die auf der einen Seite die endlosen Wälder, auf der andern die weiten unbegränzten Wasser zeigte, und die Natur schien eine Lust daran gefunden zu haben, einen großartigen Effekt dadurch hervorzurufen, daß sie ihre beiden Hauptbestandtheile kühn neben einander sich heben ließ, ohne auf deren Einzelnheiten einzugehen. Das Auge floh mit Lust und Bewunderung von dem breiten Blätterteppich zu dem noch breiteren Wasserfelde, und von dem endlosen, sanften Wellenschlag des See's zu der heiligen Ruhe, der poetischen Einsamkeit des Urwaldes zurück.

Mabel war fern von jeder Ueberbildung, und da sie so empfänglich und offen, wie nur irgend ein Mädchen mit warmem Herzen und reiner Seele war, so gebrach es ihr nicht ganz an dem Sinne für die Poesie unserer schönen Erde. Obgleich man nicht sagen konnte, daß sie überhaupt Erziehung genossen – denn nur Wenigen ihres Geschlechts wurde in jenen Tagen und in diesen Gegenden viel mehr als die Anfangsgründe des englischen Unterrichts zu Theil – so hatte sie doch ein Ansehnliches weiter gelernt, als bei Mädchen ihrer Stellung gewöhnlich war; und in einem Betrachte wenigstens machte sie ihrem Lehrer keine Unehre.

Die Wittwe eines Offiziers aus dem Regimente, zu welchem ihr Vater gehörte, hatte sich nach dem Tode ihrer Mutter des Mädchens angenommen; unter der Sorgfalt dieser Frau konnte Mabel einigermaßen ihren Geschmack ausbilden und sich zu Ideen erheben, welche ihr unter andern Umständen wohl immer fremd geblieben wären. Ihre Stellung in der Familie war eher die einer Gesellschafterin als die eines Dienstboten gewesen, was man schon an ihrer Kleidung, ihrer Sprache, ihren Meinungen und insbesondere an ihren Gefühlen erkennen konnte, obgleich sie sich vielleicht nie zu der Höhe erhoben hatte, welche geeignet war, eine Frau von Stande zu bezeichnen. Sie hatte die rauheren und wenig verfeinerten Gewohnheiten und Manieren ihrer ursprünglichen Stellung verloren, ohne jedoch ganz den Punkt erreicht zu haben, der sie für jene Lebenslage, welche die Zufälligkeiten der Geburt und des Vermögens ihr wahrscheinlich anwiesen, untauglich gemacht haben würde. Alle andern Eigenthümlichkeiten gehörten ihrem natürlichen Charakter an.

Nach solchen Vorgängen wird sich der Leser nicht wundern, wenn er erfährt, daß Mabel das vor ihr liegende neue Schauspiel mit einem weit höheren Genusse betrachtete, als ihn eine gewöhnliche Ueberraschung zu geben vermag. Sie fühlte die allgemeinen Schönheiten, wie sie die Meisten gefühlt haben würden; aber sie hatte auch einen Sinn für ihre Erhabenheit, für jene sanfte Einsamkeit, jene ruhige Größe und für die beredte Ruhe, welche sich immer über eine weite Aussicht breitet, in der die Natur durch die Mühen und Anstrengungen des Menschen nicht gestört wird. »Wie schön!« rief sie, ohne es selbst zu beachten, aus, als sie auf dem einsamen Bollwerk stand und ihr die Luft des See's entgegenwehte, die ihren Körper und ihren Geist in gleicher Weise belebend durchdrang. »Wie wahrhaft schön! und doch so einfach!«

Diese Worte und der Gang ihrer Gedanken wurde durch eine leichte Berührung ihrer Schulter unterbrochen, und als sie sich umdrehte, fand Mabel, welche ihren Vater zu sehen erwartete, den Pfadfinder an ihrer Seite. Er lehnte ruhig an seiner langen Büchse und lachte in seiner stillen Weise, während er mit ausgestrecktem Arm über das ganze Wasser- und Landpanorama hinfuhr.

»Hier haben Sie unsere beiden Domänen,« sagte er: »Jaspers und die meinigen. Ihm gehört der See, mir die Wälder. Der Junge thut bisweilen groß mit der Breite seiner Besitzungen; aber ich sage ihm, daß meine Bäume ein so großes Stück Fläche auf dieser Erde ausmachen, als all sein Wasser. Nun, Mabel, Sie passen wohl für beide, denn ich sehe nicht, daß die Furcht vor den Mingo's oder die Nachtmärsche ihre hübschen Augen trüben können.«

»Ich lerne den Pfadfinder in einem ganz neuen Charakter kennen, indem er einem einfältigen Mädchen Complimente sagt!«

»Nicht einfältig, Mabel; nein, nicht im Mindesten einfältig. Des Sergeanten Tochter würde ihrem würdigen Vater Unehre machen, wenn sie Etwas thun oder sagen würde, was man mit Recht einfältig nennen könnte.«

»Dann muß sie sich in Acht nehmen und trügerischen Schmeichelreden nicht zu viel Glauben schenken. Aber, Pfadfinder, ich freue mich, Euch wieder unter uns zu sehen, denn obgleich sich Jasper nicht viel daraus zu machen schien, so war ich doch besorgt, daß irgend ein Unfall Euch und Euern Freund in dieser fürchterlichen Stromenge betroffen haben möchte.«

»Der Junge kannte uns Beide, und wußte wohl, daß wir nicht ertrinken würden; denn dieß ist schwerlich eine von meinen Gaben. Es wäre auch wahrlich nicht gut schwimmen gewesen mit einer langläufigen Büchse in der Hand; und was diesen Spaß anbelangt, so ist der Hirschetödter und ich zu oft schon durch Wilde und Franzosen gegangen, als daß ich mich so leicht hätte von ihm trennen können. Nein, nein, wir wateten an's Ufer; die Enge war, mit Ausnahme einiger kleinen Stellen, seicht genug dazu – und landeten mit den Waffen in den Händen. Ich gebe zwar zu, daß wir uns um der Irokesen willen Zeit ließen; aber sobald diese schleichenden Vagabunden die Lichter erblickten, welche der Sergeant nach Eurem Kahn herunterschickte, wußten wir wohl, daß sie sich aus dem Staub machen würden, um einer allenfallsigen Visite von der Garnison aus zu entgehen. So saßen wir denn ungefähr eine Stunde geduldig auf den Steinen, und die Gefahr war vorüber. Geduld ist für einen Waldbewohner die wichtigste Tugend.«

»Ich freue mich, das zu hören! denn selbst die Müdigkeit konnte mich kaum schlafen machen, wenn ich bedachte, was Euch möchte zugestoßen sein.«

»Der Herr segne Ihr empfindsames kleines Herz, Mabel! aber das ist so die Weise sanfter Frauenzimmer. Was mich anbelangt, so war ich froh, als ich die Laternen auf das Wasser zukommen sah, weil ich daraus entnehmen konnte, daß Sie in Sicherheit waren. Wir Jäger und Wegweiser sind zwar rauhe Bursche, aber wir haben unsere Gefühle und unsere Gedanken so gut, als ein General in der Armee. Wir Beide, Jasper und ich, hätten uns lieber todtschlagen lassen, ehe Sie hätten Schaden nehmen sollen – ja, das hätten wir.«

»Ich danke Euch, Pfadfinder, für Alles was Ihr für mich gethan habt; aus dem Grunde meines Herzens danke ich Euch, und verlaßt Euch d'rauf, daß es mein Vater erfahren soll. Ich habe ihm schon viel erzählt, aber es bleibt mir in dieser Sache noch eine weitere Verpflichtung.«

»Pah! Mabel! der Sergeant weiß, was die Wälder sind, und kennt auch die Weise der ächten Rothhäute. Es ist nicht nöthig, ihm diese Dinge weitläufig zu erzählen. Nun, Sie sind ja jetzt mit Ihrem Vater zusammengetroffen? Finden Sie den braven alten Soldaten als so eine Art Person, wie Sie ihn zu finden erwarteten?«

»Er ist mein theurer Vater, und hat mich aufgenommen, wie ein Soldat und Vater sein Kind aufnehmen soll. Kennt Ihr ihn schon lange, Pfadfinder?«

»Allerdings, wenn wir wie die Leute rechnen wollen. Ich war gerade zwölf Jahre alt, als der Sergeant mich zu meiner ersten Späherstreife mitnahm, und das ist nun schon über dreißig Jahre. Wir hatten übrigens lange daran zu dauen, und da dieses geschah, ehe Sie geboren waren, so würden Sie wohl keinen Vater gehabt haben, wäre nicht die Büchse eine von meinen natürlichen Gaben gewesen.«

»Erklärt Euch deutlicher.«

»Es ist zu einfach für viele Worte. Wir waren in einen Hinterhalt gefallen; der Sergeant wurde schwer verwundet, und würde wohl seine Kopfhaut verloren haben, hätte ich nicht auf so einer Art von Instinkt zum Gewehr gegriffen. Wir brachten ihn dann weg, und ein schönerer Haarkopf ist, so lange das Regiment besteht, nicht in demselben gefunden worden, als wie ihn der Sergeant noch an diesem gesegneten Tage herumträgt.«

»Ihr habt meines Vaters Leben gerettet, Pfadfinder,« rief Mabel, und faßte unwillkürlich, aber mit Wärme, seine harten, sehnigen Hände mit den ihrigen. »Gott segne Euch auch hiefür, wie für Eure andern guten Handlungen!«

»Nein, ich sagte das nicht, obgleich ich glaube, daß ich seinen Skalp gerettet habe. Ein Mensch kann ohne Kopfhaut leben, und so kann ich nicht sagen, daß ich sein Leben gerettet habe. Aber Jasper könnte das wohl von Ihnen behaupten, denn ohne sein Auge und seinen Arm würde der Kahn nimmermehr in einer Nacht, wie die letzte, glücklich über die Stromenge gekommen sein. Die Gaben des Jungen sind für das Wasser, während die meinigen für die Jagd und die Fährte passen. Er ist dort in der Bucht, sieht nach den Kähnen und verwendet kein Auge von seinem lieben kleinen Fahrzeug. In meinen Augen gibt es keinen schmuckeren Burschen in dieser Gegend, als Jasper Western.«

Das erste Mal, seit sie ihr Zimmer verlassen, blickte jetzt Mabel abwärts, um auch einen Ueberblick über den Vordergrund des merkwürdigen Gemäldes, in das sie sich mit solcher Lust vertieft hatte, zu gewinnen. Der Oswego ergoß sein dunkles Wasser zwischen etwas erhöhten Dämmen, von denen der östliche sich kühner erhob und weiter gegen Norden hervorsprang, als der westliche, in den See. Das Fort lag auf der Westseite, und unmittelbar unter ihm befanden sich einige Blockhäuser, welche, da sie nichts zur Vertheidigung des Platzes beitragen konnten, an dem Ufer hin errichtet worden waren, um die Vorräthe aufzunehmen und aufzubewahren, welche gelandet wurden, oder nach den verschiedenen befreundeten Häfen an den Ufern des Ontario eingeschifft werden sollten. Dann zeigten sich zwei niedrige, gekrümmte, kiesige Punkte, welche mit überraschender Regelmäßigkeit durch die sich entgegenwirkenden Kräfte der Nordwinde und der schnellen Strömung gebildet waren, und sich mitten in dem Fluß zu zwei gegen die Seestürme geschützten Bayen gestalteten. Die auf der Westseite war am tiefsten ausgeschnitten, und da sie auch das meiste Wasser hatte, so konnte man sie als einen kleinen malerischen Hafen betrachten. Längs des nahen Ufers, welches sich zwischen der geringen Ansteigung des Forts und dem Wasser dieser Bucht befand, waren die eben erwähnten rohen Gebäude errichtet.

Mehrere kleine Schiffe, Nachen und Rindenkähne waren an dem Ufer aufgestellt, und in der Bay selbst lag das kleine Fahrzeug, welchem Jasper seinen Ruf als Schiffer verdankte. Es mochte ungefähr vierzig Tonnen führen, war kutterartig aufgetakelt und so zierlich gebaut und gemalt, daß es einigermaßen das Ansehen eines Kriegsschiffs ohne Schanzen hatte. Dabei war es so genau nach den Proportionen der Schönheit sowohl als der Zweckmäßigkeit aufgetakelt und gespiert, daß sein geputztes und schmuckes Aussehen sogar Mabel auffiel. Seine Form war bewunderungswürdig, denn ein Arbeiter von großer Geschicklichkeit hatte auf die ausdrückliche Requisition des Offiziers, welcher es bauen ließ, den Riß dazu aus England geschickt. Die Malerei war dunkel, kriegerisch und nett, und die lange, geißelförmige Flagge, welche es trug, bezeichnete es auf den ersten Blick als Eigenthum des Königs. Sein Name war der Scud. Die vom Wind gejagte Wolke.

»Das ist also Jaspers Schiff!« sagte Mabel, welche den Führer des kleinen Fahrzeugs natürlich schnell mit dem Kutter selbst in Verbindung brachte. »Gibt es noch viele andere auf diesem See?«

»Die Franzosen haben drei. Eines davon ist, wie ich mir sagen ließ, ein wirkliches Schiff, wie man sich ihrer auf dem Meere bedient; das andere ist eine Brigg, und das dritte ein Kutter, wie der Scud hier, und heißt das ›Eichhörnchen‹ in ihrer Sprache. Dieser scheint einen natürlichen Haß gegen unser zierliches Boot zu haben, denn Jasper geht selten aus, ohne daß das ›Eichhörnchen‹ ihm auf der Ferse ist.«

»Und ist Jasper der Mann, der vor einem Franzosen davon geht, wenn er auch in der Gestalt eines Eichhorns erscheint, und noch dazu auf dem Wasser?«

»Wozu nützt die Tapferkeit, wenn man es an den Mitteln fehlen läßt, ihr Nachdruck zu geben? Jasper ist ein muthiger Junge, wie Alle an dieser Gränze wohl wissen; aber er hat kein Geschütz, mit Ausnahme einer kleinen Haubitze, und dann besteht seine Mannschaft außer ihm nur noch aus zwei Leuten und einem Schiffsjungen. Ich war einmal auf einer seiner Fahrten mit ihm, und der Bursche wagte genug, indem er uns so nahe an den Feind brachte, daß die Büchsen zu sprechen anfingen; aber die Franzosen haben Kanonen und Geschützpforten, und zeigen ihr Gesicht nie außerhalb Frontenac, ohne etliche und zwanzig Mann am Bord zu haben, zumal das Eichhörnchen. Nein, nein; dieser Scud ist für den Flug gebaut, und der Major sagt, er wolle ihn nicht durch Bemannung und Bewaffnung zum Fechten geneigt machen, damit er nicht beim Wort genommen und dem Fahrzeug die Flügel beschnitten werden. Ich verstehe mich wenig auf diese Dinge, die mit meinen Gaben in keiner Beziehung stehen, aber ich sehe der Sache auf den Grund – ich sehe ihr auf den Grund, obgleich das Jasper nicht thut.«

»Ah! da kommt mein Onkel, wohlgemuth, trotz seines gestrigen Schwimmens – um diesen Binnensee zu betrachten.«

Wirklich erschien auch Cap, der bereits seine Annäherung durch ein paar kräftige ›Hems‹ angekündigt hatte, auf der Bastei, wo er, nachdem er seiner Nichte und ihrem Gesellschafter zugenickt hatte, bedachtsam seinen Blick über die vor ihm liegende Wasserfläche hinstreifen ließ. Um sich den Ueberblick zu erleichtern, stieg er auf eine der alten eisernen Kanonen, kreuzte seine Arme über der Brust und wiegte seinen Körper, als ob er die Bewegung eines Schiffes fühle. Dabei, um das Gemälde vollständig zu machen, hatte er eine kurze Pfeife in seinem Munde.

»Nun, Meister Cap,« fragte der Pfadfinder in aller Unschuld, denn er bemerkte nicht den Ausdruck der Verachtung, welcher sich allmälig auf den Augen des Anderen lagerte; »ist das nicht eine schöne Wasserfläche, die man ganz füglich ein Meer nennen könnte?«

»Das ist's also, was Ihr Euern See nennt?« fragte Cap, und fuhr mit seiner Pfeife an dem nördlichen Horizont hin. »Ich sage, ist das wirklich Euer See?«

»Gewiß; und wenn das Urtheil eines Mannes, der an den Ufern von manchen andern herumgekommen ist, etwas gilt, so ist es ein recht guter See.«

»Gerade, wie ich's erwartete. Ein Teich im Umfang, und eine Luckenrinne im Geschmack. Man reis't rein vergebens in's Land hinein, wenn man etwas Ausgewachsenes oder Nützliches zu sehen hofft. Ich wußte es ja, daß es gerade so gehen werde.«

»Was ist es denn mit dem Ontario, Meister Cap? Er ist groß, schön anzusehen, und angenehm genug zu trinken für die, welche kein Quellwasser kriegen können.«

»Nennt Ihr das groß?« fragte Cap, indem er wieder mit der Pfeife durch die Luft fuhr. »Ich möchte Euch doch fragen, was denn Großes daran ist? Hat nicht Jasper selbst zugestanden, daß es nur etliche und zwanzig Stunden von einem Ufer zum andern mißt?«

»Aber Onkel,« fiel Mabel ein: »man sieht doch kein Land, als hier an unserer Küste. Mir kömmt es gerade wie der Ocean vor.«

»Dieses bischen Teich wie der Ocean! Ei, Magnet, das ist von einem Mädchen, welches wirkliche Seeleute in ihrer Familie gehabt hat, der handgreiflichste Unsinn. Was ist denn daran, ich bitte dich, das auch nur einen Zug vom Meere hätte?«

»Nun, hier ist Wasser – Wasser – Wasser – nichts als Wasser, Meilen an Meilen – soweit das Auge sehen kann.«

»Und ist nicht auch Wasser – Wasser – Wasser – nichts als Wasser, Meilen an Meilen, in den Flüssen, auf denen wir gefahren sind? – ja, und soweit das Auge sehen kann obendrein.«

»Ja, Onkel, aber die Flüsse haben ihre Ufer, und Bäume an ihren Seiten hin; auch sind sie schmal.«

»Und ist das etwa kein Ufer, worauf wir stehen? Nennen es die Soldaten nicht den Damm des See's? Sind hier nicht Bäume zu Tausenden? und sind nicht zwanzig Stunden schmal genug, bei gutem Gewissen? Wer zum Teufel hat je von den Dämmen des Oceans gehört, wenn es nicht etwa die Dämme unter dem Wasser sind?«

»Aber, Onkel, wir können doch nicht über den See hinübersehen, wie über einen Fluß?«

»Fehl geschossen, Magnet. Sind nicht der Amazonenstrom, der Orinoko und der La Plata auch Flüsse, und kannst du über sie hinübersehen? Hört, Pfadfinder, ich bin noch sehr im Zweifel, ob dieser Streifen Wasser hier auch wirklich ein See ist, denn mir scheint er nur ein Fluß zu sein. Ihr seid hier oben in den Wäldern keineswegs besonders bewandert in eurer Geographie, wie ich merke.«

»Dießmal habt Ihr fehlgeschossen, Meister Cap. Es ist ein Fluß da und zwar ein prächtiger, an jedem Ende. Aber das, was Ihr da vor Euch habt, ist der alte Ontario, und obgleich es nicht zu meinen Gaben gehört, auf einem See zu leben, so gibt es doch, nach meinem Urtheil, wenig bessere, als diesen hier.«

»Und, Onkel, wenn wir auch am Strand zu Rockaway stünden, was könnten wir denn mehr sehen als hier? Es ist dort ein Ufer oder ein Damm auf einer Seite, und Bäume so gut wie hier.«

»Das ist lauter Verkehrtheit, Magnet, und junge Mädchen sollten von allem Widerspruchsgeist klar absteuern. Erstens hat der Ocean Küsten und keine Dämme, mit Ausnahme der großen Dämme, der Grand Banks, sage ich dir, die man vom Lande aus gar nicht sieht, und du wirst doch nicht behaupten wollen, daß dieser Damm außer Sicht des Landes, oder gar unter dem Wasser ist?«

Da Mabel diese abschweifende Meinung mit keinen besonders stichhaltigen Gründen umzustoßen wußte, so verfolgte Cap den Gegenstand weiter, wobei sein Gesicht in dem Triumph eines glücklichen Wortkämpfers zu strahlen anfing.

»Und dann sind jene Bäume mit diesen Bäumen gar nicht zu vergleichen. Die Küsten des Oceans haben Meiereien, Städte, Landsitze und in einigen Theilen der Welt Schlösser, Klöster und Leuchtthürme – ja, ja – Leuchtthürme – ganz besonders; – lauter Dinge, von denen man hier nicht ein einziges sieht. Nein, nein, Meister Pfadfinder; ich habe nie von einem Meere gehört, an dem nicht mehr oder weniger Leuchtthürme gewesen wären, während es hier herum nicht einmal eine Feuerbake gibt.«

»Hier gibt es aber etwas Besseres, etwas viel Besseres, einen Hochwald und prächtige Bäume, einen vollendeten Tempel Gottes.«

»Ja, Euer Hochwald mag wohl gut sein für einen See, aber wozu würde das Weltmeer nützen, wenn die ganze Erde darum Wald wäre? Man brauchte keine Schiffe, da sich das Bauholz flößen ließe, und dann hätte es ein Ende mit dem Handel: was würde aber eine Welt ohne Handel sein? Ich bin der Meinung des Philosophen, welcher sagt, die menschliche Natur sei für den Zweck des Handels erfunden worden. Magnet, ich bin erstaunt, daß du nur daran denken kannst, dieses Wasser sehe aus wie Seewasser! Es ist am Ende nicht einmal so ein Ding wie ein Wallfisch in Eurem ganzen See, Meister Pfadfinder?«

»Ich gestehe, daß ich nie von einem gehört habe. Aber ich verstehe mich nicht auf die Thiere, die im Wasser leben, wenn es nicht die Fische in den Flüssen und Bächen sind.«

»Kein Nordkaper oder etwa ein Meerschwein? Nicht einmal so ein armer Teufel von Hayfisch?«

»Ich will's nicht auf mich nehmen zu sagen, daß irgend einer davon da ist. Ich sage Euch ja, Meister Cap, daß meine Gaben nicht auf diesem Wege liegen.«

»Kein Hering, kein Sturmvogel oder ein fliegender Fisch?« fuhr Cap fort, welcher sein Auge fest auf den Wegweiser richtete, um zu sehen, wie weit er gehen dürfe. »Nicht einmal so etwas wie ein Fisch, der fliegen kann, he?«

»Ein Fisch, der fliegen kann? Meister Cap, Meister Cap, glaubt ja nicht, daß wir, weil wir nur Gränzleute sind, keine Begriffe von der Natur hätten, und von dem, was ihr zu schaffen beliebt haben mag. Ich weiß zwar, daß es Eichhörnchen gibt, die fliegen können« –

»Ein fliegendes Eichhörnchen? – Zum Teufel, Meister Pfadfinder, glaubt Ihr da oben, Ihr hättet einen Jungen auf seiner ersten Fahrt vor Euch?«

»Ich weiß nichts von Euern Fahrten, Meister Cap, obschon ich glaube, daß Ihr manche gehabt habt. Aber was die Natur in den Wäldern anbelangt, so scheue ich mich nicht, Jedem in's Gesicht zu sagen, was ich gesehen habe.«

»Ihr wollt mir also zu verstehen geben, daß Ihr ein fliegendes Eichhörnchen gesehen habt?«

»Ich will Euch die Macht Gottes zu verstehen geben, Meister Cap, und Ihr werdet wohl thun, dieß und noch manche andere derartige Dinge zu glauben, denn Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß es wahr ist.«

»Und doch, Pfadfinder,« sagte Mabel, mit einem so lieblichen Blicke, während sie des Wegweisers Schwäche berührte, daß er ihr von Herzen vergab – »scheint Ihr, der Ihr doch mit so großer Verehrung von der Macht der Gottheit sprecht, daran zu zweifeln, daß ein Fisch fliegen könne?«

»Nein, das habe ich nicht gesagt; und wenn Meister Cap bereit ist, mir die Thatsache zu bezeugen, so will ich's gerne versuchen, sie für wahr zu halten, so unwahrscheinlich sie auch aussieht. Ich halte es für Jedermanns Schuldigkeit, an die Macht Gottes zu glauben, so schwer es ihm auch werden mag.«

»Und warum sollte mein Fisch nicht eben so gut Schwingen haben können, als Euer Eichhörnchen?« fragte Cap, mit mehr Logik als bisher seine Gewohnheit gewesen war. »Daß Fische fliegen, und fliegen können, ist eben so wahr, als es zweckmäßig ist.« –

»Nein, das ist's eben, was einem das Glauben an diese Geschichte so schwer macht,« entgegnete der Wegweiser. »Es scheint unzweckmäßig, einem Thiere, das im Wasser lebt, Schwingen zu geben, die doch keinen Nutzen für dasselbe haben können.«

»Und glaubt Ihr, daß die Fische solche Esel seien, um unter dem Wasser fliegen zu wollen, wenn sie einmal schön mit Schwingen ausgestattet sind?«

»Ich verstehe mich nicht auf diese Sache. Aber daß ein Fisch in der Luft fliegen soll, scheint mir noch mehr gegen die Natur zu sein, als wenn er in seinem eigenen Elemente flöge, in dem Elemente, in welchem er geboren und groß geworden ist, meine ich.«

»Was das für verschrumpfte Ideen sind, Magnet. Der Fisch steigt aus dem Wasser, um seinen Feinden im Wasser zu entgehen: und da habt Ihr nicht nur das Factum, sondern auch das Zweckmäßige daran.«

»Dann will ich glauben, daß es wahr sein muß,« sagte der Wegweiser ruhig. »Wie lang sind ihre Schwingen?«

»Nicht ganz so lang als die der Tauben vielleicht, jedenfalls aber lang genug, um damit eine freie See zu gewinnen. Was Euer Eichhörnchen anbelangt, so wollen wir nichts mehr darüber sprechen, Freund Pfadfinder, denn ich denke, daß Ihr derselben nur als einer Zugabe zu dem Fisch, zu Gunsten der Wälder, erwähntet. Aber was ist das für ein Ding, das da unter dem Hügel vor Anker liegt?«

»Das ist Jaspers Kutter, Onkel,« sagte das Mädchen schnell, »und ein sehr zierliches Fahrzeug, wie ich denke. Es heißt ›der Scud‹«

»Ja, es mag vielleicht für einen See gut genug sein; doch will es gerade nicht viel besagen. Der Junge da hat ein stehendes Bogspriet, und wer hat je vorher einen Kutter mit einem stehenden Bogspriet gesehen?«

»Aber mag das auf einem See, wie dieser, nicht seinen guten Grund haben, Onkel?«

»Wahrscheinlich – man muß sich erinnern, daß dieses nicht das Meer ist, obgleich es so aussieht.«

»Ah, Onkel, dann sieht der Ontario Allem nach doch wie das Meer aus?«

»In deinen Augen, meine ich, und in denen des Pfadfinders; aber nicht im mindesten in den meinigen, Magnet. Ihr könntet mich dort in der Mitte dieses Stückchen Weihers, und zwar in der dunkelsten Nacht, die je vom Himmel fiel, und in dem kleinsten Kahne aussetzen – ich wollte Euch doch sagen, daß es nur ein See ist. Was das anbelangt, so würde es die Dorothy (der Name seines Schiffes) so schnell weg haben, als ich selbst. Ich glaube nicht, daß die Brigg im äußersten Fall mehr als ein paar kurze Streckungen machen dürfte, um den Unterschied zwischen dem Ontario und dem alten atlantischen Ocean zu spüren. Ich führte sie einmal hinab in eine von den großen südamerikanischen Bayen, und sie benahm sich dabei so stöckisch, wie ein unruhiger Bube in einer Methodistenversammlung. Und Jasper segelt dieses Boot? Ich muß mit dem Jungen einen Kreuzzug machen, ehe ich Euch verlasse, nur um des Namens dieses Dinges willen; denn es ginge doch wohl nicht an, zu sagen, ich hätte diesen Weiher gesehen und sei fortgegangen, ohne einen Abstecher darauf gemacht zu haben.«

»Gut, da dürft Ihr nicht lange darauf warten,« erwiederte Pfadfinder, »denn der Sergeant ist im Begriff, sich mit einer Partie einzuschiffen und einen Posten an den Tausend-Inseln abzulösen; und da ich ihn sagen hörte, daß er Mabel mitnehmen wolle, so könnt auch Ihr Euch der Gesellschaft anschließen.«

»Ist das wahr, Magnet?«

»Ich glaube so,« antwortete das Mädchen mit einem so leichten Erröthen, daß es der Beobachtung ihrer Gesellschafter entging, »obgleich ich so wenig Gelegenheit hatte, mit meinem lieben Vater zu sprechen, daß ich es nicht mit Sicherheit behaupten kann. Doch da kommt er, und Ihr könnt ihn selber fragen.«

Ungeachtet seines niederen Ranges war doch etwas Achtunggebietendes in der Miene und dem Charakter des Sergeanten Dunham. Seine hohe imponirende Gestalt, sein ernstes und düsteres Aussehen, die Bestimmtheit und Entschiedenheit seiner Denk- und Handlungsweise machten sogar auf den absprechenden und anmaßenden Cap Eindruck, so daß er es nicht wagte, gegen den alten Soldaten sich die Freiheiten zu erlauben, welche er sich gegen seine übrigen Freunde herausnahm. Man konnte oft bemerken, daß der Sergeant Dunham von Seite Duncans of Lundie, des schottischen Lairds, welcher den Posten commandirte, weit mehr Achtung genoß, als sogar die meisten Subalternoffizire, denn Erfahrung und erprobte Dienste hatten in den Augen des alten Majors eben so viel Werth als Geburt und Vermögen. Da der Sergeant gerade nicht höher zu steigen hoffte, so respektirte er sich selbst und seine Stellung so weit, daß er immer in einer Weise handelte, welche Achtung gebot. Auch hatte er durch die Gewohnheit, immer unter seinen Untergebenen zu leben, deren Leidenschaften und Neigungen er nothwendig durch eine gewisse Abgeschlossenheit und Würde im Zaume halten mußte, seinem ganzen Benehmen eine Färbung gegeben, von deren Einfluß nur Wenige frei blieben. Da die Kapitäne ihn freundlich und wie einen alten Kameraden behandelten, so wagten es die Lieutenants selten, seinen militärischen Ansichten zu widersprechen, und die Fähndriche legten gegen ihn eine Art von Achtung an den Tag, welche fast bis zur Verehrung stieg. Es ist daher kein Wunder, daß Mabels Ankündigung plötzlich dem einfachen Gespräche, welches wir eben mitgetheilt haben, ein Ende machte, obgleich man oft bemerken konnte, daß der Pfadfinder der Einzige in dieser Gränzveste war, welcher, ohne ein Mann von Stande zu sein, es sich erlaubte, den Sergeanten als Seinesgleichen oder vielmehr mit der herzlichen Vertraulichkeit eines Freundes zu behandeln.

»Guten Morgen, Bruder Cap,« sagte der Sergeant, militärisch grüßend, als er mit ernstem und stattlichem Anstand auf das Bollwerk zukam. »Es könnte scheinen, daß mein Morgendienst mich Deiner und Mabels vergessen ließ; aber wir haben dafür nun eine oder zwei Stunden übrig, um bekannter zu werden. Bemerkst du nicht, Schwager, eine große Ähnlichkeit zwischen dem Mädchen und Derjenigen, welche wir schon so lange verloren haben?«

»Mabel ist das Ebenbild ihrer Mutter, Sergeant, wie ich immer gesagt habe, mit einer kleinen Beimischung von deinem festeren Bau; obgleich es, was das anbelangt, den Capen auch nie an Schnellkraft und Behendigkeit fehlte.«

Mabel warf einen furchtsamen Blick auf die ernsten und strengen Züge ihres Vaters, die sie sich mit ihrem warmem Herzen während ihrer Abwesenheit immer mit dem Ausdruck der elterlichen Liebe gedacht hatte; und als sie die Aeußerung derselben durch das Steife und Methodische seiner Manier durchblicken sah, so hätte sie gerne in seine Arme fliegen und sich nach Herzenslust an seinem Busen ausweinen mögen. Aber es war mehr Kälte, mehr Förmlichkeit und Abgeschlossenheit in seinem Aeußern, als sie zu finden erwartet hatte, so daß sie nimmer eine solche Freiheit sich herauszunehmen gewagt haben würde, selbst, wenn sie allein mit ihm gewesen wäre.

»Du hast um meinetwillen eine lange und mühselige Reise unternommen, Bruder, und wir wollen versuchen, dir den Aufenthalt unter uns angenehm zu machen.«

»Ich habe gehört, daß du wahrscheinlich Befehl erhalten werdest, die Anker zu lichten, um deine Back in einen Theil der Welt zu schaffen, wo, wie man sagt, tausend Inseln sein sollen.«

»Pfadfinder, ist das ein Stückchen von Eurer Vergeßlichkeit?«

»Nein, nein, Sergeant ich habe nichts vergessen; aber es schien mir nicht nöthig, Eure Absichten vor Eurem eigenen Fleisch und Blut so streng zu verbergen.«

»Alle militärischen Bewegungen müssen mit so wenig Gerede als möglich gemacht werden,« erwiederte der Sergeant, indem er des Wegweisers Schulter zwar freundlich, aber doch mißbilligend berührte. »Ihr habt zu viel von Eurem Leben den Franzosen gegenüber zugebracht, um nicht den Werth des Schweigens zu kennen. Doch es macht nichts; die Sache muß doch bald bekannt werden, und es würde nicht viel nützen, wenn man es jetzt noch versuchen wollte, sie geheim zu halten. Wir werden in Kurzem eine Ablösungsmannschaft nach einem Posten am See schicken, obgleich ich damit nicht sagen will, daß es nach den Tausend-Inseln gehe. Ich werde wohl selbst mitgehen, und in diesem Falle habe ich die Absicht, Mabel mitzunehmen, damit sie mir meine Suppe koche, und ich hoffe, Schwager, du wirst auf einen Monat oder so etwas Soldatenkost nicht ausschlagen.«

»Das wird von der Art des Marsches abhängen. Ich habe keine besondere Freude an Wäldern und Sümpfen.«

»Wir werden in dem Scud segeln, und in der That, der ganze Dienst, der uns nichts Neues ist, kann wohl Einem, der an's Wasser gewöhnt ist, gefallen.«

»An Salzwasser, willst du sagen, aber nicht an das Wasser eines See's. Doch, wenn ihr Niemand habt, dieses Stückchen Kutter da für euch zu regieren, so habe ich nichts dagegen, für diese Reise den Schiffer zu machen, obgleich ich die ganze Geschichte für verlorne Zeit halte. Wie man sich doch so täuschen kann, ein Segeln auf diesem Weiher herum ein ›zur See gehen‹ zu heißen.«

»Jasper ist jedenfalls im Stande, den Scud handzuhaben, Bruder Cap, und in dieser Hinsicht kann ich gerade nicht sagen, daß wir deiner Dienste bedürfen, obschon uns deine Gesellschaft Vergnügen machen wird. Du kannst erst nach den Ansiedlungen zurückkehren, wenn eine Partie dahin gesendet wird, und dieß wird wahrscheinlich nicht vor unserer Zurückkunft geschehen. – Nun, Pfadfinder, es ist das erste Mal, daß ich Leute auf der Fährte der Mingo's weiß, ohne daß Ihr an ihrer Spitze seid.«

»Um ehrlich gegen Euch zu sein, Sergeant,« erwiederte der Wegweiser nicht ohne einige Derbheit und eine merkliche Veränderung der Farbe seines sonnverbrannten Gesichts, »ich habe diesen Morgen nicht gefühlt, daß so Etwas meine Gabe war. Erstens weiß ich recht wohl, daß die Soldaten des Fünfundfünfzigsten nicht die Leute dazu sind, die Irokesen in den Wäldern zu erwischen, und die Schurken warten sicher nicht, bis man sie umringt, wenn sie wissen, daß Jasper die Garnison erreicht hat. Dann kann sich ein Mann nach einem heißen Tagewerk wohl ein wenig Ruhe gönnen, ohne daß man Ursache hat, seinen guten Willen zu verdächtigen. Außerdem ist der Serpent mit ihnen ausgezogen, und wenn die Schelme überhaupt zu finden sind, so könnt Ihr Euch wohl auf seinen Haß und sein Auge verlassen, von denen der eine stärker, das andere nahezu, wo nicht ganz so gut als mein eigenes ist. Er liebt die schleichenden Vagabunden so wenig als ich, und ich möchte in dieser Beziehung sagen, daß meine Gefühle gegen einen Mingo nichts weiter sind, als die Gaben eines Delawaren, gepfropft auf einen christlichen Stamm. Nein, nein; ich dachte, ich wolle die Ehre dieses Tages, wenn anders Ehre zu erwerben ist, dem jungen Fähndrich, der das Kommando führt, überlassen. Er kann dann, wenn er nicht seinen Skalp verliert, mit diesem Feldzug in den Briefen an seine Mutter großthun. Ich möchte übrigens einmal in meinem Leben auch den Faullenzer spielen.«

»Und Niemand hat ein besseres Recht dazu, wenn lange und treue Dienste zu einem Urlaub berechtigen,« entgegnete der Sergeant freundlich, »Mabel wird nicht schlechter von Euch denken, daß Ihr ihre Gesellschaft der Fährte der Wilden vorzieht, und sich obendrein freuen, Euch einen Theil ihres Frühstücks abzutreten, wenn Ihr Lust habt, Etwas zu genießen. Du darfst jedoch nicht glauben, Mädchen, daß es die Gewohnheit Pfadfinders ist, die Spitzbuben um das Fort Retraite schlagen zu lassen, ohne daß sich der Knall seiner Büchse dabei hören läßt.«

»Wenn ich dächte, daß sie das glaubte, Sergeant, so würde ich, obgleich ich nicht viel auf Gepränge und Parade-Evolutionen gebe, den Hirschetödter schultern, und die Garnison verlassen, ehe noch ihre schönen Augen Zeit hätten, finster zu blicken. Nein, nein; Mabel kennt mich besser, obgleich unsere Bekanntschaft noch neu ist; denn es hat nicht an Mingo's gefehlt, um den kurzen Marsch, den wir bereits in Gesellschaft mit einander gemacht haben, zu beleben.«

»Es würde überhaupt gewichtiger Beweismittel bedürfen, um mir, in was immer für einer Beziehung, eine üble Meinung über Euch beizubringen, geschweige denn hinsichtlich dessen, was Ihr da erwähnt,« erwiederte Mabel mit aufrichtigem Ernste, um jeden Verdacht, der in seiner Seele von dem Gegentheil auftauchen möchte, zu beseitigen. »Vater und Tochter, glaube ich, verdanken Euch ihr Leben, und seid überzeugt, daß keines von Beiden es je vergessen wird.«

»Danke, danke, Mabel, von ganzem Herzen. Aber ich will von eurer beiderseitigen Unwissenheit keinen Vortheil ziehen, Mädchen, und deßhalb will ich sagen, daß ich nicht glaube, die Mingo's hätten Ihnen auch nur ein Haar Ihres Kopfes verletzt, wenn ihnen ihre Teufeleien und Pfiffe geglückt und Sie in ihre Hände gekommen wären. Mein Skalp, Jaspers und Caps seiner da, wie auch der des Serpent wären zwar sicher in den Rauch gehängt worden; was aber des Sergeanten Tochter anbelangt, so glaube ich nicht, daß ihr ein Haar gekrümmt worden wäre.«

»Und warum sollte ich annehmen, daß Feinde, von denen bekannt ist, daß sie weder Weiber noch Kinder schonen, mir mehr Mitleid erwiesen hätten, als Anderen? Ich fühle, Pfadfinder, daß ich Euch mein Leben verdanke.«

»Ich sage nein, Mabel; sie würden nicht das Herz gehabt haben, Sie zu verletzen. Nein, nicht einmal ein hitziger Mingoteufel würde das Herz gehabt haben, ein Haar Ihres Hauptes zu krümmen. Für so schlimm ich auch diese Vampyre halten mag, so glaube ich sie doch keiner solchen Verruchtheit fähig. Sie würden Sie wohl gezwungen haben, das Weib eines ihrer Häuptlinge zu werden, und das wäre Qual genug für ein junges Christenmädchen, aber weiter, glaube ich, wären selbst die Mingo's nicht gegangen.«

»Nun, so verdanke ich Euch doch, daß ich diesem großen Unglück entgangen bin,« sagte Mabel, indem sie, gewiß zum großen Vergnügen des ehrlichen Pfadfinders, seine harte Hand freimüthig und herzlich mit der ihrigen faßte. »Es wäre ein geringeres Uebel für mich gewesen, getödtet, als das Weib eines Indianers zu werden.«

»Das ist ihre Gabe, Sergeant,« rief Pfadfinder, indem er sich mit einem Vergnügen, das aus jedem Zuge seines ehrlichen Gesichtes strahlte, gegen seinen alten Kameraden wandte, »und die will ihren Weg haben. Ich sage dem Serpent immer, daß das Christwerden nicht einmal einen Delawaren zu einem weißen Mann machen kann; und so wird auch weder das Kriegsgeschrei, noch das Kampfgeheul ein Blaßgesicht in eine Rothhaut verwandeln. Dieß ist die Gabe eines jungen, von christlichen Eltern geborenen Weibes, und die muß festgehalten werden!«

»Ihr habt Recht, Pfadfinder; und was Mabel Dunham anbelangt, so ist es gewiß, daß sie sie festhalten wird. Aber es ist Zeit, Euer Fasten zu brechen, und wenn du mir folgen willst, Bruder Cap, so will ich dir zeigen, wie die armen Soldaten hier in einer entfernten Gränzveste leben.«

 


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