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– Doch hab' ich keine Zeit, zu weilen
Bei diesen Tändelei'n des Herzens.
Werner.
Obgleich das Wort »Schloß« in Europa allgemein von alten freiherrlichen Gebäuden gebraucht wird, so ist die Sache selbst doch in verschiedenen Ländern hinsichtlich des Geschmacks, der Größe und des Aufwandes sehr verschieden. Da Sicherheit, verbunden mit Würde und den Mitteln, ein der Lage des Besitzers angemessenes Gefolge unterzubringen, der gewöhnliche Vorwurf war, so wechselte die Lage und die Befestigung nothwendig nach dem allgemeinen Charakter der Gegend, in welcher es lag. So wählte man in Flandern, Holland, in einzelnen Theilen Deutschlands und fast in ganz Frankreich wasserreiche Flächen, während Hügel, Bergvorsprünge und vornämlich die Gipfel kegelförmiger Felsen in der Schweiz, in Italien und wo sonst immer diese natürlichen Schutzmittel leicht gefunden werden konnten, gesucht wurden. Andere Umstände, z. B. Klima, Reichthum, der Charakter des Volkes, die Natur der Feudalrechte dienten gleichfalls sehr, das Aeußere und die Ausdehnung des Gebäudes zu bestimmen. Die alten Schweizerburgen waren wenig mehr als ein viereckiger Thurm, der auf einem Felsen stand und kleine Thürmchen an seinen Ecken hatte. Von außen gegen Feuer gesichert, stieg man von Stock zu Stock auf Leitern; die Betten waren gewöhnlich in den tiefen Fenstereinschnitten oder in Alkoven, welche in die festen Mauern gingen. Wenn größere Sicherheit oder größere Mittel es erlaubten, erhoben sich Haushaltungsgebäude und stattlichere Häuser um den Fuß des Thurmes und schlossen einen Hof ein. Diese richteten sich natürlich nach der Bildung des Felsen, bis später die wirren und kunstlosen Mauermassen, welche man jetzt auf so vielen der kleineren Alpenvorsprünge verfallen sieht, ins Leben traten.
Wie in allen alten Burgen war der Rittersaal – la salle de chevaliers, oder die Halle von Blonay, wie der Name in verschiedenen Ländern verschieden klingt, das größte und am kunstreichsten verzierte Gemach des Gebäudes. Er befand sich nicht mehr in dem rohen, kerkerartigen Burgthurm, welcher gleichsam aus dem lebendigen Felsen herauswuchs, auf welchem er mit so vieler Geschicklichkeit aufgeführt wurde, daß es schwer war, bestimmt anzugeben, wo die Natur aufhörte und wo die Kunst anfing; sondern er war, ungefähr ein Jahrhundert vor der Zeit unserer Erzählung, in einem neuern Theil der Gebäude, welche den südöstlichen Flügel des Ganzen bilden, verlegt worden. Das Gemach war groß, viereckig, einfach, denn dies ist die Sitte des Landes, und durch Fenster erleuchtet, welche auf der einen Seite nach Wallis blickten, auf der andern über den ganzen unregelmäßigen aber lieblichen Abhang der Leman-Ufer und den schönen See entlang, Weiler, Dörfer, Städte, Schlösser und Purpurberge umfassend, bis der neblige Jura die Aussicht begrenzte. Das Fenster auf der letztern Seite des Rittersaals hatte einen eisernen Balkon, der aus einer schwindelnden Höhe nieder sah, und in diesem luftigern Lug hatte Adelheid sich niedergesetzt, als sie, ihren Vater verlassend, in die allen Gästen des Schlosses gemeinschaftliche Halle heraufgestiegen war.
Wir haben bereits im allgemeinen die persönliche Erscheinung und die geistigen Eigenschaften der Tochter des Freiherrn von Willading angedeutet; wir halten es aber jetzt für nothwendig, den Leser mit einem Wesen genauer bekannt zu machen, das bestimmt ist, keine unbedeutende Rolle in den Begebnissen unserer Erzählung zu spielen. Es ist gesagt worden, daß ihr Anblick dem Auge wohl that; aber ihre Schönheit war von einer Art, die mehr von dem Ausdrucke, von der Verschmelzung des Charakters mit weiblicher Grazie abhing, als von den gewöhnlichen Linien der Regelmäßigkeit und des Ebenmaßes. Während sie keinen Zug hatte, der fehlerhaft war, hatte sie keinen, der unbedingt fehlerlos gewesen wäre, obgleich alle mit so vieler Harmonie verschmolzen waren, und der sanfte Ausdruck des milden blauen Auges so gut zu dem wonnigen Spiel eines lieblichen Mundes paßte, daß die Seele ihrer Besitzerin stets bereit schien, in diesen unbefangenen Verräthern ihrer Gedanken herauszutreten. Dennoch saß mädchenhafte Zurückhaltung als stete Wächterin über allem, und wenn der Beschauende sich am meisten in Verbindung mit ihrem Geiste glaubte, fühlte er am meisten dessen reinen und erhebenden Einfluß. Vielleicht trug ein Zug hohen Verstandes, einer natürlichen Kraft zu unterscheiden, welche die den Frauen jener Zeit gesteckten engen Grenzen weit überragte, das seinige dazu bei, die, welche sich ihr nahten, in Achtung zu erhalten, und diente in einem gewissen Grade als eine milde und weise Wehr, welche den Reizen ihrer Holdseligkeit und Unschuld entgegen wirkte. Kurz, jemand, der unerwartet in ihre Gesellschaft gekommen wäre, würde nicht lange angestanden haben, zu schließen, und er würde richtig entschieden haben, daß Adelheid von Willading ein Mädchen von warmem und innigem Gefühl, von einer lebendig regen, aber geregelten Phantasie, von einem festen und erhabenen Sinn für alle ihre Pflichten, sowohl den natürlichen als den aus den geselligen Obliegenheiten fließenden, von der zärtlichsten Theilnahme und doch von einem Charakter und seiner Gemüthsart sei, welche sie in den Stand setzte, in allen den Fällen selbstständig zu denken und zu handeln, in welchen es für ein Mädchen ihres Standes und ihrer Jahre paßte, eine solche Selbstständigkeit geltend zu machen.
Es war nun mehr als ein Jahr verflossen, seit Adelheid sich der Kraft ihrer Anhänglichkeit an Sigismund völlig bewußt geworden war, und während dieser ganzen Zeit hatte sie schwer gekämpft, ein Gefühl zu besiegen, welches nach ihrer Ansicht zu keinem glücklichen Ende führen konnte. Die Erklärung des jungen Mannes selbst, eine Erklärung, die sich unwillkührlich und in einem Augenblicke mächtiger Leidenschaft ihm entwunden hatte, war von einem Eingeständniß des Nutzlosen und Thörigen derselben begleitet und öffnete ihr zuerst das Auge über den Zustand ihrer eigenen Gefühle. Obgleich sie diesen Worten gelauscht hatte, wie jedes Mädchen, auch wenn die Liebe hoffnungslos ist, solchen Worten, die von geliebten Lippen kommen, lauschen wird, so geschah es doch mit einer Selbstbeherrschung, welche sie befähigte, ihr eigenes Geheimniß zu bewahren und mit einem festen und frommen Entschluß, das zu thun, was sie für ihre Pflicht gegen sich, gegen ihren Vater und gegen Sigismund hielt. Von dieser Stunde an sah sie ihn nicht wieder, ausgenommen unter Umständen, welche Verdacht auf ihre Beweggründe, sich ihm zu entziehen, geworfen hätten, und während sie ihre großen Verpflichtungen gegen den Jüngling nie zu vergessen schien, versagte sie sich entschieden die Freude, auch nur seinen Namen zu nennen, wenn es zu vermeiden war. Aber das Bestreben, zu vergessen, ist unter allen undankbaren und mühevollen Bestrebungen dasjenige, dessen Erfolg am wenigsten wahrscheinlich ist. Adelheid wurde nur durch ihr Pflichtgefühl und den Wunsch aufrecht erhalten, ihres Vaters Pläne nicht zu vereiteln, denen Gewohnheit und Sitte bei Mädchen ihres Standes beinahe die Kraft des Gesetzes gegeben hatte, obgleich Vernunft und Urtheil nicht minder als ihre Gefühle der andern Seite stark zuneigten. In der That sprach, das allgemein Unpassende einer Verbindung zwischen zwei jungen Leuten von ungleichem Stande allein ausgenommen, durchaus nichts gegen ihre Wahl (wenn das eine Wahl genannt werden darf, was doch mehr das Resultat freiwilligen Gefühls und geheimer Sympathie, als irgend einer andern Ursache war), als vielleicht eine gewisse unbewußte Zurückhaltung und eine sichtbare Unbehaglichkeit, so oft von der frühern Geschichte und der Familie des Kriegers die Rede war. Diese Empfindlichkeit Sigismund's war von andern, so wie von ihr selbst, bemerkt und gedeutet worden, und man schrieb sie offen der Pein eines Mannes zu, welcher durch Zufall in eine innige Verbindung mit Höheren getreten ist, die zu unterhalten seine Geburt ihn nicht berechtigt; eine Schwäche, die nur zu gewöhnlich ist, der zu wiederstehen Wenige die Geisteskraft und die zu besiegen die Meisten nicht den hinreichenden Stolz haben. Die tiefblickende Aufmerksamkeit der Liebe führte Adelheid jedoch zu einem andern Schluß; sie sah, daß er seine niedrige Abstammung nicht zu verbergen bemüht war, während er mit gleich gutem Geschmack zudringlicher Anspielungen auf seine arme Geburt sich enthielt, aber sie bemerkte auch, daß es Punkte in seiner frühern Geschichte gab, über welche er ungemein empfindlich war und die, wie sie anfangs fürchtete, dem Bewußtsein von Handlungen zugeschrieben werden mußten, welche seine klare Ansicht von sittlichen Grundsätzen verdammte, und die er vergessen wünschen mußte. Eine Zeitlang hielt Adelheid an dieser Entdeckung als einem heilsamen und geeigneten Heilmittel gegen ihre schwärmerische Neigung fest, aber ihre angeborne Gradheit verbannte einen Verdacht, der nicht hinreichend begründet war, als seiner und ihrer zumal unwürdig. Die Wirkungen eines fortdauernden innern Kampfes und der Fruchtlosigkeit ihrer Anstrengungen, ihre Liebe für Sigismund zu überwinden, sind in dem Hinschmachten ihrer Blüthe, in dem peinlichen Kummer eines von Natur so holdseligen Antlitzes und in der ruhigen Schwermuth ihres sinnigen, milden Auges geschildert worden. Dies waren die wahren Ursachen der von ihrem Vater unternommenen Reise, so wie der meisten andern Begebnisse, welche wir zu schildern im Begriffe sind.
Die Aussicht in die Zukunft hatte einen plötzlichen Wechsel erfahren. Die Röthe, obgleich mehr die Wirkung der Erregung als wiederkehrender Gesundheit – denn der Strom des Lebens nimmt, wenn er rauh aufgewühlt wird, nicht bei dem ersten Hauche des Glückes seinen regelmäßigen Lauf wieder an – umglühte ihre Wange wieder und gab ihren Blicken Glanz, und freundliches Lächeln spielte um die Lippen, welche lange vor Gram erblaßt waren. Sie lehnte sich auf dem Balkone vor und nie war ihr die Luft ihrer heimathlichen Gebirge so balsamisch und wohlthuend vorgekommen. In diesem Augenblick erschien der Gegenstand ihrer Gedanken an dem grünen Abhang, unter den üppigen Nußbäumen, welche die kunstlosen Wege um Blonay beschatten. Adelheid's Herz klopfte heftig; sie kämpfte einen Augenblick mit ihrer Furcht und ihrem Stolze und dann gab sie, zum ersten Mal in ihrem Leben, ihm ein Zeichen, daß sie wünschte, er möchte zu ihr kommen.
Des wichtigen Dienstes ungeachtet, welchen der junge Krieger der Tochter des Freiherrn von Willading erwiesen hatte, und trotz der langen Vertraulichkeit, welche die Frucht desselben war, war die Zurückhaltung, welche sie bisher beobachtet hatte, indem sie sich bemühte, ihre Neigung zu zügeln, obgleich die einfachen Sitten der Schweiz eine größere Innigkeit des Verkehrs zuließen, als sonstwo Mädchen von Rang gestattet ist, so groß, daß Sigismund anfangs wie an den Boden gewurzelt dastand; denn er konnte sich nicht denken, daß ihm das Winken der Hand gelte. Adelheid sah seine Verlegenheit und das Zeichen wurde wiederholt. Mit der Eile des Windes sprang der junge Mann die Anhöhe hinauf und verschwand hinter den Mauern des Schlosses.
Die so lange und so glücklich von Adelheid beachtete Schranke der Zurückhaltung war nun überschritten und es war ihr, als wenn wenige kurze Minuten ihr Schicksal entscheiden müßten. Die Nothwendigkeit, einen weiten Umweg zu machen, um in den Hof zu gelangen, gewährte ihr jedoch ein wenig Zeit zum Nachdenken, und diese suchte sie zu benutzen, um ihre Gedanken zu sammeln und ihre Besonnenheit zu gewinnen.
Als Sigismund in den Rittersaal trat, fand er das Mädchen noch an dem offenen Fenster des Balkons sitzen, blaß und ernst, aber vollkommen ruhig und mit einem solchen Ausdruck strahlenden Glückes in ihrem Antlitz, wie er diesen so viele peinliche Monate nicht in ihren holden Zügen hatte walten sehen. Sein erstes Gefühl war das der Freude, als er bemerkte, wie gut sie die Unruhen und Gefahren der vergangenen Nacht überstanden hatte. Diese Freude drückte er mit der Offenheit aus, welche die Sitte der Deutschen gestattet.
»Die Gefahr auf dem See wird dir nicht schaden, Adelheid?« sagte er, ihr aufmerksam in das Gesicht sehend, bis das verrätherische Blut ihr ganzes Antlitz mit Purpur färbte.
»Geistige Aufregung ist ein gutes Gegenmittel gegen die Folgen körperlicher Gefährdung. Das Vorgefallene hat mich nicht nur nicht angegriffen, sondern ich fühle mich heute stärker und kräftiger, Anstrengungen zu ertragen, als jemals, seit wie aus den Thoren von Willading sind. Diese balsamische Luft dünkt mir Italien, und ich sehe keine Nothwendigkeit, weiter zu reisen, um das zu suchen, was zu meiner Gesundheit nothwendig sein sollte – angenehme Gegenstände und eine wohlthätige Sonne.«
»So gehst du nicht über den St. Bernhard?« rief er in dem Tone vereitelter Hoffnung aus.
Adelheid lächelte und er fühlte sich ermuthigt, obgleich das Lächeln doppelsinnig war. Trotz dem wirklich edlen, offenen Charakter des Mädchens und ihrem ernsten Wunsche, dieses Herz zu beruhigen, reizte sie doch Natur, oder Gewohnheit, oder Erziehung, denn wir wissen kaum, wem diese Schwachheit zugeschrieben werden muß, eine unmittelbare Erklärung zu vermeiden.
»Was kann man Lieblicheres oder der Gesundheit Zusagenderes verlangen, als das?« antwortete sie ausweichend. »Hier ist eine warme Luft, eine Landschaft, welche kaum von Italien übertroffen wird, und ein freundliches Dach. Die Erfahrung der letzten vierundzwanzig Stunden ermuthigt eben nicht, die Reise über den St. Bernhard zu unternehmen, ungeachtet der schönen Versprechungen der Gastfreundschaft und des Willkommenseins, welche der gute Mönch uns so zuvorkommend gemacht hat.«
»Dein Auge widerspricht deiner Zunge, Adelheid; du bist heute heiter und recht wohl auf, da du Lust hast zu scherzen. Aber um des Himmels willen, versäume es nicht, in dem falschen Glauben, Blonay sei ein geschirmtes Pisa, diese Besserung zu benutzen. Wenn der Winter kömmt, wirst du finden, daß diese Berge doch noch die eisigen Alpen sind, und die Winde werden durch dieses alte Schloß pfeifen, wie sie in den nackten Gängen von Willading gesaust haben.«
»Wir haben ja Zeit vor uns und können dies überlegen. Du wirst ohne Zweifel, sobald die Festlichkeiten von Vevay vorüber sind, deinen Weg nach Mailand fortsetzen.«
»Dem Krieger bleibt wenig andere Wahl, als seiner Pflicht zu genügen. Mein öfterer Urlaub in der letzten Zeit, der mir wegen wichtiger Familien-Angelegenheiten zuvorkommend bewilligt worden, steigert meine Verbindlichkeit, pünktlich zu sein, damit ich nicht der bereits genossenen Gunst uneingedenk erscheine. Schulden wir gleich alle der Natur eine gewichtige Schuld, so nahm ich doch unsere freiwilligen Verpflichtungen stets sehr ernsthaft.«
Adelheid hörte mit athemloser Aufmerksamkeit zu. Nie vorher hatte er das Wort Familie in Bezug auf sich, in ihrer Gegenwart ausgesprochen. Die Anspielung schien unerfreuliche Gedanken in dem jungen Manne zu erregen, denn als er aufhörte zu sprechen, trübte sich sein Antlitz und er schien der Gegenwart seiner schönen Freundin fast zu vergessen. Die letztere brach theilnehmend das Gespräch ab, das ihm, wie sie sah, peinlich war, und bemühte sich, seine Gedanken auf andere Gegenstände zu bringen. Durch einen unglücklichen Zufall beschleunigte eben dieses Mittel, zu dem sie ihre Zuflucht nahm, die Erklärung, welche sie jetzt so gerne hinausgerückt gesehen hätte.
»Mein Vater hat oft die Lage des Schlosses des Freiherrn von Blonay gepriesen,« sagte Adelheid, aus dem Fenster blickend, obgleich alle die reizenden Gegenstände der Aussicht unbeachtet vor ihren Augen schwammen; »aber bis jetzt habe ich immer geglaubt, die Freundschaft habe einen großen Einfluß auf seine Schilderungen.«
»Du hast ihm also Unrecht gethan,« antwortete Sigismund, an das Fenster tretend. »Unter allen alten Burgen der Schweiz ist Blonay vielleicht zu dem Preis, die schönste Lage zu haben, berechtigt, Sieh auf jenen verrätherischen See, Adelheid! Können wir uns denken, daß dieser schlummernde Spiegel derselbe kochende Kessel sei, auf welchem wir so kurz erst umhertrieben, hülflos und beinahe hoffnungslos.«
»Hoffnungslos, Sigismund, wärst du nicht gewesen.«
»Du vergißt den muthigen Italiener, ohne dessen Besonnenheit und Geschicklichkeit wir rettungslos zu Grunde gegangen wären.«
»Und was würde es mir nützen, wenn man das werthlose Fahrzeug gerettet hätte, wäre mein Vater und sein Freund dem schrecklichen Schicksal preisgegeben worden, welches den Schiffsherrn und jenen unglücklichen Berner Landwirth traf?«
Das Herz des jungen Mannes schlug hoch, denn es war eine Zärtlichkeit in Adelheid's Ton, an welche er nicht gewöhnt war, und die er in der That nie vorher in ihrer Stimme gefunden hatte.
»Ich muß diesen wackern Seemann aufsuchen,« sagte er, fürchtend, er möchte die Gewalt über sich durch das Verführerische solch einer Nähe wieder verlieren: »es ist Zeit, daß er wesentlichere Beweise unserer Dankbarkeit erhält.«
»Nein, Sigismund,« erwiederte die Jungfrau fest und auf eine Weise, die ihn an die Stelle fesselte, – »du darfst mich noch nicht verlassen. – Ich habe dir viel zu sagen – viel, das mein künftiges Glück, und, ich bin vielleicht schwach genug zu glauben, auch das deinige, betrifft.«
Sigismund war verwirrt, denn die Miene seiner Freundin war, obgleich die Röthe in plötzlichen und hellen Flammen über ihr reines Antlitz flog, wunderbar ruhig und voller Würde. Er nahm den Stuhl ein, auf den sie schweigend deutete und saß bewegungslos, wie in Stein gehauen, alle seine Geisteskräfte in dem einzigen Sinne des Gehörs verloren. Adelheid sah, daß der Scheidepunkt gekommen war, und daß ein Zurücktreten ohne den Schein des Leichtsinns, den ihr Charakter und ihr Stolz zumal verabscheuten, unmöglich war. Die angebornen und vielleicht nicht auszuscheidenden Gefühle ihres Geschlechtes würden sie jetzt wieder veranlaßt haben, die Erklärung zu vermeiden, hätte nicht ein hoher und frommer Beweggrund sie unterstützt.
»Du mußt ein großes Vergnügen darin finden, Sigismund, an deine guten Werke gegen andere zu denken. Ohne dich wäre Melchior von Willading lange kinderlos; und ohne dich würde seine Tochter jetzt eine Waise sein. Zu wissen, daß du die Kraft und den Willen gehabt hast, deinen Freunden zu helfen, muß jedes andere Wissen aufwiegen.«
»Ja, Adelheid, in so fern du betheiligt bist,« antwortete er leise: »das stille Glück, dir und denen, die du liebst, nützlich gewesen zu sein, würde ich nicht mit dem Throne des mächtigen Fürsten, dem ich diene, vertauschen. Mein Geheimniß ist mir bereits entrissen worden und ich würde vergeblich versuchen, es zu läugnen, wenn ich wollte. Du weißt, daß ich dich liebe und mir selbst zum Trotz nährt mein Herz die Schwachheit. Ich freue mich eher, als ich bange, es zu sagen, daß es sie nähren wird, bis es aufhört zu fühlen. Dies ist mehr, als ich je vor deinen sittsamen Ohren wiederholen wollte, welche durch müßige Erklärungen, wie diese, nicht verwundet werden sollten; aber – du lächelst – Adelheid! kann dein freundlicher Geist einer hoffnungslosen Leidenschaft spotten?«
»Warum sollte mein Lächeln Spott sein?«
»Adelheid – nein – es kann nicht sein! Jemand von meiner Geburt – meiner unedeln, namenlosen Abkunft kann einer Dame von deinem Namen und deinen Aussichten mit Ehre seine Wünsche nicht einmal andeuten.«
»Sigismund, es kann sein. Du hast das Herz der Adelheid von Willading und die Dankbarkeit ihres Vaters nicht recht berechnet.«
Der junge Mann blickte ernst in das Antlitz des Mädchens, die jetzt, nachdem sie ihre Seele des geheimsten Gedankens entladen, hoch erröthete, mehr jedoch vor Erregung als vor Scham, denn sie begegnete seinem glühenden Blick mit dem milden Vertrauen der Unschuld und Liebe. Sie glaubte, und sie hatte allen Grund es zu glauben, daß ihre Worte Freude gewähren würden, und mit der eifersüchtigen Aufmerksamkeit wahrer Liebe wollte sie nicht gern einen einzigen Ausdruck des Glückes sich entgehen lassen. Aber statt des glänzenden Auges und des raschen Ausdrucks der Freude, welche sie zu sehen erwartete, schien der junge Mann von Gefühlen ganz entgegengesetzter und wirklich höchst peinlicher Art überwältigt. Er athmete schwer, sein Blick schweifte unstät umher und seine Lippen zuckten. Er strich sich mit der Hand über die Stirne, wie jemand, der in tiefer Seelenangst schwebt, und ein kalter Schweiß brach, wie durch das furchtbare innere Wirken des Geistes, in großen sichtbaren Tropfen auf seiner Stirne und den Schläfen aus.
»Adelheid, – theuerste Adelheid – du weißt nicht, was du sagst – ein Mann, wie ich, kann nie dein Gatte werden.«
»Sigismund – warum dieser Schmerz? – Sprich mit mir erleichtere dein Herz durch Worte. Ich schwöre dir, die Einwilligung meines Vaters ist meinerseits von einem bereitwilligen Herzen begleitet. Ich liebe dich, Sigismund – willst du mich dein nennen – kann ich mehr sagen?«
Der junge Mann sah sie ungläubig, und dann, als der Gedanke klarer wurde, wie jemand an, der auf einen sehr theuern Gegenstand, welcher hoffnungslos verloren ist, hinblickt. Er schüttelte traurig den Kopf und verhüllte sein Gesicht in seinen Händen.
»Sage nicht mehr, Adelheid – um meinetwillen um deiner selbstwillen, sage nicht mehr – aus Mitleid schweige! du kannst nie die meinige werden – Nein, nein – die Ehre verbietet's – bei dir wäre es Wahnsinn, bei mir Schande – wir können nie vereinigt werden! Welche unselige Schwäche fesselte mich an deine Nähe – ich habe dies lange gefürchtet –«
»Gefürchtet!«
»Nein, wiederhole meine Worte nicht – denn ich weiß kaum, was ich sage. Du und dein Vater habt in einem Augenblick lebhaften Dankgefühls einer edeln, großmüthigen Regung nachgegeben – ich darf aber keinen Nutzen von dem Vorfall ziehen, der mich in den Stand setzte, dieses Glück zu verdienen. Was würde der ganze Adel, was würde die ganze Eidgenossenschaft sagen, Adelheid, wenn die edelste, die reichste, die schönste, die holdeste, die beste Jungfrau des Cantons, einen namenlosen, heimathlosen Glückssoldaten eheligen wollte, der nur sein Schwert und einige Gaben der Natur zu seiner Empfehlung hat? dein vortrefflicher Vater wird gewiß besser von dieser Sache denken und wir wollen nicht mehr davon sprechen.«
»Hörte ich die gewöhnlichen Gefühle meines Geschlechts, Sigismund, so möchte dieses Widerstreben, anzunehmen, was mein Vater und ich selbst bieten, mir Grund geben, Mißfallen zu heucheln. Aber zwischen mir und dir soll nichts sein als heilige Wahrheit. Mein Vater hat alle diese Einwürfe wohl erwogen und hat edel beschlossen sie zu vergessen. Bei mir hatten sie, gegen deine Verdienste in die Wagschale gelegt, überhaupt nie ein Gewicht. Wenn du nicht adelig werden kannst, um unsersgleichen zu werden, so werde ich mehr Glück darin finden, zu dir niederzusteigen, als in herzlosem Elend auf der eiteln Höhe zu leben, auf welche mich der Zufall gestellt hat.«
»Erhabenes, edles Mädchen! – Was hilft dies alles? Unsere Verbindung ist unmöglich.«
»Wenn du irgend ein Hinderniß kennst, welches sie für ein schwaches, aber tugendhaftes Mädchen unpassend macht –«
»Still, Adelheid – sprich den Gedanken nicht aus. Ich bin genug gedemüthigt – genug erniedrigt – ohne diesen grausamen Verdacht.«
»Warum ist unser Bund dann unmöglich – wenn mein Vater nicht nur einwilligt, sondern es wünscht, daß er statt finde?«
»Gib mir Zeit zum Nachdenken – du sollst alles erfahren, Adelheid – früher oder später. Ja, dies wenigstens bin ich deiner edeln Offenheit schuldig. Du hättest es billig längst erfahren sollen.«
Adelheid betrachtete ihn in sprachloser Angst, denn die sichtbaren und heftigen physischen Kämpfe des jungen Mannes zeigten den geistigen Kampf, dem er unterworfen war. Die Farbe war aus ihrem eigenen Gesicht gewichen, in welchem die Schönheit nun als unbestrittene Herrin herrschte; aber es lebte da der Ausdruck der gemischten Gefühle des Staunens, der Furcht, der Zärtlichkeit, der Unruhe. Er sah, daß seine Leiden sich seiner Freundin schnell mittheilten und meisterte durch eine mächtige Anstrengung seine Erregung so weit, daß er wieder einen Theil seiner Gewalt über sich erhielt.
»Diese Erklärung ist zu sorglos hinausgeschoben worden,« fuhr er fort: »es koste, was es wolle, sie soll nicht länger verzögert werden. Du wirst mich nicht der Grausamkeit, noch ehrlosen Verschweigens anklagen, sondern der Gebrechen der menschlichen Natur gedenken und eine Schwachheit eher bemitleiden als tadeln, welche vielleicht für dich, geliebte Adelheid, der Grund so vieler künftigen Schmerzen ist, wie sie jetzt in mir bittere Reue hervorruft. Ich habe es nie vor dir verhehlt, daß ich von Geburt einem Stande angehöre, von dem man in ganz Europa glaubt, er habe geringere Rechte, als der deinige; in dieser Hinsicht bin ich eher stolz als demüthig, denn die gehässigen hergebrachten Unterschiede haben zu oft zu Vergleichungen gereizt, und ich bin in Lagen gewesen, wo ich lernen konnte, daß der bloße Zufall der Herkunft weder persönliche Tugenden, noch höhern Muth, noch überlegenern Verstand gewährt. Obgleich menschliche Anordnungen den minder Glücklichen unterdrücken helfen können, so hat Gott doch den Mitteln der Menschen bestimmte Grenzen gesteckt. Wer durch unnatürliche Mittel berühmt und größer werden will, als seinesgleichen, muß andere erniedrigen, um seinen Zweck zu erreichen. Durch andere Mittel als diese gibt es keinen Adel, und wer nicht geneigt ist, eine Untergeordnetheit zuzugeben, die nur in der Idee besteht, kann nie durch einen so hohlen Kunstgriff gedemüthigt werden. Was die bloße Geburt betrifft, so bin ich nie sehr empfindlich gewesen, mag nun Stolz, oder Philosophie, oder die Gewohnheit, als Krieger denen zu befehlen, welche als Menschen über mir stehen dürften, daran Schuld sein. Vielleicht ist die größere Schmach, welche mich drückt, Ursache, daß dieser Mangel mir unbedeutender erscheint, als dies sonst der Fall wäre.«
»Schmach!« wiederholte Adelheid mit fast erstickter Stimme. »Das Wort ist schrecklich, indem es von einem Manne deines geregelten Geistes kömmt und auf dich angewendet wird.«
»Ich kann kein anderes wählen. Schmach ist's durch die allgemeine Uebereinkunft der Menschen – durch lange und eingewurzelte Ansicht – es sollte fast scheinen, durch das gerechte Urtheil Gottes. Glaubst du nicht, Adelheid, daß es gewisse Geschlechter gebe, die verflucht scheinen, um irgend einem großen und unbekannten Zwecke zu entsprechen – Geschlechter, auf welche sich die heiligen Segnungen des Himmels niemals niedersenken, wie sie Gute und Verdienstvolle, die aus andern Familien stammen, heimsuchen!«
»Wie kann ich eine solche offene Ungerechtigkeit von Seiten einer Macht glauben, die da weise ist ohne Grenzen und ihren Kindern liebevoll verzeiht?«
»Deine Antwort würde richtig sein, wäre diese Erde das Weltall und dieser Zustand des Daseins der letzte. Aber Er, dessen Blick sich über das Grab ausdehnt, der Gerechtigkeit, Gnade und Güte nach einem seinen eigenen Eigenschaften angemessenen und nicht unsern beschränkten Mitteln angepaßten Maßstab gestaltet – er darf nicht nach der engen Weise gemessen werden, welcher wir bei den Menschen anwenden. Nein, wir dürfen die Anordnungen Gottes nicht nach Gesetzen messen, die in unsern Augen beifallswerth sind. Gerechtigkeit ist eine bezügliche und keine abstrakte Eigenschaft, und bis wir die Beziehungen der Gottheit zu uns so gut kennen, als wir unsere Beziehungen zur Gottheit kennen, urtheilen wir auf's Ungewisse hin.«
»Ich höre dich nicht gerne so sprechen, und am wenigsten mit einer so umwölkten Stirne und mit einer so hohlen Stimme.«
»Ich will dir meine Geschichte heiterer erzählen, Theure! Ich habe kein Recht, dich zur Theilnehmerin meines Elends zu machen, und doch ist dies die Art, wie ich geforscht, gedacht und erwogen habe – ja, bis mein Gehirn heiß wurde und die Kraft der Vernunft selbst wankte. Immer, seit der Unglücksstunde, in welcher mir die Wahrheit kund und ich Herr des unseligen Geheimnisses wurde, strebte ich so zu fühlen und zu denken.«
»Welche Wahrheit? – welches Geheimniß? – Wenn du mich liebst, Sigismund, sprich ruhig und ohne Rückhalt.«
Der junge Mann blickte in ihr banges Antlitz, so daß man sah, wie tief er die Schwere des Schlages fühlte, den er im Begriff war zu geben. Dann fuhr er, nach einer Pause, fort:
»Wir haben gestern einen furchtbaren Vorfall mit einander erlebt, theuerste Adelheid. Er gehörte zu denen, die wohl die Entfernungen mindern, welche menschliche Gesetze und die Tyrannei der Meinung zwischen uns legt. Wäre es Gottes Willen gewesen, daß das Fahrzeug zu Grunde ging, welch ein wirrer Haufe wenig zusammenpassender Geister wäre zumal in die Ewigkeit hinüber gegangen! Wir hatten dort Leute von allen Graden des Lasters, so wie fast von allen Graden der Bildung, von der spitzfindigen Ruchlosigkeit des verschmitzten Neapolitanischen Possenreißers bis zu deiner eigenen reinen Seele. Es wäre in dem Winkelried der vornehme Adelige, der hochwürdige Priester, der Krieger in dem Stolze seiner Kraft und der Bettler gestorben. Der Tod ist ein unbestechlicher Gleichmacher und die Tiefe des Sees wenigstens hätte alle unsere Schmach abgewaschen, ob dieselbe sich nun aus wirklicher Schuld oder blos aus geltender Ansicht herschrieb; selbst der unglückliche Balthasar, der verfolgte und gehaßte Scharfrichter, hätte jemand gefunden, der sein Schicksal betrauerte.«
»Wenn jemand unbeweint hätte sterben können, indem ihn ein solches Geschick traf, so mußte es der gewesen sein, der überhaupt so wenig menschliches Mitgefühl erweckt, und der zugleich, indem er andern Leid zufügen hilft, weniger Anspruch an die Theilnahme hat, die wir den meisten unserer Mitmenschen widmen.«
»Schone mich – Erbarmen, Adelheid, schone mich – du sprichst von meinem Vater!«