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Zwölftes Kapitel.

Nicht mehr zu wissen ist
Des Weibes glücklichst Wissen und ihr Preis.

Milton.

Unsere Heldin war ein Weib in dem besten Sinne dieses schönen und, wir möchten hinzusetzen, vielumfassenden Wortes. Gefühlvoll, bescheiden, und zuweilen sogar schüchtern in Dingen, welche die Thätigkeit höherer Eigenschaften nicht in Anspruch nahmen, war sie in ihren Grundsätzen fest, wie sie in ihren Gefühlen beständig und innig war, und wenn Pflicht und Neigung vereinigt dazu aufforderten, in einem Grade selbstaufopfernd, daß der Gedanke eines Opfers nicht in Betracht kam. Auf der andern Seite machten die Empfänglichkeit für lebhafte Eindrücke, ein charakteristischer Zug ihres Geschlechtes, und die Neigung, Wichtigkeit auf die Sitten zu legen, von denen sie umgeben war und die nothwendig bei jenen am größten ist, welche ein abgeschlossenes und unthätiges Leben führen, es überdies für ihren Geist schwierig, sich aus dem Netze der geltenden Meinung loszumachen und mit Gleichgültigkeit solcher Umstände zu gedenken, welche alle um sie mit hoher Achtung behandelten, oder an welche sie eine Entehrung, der sich Abscheu zugesellte, knüpften. Wäre der Fall umgekehrt, wäre Sigismund von Adel gewesen und Adelheid eines Scharfrichter's Tochter, so ist es wahrscheinlich, daß der junge Mann Mittel gefunden hätte, seiner Leidenschaft Genüge zu thun, ohne seinem Stolz ein zu großes Opfer zu bringen. Indem er seine Gattin auf sein Schloß gebracht, seinen geltenden Namen auf sie übergetragen, sie von allem, was die Verbindung unangenehm und herabwürdigend machte, getrennt, und in den vielfältigen und umfassenden Beschäftigungen seiner Stellung Beschäftigung gefunden hätte, würde er geringere Beweggründe gehabt haben, den tadelnswerthen Charakter der eingegangenen Heirath zu erwägen und folglich zu beklagen. Dies sind die Vortheile, welche die Natur und die Gesetze der Gesellschaft dem Manne über das schwächere aber treuere Geschlecht gegeben haben; – und doch, wie wenige wären großmüthig genug gewesen, auch nur das Opfer des Gefühls zu bringen, das ein solches Verfahren forderte! Auf der andern Seite ward Adelheid gezwungen, den alten und ruhmwerthen Namen ihrer Familie aufzugeben und einen anzunehmen, welcher in dem Canton für ehrlos angesehen wurde; oder, wenn ein Mittel aufgefunden ward, diese erste Schmach abzuwenden, mußte es unvermeidlich der Art sein, daß es die Aufmerksamkeit aller mit den Thatsachen bekannten eher anzog, als sie von dem demüthigenden Charakter seiner Abstammung abwendete. Es fehlte ihr an einem immer bereiten Schutz gegen die stete Thätigkeit ihrer Gedanken, denn die Sphäre des Weibes beschränkt die Gefühle so, daß sie sie von den kleinen Zufällen des häuslichen Lebens sehr abhängig macht, sie konnte vor dem Verkehr mit den Verwandten ihres Gatten ihre Thüre nicht schließen, wenn es ihm beliebt hätte, ihr zu befehlen, oder wenn sein Gefühl ihn getrieben hätte, denselben zu wünschen, und sie mußte auf die leise aber nie verstummende Stimme der Pflicht hören und auf seinen Wunsch vergessen, daß sie je glücklicher war, oder daß sie für bessere Hoffnungen geboren worden.

Wir wollen nicht behaupten, daß alle diese Berechnungen sich dem sinnenden Mädchen aufgedrängt hätten, obgleich sie gewiß ein allgemeines und unbestimmtes Bild von den Folgen hatte, welche die Verbindung mit Sigismund für sie wahrscheinlich nach sich ziehen mußte. Noch lange nach seinem Weggehen saß sie bewegungslos, in tiefes Sinnen verloren. Der junge Mann war durch die kleine Pforte um das Schloß gegangen und eilte fliegenden Fußes über die sanft gesenkten Wiesenfluren an der Bergseite hinab, und wahrscheinlich zum ersten Male seit ihrer Bekanntschaft folgte ihr Auge seiner männlich kräftigen Gestalt gedankenlos und gleichgültig.

Ihr Geist war zu beschäftigt, um die gewöhnliche Thätigkeit der Sinne zuzulassen. Die ganze erhabene und liebliche Landschaft war vor ihr ausgebreitet, ohne daß sie einen Eindruck auf sie machte, wie wir in die Leere des Firmaments schauen, das Auge auf den öden Raum geheftet. Sigismund war unter den Mauern der Weinberge verschwunden, als sie aufstand und einen Seufzer hören ließ, wie er uns wohl nach langem und peinlichem Nachdenken entschlüpft. Aber die Augen des hochsinnigen Mädchens glänzten und ihre Wange glühte, während alle ihre Züge einen Ausdruck erhabenerer Schönheit trugen, als gewöhnlich ihr so liebliches Antlitz zeigte. Ihr Entschluß war gefaßt. Sie hatte mit der seltnen und großmüthigen Selbstaufopferung eines weiblichen Herzens entschieden, welches liebt, und das in seiner Frische und Reinheit nur einmal lieben kann. In diesem Augenblick hörte man Fußtritte auf dem Gang und die drei alten Edelleute, welche wir vorher auf der Schloß-Terrasse verlassen haben, traten in den Rittersaal.

Melchior von Willading nahte sich seiner Tochter mit einer heitern Miene, denn auch er hatte nun, wie er es ansah, einen glorreichen Sieg über seine Vorurtheile davon getragen, und dieses Gefühl versetzte ihn in eine vortreffliche Stimmung.

»Die Frage ist für immer entschieden,« sagte er, Adelheid's brennende Stirne liebevoll küssend und sich die Hände reibend, wie wohl Leute zu thun pflegen, die sich freuen, eines quälenden Zweifels los zu sein. »Diese wackern Freunde sind mit mir einverstanden, daß es in einem Falle wie dieser, unserer Geburt grade geziemt, der Abstammung des Jünglings zu vergessen. Wer das Leben der zwei letzten Willading gerettet hat, verdient mindestens, einen Theil an dem zu haben, was ihnen geblieben ist. Auch schickt sich mein guter Grimaldi hier an, mir die Stirne zu bieten, wenn ich nicht einwilligte, den wackern Burschen von ihm ausstatten zu lassen – als wären wir Bettler und hätten die Mittel nicht, unsern Verwandten zu Haus gehörig zu versorgen. Aber wir wollen selbst einem so bewährten Freunde auch nicht den kleinsten Theil unseres Glückes schuldig sein. Das Werk soll ganz unser eigenes sein, selbst das Adels-Diplom nicht ausgeschlossen, wegen dessen ich mich in den ersten Tagen nach Wien wenden werde; denn es wäre grausam, den biedern Jüngling eines so einfachen Vortheils entbehren zu lassen, der ihn zu unseres Gleichen erheben und so gut – ja, bei Luther's Bart – besser machen wird, als den besten Mann von Bern.«

»Ich habe dich nie als einen Knicker gekannt, obgleich ich dich oft hinter der Schweizer Genügsamkeit mächtig verschanzt sah,« sagte Signor Grimaldi lachend. »Dein Leben, mein lieber Melchior, mag in deinen eigenen Augen einen sehr hohen Werth haben, aber ich bin wenig geneigt, das meinige so gering anzuschlagen, wie du es offenbar zu schätzen scheinst. Du hast recht, ich will sagen, edel, in dem besten Sinne dieses Wortes, entschieden, als du einwilligtest, diesen wackern Sigismund als deinen Sohn anzunehmen; aber du darfst, junges Fräulein, nicht denken, ich hielt diesen Körper, weil er etwas abgenutzt ist, für ganz werthlos, und er könne wie ein Bündel schlechter Leinwand aus jenem See dort gezogen werden, ohne daß sich jemand um die Art und Weise bekümmert, wie eine solche Gefälligkeit erzeigt worden ist. Ich verlange, deinen Gemahl auszustatten, damit er wenigstens auftreten kann, wie es dem Schwiegersohne Melchior von Willading's geziemt. Bin ich ohne allen Werth, daß Ihr mich so ohne Umstände behandelt, indem Ihr sagt, ich sollte meine Erhaltung nicht belohnen?«

»Halte es nach deinem Gefallen, guter Gaetano, mache es wie du willst, sofern du uns nur den jungen Mann lassen willst –«

»Vater –«

»Ich will keine mädchenhafte Ziererei, Adelheid. Ich erwarte, daß du den Gatten, welchen wir dir bieten, so dankbar annimmst, als wenn er eine Krone trüge. Wir haben es unter uns ausgemacht, daß Sigismund Steinbach mein Sohn werden soll, und seit undenklichen Zeiten haben sich die Töchter unseres Hauses in solchen Angelegenheiten dem unterworfen, was ihnen die Weisheit ihrer Eltern rieth, wie dies auch ihrem Geschlechte und ihrer Unerfahrenheit ziemte.«

Die drei alten Herrn waren mit trefflicher Laune in den Rittersaal gekommen, und die Miene des Freiherrn von Willading würde es hinreichend verrathen haben, daß er mit Adelheid scherze, wäre den Andern nicht wohl bekannt gewesen, daß in der eben getroffenen Wahl vor allem des Mädchens Gefühle zu Rath gezogen worden.

Allein ungeachtet der großen Munterkeit, mit welcher der Vater sprach, theilte sich doch die Freude und Schwungkraft seines Wesens dem Kinde nicht so schnell mit, als er wünschen mochte. In Adelheid's Miene war weit mehr als jungfräuliche Verlegenheit. Sie wurde blaß und roth, und während sie sich anstrengte zu sprechen, wandte sich ihr Auge schmerzvoll von einem auf den andern. Signor Grimaldi sprach leise mit seinen Freunden und Roger von Blonay entfernte sich bescheiden unter dem Vorwande, man bedürfe seiner zu Vevay, wo man mit den Vorbereitungen zu dem Winzerfeste lebhaft beschäftigt war. Der Genueser wollte dann seinem Beispiele folgen, aber der Freiherr hielt seinen Arm fest, während er einen forschenden Blick auf seine Tochter warf, als befehle er ihr, sich offner gegen ihn auszusprechen.

»Vater,« sagte Adelheid mit einer Stimme, welche zitterte, so sehr sie sich auch bemühte, ihre Gefühle zu beherrschen, – »ich habe etwas Wichtiges mitzutheilen, ehe diese Verbindung mit Herrn Steinbach als etwas Unwiderrufliches beschlossen wird.«

»Sprich offen, mein Kind; dies ist ein bewährter Freund, der ein Recht hat, mit allem, was uns betrifft, vorzüglich in dieser Angelegenheit, bekannt zu werden. Allen Scherz bei Seite setzend, hoffe ich, Adelheid, daß du kein mädchenhaftes Spiel mit einem jungen Manne wie Sigismund treiben wirst, dem wir so viel, selbst unser Leben verdanken, und für den wir bereit sein sollten, jedes Gefühl von Vorurtheilen und Herkommen – alles was wir besitzen, selbst unsern Stolz, zu opfern.«

»Alles, Vater?«

»Ich habe es gesagt – Alles. Ich werde keinen Buchstaben dieses Wortes zurücknehmen und wenn es mich Willading, meinen Rang in dem Canton, und einen alten Namen obendrein kosten sollte. Habe ich nicht recht, Gaetano? Ich stelle das Glück des Jünglings höher, als jede andere Rücksicht, indem Adelheid's Glück, wie ich weiß, so innig mit dem seinigen verschmolzen ist. Ich wiederhole es daher, Alles.«

»Es würde gut sein, zu hören, was die junge Dame zu sagen hat, ehe wir diese Sache weiter treiben,« bemerkte Signor Grimaldi, der keinen Sieg über sich davon getragen und daher in seiner Freude nicht ganz so überschwenglich war, wie sein Freund, einen ruhigern Beobachter abgab und, was er sah, mit der Klarheit eines besonneneren und scharfsichtigeren Mannes beachtete. »Ich würde mich sehr irren, wenn deine Tochter nicht etwas sehr Ernstes mitzutheilen hätte.«

Melchior's väterliche Zärtlichkeit wurde nun ängstlich rege und er blickte sein Kind mit sorgenvoller Aufmerksamkeit an. Adelheid erwiederte seine sichtbare Bekümmerniß mit einem Lächeln der Liebe, aber der schmerzliche Ausdruck desselben war so unzweideutig, daß es die Angst des Freiherrn nur steigerte.

»Bist du nicht wohl, Liebe? – es ist unmöglich, daß wir hintergangen worden sind – daß irgend eine Bauerndirne würdig befunden wurde, dich auszustechen? Ha, – Signor Grimaldi, dies sieht wahrlich beinahe wie eine Beleidigung aus; – aber, so alt ich bin – Nun, wir werden nie erfahren, wie sich die Sache verhält, wenn du nicht freimüthig redest – eine schöne Geschichte, in der That, Gaetano – daß meine Tochter von einem Knecht verworfen werden soll!«

Adelheid machte eine bittende Bewegung gegen ihren Vater, sich zu gedulden, während sie, nicht mehr im Stande zu stehen, ihren Sitz wieder einnahm. Die zwei beunruhigten Männer folgten in stummer Verwunderung ihrem Beispiele.

»Du thust Sigismund's Ehre und Bescheidenheit zumal sehr unrecht, Vater,« begann das Mädchen nach einer Pause und sprach mit einer Ruhe, welche selbst sie überraschte. »Wenn du und dieser treffliche und bewährte Freund mir einige Augenblicke Gehör geben wollt, so werdet ihr alles erfahren.«

Die beiden Greise horchten erstaunt, denn sie sahen deutlich, daß die Sache ernster war, als sie anfangs geglaubt hatten. Adelheid hielt wieder inne, um Kraft zur Erfüllung der unangenehmen Pflicht zu sammeln und dann erzählte sie kurz, aber klar, das Wesentliche aus Sigismund's Mittheilung. Die beiden Zuhörer haschten begierig jede Sylbe, die den bebenden Lippen des Mädchens entfloh, denn sie zitterte, ungeachtet eines fast übermenschlichen Kampfes, ruhig zu sein, und als sie geendigt hatte, blickten sie einander an wie Leute, über die ein schreckliches und ganz unerwartetes Ungemach plötzlich hereinbricht. Der Freiherr konnte in der That kaum glauben, daß ihn sein schwaches Gehör nicht getäuscht habe, denn das Alter hatte diesen nützlichen Sinn ein wenig abgestumpft, während sein Freund die Worte hörte, wie Jemand Eindrücke der empörendsten und abschreckendsten Art aufnimmt.

»Dies ist eine verruchte und schreckliche Geschichte!« murmelte der letztere, als Adelheid ganz ausgesprochen hatte.

»Sagte sie, Sigismund sei der Sohn Balthasar's, des öffentlichen Scharfrichters des Cantons?« fragte der Vater seinen Freund, wie sich Jemand widerstrebend einer halb verstandenen und unwillkommenen Wahrheit versichert, – »Balthasar's – dieser geächteten Familie?«

»Das ist der Vater, welchen es Gottes Wille war, dem Retter unseres Lebens zu geben,« antwortete Adelheid sanft.

»Der Elende wagte es, sich in den Kreis der Meinigen zu stehlen und diese entehrende und gehässige Thatsache verheimlichte er! – Und die Unreinheit seiner Herkunft wollte er auf den makellosen Stamm einer alten und edlen Familie pfropfen! Darin ist etwas, das über bloße Zweideutigkeit weit hinaus geht, Signor Grimaldi. Es ist ein schwarzes und absichtliches Verbrechen.«

»Es ist hier etwas, das weit über unsere Mittel zu helfen hinaus geht, guter Melchior. Aber laß uns den jungen Menschen, dessen Geburt ihm eher als ein Unglück denn ein Verbrechen angerechnet werden muß, nicht rasch verdammen. Wenn er tausendmal Balthasar wäre, so hat er doch unser Aller Leben gerettet.«

»Du sprichst wahr – du sagst nicht mehr, als was wahr ist. Du warst immer viel vernünftigerer Art als ich, obgleich deine südlichere Herkunft dem widersprechen zu wollen scheint. So hat denn jetzt der Wind alle unsere schönen Träume und ausgedehnten Großmuthsplane auf einmal verweht!«

»Dies liegt nicht so am Tage,« erwiederte der Genueser, der während der ganzen Zeit nicht versäumt hatte, Adelheid's Gesicht genau zu beobachten, als wollte er sich ihrer geheimen Wünsche vollkommen versichern. »Schöne Adelheid, es wurde wohl über diese Sache viel zwischen dir und dem Jüngling gesprochen?«

»So ist's, Signore. Ich war im Begriff, die Absichten meines Vaters kund zu thun; denn die Lage, in welcher wir uns befanden, das Gewicht unserer vielen Verpflichtungen, die herkömmliche Entfernung, welche der Rang zwischen Adelige und Bürgerliche legt, rechtfertigt vielleicht diese Kühnheit bei einem Mädchen,« setzte sie hinzu, aber das verrätherische Blut ließ ihre Scham gewahren. »Ich wollte Sigismund mit den Wünschen meines Vaters bekannt machen, als er meinem Vertrauen durch das Geständniß entgegen kam, dessen ich eben gedacht habe.«

»Er hält seine Geburt –«

»Für ein unüberwindliches Hinderniß gegen die Verbindung. Sigismund Steinbach ist, obgleich er in dem zufälligen Umstand der Geburt so wenig begünstigt wurde, kein Bettler, der um etwas bittet, was sein edles Herz verdammen würde.«

»Und du?«

Adelheid senkte die Augen und schien über die Art ihrer Antwort nachzudenken.

»Du wirst mir diese Neugierde nachsehen, welche vielleicht zu sehr den Schein unstatthaften Einmischens hat; aber meine Jahre und meine alte Freundschaft, die neuern Begebnisse und ein wachsendes Wohlwollen für alles, was dich angeht, muß mich entschuldigen. Wenn wir deine Wünsche nicht kennen, Tochter, können weder Melchior noch ich handeln, wie wir wünschen möchten.«

Adelheid beobachtete ein langes und gedankenvolles Stillschweigen. Obgleich jede Empfindung ihres Herzens und die ganze Neigung, welche der Sprößling der warmen und poetischen Täuschung, der Liebe, ist, sie antrieben, ihre Bereitwilligkeit kund zu thun, dem tiefen und reinen Gefühle des Weibes jede andere Rücksicht zu opfern, so hielt doch die Meinung mit ihrer eisernen Faust sie in Ungewißheit, ob es passend sei, den Vorurtheilen der Welt Trotz zu bieten. Die Schüchternheit dieses Geschlechtes, welches, wie bereit es auch sein mag, seine theuersten Vorrechte auf dem Altar der ehelichen Zärtlichkeit als Opfer niederzulegen, doch mit einer zarten Empfindlichkeit vor dem Scheine einer vorschnellen Ergebung gegen den Mann zurückbebt, hatte auch ihr Gewicht; und dann konnte ein so zärtliches Kind der Wirkung nicht vergessen, welche ihr Entschluß auf das künftige Glück ihres einzigen noch lebenden Verwandten haben mochte.

Der Genueser begriff den Kampf, obgleich er dessen Ausgang vorsah, und nahm das Gespräch selbst wieder auf, theils mit dem freundlichen Wunsche, dem Mädchen Zeit zu lassen, reif nachzudenken, bevor sie eine Antwort gäbe, und theils, indem er einem sehr natürlichen Gange seiner Gedanken folgte.

»In diesem wandelbaren Zustande des Daseins ist nichts sicher,« fuhr er fort. »Weder Throne, noch Reichthümer, noch Gesundheit, noch selbst die heiligsten Gefühle sind gegen den Wechsel gesichert. Wohl dürfen wir daher einhalten und jeden möglichen Glücksfall erwägen, ehe wir den letzten und endlichen Schritt in irgend einer großen und neuen Maßregel thun. Du kennst die Hoffnungen, mit welchen ich in das Leben trat, Melchior, und die entmuthigenden Widerwärtigkeiten, welche meine Laufbahn wahrscheinlich schließen. Kein Jüngling ward zu schöneren Hoffnungen geboren, und nie sah Italien einen glücklichern Mann, als ich an dem Morgen war, an welchem ich Angiolina's Hand empfing; und doch sahen zwei kurze Jahre alle diese Hoffnungen verwelkt, dieses Glück entflohen und eine Wolke über mein Leben ausgebreitet, welche nie verschwunden ist. Ein weibloser Gatte und ein kinderloser Vater dürfte einen schlechten Rathgeber in einem Augenblick abgeben, mein Freund, wo dich und die deinigen so große Zweifel bedrängen.«

»Dein Geist wendet sich natürlich zu deinem eigenen unglücklichen Kinde, armer Gaetano, wenn es sich in so hohem Grade um das Glück des meinigen handelt.«

Signor Grimaldi wendete sein Auge auf seinen Freund, aber der Strahl des Kummers, der gewöhnlich über sein Antlitz flog, wenn sein Geist mächtig auf diesen peinlichen Gegenstand hingezogen ward, verrieth, daß er eben jetzt nicht im Stande war zu antworten.

»Wir sehen in allen diesen Vorfällen,« fuhr der Genueser fort, von dem Gegenstand gleichsam zu erfüllt, um seine Worte zu hemmen, – »die unergründlichen Pläne der Vorsehung. Hier ist ein Jüngling, der Alles ist, was ein Vater wünschen kann; in jedem Sinne würdig, ihm das Wohl einer geliebten und einzigen Tochter anzuvertrauen; männlich, kühn, tugendhaft und edel in allem, nur nicht in dem zufälligen Umstande der Abstammung, und doch von der Meinung der Welt so geächtet, daß wir es kaum wagen dürfen, ihn als den Genossen einer müßigen Stunde zu nennen, wenn es bekannt wäre, daß er der Mann ist, als welcher er sich selbst erklärt hat!«

»Ihr legt die Sache in einer nachdrücklichen Sprache dar, Signor Grimaldi,« sagte Adelheid schaudernd.

»Ein Jüngling von einer so gebieterischen Gestalt, daß ein König sich über die Aussicht freuen dürfte, einem solchen Haupte seine Krone zu hinterlassen; von einer so vollendeten Kraft und männlichen Vortrefflichkeit, welche das gefährliche Frohlocken über Gesundheit und Kraft fast rechtfertigt; von einem Verstande, der reifer ist als seine Jahre; von einer bewährten Tugend; von allen Eigenschaften, welche wir achten, und die die Frucht des Fleißes und nicht die Gabe des Zufalls sind; und doch ein Jüngling, von den Menschen verdammt, unter dem Vorwurfe ihres Hasses und ihrer Verachtung zu leben, oder den Namen der Mutter, die ihn gebar, für immer zu verheimlichen! Vergleiche diesen Sigismund mit Andern, wessen Namens sie sein mögen; mit dem hochgebornen und feisten Erben eines erlauchten Hauses, der in der Menschen Achtung schwelgt, während er gegen der Menschen sittliche Grundsätze anstößt; der es als zu seinen Vorrechten gehörig ansieht, alles dessen zu spotten, was heilig und gerecht ist; der nur sich selbst lebt, und dies in niedrigen Genüssen; der eher zum Genossen des Tollhäuslers, als irgend eines andern paßt, obgleich er bestimmt ist, im Rathe vorzusitzen; der das Vorbild der Schlechten ist, obgleich berufen, über Tugendhafte zu herrschen; den man nicht achten kann, obgleich er Anspruch hat, geehrt zu werden; und laßt uns nun fragen, warum dies so ist, welche Weisheit es ist, die so willkührliche Unterschiede gemacht hat, und die, während sie die Nothwendigkeit der Gerechtigkeit verkündigt, so offen, so muthwillig und so rücksichtslos ihren einfachsten Gesetzen Hohn spricht?«

»Signore, es sollte nicht so sein – Gott beabsichtigte nie, daß es so sein sollte.«

»Während Alles den Grundsatz auszusprechen scheint, daß jeder stehen oder fallen müsse nach seinen guten oder bösen Thaten, daß die Menschen nach ihrem Verdienst geehrt werden sollen, gehen alle menschlichen Einrichtungen darauf aus, das Entgegengesetze zu erzielen. Dieser wird gepriesen, weil seine Abstammung adelig ist; jener verdammt, blos weil er niedriger Herkunft ist. Melchior! Melchior! unsere Vernunft wird durch Spitzfindigkeiten verwirrt, und unsere gepriesene Philosophie und Gerechtigkeit sind nicht mehr als schamlose Aeffereien, über welche selbst die Teufel lachen.«

»Und doch sagen uns die Aussprüche Gottes, Gaetano, die Sünden der Väter sollten an den Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht heimgesucht werden. Ihr Katholiken weiht der heiligen Schrift vielleicht nicht diese große Aufmerksamkeit, aber ich habe sagen hören, wir hätten in Bern kein Gesetz, für welches nicht in dem heiligen Buche selbst ein Beleg zu finden wäre.«

»Ja, es gibt Sophisten, welche alles beweisen, was sie wünschen. Die Laster und Thorheiten der Ahnen lassen ohne alle Frage ihr physisches oder selbst ihr moralisches Brandmal auf dem Kinde, guter Melchior; – aber ist dies nicht genug? dürfen wir gotteslästerisch, ja selbst ruchlos annehmen, Gott habe nicht hinreichend für die Bestrafung der Uebertretungen seiner weisen Gesetze gesorgt, so daß wir einschreiten müssen, sie durch unsere eigenen willkührlichen und herzlosen Gesetze zu unterstützen? Welches Verbrechen ist der Familie dieses Jünglings heimzugeben, als das der Armuth, welche wahrscheinlich den Ersten seines Geschlechtes zu der Vollstreckung seines empörenden Amtes trieb? Es ist wenig in dem Aeußern und in dem Gemüthe Sigismund's, das die Heimsuchung weiser Beschlüsse des Himmels andeutet, aber alles in seiner gegenwärtigen Lage verkündigt die Ungerechtigkeit der Menschen.«

»Und räthst du, Gaetano Grimaldi, der Verwandte so vieler alten und edlen Häuser – du, Gaetano Grimaldi, den Genua so hoch ehrt – räthst du mir, mein einziges Kind, die Erbin meiner Güter und meines Namens, dem Sohne des öffentlichen Nachrichters, ja selbst dem Erben dieses verabscheuten Amtes zu geben?«

»Da setzest du mich auf den Sand, Melchior; die Frage ist bündig und fordert Ueberlegung, ehe man antwortet. O, warum ist dieser Balthasar so reich in seiner Nachkommenschaft, und ich so arm! Aber wir wollen die Sache nicht übereilen; sie bietet viele Seiten dar und wir müssen sie als Männer so gut wie als Adlige beurtheilen. Tochter, du hast eben durch die Worte deines Vaters erfahren, daß ich vermöge meiner Stellung und meiner Abstammung gegen dich bin; denn, während ich den Grundsatz dieses Unrechts verdamme, kann ich dessen Folgen nicht übersehen, und nie hat sich ein Fall, der so verwickelte Schwierigkeiten zeigt, in welchem die Gerechtigkeit so handgreiflich mit der öffentlichen Meinung in Widerspruch tritt, meiner Beurtheilung dargeboten. Verlaß uns, damit wir über uns selbst schalten können; die angesprochene Entscheidung fordert große Sorgfalt und größere Gewalt über uns selbst, als ich ausüben kann, so lange dies dem liebliches blasses Gesicht so beredt zu Gunsten des edeln Jünglings zu meinem Herzen spricht.«

Adelheid stand auf und entfernte sich schweigend, nachdem sie ihre marmorgleiche Stirne dem Gruße ihrer beiden Väter – denn die alte Freundschaft und innige Zärtlichkeit des Genuesers gab ihm ein Recht auf diesen Namen – zum Abschiedsgruße dargeboten hatte. Was die nun folgende Unterhaltung zwischen den zwei alten Herrn angeht, lassen wir den Vorhang für den Augenblick fallen, um zu andern Begebnissen unserer Erzählung überzugehen. Es mag jedoch im Allgemeinen bemerkt werden, daß der Tag ruhig und ohne irgend ein Ereigniß, das zu berichten nothwendig wäre, verstrich, indem alle in dem Schloß, unsre Reisende ausgenommen, vorzüglich durch die herannahenden Festlichkeiten beschäftigt waren. Signore Grimaldi suchte eine Gelegenheit, sich lange und vertraulich mit Sigismund zu besprechen, der es seinerseits sorgfältig vermied, von ihr, die so großen Einfluß auf seine Gefühle hatte, wieder gesehen zu werden, bis beide Zeit hatten, ihre Fassung wieder zu erlangen.



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